fortbildung Warnsymptome in der Schwangerschaft Julia J. Löytved-Hardegg, Irene Hösli CLIPAREA.com - Fotolia Kritische Situationen während der Schwangerschaft müssen rechtzeitig erkannt werden, um für Mutter und Fetus rechtzeitig bedrohliche Verläufe abzuwenden. Wie kann der Hausarzt Beschwerden seiner Patientinnen in dieser Phase korrekt deuten und Warnsymptome, die eine sofortige Einweisung und Abklärung nach sich ziehen müssen, von physiologischen Schwangerschaftssymptomen abgrenzen? 62 Der Allgemeinarzt 15/2016www.allgemeinarzt-online.de CME fortbildung N tabelle 1 Warnsymptome in der Schwangerschaft ebenstehende Tabelle (Tabelle 1) gibt eine Übersicht über die wichtigsten Warnsymptome in der Schwangerschaft, auf die im Folgenden eingegangen werden soll: Physiologische Beschwerden sind selten ein Hinweis für einen pathologischen Verlauf, sollten aber bei Persistenz abgeklärt werden (Tabelle 2). Symptome Mögliche Ursache Andere Ursachen Abklärungen (ergänzend zur klinischen Untersuchung) Abnehmende/ fehlende Kindsbewegungen Hinweis für ­fetale Hypoxie, intrauteriner Fruchttod (IUFT) Vorderwandplacenta, Oligo-/Polyhydramnion, mütterliche Position/­ Tätigkeit Cardiotokogramm (CTG), Ultraschall (US) + DopplerUntersuchung, HbF-Zellen, Infektabklärung, HbA1c, Thrombophilieausschluss Blutungen Vorzeitige Placentalösung, Randsinusblutung, Placenta praevia, Vasa praevia, Uterusruptur Ektopieblutung, Zervix­ polyp, Zeichnungsblutung, Abortgeschehen (in der Frühschwangerschaft) Blutungsstärke, Vitalparameter, Urinausscheidung, Spekulumuntersuchung, CTG, transabdominaler/vaginaler Ultraschall, fetaler Doppler, Blutbild (BB), Type & Screen, HbF-Zellen, Gerinnung, Urinstatus Kopfschmerzen, Sehstörungen Präeklampsie (ab Migräne, zerebrovaskuläres Ereignis (Sinusveca. 20. SSW) nenthrombose, Aneurysmablutung etc.) Blutdruck (RR), Urinstatus, BB (Hb, Tc), Chemogramm (Leberwerte, Nierenwerte, Haptoglobin, CRP), Gerinnung, CTG, US, MRI Übelkeit/Erbrechen Präeklampsie (ab Gastrointestinaler Inca. 20. SSW) fekt bzw. Erkrankungen, Emesis gravidarum RR, Urinstatus, BB (Hb, Tc), Chemogramm (s. o.), Gerinnung, US, CTG Abdominalbeschwerden HELLP (ab ca. 20. SSW), vorzeitige Placentalösung, (vorzeitige) Wehentätigkeit Appendizitis, Ovarialtorsion, Cholezystitis, HWI, Obstipation, Sodbrennen, Lumbago RR, Urinstatus, -bakteriologie, BB (Hb, Tc), Chemogramm (s. o., insbes. Leberwerte, Hämolysezeichen, CRP) Gerinnung, CTG, US, vag. Untersuchung, vag. US, vag. Bakteriologie, Fibronektintest Flüssigkeitsabgang Vorzeitiger Blasensprung Vaginaler Infekt, Vaginalsekret CTG, US, Spekulumuntersuchung: Nativ, Vaginal-pH, PAMG-1- oder IGFBP-Test (Fruchtwassernachweis vaginal), Vaginalbakteriologie, BB, CRP Fieber, Schüttelfrost, Sepsis Chorioamnionitis Pneumonie, Pyelo­ nephritis, perforierte Appendizitis, bakterieller oder viraler Infekt Vitalparameter, O2-Sättigung, Atemfrequenz, Urin­ ausscheidung, BB, CRP, Gerinnung Blutkulturen, CTG, US Miktionsbeschwerden HWI Urinstatus und -bakteriologie, lokale Inspektion 1. Abnehmende/fehlende Kinds­ bewegungen Kindsbewegungen werden von der Schwangeren etwa ab der 18. – 20. SSW wahrgenommen und erreichen ein Plateau an Intensität und Frequenz mit ca. der 32. SSW. Zffoto - Fotolia Die Kindsbewegungen zeigen zyklische Schlafund Wachrhythmen. Eine Schlafphase dauert in etwa 20 bis 40 Minuten. Als normal wird eine Frequenz > 10 Bewegungen in 2 Stunden angesehen. Die Kindsbewegungen werden von vielen Faktoren beeinflusst (z. B. mütterliche Position/Tätigkeit, Lokalisation der Plazenta, mütterliche Erkrankungen und Medikation, fetaler Zustand) und geben Hinweise auf die zentralnervöse Ausreifung und neuromotorische Integrität des Fetus (Tabelle 3) [15, 22]. Nephrolithiasis, Vulvitis Die Kindsbewegungen geben Hinweise auf den Zustand des Fetus. Innerhalb der fetalen Verhaltenszustände sind sowohl im fetalen Tiefschlaf (30 %) als auch in der ruhigen Wachphase (1 – 3 %) keine oder nur sporadische Kindsbewegungen vorhanden. Bei Feten mit intrauteriner Wachstumsretardierung ist die aktive Wachphase (6 – 8 %) mit besonders heftigen und lang anhaltenden Kindsbewegungen deutlich seltener [11]. 8 – 10 % der Schwangeren im dritten Trimenon geben reduzierte Kindsbewegungen an. Bei 55 % der intrauterinen Todesfälle hatten die www.allgemeinarzt-online.de Abnehmende Kindsbewegungen können ein Hinweis auf eine fetale Beeinträchtigung sein und müssen weiter abgeklärt werden. → Der Allgemeinarzt 15/2016 63 fortbildung Schwangeren zuvor abnehmende Kindsbewegungen wahrgenommen [17, 15]. Als häufigste Ursachen für einen intrauterinen Fruchttod (IUFT) werden angenommen: Funktionsstörungen der Plazenta (34,4 %) und vorzeitige Plazentalösungen (11,0 %), letale Fehlbildungen (7,3 %), Infektionen (7,9 %), Nabelschnurkomplikationen (7,3 %) [16]. Falls es sich anamnestisch um eine Risikoschwangerschaft handelt, sollte die Schwangere beim Frauenarzt vorgestellt werden. Falls es sich anamnestisch um eine unauffällige Schwangerschaft handelt, sollten die fetalen Herztöne auskultiert und eine Routine-Schwangerschaftsuntersuchung durchgeführt werden (RR, Puls, Urin, Temperatur, Gewicht, Leopoldsche Handgriffe). Die Schwangere sollte über die fetalen Bewegungen informiert und diese über zwei Stunden in Linksseitenlage beobachtet werden. Sind weniger als zehn Bewegungen in zwei Stunden zu verzeichnen bzw. besteht weiter Unsicherheit, sollte die Schwangere beim Frauenarzt vorgestellt werden [15]. 2. Vaginale Blutung Vorgeburtliche Blutungen ereignen sich in 3 – 5 % der Schwangerschaften und zählen zu den Hauptursachen perinataler und maternaler Mortalität weltweit. 20 % der Frühgeburten resultieren aus einer antepartalen Blutung [12]. Die Ursache der Blutung muss geklärt und ggf. behandelt werden, um bedrohliche Verläufe abzuwenden. In der Frühschwangerschaft kann eine Blutung Zeichen für ein Abortgeschehen sein. Ab ca. 24. SSW ist von der extrauterinen Lebensfähigkeit des Fetus auszugehen. Neben lokalen Blutungsursachen wie der physiologischen Zeichnungsblutung bei Geburtsbeginn oder Infektionen (Kolpitis/HWI) und Verletzungen im Genitalbereich (z. B. Ektopieblutung nach Geschlechtsverkehr) oder dem Zervixkarzinom gibt es potenziell akut bedrohliche Blutungsursachen wie die vorzeitige Plazentalösung, die Placenta oder Vasa praevia. Diese gehen mit schwerwiegenden mütterlichen und fetalen Komplikationen einher. Man unterscheidet eine leichte Blutung (minor haemorrhage < 50 ml) von einer starken Blutung (major haemorrhage: 50 bis 1.000 ml ohne Schockzeichen) und einer massiven Blutung (massive haemorrhage: > 1.000 ml und/oder Schock). Der Blutverlust wird oft unterschätzt 64 tabelle 2 Symptome, die physiologisch in der Schwangerschaft sind, bei Persistenz oder Beschwerdezunahme jedoch weiterer Abklärung bedürfen Physiologische Symptome Pathophysiologie bei Persistenz, akuter Verschlechterung Abklärungen Obstipation Subileus, Ileus, Obstruktion, inflammatorische Darmerkrankung MRI, Kolonoskopie Schwere Beine, Atembeschwerden Tiefe Beinvenenthrombose, Lungenembolie Duplexsonographie, D-Dimer-Bestimmung, Blutgasanalyse, SpiralCT, kardiale Abklärung Müdigkeit Chronische Anämie, Niereninsuffizienz, chronischer Infekt BB, Eisenstatus, Retikulozyten, Vit. B12, Thalassämieabklärung, CRP, Retentionsparameter Trockene Haut – Pruritus Intrahepatische Cholestase ASAT, ALAT, Bilirubin, Gallensäuren (nüchtern) und entspricht nicht immer einer sichtbaren vaginalen Blutung. Eine vorzeitige Plazentalösung geht gelegentlich nur mit einer okkulten – aber nicht weniger bedrohlichen – Blutung einher. Ein brettharter, schmerzhafter Uterus kann darauf hinweisen und muss unbedingt erkannt werden. Zur Beurteilung des Blutverlustes ist es daher wichtig, auf klinische Schockzeichen zu achten und den fetalen Zustand in die Beurteilung einzubeziehen (zunächst mütterliche, dann fetale Zustandsbeurteilung: Vitalparameter, Herztöne, Schmerzen). 3. Vaginaler Flüssigkeitsabgang Die wichtigste Differenzialdiagnose des vaginalen Flüssigkeitsabganges ist der vorzeitige Blasensprung. Die Eröffnung der Fruchtblase ist in der Regel von Wehen gefolgt und muss erkannt werden, um ungünstige Verläufe – insbesondere eine Chorioamnionitis – abzuwenden und/ oder im Rahmen einer drohenden Frühgeburt zwischen 24. und 34. SSW eine Lungenreifung durchzuführen [14]. Je länger die Fruchtblase eröffnet ist, desto größer wird das Risiko eines Amnioninfektionssyndroms. Differenzialdiagnostisch muss an einen Vaginalinfekt gedacht werden. Ist dies ausgeschlossen, lässt sich das Symptom oft durch die vermehrte Vaginalsekretion, Schwitzen oder ungewollten Urinabgang erklären. Da eine vaginale Blutung in der Schwangerschaft ein Zeichen für einen geburtshilflichen Notfall sein kann, sollte die Patientin (nach Stabilisierung) unmittelbar in einer geburtshilflichen Klinik vorgestellt werden [12] . Zur Abklärung sollte eine geburtshilfliche Untersuchung mit vaginaler Spekulumeinstellung (Zeichen eines Blasensprunges, pH- und/oder Farnkraut-Test zum Nachweis von Fruchtwasserproteinen (AmniSure®, Actim PROM Test®)), Der Allgemeinarzt 15/2016www.allgemeinarzt-online.de CME fortbildung tabelle 3 Schwangerschaftsfaktoren und -Outcomes, die mit verminderten Kindsbewegungen assoziiert sein können [22] Schwangerschaftsfaktoren Schwangerschafts-Outcomes Intrauterine Wachstumsretardierung (IUWR) Kongenitale Fehlbildungen „Small for gestational age“-Feten Frühgeburtlichkeit Plazentainsuffizienz Perinatale Hirnschädigung Oligohydramnion Störungen der neurologischen Entwicklung Vorzeitige Wehentätigkeit Niedriges Geburtsgewicht Fetomaternale Transfusion Niedriger Apgar-Wert Intrauterine Infektionen Fetale Hypoglykämien 4. Kopfschmerzen/Sehstörungen Sectio caesarea Geburtseinleitungen Intrauteriner Fruchttod (IUFT) Neonataler Tod Vaginaler Flüssigkeitsabgang in der Schwangerschaft erfordert den Ausschluss eines vorzeitigen Blasensprunges. tabelle 4 Diagnostische Kriterien der Präeklampsie Erhöhter Blutdruck ≥ 140 mmHg systolisch oder ≥ 90 mmHg diastolisch während zwei Messungen mit mind. 4 Stunden Abstand bei Frauen nach der 20. SSW ohne vorbekannte Hypertonie ≥ 160 mmHg systolisch oder 110 mmHg diastolisch während mehrerer Messungen hintereinander in einem kürzeren Zeitintervall (Minuten) und Proteinurie ≥ 300 mg/24h oder Protein (mg/dl)/Kreatinin(mg/dl)-Ratio ≥ 0,3 Proteinurie von 1+ im Teststreifen (falls andere Methoden nicht verfügbar sind) oder in Abwesenheit einer Proteinurie: eine neu aufgetretene Hypertonie mit mindestens einem der folgenden neu aufgetretenen Symptome: Thrombo­ zytopenie Thrombozytenzahl ≤ 100.000/µl Nieren­ insuffizienz Serum-Kreatinin-Konzentration: > 1,1 mg/dl oder Verdopplung ohne andere Nierenerkrankung Gestörte Leberfunktion Transaminasenerhöhung über das Doppelte der Norm Lungenödem Zentralnervöse Symptome/­ Sehstörungen nach [1] www.allgemeinarzt-online.de Nativ-Abstrich, Vaginalbakteriologie, CTG und ggf. Ultraschall erfolgen. Eine Blutbild- und CRPBestimmung kann die Untersuchung ergänzen und einen systemischen Infekt ausschließen. Kopfschmerzen sind auch in der Schwangerschaft häufig: Ca. 10 % der Schwangeren sind betroffen [20]. Klagt eine Schwangere in der zweiten Schwangerschaftshälfte oder postpartal über Kopfschmerzen oder Sehstörungen, sollte zunächst eine Präeklampsie ausgeschlossen werden. Die diagnostischen Kriterien einer Präeklampsie sind in Tabelle 4, die Häufigkeit der Symptome, die einer Eklampsie vorausgehen können, in Tabelle 5 dargestellt. Spätestens mit der Diagnosestellung einer Präeklampsie sollte die Patientin in einer geburtshilflichen Klinik vorgestellt werden. Prinzipiell ist die Therapie der Wahl die Entbindung nach Stabilisierung der Patientin. Je nach Schwangerschaftsalter und Dynamik der Erkrankung ist vorher eine Lungenreifungsinduktion und/ oder engmaschige Überwachung der Patientin sinnvoll. Sind bedrohliche Differenzialdiagnosen der Kopfschmerzen (vgl. Tabelle 1) ausgeschlossen bzw. unwahrscheinlich, kann ein Therapieversuch z. B. mit Paracetamol bis 4 x 1 g/d p. o. unternommen werden. 5. Kontraktionen, Wehen, ­abdominale Beschwerden Mittels Palpation, Tokogramm und vaginalsonographischer Zervixmessung kann eine eventuell zervixwirksame Wehentätigkeit festgestellt werden. Die vaginale Untersuchung mit Kon­ trolle von pH, Nativpräparat und Vaginalbakteriologie kann einen Vaginalinfekt als mögliche Ursache aufdecken, der vaginale Nachweis von fetalem Fibronektin kann zur Einschätzung des Risikos einer drohenden Frühgeburt herangezogen werden. Die abdominale Ultraschalluntersuchung gibt Hinweise auf mögliche ute- → Der Allgemeinarzt 15/2016 65 fortbildung rine oder fetale Ursachen vorzeitiger Wehen; ein BB, CRP und Urinstatus können auf einen systemischen Infekt bzw. einen Harnwegsinfekt oder eine Pyelonephritis hinweisen, die oft ebenfalls mit Wehentätigkeit einhergehen. Leidet die Schwangere unter Oberbauchschmerzen, muss eine Präeklampsie bzw. ein HELLPSyndrom ausgeschlossen werden. Auch an eine vorzeitige Plazentalösung (s. o.) sollte bei Abdominalschmerzen gedacht werden. Obstipationsbedingte Beschwerden können durch stuhlregulierende Maßnahmen und ergänzend mit Flohsamenschale, Magnesium oder ggf. einem Glycerol-Suppositorium behandelt werden. tabelle 5 Häufigkeit von Symptomen vor einer antepartal bzw. postpartal auftretenden Eklampsie [6] Symptome Antepartum n=31 (%) Postpartum n=15 (%) Kopfschmerzen 25 (81) 13 (87) Sehstörungen 14 (45) 7 (47) Epigastrischer Schmerz 4 (13) 5 (33) Übelkeit / Erbrechen 0 (0) 1 (6) Asymptomatisch 5 (17) 1 (6) Proteinurie 18 (58) 5 (33) Schwere Hypertonie 24 (77) 6 (40) Chris Tefme - Fotolia 6. Fieber, Schüttelfrost, Sepsis Klagt eine Schwangere über abdominale Beschwerden oder Rückenschmerzen, muss neben den nicht-schwangerschaftsspezifischen Ursachen auch an vorzeitige Wehen mit eventuell drohender Frühgeburtlichkeit, einen Infekt, eine Präeklampsie/HELLP und eine vorzeitige Plazentalösung gedacht werden. 66 In den letzten Jahren ist die maternale sepsisbezogene Mortalitätsrate im Vereinigten Königreich Großbritannien von 0,85/100.000 zwischen 2003 und 2005 auf 1,13/100.000 zwischen 2006 und 2008 gestiegen, so dass die Sepsis nun die häufigste direkte mütterliche Todesursache darstellt [5]. Unter den maternalen infektionsbedingten Todesfällen zwischen 2009 und 2012 waren 20 auf eine GenitaltraktSepsis durch A-Streptokokken oder E. coli zurückzuführen, 36 auf Influenza und 27 auf Infektionen anderer Ursache (Pneumokokken, Appendizitis, Herpes, Tuberkulose ...) [9]. Eine schwere Sepsis mit akuter Organdysfunktion weist eine Mortalität von 20 – 40 % auf, die auf 60 % steigt, wenn sich ein septischer Schock entwickelt. Eine Chorioamnionitis geht mit einem erhöhten Risiko für eine kindliche Enzephalopathie und Zerebralparese einher [13]. Übersicht 1 führt die wichtigsten Risikofaktoren für eine Sepsis in der Schwangerschaft auf. Schwangere erleiden häufig besonders rasch progrediente Krankheitsverläufe, die Symptome sind oftmals jedoch weniger deutlich als außerhalb der Schwangerschaft. Es ist daher wichtig, die Krankheitszeichen frühzeitig zu erkennen, sie richtig einzuordnen und zu behandeln [13]. Da die Vitalparameter – Wegweiser einer drohenden, möglicherweise schwerwiegenden Erkrankung – in der Schwangerschaft deutlich verändert sein können, wurden im letzten Jahr durch eine Arbeitsgemeinschaft des National Partnership for Maternal Safety mütterliche Frühwarnzeichen erarbeitet, die leicht zu er- Risikofaktoren für die Entwicklung einer Sepsis in der Schwangerschaft [13] ••Adipositas ••Gestationsdiabetes ••Immunsuppression/Immundefizienz ••Anämie ••Vaginaler Ausfluss ••Pelvic Infection in der Vorgeschichte ••St. n. Amniocentese oder anderen invasiven Prozeduren ••Cerclage ••Länger bestehender Blasensprung ••Vorkommen von GruppeA-Streptokokken im nahen Umfeld ••Angehörige ethnischer Minderheiten/schwarze Hautfarbe Übersicht 1 Der Allgemeinarzt 15/2016www.allgemeinarzt-online.de CME fortbildung Diese Frühwarnzeichen sind nicht spezifisch für eine Sepsis, können aber darauf hinweisen. Weitere Symptome wie Fieber > 38°C oder eine Körpertemperatur < 36°C, Diarrhö, Erbrechen, Exantheme, abdominale Schmerzen, pathologischer Fluor vaginalis, produktiver Husten oder Miktionsbeschwerden können Zeichen für das Vorliegen einer systemischen Infektion bzw. deren Ursache sein. Als erste Maßnahmen sollten bei Verdacht auf eine Sepsis Blutkulturen und je nach verdächtigem Fokus entsprechendes Material (Urin/ Abstriche) zur mikrobiologischen Untersuchung entnommen werden. Eine zügige Blutentnahme mit Bestimmung der Laborparameter einer Infektion und evtl. Organbeteiligung (Leukozytose/-penie, Thrombozytopenie, CRP, Laktat, Blutzucker, Kreatinin, Leberparameter, Gerinnung und Blutgase) gibt Hinweise auf den Schweregrad der Erkrankung. Möglichst innerhalb einer Stunde nach der Verdachtsdiagnose sollte eine Breitspektrumantibiotikatherapie begonnen werden. Evtl. muss die Fokussuche durch eine Bildgebung ergänzt werden [13, 2]. Unter den vielen Ursachen einer schwerwiegenden Infektion soll hier gesondert auf die Influenza eingegangen werden, da sie saisonal häufig vorkommt und Schwangere besonders gefährdet sind, schwerwiegende Verläufe bzw. Komplikationen zu erleiden [18, 7, 23, 8, 4]. Die Warnsymptome einer Influenza sind Fieber (97 %), Husten (94 %), Kopfschmerzen (47 %), Halsschmerzen (35 %) und Myalgie (35 %). Bereits bei Influenza-Verdacht sollte eine Therapie mit Oseltamivir (Tamiflu®) 75 mg p. o. 1-0-1 für fünf Tage begonnen werden, falls der Influenza-Nachweis negativ ausfällt, kann die Therapie gestoppt werden. Zur ergänzenden Therapie kann auch bei Schwangeren Paracetamol bis 4 g/d angewandt werden. Präventiv sollten schwangere Frauen ab dem zweiten Trimenon zu Beginn der Grippesaison geimpft werden [3]. www.allgemeinarzt-online.de Frühwarnzeichen schwerwiegender Erkrankungen in der Schwangerschaft müssen erkannt und zügig diagnostische/therapeutische Maßnahmen ergriffen werden. 7. Schmerzen bei der Miktion Artikel zu verwandtem Thema www.allgemeinarztonline.de/a/1736028 Miktionsbeschwerden müssen mittels Urinstatus und -bakteriologie auf das Vorliegen eines Harnwegsinfektes hin abgeklärt werden. Harnwegsinfekte in der Schwangerschaft sind mit einem erhöhten Risiko für eine mütterliche Pyelonephritis und ein geringes Geburtsgewicht bzw. Frühgeburtlichkeit assoziiert. Eine asymp­tomatische Bakteriurie sollte in der Schwangerschaft ebenfalls behandelt werden, da die genannten Risiken so gesenkt werden können. Ohne Therapie kann eine asymptomatische Bakteriurie in bis zu 30 % zur mütterlichen Pyelonephritis führen [19, 21]. In allen Schwangerschaftstrimestern kann ein Harnwegsinfekt z. B. mit Amoxicillin/Clavulansäure 1 g p. o. 1-0-1 für sieben Tage therapiert werden [24]. Auch eine Vulvitis kann Ursache der Miktionsbeschwerden sein und sollte ggf. ausgeschlossen werden. ▪ Prof. Dr. med. Irene Hösli Klinik für Geburtshilfe und Schwangerschaftsmedizin, Frauenklinik, Universitätsspital Basel CH-4031 Basel, Schweiz INTERESSENKONFLIKTE: Die Autorinnen haben keine deklariert. online Diesen Beitrag sowie die vollständige Literaturliste finden Sie auch unter www.allgemeinarzt-online.de bilderzwerg - Fotolia heben sind und bei Auffälligkeiten schnell zu weiteren diagnostischen und therapeutischen Schritten führen sollten [10].Dazu gehören ein systolischer Blutdruck < 90 oder > 160 mmHg, ein diastolischer Blutdruck > 100 mmHg, ein Puls < 50 oder > 120/min, eine Atemfrequenz < 10 oder > 30/min, eine O2-Sättigung < 95 %, eine Oligurie sowie Agitation, Verwirrung, NichtAnsprechbarkeit, Kopfschmerzen und Atemnot. Miktionsbeschwerden in der Schwangerschaft müssen umgehend abgeklärt werden. Auch eine asymptomatische Bakteriurie sollte behandelt werden. Der Allgemeinarzt 15/2016 → 67