Impulspapier Demokratische Kultur stärken Die im Grundgesetz verankerte parlamentarisch-repräsentative Demokratie ist die tragende Säule unseres politischen Systems in Deutschland. Sie hat sich in den letzten Jahrzehnten bewährt und ganz entscheidend zur politischen Stabilität in unserem Land beigetragen. Aber seit einiger Zeit erfahren die Kerninstitutionen des repräsentativen Systems – Wahlen, Parteien, Parlamente und Regierungen – einen Bedeutungsschwund und Legitimationsverlust. Die klassischen Volksparteien verlieren ihre Bindungskraft in die Gesellschaft, die Wahlbeteiligung sinkt zum Teil dramatisch und das Vertrauen in die Regelungskraft der „etablierten Politik“ ist rückläufig. Ein Großteil der Bevölkerung wünscht sich heute mehr Mitsprachemöglichkeiten jenseits von Wahlen, viele Menschen wollen mitdiskutieren und bestimmte Entscheidungen selbst treffen. Anlassbezogene Bürger- und Protestbewegungen vor allem gegen Großprojekte sind zum selbstverständlichen Teil einer politischen Kultur des Protests geworden – Anzeichen politischer Abstinenz und Apathie stehen neben einer wachsenden Bereitschaft zum Protest. Klar ist: Eine starke Demokratie braucht eine lebendige und streitbare Zivilgesellschaft. Demokratie kann nur funktionieren, wenn die Bürgerinnen und Bürger das politische und gesellschaftliche Leben mitgestalten und demokratische Grundwerte in Politik und Gesellschaft akzeptiert und gelebt werden. Dieses demokratische Fundament gilt es zu erneuern und zu stärken. In Deutschland, aber auch in anderen europäischen Demokratien, beobachten wir, dass sich immer weniger Menschen an den Europa-, Bundes-, Landes- und Kommunalwahlen beteiligen. Wahlbeteiligungen von um die 50 Prozent bei einigen vergangenen Landtagswahlen und z.T. deutlich unter 50 Prozent bei vielen Kommunalwahlen, werfen die Frage nach der Legitimation der politischen Repräsentation auf. 1 Aktuelle Studien zeigen: Je sozial schwieriger die Lebensverhältnisse in einem Wahlbezirk, desto geringer ist die Wahlbeteiligung. Auch ein geringeres Bildungsniveau verstärkt Wahlenthaltung. Die sinkende Wahlbeteiligung in Deutschland geht einher mit einer sozialen Spaltung der Wählerschaft. Die Wahlergebnisse in Deutschland sind daher im Blick auf die Sozialstruktur der Wählerschaft z.T. nicht mehr repräsentativ. Auch die ungleiche Repräsentation der Geschlechter besteht fort: Der Frauenanteil im Deutschen Bundestag, den Landtagen, den Kreis-, Stadt- und Gemeinderäten bleibt deutlich hinter ihrem Bevölkerungsanteil zurück, auch wenn es einige Fortschritte in den letzten 20 Jahren gegeben hat. Und nicht zuletzt gewinnt angesichts hoher Zuwandererzahlen nach Deutschland auch die Frage nach der Integration in unser politisches und demokratisches System an Bedeutung. Dabei geht es nicht zuallererst um die Beteiligungsmöglichkeit an Wahlen, sondern um das Kennenlernen und Annehmen der politischen Kultur, die sich vor allem in den ersten 20 Artikeln des Grundgesetzes ausdrückt. Deutschland muss dafür so etwas wie eine „offensive Liberalität“ entwickeln. Parteien und Politiker, seit einiger Zeit aber zunehmend auch die Medien als wichtige Vermittler von Politik, erleben eine wachsende argwöhnische Distanz der Menschen zu ihren Aufgaben und Leistungen. Insbesondere bei jungen Erwachsenen scheint sich das Informations- und Beteiligungsverhalten von den traditionellen Formen zu entfernen. Demokratie ohne aktive Beteiligung auf allen Ebenen des politischen Prozesses droht jedoch, zu einer leeren Hülle zu werden. Sie ist offen für populistische und radikale Anfeindungen. Eine wehrhafte Demokratie braucht engagierte Demokratinnen und Demokraten aus allen Teilen der Bevölkerung. Um unsere demokratische Kultur zu bewahren und zu stärken, wollen wir uns deshalb u.a. mit diesen Fragen auseinandersetzen: 1. Wie schaffen wir es, gemeinsam mit anderen gesellschaftlichen Akteuren die Wahlbeteiligung zu erhöhen und die mit dem Rückgang der Wahlbeteiligung verbundene soziale Spaltung zu überwinden? 2. Wie fördern und fordern wir die Integration von Zuwanderern in unsere politische und demokratische Kultur? 3. Wie fördern wir die Bereitschaft, sich in der Politik zu engagieren, insbesondere bei der besonders geforderten Generation, die die eigene Berufstätigkeit mit dem Familienleben und der Versorgung von Angehörigen unter einen Hut bringen muss? 4. Worin liegen die Potenziale einer aktiven demokratischen Bürgergesellschaft und wie fördern wir dieses Engagement? 2 5. Wie kann eine politische Partei Beispiele und Impulse geben für eine moderne politische Beteiligungskultur? 6. Wie können wir das Internet nutzen, um alle Ebenen des demokratischen Prozesses (Information, Kommunikation, Beteiligung bis hin zu Wahlen und Abstimmungen) zu modernisieren und gleichzeitig verlässlich und sicher zu gestalten? 3