Neuro-/ Psychopharmaka im Kindes

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M. Gerlach · C. Mehler-Wex · S. Walitza
A. Warnke · C. Wewetzer Hrsg.
Neuro-/
Psychopharmaka
im Kindesund Jugendalter
Grundlagen und Therapie
3. Auflage
Neuro-/Psychopharmaka im Kindes- und Jugendalter
Manfred Gerlach
Claudia Mehler-Wex
Susanne Walitza
Andreas Warnke
Christoph Wewetzer
(Hrsg.)
Neuro-/
Psychopharmaka
im Kindesund Jugendalter
Grundlagen und Therapie
3., aktualisierte Auflage
Mit 40 Abbildungen und 128 Tabellen
Herausgeber
Manfred Gerlach
Andreas Warnke
Würzburg, Deutschland
Claudia Mehler-Wex
Bad Kissingen, Deutschland
Susanne Walitza
Zürich, Schweiz
Christoph Wewetzer
Köln, Deutschland
ISBN 978-3-662-48623-8 ISBN 978-3-662-48624-5 (eBook)
DOI 10.1007/978-3-662-48624-5
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V
Vorwort zur 3. Auflage
Die 3. deutschsprachige Auflage folgt der 1. Auflage der 2014 erschienenen englischen Ausgabe
dieses inzwischen somit auch international anerkannten Lehrbuches zu Theorie und Praxis
der medikamentösen Behandlung psychischer Störungen im Kindes- und Jugendalter.
War es zunächst ein Lehrbuch, geschaffen durch die Mitarbeiter einer Klinik, so ist es inzwischen
das Gemeinschaftswerk führender Vertreter der deutschsprachigen Kinder- und Jugendpsychiatrie. Diese verstärkte Einbeziehung von störungsspezifisch wissenschaftlich und klinisch
ausgewiesenen Experten, die Berücksichtigung der aktuell verfügbaren S3-Leitlinien, die erneute
Anpassung des klinischen und Grundlagenwissens an den aktuell publizierten Forschungsstand
und die Beachtung der rückgemeldeten Praxiserfahrungen zu den Vorauflagen geben dieser
3. Auflage eine neue Qualität. Besonderer Wert wurde im dritten Teil auf das Beschreiben des
ganz praktischen störungs- bzw. symptomspezifischen Vorgehens bei der Verordnung der Medikation im klinischen Alltag gelegt. Rasch kann der Arzt nachschlagen und ersehen, welches
therapeutische Vorgehen sich bei einer klinischen Problemlage empfiehlt. Den Wirkstoffklassen
und dem pharmakologischen Grundlagenwissen sind eigene Teile gewidmet. Beibehalten ist die
bewährte Gliederung in Teil I: „Allgemeine Aspekte der Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit Psychopharmaka“, Teil II: „Spezielle Pharmakotherapie psychischer Erkrankungen“
und Teil III: „Symptomatische und symptomorientierte medikamentöse Therapie“.
Bei der Verfassung der Kapitel in Teil III wurden die Prinzipien der evidenzbasierten Medizin
(englisch „evidence-based medicine“) berücksichtigt. Diese im angelsächsischen Sprachraum
begründete Denk- und Arbeitsrichtung erhebt den Anspruch, in der Patientenversorgung bewusst und ausdrücklich die jeweils beste wissenschaftliche Evidenz auf der Grundlage von empirisch nachgewiesener Wirksamkeit unter Integration klinischer Kenntnisse in die Entscheidung über die jeweilige Behandlung mit einzubeziehen (Sackett et al. 19961). Grundsätzlich
kommen als Datenbasis Beobachtungsstudien (Fallbericht, Fallserie, Querschnittstudie, Registerstudie, Korrelationsstudie, Fall-Kontroll-Studie, Kohortenstudie), experimentelle Studien
(randomisierte, kontrollierte Studie) und Metaanalysen experimenteller Studien in Betracht.
Aufgrund der Einteilung in Evidenzklassen (nach dem Deutschen Netzwerk Evidenzbasierte
Medizin) ergibt sich eine Bewertung nach Empfehlungsgraden für bestimmte Therapieoptionen: Die höchste Aussagefähigkeit haben systematische Übersichten von randomisierten,
kontrollierten klinischen Studien mit der Evidenzklasse Ia.
Klasse
I
II
Anforderung an die Studien
Ia
Evidenz aufgrund einer systematischen Übersichtsarbeit randomisierter, kontrollierter Studien
(eventuell mit Metaanalyse)
Ib
Evidenz aufgrund mindestens einer hochqualitativen randomisierten, kontrollierten Studie
IIa
Evidenz aufgrund mindestens einer gut angelegten, kontrollierten Studie ohne Randomisierung
IIb
Evidenz aufgrund mindestens einer gut angelegten, quasi-experimentellen Studie
III
Evidenz aufgrund gut angelegter, nicht experimenteller, deskriptiver Studien
IV
Evidenz aufgrund von Berichten/Meinungen von Expertenkreisen, Konsensuskonferenzen und/
oder klinischer Erfahrungen anerkannter Autoritäten
1
Sackett DL, Rosenberg WMC, Gray JAM, Haynes RB, Richardson WS (1996) Evidence-based medicine: what it
is and what it isn’t. Br Med J 312: 71–72.
VI
Vorwort zur 3. Auflage
Die gewonnenen Erkenntnisse bilden die Grundlage für die Erstellung von Leitlinien, d. h.
systematisch entwickelte Aussagen zur Erleichterung klinischer Entscheidungen mit dem
Ziel, die Behandlungsergebnisse beim einzelnen Patienten zu verbessern und seine Zufriedenheit zu erhöhen. Nach dem System der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) werden Leitlinien in 4 Entwicklungsstufen von S1
bis S3 entwickelt und klassifiziert, wobei „S3“ (für Stufe 3) die höchste Qualitätsstufe der
Entwicklungsmethodik ist. Der Evidenzgrad „S3“ bedeutet u. a., dass die gesamte internationale wissenschaftliche Fachliteratur systematisch aufzuarbeiten und zu bewerten war und dass
sich alle relevanten Gruppen in einem Konsensusverfahren auf die Empfehlung der Leitlinie
einigen mussten.
Wenn entsprechende Beobachtungsstudien, experimentelle Studien und Übersichtsarbeiten
nicht vorliegen, sind die Therapieempfehlungen als Meinungen der jeweiligen Autoren nach
deren Kenntnissen der Literatur und ihren klinischen Erfahrungen formuliert worden.
Das Buch ist Ratgeber und praktischer Leitfaden für Ärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie
und -psychotherapie, Ärzte für Psychiatrie und Psychotherapie, Neurologen, Pädiater und
Allgemeinärzte. Es ist aber auch Informationsquelle für Pflegekräfte, Apotheker, Neurowissenschaftlicher, die sich für psychische Erkrankungen des Kindes- und Jugendalters interessieren,
Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeuten, Psychologische Psychotherapeuten, andere
therapeutische Berufsgruppen und für Erzieher, Lehrer und Sozialpädagogen, die im Bereich
der Erziehungshilfe oder im Klassenverband für Kinder und Jugendliche mit psychischer
Erkrankung Sorge tragen.
Seit der 1. Auflage haben sich wesentliche gesellschaftliche, wissenschaftliche und auch
rechtliche Veränderungen ergeben, die für die Psychopharmakotherapie überaus relevant
sind. Mit dem großen Anstieg der Zahl der Kinder und Jugendlichen, die in kinder- und
jugendpsychiatrischer Behandlung sind, hat auch die psychopharmakologische Behandlung
an Bedeutung gewonnen. Mehr denn je leben psychisch erkrankte Kinder und Jugendliche
in teil- und vollstationären Einrichtungen der Jugendhilfe, sodass die therapeutischen und
pädagogischen, teilweise elternersetzenden und -ergänzenden Bezugspersonen Kenntnisse
über die Einnahme, die Wirkung und die unerwünschten Wirkungen eines Medikaments
haben müssen, wenn die ihnen ganztags anvertrauten Kinder eine Medikation erhalten. Oft
ist die Indikation gegeben, Psychoedukation, Psychotherapie und Psychopharmakotherapie
zu verbinden. Diese Beispiele verweisen auf die gewachsene Weiterbildungsaufgabe nicht nur
für Ärzte, sondern auch für nichtmedizinische therapeutische und pädagogische Berufsgruppen. Seitens der Fachgesellschaften für Kinder- und Jugendpsychiatrie ist für die fachärztliche
Weiterbildung ein spezielles Weiterbildungsseminar eingerichtet. Die Arbeitsgemeinschaft
für Neuropsychopharmakologie und Pharmakopsychiatrie (AGNP e. V.) bietet im Rahmen
der AGNP-Psychopharmakologie-Tage regelmäßige Fortbildungsveranstaltungen zu diesem
Themenkreis an (▶ http://www.agnp.de).
Der zunehmenden klinischen Bedeutung der psychopharmakologischen Behandlung psychischer Störungen und psychischer Symptome im Kindes- und Jugendalter entsprechen
verstärkte Forschungsbemühungen und rechtliche Verbesserungen auf nationaler und internationaler Ebene. Das Bundesministerium für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM)
fördert mit 1,5 Mio. Euro die Pharmakovigilanz-Forschung im Kindes- und Jugendalter u. a.
mit einer multizentrischen klinischen Studie zur (Off-Label-)Anwendung von Antidepressiva
VII
Vorwort zur 3. Auflage
und Antipsychotika, mit der Daten zu Verordnungsverhalten, Therapieeffekten und unerwünschten Arzneimittelwirkungen dieser Wirkstoffklassen erhoben werden.
Die EU-Verordnung über Kinderarzneimittel, die am 26. Januar 2007 in Kraft trat, hat die
Grundlagen für gesetzliche Regelungen geschaffen, die eine verstärkte Arzneimittelprüfung
bei Minderjährigen anregen, denn nach wie vor bestehen gravierende Forschungsdefizite mit
der Folge, dass viele Neuro-/Psychopharmaka noch immer „off-label“, d. h. ohne Zulassung
für eine Altersgruppe und/oder Indikation im Sinne des Arzneimittelrechts unter allein ärztlicher Verantwortung und sorgfältiger Aufklärung von Eltern und Kindern/Jugendlichen als
Heilversuch verabreicht werden. Seit dieser Verordnung müssen in Europa alle Arzneimittel,
für die eine Zulassung beantragt wird, nun auch in klinischen Studien an Kindern erprobt
worden sein.
Wir freuen uns über die ausgezeichnete Akzeptanz, die dieses Buch mit den bisherigen, rasch
ausverkauften Auflagen gefunden hat. Wir sind allen Experten dankbar, die in überaus engagierter und kooperativer Weise als Autoren mit ihrer klinischen Erfahrung und der Aufarbeitung des aktuellen, publizierten Forschungsstandes zu der Vollendung dieser 3. Auflage
beigetragen haben. Ein herzlicher Dank gilt Frau Mag. Renate Eichhorn vom Springer-Verlag
Wien und Frau Annette Allée für die stets fruchtbare und vertrauensvolle Zusammenarbeit
sowie die sorgfältige herstellerische Betreuung.
Wir hoffen, dass auch diese Auflage willkommene Annahme findet und dazu beiträgt, die
Behandlung psychischer Störungen bei Kindern und Jugendlichen zu verbessern. Wir sind
dankbar für Hinweise auf Irrtümer und würden uns über Vorschläge zur Verbesserung des
Buches freuen.
Manfred Gerlach
Claudia Mehler-Wex
Susanne Walitza
Andreas Warnke
Christoph Wewetzer
Würzburg, Zürich, Köln, im September 2015
VIII
Abkürzungen
AACAP
American Academy of Child and
Adolescent Psychiatry
ABC
Aberrant Behavior Checklist
ACEAngiotensin-Converting-Enzym
AChAcetylcholin
ACTH
adrenocorticotropes Hormon
ADHSAufmerksamkeitsdefizit-/
Hyperaktivitätsstörung
ADHS-RS-IV ADHS Rating Scale-IV
ADS
attention deficit disorder,
Aufmerksamkeitsstörung
ADPAdenosindiphosphat
AGNP
Arbeitsgemeinschaft für
Neuropsychopharmakologie und und
Pharmakopsychiatrie
AIMS
Abnormal Involuntary Movement
Scale
ALS
amyotrophe Lateralsklerose
ALTAlanin-Aminotransferase
AMGArzneimittelgesetz
AMNOGArzneimittelmarktneuordnungsgesetz
AMPAdenosinmonophosphat
AMPA
α-amino-3-hydroxy-5-methyl-4isoxazolepropionic acid
ASTAspartat-Aminotransferase
ATPAdenosintriphosphat
AUC
area under the curve
AVT
apparative Verhaltenstherapie
BDNF
brain-derived neurotrophic factor
BDO1,4-Butandiol
BfArM
Bundesinstitut für Arzneimittel und
Medizinprodukte
BGB
Bürgerliches Gesetzbuch
BMIBody-Mass-Index
BtMVVBetäubungsmittelVerschreibungsverordnung
cAMPAdenosin-3’,5’-monophosphat
CBT
cognitive behavioral therapy
C-GAS
Children‘s Global Assessment Scale
CGI
Clinical Global Impression
CDRS-R
Children’s Depression Rating ScaleRevised
CREB
cAMP response element binding
protein
CRHCorticoliberin
cGMPCycloguanylat
CKKCholezystokinin
cmax
maximale Arzneistoffkonzentration
CoA
Coenzym A
COMTcatechol-O-methyltransferase,
Katechol-O-Methyltransferase
CPZChlorpromazin
CTL-Familie cholin transporter-like family
CYPCytochrom-P450
CY-BOCS
Children’s Yale-Brown Obsessive
Compulsive Scale
DATDopamin-Transporter
DGBS
Deutsche Gesellschaft für Bipolare
Störungen
DGKJP
Deutsche Gesellschaft für Kinder- und
Jugendpsychiatrie, Psychosomatik
und Psychotherapie
DGPPN
Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie,
Psychotherapie und Nervenheilkunde
DMDD
disruptive mood dysregulation
disorder
DSM-IV-TR
Diagnostic and Statistical Manual of
Mental Disorders, 4th Edition, Text
Revision
DSM-5
Diagnostic and Statistical Manual of
Mental Disorders, 5th Edition
EAAT
excitatoric amino acid transporter,
exzitatorischer AminosäurenTransporter
EC50
effector concentration 50 %,
halbmaximaler Effekt
EDRF
endothelium-derived relaxing factor
EEGElektroenzephalogramm
EKGElektrokardiogramm
EKTElektrokrampftherapie
EMA
European Medicines Agency (ehemals
EMEA – European Agency for the
Evaluation of Medicinal Products)
EPA
European Psychiatric Association
EPS
extrapyramidal side effects,
extrapyramidal-motorische
unerwünschte Arzneimittelwirkungen
ESRS
Extrapyramidal Symptom Rating Scale
ESSTS
European Society for the Study of
Tourette Syndrome
FDA
Food and Drug Administration
FI
Fachinformationen über Arzneimittel
FSH
follikelstimulierendes Hormon
GADGlutamat-Decarboxylase
GABA
γ-aminobutyric acid,
γ-Aminobuttersäure
GATGABA-Transporter
GBA
Gemeinsamer Bundesausschuss
GBLγ-Butyrolacton
GCP
good clinical practice, Gute klinische
Praxis
GDHGonadoliberin
γ-GTγ-Glutamyltransferase
GHBγ-Hydroxybuttersäure
G-ProteinGuanosintriphosphat-Protein
GTPGuanosintriphosphat
IX
Abkürzungen
HDL
high density lipoprotein
HPA-AchseHypothalamus-HypophysenNebennierenrinden-Achse
ICCS
International Children’s
Continence Society
ICD
International Statistical
Classification of Diseases and
Related Health Problems
ICSD
International Classification of
Sleep Disorders
IGF
insulin-like growth factor
i. m.intramuskulär
INN
international non-proprietary
name, Freiname
IP3Inositol-1,4,5-triphosphat
IUPHAR
International Union of Basic and
Clinical Pharmacology Committee
on Receptor Nomenclature and
Drug Classification
i. v.intravenös
KGKörpergewicht
KD
Dissoziationskonstante (entspricht
dem KM-Wert von Enzymen)
K-SADS
Kiddie-Schedule for Affective
Disorders and Schizophrenia
KVT
kognitive Verhaltenstherapie
l-DOPA
l-3,4-Dihydroxyphenylalanin
LDL
low density lipoprotein
LDP
long-term depression,
Langzeitdepression
LH
luteinisierendes Hormon
LTP
long-term potentiation,
Langzeitpotenzierung
mACH-Rezeptor muscarinischer ACh-Rezeptor
MAOMonoamin-Oxidase
MAO-A, MAO-B Isoformen der Monoamin-Oxidase
MAOS
Modified Overt Aggression Scale
MDD
major depressive disorder
MDMAMethylendioxy-N-methylamphetamin (Ecstasy)
mGluR
metabotroper Glutamat-Rezeptor
MHRA
Medicines and Healthcare
Products Regulatory Agency
MPTP1-Methyl-4-phenyl-1,2,3,6tetrahydropyridin
mRNAMessenger-Ribonukleinsäure
MSHmelanozytenstimulierendes
Hormon
nACH-Rezeptor nikotinischer ACh-Rezeptor
NATNoradrenalin-Transporter
NICE
National Institute for Health and
Clinical Excellence
NIMH
National Institute of Mental Health
NMDA
N-Methyl-d-aspartat
NNH
number needed to harm
NNT
number needed to treat
NSAR
nichtsteroidales Antirheumatikum
OCT
OROS
PANDAS
organischer Kationentransporter
orales osmotisches System
pediatric autoimmune
neuropsychiatric disorders associated
with streptococcal infections
PANSS
Positive and Negative Syndrome Scale
PCPPhencyclidin
PEGPolyethylenglykol
PETPositronenemissionstomografie
P-GPP-Glykoprotein
PMATPlasmamembran-MonoaminTransporter
p. o.
per oral
RRBlutdruck
SADS-P
Schedule for Affective Disorders
and Schizophrenia for School-Aged
Children – Present episode version
SAS
Simpson Angus Rating Scale
s. c.subkutan
SEM
standard error of the mean,
Standardfehler des Mittelwerts
SERTSerotonin-Transporter
SLC
solute carrier
SMD
severe mood dysregulation
SPC
Summary of Product Characteristics
(Fachinformationen)
SPECT
single photon emission
computed tomography,
EinzelphotonenemissionsComputertomografie
SRHSomatoliberin
SRS
Skala zur Sozialen Responsivität
SSRIs
selective serotonin reuptake
inhibitors, selektive SerotoninWiederaufnahmehemmer
T3Trijodthyronin
T4Thyroxin
TA
trace amines, Spurenamine
TDM
therapeutisches Drug-Monitoring
TENS
transkutane Elektrostimulation
tmax
Zeitpunkt, zu dem maximale
Arzneistoffkonzentration (cmax) im
Blut erreicht wird
Tph2
Tryptophan-Hydroxylase 2
TSH
thyreoidstimulierendes Hormon
t1/2
Halbwertszeit. Die Größe der
Halbwertszeit hängt nicht nur von der
Eliminationsleistung des Organismus,
sondern auch von der Verteilung eines
Pharmakons ab
UAWs
unerwünschte Arzneimittelwirkungen
VGLUT
vesikulärer Glutamat-Transporter
VMAT
vesikulärer Monoamin-MembranTransporter
VTA
ventral tegmental area, Area
tegmentalis ventralis
WEI
Weinberger Adjustment Inventory
X
WHO
Y-BOCS
Abkürzungen
World Health Organization
Yale-Brown Obsessive Compulsive
Scale
YMRS
Young Mania Rating Scale
YSR
Youth Self Report
ZNSZentralnervensystem
5-HIAA
5-hydroxyindoleacetic acid,
5-Hydroxyindolessigsäure
5-HT
5-Hydroxytryptamin, Serotonin
XI
Inhaltsverzeichnis
Autorenverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIV
I
1
Allgemeine Aspekte der Behandlung von Kindern
und Jugendlichen mit Psychopharmaka
Grundlagen der Neuro-/Psychopharmakologie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3
M. Gerlach, C. Drepper
2
Entwicklungs­psycho­pharma­kologie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71
M. Gerlach, K. Egberts, R. Taurines, C. Mehler-Wex
3
Rechtliche und ethische Fragen im klinischen Alltag. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81
M. Kölch
4
Anmerkungen zur Pharmakotherapie in der fachärztlichen ambulanten
Versorgung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91
G.-E. Trott, K.-U. Oehler
II
Spezielle Pharmakotherapie psychischer Erkrankungen
5Antidepressiva. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99
R. Taurines, A. Warnke, M. Gerlach
6Antipsychotika. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187
C. Mehler-Wex, B. Schimmelmann, M. Gerlach
7
Anxiolytika und Sedativa/Hypnotika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247
S. Dang, T. Renner, A. Warnke, M. Gerlach
8
Psychostimulanzien und andere Arzneistoffe, die zur Behandlung
der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS)
angewendet werden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289
S. Walitza, M. Romanos, T. Renner, M. Gerlach
9Stimmungsstabilisatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333
M. Gerlach, L. Albantakis, A. Warnke
XII
Inhaltsverzeichnis
III
Symptomatische und symptom­
orientierte medikamentöse Therapie
10
Aggressives und autoaggressives Verhalten, Impulskontrollstörung,
Störung des Sozialverhaltens. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387
C. Mehler-Wex, A. Warnke, M. Romanos
11
Angststörungen und Phobien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403
S. Walitza, S. Melfsen, A. Warnke
12Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415
S. Walitza, T. Renner, M. Romanos
13Autismus-Spektrum-Störungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429
Ch. M. Freitag, T. A. Jarczok
14
Depressive Störungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 453
R. Taurines, Ch. Wewetzer
15
Elektiver (selektiver) Mutismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 467
K. Egberts, A. Gensthaler
16Enkopresis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473
A. von Gontard
17
Enuresis und funktionelle Harninkontinenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 479
A. von Gontard
18Essstörungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 491
B. Herpertz-Dahlmann, Ch. Wewetzer
19
Manische Episode und bipolare affektive Störung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 503
M. Holtmann, Ch. Wewetzer
20
Notfalltherapie in der Kinder- und Jugendpsychiatrie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 515
T. Renner, A. Warnke, M. Romanos
21Persönlichkeitsstörungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 523
K. Schmeck, M. Romanos
22
Psychische Störungen bei Kindern und Jugendlichen
mit Intelligenzminderung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 539
F. Häßler, A. Warnke
23Schizophrenie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 551
B. Schimmelmann, C. Mehler-Wex, Ch. Wewetzer
XIII
Inhaltsverzeichnis
24Schlafstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 561
L. Albantakis, Ch. Wewetzer, A. Warnke
25
Substanzbezogene Störungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 575
A. Claus, M. Gerlach, R. Stohler, G. A. Wiesbeck
26Tic-Störungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 599
V. Roessner, A. Rothenberger
27Zwangsstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 611
Ch. Wewetzer, S. Walitza
Serviceteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 619
Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 620
XIV
Autorenverzeichnis
Dr. med. Laura Albantakis
Dr. med. Karin Egberts
Klinik und Poliklinik für Kinderund Jugendpsychiatrie, Psychosomatik
und Psychotherapie
Universitätsklinikum Würzburg,
Zentrum für Psychische Gesundheit
Füchsleinstraße 15
97080 Würzburg
E-Mail: [email protected]
Klinik und Poliklinik für Kinderund Jugendpsychiatrie, Psychosomatik
und Psychotherapie
Universitätsklinikum Würzburg,
Zentrum für Psychische Gesundheit
Füchsleinstraße 15
97080 Würzburg
E-Mail: [email protected]
Dr. med. vet. Dr. med. Armin Claus
Prof. Dr. med. Christine Freitag
Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie
und Psychotherapie
Kliniken der Stadt Köln gGmbH
Florentine-Eichler-Straße 1
51067 Köln
E-Mail: [email protected]
Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik
und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters
Universitätsklinikum Frankfurt
Deutschordenstraße 50
60528 Frankfurt
E-Mail: [email protected]
Dr. med. Su-Yin Dang
Dr. med. Angelika Gensthaler
Klinik und Poliklinik für Kinderund Jugendpsychiatrie, Psychosomatik
und Psychotherapie
Universitätsklinikum Würzburg,
Zentrum für Psychische Gesundheit
Füchsleinstraße 15
97080 Würzburg
E-Mail: [email protected]
Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik
und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters
Universitätsklinikum Frankfurt
Deutschordenstraße 50
60528 Frankfurt
E-Mail: [email protected]
Dr. rer. nat. Carsten Drepper
Klinik und Poliklinik für Kinderund Jugendpsychiatrie, Psychosomatik
und Psychotherapie
Universitätsklinikum Würzburg,
Zentrum für Psychische Gesundheit
Füchsleinstraße 15
97080 Würzburg
E-Mail: [email protected]
Prof. Dr. rer. nat. Manfred Gerlach
Klinik und Poliklinik für Kinderund Jugendpsychiatrie, Psychosomatik
und Psychotherapie
Universitätsklinikum Würzburg,
Zentrum für Psychische Gesundheit
Füchsleinstraße 15
97080 Würzburg
E-Mail: [email protected]
Prof. Dr. med. Frank Häßler
Klinik für Psychiatrie, Neurologie, Psychosomatik
und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters
Universitätsmedizin Rostock
Zentrum für Nervenheilkunde
Gehlsheimer Straße 20
18147 Rostock
E-Mail: [email protected]
XV
Autorenverzeichnis
Prof. Dr. med. Beate Herpertz-Dahlmann
Dr. med. Klaus-Ulrich Oehler
Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik
und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters
Uniklinik RWTH Aachen
Neuenhofer Weg 21
52074 Aachen
E-Mail: [email protected]
Gemeinschaftspraxis Klein Oehler Kreienkamp
Wirsbergstraße 10
97079 Würzburg
E-Mail: [email protected]
Prof. Dr. med. Martin Holtmann
LWL-Universitätsklinik Hamm der Ruhr-Universität
Bochum für Kinder- und Jugendpsychiatrie,
Psychotherapie und Psychosomatik
Heithofer Allee 64
59071 Hamm
E-Mail: [email protected]
Dr. med. Tomasz Jarczok
Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik
und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters
Universitätsklinikum Frankfurt
Deutschordenstraße 50
60528 Frankfurt
E-Mail: [email protected]
Prof. Dr. med. Michael Kölch
Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie u.
Psychotherapie
Ruppiner Kliniken GmbH
Hochschulklinikum der MBH
Fehrbellinerstr. 38
16816 Neuruppin
E-Mail: [email protected]
Prof. Dr. med. Tobias Renner
Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie
im Kindes- und Jugendalter
Universitätsklinikum Tübingen
Osianderstraße 14–16
72076 Tübingen
[email protected]
Prof. Dr. med. Veit Roessner
Klinik und Poliklinik für Kinderund Jugendpsychiatrie und -psychotherapie
Universitätsklinikum Carl Gustav Carus
Fetscherstraße 74
1307 Dresden
E-Mail: [email protected]
Prof. Dr. med. Marcel Romanos
Klinik und Poliklinik für Kinderund Jugendpsychiatrie, Psychosomatik
und Psychotherapie
Universitätsklinikum Würzburg,
Zentrum für Psychische Gesundheit
Füchsleinstraße 15
97080 Würzburg
E-mail: [email protected]
Prof. Dr. med. Aribert Rothenberger
Prof. Dr. med. Claudia Mehler-Wex
HEMERA Klinik
Privatklinik für Seelische Gesundheit,
Jugendliche und junge Erwachsene
Schönbornstraße 16
97688 Bad Kissingen
E-Mail: [email protected]
Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie
und Psychotherapie
Universitätsmedizin Göttingen
von-Siebold-Straße 5
37075 Göttingen
E-Mail: [email protected]
Prof. Dr. med. Benno Schimmelmann
Dr. phil. Siebke Melfsen
Zentrum für Kinder- und Jugendpsychiatrie
Universität Zürich
Neumünsterallee 9
8032 Zürich, Schweiz
E-Mail: [email protected]
Praxis KJP-Hoheluft / Universität Bern
Oberstraße 14b
20144 Hamburg
E-Mail: [email protected]
XVI
Autorenverzeichnis
Prof. Dr. med. Klaus Schmeck
Prof. Dr. med. Andreas Warnke
Kinder- und jugendpsychiatrische Klinik
Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel
Schanzenstrasse 13
4056 Basel, Schweiz
E-Mail: [email protected]
Klinik und Poliklinik für Kinderund Jugendpsychiatrie, Psychosomatik
und Psychotherapie
Universitätsklinikum Würzburg,
Zentrum für Psychische Gesundheit
Füchsleinstraße 15
97080 Würzburg
E-Mail: [email protected]
Priv.-Doz. Dr. med. Rudolf Stohler
Privatpraxis für Psychiatrie und Psychotherapie
Zweierstrasse 119
8003 Zürich, Schweiz
E-Mail: [email protected]
Priv.-Doz. Dr. med. Regina Taurines
Klinik und Poliklinik für Kinderund Jugendpsychiatrie, Psychosomatik
und Psychotherapie
Universitätsklinikum Würzburg,
Zentrum für Psychische Gesundheit
Füchsleinstraße 15
97080 Würzburg
E-Mail: [email protected]
Prof. Dr. med. Götz-Erik Trott
Praxis für Kinderpsychiatrie, Jugendpsychiatrie,
Psychosomatik und Psychotherapie
Luitpoldstraße 2–4
63739 Aschaffenburg
E-Mail: [email protected]
Prof. Dr. med. Alexander von Gontard
Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie,
Psychosomatik und Psychotherapie
Universitätsklinikum des Saarlandes
Kirrberger Straße, Gebäude 90.2
66421 Homburg/Saar
E-Mail: [email protected]
Prof. Dr. med. Susanne Walitza
Zentrum für Kinder- und Jugendpsychiatrie
Universität Zürich
Neumünsterallee 9
8032 Zürich, Schweiz
E-Mail: [email protected]
Prof. Dr. med. Christoph Wewetzer
Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie
und Psychotherapie
Kliniken der Stadt Köln gGmbH
Florentine-Eichler-Straße 1
51067 Köln
E-Mail: [email protected]
Prof. Dr. med. Gerhard Wiesbeck
Zentrum für Abhängigkeitserkrankungen
Universitäre Psychiatrische Kliniken
Wilhelm-Klein-Strasse 27
4012 Basel, Schweiz
E-Mail: [email protected]
1
Allgemeine Aspekte
der Behandlung
von Kindern
und Jugendlichen
mit Psychopharmaka
Kapitel 1
Grundlagen der Neuro-/Psychopharmakologie – 3
M. Gerlach, C. Drepper
Kapitel 2
Entwicklungs­psycho­pharma­kologie – 71
M. Gerlach, K. Egberts, R. Taurines, C. Mehler-Wex
Kapitel 3
Rechtliche und ethische Fragen
im klinischen Alltag – 81
M. Kölch
Kapitel 4
Anmerkungen zur Pharmakotherapie
in der fachärztlichen ambulanten Versorgung – 91
G.-E. Trott, K.-U. Oehler
I
3
Grundlagen der Neuro-/
Psychopharmakologie
M. Gerlach, C. Drepper
1.1
Grundbegriffe – 4
1.1.1
1.1.2
1.1.3
1.1.4
1.1.5
1.1.6
Pharmakologie und Pharmaka – 4
Neuro-/Psychopharmakologie – 4
Entwicklungspsycho­
pharmakologie – 5
Pharmakokinetik und Pharmakodynamik – 6
Erwünschte und unerwünschte Arzneimittelwirkungen – 11
Arzneimittelwechselwirkungen – 13
1.2
Prinzipien der Neurotransmission – 13
1.2.1
1.2.2
1.2.3
1.2.4
1.2.5
1.2.6
1.2.7
Synapsen als Orte der Vermittlung von Informationen – 14
Definition eines Neurotransmitters – 15
Wichtige Neurotransmitter – 17
Einzelschritte der chemischen Synapsenübertragung – 19
Intrazelluläre Signaltransduktion – 22
Sekundäre und tertiäre Botenstoffe – 26
Divergenz und Konvergenz in der intrazellulären
Signaltransduktion – 26
1.3
Wichtige Neurotransmittersysteme – 27
1.3.1
1.3.2
1.3.3
1.3.4
Acetylcholin – 27
Katecholamine – 32
Serotonin (5-HT) – 42
Aminosäure-Neurotransmitter – 52
1.4
Molekulare Strukturen im Gehirn als Angriffspunkte
von Neuro-/Psychopharmaka – 63
1.4.1
1.4.2
1.4.3
1.4.4
Neurotransmitter abbauende Enzyme – 63
Neurotransmitter-Rezeptoren – 64
Transportproteine – 67
Spannungsabhängige Ionenkanäle – 68
Literatur – 68
M. Gerlach et al. (Hrsg.), Neuro-/Psychopharmaka im Kindes- und Jugendalter,
DOI 10.1007/978-3-662-48624-5_1, © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2016
1
4
1
2
3
4
5
Kapitel 1 • Grundlagen der Neuro-/Psychopharmakologie
In diesem Kapitel werden zunächst wichtige Grundbegriffe der Neuro-/Psychopharmakologie erklärt und
allgemeine Fragen der Arzneimittelwirkungen besprochen. Weiterhin werden Prinzipien der Neurotransmission, wichtige Neurotransmittersysteme sowie molekulare Strukturen im Gehirn als Angriffspunkte von
Neuro-/Psychopharmaka beschrieben, um Wirkungen
von zentral aktiven Arzneimitteln im Gesamtzusammenhang zu begreifen.
1.1Grundbegriffe
6
1.1.1
7
Die Pharmakologie ist die Wissenschaft von den
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
Pharmakologie und Pharmaka
Wechselwirkungen zwischen Stoffen und Lebewesen (Starke 2005). Einen Stoff, insofern er mit
Lebewesen wechselwirkt, nennt man Wirkstoff
oder Pharmakon. Im Englischen bezeichnet man
solche Stoffe meist mit „drugs“; diese Bezeichnung
entspricht aber nicht dem deutschen Begriff Droge.
Arzneistoffe und Gifte sind Pharmaka, die in
entsprechender Dosierung den Menschen nützen
bzw. schaden. Erstere dienen der Verhütung, Heilung, Linderung oder Erkennung von Krankheiten.
Arzneistoff und Gift sind somit im Gegensatz zu
Pharmakon wertende Begriffe. Im Folgenden wird
der Begriff Pharmakon immer im Sinne eines Arzneistoffs verwendet.
Als Arzneimittel bezeichnet man Arzneistoffe,
die mithilfe der pharmazeutischen Technologie in
eine zur Anwendung beim Menschen geeignete
Arzneiform (z. B. Tabletten, Dragees, Injektionslösungen, Salben, Zäpfchen) gebracht werden. Das
Fachgebiet dazu heißt Galenik. Benannt nach dem
griechischen Arzt Galenos beschäftigt sich diese
Wissenschaft damit, in welcher Darreichungsform
ein Arzneimittel in den Körper gelangt.
In Deutschland wird der Verkehr von Arzneimitteln durch das Arzneimittelgesetz (AMG)
geregelt. Die heute fast nur noch verwendeten
Fertigarzneimittel werden im Voraus hergestellt
und in einer zur Abgabe an den Verbraucher bestimmten Verpackung in den Verkehr gebracht.
Das Inverkehrbringen erfordert eine Zulassung
durch zuständige Behörden. In Deutschland sind
das entweder das Bundesinstitut für Arzneimittel
und Medizinprodukte (BfArM) oder die europäische European Medicines Agency (EMA). Neben
der pharmazeutischen Qualität des Arzneimittels
(wie u. a. Reinheit und Haltbarkeit der Bestandteile,
Dosierungsgenauigkeit, Herstellungs- und Prüfverfahren) sind die therapeutische Wirksamkeit und
Unbedenklichkeit die Säulen der Zulassung. Die
Wirksamkeit (englisch „efficacy“) muss in pharmakologischen Versuchen und durch geeignete klinische Prüfungen nachgewiesen werden. Diese misst
sich am Indikationsanspruch bei einer oder mehreren Erkrankungen, wobei das Hauptkriterium die
Reduktion von Mortalität und/oder Morbidität ist.
Zur Beurteilung der Unbedenklichkeit (englisch
„safety“) eines Arzneimittels muss das Risiko des
Auftretens von unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAWs, englisch „adverse drug reactions“)
ermittelt werden, die während oder in zeitlicher
Beziehung zu der Behandlung vorkommen. Davon
wird in ▶ Abschn. 1.1.5 ausführlich die Rede sein.
Chemisch definierte Arzneistoffe werden weltweit mit einem von der WHO (World Health Organisation) festgelegten Freinamen (englisch „generic name“ oder „international non-proprietary
name“, INN) bezeichnet. Diese Freinamen werden
generell bei allen wissenschaftlichen Erörterungen
und weitgehend auch in diesem Buch benutzt. Die
pharmazeutischen Unternehmen prägen oft gesetzlich geschützte Markennamen für zugelassene
Fertigarzneimittel, die durch ein ® (für „registered“)
gekennzeichnet sind.
1.1.2Neuro-/Psychopharmakologie
Die Neuropharmakologie beschäftigt sich mit Arzneistoffen, die die Aktivität des Zentralnervensystems (ZNS) direkt und vorwiegend beeinflussen.
Das Gehirn bildet zusammen mit dem Rückenmark
das ZNS. Direkt bedeutet, dass die Wirkungen unmittelbar über das ZNS und nicht indirekt, z. B. über
das Hormonsystem, vermittelt werden.
Die Psychopharmakologie als ein Teilgebiet
der Neuropharmakologie beschäftigt sich im engeren Sinne mit Arzneistoffen, die vorwiegend
eine Wirkung auf das ZNS ausüben und direkt
psychische Prozesse beeinflussen. Deren Zweckbestimmung ist die Beseitigung oder Milderung
5
1.1 • Grundbegriffe
1
.. Tab. 1.1 Entwurf für ein neues multiaxiales Klassifikationssystem von Neuro-/Psychopharmaka. (Nach Zohar et al. 2014)
Achse 1
Klasse (primärer pharmakologischer Angriffspunkt)
Relevante Wirkweise
Achse 2
Familie (primär betroffene[s] Neurotransmittersytem[e] und Wirkung[en] an diesem[n]
System[en])
Achse 3
Neurobiologische Aktivitäten
Tier
Mensch
Neurotransmittereffekt
Schaltkreise im Gehirn
Physiologische Effekte
Achse 4
Wirksamkeit und wichtigste unerwünschte Arzneimittelwirkungen
Achse 5
Indikationen
psychopathologischer Syndrome und psychischer
Krankheiten.
Man unterteilt Neuro-/Psychopharmaka nach
ihrem primär therapeutisch angestrebten Effekt
grob in
Antidementiva (Synonym Nootroprika),
Antidepressiva (älterer Begriff Thymoleptika),
Antipsychotika (Synonym: Neuroleptika),
Anxiolytika (Synonym Ataraktika),
Hypnotika (Synonym Schlafmittel),
Psychostimulanzien (Synonym Psychoanaleptika, Psychotonika),
Stimmungsstabilisatoren (Synonym Phasenprophylaktika; englisch „mood stabilizers“)
und
Arzneimittel zur Behandlung von Abhängigkeit und Entzugssymptomen.
----
Die Einteilung der Psychopharmaka orientiert sich
also an der Beeinflussung der psychopathologischen
Symptome, unabhängig von den unterschiedlichen
psychiatrischen Erkrankungen, bei denen sie auftreten können. Diese Einteilung vernachlässigt aber
das oft sehr breite therapeutische Wirkungsspektrum der einzelnen Neuro-/Psychopharmaka, was
dazu führt, dass viele dieser Arzneistoffe in mehr
als einer dieser Substanzklassen eingeordnet werden müssten. Beispielsweise werden Antidepressiva
heute nicht nur wie ursprünglich vorwiegend bei
Patienten mit depressiven Symptomen eingesetzt,
sondern auch bei Zwangs-, generalisierten Angst-,
Panik-, phobischen und Essstörungen, mutistischen
Verhaltensweisen und der Aufmerksamkeitsdefizit-/
Hyperaktivitätsstörung (ADHS). Deshalb gibt es
Bestrebungen, die Einteilung der Neuro-/Psychopharmaka nach ihrem primär therapeutisch angestrebten Effekt durch ein neues Klassifikationsschemata (. Tab. 1.1) zu ersetzen (Zohar et al. 2014).
1.1.3Entwicklungspsycho­
pharmakologie
Diese umfasst alle Fragestellungen der Arzneimittelanwendung einschließlich der Arzneimittelsicherheit im Kindes- und Jugendalter und der
Rahmenbedingungen bei einer medikamentösen
Behandlung (▶ Kap. 2 und 3). Dabei werden die
Einflüsse der alters- und geschlechtsabhängigen
körperlichen und geistigen Reifung auf die Wirkung von Neuro-/Psychopharmaka berücksichtigt.
Ein weiterer Aspekt ist die Zugrundelegung einer
normalen Entwicklung für die therapeutische Wirksamkeit. Dies bedeutet limitierend, dass von der
normalen Physiologie abweichende Reifungsvorgänge die Wirksamkeit verändern. Grundsätzlich
ist die Wirkung eines Arzneimittels beim Säugling
nicht die gleiche wie beim 17-jährigen Jugendlichen.
Bei längerfristigen Therapien können außerdem
Reifungsvorgänge oder nicht erfasste psychosoziale
Faktoren für die beobachteten klinischen Veränderungen wichtiger sein als die Wirkung eines Neuro-/
Psychopharmakons. Das heißt, die Therapie steht
in Bezug zum Alter sowie zum biologischen und
6
Kapitel 1 • Grundlagen der Neuro-/Psychopharmakologie
1
2
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5
6
7
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9
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19
20
.. Abb. 1.1 Die Abbildung illustriert Beispiele von Barrieren, die sich einem Neuro-/Psychopharmakon auf dem Weg zur molekularen Zielstruktur im Gehirn in den Weg stellen. Nur ein kleiner Teil der verabreichten Dosis erreicht wie hier dargestellt die
Rezeptoren. (Adaptiert nach Ernst u. Vögtli 2010, S. 3)
psychosozialen Entwicklungsstand des Patienten.
Die Einflüsse der alters- und geschlechtsabhängigen
körperlichen und geistigen Reifung auf die Wirkung
von Neuro-/Psychopharmaka werden ausführlich in
▶ Abschn. 2.1 besprochen.
1.1.4Pharmakokinetik
und Pharmakodynamik
Damit ein Pharmakon eine Wechselwirkung mit dem
Lebewesen entfalten kann, muss es mit diesem in
Kontakt treten, was als Applikation bezeichnet wird.
Dies geschieht entweder durch das Gelangen auf die
Körpergrenzflächen wie z. B. per oral beim Schlucken
einer Tablette auf das Epithel des Magen-Darm-Traktes (. Abb. 1.1) oder durch direkte Verabreichung in
das Blut (z. B. intravenös oder intraperitoneal).
Nach der Applikation erfolgt ein komplexes
Wechselspiel zwischen den Wirkungen des Pharmakons auf das Lebewesen (Pharmakodynamik) und
den Wirkungen des Lebewesens auf das Pharmakon
(Pharmakokinetik). Die Pharmakokinetik umfasst
die Vorgänge der Resorption, Verteilung und Speicherung (Invasion) sowie der Ausscheidung durch
Elimination und Biotransformation. Die Pharmakodynamik beinhaltet sowohl die Interaktionen des
Arzneistoffes mit den molekularen Zielstrukturen
im Organismus als auch die Pharmakonwirkung in
Abhängigkeit von einer gegebenen Konzentration
(Dosis-Wirkungs-Beziehung). . Abb. 1.2 illustriert
wesentliche Prozesse nach oraler Applikation eines
Arzneimittels und veranschaulicht die Wechselwirkungen zwischen einem Arzneistoff und einem
Lebewesen.
zz Wichtige pharmakokinetische Parameter
Um einen pharmakologischen Effekt hervorzurufen, muss ein Arzneistoff den Wirkort in ausreichender Konzentration erreichen. Welche Menge
den Wirkort erreicht, hängt vor allem von der Dosis des applizierten Arzneimittels, aber auch vielen
weiteren, pharmakokinetischen Faktoren ab, die
bestimmen, welche Mengen resorbiert werden und
wie der Arzneistoff im Körper verteilt, abgebaut
und ausgeschieden wird (▶ Abschn. 2.1). Die für
die Praxis wichtigsten Parameter zur Beschreibung
dieser Vorgänge, die aus den Konzentrations-ZeitVerläufen von Arzneistoffen und ggf. deren aktiven
Metaboliten in der Körperflüssigkeit (Blut, Plasma,
Serum) und dem Harn gewonnen werden, sind:
Zeit zwischen Applikation und Erreichen
(tmax) der maximalen Plasmakonzentration
(cmax),
AUC (englisch „area under the curve“),
absolute Bioverfügbarkeit,
--
1
7
1.1 • Grundbegriffe
--
terminale Eliminationshalbwertszeit (t1/2),
Verteilungsvolumen,
Clearance.
Für die meisten Arzneistoffe besteht eine Beziehung
zwischen ihrer Konzentration am Wirkort und ihrer
Wirkung, jedoch auch zwischen ihrer Plasmakonzentration und ihrer Wirkung. Die Konzentration
im Plasma ist daher eine wichtige pharmakokinetische „Zielgröße“. tmax ist eine wichtige Kenngröße
für die Resorptionsgeschwindigkeit und gibt häufig
einen Anhaltspunkt für den Eintritt einer klinischen
Wirkung. AUC bedeutet Fläche unter der Konzentrations-Zeit-Kurve (meist Plasmaspiegelkurve) und
ist ein Maß für die Menge des Pharmakons im Organismus. Unter Bioverfügbarkeit versteht man die
Verfügbarkeit eines Arzneimittels für systemische,
also den ganzen Körper betreffende Wirkungen.
Die absolute Bioverfügbarkeit ist der Anteil eines
Wirkstoffes, der nach peroraler Einnahme oder auch
Anwendung einer anderen Applikationsart eines
Arzneimittels das Blut erreicht. Nach dieser Definition ist in aller Regel ein Pharmakon bei intravenöser Gabe zu 100 % bioverfügbar. Wichtige Faktoren,
welche die Bioverfügbarkeit bestimmen, sind die
Geschwindigkeit und der Prozentsatz der Wirkstofffreisetzung aus der Arzneiform, die Resorptionsgeschwindigkeit und die Resorptionsquote des
freigesetzten Arzneistoffes sowie das Ausmaß des
hepatischen First-Pass-Effekts. Darunter versteht
man die Metabolisierung bei der ersten Passage
durch die Leber. Bei eingeschränkter Leberfunktion
oder im Alter kann die Bioverfügbarkeit erhöht sein.
t1/2 ist die Zeit, in der die Plasmakonzentration
auf die Hälfte des ursprünglichen Wertes abfällt.
Diese wird durch das Verteilungsvolumen (ein Maß
für die Verteilung der Plasmakonzentration und der
im Organismus vorhandenen Gesamtmenge des
Pharmakons) und die renale Clearance (Blutvolumen, das pro Zeiteinheit durch die Niere von dem
betreffenden Stoff völlig befreit wird) bestimmt. t1/2
ist eine wichtige pharmakokinetische Kenngröße in
der Therapie mit Neuro-/Psychopharmaka. Danach
können diese in kurz-, mittellang- und langwirksame unterteilt werden. Sie liefert ferner die Grundlage für die Dosierungsberechnungen bei wiederholten Dosierungen von Arzneimitteln, also der
Langzeittherapie, die für die Therapie mit Neuro-/
Pharmazeutische
Phase
Applikation
Zerfall der Arzneiform
Wirkstoff-Auflösung
Pharmakokintische Phase
Resorption
Biotransformation
Speicherung
Verteilung
Ausscheidung
Pharmakodynamische Phase
Wirkort
Pharmakologischer
Effekt
Wirksamkeit
(klinische Wirkung)
Toxische Wirkung
UAWs
.. Abb. 1.2 Bei oraler Gabe eines Arzneimittels im Organismus ablaufende Vorgänge. UAWs unerwünschte Arzneimittelwirkungen. (Adaptiert nach Mutschler et al. 2008)
Psychopharmaka die Regel ist. Die t1/2 erlaubt abzuschätzen, wann das Pharmakon den Organismus
vollständig wieder verlassen hat, also nicht mehr mit
erwünschten Wirkungen und UAWs zu rechnen ist.
Außerdem kann man anhand dieser Kenngröße vorhersagen, wann nach Gabe eines Arzneimittels ein
Fließgleichgewicht (englisch „steady state“) erreicht
wird. In diesem Zustand ist die zugeführte Dosis
gleich der ausgeschiedenen Menge, was dann zu
stabilen Plasmakonzentrationen führt. In der Regel
wird nach 4 t1/2 dieser Zustand erreicht.
zz Ausscheidung
Unter Ausscheidung versteht man alle Vorgänge,
die zur Elimination eines Pharmakons bzw. seines
Metaboliten aus dem Organismus beitragen. Sie
erfolgt im Wesentlichen in Abhängigkeit von den
physikalisch-chemischen Eigenschaften (wie Molekülmasse, Säurekonstante, Wasserlöslichkeit) des
auszuscheidenden Pharmakons intestinal (mit dem
Fäzes), hepatisch (mit dem Fäzes) oder renal (mit
8
1
2
3
4
5
6
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18
19
20
Kapitel 1 • Grundlagen der Neuro-/Psychopharmakologie
dem Urin). Bis auf wenige Ausnahmen, wie z. B.
Lithiumsalze, Sulpirid oder Amisulprid (Antipsychotika), die im Wesentlichen unverändert über die
Niere ausgeschieden werden, werden die meisten
Neuro-/Psychopharmaka in der Leber chemisch
mittels sog. Phase-I- und Phase-II-Reaktionen so
verändert, dass sie über die Niere ausgeschieden
werden können. Dafür sind sog. Fremdstoff oder
Xenobiotika metabolisierende Enzyme verantwortlich. In den Phase-I-Reaktionen, die auch Funktionalisierungsreaktionen genannt werden, werden die
meist lipophilen (unpolaren) Neuro-/Psychopharmaka in Metabolite umgewandelt, die Hydroxyl-,
Amino-, Sulfhydryl- oder Carboxylgruppen enthalten. Die Phase-II-Reaktionen sind Konjugationsreaktionen, die durch Transferasen katalysiert werden,
wobei funktionelle Gruppen (Hydroxyl-, Amino-,
Sulfhydryl- oder Carboxylgruppen) mit sehr polaren, negativ geladenen endogenen Molekülen
gekoppelt werden. Wichtige Phase-II-Reaktionen
sind Glucuronidierung, Sulfatierung, Methylierung,
Acetylierung sowie die Konjugation mit Aminosäuren und Glutathion.
Von besonderer Bedeutung für die Biotransformation von Pharmaka mittels Phase-I-Reaktionen
ist die Familie der Cytochrom-P450(CYP)-Enzyme.
Diese Enzyme besitzen Monooxygenasen, die
Hämproteine vom Typ des Cytochrom P450 enthalten. Es gibt eine Vielzahl solcher CYP-Enzyme,
die sich hinsichtlich ihrer Aminosäuresequenzen,
Substratspezifität, der am jeweiligen Expressionsort
vorhandenen Menge sowie Induzierbarkeit unterscheiden. Die einzelnen Isoenzyme werden nicht
entsprechend ihrer Funktion, sondern strukturbezogen nach der Aminosäuresequenz in CYP-Familien und -Unterfamilien zugeordnet. Isoenzyme
mit einer Sequenzidentität von über 40 % werden in
Familien mit arabischen Ziffern zusammengefasst,
bei einer Sequenzidentität von über 55 % in Unterfamilien mit großen Buchstaben. . Abb. 1.3 fasst die
Familie der humanen CYP-Isoenzyme mit den dazu
gehörigen Substraten (= Neuro-/Psychopharmaka,
die durch diese Isoenzyme metabolisiert werden)
zusammen. Allerdings werden die meisten Neuro-/
Psychopharmaka von mehr als einem Isoenzym metabolisiert, denn CYP-Enzyme besitzen eine breite
und überlappende Substratspezifität.
Die Leber enthält 90–95 % der gesamten CYPEnzymmenge, aber auch in Lunge, Darmmukosa,
Niere und sogar im Gehirn finden sich CYP-Isoenzyme. CYP3A4 ist das in der menschlichen Leber
am stärksten exprimierte Isoenzym, das ca. 30 %
des CYP-Enzymgehaltes ausmacht. Die Expression
der einzelnen CYP-Isoenzyme kann inter- und
intraindividuell stark schwanken. Dies hängt einerseits vom Genotyp des Patienten ab (s. unten),
variiert aber auch in Abhängigkeit von Alter (▶ Abschn. 2.1.1), Lebensgewohnheiten, Erkrankung, Medikation oder anderen Faktoren. Raucher können
beispielsweise eine höhere CYP1A2-Aktivität in der
Leber besitzen als Nichtraucher. Untersuchungen
der Aktivitäten der CYP-Enzyme zeigen, dass sich
die Aktivitäten der Isoenzyme altersabhängig unterschiedlich entwickeln und die Aktivität einiger
Enzyme erst im Kindes- und Jugendalter voll ausgeprägt ist (Kearns et al. 2003).
zz Pharmakogenetik des Metabolismus
Alle Enzyme, die an der Verstoffwechselung von
Neuro-/Psychopharmaka oder anderen Fremdstoffen beteiligt sind, werden genetisch und epigenetisch
reguliert. Kommen genetische Varianten in einer
Häufigkeit von mindestens 1 % in der Population
vor, so spricht man definitionsgemäß von einem
genetischen Polymorphismus. Als klinisch relevant wird er für ein Arzneimittel dann angesehen,
wenn mindestens 30 % der Dosis durch das betreffende Enzym metabolisiert werden (s. Hiemke et al.
2012). Genetische Polymorphismen führen zu unterschiedlichen Phänotypen von Metabolisierern
(Kirchheiner u. Rodriguez-Antona 2009), die man
in „poor metabolizers" (haben zwei Allele mit einer
geringen oder keiner Enzymaktivität), „intermediate
metabolizers" (sind heterozygote Träger eines inaktiven Allels oder zweier Allele mit einer reduzierten
Aktivität) und „extensive metabolizers" (Träger von
zwei aktiven Allelen) unterteilt. Für einige Enzyme
wurden „ultra-rapid metabolizers" identifiziert, die
eine sehr hohe Enzymaktivität aufweisen, die durch
eine Gen-Duplikation verursacht wird. Der Begriff
„extensive metabolizers" ist etwas irreführend, da er
zwar impliziert, dass bei diesen Individuen ein umfassender Metabolismus stattfindet, dieser ist aber
im Gegensatz zu den „poor metabolizers“ und „ultra-rapid metabolizers“, bei denen der Metabolismus
9
1.1 • Grundbegriffe
1
A1, A2,
B1
2
A6, A7, A7PT,
A7PC, A13, B6,
B7P, C8, C9,
C18, C19,
D6,
D7P, D7AP, D8BP,
E1,
F1, EF1P, G1, J,
R1, S1
3
A4,
A5, A5P1, A5P2,
A7, A43
4
A11, B1, F2, F3,
F8, F9P, F10P,
F12, X1, Z1
5
A1
7
A1, B1
8
B1
11
A1, B1, B2
19-51
1
1A2-Substrate: Agomelatin, Amitriptylin, Arsenapin, Chlorpromazin,
Clomipramin, Clozapin, Duloxetin, Östradiol, Fluvoxamin, Imipramin, Koffein,
Melatonin, Olanzapin, Propranolol, Thioridazin, Zotepin
2B6-Substrate: Bupropion, Disulfiram, Methadon, Sertralin
2C9-Substrate: Fluoxetin, Cannabinol, Mephenytoin, Perazin, Phenytoin,
Valproinsäure
2C19-Substrate: Amitriptylin, Clomipramin, Citalopram, Diazepam, Doxepin,
Escitalopram, Fluoxetin, Moclobemid, Nordazepam, Omeprazol, Pantoprazol,
Perazin, Sertralin, Trimipramin, Warfarin
2D6-Substrate: Amitriptylin, Chlorpromazin, Clomipramin, Clozapin, Desipramin,
Donepezil, Fluoxetin, Fluvoxamin, Haloperidol, Imipramin, Mianserin, Mirtazapin,
Nortriptylin, Paroxetin, Perphenazin, Risperidon, Sertindol, Tamoxifen,
Thioridazin, Venlafaxin, Ziprasidon, Zuclopenthixol
2E1-Substrate: Ethanol, Disulfiram
3A4-Substrate: Alprazolam, Amitriptylin, Buspiron, Buprenorphin, Carbamazepin,
Ciclosporin, Clomipramin, Clozapin, Diazepam, Östradiol, Fluoxetin, Haloperidol,
Imipramin, Levomethadon, Mirtazapin, Nordazepam, Paroxetin,
Perazin, Quetiapin, Reboxetin, Risperidon, Saquinavir, Sibutramin, Sildenafil,
Tadalafil, Venlafaxin, Ziprasidon, Zolpidem, Zotepin
19, 21A1P,
21A2, 24, 26A1,
26B1, 39A1, 46
51, 51P2
.. Abb. 1.3 Die Familie der humanen Cytochrom-P450(CYP)-Enzyme mit den dazu gehörigen Neuro-/Psychopharmaka, die
durch diese Isoenzyme metabolisiert werden. Die Isoenzyme CYP1A2, CYP2B6, CYP2C9, CYP2C19, CYP2D6 und CYP3A 4/5 sind
für den Abbau vieler Neuro-/Psychopharmaka bedeutsam; für die Isoenzyme CYP2B6, CYP2C9, CYP2C19 und CYP2D6 sind
genetische Varianten bekannt. (Nach Hiemke et al. 2012, S. 453)
von Fremdstoffen stark reduziert bzw. stark erhöht
ist, normal. Genetische Unterschiede sind daher eine
Ursache für die hohe interindividuelle Variabilität,
die sich für Plasmakonzentrationen verschiedener
Patienten bei gleicher Dosis findet, und letztendlich
auch ein Grund für die Unterschiede im Ansprechen
auf beispielsweise Neuro-/Psychopharmaka.
Im CYP-System wurden für alle Isoenzyme
Polymorphismen gefunden, die für Neuro-/Psychopharmaka klinisch relevant sind (Kirchheiner
u. Rodriguez-Antona 2009). Als funktionell bedeutend wurden genetische Polymorphismen für die
Enzyme CYP1A2 (bezüglich der Induzierbarkeit),
CYP2D6, CYP2C19 und CYP3A5 identifiziert (s.
Hiemke et al. 2012). Die Häufigkeit dieser Polymorphismen ist jedoch unterschiedlich und es bestehen
ausgeprägte ethnische Unterschiede. Beispielsweise
werden 12–23 % homozygote Defektträger von
CYP2C19 bei der asiatischen Bevölkerung gegenüber lediglich 2–5 % bei Europäern gefunden. Etwa
5–10 % der europäischen Bevölkerung sind Träger
einer Genmutante, die kein intaktes CYP2D6-Enzym exprimiert („poor metabolizers“); Mutanten,
die eine hohe Enzymaktivität aufweisen („ultra-rapid metabolizers“), werden dagegen in einer Häufigkeit von 1–10 % gefunden.
zz Interaktionen von Neuro-/Psychopharmaka
mit Zielstrukturen im Gehirn
Neuro-/Psychopharmaka müssen die sogenannte
Blut-Hirn-Schranke, die den unkontrollierten Übertritt von Blutbestandteilen oder im Blut gelösten Sub-
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20
Kapitel 1 • Grundlagen der Neuro-/Psychopharmakologie
stanzen verhindert, überwinden, um die zellulären
und molekularen Angriffspunkte im ZNS zu erreichen (. Abb. 1.1). Dort beeinflussen sie die Informationsübertragung zwischen Neuronen oder von Neuronen mit anderen Zellen durch Einwirkung auf die
Übertragungswege von sogenannten chemischen Botenstoffen (Neurotransmitter, ▶ Abschn. 1.2.2). Molekulare Strukturen als Angriffspunkte von Neuro-/
Psychopharmaka im ZNS sind vor allem Neurotransmitter abbauende Enzyme, NeurotransmitterRezeptoren, Transportproteine und spannungsabhängige Ionenkanäle (▶ Abschn. 1.4).
Die Bindungseigenschaften der Neurotransmitter-Rezeptoren sind die Grundlage für die Wirkung
und Spezifität der Wirkstoffe, die an diese Rezeptoren binden. Details dieser Vorgänge erfahren wir im
▶ Abschn. 1.4.2. Neurotransmitter-Rezeptoren sind
membranständige Proteine, die aus einem Erkennungs- und Bindungsteil, der das Signal aufnimmt,
und einem Effektorteil, der das extrazelluläre Signal
in eine intrazelluläre Wirkung umsetzt, bestehen.
Als Agonist bezeichnet man in der Pharmakologie
einen Stoff, der die Wirkung eines Neurotransmitters am Rezeptor nachahmt oder dessen Wirkung
verstärkt. Als Antagonist bezeichnet man einen
Stoff, der einen Neurotransmitter oder Agonisten
in seiner Wirkung hemmt, in dem er an seinen
Rezeptor bindet und diesen blockiert, selbst aber
keine Wirkung auslöst. Entsprechend der spezifischen Wirkung von selektiven Agonisten und Antagonisten teilt man pharmakologisch die Rezeptoren in entsprechende Klassen und Subtypen ein.
Nähere Einzelheiten zur Nomenklatur und Klassifikation von Rezeptoren findet man auf der Homepage (▶ http://www.guidetopharmacology.org) der
IUPHAR (International Union of Basic and Clinical
Pharmacology Committee on Receptor Nomenclature and Drug Classification).
Da die Funktionsweise des Gehirns in vielen Bereichen nicht oder nur in Teilaspekten bekannt ist,
kann die Wirkung vieler Neuro-/Psychopharmaka
nur unzureichend auf zellulärer und molekularer
Ebene erklärt werden. Hinzu kommt der schmale
Erkenntnisstand hinsichtlich der Frage, wie psychi­
atrische Erkrankungen genau entstehen. Dennoch
hat man durch Serendipität Psychopharmaka gefunden, die diese Erkrankungen oder schwerwiegende
Teilsymptome wirkungsvoll behandeln können. Die
Herkunft und ursprüngliche Bedeutung von Serendipität (englisch „serendipity“), ein in der modernen Psychopharmakologie häufig benutzter Begriff,
ist schwierig zu klären. Wer die Entstehung dieses
Begriffes nachlesen möchte, sei auf das Kapitel zur
historischen Entwicklung von M. M. Weber (2012)
im Handbuch der Psychopharmakotherapie verwiesen. Meist wird Serendipität im Deutschen als „Zufallsbefund“, „Entdeckung durch glückliche Umstände“ oder „nicht vorhersehbares Nebenprodukt“
umschrieben. Nach Weber (2012) verschleiert diese
Begriffsdeutung aber, dass mit Serendipität das aktive
Erkennen eines latent vorhandenen Lösungszusammenhangs gemeint war und keineswegs das passive
Eintretenlassen eines unvorhersehbaren Ereignisses.
Serendipität ereignet sich immer dann, wenn ein
Wissenschaftler aufgrund seiner persönlichen Eignung in Verbindung mit den jeweiligen institutionellen, technischen und erkenntnistheoretischen Rahmenbedingungen die Möglichkeit wahrnimmt, die
eine spezifische wissenschaftshistorische Entwicklungssituation seines Faches bietet (Weber 2012).
Meilensteine in der Geschichte der Psychopharmakologie sind Reserpin, Iproniazid und
Chlorpromazin. Reserpin ist ein Indolalkaloid, das
in Pflanzen aus der Familie der Hundsgiftgewächse
(Apocynaceae) enthalten ist und hauptsächlich in
der Indischen Schlangenwurzel (Rauvolfia serpentina) vorkommt. Es vermindert die Speicherung von
Katecholaminen wie Do­pamin und Noradrenalin
(▶ Abschn. 1.3.2) und wurde klinisch erstmals zur
Behandlung des Bluthochdrucks eingesetzt. Dabei
wurde beobachtet, dass Patienten unter der Langzeittherapie Symptome der Depression entwickelten (Freis 1954). Seit dieser Zeit wird die Hypothese
vertreten, dass eine zentrale Reduktion von Monoaminen (▶ Abschn. 1.3.2) ursächlich an der Entstehung der Depression beteiligt ist (Baumeister et al.
2003). Konsequenterweise wurden daraus medikamentöse Behandlungsmethoden entwickelt, um den
Mangel im Gehirn an Monoaminen wie vor allem
Noradrenalin und Serotonin (5-Hydroxytryptamin,
5-HT) zu beseitigen. Iproniazid, ein irreversibler,
nichtselektiver Hemmer der Monoamin-Oxidase
(MAO, ▶ Abschn. 1.4.1), wurde ursprünglich als
Mittel gegen die Tuberkulose verwendet und dann
als Antidepressivum entwickelt, nachdem man feststellte, dass es eine stimmungsaufhellende Wirkung
11
1.1 • Grundbegriffe
hatte (Crane 1957). Chlorpromazin wurde zunächst
aufgrund seiner antihistaminergen und stark sedierenden Wirkung bei Operationen eingesetzt (Lopez-Munoz et al. 2005). Dabei wurde beobachtet,
dass bei einigen Patienten nicht das Bewusstsein
ausgeschaltet war; die Patienten wirkten sehr entspannt und es schien diese nicht zu interessieren,
was um sie herum geschah. Dies führte dazu, den
Wirkstoff bei psychiatrischen Patienten zu untersuchen, wobei schließlich eine gute antipsychotische
Wirksamkeit nachgewiesen wurde.
1.1.5
Erwünschte und unerwünschte
Arzneimittelwirkungen
Arzneimittel wirken nicht bei allen Menschen
gleich. Die klinische Wirkung ist das Ergebnis
zahlreicher, meist komplexer Vorgänge im Organismus und resultiert aus dem Wechselspiel zwischen pharmazeutischen, pharmakokinetischen
und pharmakodynamischen Prozessen. . Abb. 1.2
veranschaulicht diese Vorgänge am Beispiel eines
oral verabreichten Arzneimittels.
zz Erwünschte klinische Wirksamkeit
Unter klinischer Wirksamkeit versteht man allgemein die mit einem Arzneimittel zu erreichende
Heilung, Besserung, Linderung oder Prophylaxe
einer Erkrankung. Zur Beurteilung der Wirksamkeit von beispielsweise einem Antidepressivum wird
entweder die absolute Veränderung des Schweregrades der Depression mittels der „Hamilton Depression Rating Scale“ vor und am Ende der Behandlung
gemessen oder dichotome kategoriale Ergebnisse
wie „Responder“ vs. „Non-Responder“ oder „remittierende“ vs. „nichtremittierende Depression“
herangezogen. Die Effektstärke (Synonym Effektgröße) ist das wichtigste Maß zur Bestimmung der
Wirksamkeit einer Behandlung in randomisierten
Kontrollgruppenstudien und beschreibt das Ausmaß der Wirkung einer Verum- gegenüber dem einer Placebo-Behandlung unter Idealbedingungen.
Die Prüfung der Wirksamkeit unter Alltagsbedingungen erfolgt dagegen in sogenannten Effektivitätsstudien (englisch „effectiveness“).
Wirksamkeitsstudien zeichnen sich durch eine
hohe interne Validität aus. Das heißt, die Absiche-
1
rung, dass die beobachteten Veränderungen tatsächlich auf die Intervention und nicht auf andere Effekte
zurückzuführen sind, muss als optimal eingeschätzt
werden. Allerdings leidet unter dieser Optimierung
der internen Validität die externe Validität solcher
Studien, d. h. die Generalisierbarkeit der gefundenen Ergebnisse auf die klinische Praxis ist deutlich eingeschränkt. So haben randomisierte Kontrollgruppenstudien üblicherweise hohe Ein- und
Ausschlusskriterien, teilweise aus ethischen (z. B.
Ausschluss von Patienten mit einer bekannten Unverträglichkeit gegenüber dem Arzneimittel), teilweise aus methodischen (Patienten mit komorbiden
Störungen und Patienten, die vermutlich Schwierigkeiten haben, das Studienprotokoll einzuhalten) und
teilweise aus zulassungsrechtlichen (Patienten mit
gewissen organischen Risiken) Gründen.
Die Effektstärke alleine dokumentiert zwar eine
Wirksamkeit, damit aber nicht unbedingt für sich
alleine einen klinischen Nutzen einer Behandlung in
einem individuellen Fall. Entscheidend ist vielmehr,
wie sich die Effektstärke von anderen bekannten Behandlungsverfahren unterscheidet, was tatsächlich
gemessen wurde und dass die gemessene Wirkung
tatsächlich eine Bedeutung für die Patienten hat. Bei
einer Effektstärke von ≤ 0,2 wird nach Cohen (1988)
von einem nichtsignifikanten Effekt, zwischen 0,3
und 0,7 von einem mittleren und > 0,8 von einem
starken Effekt ausgegangen. Werden Vorzeichen
verwendet, bestätigt eine positive Effektstärke die
experimentell erwartete Hypothese, negative Vorzeichen widerlegen die Hypothese.
Eine statistische Maßzahl in Effektivitätsstudien und ein wichtiger Parameter der klinischen
Epidemiologie (Laupacis et al. 1988) ist die Anzahl
der notwendigen Behandlungen (englisch „number needed to treat“, NNT). Diese gibt an, wie viele
Patienten pro Zeiteinheit (z. B. 1 Jahr) mit einem
Arzneimittel behandelt werden müssen, um das
gewünschte Therapieziel bei einem Patienten zu erreichen bzw. um ein negatives Ereignis zu verhindern. Niedrige NNT-Werte sprechen in der Regel
für die Anwendung eines Therapieverfahrens. Der
NNT-Wert berechnet sich aus dem Reziprokwert
der absoluten Risikoreduktion, d. h. die Differenz
zwischen Ereignisrate in der Kontroll- und in der
Verumgruppe. Eine größere NNT bedeutet folglich
eine kleinere Risikoreduktion.
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Kapitel 1 • Grundlagen der Neuro-/Psychopharmakologie
zz Nebenwirkungen/UAWs
Die spezifische Beseitigung eines pathologischen
Zustands durch ein Arzneimittel ohne eine gleichzeitige Beeinflussung anderer Köperfunktionen
ist nur in wenigen Fällen möglich. Bei fast allen
Arzneimitteln muss deshalb mit sogenannten Nebenwirkungen (englisch „side effects“) gerechnet
werden, d. h. Wirkungen, die zusätzlich zu der
die Indikation bestimmenden Hauptwirkung des
Arzneimittels auftreten. Da dieser Begriff nicht
eindeutig ist, verwendet man im allgemeinen
Sprachgebrauch heute häufiger die Bezeichnung
„Arzneimittelwirkung“ (UAWs). Beide Begriffe sind
inhaltlich nicht deckungsgleich. Beispielsweise
müssen Nebenwirkungen im eigentlichen Wortsinn nicht notwendigerweise unerwünscht sein:
So zeigen bestimmte Antipsychotika neben ihrer
antipsychotischen Hauptwirkung, die in klinischen
Wirksamkeitsstudien nachgewiesen wird, auch eine
sedierende Nebenwirkung, die im klinischen Alltag
auch ausgenutzt wird (▶ Kap. 6).
Als UAW definiert die WHO jede schädliche
und unbeabsichtigte Reaktion, die ursächlich auf
die Einnahme eines Arzneimittels zurückgeführt
werden kann, welches in Dosierungen, die beim
Menschen zur Prophylaxe, Diagnose, Therapie der
zur Modifikation physiologischer Funktionen üblich sind, verabreicht wird. In Deutschland werden
nach § 4 Absatz 13 des Arzneimittelgesetzes (AMG)
auch Fehlgebrauch (Off-label), Überdosierung, Medikationsfehler oder Arzneimittelmissbrauch als
UAWs bezeichnet.
Der Gesetzgeber hat die pharmazeutischen
Unternehmen dazu verpflichtet, alle bekannt gewordenen UAWs zu sammeln und auszuwerten
sowie sämtliche UAWs im Beipackzettel anzugeben – und dies unabhängig von der Wahrscheinlichkeit des Auftretens. So sind die langen Listen
von UAWs zu erklären, die viele Patienten gar nicht
verstehen und daher ängstigen. Die Bedeutung der
möglichen UAWs wird durch die Angaben der folgenden Häufigkeiten relativiert:
Nicht bekannt: Bisher wurden offiziell keine
UAWs gemeldet.
Sehr selten: Die UAW tritt in weniger als
0,01 % der Fälle oder seltener als bei einem
von 10.000 mit dem Arzneimittel behandelten
Patienten auf.
-
-
Selten: Die UAW tritt in mehr als 0,01 % und
in weniger als 0,1 % der Fälle oder zwischen
1 und 10 von 10.000 mit dem Arzneimittel
behandelten Patienten auf.
Gelegentlich: Die UAW tritt in mehr als 0,1 %
und in weniger als 1 % der Fälle auf, d. h. bei
mehr als 1–10 von 1000 mit dem Arzneimittel
behandelten Patienten.
Häufig: Die UAW tritt in mehr als 1 % und in
weniger als 10 % der Fälle oder bei mehr als
einem und weniger als 10 von 100 mit dem
Arzneimittel behandelten Patienten auf.
Sehr häufig: Die UAW tritt in mehr als 10 %
oder bei mehr als einem von 10 mit dem Arzneimittel behandelten Patienten auf.
Um die Therapiesicherheit zu verbessern, besteht
für die Angehörigen von Heilberufen außerdem
eine gesetzliche Verpflichtung, UAWs zu melden.
Für Ärzte und Apotheker ist die Meldepflicht in
den jeweiligen Berufsordnungen verankert. Diese
schreibt u. a. vor, alle schweren UAWs zu melden.
Auf die Bedeutung der Pharmakovigilanz als Mittel
für die systematische Überwachung der Sicherheit
eines Arzneimittels mit dem Ziel, das Nutzen-Risiko-Verhältnis kontinuierlich zu evaluieren, UAWs
zu entdecken und deren Risiken durch geeignete
Maßnahmen zu minimieren, wird in ▶ Abschn. 2.2
ausführlich eingegangen.
Die Bedeutung einer UAW kann auch durch
die Differenzierung in nicht schwerwiegende und
schwerwiegende UAWs relativiert werden. Nach § 3
des AMG ist jede UAW schwerwiegend, die tödlich
oder lebensbedrohend ist, eine stationäre Behandlung oder deren Verlängerung erforderlich macht
oder zu bleibender oder schwerwiegender Behinderung oder Invalidität führt oder eine kongenitale
Anomalie oder einen Geburtsfehler zur Folge hat.
Man unterscheidet arzneistoffspezifische, dosisabhängige UAWs, die über den Wirkungsmechanismus des Pharmakons erklärt werden und somit
vorhersehbar sind, von allergischen Reaktionen,
die weitgehend dosisunabhängig und nicht für den
betreffenden Arzneistoff charakteristisch sind. Sofern entsprechend hoch dosiert – bzw. überdosiert
– wird, treten die unerwünschten Effekte bei jedem
Menschen auf. Da andererseits die individuelle Toleranz gegen ein Pharmakon stark variiert, besteht
13
1.2 • Prinzipien der Neurotransmission
immer die Möglichkeit, dass auch durch eine für die
meisten Patienten gut verträgliche Dosis bei einigen
Kranken UAWs ausgelöst werden.
1.1.6Arzneimittelwechselwirkungen
Der Begriff Arzneimittelwechselwirkungen (synonym Arzneimittelinteraktionen) ist eigentlich falsch gewählt. Denn darunter versteht man
klinisch relevante Wechselwirkungen nicht nur
zwischen Arzneimitteln, sondern auch mit anderen körperfremden Stoffen, wie vor allem den
Genussmitteln Tabakrauch, Alkohol und Koffein,
aber auch Lebensmitteln wie Brokkoli, Grapefruitsaft und Gegrilltem. Insofern ist die Bezeichnung
Wirkstoff- oder Pharmakawechselwirkungen korrekter. Es kann dadurch entweder zur Wirkungsverstärkung, Änderung von UAWs oder aber auch
zur Verringerung, eventuell sogar zur Aufhebung
der erwünschten klinischen Wirkung kommen. Der
Ausdruck Wechselwirkungen sagt somit zunächst
nichts darüber aus, wie diese zu bewerten sind. Im
heutigen Sprachgebrauch versteht man allerdings
darunter nur noch UAWs. Die Wahrscheinlichkeit
des Auftretens von Pharmakainteraktionen nimmt
mit der Anzahl der gleichzeitig eingenommenen
Wirkstoffe exponentiell zu.
Arzneimittelwechselwirkungen werden in
pharmazeutische, pharmakokinetische und pharmakodynamische Interaktionen eingeteilt. Pharmakodynamische Wechselwirkungen von Neuro-/
Psychopharmaka mit anderen Arzneimitteln sind
dadurch charakterisiert, dass diese durch Interaktionen an zellulären und molekularen Angriffspunkten im ZNS ihre Wirkung verstärken oder
abschwächen. Soweit die pharmakodynamischen
Eigenschaften der Arzneimittel bekannt sind, können mögliche Interferenzen vorausgesagt werden.
Sofern solche Wechselwirkungen günstig sind, lassen sich diese therapeutisch nutzen, oder, falls sie
unerwünscht sind, vermeiden. Im Gegensatz zu
den pharmakodynamischen Interaktionen ist die
Voraussage pharmakokinetischer Wechselwirkungen schwieriger, da die pharmakokinetischen Vorgänge nur in Ausnahmefällen arzneistoffspezifisch
sind. Diese Pharmakainteraktionen können jedoch
durch therapeutisches Drug Monitoring (TDM,
1
▶ Abschn. 2.1.1) entdeckt, verfolgt und überwacht
werden.
In den beiden nächsten Abschnitten werden
kurz die Prinzipien der Neurotransmission, wichtige Neurotransmitter und -Rezeptoren sowie molekulare Strukturen als Angriffspunkte von Neuro-/
Psychopharmaka besprochen. Leser, die sich für
allgemeine und spezielle Fragen der Arzneimittelwirkungen interessieren, werden auf die Lehrbücher
der Pharmakologie und Toxikologie verwiesen (Aktories et al. 2013; Mutschler et al. 2012).
1.2Prinzipien
der Neurotransmission
Die Hirnforschung hat in den letzten Jahrzehnten große Fortschritte gemacht, insbesondere die
Aufklärung jener Strukturen und Funktionen
im Gehirn betreffend, die mit sogenannten geistigen Leistungen (wie Gedächtnis und Lernen)
einschließlich des Bewusstseins zu tun haben,
wodurch die molekularen Wirkungsorte einiger
Neuro-/Psychopharmaka gut erklärt werden können. Die elementaren Bestandteile des Gehirns sind
einzelne, voneinander getrennte spezialisierte Zellen wie Nerven- (Neuronen) und nichtneuronale
Zellen (Gliazellen). Neueste Zählungen lassen bei
einem durchschnittlichen männlichen Gehirn auf
etwa 86 Milliarden Neuronen und eine etwa ähnlich große Zahl von Gliazellen schließen (Azevedo
et al. 2009). Diese schier unvorstellbare Anzahl an
funktionellen Zellen im ZNS liegt in etwa derselben
Größenordnung wie die der Sterne in der Milchstraße, derzeit geschätzt auf 200–400 Milliarden,
mit einer ungeheuren Vielfalt an unterschiedlichen
Funktionen, Formen und molekularer Ausstattung.
Obwohl Rudolf Virchow schon 1846 erkannte, dass
das Nervensystem aus zwei grundsätzlich verschiedenen Zelltypen, den Nerven- und Gliazellen, besteht, weiß man heute über Gliazellen im Vergleich
zu Neuronen relativ wenig. Dieser Informationsmangel hat zu einem Nervensystem-Konzept geführt, in dem die Neuronen deutlich dominieren
und die Rolle der Gliazellen unterbewertet ist. Man
unterteilt die Gliazellen der Vertebraten in Makroglia- und Mikrogliazellen. Makrogliazellen bezeichnet man auch als Neuroglia. Man unterteilt
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Kapitel 1 • Grundlagen der Neuro-/Psychopharmakologie
sie u. a. in Astrozyten, Oligodendrozyten im ZNS
und Schwann-Zellen im peripheren Nervensystem. Genauso wie Neuronen sind Makrogliazellen
ektodermalen Ursprungs. Des Weiteren existieren
noch eine Vielzahl von spezialisierten Gliazelltypen, wie z. B. Radialglia, Satellitenzellen (Synonym:
Mantelzellen) und Ependymzellen, die die BlutHirn-Schranke bilden und für die Zirkulation des
Liquors sorgen. Mikrogliazellen sind keine „echten“
Gliazellen. Sie stammen aus dem mononukleärphagozytären System und vermitteln Immunantworten im Nervensystem. Mikrogliazellen entstammen dem mesodermalen Keimblatt.
Im Unterschied zu den übrigen Zellen im
Körper besitzen Neuronen – wahrscheinlich auch
Astrozyten – die Fähigkeit, über große Entfernungen rasch und präzise miteinander Informationen
auszutauschen. Jedes Neuron stellt gleichzeitig eine
Empfangs- und eine Sendeeinheit dar. Die Dendriten und Zellkörper (Perikaryon) der Neuronen sind
an ihrer Oberfläche mit speziellen Proteinen (Rezeptoren) ausgestattet, die von außen eintreffende
Signale in erregende (exzitatorische) oder hemmende (inhibitorische) Membranpotenziale umwandeln. Die räumliche und zeitliche Integration
dieser Signale entscheidet darüber, ob das Neuron
ein Aktionspotenzial abfeuert. Nach diesem informationsverarbeitenden Prozess liegt die zu übertragende Information in kodierter Form als Folge
von Aktionspotenzialen vor, die über die Axone
weitergeleitet werden. Im Unterschied zu anderen
Zelltypen besitzen Neuronen und wahrscheinlich
auch bestimmte Gliazellen spezifische Kontakte zu
vielen anderen Zielzellen. Hierbei kann es sich um
andere Arten von Neuronen, Glia- sowie um Muskel- oder Drüsenzellen handeln.
1.2.1
Synapsen als Orte
der Vermittlung
von Informationen
Der Ort, an dem die Informationen zwischen
Neuronen vermittelt werden, wird als Synapse
bezeichnet. Diese besteht aus drei wesentlichen
Elementen: der präsynaptischen Nervenendigung,
der postsynaptischen Empfängerzelle und einer
Kontaktzone. Ein Neuron leitet über durchschnitt-
lich 1000 synaptische Verbindungen Signale weiter
und empfängt sogar noch bedeutend mehr. Daher
besitzt das menschliche Gehirn, das wie erwähnt
schätzungsweise 86 Milliarden Neuronen enthält,
etwa 1014 Synapsen. Trotz dieser riesigen Anzahl
liegen der synaptischen Übertragung im gesamten
Nervensystem nur zwei wesentliche Mechanismen
zugrunde: Die elektrische und die chemische synaptische Übertragung.
Chemische und elektrische Synapsen sind morphologisch unterschiedlich aufgebaut. Bei chemischen Synapsen existiert keine zytoplasmatische
Verbindung zwischen den Nervenzellen; stattdessen sind diese durch einen schmalen Bereich von
15–25 nm, den synaptischen Spalt, voneinander getrennt. Im Gegensatz dazu werden bei elektrischen
Synapsen über spezielle porenbildende Proteinkomplexe (sogenannte Connexone) direkt Informationen zwischen dem Zytoplasma beider Zellen
über Zell-Zell-Kanäle (englisch „Gap junctions“)
ausgetauscht. Die elektrische Informationsvermittlung erfolgt naturgemäß rasch (ohne Zeitverzögerung) und stereotyp. Elektrische Synapsen dienen
primär dazu, einfache depolarisierende Signale
weiterzuleiten und Nervenzellgruppen zu synchronisieren; sie können nicht ohne Weiteres hemmend
wirken oder lang anhaltende Effektivitätsveränderungen hervorrufen.
Chemische Synapsen können dagegen, je nach
freigesetztem Neurotransmitter, sowohl inhibitorische als auch exzitatorische Signale vermitteln. Sie
sind damit flexibler und rufen deshalb im Allgemeinen komplexere Verhaltensreaktionen hervor
als elektrische Synapsen. Da die Sensitivität chemischer Synapsen modulierbar ist, weisen Synapsen
dieses Typs eine Plastizität auf, die eine Grundvoraussetzung für das Gedächtnis und andere höhere
Gehirnfunktionen darstellt. Plastizität bedeutet,
dass die chemischen Synapsen in Abhängigkeit von
Häufigkeit, Stärke und Historie ihrer Aktivierung
die Effizienz ihrer Signalweitergabe regulieren können. Chemische Synapsen können neuronale Signale verstärken, sodass auch eine kleine präsynaptische Nervenendigung das Potenzial einer großen
postsynaptischen Zelle erheblich verändern kann,
was bei elektrischen Synapsen unmöglich ist. Da
durch chemische Synapsen Nervenimpulse nur in
eine Richtung übertragen werden, sind sie für die
15
1.2 • Prinzipien der Neurotransmission
Reizleitung Gleichrichter. Allerdings kostet die kontrollierte Freisetzung des Neurotransmitters von der
signalgebenden Zelle, der Präsynapse, die Diffusion
durch den synaptischen Spalt, die Bindung an Zielmoleküle (Rezeptoren) an der Postsynapse und das
darauf folgende Auslösen einer Depolarisation oder
Signalkaskaden über sogenannte sekundäre Botenstoffe Zeit. Daher arbeiten chemische Synapsen
im Vergleich zu elektrischen Synapsen langsamer.
Details dieser Vorgänge erfahren wir in ▶ Abschn. 1.2.4–1.2.6.
Die Informationsübertragung zwischen Neuronen im ZNS erfolgt überwiegend an chemischen
Synapsen. Die Mechanismen der chemischen synaptischen Übertragung sind Grundlage geistiger
Leistungen des Gehirns wie Denken, Bewusstsein,
Wahrnehmung, Empfinden, Bewegungssteuerung,
Erinnerung und Lernen.
1.2.2Definition
eines Neurotransmitters
In chemischen Synapsen wird die Informationsübertragung zwischen den Neuronen durch niedermolekulare Botenstoffe, die (Neuro-)Transmitter, vermittelt. Ausgehend vom Dale‘schen Prinzip,
wonach jedes Neuron nur einen Neurotransmitter
synthetisiert, wird durch den Neurotransmitter, den
ein Neuron zur Informationsübertragung verwendet, ein Neuron näher gekennzeichnet: Ein Neuron,
das beispielsweise Do­pamin als Neurotransmitter
verwendet, wird als Do­paminerges Neuron bezeichnet. Dieses Prinzip ist jedoch heute nicht mehr uneingeschränkt gültig. So können durchaus mehrere
Neurotransmitter gemeinsam vorkommen, z. B. ein
oder mehrere klassische Neurotransmitter und ein
oder mehrere Neuropeptide. Kürzlich wurde ein
besonders kurioser Fall entdeckt, wobei die gleichzeitige Freisetzung eines erregenden (Glutamat)
und eines hemmenden (GABA) Neurotransmitters
vom gleichen Axonterminal in Neuronen nachgewiesen wurde (Root et al. 2014). In solchen Fällen
kann die klassische Einteilung in glutamaterge oder
GABAerge Neuronen nicht mehr greifen.
Der erstmalige Nachweis, dass eine chemische
Verbindung in der Lage ist, einen elektrischen Impuls über den synaptischen Spalt weiterzuleiten,
1
gelang 1921 dem Grazer Pharmakologen und Physiologen Otto Loewi am Herzen, dessen Schlagfrequenz durch den Vagusnerv zentral gesteuert wird.
Weitere 5 Jahre benötigte er, um zu zeigen, dass
die chemische Substanz, die der Vagus als kardiale Hemmsubstanz freisetzt, mit dem Acetylcholin
(ACh) identisch ist. Seit dieser Zeit hat man viele
neue als Neurotransmitter wirkende Substanzen
entdeckt, jedoch gelang es nie, analoge Ergebnisse in
Gehirn- und Rückenmarksgewebe zu erzielen. Dies
führte dazu, dass sich die Vorstellung von Neurotransmittern mit den neuesten Erkenntnissen zur
Neurobiologie und Rezeptorpharmakologie stetig
veränderte.
Entsprechend dem Loewi‘schen Befund ist ein
Neurotransmitter ein Stoffwechselprodukt, das
von einer Synapse eines Neurons durch Stimulation freigesetzt wird und eine andere Zelle in einem Effektororgan in bestimmter Weise beeinflusst.
Obwohl es theoretisch einfach erscheint, eine im
Gehirn vorkommende chemische Substanz entsprechend dieser Definition als Neurotransmitter
zu klassifizieren, ist dies im Experiment nur schwer
zu verifizieren. Dies hängt zum einen damit zusammen, dass es wegen der anatomischen Komplexität
des ZNS experimentell sehr schwierig ist, selektiv
einen einheitlichen Satz von Neuronen elektrisch zu
stimulieren. Zum anderen sind die zur Verfügung
stehenden Analysetechniken nicht empfindlich genug, um die lokale präsynaptische Freisetzung von
potenziellen Neurotransmittern quantitativ zu erfassen. Moderne Analyseverfahren ermöglichen zwar
die Bestimmung von Konzentrationen im femtomolaren Bereich, jedoch reicht diese Empfindlichkeit
nicht dazu aus, den Gehalt eines präsynaptisch freigesetzten Neurotransmitters zu messen. Ein Femtomol eines Transmitters enthält etwa 600 Millionen
Moleküle. Die Ankunft eines präsynaptischen Aktionspotenzials löst an jeder Nervenendigung aber
nur die Ausschüttung von einigen hundert synaptischen Vesikeln (dies sind elektronenmikroskopisch
sichtbare, bläschenförmige, membranumschlossene
Strukturen) aus, von denen jedes Vesikel nur etwa
10.000 Transmittermoleküle enthält. Neben dem
analytischen Problem kommt erschwerend hinzu,
dass ein Neuron rund 1000 synaptische Verbindungen in unterschiedlichen Bereichen der Nervenzelle
enthält und Teil eines komplexen Netzwerkes von
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