Was Bauherren wirklich wollen Auch moderne Fabrikarchitektur hat ihre Stolpersteine Was macht eine moderne Fabrik heutzutage aus? Am Anfang steht die Architektur. Fassade, Infrastruktur, Mitarbeiteridentifikation und optimierte Produktionsabläufe sind nur einige Parameter die anfangs über die architektonische Gestaltung und Anordnung eines oder mehrerer Gebäude gelöst werden müssen. Der gute Architekt studiert durchschnittlich 15,9 Semester und verdingt sich mindestens zwei Jahre bis er sich letztendlich auch so nennen darf. Mühevoll erarbeitet er sich, was den optischen und wirtschaftlichen Anforderungen der Industrie entspricht, um dem zukünftigen Bauherrn die bestmögliche Rentabilität seiner Unternehmung garantieren zu können. Schöngeister und Idealisten sind sie bis zu diesem Zeitpunkt noch alle, bis der Bauherr kommt, sie mit Sonderwünschen überrascht und ihr zurechtgelegtes Baukastensystem einmal kräftig durcheinanderschüttelt. Bauherr vs. Architekt Der moderne Mensch ist ununterbrochen von Gebäuden und Architektur umgeben. Nur selten darf sich der Architekt anhand seiner Bauwerke ausleben und verewigen. Überschätzt wird sein Einfluss ohnehin. Im Wesentlichen ist es der jeweilige Bauherr, der die Richtung vorgibt. Er wählt den Architekten, der natürlich seine eigenen Ideen und Standpunkte haben darf - denn sonst wäre er handlungsunfähig - aus und macht die Vorgaben. Die Aufgabenstellung zur Planung eines Fabrikgebäudes ist seitens des Bauherrn meist klar definiert: Optimiere bis ins letzte Detail, schinde noch ein wenig Eindruck und mach es passend zu seinem Geldbeutel. 8 Vinci 1/2006 ie Lehren des Feng Shui sind im Trend – weswegen D Bauherren neuer Fabrikgebäude gerne ihre Architekten anweisen, bei ihren Planungen die fernöstliche Lehre mit einzubeziehen. Was schief gehen kann, wenn der Bauplaner das Feng-Shui-Handbuch nur quergelesen hat, erfahren Sie auf den nächsten zwei Seiten. Heutzutage eine Fabrik zu planen bedeutet im Wesentlichen, eine effiziente Zuordnung unterschiedlicher Nutzungsbereiche zur Bewerkstelligung effizienter Produktionsabläufe und Warenflüsse unter Berücksichtung des KostenNutzen-Effekts. Doch die Gestalt des Gebäudes, also sein Grundriss, seine Form und Kubatur, das alles sind Aspekte, die sich nicht allein von der Funktion ableiten lassen. Ein Entwurf lässt sich nicht anhand aller Randparameter „generieren“. Dazu kommt immer die Komponente der ästhetischen und formalen Gestaltung. Wie sollen die Fassaden aussehen? Welche Farben und Materialien werden verwendet. Das alles liegt im Ermessensspielraum der Gestalter und des finanziellen Rahmens des Auftraggebers. halle mit 750 qm Fläche. Was er mit dieser Halle beabsichtigte? Daran konnte sich der Auftraggeber nach Fertigstellung leider auch nicht mehr erinnern. Nachträglich überzeugte der Architekt, die Fläche optisch mit einem Wasserbereich zu verkleinern. Verbessertes Raumklima, wunderschöne Lichtreflexe waren die Argumente. Als er kurze Zeit später wieder dieses Gebäude besichtigte – man kehrt eben gerne an den Tatort zurück - , überkam ihn der Standardkommentar, den alle Architekten regelmäßig aussprechen: „Das hat sich der Architekt sooo nicht gedacht!“ Freut sich die Reinigungskraft am Ende der Woche jetzt doch immer über den umfunktionierten Münzbrunnen und generiert sich zusätzliches Trinkgeld. Der erste Eindruck zählt Fremde Lehren Eindruckvolle Empfangshallen sind nach wie vor gefragt und gespart wird hier auch nicht. Schließlich zählt der erste Eindruck. Ein bekannter Automobil-Hersteller war davon überzeugt, er benötige eine 11 m hohe Empfangs- Architektur kann Stimmung und Psyche positiv wie negativ beeinflussen. Auch auf die physische Gesundheit kann sie Einfluss haben. Der Architekt weiß darum und sorgt sich im Rahmen der Ausrichtung des Gebäudes, der Büroanordnung, Bepflanzung, Beleuchtung und Belüftung liebevoll darum. Das Funktionieren eines Gebäudes ist das weitere Ziel eines Entwurfes. Das betrifft sowohl die Produktionsabläufe, das technische Funktionieren der Gebäudehülle, auch ästhetische und nicht-technische Funktionen, die ein Bauwerk zu erfüllen hat. Da Architektur eine der wenigen praktischen Künste ist, die neben dem ästhetischen Wert auch einen Gebrauchswert haben, steht sie immer im Spannungsfeld von Kunst und Funktion. Sei an dieser Stelle erwähnt, dass er es nicht unterlässt, hier gerne eine Besondere Duftmarke in Form eines nichtidentifizierbaren oder unnützigen Objekts zu hinterlassen. Er wird trotzdem eine Erklärung hierfür finden – eine Eigenart dieser Gattung. Das Innenleben einer Fabrik wird meist aus Zeit- und Kostengründen vollkommen auf Funktionalität reduziert. Produktionsbereiche müssen den optimalen Warenfluss gewährleisten durch die Synergieeffekte innerhalb der Abteilungen, der Just-in-Time-Philosophie und der Lagerungsminimierung. Daran gewöhnt sich der Architekt mit der Zeit und kann die Tatsache auch sehr gut akzeptieren, dass hier andere Werte gefragt sind. Das Ganze sieht aber auch schon wieder ganz anders aus, entpuppt sich der Bauherr als Bauherrin oder Einflussreiche Gattin. „Haben Sie auch beachtet, dass das Chi richtig fließen kann?“ Das was? Das hat sich der Architekt sooo nicht gedacht! Trotzdem werden kurzerhand die fernöstlichen Lehren des Feng Shui quergelesen und auf geht es zur neuen Standortsuche. Im günstigen Fall kann der bereits gefertigte Entwurf auf den neuen Baubereich übertragen werden. Woher ein Gebirge und ein Meer nehmen und nicht stehlen? In diesem Fall einigte man sich darauf: die hessische Bergstraße wird das Gebirge und der Rhein kurzerhand zum stürmischen Meer umfunktioniert. Soll ja ohnehin ein Klimawandel bevorstehen. Die Prozessoptimierung jedoch stand nun im Gegensatz zum Chi - aber das sei nur am Rande erwähnt. Dem nicht genug, stand noch die kleine Aufgabe bevor, ein zusätzliches Coil-Lager zu entwerfen – 20 m lang / 10m breit / 15.m hoch – diesmal ein Wunsch des Bauherrn. An sich keine schwere Aufgabe, weshalb das Projekt gerne auf den nächstbesten Absolventen übertragen werden kann. Kurzes Briefing in der Mittagspause – Zeit ist schließlich Geld. Zwischen Schmunzeln und Verzweiflung bewegen sich die Reaktionen eine Woche später beim gemeinschaftlich Begutachten der Entwürfe. Hätte man den Jungarchitekten freies Tun gewährt, wäre dem Unternehmen eine außergewöhnliche Attraktion zugekommen und die Besucherzahlen wären in die Höhe geschossen. Mit Liebe fürs Detail kann man auf den Plänen riesige Becken mit ausgefeiltem Filterund Belüftungssystemen entdecken. Es wäre wirklich ein wunderschönes Koi-Lager geworden – eben passend zur fernöstlichen Lehre. Armer, armer Architekt... Was Bauherren und -frauen wirklich wollen, lässt sich selten realisieren, ohne das ein weitere wichtiger Aspekt verloren geht. Jedes Mal, wenn irgendwo auf dieser Erde ein neuer Absolvent eingestellt wird, spielen sich ähnliche Szenarien ab. Vollkommen von sich und seinen Entwürfen überzeugt geht der Jungarchitekt in die Präsentation, um später mit gesenktem Haupt, den Enttäuschungstränen nahe wieder herauszukommen. Die Resignation stellt sich spätestens im 3. Jahr ein mit dem Resultat: 1. Der Bauherr hat immer Recht. 2. Der Bauherr hat immer Recht! Anke Bravin Vinci 1/2006 9