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Forschung
Stil als menschliches Bedürfnis
Wirtschaftswissenschaftler der TU Chemnitz zeigen, dass es beim Stilgefühl bei Immobilien und im Städtebau einen
einheitlichen Geschmack gibt - und dass Ästhetik bares Geld wert ist
"Bisher gab es einen fast Jahrhunderte andauernden Überhang der Nachfrage nach
Wohnraum über das Angebot, so dass es möglich war, fast jeglichen Wohnraum zu
vermarkten. Das wird sich aufgrund der zu erwartenden demographischen Entwicklung
mit sinkenden Bevölkerungszahlen ändern", sagt Prof. Dr. Friedrich Thießen, Inhaber
der Professur Finanzwirtschaft und Bankbetriebslehre an der TU Chemnitz, und
ergänzt: "Ein zu erwartender Angebotsüberhang ermöglicht es den Nachfragern von
Wohnraum, wählerischer zu werden." Gemeinsam mit TU-Promovend Nikolai
Alexander Mader hat er sich in einer Studie zum Thema "Zur monetären Bedeutung
der Ästhetik von Immobilien und der Ästhetik im Städtebau" mit dem Wert von Stil
beschäftigt. Zentrales Ergebnis: "Es existiert ein Bedürfnis nach Stil, das prinzipiell
unabhängig von Einkommen, Alter, Bildungsgrad oder Geschlecht ist. Dieses Bedürfnis
ist offenbar einfach menschlich", fassen Mader und Thießen zusammen.
100 Personen haben in einem umfangreichen Fragebogen Urteile über
Gestaltungsmöglichkeiten von Immobilien abgegeben. Dabei unterschieden die
Wissenschaftler zwischen den Kategorien "im Gebäude", wozu etwa Innenansichten
von Türen und Fenstern zählen, "am Gebäude", beispielsweise Dächer und Fassaden,
sowie "im Gebäudekontext", worunter unter anderem die Homogenität der Bebauung
fällt. Ist ein Dach mit Erker beliebter als eines ohne? Kommt eine verschnörkelte
Fassade besser an als eine schlichte? Haben sanierungsbedürftige Gebäude Einfluss
auf den Wert der Immobilien in der unmittelbaren Umgebung? Und vor allem: Wie sehr
sind die Menschen bereit, für eine Immobilie, die ihnen besser gefällt, auch mehr Geld
auszugeben?
Eintönige Flächen sollten vermieden werden, so ein Ergebnis der Wissenschaftler.
Flachdächer lehnten die Probanden ab; aufgelockerte, durch architektonische
Elemente belebte Dachflächen bevorzugten sie. Auch bei der Fassadengestaltung
kamen ungestaltete Flächen nicht gut an, für stilvolle Fassaden waren die Befragten in
hohem Maße bereit, Geld auszugeben - und das, obwohl die Fassadengestaltung keine
Funktion außer dem optischen Gefallen hat. Insgesamt konnten die
Wirtschaftswissenschaftler feststellen, dass es zwar bei den bevorzugten
Gestaltungsformen unterschiedliche Geschmäcker gibt. "Diese sind aber erstaunlich
Bilder oben: Flachdächer lehnten die Befragten ab: Nur
drei Prozent bevorzugten das linke Bild, 88 Prozent das
gering ausgeprägt", sagt Mader. "Das würde es der Bauindustrie ermöglichen - wenn
rechte.
sie das Stilbedürfnis der Menschen aufgriffe -, standardisierte Lösungen zu
Bilder in der Mitte: Zwischen Altbauten mochten die
erarbeiten", so sein Hinweis. Besonders einig waren sich die Studienteilnehmer bei
Probanden keine moderne Architektur: Sechs Prozent
Fragen rund um den Gebäudekontext - also etwa die Homogenität der Bebauung eines
entschieden sich für die obere Variante, 88 Prozent für die
untere.
Straßenzuges: Zwischen Altbauten wollten sie keine moderne Architektur sehen, vor
Bilder unten: Durch architektonische Elemente belebte
allem die Größe der aus dem Rahmen fallenden Gebäude spielt offenbar eine wichtige
Dachflächen kamen gut an: 18 Prozent der Befragten gefiel
Rolle: Je größer und massiger, desto mehr lehnten die Probanden die Gestaltung ab.
das linke Bild besser, 77 Prozent das rechte.
"Baulücken sollten nicht solitär, sondern kontextbezogen gefüllt werden. Der Wunsch
Fotomontagen: Professur Finanzwirtschaft und
Bankbetriebslehre
von Bauherren, sich zu verwirklichen und Solitäre, also vom Kontext abweichende
Gebäude zu errichten, um aufzufallen, mindert den Wert der übrigen Immobilien des Ensembles", fasst Thießen zusammen.
Das Bedürfnis nach Stil schlägt sich auch in Zahlungsbereitschaft nieder, die mit Einkommen und Bildungsgrad zu- und mit dem Alter
abnimmt, erkennt die Studie. Menschen unterscheiden sich also weniger in ihrem Bedürfnis nach Stil, als in ihren Möglichkeiten oder ihrer
Bereitschaft, für Stil zu bezahlen. "Bauherren müssen sich des Einflusses von Stil auf den Immobilienwert bewusst werden und in
stilistischer Hinsicht angemessene Lösungen beauftragen, auch wenn diese zunächst etwas mehr kosten", so Mader. Architekten müssten
mehr Sicherheit in Stilfragen bekommen und Universitäten häufiger Stilkunde unterrichten. "Das Ideal des Architekten darf nicht der Bau
als Einzeldenkmal sein, sondern die Herstellung einer Harmonie mit dem Bestehenden. Dabei darf aber keine Langeweile entstehen.
Menschen wollen Abwechslung. Die Kunst liegt darin, Homogenität im Großen zu schaffen und im Kleinen gleichzeitig ausreichend zu
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variieren", sagt Thießen.
Ein ausführlicher Bericht über die Studie erscheint in der Zeitschrift "Immobilien und Finanzierung" des Fritz Knapp Verlages, Frankfurt.
Weitere Informationen erteilt Prof. Dr. Friedrich Thießen, Telefon 0371 531-26190, E-Mail [email protected].
Katharina Thehos
16.06.2010
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