Justizvollzug an Frauen im Wandel Neue Wohngruppe für Massnahmenvollzug Medienkonferenz 17.02.2012 Anstalten Hindelbank Justizvollzug an Frauen Entwicklungen und Besonderheiten Annette Keller Direktorin Anstalten Hindelbank Auftrag Anstalten Hindelbank Vollzug an eingewiesenen Frauen von Strafen gemäss StGB Art. 75 Massnahmen gemäss StGB Art 59, 60, 61und 63 Fürsorgerische Freiheitsentziehung nach ZGB Vollzug vom geschlossenen bis zum offenen Bereich (von Hochsicherheit bis Arbeitsexternat) 3 Platzangebot Anstalten Hindelbank 3 Wohngruppen Normalvollzug 1 Wohngruppe Therapie 1 WG Hochsicherheit und Integration 1 WG Mutter + Kind (plus 8 Kinder) 1 Aussenwohngruppe (Steinhof) Total 62 Plätze 17 Plätze 8 Plätze 6 Plätze 14 Plätze 107 Plätze 4 Anteil Kriminalität von Frauen (CH) 2010 Männer Frauen Beschuldigte (Polizei) 79.4% 20.6% Verurteilte (Justiz) 84.9% 15.1% Freiheitsentzug (Justizvollzug) Einweisungen 92.2 % 7.8 % Freiheitsentzug (Justizvollzug) Bestand 94.4% 5.6% Bundesamt für Statistik: http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/themen/19/04/04/01/01/01.html 5 Delikte Eingewiesene Anstalten Hindelbank 17.02.2012 6 Entwicklung Hauptdelikte 15.02.2012 7 Massnahmen / Therapien 17.02.2012 8 Massnahmen stationär Entwicklung 9 Entwicklungen • • • • • • Zunahme Gewaltdelikte Zunahme Massnahmen (StGB-Revision) Abnahme BtmG-Delikte Längere und undefinierte Aufenthaltsdauer Zunahme psychische Störungen und Therapien Verschiebung vom offenen zum geschlossenen Vollzug 10 Besondere Herausforderungen im Justizvollzug für Frauen 11 Kernaufgaben Justizvollzug Innere und äussere Sicherheit Grundversorgung & Alltagsgestaltung Entwicklung & Reintegration Wohnen Ernährung Arbeit / Tagesstruktur Gesundheitsversorgung Freizeit / Bildung Kontaktpflege Ziel: positive Legalprognose • individuelle Vollzugsplanung • Lernfelder Kompetenzen • Therapie / Deliktaufarbeitung 12 Besonderheiten Justizvollzug an Frauen Vielfalt Alle Vollzugsformen und –stufen in einer Institution von Hochsicherheit bis Arbeitsexternat, Strafen und Massnahmen Sicherheit weniger physische Gewalt andere Konfliktformen Umgang mit Emotionen Suizidalität Selbstverletzungen 13 Besonderheiten Justizvollzug an Frauen Grundversorgung & Alltagsgestaltung Psychische Störungen: emotionale Instabilität selbstschädigendes Verhalten Depressionen prekäre Gesundheit Trennung von Kindern und Familie Wohn- und Lebensatmosphäre Entwicklung & Reintegration Gewalt- / Missbrauchserfahrungen Posttraumatische Belastungsstörungen Emotionale Instabilität Bedeutung von Beziehungen Verantwortung gegenüber Kindern Integrationschancen Arbeitsmarkt 14 Massnahmenvollzug in den Anstalten Hindelbank Susanne Nick Leiterin Vollzug & Sozialarbeit Anstalten Hindelbank Art. 59 StGB Behandlung von psychischen Störungen 1 Ist der Täter psychisch schwer gestört, so kann das Gericht eine stationäre Behandlung anordnen, wenn: a. b. 2 der Täter ein Verbrechen oder Vergehen begangen hat, das mit seiner psychischen Störung in Zusammenhang steht; und zu erwarten ist, dadurch lasse sich der Gefahr weiterer mit seiner psychischen Störung in Zusammenhang stehender Taten begegnen. Die stationäre Behandlung erfolgt in einer geeigneten psychiatrischen Einrichtung oder einer Massnahmevollzugseinrichtung. Ziel der Massnahme (Art. 62 StGB) Bedingte Entlassung: • 1 Der Täter wird aus dem stationären Vollzug der Massnahme bedingt entlassen, sobald sein Zustand es rechtfertigt, dass ihm Gelegenheit gegeben wird, sich in der Freiheit zu bewähren. Von der Hochsicherheit bis zum Arbeitsexternat, Kontinuität unter einem Dach Merkmale • • • • • • • Neu: Wohngruppe Therapie Eigene Abteilung für Massnahmenvollzug Durchlässige Kontinuität von Integration über geschlossenen und offenen Vollzug bis Arbeitsexternat Verknüpfung Vollzug - Therapie Milieutherapie Einzel- und Gruppentherapien Einbindung in Gesamtbetrieb Hochsicherheit und Integration • • • • • • • Kleine Gruppe (5 Eingewiesene) Hoher Personalspiegel Strukturierter Tagesablauf Begleitete Gruppenkontakte Individuelle Arbeitsangebote Selektive Bildungsangebote Eng begleitete Entwicklungsschritte in Form von voneinander abhängigen Modulen • Einzeltherapie Wohngruppe Therapie • • • • • • • • • Offener Gruppenvollzug mit klaren Strukturen Erhöhter Personalspiegel Soziotherapeutisches Milieu Zugang zu Arbeit und Bildung wie Normalvollzug Deliktorientierte Einzeltherapie Gruppentherapie, Psychoedukation Begleiteter Aufbau von Aussenkontakten Hilfe zur Selbsthilfe Förderung der Eigenverantwortung Aussenwohngruppe Steinhof • Offene Strukturen • Gezielte Förderung der Selbständigkeit und der Selbstverantwortung • Nutzung öffentlicher Bildungsangebote • Sozialarbeiterische Begleitung • Erweiterte Kontaktpflege nach aussen • Aufbau des sozialen Empfangsnetzes • Arbeitsexternat • Wiedereingliederung in die Gesellschaft Besondere Herausforderungen im Massnahmevollzug an Frauen Dr. Dorothee Klecha Leitende Oberärztin Forensisch Psychiatrischer Dienst der Universität Bern (FPD) Störungen (Anstalten Hindelbank 15.01.2012) Störung (ICD-10)* Anzahl (N = 25) Multipler Substanzgebrauch (F 19) 15 Persönlichkeitsstörungen (F60, F 61) 15 Schizophrenie/schizoaffektive Störung (ICD-10: F 20, F 25) 4 Intelligenzminderung (F7) 4 Tiefgreifende Entwicklungsstörungen 4 *Mehrfachnennung möglich Persönlichkeitsstörungen Gruppe Anzahl Art ICD-10 Anzahl A („exentrisch“) 2 Paranoid F 60.0 1 Schizoid F 60.1 1 dissozial F 60.2 4 Emotional instabil F 60.3 8 histrionisch F 60.4 1 narzisstisch F 60.8 3 zwanghaft F 60.5 0 Ängstlich selbstunsicher F 60.6 0 abhängig F 60.7 0 Borderline/Dissozial Borderline/narzisstisch F 61 1 1 B („dramatisch“) C („ängstlich“) kombiniert 16 0 3 Selbstverletzendes Verhalten und Suizidalität • Selbstverletzendes Verhalten: 7/25 • Suizidalität: 4/25 Interventionen und Therapie • Einzeltherapie (kognitiv-verhaltenstherapeutisch, delikt- und störungsspezifisch) • Gruppentherapie (Störung, Delikt, kriminogene Risikofaktoren) • Verknüpfung Vollzug Therapie • Einbettung in Gesamtbetrieb Intervention Inhalte Manual Empfeh lung Aufnahmeassessment Diagnostik, kriminogenen Faktoren, HCR-20 „Zürich“ GCP Sucht Substitution Gemäss Leitlinien *** Motivationsgruppe Motivational Interviewing *** Rückfallprophylaxe (Æ Delikt) Klos & Görgen (2009) ** Interaktive Skills Programm für Bordeline Patienten Bohus & Wolf (2011) *** Schematherapiegruppe (Æ Delikt) Beckly & Gordon (2004) 2010) ** Soziale Kompetenztraining Hintsch & Pfingsten (2007) * Intelligenzminderung Emotionsregulation/soz. Kompetenzen Programmzusammenstellung von Marti, Loretan (2010,11) GCP Psychosen Psychoedukationsgruppe (Æ Delikt) Bäumel et al. (2010) ** Kriminogene Faktoren Reasonning & Rehabilitation 2 Ross et al. () ** Persönlichkeitsstörung/ Problemverhalten Wirksamkeit • Qualitätssicherung forensischer Therapien in der Strafanstalt Hindelbank (Projektleiter: Prof. Dr. Dr. M. Peper) Arbeitsgruppe: K. Bersier, N. Loretan, D. Klecha, J. Steinbach • Ergänzung des laufenden Modellversuchs des EJPD, Bundesamt für Justiz („neue psychotherapeutische Interventionsprogramme und Evaluationskonzepte im Schweizer Strafvollzug“) Fragestellung • • • Ist bei weiblichen Inhaftierten die Kombination aus störungsspezifischer Therapie und Deliktarbeit wirksam im Hinblick auf 1. auf die Veränderung zentraler, mit der Delinquenz zusammenhängender Variablen (z.B. Emotionsregulation, Empathiefähigkeit, Reduktion kognitiver Verzerrungen) 2. die Senkung von Rückfälligkeit Durchführung • 3 Gruppen: Gruppe und Einzeltherapie, Einzeltherapie (im Vollzug) vs. Keine Therapie • Dauer: 4 Jahre, follow-up. Wohngruppe Therapie Katharina Bersier, lic.phil. Leitende Psychologin FPD, Leiterin Psychotherapie WG Therapie Silvia Loosli Leiterin Wohngruppe Therapie Ziele • Verbesserung Legalprognose • Therapeutische Milieu schaffen • Therapeutischer Schwerpunkt (therapeutische Effizienz) • Zusammenarbeit Therapie & Betreuung (erhöhter Infogehalt) • Haltungen, Ziele sind transparenter und können realistisch aufeinander abgestimmt werden • Spezifischere Weiterbildung, speziell ausgebildetes Personal • Keine Isolierung (Besuche, Arbeit, Sport) Für wen? Aufnahmekriterien Kontraindikation ( Art. 59, 60, 61 ( Evtl. 63 ( ( ( ( ( Mangelnde Belastbarkeit Akute Psychose Akute Suizidalität Fremdgefährdung Fehlende Gruppenfähigkeit C Sprache C Therapiefähigkeit C Therapiebereitschaft Gruppen psychischer Erkrankungen nach ICD-10 (nach Nedopil, 2007) Einzeltherapie • 50min/ Woche (evtl. 2Mal) • Kognitiv-behavioral, störungs- und deliktspezifisch • Deutsch, Englisch, Französisch • keine Therapeutenwahl Gruppentherapien Gruppentherapie ( Zuteilung zu Gruppen ( Gruppen auf Deutsch, evtl. Französisch wenn min 3 Eingewiesene ( Teilnahme von Betreuung Informationsgruppe Massnahmen Dauer: 4 Termine à 75 Minuten ( Sinn und Zweck der Massnahmen ( Aufklärung konkretes Therapieangebot Reasoning & Rehabilitation 2: Dauer: 14 Sitzungen, wöchentlich à 120 Minuten ( kognitiv-verhaltenstherapeutisches Trainingsprogramm ( V.a. für Menschen mit antisozialem Verhalten ( Training in prosozialem geschicktem Denken, Fühlen und Verhalten anzubieten (prosoziale Kompetenzen) ( Konflikt- und Problemlösefähigkeit stärken. Motivationsgruppe für Drogenabhängige Dauer: 4 Sitzungen, wöchentlich à 120 Minuten ( Vor Beginn der Suchtgruppe ( Problembewusstsein schaffen ( Abstinenzmotivation aufbauen bzw. stärken. ( V.a. psychoedukative Aspekte ( allgemeine Gesetzmässigkeiten von Veränderungsprozessen. Rückfallprophylaxe für Drogenabhängige (Klos & Görgen 2009) Dauer: 20 Sitzungen, wöchentlich à 120Minuten ( Minimale Veränderungsmotivation bezüglich Suchtmittelkonsums ist Voraussetzung für die Teilnahme am Rückfallprophylaxeprogramm ( Wissensvermittlung bezüglich Abhängigkeit ( abzuhandelnden Themen modulartig aufgebaut des Psychoedukationsgruppe für Psychosen nach Bäuml et al. (2010) Dauer: 11 Sitzungen, wöchentlich à 60 Minuten (schizophrene bzw. wahnhaften Störungen (aufeinander aufbauende Module Training zum Erlernen emotionaler und sozialer Kompetenzen (Hinsch & Pfingsten (2007), Hinsch & Wittmann (2010), Bohus & Wolf (2011): Dauer: Wöchentlich à 120Minuten/ 1Jahr ( Fähigkeiten zur Selbstregulation erarbeitet ( Emotionsregulation (Skillstraining) ( intensives Training sozialer Kompetenzen (zwischenmenschliche Fertigkeiten, Selbstwert) Schematherapiegruppe für Persönlichkeitsstörungen (Beckley und Gordon (2004/2010) Dauer: Wöchentlich à 120 Minuten über 12-18 Monate ( schwerer Persönlichkeitsstörungen ( Integrative Therapie ( erlebnisbasiert und emotionsfokussiert ( störungs- als auch deliktorientiert ( Persönlichkeitsanteile werden mit Delikt in Zusammenhang gebracht Milieutherapeutische Gemeinschaft Das Milieu in der WG Therapie ist darauf ausgerichtet, ein optimales Lernfeld zu bieten, wo in der Therapie Erarbeitetes einzeln und miteinander geübt und trainiert werden kann. Wir begegnen uns mit Achtung und Respekt, damit Lernen und Entwicklung möglich sind. • • • • • • Sozialer Organismus → alle beeinflussen sich gegenseitig Gezielte Führung, Begleitung und Förderung der Eingewiesenen im Bezugspersonensystem (Soziotherapie) mit individuell ausgestaltetem Vollzugsplan (Case Management / Integrierte Sozialarbeit) Multiprofessionelles Betreuungsteam, einheitliche Haltung (Offenheit, Transparenz, Wertschätzung, Kongruenz) Doppelpräsenz Betreuungspersonal Tagesstrukturen, Normalisierung Beziehungsarbeit im Zwangskontext → äusseren Zwang in innere Motivation wandeln Mögliche Lernfelder • • • • • • • • • • • • Drogenabstinenz und Respekt vor Abstinenzwilligen Training von allgemeinen Lebenskompetenzen (Ernährung, Hygiene, Wohnen, Bewegung, Kleidung etc.) Pflege von gesunden Beziehungen Sinnvolle Freizeitgestaltung Umgang mit Regeln (Rechte und Pflichten) Abschätzen von Konsequenzen des eigenen Verhaltens Erkennen und Respektieren von Grenzen Adäquate Reaktion auf - und Bearbeitung von Problemen Offene Bearbeitung von Konflikten Aushalten unangenehmer Gefühle Angemessenes Anbringen eigener Belange gegenüber anderen Personen Akzeptieren von Andersartigkeit Gemeinsame Aktivitäten mit den Eingewiesenen • • • • • • Konfliktbearbeitung, Erarbeiten von Lösungsvorschlägen, Infogefäss etc Bewusstes Leben in der Gruppe Gemeinsame Mahlzeiten, Gruppenkochen am Wochenende Hausämtli , Freitagsputz Themenabende Hausversammlung: Gruppenregeln, Reflektion des Gruppengeschehens, Zusammenarbeit Vollzug - Therapie • • • • • • • • Physische Präsenz der Psychologin in der Wohngruppe Dienstübergaben Teamsitzungen, Fallbesprechungen, Forensiksitzungen, med. psych. Visiten Supervision Weiterbildungen Bilateraler Austausch Bezugsperson – Therapeutin Interdisziplinäre Standortbestimmungen Gemeinsames Erarbeiten von Konzepten Wochenplan Wohngruppe Therapie 06.30 07.00 Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag Aufschluss Aufschluss Aufschluss Aufschluss Aufschluss 06.30 07.00 07.30 - 08.30 Hausversammlung Freitagsputz 07.30 08.00 08.30 09.00 09.30 10.00 10.30 11.00 11.30 12.00 12.30 13.00 13.30 BiSt 07.30 08.00 G1: 07.30 - 09.00 08.30 09.00 09.30 10.00 BiSt 10.30 G2: 10.00 - 11.30 11.00 11.30 Mittagessen 12.00 12.30 13.00 13.30 BiSt 14.00 G3: 13.00 - 14.25 14.30 G4: 14.25 - 16.00 15.00 15.30 16.00 16.30 17.00 17.30 Abendessen 18.00 Sport & Spiel 18.30 18.30 - 20.00 19.00 (freiwillig) 19.30 20.00 20.30 21.00 Einschluss BiSt G2: 07.30 - 09.00 Gruppentherapie: 09:45 - 11:30 Mittagessen BiSt Sport am Mittwoch G1: 10.00 - 11.30 11.10 - 11.30 (obli.) Mittagessen Mittagessen BiSt G4: 13.00 - 14.25 G3: 14.25 - 16.00 Abendessen Abendessen Abendessen WG Abend (freiwillig) 18.30 - 20.00 Besuchsabend alle WGs 18.15 - 20.15 Kraftraum Aufschluss Laufgruppe 10.00 - 10.45 Aufschluss Mittagessen Mittagessen Brunch Areal 12.30 - 14.30 Areal 12.30 - 14.30 Turnhalle 15.00 - 16.30 Turnhalle 15.00 - 16.30 evtl. Freitagsputz fertigstellen Abendessen Abendessen Einschluss Wohngruppenkochen Kraftraum Einschluss Einschluss Sonntag Gruppentherapie: 09:45 - 11:30 Gruppentherapie 16.00 - 18.00 Mediathek Samstag Einschluss Einschluss Einschluss 14.00 14.30 15.00 15.30 16.00 16.30 17.00 17.30 18.00 18.30 19.00 19.30 20.00 20.30 21.00