Presseinformation 5. November 2016 Futter für die Nerven: Welche Rolle spielen Mikronährstoffe bei neurologisch-psychiatrischen Erkrankungen? Essen – Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente sind für die Funktion des Nervensystems unverzichtbar. Das ist eine unbestrittene biologische Grundlage der Medizin - im klinischen Alltag wird sie aber oftmals unterschätzt. Dabei mehren sich die Hinweise, dass bei verschiedenen neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen nicht selten eine Unterversorgung an Mikronährstoffen mit im Spiel ist. Welchen präventiven und therapeutischen Nutzen Mineralstoffe und Vitamine bei Erkrankungen wie Demenz, ADHS oder Multipler Sklerose haben können, diskutierten renommierte Wissenschaftler und Ärzte auf einem Fachsymposium der Gesellschaft für Biofaktoren e.V. am 5. November 2016 in Essen. „Gut ein Viertel des gesamten Energieumsatzes des Körpers entfällt auf das Nervengewebe“, verdeutlichte der Vorsitzende der Gesellschaft für Biofaktoren, Prof. Dr. med. Hans-Georg Classen von der Universität Stuttgart-Hohenheim. Damit das Nervensystem leistungs- und funktionsfähig ist, sind Mikronährstoffe unentbehrlich. Denn die essentiellen Nahrungsbestandteile sind als Cofaktoren in den neuronalen Energiestoffwechsel und die Myelin-Bildung involviert. Sie sind an der Bildung von Neurotransmittern beteiligt, schützen die nervösen Strukturen vor oxidativen Schäden und werden für ausbilanzierte Ionengradienten und die intakte Funktion der Ionenkanäle benötigt. „Eine unzureichende Verfügbarkeit bereits eines einzelnen essentiellen Mikronährstoffs kann die Gesundheit der Nerven und des Gehirns tiefgreifend beeinflussen“, betonte Classen. Doch wie kann es sein, dass unsere Ernährung ausgleichsbedürftige Defizite aufweist? Ursachen dafür sieht Prof. Dr. med. Karlheinz Reiners, Oberarzt und Leiter der Neuromuskulären Spezialambulanz an der Neurologischen Klinik des Hermann-Josef-Krankenhauses Erkelenz, in veränderten Nahrungsquellen, Konservierungstechniken und den besonderen Anforderungen, denen Menschen heute in speziellen Lebensphasen ausgesetzt sind. Nicht nur die Lebenserwartung habe sich deutlich erhöht, sondern auch die Erwartungen an die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit in den hinzugewonnenen Jahren, sagte der Neurologe. Im höheren Lebensalter seien die Menschen aber zunehmend durch chronische Krankheiten, alterskorrelierte Einbußen der Hirnfunktion und die nicht zu unterschätzenden Nebenwirkungen von Medikamenten belastet. Diese Faktoren machen oftmals eine erhöhte Zufuhr von Mikronährstoffen erforderlich. „Zumal Erkenntnisse der letzen Jahre überraschende Einflüsse von verschiedenen Mikronährstoffen auf die Hirnfunktion und die Modifikation der Neurotransmission aufgedeckt haben“, so Reiners. Magnesium kontra Demenz? So belegen zahlreiche Studien den präventiven Effekt von Magnesium bei der Demenzentstehung, wie Prof. Dr. med. Klaus Kisters, Chefarzt an der Medizinischen Klinik I am St. Anna-Hospital in Herne, berichtete. Basis dieser Wirkung scheint der Calcium-Magnesium-Antagonismus am NMethyl-D-Aspartat-(NMDA)-Rezeptor im ZNS zu sein, dessen Störung als eine Ursache der Alzheimer-Demenz diskutiert wird. Zudem habe Magnesium einen hohen Stellenwert bei vaskulärer Demenz, erklärte Kisters. Insbesondere Patienten mit Diabetes mellitus, Hypertonie oder schwerer Herzinsuffizienz leiden häufig unter einem Magnesiummangel. „Gleicht man diesen aus, bessert sich der Gefäßstatus, und die Prävalenz für Demenz nimmt ab“, fasste Kisters die Ergebnisse verschiedener Studien zusammen. Wachstum und Entwicklung: der Biofaktorenbedarf wächst mit Doch nicht nur im Alter gilt es, die kognitive Leistungsfähigkeit zu erhalten. „Insbesondere in der Kindheit und Adoleszenz hat die Ernährung einen entscheidenden Einfluss auf die Hirnentwicklung und kognitive Leistungsfähigkeit“, gab Apotheker Uwe Gröber, Leiter der Akademie für Mikronährstoffmedizin in Essen, zu bedenken. Gerade in Zeiten des Wachstums bestehe ein erhöhter Bedarf an Mikronährstoffen, welcher nicht immer ausreichend über die Ernährung gedeckt werde. Wie Gröber ausführte, hat beispielsweise das Spurenelement Zink im Gehirn einen regulierenden Einfluss auf den Stoffwechsel der Neurotransmitter Dopamin und Noradrenalin. Auch der neuronale Energiestoffwechsel ist auf eine ausreichende Verfügbarkeit von Zink angewiesen. „Zinkmangel ist dementsprechend mit erhöhter Aggressivität und Reizbarkeit verbunden“, sagte Gröber. Ebenso ist Eisen nicht nur für den Sauerstofftransport als Bestandteil des Hämoglobins von essenzieller Bedeutung, sondern unter anderem auch für den Energiestoffwechsel der Neuronen und Gliazellen sowie für die Neurotransmitterproduktion (z.B. Dopamin, Serotonin), die Synaptogenese und die Myelin-Bildung. „Bei Schulkindern kann sich Eisenmangel daher negativ auf die kognitive Leistungsfähigkeit auswirken“, sagte Gröber. Magnesium bei ADHS – Therapiealternative oder -ergänzung? Auch Magnesium spielt eine zentrale Rolle bei der Synthese von Neurotransmittern. Daher verwundert es nicht, dass ein Mangel ein weites Spektrum an neurologischen Störungen verursachen kann, wie leichte Erregbarkeit, verminderte Stressresistenz und Konzentrationsschwäche. Eine umfangreiche Symptom- und Beschwerden-Überlappung bestehe zwischen Formen des Magnesium-Mangels und ADHS (AufmerksamkeitsDefizit-Hyperaktivitäts-Syndrom), sagte der Facharzt für Kinder- und Jugendheilkunde Dr. med. Gerd Ratzmann aus Greifswald. Erfahrungsberichte aus der Praxis und verschiedene Publikationen beschreiben bei ADHS-Patienten sowohl ein Magnesiummangel-Syndrom als auch einen positiven Therapieeffekt von Magnesium. „Kindliche funktionelle Störungen werden durch Magnesium-Therapie nicht nur im somatischen, sondern auch im psychischen und Verhaltensbereich reduziert“, berichtete Ratzmann. Er rät, bei Kindern mit ADHS „über eine differentialdiagnostisch-therapeutische Ex-juvantibus-Gabe von Magnesium zu entscheiden, und zwar bevor eine langzeitige Psychostimulantientherapie ordiniert wird.“ Deren erforderliche Wirkdosis könne Erfahrungen aus der Praxis zufolge durch Magnesium vermindert werden. Magnesium-Mangel und Stress – ein gefährlicher Circulus vitiosus Die neurologisch-psychiatrischen Auswirkungen des Magnesium-Mangels spielen auch bei Stress eine wichtige Rolle, wie der Magnesiumforscher Prof. Classen ausführte: Stress erhöhe den Magnesium-Bedarf und damit das Risiko für einen Mangel. Ein Defizit an dem Mineralstoff ist wiederum ein wichtiger konditionierender Faktor, der die Belastbarkeit reduziert: „Im Magnesium-Mangel ist die Wirkung der Stress-Hormone verstärkt“, erklärte Classen. So könne ein Circulus vitiosus entstehen. Denn unter chronischem Stress komme es zum exzessiven Verbrauch energiereicher Verbindungen, das heißt zu ATP-Verlusten. Als Folge stehen weniger intrazelluläre Bindungsstellen für Magnesium zur Verfügung, da der Mineralstoff in der Zelle an ATP gebunden ist. Er findet daher in der Zelle keinen Halt mehr und geht über den Urin verloren. Dadurch verstärkt sich der Mangel. „In diesen Fällen reicht eine einfache Erhöhung der Magnesium-Zufuhr nicht mehr aus; vielmehr müssen gleichzeitig intrazelluläre Bindungsstellen aufgebaut werden, sogenannte ,Magnesium Fixateurs`“, sagte Classen. Hier biete sich das Magnesium-Orotat an: „Orotsäure stimuliert die ATP-Synthese: das gleichzeitig anflutende Magnesium kann intrazellulär gebunden und damit der Circulus vitiosus durchbrochen werden“, so der Wissenschaftler. Vitamin D bei neurologisch-psychiatrischen Erkrankungen Erkenntnisse der letzten Jahre zeigen, dass auch Vitamin D eine Reihe neurologischer und psychiatrischer Erkrankungen beeinflusst, wie PD Dr. med. Mathias Buttmann, Chefarzt der Neurologischen Klinik am CaritasKrankenhaus Bad Mergentheim, ausführte. Dies sei am besten bei der Multiplen Sklerose (MS) bewiesen, so der Neurologe. „In den letzten Jahren erbrachte eine Reihe epidemiologischer Studien überzeugende Belege, dass die Wahrscheinlichkeit, an dieser chronisch-entzündlichen Autoimmunerkrankung des zentralen Nervensystems zu erkranken, invers mit dem Vitamin-D-Spiegel korreliert, und dass bei bestehender Erkrankung erniedrigte Vitamin-D-Spiegel mit erhöhter Erkrankungsaktivität einhergehen“, berichtete der Neurologe. Zwei aktuelle kontrollierte Studien sprechen nun auch für einen kausalen Zusammenhang: Beide Studien legten unabhängig voneinander nahe, dass eine Vitamin-D-Substitution bei bestehender Multipler Sklerose tatsächlich einen schützenden Effekt ausüben könnte. „Damit liegen nun trotz einiger noch offener Fragen erstmals Ergebnisse vor, die eine Substitution von Vitamin D bei bestehender Erkrankung sinnvoll erscheinen lassen“, so der MS-Experte. Eine weitere neurologische Erkrankung, deren Auftreten wahrscheinlich durch einen Vitamin-D-Mangel begünstigt wird, ist die ParkinsonErkrankung, die klinisch durch Zittern, Muskelsteifigkeit, Unterbeweglichkeit und Störungen des Gleichgewichts gekennzeichnet ist. Psychiatrische Erkrankungen, bei deren Entstehung ein gestörter Vitamin-D-Stoffwechsel eine Rolle spielen könnte, sind nach Buttmanns Ausführungen die Schizophrenie und vielleicht auch der Autismus. „Wahrscheinlich spielen hierbei Faktoren eine Rolle, die bereits in einer frühen Phase der Hirnentwicklung wirksam sind“, so der Experte. Als wesentlichen Grund für einen Vitamin-D-Mangel in Deutschland führte Prof. Hilmar Stracke, Oberarzt an der Medizinischen Klinik und Poliklinik III am Universitätsklinikum Gießen und Marburg, den nördlichen Breitengrad an: „Von Oktober bis März reicht in unseren Breiten die Intensität des Sonnenlichts nicht aus, um in der Haut die Vitamin-D-Produktion anzuregen“, so der Facharzt für Innere Medizin, Endokrinologie und Stoffwechsel. Im Alter komme erschwerend hinzu, dass die Fähigkeit der Haut nachlässt, Vitamin D zu synthetisieren. Die Nahrung leistet nur einen geringen Beitrag: „Wenige Lebensmittel, wie etwa Hering, Makrele und Lachs, enthalten nennenswerte Mengen des Vitamins“, erklärte Stracke. Vitamin B-Mangel: Schwerwiegende Folgen in jedem Alter Nicht zu unterschätzen ist auch die Bedeutung der B-Vitamine für das Nervensystem: So konnte in zahlreichen Studien gezeigt werden, dass durch eine Folsäuresupplementierung in der Frühschwangerschaft die Häufigkeit embryonaler Neuralrohrdefekte mit der Folge schwerer angeborener Fehlbildungen auf etwa ein Drittel bis ein Viertel vermindert werden kann. Ein Mangel an Vitamin B12 ist insbesondere im Alter verbreitet und kann ebenfalls schwerwiegende Folgen im neurologisch-psychischen Bereich haben, wie die Funikuläre Myelose oder kognitive Störungen. Häufig werde dieser Mangel aber verkannt, warnte Prof. Dr. Dr. med. Dieter Loew, Arzt für klinische Pharmakologie aus Sörgenloch, und sprach sich für eine frühzeitige Diagnostik aus: „Mangel-Symptome sind schleichend und unspezifisch. Sie äußern sich erst spät nach Entleerung der Speicher.“ Ein Vitamin B12-Mangel kann durch geeignete Blut-Parameter frühzeitig erkannt und durch eine hoch dosierte orale Therapie (1.000 µg/d) leicht behandelt werden. Die Experten appellierten daher, bei neurologisch-psychiatrischen Erkrankungen der elementaren Bedeutung der Biofaktoren mehr Aufmerksamkeit zu schenken und Mangelzustände frühzeitig durch gezielte Supplementation zu therapieren. Nur so kann das Potenzial aller kausalen Präventions- und Therapiemaßnahmen optimal ausgeschöpft werden. Weitere Informationen und eine kostenlose Broschüre mit allen Vorträgen finden Sie im Internet unter www.gf-biofaktoren.de oder können angefordert werden: Gesellschaft für Biofaktoren e.V. Postfach 400320 70403 Stuttgart E-Mail: [email protected] Fax: 0711/5406475