andreas schieder Politik auf den Dialog ausrichten 211 österreichisches jahrbuch für politik 2013 Das Versprechen eines neuen politischen Stils hat in den vergangenen Wochen unzählige Deutungsversuche nach sich gezogen. Das Spektrum der Interpretationen, von denen man lesen konnte, war groß. Einmal wurde er auf eine perfektionierte Form des Regierungs-Marketings reduziert, ein andermal wurden sogleich alle Unterschiede zwischen den beiden Koalitionspartnern wegfantasiert. Der Versuch einer Begriffsschärfung scheint daher lohnenswert – einer Schärfung entlang der Frage, welche neuen Formen der Zusammenarbeit angesichts der politischen Herausforderungen der nächsten Jahre möglich und notwendig sind. Für mich bezieht sich der neue Stil auf Kommunikation in einem hoch politischen Sinn, nicht als einseitige Übertragung von vorgefertigten Botschaften, sondern als Ausrichtung von Politik auf Dialog. Eine solche Kommunikation ist nicht als sprachliches Anhängsel tatsächlicher politischer Prozesse zu verstehen. Sie ist vielmehr integraler Bestandteil der politischen Prozesse selbst, an deren Ende Menschen mit guten Arbeitsplätzen, Jugendliche mit optimalen Bildungschancen und eine hohe Lebensqualität für alle Menschen stehen sollen. Der neue Stil weist also in Richtung einer verständigungsorientierten Politik. Besonders in einer Koalitionsregierung dürfen sich die Parteien nicht gegenseitig für monologisch verfasste Zwecke instrumentalisieren, auf diesem Weg lässt sich weder das Wirtschaftswachstum ankurbeln noch lassen sich die Bildungschancen unserer Kinder verbessern. Stattdessen muss es uns darum gehen, in einem dialogischen Prozess Lösungen zu finden, die möglichst vielen nützen. Oder wie es der Diskursethiker Wolfgang Kohlmann formuliert: „Bemühe dich in allen Fällen, in denen deine Interessen mit denen anderer kollidieren, um einen vernünftigen praktischen Konsens mit ihnen.“ Damit ist das Spannungsfeld jeder demokratischen Gesellschaft umrissen: Wir müssen einer Konkurrenz von Ideen Raum geben und sie durch Dialog zusammenführen. Die Aufgabe des neuen Stils ist es, durch Kommunikation zu einem echten – auch gesellschaftlichen – Konsens zu gelangen. In den vergangenen fünf Jahren hat die Regierung gezeigt, dass sie zu einem solchen Konsens fähig ist – ein kluger Mix aus Sparmaßnahmen und Konjunkturförderung hat Österreich weit besser durch die Krise geführt als viele andere Staaten Europas: Unsere Arbeitslosigkeit ist am geringsten, das 212 andreas schieder | politik auf den dialog ausrichten Wirtschaftswachstum auf hohem Niveau und der soziale Friede konnte gewahrt werden. Doch ist es den Koalitionspartnern nicht immer gelungen, gute Kompromisse auch gemeinsam zu präsentieren. Neu regieren heißt daher, im Geiste des „Teambuilding“, aus 14 Ressorts eine Koalition zu schmieden, eine zielorientierte Gemeinschaft, deren Arbeitsstil durch Kooperation und kollektive Verantwortung geprägt ist. Die beiden Koalitionspartner werden natürlich auch in den kommenden fünf Jahren zwei unterschiedliche Parteien mit verschiedenen Sichtweisen auf gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Fragestellungen bleiben. Aber genau diese Unterschiede können konstruktiv genutzt werden und zu kraftvollen Ergebnissen führen, wenn die Probleme der Gegenwart und die Herausforderungen der Zukunft in den Mittelpunkt der politischen Arbeit gestellt werden. Das Verbindende ist der politische Wille, die Herausforderungen der Zukunft gemeinsam zu bewältigen: Wir müssen gemeinsam Wachstum fördern und sichere Arbeitsplätze schaffen, Familien mit genügend finanziellen Mitteln und bedarfsgerechten Betreuungsangeboten unter die Arme greifen sowie ein modernes Bildungssystem vorantreiben, das unserer Jugend mehr Chancen eröffnet. Gelingt es in diesen Bereichen, gemeinsam gute Lösungen zu finden, ist es mehr als eine Frage des politischen Marketings, dass man zu diesen Erfolgen gemeinsam steht und sich diese Erfolge auch gönnt. Der neue Stil beinhaltet aber auch einen Arbeitsauftrag für das Hohe Haus. Auf parlamentarischer Ebene wird es in den kommenden fünf Jahren darum gehen, die Ideenvielfalt, die es durch die Fraktionen und die einzelnen Abgeordneten gibt, konstruktiv zu nutzen, denn diese Vielfalt ist breit wie nie zuvor: Die SPÖ-Fraktion hat mehr als ein Viertel neue Abgeordnete, und es gibt mehr Parteien denn je im Hohen Haus. Zugleich lässt sich an der parlamentarischen Arbeit der vergangenen Jahre ablesen, dass es einen großen Bereich gibt, in dem Beschlüsse gemeinsam fallen: Von den 674 Beschlüssen der letzten Gesetzgebungsperiode kamen rund 80 Prozent mit zumindest einer Oppositionspartei zustande, 40 Prozent der Beschlüsse sogar einstimmig. Dieses konstruktive Miteinander im Parlament müssen wir in Zukunft noch stärker betonen und leben – auch das ist der neue Stil. All das soll dazu beitragen, das Verhältnis zwischen politischen Institutionen und der Bevölkerung in neuem Stil zu gestalten. Die politischen 213 österreichisches jahrbuch für politik 2013 Antworten auf die großen Herausforderungen der kommenden Jahre betreffen schließlich breite Bevölkerungsschichten und sollen auch von diesen mitgetragen werden. Neuer Stil heißt also auch, das Parlament stärker in den Wahlkreis zu tragen sowie den Wahlkreis ins Parlament. 214