Otto Brenner Stiftung OBS-Arbeitsheft 74 OBS-Arbeitsheft 74 Die Piratenpartei Alexander Hensel, Stephan Klecha Die Piratenpartei Havarie eines politischen Projekts? www.piraten-studie.de www.otto-brenner-stiftung.de Eine Studie der Otto Brenner Stiftung Frankfurt/Main 2013 Otto Brenner Stiftung Die Otto Brenner Stiftung … ... ist die gemeinnützige Wissenschaftsstiftung der IG Metall. Sie hat ihren Sitz in Frankfurt am Main. Als Forum für gesellschaftliche Diskurse und Einrichtung der Forschungsförderung ist sie dem Ziel der sozialen Gerechtigkeit verpflichtet. Besonderes Augenmerk gilt dabei dem Ausgleich zwischen Ost und West. OBS-Arbeitsheft 74 ISSN 1863-6934 (Print) Herausgeber: Otto Brenner Stiftung Jupp Legrand Wilhelm-Leuschner-Straße 79 D-60329 Frankfurt/Main Tel.: 069-6693-2810 Fax: 069-6693-2786 E-Mail: [email protected] www.otto-brenner-stiftung.de Die OBS dankt der Hans-Böckler-Stiftung (siehe www.boeckler.de) für ihre Beteiligung an der Förderung des Projekts. Ohne diese Unterstützung der Autoren: HBS hätte die OBS die „Piraten-Studie“ nicht reali- Alexander Hensel, Stephan Klecha sieren können. Göttinger Institut für Demokratieforschung Weender Landstr. 14 Hinweis zu den Nutzungsbedingungen: 37073 Göttingen Dieses Arbeitsheft darf nur für nichtkommerzielle [email protected] Zwecke im Bereich der wissenschaftlichen Forschung und Beratung und ausschließlich in der von Projektmanagement: der Otto Brenner Stiftung veröffentlichten Fassung Jupp Legrand, OBS – vollständig und unverändert – von Dritten weitergegeben sowie öffentlich zugänglich gemacht wer- Lektorat: den. Elke Habicht, M.A. In den Arbeitsheften werden die Ergebnisse der www.textfeile.de Forschungsförderung der Otto Brenner Stiftung do- Hofheim am Taunus kumentiert und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Für die Inhalte sind die Autorinnen und Au- Satz und Gestaltung: toren verantwortlich. complot-mainz.de Bestellungen: Bildnachweis: Über die Internetseite der Otto Brenner Stiftung Titel: Karikatur Gerhard Mester können weitere Exemplare dieses OBS-Arbeitshef- ... initiiert den gesellschaftlichen Dialog durch Veranstaltungen, Workshops und Kooperationsveranstaltungen (z. B. im Herbst die OBS-Jahrestagungen), organisiert internationale Konferenzen (Mittel-Ost-Europa-Tagungen im Frühjahr), lobt jährlich den „Brenner-Preis für kritischen Journalismus“ aus, fördert wissenschaftliche Untersuchungen zu sozialen, arbeitsmarkt- und gesellschaftspolitischen Themen, vergibt Kurzstudien und legt aktuelle Analysen vor. … macht die Ergebnisse der geförderten Projekte öffentlich OBS-Arbeitsheft 74 zugänglich und veröffentlicht z. B. die Ergebnisse ihrer Forschungsförderung in der Reihe „OBS-Arbeitshefte“. Die Arbeitshefte werden, wie auch alle anderen Publikationen der OBS, kostenlos abgegeben. Über die Homepage der Stiftung können sie auch elektronisch bestellt werden. Vergriffene Hefte halten wir als PDF zum Download bereit. rat reicht. Dort besteht auch die Möglichkeit, das mww.druck und so ... GmbH, Mainz-Kastel vorliegende und weitere OBS-Arbeitshefte als pdfDatei kostenlos herunterzuladen. Redaktionsschluss: 15. März 2013 Mehr Infos im Netz unter www.piraten-studie.de Alexander Hensel, Stephan Klecha Die Piratenpartei Havarie eines politischen Projekts? OBS-Arbeitsheft 73 Fritz Wolf Im öffentlichen Auftrag Selbstverständnis der Rundfunkgremien, politische Praxis und Reformvorschläge OBS-Arbeitsheft 72* … freut sich über jede ideelle Unterstützung ihrer Arbeit. Aber wir sind auch sehr dankbar, wenn die Arbeit der OBS materiell gefördert wird. Bernd Gäbler … ist zuletzt durch Bescheid des Finanzamtes Frankfurt am Main V (-Höchst) vom 6. Dezember 2011 als ausschließlich und unmittelbar gemeinnützig anerkannt worden. Aufgrund der Gemeinnützigkeit der Otto Brenner Stiftung sind Spenden steuerlich absetzbar bzw. begünstigt. Hans-Jürgen Arlt, Wolfgang Storz Hohle Idole Was Bohlen, Klum und Katzenberger so erfolgreich macht OBS-Arbeitsheft 71* „Bild“ und Wulff – Ziemlich beste Partner Fallstudie über eine einseitig aufgelöste Geschäftsbeziehung OBS-Arbeitsheft 70* Andreas Kolbe, Herbert Hönigsberger, Sven Osterberg Marktordnung für Lobbyisten Wie Politik den Lobbyeinfluss regulieren kann OBS-Arbeitsheft 69 Sandra Siebenhüter Integrationshemmnis Leiharbeit Unterstützen Sie unsere Arbeit, z. B. durch eine zweckgebundene Spende Spenden erfolgen nicht in den Vermögensstock der Stiftung, sie werden ausschließlich und zeitnah für die Durchführung der Projekte entsprechend dem Verwendungszweck genutzt. 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Auswirkungen von Leiharbeit auf Menschen mit Migrationshintergrund OBS-Arbeitsheft 68* Bernd Gäbler „... und unseren täglichen Talk gib uns heute!“ Inszenierungsstrategien, redaktionelle Dramaturgien und Rolle der TV-Polit-Talkshows OBS-Arbeitsheft 67* Hans-Jürgen Arlt, Wolfgang Storz Drucksache „Bild“ – Eine Marke und ihre Mägde Die „Bild“-Darstellung der Griechenland- und Eurokrise 2010 OBS-Arbeitsheft 66 Rainer Weinert Berufliche Weiterbildung in Europa Was Deutschland von nordeuropäischen Ländern lernen kann OBS-Arbeitsheft 65 Burkart Lutz unter Mitwirkung von Holle Grünert, Thomas Ketzmerick und Ingo Wiekert Fachkräftemangel in Ostdeutschland Konsequenzen für Beschäftigung und Interessenvertretung OBS-Arbeitsheft 64 Brigitte Hamm, Hannes Koch Soziale und ökologische Verantwortung Zur Umsetzung des Global Compact in deutschen Mitgliedsunternehmen * leider vergriffen Diese und weitere Publikationen der OBS finden Sie unter www.otto-brenner-stiftung.de Otto Brenner Stiftung | Wilhelm-Leuschner-Straße 79 | D-60329 Frankfurt/Main VORWORT Vorwort Erstmals seit dem Entstehen der Grünen zu Beginn der 1980er Jahre schien eine neue Partei das politische System der Bundesrepublik aufzumischen: Die Politneulinge von den Piraten versprachen Transparenz, Basisdemokratie, Bürgerbeteiligung, Schwarmintelligenz und einen anderen Stil. Besonders bei Jung- und Erstwählern, aber auch bei etlichen bisherigen Nicht- und Protestwählern kam das gut an. Auf einer regelrechten Erfolgswelle segelte die junge Partei 2011/2012 in gleich vier Landtage, erklomm in den Umfragen beachtliche Höhen und schien zu einer festen Größe im politischen System zu werden. Der Kurs war eindeutig, das „Entern“ auch des Deutschen Bundestages bei der Wahl 2013 die klare Perspektive. So triumphal die ersten Erfolge und so hoffnungsvoll die Erwartungen vieler Beobachter waren, so jäh war zuletzt der Niedergang der Piraten in den Umfragen. Das Scheitern bei der niedersächsischen Landtagswahl im Januar 2013 scheint aus Sicht mancher Beobachter in den Medien mehr als nur das vorläufige Ende des Piraten-Hypes darzustellen; vom Ende des Parteiprojekts insgesamt ist schon die Rede. Doch steckt hinter dem zeitweiligen Erfolg der Piraten nicht mehr als nur eine kurzzeitige Aufwallung der Wähler und die fluide Faszination des Neuen in den Medien? Der durch die Digitalisierung bedingte gesellschaftliche Wandel verändert die Arbeitsbeziehungen, beeinflusst die Mediennutzung, transformiert kulturelle Ausdrucksformen und verändert ökonomische wie soziale Austauschbeziehungen. In Gesellschaft, Medien, Politik und Wirtschaft vollziehen sich tief greifende Umbrüche – vor diesem Hintergrund haben die Piraten einen Teil ihres vormaligen Erfolgs erzielen können. Das alles aber ist nicht verschwunden, nur weil die ohnehin volatile politische Stimmung jetzt gegen die Piraten ausschlägt, sie in Meinungsumfragen eingebrochen sind, persönlicher Zwist und parteiinterner Streit die Schlagzeilen bestimmen. Offensichtlich gibt es jenseits der tagespolitischen Aufgeregtheiten ein Wurzelgeflecht von Entwicklungen, das es einer neuen Partei prinzipiell ermöglicht, sich im politischen System festzusetzen. Die Frage, ob es die Piratenpartei ist, die sich im Parteiensystem etablieren kann und zu einem stabilen Faktor der Politik wird, ist im Frühjahr 2013 allerdings nicht eindeutig zu beantworten, sondern weiterhin offen. So lautet zumindest die Einschätzung der Göttinger Politikwissenschaftler Alexander Hensel und Stephan Klecha, die – initiiert von der Otto Brenner Stiftung und mitfinanziert von der Hans Böckler Stiftung – ein Jahr lang die Piratenpartei untersucht haben. Die Studie liefert eine komprimierte, aber doch umfassende Darstellung des neuen politischen Akteurs. Unsere Autoren erörtern die Funktionsweise 1 D IE P IRATENPARTEI der Partei, die so anders agiert und kommuniziert als die etablierten Parteien. Sie geben Auskunft über ihre Mitgliederentwicklung, Wähler und Sympathisanten. Skizziert werden das Programm und die Ideologie der neuen Partei, aber auch wie die etablierten Mitbewerber auf die neue Herausforderung reagieren. Schließlich berichten die Autoren über die Arbeit der Piratenpartei in den Parlamenten. Die Otto Brenner Stiftung dankt dem Leiter des Göttinger Instituts für Demokratieforschung, Herrn Prof. Dr. Franz Walter, dass er die Idee zu einer „Piraten-Studie“ aufgriff und half, an seinem Institut die Voraussetzungen für diese Untersuchung zu schaffen. Unser besonderer Dank gilt den verantwortlichen Autoren Alexander Hensel und Stephan Klecha. Ihnen ist mit der Piraten-Studie der OBS eine gute Mischung aus Analyse, anschaulichen Beispielen, erörternden Erwägungen und politikwissenschaftlichen Zusammenhängen gelungen. Wir hoffen, mit unserer aktuellen Studie die öffentlichen Diskussionen im Superwahljahr 2013 begleiten zu können. Die vorurteilsfreie Darstellung, die kritische Analyse und die abwägende Interpretation des neuen politischen Akteurs durch unsere Autoren soll helfen, Wandlungsprozesse im Parteiensystem angemessen verfolgen und besonders die gegenwärtige Entwicklung der Piratenpartei besser einordnen zu können. Jupp Legrand Geschäftsführer der Otto Brenner Stiftung Frankfurt/Main, im März 2013 2 I NHALT Inhalt 1. Einleitung ............................................................................................................................... 5 2. Entwicklung und Geschichte .................................................................................................... 7 2.1 Internationale Piratenwelt .............................................................................................. 7 2.2 Deutschlands Piraten: Aufstieg der Außenseiter ............................................................ 9 2.3 Zwischen Idealen und Notwendigkeiten ....................................................................... 13 3. Organisation der Piraten ....................................................................................................... 16 3.1 Die formale Gliederung ................................................................................................ 16 3.2 Basisdemokratie und Delegation von Interessen .......................................................... 18 3.3 Zwischen piratigem Mandat und politischer Strategie .................................................. 22 3.4 Kommunikationswege .................................................................................................. 29 3.5 Flexibilität und Komplexität als Organisationsherausforderung ................................... 34 3.6 Flaute in der Kasse der Piratenpartei ........................................................................... 35 4. Programm und Ideologie ....................................................................................................... 38 4.1 Programmentwicklung .................................................................................................. 38 4.2 Programmatische Ausrichtung ...................................................................................... 40 4.3 Jenseits der Grundlagen ............................................................................................... 46 4.4 Von Grundsätzen zum Konkreten .................................................................................. 48 5. Mitglieder und Sympathisanten ............................................................................................ 51 5.1 Beitrittswellen und Themenkonjunkturen ..................................................................... 51 5.2 Glücksritter, Parteiwanderer und merkwürdige Gestalten ............................................ 54 5.3 Das gesellschaftliche Umfeld der Partei ....................................................................... 56 5.4 Jenseits von Geschlecht und Quote? Frauen bei den Piraten ......................................... 5 8 6. Wählerschaft der Partei ........................................................................................................ 62 7. Das politische System reagiert ............................................................................................ 66 7.1 Kommunikative und organisationskulturelle Reaktionen ............................................. 66 7.2 Inhaltliche Reaktionen ................................................................................................. 68 7.3 Strategische Orientierungen ........................................................................................ 69 3 D IE P IRATENPARTEI 8. Piraten in Parlamenten .......................................................................................................... 72 9. Fazit ...................................................................................................................................... 80 Anhang Glossar ................................................................................................................................ 88 Literaturverzeichnis ............................................................................................................. 97 Verzeichnis der Tabellen .................................................................................................... 106 Hinweise zu den Autoren ................................................................................................... 107 Danksagung ....................................................................................................................... 107 ir + + w w w .p + e .d ie d a t e n -s t u ir a t e n + w w w .p + + e .d ie a t e n -s t u d s t u d ie .d e +++ rojekts rschungsp o F s über re e s se un usätzlich is z n e b e .d rg ie E d aten-stu htigsten ie die wic r www.pir d te , n g u n u S s B s O r Printfa iert die Neben de cht, inform a m h c li g zugän r die öffentlich t und/ode ll te s e b h . r auch lektronisc die Studie eftes 74 e en sich hie h d s n it fi e n e rb li A re des Materia n und n. Neben re Exempla e e it rd e e den Autore w w n it n e e en. m n d s n la ö w e k ie rg r Hie beschäftig Interv runte n e , h e te F a is e D ir P P w n in ls die a lls mit de taltungsh Piraten-Stu ie, Verans ich ebenfa d s tu ie S d , ie n d e n auf ter Seit berger Reaktione interessan g n lu ert Hönigs m rb m e a H s r k to in u L pier z.B. eine Piraten. A Arbeitspa ie zu den m d e s tu ie -S d rz u u itere K tionen z satzht eine we “. Informa in dem Zu te n s ts ll te n a fa e ir n P S e B b n e e Bei der O den Sie ge bei d n wird, fin soziale Fra e h ie te d s „ t g h n c Verfügu untersu online zur r u n s a d , +++ g. der OBS t u d ie .d e -s ner Stiftun n n e re t a B ir o tt er O + w w w .p angebot d ie .d e + + d u t -s n e t w w .p ir a e +++ w .d ie d u t -s ten w w w .p ir a w w w .p ir 4 E INLEITUNG 1. Einleitung Seit ihrem Einzug in das Berliner Abgeordne- ten im Laufe des Jahres 2012 einige längerfris- tenhaus ist die Piratenpartei ins Visier einer tige Trends beschreiben und grobe Prognosen breiteren Öffentlichkeit geraten. Während die abgeben. Grundlage unserer Untersuchungen Medien die Politneulinge anfangs noch inte- bildet eine breit angelegte qualitative Metho- ressiert bis wohlwollend begleitet hatten, nah- dik. In deren Mittelpunkt stehen Beobachtun- men im Verlauf des Jahres 2012 kritische Ein- gen, Interviews sowie Analysen der umfangrei- schätzungen und Interventionen deutlich zu. chen, öffentlich zugänglichen Präsenz der Pira- Politische oder organisatorische Unzulänglich- tenpartei im Internet. Bei Parteitagen auf keiten der Partei wurden zunehmend aufgegrif- Kreis-, Landes- und Bundesebene, beim bun- fen und zuweilen auch skandalisiert. Die Pira- desweiten Vorständetreffen, bei der Konferenz ten lieferten durch ihre im Internet offengeleg- OpenMind 2012, bei lokalen Stammtischen und te interne Kommunikation hierfür ausgiebig anderen inhaltlichen Treffen auf den verschie- Stoff. Auch musste die Partei bei den vorhande- denen Ebenen haben wir die Interaktion zwi- nen programmatischen Fragmenten wie beim schen den Piraten, auch jenseits der verbalen Urheberrecht auf einmal heftigen Gegenwind Ebene, verfolgt. Mit über 100 Vertretern der Pi- zur Kenntnis nehmen. ratenpartei haben wir entweder kleinere, un- Zwar steht die Piratenpartei nach dem Ein- strukturierte Expertengespräche oder leitfa- zug in mittlerweile vier Landtage und einem dengestützte, halbstandardisierte Gespräche erheblichen Mitgliederwachstum auf den ers- von unterschiedlicher Dauer geführt. ten Blick noch immer so gut da wie keine ande- Nachdem wir einen Teil unserer Ergebnisse re Parteineugründung seit dem Aufziehen der bereits Mitte 2012 publiziert haben (Hensel/ Grünen. Dennoch birgt das Wahljahr 2013 Klecha/Walter 2012), sind die damals schon erhebliche Unsicherheiten. Das deutliche vorhandenen Zweifel hinsichtlich einer dauer- Scheitern in Niedersachsen zeigt, dass von ei- haften Verankerung im Parteienspektrum eher ner Etablierung der neuen Partei keineswegs noch gestiegen. Einige offenkundige Schwä- die Rede sein kann. Niederlagen bei den noch chen hat die Piratenpartei zwar über einen län- ausstehenden Landtagswahlen in Bayern und geren Zeitraum hinweg durch eine unkonven- Hessen sowie bei der Bundestagswahl könnten tionelle politische Kultur und Organisation dazu führen, dass die Partei wieder in die Be- kompensieren können. Vielfach kokettieren deutungslosigkeit abgleitet. die Piraten erfolgreich mit einem spielerischen Für ein Forschungsvorhaben wie das unse- Dilettantismus, der die eigene Unvollkommen- re, bei dem wir nach der Herkunft, den Zielen heit offen thematisiert. Allerdings ließen der und den Etablierungschancen einer neuen Par- Charme des Neuen, der Reiz des Anarchischen tei fragten, besteht natürlich immer ein Restri- und die mediale Nachsicht im Umgang mit Män- siko im Falle eindeutiger Antworten. Dennoch geln der neuen Partei im Laufe des Jahres 2012 lassen sich im Lichte der Entwicklung der Pira- erkennbar nach. 5 D IE P IRATENPARTEI Spätestens ab dem Spätsommer 2012 blies Allerdings rangieren die Piraten in Umfragen den Piraten ein überaus scharfer Wind entge- unverändert auf dem Niveau der zwar siechen, gen. Mit einem Mal war von „Flaute“ (Becker/ zuletzt bei Wahlen aber erfolgreichen FDP. Meiritz/Theile 2012) und einem „schlaffen Se- Mithin sind die Chancen auf einen Einzug in gel bei den Piraten“ (Thiede 2012) zu lesen. Die den Deutschen Bundestag 2013 weiterhin ge- zuvor zweistelligen Umfragewerte sanken be- geben. Im Gegensatz zum Piraten-Hype des ers- ständig. Mit dem Scheitern bei der niedersäch- ten Halbjahrs 2012 ist es im Augenblick (d. h. sischen Landtagswahl schien für manche Beob- Anfang Februar 2013) jedoch wahrscheinlicher, achter das Ende des Piratenerfolgs besiegelt dass ein solcher Erfolg ausbleibt. zu sein (Bewarder 2013; Reinbold 2013). EINLADUNG Wir laden – wenige Tage vor dem nächsten Parteitag der Piraten – herzlich ein zur Präsentation und Diskussion der Ergebnisse der aktuellen OBS-Studie Die Piratenpartei – Havarie eines politischen Projekts? und zu einem intensiven Austausch über die strategische Ausrichtung und die Chancen der Piratenpartei in den kommenden Wahlauseinandersetzungen. Mit den OBS-Autoren: Alexander Hensel, Stephan Klecha und Herbert Hönigsberger („Die soziale Frage bei den Piraten“) und den „Piraten“: Matthias Schrade, Ex-Vorstand, jetzt Koordinator Bundestagswahlkampf 2013, und Julia Reda, Junge Piraten, Piratenpartei, Hessen Moderation: Marie Katharina Wagner, FAS, politische Redakteurin und Buchautorin „Die Piraten“, Gütersloh 2012 Dienstag, den 7. Mai 2013, 19:00 Uhr main_forum (Vorstand der IG Metall) Wilhelm-Leuschner-Str. 79 60329 Frankfurt am Main Mehr Infos zu den OBS-Studien, zu Veranstaltungen usw. unter: www.piraten-studie.de Das Team der OBS 6 E NTWICKLUNG UND G ESCHICHTE 2. Entwicklung und Geschichte Bei der Piratenpartei handelt es sich um eine gung, die zeigen, welche technischen Möglich- genuine Parteineugründung, deren Wurzeln keiten in den neuen Kommunikationstechno- und Charakter eng mit dem relativ neuen Kon- logien stecken, aber auch, wie anfällig diese flikt um die Folgen der digitalen Revolution ver- für Missbrauch sind. knüpft sind. Dieser bildet den Ausgangspunkt All diese Diskurse und Bewegungen sind für die Entwicklung der grundlegenden Agen- Teil des historischen Vorfelds der Piraten und da, Kernklientel und politischen Kultur der Pi- prägen den Kern der Partei. So finden sich in raten (Zolleis/Prokopf/Strauch 2010: 7 f.). der Piratenpartei mannigfaltige Referenzen auf Hierbei griff die Piratenpartei zwei vom Partei- die Hacker-, Internet- und Bürgerrechtskultu- ensystem bislang nicht hinreichend beachtete ren: ein technisch fundierter Optimismus hin- Themen auf: Erstens die Auseinandersetzung sichtlich einer politischen Selbstermächti- um die Nutzung und Regulierung von Wissen, gung, die aus der Internetkultur stammende Informationen und Kultur im digitalen Zeital- Mischung aus radikalem Individualismus und Radikaler Individualis- ter, welche sich vor allem am Urheberrecht ent- vernetztem Kollektivismus oder eine ausge- mus und vernetzter zündet. Zweitens die fortschreitende Ein- prägte Leidenschaftlichkeit für das Grundge- Kollektivismus schränkung von Bürgerrechten im Rahmen der setz und seinen Grundrechtekatalog. Insofern Anti-Terror-Gesetzgebung, die sich auf ver- kann allgemein festgehalten werden, dass die schiedene staatliche Überwachungs- und Regu- deutschen Piraten weder aus dem Nichts ent- lierungsmöglichkeiten digitaler Kommunika- standen sind noch eine bloße Kopie der schwe- tion bezieht und sich vor allem an der Vorrats- dischen Piraten darstellen, die als eine Art datenspeicherung festmacht. Mutterpartei jedoch den historischen Aus- Dabei sind die Piraten keineswegs der ers- gangspunkt bilden. te politische Akteur, der sich diesen Konfliktfeldern zugewandt hat. So existiert ein fortgeschrittener politischer und akademischer Dis- 2.1 Internationale Piratenwelt kurs über Idee und Praxis der sogenannten Wis- Schon vor der Gründung der schwedischen Pi- sensallmende (Dobusch/Quack 2011). Eine vor ratenpartei (Piratpartiet) hat es in Schweden allem von Künstlern, Wissenschaftlern und Ju- mit Knivsta.Now, Demoex oder Aktiv Demokrati risten getragene Bewegung mobilisiert auf Parteien gegeben, die das Internet als ihre zen- transnationaler Ebene seit Jahren für eine An- trale Mobilisierungsressource und als Ort ih- passung des Urheberrechts an das digitale rer Entscheidungsfindung einsetzten (Boyd Zeitalter (Dobusch/Quack 2010: 5 ff.). Auch 2008). Im Unterschied zu diesen gründete sich über digitale Bürgerrechte wird in Deutschland die Piratpartiet Anfang 2006 vor allem infolge seit den 1980er Jahren debattiert (Mayer- des inhaltlichen Konflikts um eine stärkere Schönberger 2011). Ebenfalls aus den 1980er staatliche Regulierung der Internetkommunika- Jahren stammen Impulse aus der Hackerbewe- tion. Dieses Thema war bei der besonders web- 7 D IE P IRATENPARTEI affinen schwedischen Bevölkerung virulent, Gut zwei Jahre später aber wurde mit einem weil der internetbasierte Austausch von urhe- gerichtlichen Verfahren gegen The Pirate Bay berrechtlich geschützten Daten zunahm (Bar- das Thema Filesharing in Schweden erneut auf- tels 2009: 28 ff.; Koß 2011: 353 ff.). Um das so- gegriffen (Gürbüz 2011: 25; F. Neumann 2011: genannte Raubkopieren besser zu bekämpfen, 27 f.). Parallel dazu debattierte das schwedi- gründeten verschiedene Unternehmen der Un- sche Parlament zwei Gesetzesvorhaben zu den terhaltungsindustrie im Jahr 2001 die Organi- Themen Telekommunikationsüberwachung und sation Antipirateriebüro, woraufhin sich als Urheberrecht (Koß 2011: 364 f.), was die Auf- Gegenreaktion 2003 das sogenannte Piraten- merksamkeit wieder stärker auf die Piratpar- büro formierte, aus dem heraus Anfang 2006 tiet lenkte, die ihre inzwischen auf 5000 gesun- schließlich die Piratpartiet entstand (F. Neu- kene Mitgliederzahl infolgedessen auf 50.000 mann 2011: 25 f.). steigerte und so zur drittgrößten schwedischen Die neue Partei verknüpfte in ihrem Pro- Partei avancierte (Koschmieder 2012: 9). Bei gramm das Ziel eines freien und offenen Aus- den Europawahlen Anfang Juni 2009 konnte die Kulturkampf in tauschs von Wissen und Kultur im Internet mit Partei dann mit 7,1 Prozent sogar Mandate im Schweden bürgerrechtlichen Anliegen, vor allem auf dem Straßburger Parlament erlangen. Gebiet des Datenschutzes (Koß 2011: 356; Doch gerade bei Europawahlen basieren in F. Neumann 2011: 30 ff.). Immerhin 10.000 Mit- Schweden die Wahlentscheidungen weniger glieder traten prompt der Partei bei, wobei die auf langfristigen Überzeugungen (Larsson kostenfreie Mitgliedschaft diesen Wert natür- 2011: 4; Wagner 2012: 49), sodass der Wahler- lich relativiert (Koschmieder 2012: 9). Der Par- folg nicht als nachhaltig gesichert gelten konn- teigründer Rickard Falkvinge stilisierte seiner- te. Weil nach dem Ende des Pirate-Bay-Prozes- zeit den Konflikt um die populäre Filesharing- ses die Aufmerksamkeit für die Themenagenda Plattform The Pirate Bay zu einem Kulturkampf der Piraten wieder schwand und die anderen zwischen altem und neuem Modell der gesell- schwedischen Parteien sich programmatisch schaftlichen Kommunikation. Auf diesem Wege an die Forderungen der Piraten anpassten, ver- entwickelte sich eine bis heute verbreitete loren diese wieder an Attraktivität. Sie büßten Gründungserzählung der Piraten (F. Neumann über die Hälfte ihrer Mitglieder ein, konnten 2011: 29 f.). Freilich ließ sich dieser Zuspruch bei der Reichstagswahl 2010 ihren Stimmenan- bei der folgenden Reichstagswahl nicht in Wäh- teil gegenüber 2006 kaum steigern und kämp- lerstimmen übersetzen. Die Piratpartiet ver- fen seitdem erfolglos gegen ihren weiteren po- fehlte mit lediglich 0,6 Prozent der Wählerstim- litischen Niedergang an (Koschmieder 2012: men die Hürde zur parlamentarischen Reprä- 10; Koß 2011: 367; Wagner 2012: 53). sentation (Koschmieder 2012: 4; Zolleis/Prokopf/Strauch 2010: 9). Das Auftauchen und der Erfolg der schwedischen Piratpartiet gaben indes den Impuls für die Gründung weiterer Piratenparteien in mitt- 8 E NTWICKLUNG UND G ESCHICHTE Tabelle 1: Europäische Piratenparteien bei Wahlen auf nationaler Ebene Partei Land Letzte Wahl Ergebnis Piratenpartei Deutschland 2009 2,0 % Piratpartiet Schweden 2010 0,7 % Piratenpartij Belgien 2010 0,3 %1 Piratenpartei Schweiz 2011 0,5 % Partido Pirata Spanien 2011 Komma Piraton Elladas Griechenland 2012 0,5 % Parti Pirate Frankreich 2012 0,8 %3 Piratenpartij Niederlande 2012 0,3 % 0,3 bis 0,5 %2 1 Ergebnis im einzigen Wahlkreis, in dem die Partei antrat. 2 In Wahlkreisen, in denen die Partei antrat. 3 Durchschnittsergebnis der 101 von 577 Wahlkreisen, in denen die Partei antrat. Quelle: Eigene Darstellung mit Daten von Koschmieder (2012); Stark (2012). lerweile 64 Ländern (Dobusch/Gollatz 2012: Als primäre inhaltliche Ziele forderten die 28). Diese agieren vornehmlich als nichtetab- Piraten die Freiheit des Wissens und der Kul- lierte Kleinparteien; Erfolge bei Wahlen blie- tur, die Wahrung der Privatsphäre, einen glä- ben größtenteils aus. sernen Staat und die Transparenz politischer und administrativer Prozesse. Dabei waren es 2.2 Deutschlands Piraten: Aufstieg der Außenseiter vor allem die schwelenden Konflikte um digitale Bürgerrechte und das Urheberrecht, welche zur deutschen Parteigründung motiviert hatten. In Anbetracht der Wahlergebnisse ist gegen- Gründer der Partei beschreiben das gerne mit wärtig Deutschland international gesehen das der Metapher einer „Politik aus Notwehr“ „Politik aus Zentrum der Piraten; dort hatte sich eine ent- (Wagner 2012: 58). Auch wenn diese Selbstbe- Notwehr“ sprechende Partei im Spätsommer 2006 ge- schreibung stark auf Themen der Informations- gründet. Anders als in Schweden wurde die gesellschaft zugeschnitten war, so ist die Not- Parteigründung dabei weniger durch einen vi- wehrmetaphorik bis heute ein wesentlicher Teil rulenten öffentlichen politischen Konflikt, des politischen Selbstverständnisses der Mit- sondern eher durch eine Mischung aus laten- glieder: Vier von fünf Piraten geben jedenfalls ter persönlicher Verärgerung und strategi- als Grund für ihr Engagement bei den Piraten scher Kalkulation ihrer frühen Mitglieder ge- eine Unzufriedenheit mit der politischen Lage trieben. in Deutschland an (Kegelklub 2012: 11). 9 D IE P IRATENPARTEI Überschaubares Vorfeld 10 Die Gründer waren männlich, vornehmlich diese Mühe, sich zwischen einer als kulturell jung, aber nicht mehr unbedingt jugendlich und fremdartig und unmodern empfundenen Lin- wiesen beruflich oder privat eine starke Affini- ken, einem anachronistischen Konservatismus tät zu den Kernthemen ihrer Partei auf. Die und einem oberflächlichen Wirtschaftslibera- Wichtigkeit von Datenschutz oder Konzepte wie lismus politisch einzuordnen. Kurzum, die Ori- Open Access waren oftmals genuiner Teil ihres entierungsmuster aus der Moderne passten Berufsalltags. Einige der frühen Piraten haben nicht mehr zur eigenen postmodernen berufli- sich bereits zuvor im Zusammenhang mit den chen, kulturellen und sozialen Identität. entsprechenden Organisationen für netzpoliti- Nach vorheriger Kontaktaufnahme ihrer sche Themen engagiert. Bis dato hatten sie Gründer im Internet konstituierte sich die Pira- aber eher selten in größeren, festen Organisa- tenpartei formell im September 2006. Die kul- tionsformen politisch gearbeitet. Flexibel hatte turelle Homogenität und subkulturelle Absei- man sich Initiativen angeschlossen, mit Part- tigkeit der frühen Piraten zeigt sich auch am nern kooperiert und Projekte angefangen oder Ort der Parteigründung. Diese fand im Berliner beendet. Club C-Base statt, einem beliebten Treffpunkt Das überschaubare politische und kulturelle Vor- und Umfeld der frühen Piratenpartei für Hacker, Netzaktivisten und andere digitalkulturell orientierte Gruppen der Hauptstadt. bestand aus verschiedenen Nichtregierungsor- In ihrer ersten Entwicklungsphase gelang ganisationen und Initiativen in den Bereichen der Piratenpartei zwar die Gründung von Ver- Datenschutz, Bürgerrechte und Netzpolitik. bänden in allen Bundesländern, das schlep- Hierbei handelt es sich um organisatorische pende Mitgliederwachstum sowie die ersten Kernfragmente eines lange gewachsenen Inter- Wahlergebnisse verhießen ihr jedoch kaum netmilieus (Hensel 2012a), dessen politisch eine Entwicklungsperspektive. Mit ihren Aktio- aktive Mitglieder bis dato jedoch kaum Einfluss nen erzielten die Piraten ebenfalls wenig öf- auf das politische Geschehen erlangt hatten fentliche Resonanz; teilweise nahm man sie als und die sich daher teilweise der politischen Or- Kleinpartei mit kruden Themen und Ansichten ganisationsform Partei öffneten. Darüber hin- wahr (Bartels 2009: 57; Niedermayer 2010: 85). aus aktivierte die Piratenpartei einige zuvor Zudem hatten die Piraten mit den formaljuristi- politisch zwar interessierte, aber parteipoli- schen Hürden des politischen Wettbewerbs, tisch heimatlose Menschen: Einige der oft tech- wie der Sammlung der zur Wahlteilnahme not- nisch und naturwissenschaftlich versierten wendigen Unterstützerunterschriften, stark zu Mitglieder der Piraten artikulieren das diffuse kämpfen. Die Erarbeitung eines Wahlpro- Bedürfnis, eine in ihrer Jugend verpasste poli- gramms für die Bundestags- und Europawahl tische Revolte nachzuholen. Ausgehend von sowie die Vertiefung des Grundsatzprogramms den Erfahrungen in ihrer politischen Prägungs- verliefen auf dem Bundesparteitag in Bielefeld zeit in den 1980er und 1990er Jahren, hatten 2008 zugleich ausgesprochen chaotisch (Wag- E NTWICKLUNG UND G ESCHICHTE ner 2012: 64), sodass die Piratenpartei wenig Drittens war nun ausgerechnet der Be- aktionsfähig wirkte. reich Kinderpornografie dasjenige Feld Diese Situation änderte sich 2009, als die im Internet, bei dem selbst in den derbs- Piratenpartei einen für eine nichtetablierte ten Foren eine gewisse Selbstregulation Kleinpartei furiosen Wachstumsschub erlebte, funktionierte. der ihre zweite Entwicklungsphase prägte. Die Zahl der Mitglieder wuchs auf mehr als 11.000 Die Netzsperren wurden vor diesem Hinter- an. Das ermöglichte den Ausbau der Struktu- grund als plumper Angriff auf die im Internet ren, führte zu einer gesteigerten medialen Auf- gewachsene Lebenskultur angesehen. merksamkeit und brachte der Partei schließ- Die Mischung aus technischen, kulturellen lich ein Ergebnis von 2,0 Prozent bei der Bun- und bürgerrechtlichen Einwänden führte zur destagswahl 2009 ein (Niedermayer 2010). bislang folgenreichsten netzpolitischen Debat- Auslöser für diesen Entwicklungssprung war te in Deutschland (Bieber 2010: 54 f.). Die Akti- eine zeitlich günstige Abfolge von Ereignissen. visten protestierten in diversen digitalen Kanä- Nachdem die damalige Bundesfamilienministe- len und sammelten Unterstützung für eine rin Ursula von der Leyen eine Debatte über ein Online-Petition beim Bundestag. Im Juni 2009 Zugangserschwerungsgesetz angestoßen hat- kulminierte der Protest, als gerade einmal zwei te, mittels dessen Internetseiten mit kinderpor- Tage nach Ende der Zeichnungsfrist die Große Netzsperren als nografischen Inhalten gesperrt werden sollten Koalition das Vorhaben verabschiedete. Die bis politisches (Zolleis/Prokopf/Strauch 2010: 10), formierte dato vorwiegend virtuelle Kampagne hatte of- Erweckungserlebnis sich dagegen in einer zunächst überschauba- fenkundig keinen Erfolg gehabt. Selbst der da- ren Fachöffentlichkeit scharfe Kritik, der sich mit bereits in Zusammenhang gebrachte Ach- auch die Piratenpartei frühzeitig anschloss. tungserfolg der Piratenpartei bei der Europa- Unstreitig war das Ziel, gegen kinderpornogra- wahl mit 0,9 Prozent der Stimmen entfaltete fische Internetseiten vorzugehen. Kritik mach- keine Wirkung bei der Bundestagsmehrheit. te sich aber an drei Aspekten fest (Reißmann/ Daraufhin kam es in verschiedenen deutschen Stöcker/Lischka 2012: 18; Wagner 2012: 71; Städten zu Demonstrationen, zugleich erklärte Zolleis/Prokopf/Strauch 2010: 8): der langjährige SPD-Abgeordnete und Netzexperte Jörg Tauss seinen Übertritt zur Piraten- Erstens wurde aus technologischer Sicht partei (Bieber 2012a: 28). Verstärkt wurde die das Instrument von Netzsperren als untaug- ohnehin schon beachtliche Aufmerksamkeit lich angesehen, um überhaupt wirksam ge- durch das gute Abschneiden der schwedischen gen Kinderpornografie vorzugehen. Piratpartiet bei den Europawahlen. Zweitens wurden Netzsperren als Einfalls- In diese günstige politische Situation fiel tor einer umfassenderen Zensur im Internet der Bundestagswahlkampf, der einen guten verstanden. Teil der Protestenergien auf die Piratenpartei 11 D IE P IRATENPARTEI lenkte. Die Wahlkampfsituation erleichterte stellungsmerkmal an die etablierten Parteien den weiteren Strukturaufbau und half, die Mas- zu verlieren, weil diese sich thematisch öffne- sen neuer Mitglieder zu integrieren (Bieber ten und Positionen der Piraten übernahmen. 2012a: 28). So hektisch, improvisiert und zum Bei Wahlen steckten die Piraten fortan deutlich Teil auch dilettantisch die Piraten sich in dieser unterhalb der Sperrklausel fest, hatten aber Zeit anstellten – im Rückblick kanalisierte die bereits hinsichtlich ihrer Mitgliederzahl und angespannte Wahlkampfsituation das Wachs- ihrer Wahlergebnisse alle anderen Kleinpar- tum der Partei überaus effektiv. Die Partei pro- teien außerhalb des Bundestags überflügelt fitierte dabei stark von ihren organisatorischen (Niedermayer 2010: 842). Die eigentlich recht Besonderheiten: In den Mitmach-Wahlkampf beachtlichen zwei Prozent der Wählerschaft, konnten sich die neuen Mitglieder und Sympa- die sie beständig bei allen folgenden Landtags- thisanten durch die schwach ausgeprägten wahlen erreichten, bedeuteten aus Sicht Routinen und Strukturen leicht einbringen, ja der ungeduldigen Newcomer nach dem sprung- sie mussten das sogar, denn den Piraten fehlte haften Wachstum aber eine lähmende Stagna- seinerzeit fast jede Art konventioneller Res- tion. sourcen (Bieber 2010: 38 f.). So wurden dezen- Das rasante Wachstum im Jahr 2009 hatte tral organisierte Wahlkampfaktionen geplant, derweilen eine kulturelle und ideologische Pluralisierung der mit Hilfe von Online-Tools kollektiv an Plaka- Pluralisierung der Mitglieder mit sich ge- Mitgliedschaft ten, Flugblättern oder Texten gearbeitet, und es bracht, die eine Weiterentwicklung der kollek- wurden zuweilen überaus kreative Ideen ent- tiven Identität herausforderte. Dazu gehörten wickelt. Gerade die Online-Aktivitäten der Pi- erste Ansätze einer Flügelbildung und das für raten erreichten in dieser Phase mit rein ehren- Kleinparteien übliche Problem, dass radikale amtlichem Einsatz eine erstaunlich hohe Prä- Minderheiten, notorische Querulanten und po- senz und Wirkung, die zu den etablierten Par- litische Freaks angezogen wurden (Niedermay- teien durchaus konkurrenzfähig war (Unger er 2013b: 93). Durch das Ausbleiben von Wahl- 2012: 140). Trotzdem unterschritten die Piraten erfolgen und medialer Resonanz wurde es bei der Bundestagswahl die Hürde der parla- schwerer, die Motivation zur Mitarbeit auf- mentarischen Repräsentation mit zwei Prozent rechtzuerhalten. Der inhaltliche Entwicklungs- der Stimmen deutlich. So nahm die mediale prozess erwies sich als überaus zäh. Unter Mü- Aufmerksamkeit wieder ab, und zugleich ende- hen gelang es, einige sozial- oder bildungspo- te das Wachstum ihrer Mitgliederzahlen. litische Forderungen aufzunehmen. Die Anzei- 12 Hiermit wurde die dritte, von Stagnation chen einer dauerhaften Selbstblockade der und Konsolidierung geprägte Entwicklungs- jungen Partei, die sich auf Parteitagen phase eingeleitet (Bieber 2012a: 29). Wie in zusehends in exzessiven Satzungs- und Struk- Schweden auch lief die Piratenpartei unter- turdebatten verlor, mehrten sich (o. V. 2010; dessen Gefahr, ihr programmatisches Allein- Theile 2010). E NTWICKLUNG UND G ESCHICHTE Eine positive Wendung der Parteientwick- gliederzahlen der Piraten bundesweit von ca. lung brachte der Wahlkampf zum Berliner Ab- 12.000 im September 2011 auf über 34.000 geordnetenhaus im Spätsommer 2011. Die Pi- Ende 2012 an. Man rangierte während der ers- raten wirkten hier längst nicht so exotisch wie ten Jahreshälfte 2012 in den Umfragen deutlich in anderen Teilen der Republik, sondern waren vor FDP und Linken und sah sich bereits auf Au- quasi Teil eines spezifischen Submilieus, das genhöhe mit den Grünen. Im Frühjahr 2012 zo- in der „Hauptstadt der deutschen Netzpolitik“ gen die Piraten dann entsprechend souverän (Bieber 2012a: 32) gedieh. Ausgehend von die- und selbstbewusst in drei weitere Landtage ein. ser vergleichsweise günstigen Lage, eröffne- Für die Wahlen des Jahres 2013 rechnete man ten die besondere Situation der Berliner Poli- sich ebenfalls beste Chancen aus. tik sowie die strategischen Fehler und politischen Schwächen ihrer Konkurrenten den Piraten ein ungeahntes Gelegenheitsfenster. Mit linksliberal und progressiv anmutenden Forde- 2.3 Zwischen Idealen und Notwendigkeiten rungen sowie mittels eines überaus geschick- Allerdings gelang es den Piraten nicht, ihr Hoch ten wie ansprechenden Wahlkampfs stießen die zu halten. Spätestens im Herbst 2012 näherten Piraten vor allem in eine durch die strategischen sich die Piraten sukzessive der 5-Prozent-Hür- Volten der Grünen geöffnete politische Reprä- de an. Verantwortlich dafür erscheinen ein sentationslücke (Haas/Hilmer 2012: 186 ff.; Bündel von neuen Herausforderungen sowie Hensel 2011). Den Piraten gelang es, zu einem einige ins Negative verkehrte Eigenschaften politisch und kulturell attraktiven Außenseiter der Partei selbst. Seit dem Rückzug der politi- zu avancieren. 8,9 Prozent der Wählerstimmen schen Geschäftsführerin Marina Weisband bedeuteten 15 Abgeordnete der Piraten im Ber- fehlt der Partei das mediale Aushängeschild. liner Landesparlament. Schlagartig stieg vor Der flexible Aufbau ist bei anstehenden Wah- diesem Hintergrund bundesweit die Aufmerk- len im Idealfall zwar sehr handlungsfähig, aber samkeit. Die Partei war damit aus der Ecke der die amorphe Masse, die gleichzeitig koope- zu vernachlässigenden nichtetablierten Klein- riert, intrigiert und koexistiert, lässt sich parteien entkommen. Sie erschien nun vielen ansonsten nicht immer zielgerichtet zusam- Menschen als wählbar, zumindest weckte sie menführen. Neugier. Mit der Parlamentswürdigkeit stellen sich Damit wurde die vorerst letzte Entwick- nun die gleichen Erwartungen an die Piraten lungsphase der Piratenpartei eingeleitet, die wie an eine Bundestagspartei. Organisatorisch Christoph Bieber als „ungesundes Wachstum“ sollen sie professionell auftreten und program- kennzeichnete (Bieber 2012a: 29). Im Zuge der matisch zu allen möglichen Themen Stellung gestiegenen medialen Berichterstattung vor beziehen. Fehler, Missverständnisse oder allem über die Berliner Piraten stiegen die Mit- Mängel werden von der medialen Berichter- 13 D IE P IRATENPARTEI Steigende Anforderungen 14 stattung aufgegriffen und kommentiert. Sorg- deten den Auftakt für eine intensive Debatte sam wird beobachtet, was in der Partei tatsäch- über einige Defizite der Partei. Auch ihre lich vor sich geht: Die eigenwilligen Rituale, die schwache Finanzkraft wurde nun mehr und die Piraten auf Parteitagen pflegen, die giftige mehr thematisiert. Ebenso negativ fielen die und destruktive Art, mit der oftmals via Mai- zahlreichen Rückzüge aus der Parteispitze linglisten kommuniziert wird, oder die verbrei- oder aus den Landesvorständen auf. Gleichzei- tete Angewohnheit, das Führungspersonal hef- tig begann die Parteispitze, sich ein Scharmüt- tig zu attackieren: All das existiert unvermin- zel um und mit ihrem politischen Geschäftsfüh- dert weiter in der Partei, findet aber nunmehr rer, Johannes Ponader, zu liefern. Dessen Be- wirklich öffentliche Aufmerksamkeit. zug von Arbeitslosengeld, sein anschließender Gleichzeitig müssen sich die Piraten in der Verzicht darauf und eine innerparteilich umstrit- parlamentarischen Arbeit beweisen. Die in den tene Spendenaktion für seinen Lebensunterhalt medialen Fokus gerückten Mandatsträger ha- lösten eine muntere Debatte auch außerhalb der ben ihrerseits Mühe, die gewachsene Basis Partei aus. Die politischen Konkurrenten gingen entsprechend dem eigenen Anspruch einzube- zugleich mit den Piraten nicht mehr so verständ- ziehen. Erfordernisse an Effizienz sowie der nisvoll um wie in den ersten Monaten ihrer par- empfundene Druck der Verantwortlichkeit den lamentarischen Existenz. Bis zum Sommer 2012 eigenen Wählern gegenüber passen nicht zu perlte die Kritik an den Piraten noch ab, ja sporn- den ausschweifenden Formen der politischen te sie weiter an. Doch dann begann sie sich zu Debatte in der Partei. Umfassende Öffentlich- verfestigen. Mangelnde Fraktionsdisziplin und keit und vertrauliche Zusammenarbeit mit poli- fehlende inhaltliche Kohärenz führten in Kombi- tischen Verbündeten stehen ebenso in einem nation immer öfter zu der Frage, wofür die Pira- Widerspruch. Die thematische Vielfalt, zu der ten eigentlich stünden. sich die Mandatsträger auf einmal zu verhalten Regelrecht erschüttert wurde die lange haben, überfordert nicht nur sie selbst, son- geradezu intuitiv entwickelte Glaubwürdigkeit dern verändert auch die Selbstwahrnehmung der Piraten mit der Veröffentlichung des Erst- der Piraten an der Basis. lingswerks der Vorstandsbeisitzerin Julia Einen wirklichen Tiefschlag erfuhren die Schramm. Sie hatte einen horrenden Vorschuss Piraten jedoch erst, als die Aufstellung der für ihr Buch erhalten, welches nach Erscheinen Kandidaten zur niedersächsischen Landtags- als Raubkopie im Internet auftauchte, wogegen wahl erfolgreich angefochten wurde und auch Schramms Verlag umgehend vorging. Dabei die Wiederholung nicht pannenfrei über die entstand vielfach der Eindruck, eine herausge- Bühne ging. Die hämischen Kommentare, nach- hobene Piratenpolitikerin agiere zusammen dem die Piraten in zwei Tagen nur einen einzi- mit der Verwertungsindustrie gegen Piraterie, gen Wahlgang ordnungsgemäß durchgeführt untergrabe so eine Kernidee und damit die In- hatten (Reinbold 2012b; Wallbaum 2012b), bil- tegrität der Piraten. Schramm wie Ponader wur- E NTWICKLUNG UND G ESCHICHTE den in der Zwischenzeit als personifizierte Ur- nige Zeit von den etablierten Parteien abgeho- sache für den schleichenden Niedergang der ben hatte, ein wenig verflogen. In früheren Partei angesehen (Reinbold 2012a). Schramm Wahlkämpfen hatten die Piraten noch überaus trat schließlich zurück. Aus Protest gegen Po- lustvoll mit konventionellen wie kreativen Ak- nader legte ein weiterer Beisitzer des Bundes- tionsformen experimentiert und einen durch- vorstandes, Matthias Schrade, zeitgleich sein aus innovativen Mitmachwahlkampf geboten. Amt nieder. Der Konflikt zwischen Ponader auf Davon ist manches erhalten geblieben, doch der einen und der Mehrheit des Bundesvor- viele Piraten wirken inzwischen sehr viel ver- stands auf der anderen Seite schwelt seitdem krampfter. Im Laufe des Jahres 2012 stand es weiter. für die meisten von ihnen außer Frage, noch in Gleichzeitig eskalierte ein Streit in der diverse Landtage und schließlich in den Bun- Landtagsfraktion in Nordrhein-Westfalen. Der destag einzuziehen. Einige der Kandidaten ga- Boulevard skandalisierte anzügliche Mittei- ben ihre berufliche Stellung auf, zapften ihre lungen, die einzelne Abgeordnete auf Twitter Ersparnisse an und richteten ihre weitere Kar- zum Besten gegeben hatten. Politisch erlangte riereplanung ganz auf das erhoffte Mandat aus. das Ganze an Schärfe, weil die parlamentari- Andere liebäugelten mit einer Beschäftigung sche Geschäftsführerin gleichzeitig öffentlich als Abgeordnetenmitarbeiter. Politik wurde von einer möglichen Auflösung der Fraktion dadurch mit einem Male eine ernste Frage von sprach. Die anschließenden Versuche, diese biografischer, materieller und familiärer Pla- Debatte einzudämmen, wurden von Teilen der nung. Doch diese Planung ist inzwischen pre- Partei missbilligt. Dort sah man die öffentli- kär geworden. Der nun mit dem Scheitern in chen Ratschläge des Fraktionsvorsitzenden Niedersachsen erfolgte schlechte Start in das Joachim Paul in Bezug auf das Kommunika- Bundestagswahljahr 2013 hinterlässt Spuren. tionsverhalten der Abgeordneten als Beitrag Der Einzug in den Bundestag ist nicht mehr si- zur Unterdrückung der Meinungsfreiheit. cher. Dabei wären für die Konsolidierung der Kurzum: Die Lage für die Partei war ungüns- Bundespartei Bundestagsmandate essenziell, tiger geworden, was die Nervosität vieler Pira- wie führende Köpfe der Partei einräumen. Die ten merklich ansteigen ließ. Im Zuge dessen ist Partei droht nämlich andernfalls in eine der spielerische Impuls, der die Piraten für ei- Abwärtsspirale zu geraten. 15 D IE P IRATENPARTEI 3. Organisation der Piraten Die Organisation und die Organisationskultur ben, die Mecklenburgische Seenplatte, der der Piraten sind ebenso schillernd wie profan. Nordwesten Niedersachsens, der Norden Thü- Aufgrund der Integration von digitalen Werk- ringens sowie der ostwestfälisch-lippische Be- zeugen in den Parteialltag sowie der Orientie- reich. Dort beschränkt sich das Engagement rung an organisationskulturellen Impulsen aus der Piraten im besten Fall auf die größeren Re- der Internetkultur gilt die Piratenpartei als in- gionalzentren. novativ. Doch täuscht das leicht darüber hin- Die eigentliche Grundorganisation der Pi- Konventionelle weg, dass der formale Aufbau und der Partei- raten bildet – unabhängig von der Existenz ei- Strukturen alltag der Piraten in vielerlei Hinsicht konven- nes Kreisverbands – der Stammtisch oder die tionell verfasst sind. So verfügt die Piratenpar- Crew. Stammtische sind informelle Treffen, die tei über die üblichen Organe und territorialen einerseits das soziale Miteinander in der Par- Gliederungsebenen. Die Satzung ist sogar al- tei unterstützen, die aber andererseits dazu les andere als originär piratig, sondern deut- dienen, durch physische Präsenz zur gesell- lich von derjenigen der Freidemokraten beein- schaftlichen Verankerung der Partei beizutra- flusst. Zumindest sind 13 der 16 Paragrafen der gen. Weil sie als wichtigstes Werbeinstrument Gründungssatzung wörtlich oder nahezu wört- der Partei gelten, tagen sie zumeist bewusst an lich der Bundessatzung der FDP entnommen. Orten mit Publikumsverkehr (Bartels 2009: 176; Gürbüz 2011: 96). Doch auch hier ist der Situie- 3.1 Die formale Gliederung 16 rungsprozess unübersehbar: Wie die etablierten Parteien tagen die Piraten inzwischen Der Organisationsaufbau der Piraten folgt oftmals in holzgetäfelten Kneipenhinterzim- grundsätzlich dem territorialen politischen mern oder nutzen für Sitzungen ihre Kreisge- Aufbau der Bundesrepublik. Die Orts-, Kreis- schäftsstellen. oder Bezirksverbände entsprechen den gege- Obwohl sie kein Satzungsorgan sind (Wilde benen politischen Grenzen. Auf lokaler Ebene 2011: 16), erfüllen Stammtische oftmals die sind zumeist die Kreisverbände die kleinste Funktion, die in anderen Parteien Mitglieder- politische Gliederung. Der jüngste Mitglieder- versammlungen von Ortsverbänden einneh- schub hat die Partei in die Lage versetzt, zahl- men. Einige Stammtischgruppen unterschei- reiche Untergliederungen neu zu gründen und den genau zwischen inhaltlichen Arbeitsgrup- vor Ort einigermaßen flächendeckend Stamm- pen und geselligen Runden. Mancherorts wird tische anzubieten. Dennoch gibt es einige Re- großzügig Bier und Wein konsumiert und gionen, in denen die Partei weiterhin eher hinterher mit kollektiver Umlage bezahlt, an- schwach vertreten ist. Dazu gehören größere dernorts bleibt man bei individuell bezahltem Teile Nordhessens, der Süden Sachsen-An- Wasser und Schorle. In manchen Bereichen ist halts, Nordsachsen, Südbaden, die Schwäbi- es üblich, Protokoll zu schreiben, in anderen sche Alb, Niederbayern, Unterfranken, Schwa- wäre das müßig. Der eine Stammtisch legt Wert O RGANISATION DER P IRATEN auf strukturierte Sitzungen mit fester Tagesord- aber nicht; diese können von Parteitagen auf nung, der andere fällt dadurch auf, dass die den jeweils konstituierten Ebenen getroffen Teilnehmer sich größtenteils anschweigen. werden. Parteitage werden durchgängig als Wieder anderswo diskutiert man Themen mun- Mitgliederversammlungen abgehalten. Mit ei- ter durcheinander oder bringt die eigenen Be- nem Mitgliederbestand von insgesamt über findlichkeiten ein. Auch Tratsch und Klatsch 34.000 stellt insbesondere die Organisation über Parteiinterna finden ihren Platz bei den einer bundesweiten Mitgliederversammlung Stammtischen. bereits jetzt eine immense logistische Heraus- Eine ähnliche Funktion haben auch die so- forderung dar, die nur mit einem halben Jahr genannten Crews, die in Sachsen, in Bayern, in Vorlauf zu bewältigen ist. Kurzfristige Parteita- Baden-Württemberg und im Saarland nur sehr ge sind dadurch faktisch unmöglich. Die Partei vereinzelt existieren, dafür in Berlin und Nord- verlangt ihren teilnehmenden Mitgliedern rhein-Westfalen aber ganz oder teilweise an dabei zudem eine erhebliche Bereitschaft zum die Stelle von Stammtischen, Orts- oder sogar Einsatz eigener Ressourcen ab, weil Fahrt- und Kreisverbänden treten. Hierbei schließen sich Unterbringungskosten individuell zu tragen fünf bis neun Piraten zusammen, um in einem sind. überschaubaren örtlichen wie auch themati- Eine Entscheidung, ein Beschluss oder eine schen Rahmen miteinander zu arbeiten. Bei Wahl hängen in diesem System letztlich stark wachsender Gruppengröße ist die Crew eigent- vom Austragungsort des jeweiligen Parteitags lich zu teilen, doch das unterbleibt mittlerweile ab. Sowohl die Wahl des Norddeutschen Bernd oftmals. In ihrer Informalität und Selbstorgani- Schlömer gegen den Tübinger Sebastian Nerz sation ist die Crew eine hochgradig flexible 2012 als auch die Wahl von Nerz gegen Christo- Organisationsform, die losgelöst von den for- pher Lauer aus Berlin 2011 ist in jedem Falle malen, an feste Wahlzyklen gebundenen Vor- koinzident mit der Anwesenheit der jeweiligen standszeiten existieren kann. Zugleich zeigt Landesverbände, die wiederum ihrerseits of- sich, dass diese Organisationsform vor allem fensichtlich vom gewählten Veranstaltungsort auf die stark besiedelten Regionen zugeschnit- abhängt. In der Piratenpartei gibt es, auch in ten ist; in der Peripherie lassen sich die Vortei- Anbetracht solcher Entwicklungen, Bestrebun- le der Flexibilität aufgrund der geringeren Zahl gen, dezentrale Parteitage auszurichten. Erste an Aktiven kaum ausschöpfen. Kreisverbände haben damit experimentiert In den Crews und Stammtischen wird über (Neumann/Fritz 2012: 333), was in der Partei anstehende und oftmals lokal orientierte Akti- sehr unterschiedlich beurteilt wird. Ein zentra- vitäten beraten, sich über die Arbeit der Partei les Problem dieser Idee stellt das Fehlen einer im Allgemeinen ausgetauscht oder über die informellen Kommunikationsebene vor Ort dar. politischen Rahmenbedingungen gesprochen. Diese Ebene wird auch von den Piraten als Programmatische Entscheidungen fallen dort Raum für Vorabsprachen und Aushandlungs- Ortswahl beeinflusst Parteitagsergebnisse 17 D IE P IRATENPARTEI Tabelle 2: Bundesparteitage der Piraten Jahr Ort Teilnehmerzahl 2006 Berlin (Gründungsversammlung) 52 2007 Stockheim 55 2008 Langenhagen 2008 Bielefeld 43 2009 Hamburg 232 2010 Bingen 2010 Chemnitz 560 2011 Heidenheim 783 2011 Offenbach 1255 2012 Neumünster 1491 2012 Bochum 2023 102 1001 Quelle: Eigene Darstellung mit Daten von Piratenwiki (2007) sowie Stiefel (2012). prozesse genutzt; sie hat für die Organisation burg-Vorpommern virtuelle Abstimmungen für von Wahlkampfaktivitäten, für den Aufbau und geeignet, um dem erkennbaren Problem der die Pflege personeller Netzwerke sowie für die zunehmenden Ineffizienz der Parteitage zu be- Fokussierung von inhaltlichen Debatten eine gegnen. Zusehends verbreitet sich die Überzeu- große Bedeutung. Solche Prozesse finden vor, gung, dass das gegenwärtige System der Ba- nach und parallel zur offiziellen Veranstaltung sisversammlungen eine Elitendemokratie er- statt. Diese Ebene informeller Kontakte entfie- zeuge und die Entstehung einer „Geldoligar- le oder würde sowohl bei dezentralen Parteita- chie“ vorantreibe (Sorge 2012), da es vielen gen als auch bei der Einrichtung einer ständi- Mitgliedern schlicht an Zeit, Geld oder anderen gen Mitgliederversammlung im Internet stark Ressourcen fehle, um an den Parteitagen teil- vermindert. Sie wäre indes auch bei der Etab- zunehmen. lierung eines Delegiertensystems eingeschränkt. Zukunft der Gegenwärtig (Anfang 2013) gibt es um die- 3.2 Basisdemokratie und Delegation von Interessen Basisdemokratie se organisatorische Frage einen lautstarken bei den Piraten Streit in der Partei. Während in peripheren Re- Während das ideale Delegationsmodell darauf gionen wie auch im Bundesvorstand die Sym- aufbaut, dass Vorstände und Delegierte den an pathie für Delegiertensysteme wächst, halten der Basis formulierten und beschlossenen Wil- die Landesverbände von Berlin und Mecklen- len weiterleiten, müssen Piraten nicht nur in 18 O RGANISATION DER P IRATEN ihrer örtlichen Gliederung für Positionen wer- dringend empfundenen Themen zur Beratung, ben, sondern darüber hinaus auf den jeweils jedoch manches ebenfalls wichtige, aber eben relevanten Konferenzen präsent und aktiv sein, spezifische Anliegen wird in der Partei schlicht da hier wichtige (Vor-)Entscheidungen fallen nicht beraten. Dabei kommt erfolgreichen An- können. Doch es kann genauso sein, dass alle trägen nicht mehr nur programmatische Rele- Beschlüsse von vorherigen basisnahen Diskus- vanz zu. Unter der Hand gilt gerade für bisheri- sions- und Veranstaltungsrunden auf dem ge Nichtfunktionsträger ein erfolgreich be- nächsthöheren Parteitag im Zweifelsfall bloß schlossener Antrag als die zentrale Währung noch Makulatur sind. So zufällig Parteitage zur Akkumulation innerparteilicher Reputation nach regionaler Situierung zusammengesetzt und legitimiert damit zusätzlich eine Kandida- sind, so zufällig können deren Entscheidungen tur zum Landtag oder Bundestag. ausfallen. Trotz der strukturellen Probleme, die eine Hinzu kommt ein weiteres Problem des Or- solche basisdemokratische Ausrichtung mit ganisationsmodells: Seit die Piraten reale Aus- sich bringt, stellt sie sich jedoch gegenwärtig sichten auf Mandate haben, laufen sie vor al- noch als Vorteil dar. Gerade weil Antrags- und lem in größeren Landesverbänden Gefahr, am Abstimmungsrechte nicht durch Delegation aus Ende die Wahlteilnahme zu verpassen. So ver- den Stammtischen und Crews heraus abgelei- suchten etwa in Nordrhein-Westfalen 56 Kandi- tet werden, ergeben sich keine Legitimations- daten die Spitzenkandidatur bei der Landtags- probleme hinsichtlich einer flexiblen und im wahl zu erlangen. Über 100 weitere drängten steten Wandel befindlichen Struktur vor Ort. sich auf die dahinterliegenden Listenplätze. Selbst die Abwicklung von Wahlkämpfen wird Die obligatorische Vorstellung mit ihren ge- durch die Abwesenheit eines einheitlichen und setzlich vorgegebenen zeitlichen und organi- flächendeckenden Unterbaus im Augenblick satorischen Fristen sowie die piratenspezifi- nicht tangiert. sche Befragung von Kandidaten drohen jedes Dass sämtliche Parteitage und Wahlver- vorgegebene Zeitvolumen zu überschreiten. sammlungen als Mitgliederversammlungen ab- Offene Mitmach- Die Parteistruktur kollidiert hier klar mit gehalten werden, entspringt einer basisdemo- strukturen grundlegenden Effizienzerfordernissen. kratischen Grundordnung, auf die die Partei Ähnliches lässt sich für die Bundesparteita- großen Wert legt. Das bedeutet: Ein Mitglied ge feststellen. Fast 1500 Seiten Antragsbuch ohne existierenden Kreisverband kann seine lagen zum zweiten Bundesparteitag 2012 in Positionen gleich auf der nächsthöheren Ebene Bochum vor. Die schwer zu durchschauende vertreten und bei Erlangung einer Mehrheit Beschlussfassung über die Tagesordnung führ- dort durchsetzen. Für die Parteiführung ergibt te dazu, dass über 95 Prozent aller Anträge sich zudem der Vorteil, dass die Partei im Falle gleich zu Beginn faktisch erledigt waren. Zwar vorgezogener Wahlen recht schnell aktionsfä- gelangen so im Idealfall die von der Partei als hig ist, weil die aufwendigen und gerade bei 19 D IE P IRATENPARTEI Kleinparteien latent fehleranfälligen Verfah- theorie geistert deswegen bis heute durch den ren für die Wahl von Vertreterversammlungen Berliner Landesverband. Eine derartige offene entfallen und die Landeslisten wie die Wahl- Einflussnahme ist seitdem eher nicht mehr zu kreiskandidaten in Vollversammlungen be- beobachten, wohl aber gibt es verdeckte For- stimmt werden können. Für die Parteigründung men. Die Versammlungs- und Wahlleitung der und -konsolidierung war und ist diese Struktur Bundesparteitage etwa besteht aus einem daher förderlich. recht festen Kreis von Personen, die zum gro- Absehbar sind aber logistische und legiti- ßen Teil dem Berliner Landesverband entstam- matorische Probleme. Große und damit auch men. Sie sind qua dieser Position in der Lage, teure Hallen sind zunehmend erforderlich, der die Versammlung zu beeinflussen, indem sie organisatorische Aufwand steigt erheblich und Verfahrensprozesse anstoßen und bei gehei- politische Prozesse können so leichter eine Ei- men Abstimmungen Hinweise geben, die leicht gendynamik entfalten, die im schlimmsten Fall bestimmte Ergebnisse begünstigen. Gerade die selbstzerstörerische Züge annimmt. Die Form zentralen Abstimmungen über die konkurrie- der Vollversammlung verschafft zwar schein- renden Tagesordnungsvorschläge eignen sich, bar ein unverfälschtes Bild über Mehrheiten um mittels einer formal begründeten Argumen- und personelle Präferenzen in der Partei. Doch tation eine thematische Agenda durchzuset- dadurch werden andere Probleme virulent: So zen. ist einer plebiszitären Demokratie inhärent, In der wirtschaftspolitischen Debatte auf dass mit Minderheiten intolerant umgegangen dem Bochumer Parteitag wurde ein weiterer Informelle wird und dass die scheinbare Herrschaft der Mechanismus der informellen Machtstruktur Machtstrukturen Basis leicht von einer elitären Führungsschicht deutlich. Nachdem ein erster Antrag bereits manipulativ genutzt werden kann (Fraenkel abgelehnt worden war und in Anbetracht zahl- 1991: 158; Weber 1976: 156). Tatsächlich finden reicher kritischer Wortbeiträge auch einen sich auch in der Piratenpartei entsprechende zweiten Grundlagenantrag das gleiche Schick- Anzeichen. sal zu ereilen drohte, appellierten mehrere 20 Hierfür gilt innerparteilich die Aufstellung Mitglieder und Mitarbeiter der Berliner Frak- der Kandidaten zur Berliner Abgeordneten- tion eindringlich an die Versammlung, trotz hauswahl als Musterbeispiel. Einige Kandida- Vorbehalten in der Sache den Antrag keines- ten vereinbarten einen Reihungsvorschlag für falls abzulehnen. Der ebenfalls dem Zirkel des die Versammlung, den sie per Blogpost kom- Berliner munizierten. Diese Form der Absprache im Hin- Wahlleiter appellierte im laufenden Abstim- terzimmer wurde in der Partei nicht positiv auf- mungsprozess an die Versammlung, man könne genommen. Die Aufstellungsversammlung ig- problemlos vielen einzelnen Abschnitten zu- norierte den Vorschlag dann geflissentlich stimmen, selbst wenn man für einen anderen (Wagner 2012: 166 f.). Manche Verschwörungs- Antrag sei, denn dieser werde ja noch folgen. Abgeordnetenhauses zugehörige O RGANISATION DER P IRATEN Dabei verschwieg er geflissentlich, dass be- fensichtlich begrenzen wollen, haben sich nun reits durch die Abstimmung der Tagesordnung als Strömung unter dem Namen „Frankfurter diese Anträge voraussichtlich nicht mehr auf- Kollegium“ zusammengeschlossen (Becker gerufen würden. 2012b). Es bleibt freilich abzuwarten, ob sie Derartige Interventionen gerade der Berliner Piraten sind immer wieder zu beobachten. künftig ihrerseits eine erfolgreiche Personalund Patronagepolitik betreiben können. Sie unterstützen mit Verve bestimmte inhaltli- Derartige Entwicklungen erinnern in eini- che Forderungen oder drängen mit Nachdruck ger Hinsicht an das Phänomen der „Tyrannei auf organisatorische Veränderungen der Par- der Strukturlosigkeit“ (Meves 2012: 5), das tei. Ihr Hauptaugenmerk liegt in diesem Zusam- bereits für feministische Bewegungen be- menhang erkennbar auf der öffentlichen Wahr- schrieben wurde (Freeman 2004): Nach einer nehmung der Partei. Die Abgeordneten unter anfänglich produktiven Phase der weitgehend ihnen nutzen ihr Wissen über Verfahrensfra- offenen, unstrukturierten und führungslosen gen, um inhaltliche Entscheidungen entspre- Organisation entwickeln sich aus gruppenin- chend zu beeinflussen. In einer Vollversamm- ternen Interaktionen oftmals unbemerkt infor- lung aller Mitglieder sind allerdings nur weni- melle Strukturen. Diese entstehen zumeist aus ge anwesend, die das für die Masse übersetzen Freundeskreisen, aus deren Kommunikations- können. Im repräsentativen System sind es die netzen sich im Laufe der Zeit exklusive Elitezir- Delegationsleitungen oder Vorsitzenden der kel entwickeln, die verdeckte Formen der Teilgliederungen, die solche Tricksereien be- Machtausübung und Willkür praktizieren. Der- merken und rasch in ihre Delegationen kommu- artiges widerspricht zwar eigentlich den auf nizieren. In einer Versammlung mit 2000 Indi- Offenheit und Egalität bedachten Prinzipien viduen haben gerade neuere und unerfahrene der Gruppe, wird aber aufgrund eines verbrei- Teilnehmer kaum eine Chance, darauf zu rea- teten Dogmatismus der Strukturlosigkeit und gieren. der formellen Unsichtbarkeit und Unverant- Ergreifen überdies Abgeordnete mit ihrer herausgehobenen Stellung das Wort, fällt es wortlichkeit entsprechender Gruppen übersehen oder ignoriert. der Partei umso schwerer, sich hiervon zu Insgesamt wird deutlich, dass die Piraten emanzipieren, wenn diese in erster Linie auf ihre Erfolge bislang unter den Bedingungen ei- den Verfahrensfragen insistieren. Sie können nes Wachstums organisieren konnten. Lange aus dieser Kombination heraus Versammlun- Zeit nutzte ihnen dementsprechend eine auf Vorteile von gen entscheidend, vor allem aber unmerklich Dynamik und Unberechenbarkeit aufbauende Flexibilität und beeinflussen. Gegen die daraus resultierende Organisationsstruktur. Schließlich gab es Unberechenbarkeit programmatische Entwicklung regt sich in der bislang für jedes Mitglied nur etwas zu gewin- Zwischenzeit Widerstand. Einige Piraten, die nen, selten aber etwas zu verlieren. Jedes or- den Einfluss des Berliner Flügels der Partei of- ganisatorische Wagnis wurde eher als Chance 21 D IE P IRATENPARTEI denn als Risiko verstanden. Spätestens aber mangelt es aus Sicht der Piraten jedoch an der wenn bereits etablierte Abgeordnete ihr Man- erforderlichen Transparenz. Auch verfestigt sich dat verteidigen und andere Mitglieder es ihnen im Angesicht erfolgreicher Landtagswahlkämp- streitig machen wollen, wird es problematisch. fe die Wahrnehmung, dass ihr Organisations- Dabei ist nicht nur die interpersonelle Ausein- prinzip erfolgreich war, ja sogar die Grundlage andersetzung im Einzelfall relevant, sondern des eigenen Erfolgs ist. Für viele Piraten ist die ebenso die möglichen Kontroversen zwischen Tatsache, anders zu sein als die etablierten Par- Flügeln, Strömungen und Regionen, die sich teien, ein zentraler Anreiz der Mitwirkung. Wür- nicht ausreichend repräsentiert sehen. In der de die Partei ihr Vollversammlungsprinzip also momentanen Entwicklungsphase der Piraten zugunsten eines Delegiertensystems aufgeben, können gerade regionale Auseinandersetzun- würde ihr diese Basis entzogen. gen im Rahmen von Aufstellungsversammlungen erhebliche Bedeutung erlangen. Konfliktpotenzial wird aller Voraussicht nach zwischen den über Mandatsträger direkt vertretenen und „Matthäus-Effekt“ 22 3.3 Zwischen piratigem Mandat und politischer Strategie den parlamentarisch nicht direkt vertretenen Während also im innerparteilichen Organisa- Regionen entstehen. Während Erstere, gestärkt tionsaufbau einige strukturelle Schwierigkei- durch die Ressourcen ihrer Mandatsträger, ten unübersehbar sind, scheint auf den ersten ihre erlangten Besitzstände zu verteidigen su- Blick die Aktionsfähigkeit der Piratenpartei chen, fordern Letztere eine stärkere innerpar- davon nicht tangiert zu sein. Bei näherem Hin- teiliche Repräsentation. Ohne einen Filter über sehen wirkt das erstaunlich, denn abgesehen Delegierte mit Anpassungsmechanismen, etwa von den beschriebenen subkulturellen Wurzeln durch Grundmandate, Ausgleichsfaktoren oder agiert die Piratenpartei geradezu entrückt, feste Regionalproporze, lassen sich diese Un- scheut Kontakte zu Institutionen, Verbänden terschiede schwerlich ausgleichen, sondern und Vereinigungen. Korporatistische Struktu- werden fortgeschrieben. Es ergibt sich also ein ren sowie die Macht von Lobbyorganisationen „Matthäus-Effekt“ (Merton 1985): Wer hat, dem sind den Piraten verdächtig. Punktuell koope- wird gegeben. riert man mit Bürgerinitiativen und Organisa- Um dies zu verhindern, müsste die Partei in tionen, aber eben nicht strategisch. Statt einer ihrer weiteren Organisationsentwicklung Vor- festen Zusammenarbeit setzt die Piratenpartei kehrungen treffen. Doch genau das werden die auf das „piratige Mandat“. Damit wird die Piraten nicht tun: Ein System des Ausgleichs Selbstermächtigung bezeichnet, die es jedem würde in der Praxis die Existenz einer Verhand- einzelnen Parteimitglied möglich macht, jeder- lungsebene voraussetzen, auf der informell zeit für die Partei aktiv zu werden. Als Individu- Kompromisse ausgelotet werden. Den dafür not- um handelt man dabei letztlich im Interesse, wendigen Diskretions- und Vertrauensräumen aber nicht im Namen der Gesamtpartei. O RGANISATION DER P IRATEN Zentraler Anreiz für eine Mitwirkung in der Sprache der Partei, für Anspielungen auf Sci- Partei und für die Partei ist in erster Linie das ence-Fiction-Romane oder die Vorliebe für gro- Gemeinschaftsgefühl, welches die Partei vermit- teske YouTube-Videos. Wer sich den Piraten telt (Wilde 2011: 41 ff.; Zolleis/Prokopf/Strauch neu anschließt, kommt nicht umhin, diese Co- 2010: 19). So wird immer wieder angeführt, dass dierung zumindest partiell zu übernehmen. es für die aktiven Mitglieder ein besonderes Er- Eine habituell begründete Gemeinschaft mag lebnis darstelle, die Personen von Angesicht zu motivierend Angesicht zu treffen, denen man zuvor im virtu- beileibe noch keine kooperativ agierende ellen Raum begegnet ist. Für immerhin 78 Pro- Gruppierung. sein, gewährleistet jedoch zent der Piraten stellt das „piratige Mitein- Tatsächlich fallen die Piraten durch eine be- ander“, also die soziale Interaktion mehrerer achtliche organisatorische Diversität auf: Piraten untereinander, einen der zentralen Mo- Kreis-, Landes- oder Bundesparteitage sowie tivationsaspekte für die Mitarbeit bei den die umfangreiche netzgestützte Kommunikati- Piraten dar (Kegelklub 2012: 14). on ermöglichen es jedem Mitglied, sich zu in- Gemeinsame kulturelle Codes verstärken formieren und jederzeit dort auch zu partizipie- diese Erfahrung, weil sie das intuitive Wiederer- ren. Abseits der territorialen Strukturen kann kennen von Gleichgesinnten erleichtern und man sich außerdem in einer der zahlreichen eine gewisse Exklusivität schaffen, die das Zu- thematischen Arbeitsgemeinschaften einbrin- Inklusive Mitwirkung – sammengehörigkeitsgefühl stärkt (Siri 2012: gen oder ohne große Mühen selbst eine grün- exklusive Netzkultur 148). Bei den Piraten werden dazu vorwiegend den. Die Partei funktioniert in erster Linie, weil Chiffren und Symbole aus der Internetkultur ver- es unzählige Mitwirkungsmöglichkeiten gibt, wendet (Hensel 2012a: 46): Nicht wenige Piraten die alle irgendwie Teil der Piratenpartei sind. konsumieren das koffeinhaltige Getränk Club Formal führt der jährlich zu wählende Vor- Mate, tragen schwarze Kleidung, T-Shirts mit stand diese Aktivitäten auf der jeweiligen Ebe- kryptischen Aufschriften oder verwegenen Moti- ne zusammen. Vorstände bestehen in der Regel ven oder kopieren typische Codes der Hacker- aus einem Vorsitzenden, einem stellvertreten- kultur. Derartige äußere Erkennungszeichen den Vorsitzenden und einem Schatzmeister. fördern die Binnenintegration, bleiben aber in Dazu kommen Generalsekretäre, politische der externen Kommunikation oftmals unverstan- Geschäftsführer und Beisitzer. Bei den Termini den oder führen zu Fehlinterpretationen. Gera- weichen die Piraten von den üblichen Bezeich- de die ironischen Referenzen auf Internetphäno- nungen anderer Parteien etwas ab: Der Gene- mene sind für Außenstehende schwer zu durch- ralsekretär ist eher ein Geschäftsführer, der dringen und fördern den Eindruck, bei den Pira- vorrangig organisatorische Aufgaben erledigt, ten handele es sich um eine Truppe verschrobe- wohingegen der politische Geschäftsführer ner Sonderlinge. Selbiges gilt für die mit Aus- eher wie ein Generalsekretär den jeweiligen drücken aus der Computerkultur unterlegte Vorstand nach innen und außen vertritt. 23 D IE P IRATENPARTEI Tabelle 3: Bundesvorstände der Piratenpartei Wahl Vorsitzende 2006 Christof Leng Stellvertretende Vorsitzende Jens Seipenbusch 2007 2008 20091 Jens Seipenbusch Dirk Hillbrecht Jens Seipenbusch Sven Riedel Jens Seipenbusch Andreas Popp 2010 Jens Seipenbusch Andreas Popp 2011 Sebastian Nerz Bernd Schlömer 2012 Bernd Schlömer Sebastian Nerz Markus Bahrenhoff Schatzmeister Peter Böhm Politische Geschäftsführer Jan Huwald Generalsekretäre Beisitzer Stefan Lamprecht Christoph Strasen Matthias Mehldau Peter Böhm Jan Huwald Bastian Grundmann – Sebastian Schäfer Bernhard Schillo Hauke Kruppa – Bernd Schlömer – – Jan Simons Thorsten Wirth Nicole Hornung Aaron Koenig Bernd Schlömer – – Christopher Lauer Benjamin Stöcker Daniel Flachshaar Wolfgang Dudda Rene Brosig Marina Weisband Wilm Schumacher Gefion Thürmer Matthias Schrade Swanhild Götze Johannes Ponader Sven Schomaker Matthias Schrade Klaus Peukert Julia Schramm 1 2009 und 2010 hatte die Partei zwischenzeitlich die Ämter von Generalsekretär und politischem Geschäftsführer abgeschafft, dafür wieder Beisitzer gewählt. Quelle: Eigene Darstellung und Erhebung mit Daten von Niedermayer (2013b: 95). Das Organisationsideal der Piraten be- unterstreichen sie diese Einstellung. Zwar stre- schränkt die Aufgaben des Vorstands in erster ben einzelne Landesvorsitzende und Mitglie- Verwaltende Linie auf administrative und organisatorische der des Bundesvorstandes eine stärkere pro- Vorstände Handlungsfelder. Die Vorstände sollen die Par- grammatische Orientierung und politische Füh- tei zwar in der Öffentlichkeit repräsentieren, rung an, sie kommen jedoch gegen die von der klassische Aufgaben der politischen Führung Parteibasis gehegten Prinzipien bislang nicht und inhaltlichen Ausrichtung werden ihnen je- an. Inhaltliche Äußerungen oder programmati- doch faktisch untersagt. Die meisten Amtsinha- sche Impulse von Vorstandsmitgliedern werden ber orientieren sich auch daran und konzen- umgehend von einem erheblichen Teil der Par- trieren sich auf organisatorische und adminis- teibasis lautstark attackiert (Wenzlaff 2012: trative Tätigkeiten. In ihren Rechenschaftsbe- 52). Eine Erweiterung von Vorstandsaufgaben richten, in denen sie schon mal Erläuterungen wird effektiv dadurch verhindert, dass den Vor- über die Zahl der etikettierten Briefe abgeben, ständen sowohl das Recht dazu bestritten wird 24 O RGANISATION DER P IRATEN als auch die jeweiligen konkreten Aussagen eine Funktionärspartei; trotzdem reagiert sie kritisiert werden. Die hohen Anforderungen instinktiv kritisch und latent misstrauisch ge- und das ständige Misstrauen der Parteibasis genüber ihren Vorständen, Mandatsträgern gegenüber ihren Vorständen und die geringe und Verantwortlichen. Das findet seinen Nie- Bereitschaft, politische Erfolge zu honorieren, derschlag schon in der oftmals sehr scharfen Häufige begünstigen häufige Personalwechsel. Spätes- Form der Befragung von Kandidaten für den Personalwechsel tens ab der Landesebene müssen die Vorsit- Vorstand und für anstehende Wahlen. Die Aspi- zenden damit rechnen, nach ein oder zwei Jah- ranten müssen sich hierbei einem Befragungs- ren im Amt abgewählt zu werden. Auch auf ritual stellen, das als „Kandidatengrillen“ be- Bundesebene fällt die geringe personelle zeichnet wird und verhindern soll, dass Perso- Konstanz in den Führungspositionen ins Auge. nen gewählt werden, die zu autonom gegen- Lediglich Jens Seipenbusch und Bernd Schlö- über der Basis agieren. Den Fragenden geht es mer konnten sich länger als zwei Jahre im Vor- dabei in aller Regel nicht allein um eine reine stand halten. Information, sondern sie versuchen, einzelne Die Koordination der Landesverbände untereinander erfolgt in der Piratenpartei in in- Bewerber suggestiv zu diskreditieren (Henzler 2012a; Wallbaum 2012a). formeller Form. Die wichtigste formelle Runde Die Fragesteller sind oftmals selbst Funk- dazu ist das monatliche Vorständetreffen na- tionsträger der unteren oder mittleren Partei- mens Marina, das über die Software Mumble ebenen und nutzen ihren Informationsvor- im Internet und seit 2010 einmal jährlich in Kas- sprung, ihre Erfahrung und natürlich ihre per- sel abgehalten wird. Es dient der internen Ver- sönliche Autorität, um implizite Empfehlungen netzung und politischen Kooperation und soll an das Plenum zu geben. Während im Delegier- zugleich das soziale Miteinander fördern. Eine tensystem die örtlichen Vorsitzenden direkte ähnliche Stellung wie das Vorständetreffen Ansagen gegenüber ihrer jeweiligen Delega- nimmt die Konferenz OpenMind ein, auf der die tion auf der Grundlage eigener Absprachen mit Piraten vornehmlich über inhaltliche Fragen anderen Funktionsträgern machen, würde ein debattieren. solches System der Vorbesprechungen dem von Neben den Vorstandsfunktionen existieren den Piraten propagierten offenen Ansatz zuwi- zahlreiche weitere Funktionen, Beauftragun- derlaufen. Trotzdem etabliert sich unter dem gen und Sprecherpositionen, deren Zahl in den Deckmantel der Kandidatenbefragung ein Sys- vergangenen Jahren angewachsen ist. Vielfach tem der Einflussnahme, welches letztlich sehr gilt daher, dass für jeden aktiven Piraten auch ähnlichen Mechanismen unterliegt wie die Ein- ein Posten gefunden wird. Zugleich ist ein am- flussnahme bei den etablierten Parteien. bivalentes Verhältnis gegenüber Funktionsträ- Das Verfahren des Kandidatengrillens of- gern festzustellen. Im Kern ist die Partei fenbart eine weitere interessante Eigenschaft mittlerweile durch die zahlreichen Funktionen der Piratenpartei: Der etablierte Stand der 25 D IE P IRATENPARTEI Parteimeinung wird von den Fragestellern neuerliche Mehrheitsentscheidung abgeän- oftmals mit einer derartigen Überzeugung vor- dert werden. Es fehlt jedoch die für demokrati- gebracht, dass die zur Wahl stehenden Kandi- sche Prozesse essenzielle Verfahrensklarheit, daten quasi zur Reproduktion eines aktuellen die Minderheiten davor schützt, plötzlich über- innerparteilichen Glaubensbekenntnisses ge- rumpelt zu werden, und die mit feststehenden nötigt werden. Im Zweifelsfalle bekennen sich Quoren und Verfahrensschritten für bestimmte die Kandidaten „hundertprozentig“ zum Pro- Beschlüsse eine besonders anspruchsvolle Le- gramm der Partei und sind bereit, auf ihre eige- gitimationsgrundlage vorschreibt. Verbindli- ne inhaltliche Meinung zugunsten der Meinung che Regelungen sind dabei unabhängig von der der Parteibeschlüsse zu verzichten, aber Zusammensetzung einer Versammlung und gleichwohl ihre Freizeit für die Partei zu op- verhindern, dass Minderheiten mit einer vor fern. Durch die immer wiederkehrenden Ver- Ort beschlossenen einfachen Mehrheitsregel weise auf den bisherigen Stand der politischen überstimmt werden können. Kultur und der politischen Inhalte wird deut- Tatsächlich fußt die Organisation der Partei Dominanz des lich, dass die Partei in Bezug auf neue Meinun- stark auf dem Ansatz, das Mehrheitsprinzip Mehrheitsprinzips gen und Positionen mitnichten vollkommen of- zum alleinigen Kriterium des demokratischen fen ist. Zwar koexistieren in der Partei ver- Entscheidungsprozesses zu erklären. Minder- schiedene Meinungen und Positionen, was heiten haben daher in der Partei strukturell durch den hybriden, also gemischten Organisa- schlechte Chancen auf Repräsentation. Das vor- tionsaufbau gefördert wird. Wenn jedoch ein wiegend verwendete Wahlverfahren, bei dem relativer Konsens in bestimmten Fragen er- man unabhängig von der Zahl der zu besetzen- reicht ist, werden neue oder abweichende den Positionen beliebig viele Kandidaten an- Meinungen und Positionen vor allem im pro- kreuzen kann, ist seinerseits darauf angelegt, grammatischen Prozess oftmals marginali- die Kandidaten des „kleinsten gemeinsamen siert. Nenners“ (Szpiro 2011: 196) zu wählen. Polari- 26 Dass die Piraten in Bezug auf innerparteili- sierende Personen mit überbordenden idealis- chen Minderheitenschutz nicht allzu sorgsam tischen oder dezidierten programmatischen sind, zeigt sich im Fehlen einer satzungsrecht- Vorstellungen haben darin kaum Chancen. Die lich verbindlichen Wahlordnung. Einige weni- Dynamik der Auswahl ist ferner darauf ange- ge Landesstatute, wie diejenigen von Bremen legt, möglichst Amtsträger hervorzubringen, oder des Saarlands, haben für ihren Geltungs- die ihre eigene persönliche Meinung hinter der bereich die Wahlverfahren ganz oder in Teilen basisdemokratisch entwickelten zurückstehen festgeschrieben; doch ganz überwiegend be- lassen. Wer sich derart zurückhaltend gibt, schließen die jeweiligen Parteitage diese als überdies bereits in möglichst vielen innerpar- Teil ihrer Geschäftsordnung. So kann im Ver- teilichen Zirkeln mitarbeitet, umfangreich di- lauf einer Versammlung das Verfahren durch gital kommuniziert und obendrein bereitwillig O RGANISATION DER P IRATEN viele lästige Verwaltungsaufgaben übernimmt, mag nicht sonderlich effizient, oftmals gar un- hat beste Chancen, gewählt zu werden. professionell sein, dafür ist sie allerdings in Die den Vorständen zugewiesene Rolle spiegelt den zentralen Stellenwert des Prinzips jedem Falle originell und vielfach auch effektiv (Henzler 2012b; Winkler 2012: 513). der Selbstorganisation bei den Piraten. Dieses Allerdings ist die Form der Schwarmorgani- resultiert vor allem aus den privaten und beruf- sation nicht vor gravierenden Fehlentscheidun- lichen Erfahrungswerten vieler Mitglieder im gen gefeit. In der als Referenz für die Arbeit der Bereich der Softwareentwicklung und der In- Piratenpartei gut geeigneten Online-Enzyklo- ternetkultur. Dort ist es möglich, auch ohne pädie Wikipedia sind selbst Beiträge, die eine eine formale Hierarchie Prozesse und Gruppen große Nutzerzahl erreichen, fehleranfällig zu organisieren und zu koordinieren. Dieses oder vor Manipulationsversuchen nicht sicher Ideal, das in seiner organisationstheoretischen (Stegbauer 2009: 174). Im Schwarm selbst ent- Anwendbarkeit keineswegs unumstritten ist steht zudem oftmals eine Hierarchie, die sich (Lanier 2010; Stegbauer 2009: 173 ff.), steht nicht unbedingt von Autorität, Anerkennung Pate für die Arbeitsweise der Piraten. und Qualifikation ableitet, sondern von der blo- Zentral ist dafür die Annahme, dass durch ßen Masse der selbst geleisteten Beiträge. Schwarmintelligenz ein höheres Maß an Wis- Hinzu kommt, dass der Schwarm in der Regel sen und Kreativität aktiviert werden kann als nichts genuin Neues produziert, sondern nur durch einen umgrenzten Kreis von Experten. bereits vorhandenes Wissen neu kompiliert Delegation setzt bei den Piraten überall dort (Lanier 2010: 162). Dementsprechend sind die ein, wo Aufgaben von Vorständen personell Piraten zwar in der Lage zu reagieren, selten nicht mehr erfüllt werden können oder wo die aber zu agieren. Vorstände die Gefahr sehen, dass sie ihre Kom- Die Organisationsstruktur der Piratenpar- petenz zur politischen Arbeit überschreiten. In tei funktioniert somit dann besonders gut, diesem Fall werden einzelne Piraten oder Grup- wenn es ein klares Ziel gibt. Praktisch braucht pen mit der Erledigung von Aufgaben beauf- es oftmals Anstöße von außen, um das System tragt oder nehmen sich dieser eigenmächtig an, in produktive Wallung zu bringen. Ein anste- wobei sich die zuständigen Piraten ihrerseits hender Wahltermin ist ein solcher Impuls. durch kooperative, vorwiegend netzgestützte Ansonsten ist die bei den Piraten verbreitete Arbeitsprozesse selbst koordinieren. Die ein- Schwarmorganisation zu einer politisch not- deutige Stärke dieser Struktur zeigt sich in wendigen, strategisch geplanten Agendaset- hochverdichteten Wahlkampfphasen (Bieber zung kaum in der Lage. Dafür bedürfte es wohl 2012a: 30; F. Neumann 2011: 50), wenn die Par- eines strategischen Zentrums; doch den eigent- teimitglieder an verschiedenen Stellen unko- lich dafür prädestinierten Vorständen wird kei- ordiniert und parallel an Themen und Aktionen ne inhaltliche und strategische Führung zuge- arbeiten. Eine solche Form der Organisation billigt. Obendrein fehlt der Partei ein profes- Schwarmintelligenz 27 D IE P IRATENPARTEI sionelles Umfeld mit Stiftungen und kommu- wortung Fragestellungen, Themen und Anlie- nalpolitischen Vereinigungen ebenso wie ein gen vor und hoffen darauf, dass sich dazu die schlagkräftiger hauptamtlicher Apparat, der passenden Meinungen, Erfahrungswerte und den Vorständen die lästigen und zeitintensiven Wissenshintergründe in der Partei finden. Sie Verwaltungsaufgaben abnehmen könnte und so sind also diejenigen, die Agendasetting im All- die Steuerungsfähigkeit der Vorstände stärken tagsgeschäft betreiben. Die Prozesse erfolgen würde. insofern „top-down“. Initiativen von der Basis Seitdem die Piraten Mandate wahrnehmen hingegen versanden oftmals, da entsprechen- und damit plötzlich in sämtlichen Politikfeldern de Kommunikationsflüsse bislang nicht ausrei- agieren, muss die Partei zudem zu Themen Po- chend organisiert werden oder das tatsächli- sition beziehen, die bislang ausgeblendet wa- che Interesse der Mitglieder hinsichtlich einer ren. Die Vorstände der Piratenpartei, die es Partizipation an der parlamentarischen Arbeit gewohnt sind, sich in Sachfragen zu enthalten, überschaubar bleibt. Werden Basisinitiativen stehen auf einmal unter einem Handlungs- nicht von den Mandatsträgern mit besonderem druck, den sie nicht erfüllen können. Das von Engagement gefördert, können diese sich nur den derart domestizierten Vorständen hinter- an den Parteitag richten, entfalten aber nicht lassene politische Vakuum füllen zunehmend unbedingt eine Wirkung im Alltag der Mandats- die Piratenfraktionen. Die Mandatsträger ent- träger. Hierzu fehlt es schlicht an einem Adres- wickeln durch die Parlamentsarbeit fachliche saten, der seinerseits mit dem passenden poli- Expertise. Sie verfügen durch die Fraktions- tischen Gewicht Forderungen den Mandatsträ- büros über mehr oder minder umfangreiche gern gegenüber vorbringen könnte. Anders- hauptamtliche Ressourcen. Außerdem haben herum verhindert ein dichter Terminplan allzu sie privilegierten Zugang zu den wissenschaft- oft, dass die Mandatsträger regelmäßig an lichen Beratungsdiensten der Parlamente oder Stammtischen und anderen Parteitreffen teil- erhalten Auskünfte der Verwaltungen. Sie wer- nehmen. den mit Beschlussvorschlägen konfrontiert und Zugleich ist auf lokaler Ebene zu beobach- können sich auf der Grundlage der Debatten in ten, dass die Aktivitäten der dortigen Mandats- den Gremien eine differenzierte und vor allem träger den Charakter der Partei vor Ort verän- informationsgesättigte Meinung bilden. Ins- dern und den politischen Fokus in eine pragma- Lokalpolitik stößt gesamt zeichnet sich folglich eine Spaltung der tische, lokalpolitische Richtung verschieben Veränderungen an Partei in besser ausgestattete Mandatsträger können. Dieser Prozess scheint durchaus ambi- und einfache Mitglieder ab, womit die Fraktio- valente Folgen zu zeitigen (Hensel 2012a: 48). nen eine besondere Machtstellung innerhalb So erschließt sich die Piratenpartei lokalpoli- der Partei erlangen. Die Abgeordneten und tisch relevante Themen, erhält Zugang zu Ini- kommunalen Mandatsträger geben auch sonst tiativen vor Ort und kann als parlamentarischer mit dem Nachdruck ihrer politischen Verant- Hebel für umkämpfte Anliegen agieren. Hier- 28 O RGANISATION DER P IRATEN durch öffnen und diversifizieren sich die Pira- Studierendenparlamenten Mandate inneha- ten inhaltlich und avancieren zum Sammelbe- ben, sind die Aktivitäten und der Einfluss die- cken für politisch Engagierte verschiedenster ser Umfeldorganisation sehr begrenzt. Couleur. Die Kehrseite davon ist, dass die Partei inhaltlich zunehmend beliebig zu werden droht. Der Zustrom von zum Teil sehr partikular 3.4 Kommunikationswege Interessierten einerseits und einer politisch Wie bereits angedeutet, unterscheidet sich die bereits recht festgefahrenen Klientel anderer- Piratenpartei von etablierten Parteien beson- seits hat natürlich für die inhaltliche Weiter- ders fundamental in ihrem internen Kommuni- entwicklung und kollektive Identität der Ge- kationsverhalten. Konsequent greift sie auf Netzgestützte samtpartei Folgen, die gegenwärtig schwer Web-2.0-gestützte Kommunikationswege zu- Parteikommunikation absehbar sind. rück. Etliche der Aktiven bloggen oder sind bei Die Neumitgliedschaft diffundiert nämlich Facebook, Google+ oder Twitter aktiv. Die Par- in sehr unterschiedliche Strukturen und Ar- tei nutzt daneben eigene digitale Kommunika- beitszusammenhänge. Neben den territorialen tionsinstrumente, welche die klassische Partei- Gliederungseinheiten sind die thematischen struktur aus Gebietsverbänden und themati- Arbeitsgemeinschaften von besonderer Bedeu- schen Gruppen ergänzen. tung. Die Partei verfügte allein auf Bundesebe- Als „Schwarzes Brett“ (Wilde 2011: 17) fun- ne im Januar 2013 über 71 politische Arbeitsge- giert das Wiki der Partei. Dort finden sich Ta- meinschaften, über 14 Arbeitsgemeinschaften gesordnungen, (Wort-)Protokolle oder allge- für Öffentlichkeitsarbeit, 9 Technik-Arbeitsge- meine Informationen zu Parteitagen und Vor- meinschaften und 8 sonstige. Die Zahl der Ar- standssitzungen. Dokumentiert sind die Sat- beitsgemeinschaften hat sich – entsprechend zungen und Geschäftsordnungen der Gliede- dem Mitgliederwachstum – binnen Jahresfrist rungen und Gremien. Die Piraten erhalten hier nahezu verdoppelt. Zu deren Abstimmung auf für ihre Arbeit vor Ort Hilfestellungen, allge- Bundesebene dient die Koordinatorenkonfe- meine Informationen, Grafiken für ihre eigenen renz, die aus dem Kreis der AG-Koordinatoren Internetpräsenzen oder Wahlkampfauftritte, heraus gewählt wird. Anträge, Werbematerialien oder Verfahrens- Als Vorfeldorganisation existiert für unter fragen. Alle wesentlichen inhaltlichen oder or- 28-Jährige die Jugendorganisation Junge Pira- ganisatorischen Ressourcen werden darüber ten (JuPis). Die JuPis verfügen über einen Bun- ausgetauscht. Neben dem Wiki existieren wei- desvorstand und sechs Landesverbände sowie tere digitale Informationsplattformen wie das über Stammtische und Crews in sechs weiteren Online-Magazin „Flaschenpost“ oder Pod- Bundesländern. Die Gliederung folgt somit dem castangebote wie das nordrhein-westfälische Vorbild der Mutterpartei. Wie auch bei den „Krähennest“ oder in Süddeutschland der Hochschulgruppen der Piraten, die in einigen „Freibeuterhafen“. 29 D IE P IRATENPARTEI Vielschichtige digitale Meinungsbildung Als Arbeitsinstrument für Sitzungen und ten das System LiquidFeedback. Dort kommen Besprechungen stehen zwei Tools zur Verfü- Abstimmungs-, Diskussions- und Editionsme- gung. Zum einen nutzt die Partei die Software chanismen gleichermaßen zur Anwendung. Mumble, mittels deren sie Sitzungen von Vor- Das System wird eingesetzt, um Ideen für An- ständen, Arbeitsgruppen oder Arbeitsgemein- träge zu entwickeln, diese zur Diskussion zu schaften online abhalten kann. Das ganze Sys- stellen und um schließlich Stimmungsbilder zu tem ähnelt einer Telefonkonferenz, die aufge- erheben. Die Besonderheit ist, dass man nicht zeichnet wird und hinterher im Internet abgeru- fortwährend selbst aktiv sein muss, sondern fen werden kann. Zur Unterstützung zahlrei- sein Stimmrecht an andere Piraten ganz oder cher Prozesse dienen Etherpads, eine Art virtu- teilweise delegieren kann, wobei diese Dele- eller Notizbücher, die eine zeitgleiche koope- gation jederzeit wieder zurückgenommen wer- rative Arbeit am selben Text zulassen. Tages- den kann (Paetau 2010). Außerdem hat man die ordnungen, Anträge oder Pressemitteilungen Möglichkeit, Delegationen, die man selbst er- werden bei den Piraten darüber editiert. Für halten hat, an andere weiterzureichen. innerparteiliche Diskussionen und Informatio- Dieses System ist damit zwar relativ flexi- nen stehen zahlreiche Mailinglisten zur Verfü- bel und ermöglicht einen Wechsel zwischen gung. Obwohl jede Gliederungsebene mindes- plebiszitären und advokativen1 Elementen, wo- tens eine eigene unterhält, sind diese für die mit versucht wird, differenziert auf die verän- Partei nur bedingt repräsentativ. Insbesondere derten Ansprüche an politische Partizipation die sogenannte Aktivenliste auf Bundesebene einzugehen. Allerdings hat dies zur Folge, dass dient in erster Linie als Kritikforum, dem einige Mitglieder über ein beachtliches Stim- bestenfalls eine kathartische, meist jedoch mengewicht verfügen und allein ihr Votum bloß eine destruktive Funktion zukommt. bereits ausschlaggebend sein kann (Neumann/ Demgegenüber kommunizieren die Piraten auf Fritz 2012: 334). Demokratietheoretisch ist die regionalen Listen oftmals wesentlich konstruk- Einordnung des Systems LiquidFeedback kei- tiver oder tauschen dort Termine und organisa- neswegs eindeutig. So folgen die Piraten torische Informationen aus. hiermit weder einem rein repräsentativen Ver- Schließlich existieren noch einige Mei- fahren noch einem rein direktdemokratischen nungsbildungstools wie LimeSurvey, um Umfra- Ansatz, noch entspricht die Vorgehensweise gen unter den Mitgliedern abzuhalten (Bieber imperativen Mandaten, bei denen Abgeordne- 2012a: 31). Als zentrale Plattform für die virtu- te an inhaltliche Forderungen der Vertretenen elle Meinungsbildung präferieren etliche Pira- gebunden sind (Buck 2012: 629). Ebenso beach- 1 Normalerweise unterscheidet man zwischen plebiszitär und repräsentativ. Faktisch ist aber das System so ausgestaltet, dass für die Repräsentation durch einen anderen diesem ein individuelles und jederzeit widerrufbares Mandat erteilt wird. Es ist also mitnichten ein imperatives Mandat, sondern eher eine Ermächtigung wie bei einem Advokaten, dem man das rechtsanwaltliche Mandat auch jederzeit entziehen kann. 30 O RGANISATION DER P IRATEN tenswert ist die herausgehobene Stellung der glieder registriert. Gemessen an den zahlen- Funktion der Delegation und Repräsentation, den Mitgliedern wäre rund die Hälfte aller Pira- die LiquidFeedback von dezidiert direktdemo- ten in LiquidFeedback vertreten, wovon aber kratischen Systemen abhebt (Dobusch 2012). wiederum lediglich die Hälfte überhaupt aktiv Vielmehr lässt sich das System dadurch als In- teilnimmt, sodass eben nur ein Bruchteil der strument einer auf herrschaftsfreien und betei- Mitglieder tatsächlich einbezogen wird. Li- Probleme von ligungsorientierten Verhandlungsdemokratie quidFeedback trägt zudem keineswegs dazu LiquidFeedback auffassen. Teile der Partei versprechen sich bei, das Problem der Unübersichtlichkeit in der vom Ausbau von LiquidFeedback eine dauer- Parteikommunikation zu vermindern. Debatten hafte verbindliche parteiinterne Kommunika- werden aus dem System oftmals in Pads, Mai- tionsstruktur. linglisten oder ins Wiki verlagert. Über Twitter Doch das System ist bei anderen Mitglie- und Mailinglisten wird für eigene Initiativen im dern höchst umstritten. Wie wenig Wirkung sei- System geworben oder werden diese wieder in ne Ergebnisse entfalten, zeigt sich regelmäßig Erinnerung gebracht, wenn die finale Abstim- bei Parteitagen. Nicht selten klaffen die Mei- mung naht (Wagner 2012: 112). nungsbilder im System und die realen Mehr- Wie wenig LiquidFeedback gegenwärtig in heiten stark auseinander (Neumann/Fritz 2012: der Lage ist, einen umfassenden Einbezug der 334). Einige Befürworter des Systems machen Parteibasis in die relevanten Debatten zu ge- darauf aufmerksam, dass man LiquidFeedback währleisten, wird unter anderem daran deutlich, richtig verstehen müsse: Nur Anträge und Posi- dass in der Regel inklusive der delegierten Stim- tionspapiere, die von einer überwältigend gro- men nur 400 bis 700 Stimmen bei einer Abstim- ßen Mehrheit angenommen wurden, haben mung festgestellt werden. Die zentrale Kritik Aussicht, in einer realen Abstimmung auf ei- richtet sich dabei weniger auf die geringe Teil- nem Parteitag zu bestehen. Das wiederum nehmerzahl bei der Abstimmung, auch weil zu stellt natürlich die Funktionsweise des Sys- erwarten ist, dass das System erst in dem Mo- tems selbst in Frage. Gerade Schlüsselent- ment umfangreichere Attraktivität und damit scheidungen fallen in einer Demokratie Teilnehmer gewinnen kann, in dem diese auch oftmals erst nach erbitterten Kontroversen mit tatsächlich relevante Beschlüsse produzieren knappen, zugleich polarisierten Mehrheiten. können. Vielmehr wird im LiquidFeedback-Sys- Wenn das System dazu ungeeignet ist, so stellt tem ein weit verbreiteter Kerngedanke der De- sich natürlich die Frage, ob es eine Legitima- mokratie verletzt: der nämlich, dass Demokratie tion für die Arbeit der Partei entfalten kann. nicht auf die Partizipation abzielt, sondern auf Ein Grund für die unzureichende Verbind- die Inklusion aller Individuen (Buck 2012: 632). lichkeit ist die verhältnismäßig geringe Betei- Repräsentative Systeme sind darin überlegen, ligung an diesem Medium. So sind zwar weil deren Mandatsträger stets die Interessen immerhin rund 11.000 der offiziell 34.000 Mit- aller Bürger zu berücksichtigen haben, also 31 D IE P IRATENPARTEI 32 auch derjenigen, die sie nicht gewählt haben widerstreitenden Interessen erzielen, ist das (ebd.). Wie viele andere direktdemokratische bei LiquidFeedback keineswegs erforderlich. oder basispartizipatorische Systeme gewähr- Man kann seine Stimme einem vehementen leistet LiquidFeedback diesen Anspruch nicht. Vertreter von Steuersenkungen übertragen und In der Praxis des Systems werden politische gleichzeitig den Befürworter skandinavischer Entscheidungsprozesse überdies fragmentiert Sozialstaatsmodelle beauftragen. Dass beide und in disparate Fachsphären überführt. So ist Ansätze nicht zusammenpassen, leuchtet un- das System in mehrere Fachforen unterglie- mittelbar ein. Doch das muss in der jeweiligen dert, wobei sich jedes Mitglied zu beliebig vie- Einzelfrage demjenigen, der seine Stimme de- len anmelden kann. Diskussionen und Abstim- legiert, nicht unbedingt klar sein, da er ebenso mungen erfolgen jedoch stets nur innerhalb ei- in unterschiedlichen Facharenen agiert wie nes Fachforums. Die Aufsplitterung in verschie- diejenigen, die seine Delegation empfangen. dene Arenen hat weitreichende Konsequenzen. Eine Stärke der repräsentativen Demokratie ist Ein Thema gelangt nämlich nur dann zur Ab- demgegenüber die Verantwortlichkeit desjeni- stimmung, wenn zehn Prozent derjenigen Teil- gen, der das Vertrauen bei der Wahl erlangt nehmer, die sich für ein Politikfeld interessie- hat. Er muss sich für sein gesamtes Handeln ren, auch eine Initiative unterstützen. Bereits rechtfertigen und wird zu einer Globalperspek- die Wahl einer Facharena kann also erhebli- tive genötigt. Er muss seine Zustimmung zu ei- chen Einfluss auf den Erfolg einer Initiative ha- nem komplizierten Kompromiss, der verschie- ben. Durch die unterschiedlich hohe Zahl von denste Ansprüche berücksichtigt, erklären und registrierten Teilnehmern ist schon das Errei- verantworten können. In LiquidFeedback kann chen des benötigten Quorums unterschiedlich man hingegen die Aushandlungsebene umge- schwer. Je differenzierter die Themenfelder hen und sich auf die fragmentierten Teilarenen sind, desto größer die Chance, Initiativen in konzentrieren. einer genehmen Politikarena platzieren zu Als Kernproblem von LiquidFeedback gilt können. Somit wird die Parteimitgliedschaft aus innerparteilicher Perspektive ein Konflikt, eben letztlich nicht in ihrer Gesamtheit er- der an den Grundfesten der Partei ansetzt. So reicht, sondern eben nur in einer fachlich diffe- sind Transparenz und Datenschutz schwer renzierten Teilgruppe angesprochen. miteinander zu vereinbaren. Gegenwärtig müs- Dadurch erzeugen die Piraten eine Form sen die Teilnehmer in LiquidFeedback nicht mit der politischen Fragmentierung, die die Gefahr ihrem Klarnamen agieren. Dadurch ist aber mangelnder Konsistenz und des Kontrollver- schwer nachzuvollziehen, ob Abstimmungen lusts in sich birgt (Guggenberger 2012: 11). tatsächlich manipulationsfrei verlaufen sind. Während der gewöhnliche Organisationsauf- Die Benutzung von Klarnamen wird jedoch mit bau einer Partei darauf basiert, dass die jewei- dem Argument abgelehnt, dass hierdurch eine ligen Delegierten einen Ausgleich zwischen vollständige Datei mit allen Abstimmungsver- O RGANISATION DER P IRATEN halten entstünde, was wiederum im Wider- rungen miteinander. Auch wird in der Praxis die spruch zum für viele Piraten zentralen Prinzip Kompetenz eines Akteurs nicht allein aus sei- des Datenschutzes steht. Dieser und damit nen Argumenten abgeleitet, sondern entschei- letztlich das Wahlgeheimnis – bei knappen dend ist eben auch, ob es glaubwürdig, seriös Mehrheiten auf Parteitagen stimmen die Pira- und überzeugend wirkt, wie er sie vorträgt, wie ten in aller Regel auch geheim ab – wären er sich im Diskurs schlägt, wenn er keine Zeit jedenfalls nicht gewahrt, und dadurch liefen hat, um auf Nachschlagewerke zuzugreifen, Vertreter von Minderheitenpositionen stets Ge- sondern schnell reagieren muss. Natürlich fahr, an den innerparteilichen Pranger gestellt steht die Überbetonung solcher Elemente des zu werden. Diese Widersprüche veranlassten politischen Diskurses jenseits des rationalen im September 2012 sogar die Softwareentwick- Arguments auch in der Kritik (Oberreuter 2012: ler von LiquidFeedback, sich von der Art und 30). Dennoch verengt die reine Konzentration Weise zu distanzieren, wie die Piratenpartei auf die textuelle Ebene wichtige Aspekte der dieses Instrument einsetzt (Behrens u. a. 2012). demokratischen Willensbildung. In der wissenschaftlichen Debatte über Li- Die Vielzahl an Kommunikations- und Mit- quidFeedback finden sich gegenwärtig Stim- wirkungsmöglichkeiten bringt es mit sich, dass men, die neben der mangelnden Inklusions- verschiedene, eher parteiintern genutzte Kom- leistung einen Aspekt kritisieren, der auf viele munikationswege (Mailinglisten, LiquidFeed- digitale Kommunikations- und Entscheidungs- back, LimeSurvey) mit in die Öffentlichkeit ge- verfahren zutrifft. Internetkommunikation ba- richteten Kommunikationsformen (Blogs, Twit- siert oftmals auf textueller Interaktion, die eine ter, Facebook und Ähnliches) um die Aufmerk- besonders abstrakte Rationalitätsebene an- samkeit der Parteimitglieder konkurrieren. In- spricht. In der Alltags- und in der politischen härent ist eine latente Tendenz zur Informa- Kommunikation dominiert dagegen die Identi- tionsüberflutung (Guggenberger 2012: 13). Informations- fikation mit Personen und mit Symbolen, wes- Selbst wer nur einzelnen Kommunikationska- überflutung wegen diese Ebene für die Legitimation demo- nälen folgt, gerät in Schwierigkeiten, sich in kratischer Institutionen nach wie vor immens der Menge der Informationen im Rahmen sei- wichtig ist (Buck 2012: 633). Auf der Ebene der nes zumeist begrenzten Zeitbudgets zurechtzu- digital vermittelten textuellen Kommunikation finden. Da grundsätzlich alle Nachrichten und wird dagegen etliches ausgeblendet, was „zum Informationen mit gleicher Priorität und glei- Wesen der Demokratie“ (Kleinert 2012: 21) ge- cher Wertigkeit distribuiert werden, muss der hört: Die rhetorische Gabe eines Redners, sein Empfänger beispielsweise erst den umfängli- Charisma oder seine Ausstrahlung beeinflus- chen Mailverkehr wirksam filtern. sen die Willensbildung ebenso sehr wie Emo- Wie sehr die bloße Masse von Nachrichten tionen, habituelle Gemeinsamkeiten, Vertrau- dazu führen kann, dass wichtige Informationen en oder Misstrauen oder gemeinsame Erfah- untergehen, demonstrierte Nordrhein-Westfa- 33 D IE P IRATENPARTEI lens Piratenchef Sven Sladek an dem Tag, an oder die Stimmungslage bei Twitter anhand des dem der dortige Landesvorstand seinen politi- jeweiligen Hashtags nachvollziehen. Gleich- schen Geschäftsführer entließ. Sladek teilte im zeitig konkurrieren solche Voten und Eindrü- Verlauf des Tages unter anderem mit, dass er cke mit der Meinungsbildung bei den Stammti- „nur noch Schokobananen essen“ werde, er schen beziehungsweise Crews und müssen sich Mitfahrgelegenheiten anbieten könne und gegen den Expertenstatus von Arbeitsgemein- dass es „kein schöner Abend“ gewesen sei. Nur schaften behaupten. Wer dabei die Übersicht in einem Tweet deutete er dann die Vorkomm- behalten will, stößt leicht an die Grenzen jegli- nisse im Landesvorstand an. cher realistischer Aufnahmekapazitäten. Tatsächlich scheinen die Piraten mit ihrer 3.5 Flexibilität und Komplexität als Organisationsherausforderung polyzentrischen und mehrdimensionalen Organisationsstruktur keineswegs eine Partei für die „Zeitarmen“ zu sein, sondern wie die ande- Partei der Die Vielfalt an digitalen Kommunikationsstruk- ren Parteien eher für die „Zeitreichen“ konzi- „Zeitreichen“ turen und der hybride bis anarchische Organi- piert zu sein (vgl. Glotz 1997). Zwar ist es prinzi- sationsaufbau der Partei eröffnen den Mitglie- piell und derzeit auch praktisch möglich, auf dern, aber auch Außenstehenden oder Sympa- allen Ebenen und in allen Strukturen und Gre- thisanten in erheblichem Maße Mitwirkungs- mien relativ einfach teilzunehmen und Einfluss möglichkeiten, die eher direktpartizipatorisch zu gewinnen. Doch ein solches Partizipations- als direktdemokratisch sind. Diese Unterschei- angebot ist nicht ohne Nebenwirkungen. Studi- dung ist mitnichten nur semantischer Art: en zur politischen Partizipation zeigen, dass „Durch ihre flexiblen Organisationsformen und diese oft sozial ausschließend wirkt. Von einer ihr wenig dauerhaftes, punktuelles Engage- Ausweitung der Partizipationsformen profitie- ment verliert nicht nur die individuelle Beteili- ren unverändert in erster Linie diejenigen, gung an Verbindlichkeit, sondern auch die poli- „die ohnehin schon über bessere Einflussmög- tischen Aussagen selbst, da nicht klar ist, wer lichkeiten und -ressourcen verfügen“ (Pickel sie in wessen Namen trifft“ (Zolleis/Prokopf/ 2012: 55). 34 Strauch 2010: 22). Sofern die Vorstände der Die Piraten hoffen, dass sie durch den gerin- unterschiedlichen Ebenen oder einzelne Pira- geren Aufwand für die Interessenartikulation ten den Anspruch erheben, verbindlich für die dennoch eher ein inkludierendes Angebot un- Partei zu sprechen, können sie auf verschiede- terbereiten. Am heimischen PC, mit dem Tablet ne Voten zurückgreifen. Sie können Programm- auf dem Sofa oder mit dem Smartphone in der beschlüsse und Positionspapiere der Parteita- U-Bahn könne man schließlich bequem an De- ge anführen oder auf Voten aus dem Liquid- batten teilhaben und sich selbst einbringen. Feedback verweisen. Parallel dazu können sie Daraus folgt, dass technologische Möglichkei- Diskussionen auf den Mailinglisten auswerten ten sehr weitreichende demokratiefördernde O RGANISATION DER P IRATEN Chancen bieten, die ein grundsätzlich wün- bislang gerade einmal so viel eingenommen schenswertes Mehr an politischer Teilhabe prin- wie seinerzeit die im Wesentlichen auf Ham- zipiell ermöglichen. Die Organisationsstruktur burg begrenzte Schill-Partei. der Piratenpartei zielt mit ihrer umfänglichen Eine weitere Ursache für die schlechte Fi- Internetorientierung genau darauf ab. Zugleich nanzlage der Partei ist der im Vergleich zu den bestätigt die Piratenpartei verschiedene ein- anderen Parteien geringe Mitgliedsbeitrag, schränkende und kritische Bewertungen zur der allerdings den niedrigen Mitgliedsbeiträ- Online-Partizipation (Emmer/Wolling 2010: 53). gen anderer Piratenparteien in Europa gleicht. Das Internet unterstützt die politische Partizipa- Obwohl die Mitgliedschaft bei den Piraten tion, es fördert die Teilhabe an Demokratie und ausgesprochen preiswert ist, ist die Zahlungs- durch Nicht- und ist insofern inkludierend, aber es ersetzt weder moral in der Partei schwach ausgeprägt. Nur Geringzahler die bestehenden Elemente demokratischer Teil- die Hälfte bis zwei Drittel der Mitglieder ent- habe, noch kann es die soziale Differenzierung richten überhaupt ihren Beitrag. Die Partei auflösen. Weil die Wahrnehmung von Partizipa- streicht im Gegensatz zu den politischen Mitbe- tionschancen weiterhin eng mit dem sozialen werbern säumige Zahler aber nicht aus der Kar- Status zusammenhängt, wird der Piratenpartei tei, sondern suspendiert nur deren Stimmrecht, daher nicht zu Unrecht der Vorwurf gemacht, sie und das auch nur auf Parteitagen, nicht bei Auf- verfolge ein „bisweilen elitäres Projekt“ (Krät- stellungsversammlungen. Selbst die zahlen- zig 2010: 95). den Mitglieder leisten nicht durchgängig den Einnahmenausfall vollen Beitrag. Viele nutzen die Möglichkeit 3.6 Flaute in der Kasse der Piratenpartei einer Beitragsermäßigung aus Gründen sozialer Härte, wohingegen nur die wenigsten Piraten der Empfehlung folgen, über ihren regulä- Die finanzielle Lage einer Partei entscheidet ren Beitrag hinaus noch einen freiwilligen zu nicht allein über ihren Erfolg, dennoch ist sie zahlen. Ein Vorstoß des Bundesvorstands, die von hoher Relevanz für deren Handlungsfähig- bisherigen Mandatsträger stärker in die Pflicht keit. Dieser Umstand stellt für die Piraten zu nehmen, scheiterte zuletzt (Meiritz 2012). durchaus eine ernst zu nehmende Herausforderung dar. Die Konsolidierung der Parteiorganisation und das immense Mitgliederwachstum in den Den inzwischen auf rund 1,5 Millionen Euro Jahren 2011 und 2012 lassen immerhin eine ge- gestiegenen jährlichen Anspruch aus der staat- ringfügige Besserung erwarten. Das verschafft lichen Parteienfinanzierung können die Pira- aber nur eine geringe Entlastung, weil gleich- ten gegenwärtig nicht geltend machen, weil es zeitig die Ausgaben weiter anwachsen. Rund ihnen nicht gelingt, in gleicher Höhe Eigenmit- ein Drittel des Gesamtetats der Partei auf Bun- tel zu erwirtschaften. Aus der staatlichen Fi- desebene wird mittlerweile für die beiden Bun- nanzierung haben die Piraten deswegen desparteitage im Jahr ausgegeben. Die wach- 35 D IE P IRATENPARTEI Tabelle 4: Mitgliedsbeiträge der deutschen Parteien Partei Mindestmonatsbeitrag Staffelung nach Einkommen Reduzierter Beitrag CDU 5 Euro Orientiert an 1 % des Bruttoeinkommens Einzelfallregelung CSU 6 Euro Zwei erhöhte Sätze, die sich an 0,3 % 4,17 Euro; des Bruttoeinkommens orientieren Familienmitgliedschaft: 2,50 Euro Die Linke 2 Euro 1 Progressiv ansteigend bis auf 4 % Keinen des Nettoeinkommens FDP 8 Euro Orientiert an 0,5 % des Bruttoeinkommens Einzelfallregelung Grüne Keinen 1 % des Nettoeinkommens Einzelfallregelung Piraten 4 Euro Keine. Empfehlung: 1 % des Bruttoeinkommens 1 Euro SPD 5 Euro Orientiert an einem Satz, der bis zu 6 % des Einkommens ausmacht; gesonderte Regelung für Wahlbeamte (50-250 Euro) und Bundestagsabgeordnete (250 Euro) 2,50 Euro 1 Unter Einbezug der verpflichtenden 0,50 Euro für die Europäische Dachpartei EL. Quelle: Eigene Erhebung. sende Zahl von Arbeitsgemeinschaften führt richtung der Parteitage benötigen und die Lan- ebenfalls zu erhöhtem Bedarf. Zudem wurde des- und Kreisgeschäftsstellen einrichten. Für hauptamtliches Personal erforderlich, wobei den Aufbau einer Infrastruktur, die außerhalb sich der Bundesverband der Piraten gerade von Wahlkampfzeiten handlungsfähig wäre, einmal eine gering entlohnte Pressesprecherin fehlt es den Piraten schlicht an verlässlichen und eine geringfügig beschäftigte Leiterin der Einnahmen. Dementsprechend wächst die Ab- Bundesgeschäftsstelle leisten kann. Zusätzli- hängigkeit der Partei von Spenden weiter. Als cher Personalbedarf, der im Bundestagswahl- vorteilhaft erweist es sich, dass Spenden, jahr 2013 zweifelsohne gegeben wäre, kann gerade Kleinspenden, über das Internet nur über Spenden gedeckt werden. vergleichsweise einfach zu generieren sind Die Partei ist chronisch unterfinanziert. Das gilt sowohl für die Bundesebene, obwohl gera- 36 (Palfrey/Gasser 2008: 261) und dies den Piraten anlassbezogen immer wieder gelang. de diese einen Löwenanteil der Beiträge ver- Ein besonders wirksames Instrument sind einnahmt, als auch für die Landesverbände, die dabei öffentliche Versprechungen, Spenden zu ihrerseits immer größere Räume für die Aus- leisten, wenn andere dasselbe tun. Über die O RGANISATION DER P IRATEN Internetseite Pledgebank.com konnten die Pi- gungen eines stürmischen Wachstums neue, raten so Werbematerialien für die Landtags- motivierte und dadurch belastbare Ehrenamtli- Kompensation wahlkämpfe finanzieren. Doch solche Instru- che in die Partei strömten. Die Grenzen dieses durchs Ehrenamt mente lassen sich nicht beliebig ausweiten. Organisationsmodells sind gegenwärtig aber Bislang gelingt es der Partei zwar, zwischen mit Händen zu greifen. Gerade in Phasen rück- den Landesverbänden überschüssige Liquidität läufiger öffentlicher Aufmerksamkeit und Zu- auszutauschen oder noch verwendbare und üb- stimmung erlahmt das geweckte Interesse rig gebliebene Materialien aus einem Land- rasch, und es zeichneten sich bereits 2012 ers- tagswahlkampf in einem anderen einzusetzen; te Ermüdungserscheinungen in der Piratenpar- im anstehenden Bundestagswahlkampf wird tei ab. Piraten mit den unterschiedlichsten das freilich nicht mehr möglich sein. Funktionen und Ämtern stellten diese wieder Die Piraten konnten ihre schwächere Finanzkraft bislang durch ein höheres Aktivitäts- zur Verfügung, wobei oftmals das Motiv der Überlastung eine wichtige Rolle spielte. niveau kompensieren, wobei sicherlich die Die finanzielle Lage der Partei begrenzt technische Kompetenz ihrer Mitglieder und gegenwärtig fast jegliche erforderliche per- Anhänger hilfreich war (Niedermayer 2010: sonelle Professionalisierung der Parteiarbeit. 847). So entwickelt die Partei ihre Materialien Weil gleichzeitig die Anforderungen infolge durch kooperatives Zusammenwirken. Die der Organisation der Parteiarbeit wachsen Sammlung von Unterstützerunterschriften bei und damit auch finanzielle Verpflichtungen Wahlen wird über das Internet koordiniert, und verbunden sind, stößt das bisherige Organi- Ressourcen werden dadurch so gelenkt, dass sationsmodell der Piratenpartei ohne eine Schwachpunkte kompensiert werden. Das alles Verbesserung der Finanzlage klar an seine war noch leicht möglich, als unter den Bedin- Leistungsgrenzen. 37 D IE P IRATENPARTEI 4. Programm und Ideologie Die Programmatik der Piratenpartei galt den tische Diversifizierung überhaupt angemessen etablierten Parteien lange Zeit als entschei- voranzutreiben. Verschweigen darf man sicher- dender Kritikpunkt. Dabei wurden fehlende lich nicht, dass auch die etablierten Parteien Breite, unzureichende Detailschärfe und Sub- mit ihrer programmatischen Stringenz, Tiefe, stanz bemängelt. In der Tat deckt weder das Substanz und Reichweite vielfach nachlässig Grundsatzprogramm der Piraten alle relevan- umgegangen sind. Trotzdem stellen Program- ten Themenfelder ab, noch liegen entsprechen- me natürlich eine Form der Darlegung und Be- de Positionspapiere vor. Gerade in den Berei- wertung des ideologischen Kerns dar, auf dem chen, die in der gegenwärtigen politischen De- die jeweiligen Parteien gründen, der sie batte als zentral erachtet werden, sind die pro- voneinander unterscheidbar macht und ihnen grammatischen Angebote der Piraten – wenn eine Identität verschafft, welche wiederum für überhaupt vorhanden – bislang zumeist unter- die Bindung der Wählerschaft unvermindert komplex. Das gilt trotz der letzten Erweiterun- wichtig ist (Wiesendahl 2006b: 7 ff.). gen des Grundsatzprogramms auch für die Europapolitik, die Zukunft der Wirtschafts- und Währungsunion oder die Außen- und Sicher- 38 4.1 Programmentwicklung heitspolitik. Selbst die Sozialpolitik erweist Das Grundsatzprogramm der Piraten hat, sich als große programmatische Leerstelle, ebenso wie die jeweiligen Wahlprogramme, obgleich hier die Piraten mit ihrer Forderung innerparteilich eine hohe, fast weihevolle Be- nach einem Grundeinkommen im politischen deutung. Anders als gemeinhin bei solchen Tex- Wettbewerb sogar ein Alleinstellungsmerkmal ten üblich, verfügt es indes weder über eine anbieten (Hensel 2012b: 110 ff.) und dieses Po- umfängliche Gegenwartsbeschreibung, noch litikfeld von den meisten Piratenwählern als sind Menschenbild oder Grundwerte der Partei wahlentscheidend angesehen wird. Doch jen- explizit dargelegt. Die politischen Forderungen seits dieser plakativen Forderung bleiben die werden vielmehr vor dem relativ umgrenzten Piraten in allen Teilfeldern der Sozialpolitik Panorama einer durch Überwachung und Kon- wie der Arbeitsmarkt-, Gesundheits-, Pflege- trolle gekennzeichneten Informationsgesell- oder Rentenpolitik konkrete programmatische schaft skizziert. Lange Zeit ließ sich dies als Antworten weitgehend schuldig. Existierende Ausdruck einer postideologischen Haltung der disparate Programmelemente aus einzelnen Partei interpretieren. Die letzten Programmer- Arbeitsgemeinschaften oder Landesverbänden weiterungen sind aber von dem Bemühen ge- wurden zudem bislang nicht systematisch zu- kennzeichnet, eine stärkere inhaltlich-ideolo- sammengeführt. gische Fundierung vorzunehmen. Natürlich hat die Piratenpartei erst nach Während das Grundsatzprogramm seit den 2009 eine hinreichend große Mitglieder- und Anfängen der Partei immerhin eine gewisse Ressourcenbasis erreicht, um eine programma- Geschlossenheit und Systematik erkennen P ROGRAMM UND I DEOLOGIE lässt, sind die Wahlprogramme der Piraten verbindliche Ebene, die eine Aushandlung von oftmals unstrukturierte Aneinanderreihungen Interessen ermöglicht. Die Parteitage sind sehr unterschiedlicher Themen. Dadurch ent- dazu kaum geeignet, da sich die Entschei- Keine stringente stehen manche merkwürdigen thematischen dungsmöglichkeit dort aufgrund der Rahmen- Programmentwicklung Setzungen: Im schleswig-holsteinischen Wahl- bedingungen im Wesentlichen auf eine einfa- programm tauchen unter Energiepolitik mit ei- che Zustimmung oder Ablehnung reduziert, so- nem Mal Forderungen zur Trinkwasserversor- dass ein für die Demokratie unabdingbarer, auf gung auf. In Nordrhein-Westfalen findet das Verhandlung gerichteter Diskurs nicht geführt Thema Whistleblower-Schutz ausgerechnet un- werden kann. Verschärft wird dieser Umstand ter Gesundheitspolitik Erwähnung. Oftmals fin- dadurch, dass die Piraten in ihrer Parteitagsge- den sich in den Programmen größere Abschnit- schäftsordnung keine Änderungsanträge zulas- te zu bestimmten Themen, wenn einzelne Pira- sen und Beschlüsse zugleich eine Zweidrittel- ten hier besonders erfolgreich ihr Interesse mehrheit erfordern. Ersteres hemmt die Aus- und ihre Expertise eingebracht haben, weswe- handlungsmöglichkeiten, Letzteres schützt gen das saarländische Wahlprogramm über ein überkommene Programmbausteine so, dass eigenes Kapitel zum Tierschutz oder das eine neuerliche Debatte darum faktisch ausge- schleswig-holsteinische Aussagen zur Steuer- schlossen ist. politik enthält. Die Bedeutung von erfolgreich durchgerun- Wie begrenzt die eigentliche programmati- genen Programmbeschlüssen ist vor diesem sche Diskussion in vielen Bereichen ist, wird Hintergrund besonders hoch einzuschätzen. bereits daran deutlich, dass man sich bei der Tatsächlich rekurrieren nicht wenige Piraten Erstellung von Landeswahlprogrammen gerne auf die offiziellen Forderungen der Partei, leh- großzügig bei Ausarbeitungen anderer Landes- nen eigene öffentliche Positionierungen ohne verbände bedient. Besonders auffällig war dies Parteibeschluss ab oder prangern Verstöße ge- in Schleswig-Holstein, wo fast die Hälfte der gen Beschlüsse entschieden an. Programmati- Inhalte des dortigen Wahlprogramms aus an- sche Entscheidungen führen keineswegs zur deren Landesverbänden übernommen worden Klärung von innerparteilichen Konflikten, weil war, freilich ohne die in anderen Ländern vor- die Partei ja zugleich Wert darauf legt, dass die handenen Begrifflichkeiten und Regelungstat- individuellen Einstellungen, Positionen und bestände an die Verhältnisse zwischen Nord- Forderungen nicht durch die Beschlüsse der und Ostsee anzupassen (Horst 2012: 531; o. V. Partei eingeengt werden. In der Partei stößt 2012; Pergande 2012). man deswegen auf mehr Widerstand, wenn Eine Ursache der eher unterentwickelten individuelle Einstellungen, Positionen oder Programmdiskussion liegt in der Struktur der Forderungen abseits jedes programmatischen vielfältigen Kommunikationskanäle und Mit- Beschlusses im Sinne eines orientierenden wirkungsmöglichkeiten. Es fehlt eine klare und Entwurfs artikuliert werden, als wenn diese 39 D IE P IRATENPARTEI Beiträge den bestehenden Positionen im Zwei- sätze ist zwar noch nicht abgeschlossen, ja er fel diametral entgegenstehen. Heftige Debat- hat sich zum Teil auch festgefahren, dennoch ten um das Selbstverständnis dessen, was „pi- gelten die deutschen Piraten im Vergleich zu ratig“ sein soll, sind dadurch stets die Folge. ihren Schwesterparteien mittlerweile als Pioniere der programmatischen Erweiterung und 4.2 Programmatische Ausrichtung Gemessen am Erfolg der deutschen Piraten bei 40 Entwicklung eines Vollprogramms (Appelius/ Fuhrer 2012: 319). Einige der bereits von der schwedischen Wahlen sowie an dem Anspruch, eine interna- Piratpartiet gesetzten programmatischen tionale Bewegung zu sein, stellt sich die Frage Schwerpunkte sind bis heute erhalten geblie- nach einem programmatischen Kern und einer ben. Dazu gehört ein liberales Politikverständ- übergreifenden Leitidee. Über eine solche ver- nis, bei dem der Schutz bürgerlicher Rechte im fügen immerhin alle großen europäischen Par- Vordergrund steht, das sich vor allem in der teifamilien. Ausgehend vom Menschenbild, ei- Forderung nach Datenschutz und Informations- ner Zeitdiagnose und den Grundwerten wird rechten manifestiert (Koß 2011). Dementspre- jeweils ein ideologischer Rahmen aufge- chend entwickeln die Piraten ihren Liberalis- spannt, auf dessen Grundlage Einzelpositionen mus in erster Linie aus der Bezugnahme auf die und Forderungen hergeleitet werden. So kön- gesellschaftliche Transformation im Zuge der nen sich die jeweiligen Parteien auch in neuen digitalen Revolution, während eine deduktive Politikfeldern meist zügig verorten oder Einzel- Herleitung aus der aufklärerischen Ideenge- forderungen auf die Grundlage von Werten und schichte heraus nachrangig ist. Derart grundle- Erfahrungen zurückführen. gend argumentiert das Grundsatzprogramm der Erkennbar gibt es bei den Piraten eine deutschen Piraten ohnehin nicht. Stattdessen Scheu vor einer allzu engen ideologischen rekurriert es auf eine begrenzte Zeitdiagnose, Festlegung. Gerade in der jüngsten Debatte der zufolge die bisherigen rechtlichen, wirt- über ihre wirtschaftspolitische Ausrichtung schaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen wurden sehr grundlegende Fragen aufgewor- durch die technologischen Entwicklungen auf fen. Abgesehen von der vagen Bezugnahme auf den Prüfstand gestellt würden. Eine klare Zu- ein humanistisches Weltbild vermochte die ordnung zu einem der klassischen politischen Partei in diesem Bereich aber keine Klärung Lager ergibt sich daraus jedoch nicht. darüber herbeizuführen, wie weit wirtschaftli- In der Politikwissenschaft hat sich einge- che Freiheit reichen, welchen Stellenwert Ge- bürgert, Parteien entlang von gesellschaftli- rechtigkeit haben oder wie das Verhältnis ver- chen Konfliktlinien einzuordnen. Solche „Clea- schiedener Grundwerte zueinander sein soll. vages“ (Konfliktlinien z. B. zwischen Arbeit/ Der Prozess der Ausdifferenzierung und Kapital, Staat/Kirche, Stadt/Land oder Zen- Systematisierung der programmatischen An- trum/Peripherie) zeichnen sich durch dauer- P ROGRAMM UND I DEOLOGIE hafte Überzeugungen aus, denen zufolge in- aktualisiert, die zunächst einmal Teil des klas- haltliche Differenzen „immer wieder für kon- sischen Konflikts zwischen Staat und Bürger krete Entscheidungen relevant sind oder […] um individuelle oder kollektive Freiheitsrechte auf ideologische Dimensionen mit abstrakterer sind. Ihre Forderungen, Staatsbürgerrechte zu Bedeutung rückführbar sind und […] die Ab- erweitern, die Neutralität des Staatswesens zu stimmenden/Wähler immer wieder in die glei- betonen, individuelle Freiheitsrechte zu si- chen Gruppen von Befürwortern und Gegnern chern und sich auf eine in Teilen radikale lai- zerfallen“ (Pappi 2005: 104). Je nach Herange- zistische Haltung zu berufen, verweisen hierbei hensweise werden unterschiedlich viele Kon- zweifelsohne auf eine liberale Grundhaltung. fliktdimensionen ausgemacht. Die gleichzeitige Betonung von Zukunftschan- Alle Parteien, die sich in den europäischen cen durch Bildung und Vernetzung legt auch Parteiensystemen dauerhaft etablieren konn- eine sozialliberale Orientierung nahe. Schlüs- ten, haben in mindestens einem Konflikt selbegriffe wie Demokratie oder Freiheit zäh- zunächst einen Pol prononciert besetzt: Die len jedenfalls zweifelsohne zum Markenkern Sozialdemokraten vertraten die Interessen der des Sozialliberalismus wie auch der Piraten- Arbeiter gegenüber den Kapitaleignern. Zen- partei (Hönigsberger/Osterberg 2012: 19). trumsparteien waren die Repräsentanz der Ka- Hinweise, wonach etwa das Grundeinkom- tholiken gegen den säkularen Staat. Konserva- men als Antithese zum Sozialliberalismus zu tive Parteien traten für die Interessen der Land- deuten wäre (Hensel/Klecha/Walter 2012: 52; bevölkerung gegen diejenigen der Städter ein. Offe 2007), werden jedoch von der Partei geflis- Grüne Parteien ergriffen Partei für postmateri- sentlich ignoriert. Auch Widersprüche zwi- elle Anliegen und stellten sich gegen die Indus- schen der gesellschaftlichen und ökonomi- trie- und Konsumgesellschaft. Darüber hinaus schen Konfliktdimension existieren: Jedenfalls haben Parteien dann in anderen Konfliktdimen- sind die positiven Bezugnahmen auf Friedrich sionen nach und nach Positionen bezogen oder von Hayek (Hönigsberger/Osterberg 2012: 26) sich mit anderen Parteien zu einer gemeinsa- nicht einmal ansatzweise als sozialliberal zu men Partei verbunden. deuten. Zudem sind die Grundansichten der Pi- Im historischen Vergleich wird deutlich, raten hinsichtlich des immateriellen Eigentums dass die Piratenpartei keine neue Konfliktlinie eher anarchistischen als liberalen Ursprungs. besetzt beziehungsweise sich mitnichten an- Nun sind die vorherrschenden liberalen hand eines neuen gesellschaftlichen Cleava- Grundüberzeugungen der Piraten keineswegs ges konstituiert hat. Bestenfalls könnte der überraschend, wurden ihre Mitglieder doch schleichende, aber stetige Übergang zum Inter- mehrheitlich in der Blütephase des Neolibera- netzeitalter noch eine neue Konfliktdimension lismus sozialisiert. Das Versprechen von Frei- hervorbringen. Zudem hat die Piratenpartei heit fiel bei ihnen auf fruchtbaren Boden. Die größtenteils Fragestellungen aufgegriffen und bürgerrechtlichen Positionen ließen sich eben- Kein neues Cleavage 41 D IE P IRATENPARTEI 42 so leicht aus dem Fundus des Liberalismus be- radikalliberale und radikallibertäre Weltauf- gründen. Ein emphatisches Eintreten für die fassung werden lassen (Barbrook/Cameron Freiheit des Individuums, rechtsstaatliche 1997). Für die Hackerethik ist die freie Zugäng- Überzeugungen und eine affektive Distanz zu lichkeit aller Informationen ebenso zentral staatlichem Handeln ließen sich mühelos (Levy 2010: 24) wie es die Freiheit schöpferi- adaptieren. Auch gesellschaftspolitisch konn- scher technischer Entwicklung, Kooperation ten die Piraten sich in der Tradition des Libera- und Reziprozität sind (Castells 2005: 58 ff.). lismus schnell wiederfinden. Doch in der wirt- Immaterielle Güter wie Software, Texte oder schafts- und sozialpolitischen Ausrichtung ist Musikstücke werden nicht als nutzungsbe- dies deutlich schwieriger. Denn das Vermächt- schränktes Eigentum anderer aufgefasst, son- nis des Wirtschaftsliberalismus der Westerwel- dern sollen verfügbar und jederzeit modifizier- le-FDP klang für viele zwar rational plausibel, bar sein. Argumentativer Hintergrund hierfür war jedoch spätestens nach der Weltfinanzkri- ist das besondere Wesen digitaler Güter, die zu se kaum mehr attraktiv. Beim Versuch, eigene niedrigsten Kosten prinzipiell grenzenlos und wirtschaftspolitische Grundsätze zu formulie- ohne Qualitätsverlust reproduzierbar sind. ren, verfehlten deswegen auf dem letzten Par- Dieses neu geschaffene Gut kann dann teitag ausgerechnet die Kapitel zum Verhältnis wiederum von Dritten genutzt, verbessert und von Staat und Markt, zur Steuer- und zur Euro- weiterentwickelt werden. Der dieser Haltung papolitik das erforderliche Zustimmungsquo- zugrunde liegende Freiheitsbegriff fokussiert rum. Gerade bei den Kernfragen einer wirt- nicht nur auf den Wert der freien Meinungsäu- schaftspolitischen Ausrichtung sind die Piraten ßerung, sondern setzt sich eben auch für die nämlich unsicher, wie sie das sozialliberale Freiheit des Wissens und der freien (Weiter-) Bauchgefühl in eine konsistente Programmatik Verwertung von Kultur ein (Coleman/Golub übersetzen können. 2008). Löst man sich von der Selbstzuschreibung Zugrunde gelegt wird ein sehr optimisti- als sozialliberale Partei, fällt auf, dass manche sches Bild vom Menschen, dem ein kollektiv programmatischen Grundlagen sich von den orientierter und selbstloser Kooperationswille Prinzipien und der Praxis der Internetkultur zugeschrieben wird. Weil sich alle Individuen und der sogenannten Hackerethik leiten las- entsprechend verhielten, könnten die Aus- sen. Einen Widerspruch zum Liberalismus der tauschbeziehungen der Individuen untereinan- Piraten ist das keineswegs; schließlich existie- der hierarchiefrei ausgestaltet werden. Frei- ren zwischen Hackerethik und liberalen Tradi- lich müsste den Individuen die erforderliche tionsbeständen kulturhistorische Verbindungs- Infrastruktur bereitgestellt werden, um an ei- linien (Coleman 2011: 513), die bei näherer Be- ner derartigen partizipativen Gesellschaft teil- trachtung aus dem Versprechen unbegrenzter zunehmen. In den Begriff der Infrastruktur wer- Freiheit im digitalen Raum ein Plädoyer für eine den gleichermaßen soziale, kulturelle oder P ROGRAMM UND I DEOLOGIE ökonomische Elemente einbezogen (Siri/Villa Ein wichtiger programmatischer Kristalli- 2012; Siri 2012). Infrastruktur wird so als Vor- sationspunkt dieser Perspektive ist das Urhe- aussetzung für einen positiv konnotierten berrecht. In ihrem Grundsatzprogramm fordern Schlüsseldiskussion marktvermittelten gesellschaftlichen Fort- die Piraten, „das nichtkommerzielle Kopieren, um das Urheberrecht schritt angesehen, der die Werte gesellschaft- Zugänglichmachen, Speichern und Nutzen von licher Gerechtigkeit unter besonderer Berück- Werken nicht nur zu legalisieren, sondern ex- sichtigung individueller Freiheit überhaupt plizit zu fördern“ (Piratenpartei Deutschland erst zur Entfaltung kommen lässt. Insofern 2011b: 6). Im Hinblick auf verschiedene Formen stellt diese Forderung durchaus ein Kernstück der gesellschaftlichen Weiterentwicklung hal- der programmatischen Erzählung der Piraten ten sie das Patentrecht für ein Hemmnis beim dar (Hensel/Klecha/Walter 2012). technischen und ökonomischen Fortschritt. Der Infrastrukturbegriff durchdringt im Ver- Auffällig ist die strikte und schwer zu operatio- ständnis der Piraten die gesamte Palette sozia- nalisierende Trennung der Sphären kommerzi- ler und kultureller Elemente der Gesellschaft. eller Nutzung und nichtkommerzieller Aneig- In diesem Zusammenhang ist die sogenannte nung von Wissen und Kultur. Wer Wissen pro- „Plattformneutralität“ (Seemann 2012) zum duziere, Dinge erforsche oder kulturelle Wer- Schlüsselbegriff avanciert. Demnach ist nicht ke aufführe, erfahre keinen Schaden, wenn ein nur der Zugang von entscheidender Bedeutung, anderer sich dieses aneigne, meinen die Pira- sondern auch der Gebrauch der Infrastruktur ten. muss diskriminierungsfrei möglich sein. Jeder Kritiker dieser Position interpretieren das Nutzen und jede Leistung, die sich unmittelbar als „Enteignung der Urheber“ (Appelius/Fuhr- aus der Verwendung von allgemein finanzier- er 2012: 90), bemängeln, dass Honorare und ter Infrastruktur ergeben, müssten daher der Tantiemen auf den Wert eines „Finderlohns“ Allgemeinheit wieder zur Verfügung stehen. herabgestuft würden (Hensel/Klecha/Walter Die Verbrauchsressourcen sollen durch gesell- 2012: 48 f.) oder halten gerade die kommerzi- schaftliche Umlagen aufgebracht werden. In elle Organisation von kulturellen Leistungen diesem Sinne reicht die Freistellung von Nut- für essenziell, um kreative Ergebnisse zu er- zungsentgelten für den Einzelnen sogar über zielen (Hank/Meck 2012). Solche Einschätzun- den staatlichen Sektor der Daseinsvorsorge hi- gen teilen etliche Autoren, Musiker und Schau- naus. Insoweit nämlich Güter nichtstofflicher spieler (Appelius/Fuhrer 2012: 95; Wagner Art betroffen sind, wird eine kommerzielle Han- 2012: 130 ff.). delbarkeit von den Piraten abgelehnt. Sie fol- Seit Ende 2011 versuchen sich die Piraten gen hier der angesprochenen Hackerethik, die von den besonders pointierten Positionen zu eine Zirkulation von jedwedem Wissen ver- lösen und signalisieren Dialogbereitschaft. Im langt, um einen höheren Nutzen für die Allge- Spätsommer 2012 haben sie eine Liste mit al- meinheit zu erzielen. ternativen Geschäftsmodellen vorgelegt, auf 43 D IE P IRATENPARTEI welche Künstler ausweichen und wie diese mit- gehen ließe und andererseits die Politik ihre tels staatlicher Subventionen unterstützt wer- Konflikt- und Einflusslogik zurückgewinne. den könnten. In Berlin und Nordrhein-Westfa- Freilich ist diese Positionierung der Partei nicht len haben die Piraten erste Vorschläge für Ge- unproblematisch, umfasst sie doch in der Pra- setzesinitiativen vorgelegt (Meiritz/Reinbold xis oftmals eine politisch gefährliche Blindheit 2012; Wagner 2012: 135). Trotz allem haben die gegenüber der ökonomischen Vermachtung Piraten in der Debatte keine Hegemonie gewin- des digitalen Raumes, in dem Großunterneh- nen können. men wie Google oder Facebook das Feld domi- Die Vision eines freien Austauschs von Wis- nieren (Appelius/Fuhrer 2012: 91; Leggewie sen erschöpft sich jedoch keineswegs in der 2012: 237). Insgesamt kann man immer wieder Debatte über das Urheberrecht. Eine weitere feststellen, dass die Freiheit im Netz und deren daraus abgeleitete Zielperspektive der Piraten marktliberale Konsequenzen mit einer in der ist es, Individuen in die Lage zu versetzen, sich Piratenpartei ebenso präsenten affektiven freiwillig zu vernetzen. Das setzt voraus, dass Nähe zu sozialstaatlicher Chancengleichheit sie ungehindert kooperieren können. Insbe- und egalitären Gerechtigkeitsvorstellungen sondere darf die Plattform, auf der gesell- schnell in Konflikt gerät (Hensel/Klecha/Wal- schaftlicher Austausch stattfindet, nicht durch ter 2012: 52). Diesen Zielkonflikt trägt die Par- staatliche Interventionen begrenzt werden. Die tei bislang nicht aus, womit abermals deutlich anarchischen, selbstregulierenden Strukturen wird, dass sie große Schwierigkeiten hat, eine im Internet werden so zur Referenzfolie für eine in sich stimmige Programmatik zu entwickeln. gesellschaftliche Utopie, die einzelne Apologe- Einig ist sich die Partei eher in der Kritik ten schon vollmundig als „Wiki-Revolution“ der bestehenden politischen Verhältnisse. Dies Kritik der politischen (Plaum 2012) anpreisen. Ungeachtet dessen kulminiert in einer dezidierten Missbilligung Verhältnisse bringt die bei Internetnutzern weit verbreitete der gegenwärtigen Verfasstheit der repräsen- „Ideologie der Freiheit“ (Castells 2005: 47 f.) tativen Demokratie und von deren – durchaus einige Implikationen für andere Politikfelder nachvollziehbaren – Mängeln. Als Alternative mit sich. proklamieren die Piraten eine „echte Demokra- 44 So soll vor allem staatliches Handeln einer tie“ (Piratenpartei Deutschland 2011b: 5). Die- vollkommenen Transparenz unterliegen. Gleich- se euphemistische Formulierung spricht der zeitig sollen die Mitwirkungsrechte des Einzel- gegenwärtigen repräsentativen Demokratie nen umfassend erweitert werden. Diesbezüg- implizit den demokratischen Charakter ab. Die lich greifen die Piraten ein latentes Unbehagen in einer parlamentarischen Demokratie konsti- der Bevölkerung hinsichtlich der Wirkungswei- tutiven Elemente „Fraktionsdisziplin und Par- se der repräsentativen Demokratie auf. Dem teiendruck“ (ebd.) gelten aus dieser Perspekti- liegt die Einschätzung zugrunde, dass sich so ve genauso als Kern des Übels wie der Einfluss einerseits wirksam gegen Lobbyinteressen vor- von gesellschaftlich aggregierten Interessen P ROGRAMM UND I DEOLOGIE und Lobbygruppen auf politische Entschei- lamentarismusverachtung, den bekannten po- dungsprozesse. Mit dieser Herangehensweise pulären bis populistischen Aversionen gegen- individualisiert die Partei nicht nur die politi- über Parteien und Parlamenten […] und einer sche Wahlentscheidung, sondern letztendlich begründeten Skepsis gegenüber der repräsen- auch die Haltung des einzelnen Repräsentan- tativen Demokratie und ihren Prozeduren“ ten. Als Korrektiv für dessen etwaige Distanz (Haas/Hilmer 2012: 23) schwanken. Als Reak- und mangelnde Anbindung an die gesellschaft- tion auf die Mängel der parlamentarischen De- liche Entwicklung werden plebiszitäre Verfah- mokratie und als Antithese dazu entwerfen sie ren in Aussicht gestellt, welche das Internet ihr Ideal einer „liquiden Demokratie“. Der Par- einbeziehen. lamentarismus wird hier nicht von seiner ge- Idealisiertes Insgesamt knüpfen die Piraten damit so- genwärtigen Funktionslogik her betrachtet, Parlaments- wohl an eine populistische Politikverdrossen- sondern idealisiert. Der Abgeordnete soll dem- verständnis heit als auch an ein idealisiertes Parlamenta- nach auf der bloßen Grundlage des offenen Wi- rismusverständnis an. Letzteres entspricht der derstreits der Argumente entscheiden, und Frühphase des Konstitutionalismus und wird zwar vollkommen unabhängig von Interessen, „klassisch-liberal“ interpretiert (Horst 2012: Fremdeinflüssen und Zwängen. Zugleich soll 541). Durch die so für die Gegenwart fälschlich aber der stete Einbezug des zur Partizipation konstruierte Scheidung in Regierung und Volk, bereiten Teils der Wählerschaft gewährleistet welches über das Parlament vertreten wird, werden. aber auf die Regierung keinen Einfluss besäße, Die Piraten schließen dabei an eine Kritik fällt es den Piraten leicht, die politische Elite des Parlamentarismus an, die in Diskursen als distanziert und abgehoben darzustellen. über die Krise des demokratischen Systems Dagegen berufen sich die Piraten immer wieder eine gewisse Wirkungsmacht entfaltet (Mouffe auf einen „gesunden Menschenverstand“, wo- 2010; Schmitt 1926). Diese umfasst eine fakti- mit sie einem bekannten „Grundaxiom“ des Po- sche Negation der Parteiendemokratie, sieht pulismus entsprechen (Priester 2012: 4). Die Kompromisse kritisch, bezieht sich auf eine Piraten übertragen diesen Impuls auch auf ihre Volonté Générale und betont das Mehrheits- Wahlkampagnen, die teilweise suggerieren, prinzip als Verfahrensregel zu dessen Identifi- dass das politische System korrumpiert sei kation. Dabei läuft diese Perspektive, wie alle oder dass bislang keine demokratische Beteili- basisdemokratischen Ansätze, natürlich latent gung existiere. Gefahr, diskriminierende, exkludierende oder Immer wieder lässt sich in der Partei eine gar totalitäre Ergebnisse zu produzieren skeptische und kritische Haltung bezüglich der (Fraenkel 1991: 261-276). Schließlich können Funktionsweise der existierenden Form der re- ethnische, kulturelle, religiöse oder soziale präsentativen Demokratie erkennen, in deren Minderheiten in dem implizit beschriebenen Folge die Piraten zwischen „regelrechte[r] Par- System einer mehrheitsfixierten Demokratie 45 D IE P IRATENPARTEI stets überstimmt werden, und es kann ihnen so das Recht genommen werden, ihre Identität zu 4.3 Jenseits der Grundlagen entfalten, ihre Religion auszuüben oder ihre Die Programmatik der Partei hat sich kulturellen Riten und Bräuche zu pflegen. Hin- inzwischen erheblich von der ursprünglichen ter der liberalen Fassade dieser Kritikschule Gründungsidee wegbewegt. Gegenwärtig ste- steht also durchaus eine problematische, anti- hen nicht sosehr netzpolitische als vielmehr pluralistische Demokratievorstellung. Fragen zu politischen Verfahren und Entschei- Piraten präferieren mitnichten eine totali- dungsprozessen im Mittelpunkt der Erzählung täre Ordnung; gleichwohl könnten die vorhan- der Partei. Für die weiteren Felder der politi- denen ideologischen Versatzstücke und Ansät- schen Agenda können die Piraten gleichwohl ze, konsequent zu Ende gedacht, eine solche kaum ein konsistentes Angebot vorweisen. Die Auffassung legitimieren. Durchaus lässt sich Partei ist dementsprechend „weniger eine in- ein diesbezügliches Unbehagen auch in den haltliche Koalition als vielmehr eine demokra- parteiinternen Diskursen nachweisen (Hönigs- tische Plattform, die die Bedingung der Mög- berger/Osterberg 2012: 24), doch mündet die- lichkeit des politischen, demokratischen Agie- ses bislang in keine grundlegende Debatte rens neu verhandeln will“ (Neumann 2013: über das Demokratiebild der Piraten ein. Der 181). Vorwurf, nicht selbstkritisch genug die Folgen Dabei werden verschiedene Politikfelder der eigenen Positionen zu durchdenken, ist je- über internetkulturelle oder IT-orientierte Per- doch nur bedingt an die Piraten selbst zu rich- spektiven erschlossen. So nähern sich die ten. Das politische System als Ganzes muss schleswig-holsteinischen Piraten der Arbeits- sich vielmehr fragen, warum es ihm immer we- marktpolitik über die Organisation von Hacker- niger gelingt, seine Vorteile, Funktionsnotwen- spaces. Im Bereich der Sportpolitik wollen sie digkeiten und demokratischen Vorzüge zu ver- ebenso wie ihre Parteikollegen in Nordrhein- deutlichen (Hensel/Klecha/Walter 2012: 47). Westfalen LAN-Parties und eSport fördern. Insoweit reproduzieren die Piraten einen er- Insbesondere der Gedanke der Diskriminie- kennbaren gesellschaftlichen Mangel an de- rungsfreiheit stellt hohe Anforderungen an das mokratischer und politischer Grundbildung. Bildungswesen, die freie Verfügbarkeit von Das ändert aber nichts daran, dass die Piraten Gemeingütern oder die Verwertbarkeit von bislang eben ihrerseits noch keine differen- Leistungen, die mit öffentlichen Mitteln erstellt zierte Auseinandersetzung über die pluralis- worden sind. Subventionen lehnen die Piraten tisch-repräsentative Demokratie und ihre Vor- vor diesem Hintergrund ab, sofern sich daraus teile geführt haben. keine öffentlichen Nutzungsrechte ergeben. Auch eine soziale Grundsicherung im Sinne eines Grundeinkommens lässt sich davon ausgehend herleiten. 46 P ROGRAMM UND I DEOLOGIE Die Implikationen dessen reichen inzwi- friedenheit mit staatlichen Transferleistungen schen in Politikfelder hinein, die in der Partei übertragen lässt. Bemerkenswert ist dennoch, bislang wenig exponiert waren. Das betrifft dass die Piraten in Bezug auf das Grundein- Grundeinkommen insbesondere die Wirtschaftspolitik, die, libe- kommen eine Position bezogen haben, die zwar als neue Antwort ral orientiert, staatliche Interventionen ab- in nahezu allen Parteien debattiert wird, je- lehnt (Neumann 2013: 183), sich zugleich aber doch bislang nirgends mehrheitsfähig war für die freie Verfügbarkeit von Gemeingütern (Hensel 2012b). Eine nachvollziehbare Deutung ausspricht und somit einige Ansätze der alter- der innerparteilichen Akzeptanz dieser Forde- nativen Ökonomie und vor allem die im frühen rung verweist auf die gebrochenen Erwerbsbio- Hackerwesen verbreitete Kultur des Teilens grafien, welche in der jungen Branche der In- übernimmt (Paetau 2011: 11 f.). formationsverarbeitung besonders ausgeprägt Den Piraten fällt es sichtlich schwer, die sind (Appelius/Fuhrer 2012: 126; Wagner 2012: Essenz ihrer wirtschaftspolitischen Auffassun- 122 f.). Die Forderung erwächst für diese Klien- gen textlich niederzulegen und die kritischen tel aus der Tatsache, dass sie in Ermangelung Einwürfe (mit Bezug auf das Urheberrecht be- eines stabilen sozialversicherungsrechtlichen sonders pointiert: Wagner 2012: 138) zu durch- Status selbst keine Ansprüche an den Sozial- denken. Erhebliche Unsicherheiten über den staat besitzen. Das an den Verhältnissen der genauen Kurs der Partei bleiben daher beste- Industriegesellschaft orientierte Sozialversi- hen. Insbesondere dort, wo die Piraten von der cherungsmodell erfasst oftmals nicht mehr hin- groben Zielorientierung zu konkreten Forde- reichend die soziale Lage vieler in modernen rungen gelangen, sind die Ansätze oftmals Berufen, insbesondere im IT-Sektor, Tätigen. nicht zu Ende gedacht. Je konkreter Anliegen Prekarität oder zumindest Atypik der Beschäf- werden, desto seltener gelingt es, laufende in- tigung stellt eine fast schon integrale Erfah- nerparteiliche Debatten in Beschlüsse zu über- rung etlicher jüngerer Arbeitnehmer dar. Durch setzen. Selbst die Forderung nach einem be- die große Zahl von Piraten, die Berufen im IT- dingungslos gewährten Grundeinkommen bleibt Bereich nachgehen, wird verständlich, dass letztlich vage. Die genaue Ausgestaltung soll eine Position mehrheitsfähig wird, welche sich einer möglichen Enquête-Kommission im Bun- vom tradierten Sozialstaat abwendet, zugleich destag überlassen werden (Piratenpartei aber eine Sicherung gegen Armut gewährleis- Deutschland 2011a), womit sich die Piraten der tet. unliebsamen Aufgabe entledigen, das Thema umfassend selbst zu beraten. Über die Prägung der Piraten als IT-Partei leiten sich auch in anderen Politikfeldern Das Grundeinkommen fungiert in seiner Handlungsnotwendigkeiten ab, um den Erfor- Vagheit aber gerade deswegen als sozialpoliti- dernissen der Informationsgesellschaft ge- sche Projektionsfläche, auf die sich alle Unzu- recht zu werden. Bildung gilt als essenziell, wird aber vorrangig in der Erstqualifikations- 47 D IE P IRATENPARTEI phase als gesellschaftliche Aufgabe verstan- weltlich relativ weit ausgedeutet ist, wird der den. Wenn durch technologischen Wandel Qua- Letztere bislang in einer sehr puristischen, je- lifikationen entwertet werden oder weniger doch nicht minder vehementen Form vertreten. qualifizierte Personen möglicherweise nicht mehr mithalten können, sehen einige Piraten die Gesellschaft nur in der Pflicht, Armut zu vermeiden. Sie negieren die Notwendigkeit, eine Während das Grundsatzprogramm noch stark aktive Arbeitsmarktpolitik zu betreiben oder von den Anfängen der Partei geprägt ist und die kapitalistischen Verhältnisse zu verändern: das Bundestagswahlprogramm sich noch in der Wenn aus wirtschaftlicher Sicht Menschen Entwicklung befindet, haben die Landeswahl- „überflüssig“ würden, so reiche ein Grundein- programme weitaus eher den Charakter kon- kommen als Gewähr gegen Armut (Fischermann kreter Aktionsprogramme und lassen erste 2012). In die gleiche Richtung stößt die nun- Schritte einer programmatischen Weiterent- mehr im Grundsatzprogramm niedergelegte wicklung erkennen. Sie folgen nahezu durch- Wendung, wonach man das Ziel der Vollbe- gängig vier Schwerpunkten: schäftigung nicht mehr als zeitgemäß erachtet. Deutlich wird daran: Anders als im tradierten, kontinentalen Sozialstaatsmodell zielen die Piraten mit ihrer Forderung nach einem Grundeinkommen stark auf die unmittelbare Eigenvorsorge des Einzelnen. Der Staat sichert gegen Armut ab, nicht aber den individuellen Status. In diesem Bereich ist der Einzelne auf sich gestellt. Er soll durch die Bereitstellung von freier Infrastruktur in die Lage versetzt 48 4.4 Von Grundsätzen zum Konkreten mehr Bürgerbeteiligung, etwa durch eine Absenkung der Zugangsschwellen und Quoren für plebiszitäre Verfahren; mehr bürgerliche Freiheitsrechte, etwa durch das Verbot von Videoüberwachungen; vollständige Transparenz sämtlicher politischer Prozesse und Vorgänge sowie kostenfreier Zugang zu Bildung bei gleichzeitiger Reform des Bildungssystems. werden, seinen eigenen Weg gehen zu können, Mitunter sehr kleinteilig, aber durchaus auch womit die prinzipielle Eigenständigkeit und umfassend fallen die Programmpunkte zur Bil- Autonomie des Individuums besonders betont dungspolitik aus. Während im Saarland vor al- wird. Diese tendenziell meritokratische (d. h. lem Detailfragen der Hochschulpolitik abge- an den Verdiensten orientierte) Leistungsuto- handelt werden, verfolgen die Piraten in Nord- pie entspricht damit eher liberalen Auffassun- rhein-Westfalen einen sehr umfassenden An- gen von Sozialstaatlichkeit als der fürsorgen- satz, der von der Kindertagesstätte bis zur Er- den deutschen Tradition. In den sozialpoliti- wachsenenbildung reicht. Im Zentrum steht schen Debatten der Piraten werden Begriffe dabei die Forderung nach einem freien, das wie Freiheit und Gerechtigkeit thematisiert. heißt kostenlosen Zugang zur Bildung. Weni- Während der Erstere theoretisch und lebens- ger konkret sind hingegen die Forderungen P ROGRAMM UND I DEOLOGIE nach Qualität und Struktur des Bildungswe- ten sie mit den von ihnen priorisierten landes- sens. Die Affinität zu bildungspolitischen The- politischen Themen kaum öffentliche Wahrneh- men resultiert abermals aus der Lebenslage mung. vieler Piraten, die entweder noch in der Ausbil- Im Gegensatz zu den etablierten Parteien dung stecken oder diese gerade erst abge- leiten die Piraten bislang ihre programmati- schlossen haben. Bildung wird zugleich als schen Bausteine nicht aus einer übergeordne- Schlüsselthema bei der Bewältigung von Fra- ten Erzählung oder aus einem ausbalancierten gen demokratischer Mitwirkung angesehen. Wertegerüst ab, sondern entwickeln sie ausge- Besonders deutlich haben sich die Piraten hend von ihrem netzkulturellen Kern und den als Transparenzpartei positioniert. Dieser Be- darin immanenten Handlungsprinzipien. Sie griff ist in den Wahlkämpfen sowie in den par- übertragen diese auf die Politik oder schreiben teiinternen Debatten zum „Fahnenwort“ (Hö- Positionen fort, zu denen sie sich schon eine nigsberger/Osterberg 2012: 27) der Piraten- Meinung oder Position gebildet haben. Über partei geworden, welches sich zusammen mit den Begriff der Infrastruktur und über das Prin- Demokratie und Freiheit zum programmati- zip des diskriminierungsfreien Zugangs nähert schen Kern der Partei verdichtet. Kritik an den sich die Programmatik in einigen Politikberei- bestehenden Verhältnissen mit der Forderung chen mittlerweile elaborierten und für sich ge- nach Transparenz zu verbinden ist gerade für nommen schlüssigen Konzeptionen an. Freilich eine (außerparlamentarische) oppositionelle fehlen eine politische Gesamtschau, eine über- Partei keineswegs ungewöhnlich, weist aber greifende Klammer und eine gesamtgesell- immer wieder populistische Züge auf. Über- schaftliche Folgenabwägung ebenso wie eine haupt ist auffällig, dass die Piraten ihre relativ steuer- und finanzpolitische Gegenrechnung allgemeinen Grundforderungen immer dann ihrer Forderungen. erfolgreich in Szene setzen, wenn sie mit lokal- Die durchaus intensiven inhaltlichen Debat- oder regionalpolitischen Konflikten verknüpft ten finden bei den Piraten in disparaten Zirkeln werden. In Bezug auf einige stadtpolitische statt, die zweifelsohne die Bausteine für eine Konflikte und Skandale können die Piraten in umfassende und differenzierte Programmatik Berlin etwa ihre Forderungen nach mehr Trans- liefern könnten (Hönigsberger/Osterberg 2012). parenz und Partizipation plausibel in Stellung Es fehlt jedoch noch an der stringenten Zusam- bringen und ein offensichtliches Versagen von menführung. Zudem hat die Partei bislang kei- Politik auch zur Präsentation spezifischer Re- ne Gelegenheit gehabt, ihr schnelles Mitglie- formvorschläge nutzen (Hensel 2011). Dieses derwachstum nach 2009 wirklich zu verarbei- Vorgehen scheint jedoch sehr kontextabhängig ten und die hinzugewonnenen Potenziale für zu sein, wie die wenig erfolgreiche Kampagne die programmatische Arbeit zielgerichtet zu der Piratenpartei im niedersächsischen Land- nutzen. Die organisatorischen Veränderungen tagswahlkampf gezeigt hat. Jedenfalls erziel- der Jahre 2010/11 hatten kaum gegriffen, als Transparenzpartei 49 D IE P IRATENPARTEI 50 die Partei mit einem Mal in Parlamenten und schiert durch die Übernahme oder Fortschrei- Kommunalvertretungen Mandate errang, die bung bereits vorhandener Programmbausteine, zusätzliche Koordinations- und Kommunika- was mal mehr, mal weniger gelingt. Dennoch tionsaufgaben mit sich brachten. Wahlkämpfe, ist unübersehbar, dass selbst in den aus ihrer der Aufbau der Fraktionen, der Umgang mit den Sicht ausdiskutierten Fragen der Wirtschafts- Medien und Ähnliches banden Ressourcen, die und Sozialpolitik die Piraten zurzeit Antworten für die Programmarbeit fehlten. Programmati- schuldig bleiben und in vielen Bereichen keine sche Lücken werden daher so weit als nötig ka- originären politischen Ansätze liefern können. M ITGLIEDER UND S YMPATHISANTEN 5. Mitglieder und Sympathisanten Das Wachstum der Piraten wird immer wieder ihres Programms ist es nachvollziehbar, zu die- als dynamisch beschrieben. Nachdem die Mit- sem Zeitpunkt von einer „Ein-Themen-Partei“ gliederzahl erst mäßig, aber kontinuierlich zu sprechen (Bartels 2009: 219; Jesse 2011: von anfangs 52 auf 1500 im Frühjahr 2009 ange- 189). In der öffentlichen Wahrnehmung, aber stiegen war, wuchs die Piratenpartei nach der auch in der politischen Praxis der Partei prägt Europawahl innerhalb kürzester Zeit um über diese Gruppe sehr nachhaltig die Organisa- 10.000 Neumitglieder an. Einen neuerlichen tionskultur und Arbeitsweise der Partei. Der Zuwachs lösten die Wahlen in Berlin im Herbst später einsetzende Zustrom der Gruppe von Einfluss der 2011 aus. Binnen weniger Monate stieg der „Digital Natives“ (Palfrey/Gasser 2008) von Digital Natives Mitgliederbestand auf rund 34.000 an. Damit 2009 bis 2011 veränderte hingegen die Ausrich- haben die Piraten ungefähr halb so viele Mit- tung und Programmatik der Partei. glieder wie Bündnis 90/Die Grünen, FDP oder Dieser Kreis verfügte im Gegensatz zur ers- die Linke. Diese Größenordnung bringt erheb- ten Generation nämlich keineswegs mehr un- liche logistische und organisatorische Heraus- bedingt über profundere Computer- und Inter- forderungen mit sich. Aufwendig ist auch die netkenntnisse. Die historische Entwicklung der kulturelle Integration der neuen Mitglieder, Computertechnologie und -kultur haben viele gerade jener, die eben nicht mehr dem subkul- der Jüngeren nicht miterlebt, dafür nutzten sie turellen Kernmilieu der Piraten entstammen. umfangreich und spielerisch die fortgeschritte- Durch den massenhaften Zustrom von Neumit- nen und ausgereiften technologischen Mög- gliedern konkurrieren verschiedene kulturell lichkeiten des Netzes. Die Digital Natives adap- geprägte Politik tierten im Zuge dessen Kulturtechniken des frü- ebenso miteinander wie die politischen Ziel- hen Internets und integrierten sie hemdsärme- setzungen divergent sind. lig in ihre Kommunikation. Mit der daraus ent- Herangehensweisen an lehnten Organisationsform der ersten Genera- 5.1 Beitrittswellen und Themenkonjunkturen tion konnten sie intuitiv etwas anfangen, ohne alle Prinzipien und Glaubenssätze zu übernehmen. Den kulturellen Kern der Partei stellten Jede der drei Eintrittswellen hat Mitglieder mit sie somit nicht in Frage, wohl aber den thema- spezifischen sozialstrukturellen und kulturel- tischen. Dies verwundert durchaus, denn len Charakteristika in die Partei strömen las- immerhin stellte für diesen Kreis der Versuch sen. Bis zur Europawahl 2009 traten der Partei der Bundesregierung, Netzsperren zu etablie- in erster Linie internetaffine Kerngruppen bei. ren, quasi das zentrale politische Erweckungs- Ihre Motivation war das Interesse an netzpoliti- erlebnis dar. Der Frust über die etablierten Par- schen Fragestellungen und der Spaß daran, teien wurde mit Hilfe der Piraten in politisches aus dem Internet heraus Politik betreiben zu Handeln transformiert. An dieser Stelle stimm- können. Bei Betrachtung dieser Anhänger und te die damalige, von den Urpiraten bestimmte 51 D IE P IRATENPARTEI Themensetzung mit den Interessen der Digital lich tun, weswegen sie bislang Parteien reser- Natives überein. viert gegenüberstehen und sich oft in Wahlent- Doch im eigenen Lebensgefühl wurzelte ein haltung üben (Palfrey/Gasser 2008: 259). über die unmittelbare Abwehr der Netzsperren Schon als Jugendliche haben sie zwar eine de- hinausgehender programmatischer Impuls. zidierte Meinung vertreten, zugleich aber die Netzpolitik und die freie Verfügbarkeit von sozialen Verhältnisse akzeptiert und sich mit Web-Inhalten waren aus dieser Perspektive den Erschwernissen im schulischen oder uni- nicht mehr unbedingt zentral, schließlich zahl- versitären Bereich arrangiert, statt sich dage- ten viele bei kommerziellen Anbietern bereits gen aufzulehnen. Politisches Engagement be- bereitwillig für Musik, Videos oder Apps. Ihnen zieht sich hier auf die direkten oder mittelba- ging es im Kern weniger um das Internet selbst, ren Interessenlagen. Man hat in Bezug auf die als vielmehr um die dortige soziale Interaktion eigene Persönlichkeit gelernt, dass Sachver- und die daraus resultierenden politischen stand, Qualifikation, eigener Antrieb und Kom- Möglichkeiten. Auf Facebook, Twitter, My- munikationsvermögen erwartet werden, und Space oder StudiVZ kommentierte man hofft, dass dieses in der Gesellschaft später schließlich auch politische Fragen, regte sich Anerkennung findet. In dem Augenblick, in dem über die Lage im Schul- und Hochschulwesen die daraus resultierende Identität und Erwar- auf oder ärgerte sich, wenn der öffentliche tung aber in Frage gestellt werden, ist man ent- Nahverkehr nicht funktionierte. Aus dieser schlossen, dies nicht zu dulden. Dieser Impuls Realitätswahrnehmung heraus formulierte die durchzieht gegenwärtig eine Reihe politischer zweite Generation ihre Ansprüche an die Poli- Aktivitäten (Hensel/Klecha/Schmitz 2013: tik ihrer neuen Partei. Die unverbindliche Form 274 ff.), und er fördert auch die Entscheidung, der Kommunikation im Internet sollte in politi- den Piraten beizutreten. sches Handeln überführt werden. Altersbedingt spielen bei den Digital Na- In vielerlei Hinsicht entspricht dieses Phä- tives Bildungspolitik oder die sozialstaatliche nomen den allgemeinen Befunden zur politi- Absicherung der eigenen, oft als prekär emp- schen Partizipation und zum politischen Protest fundenen Lebensbiografien eine große Rolle. (Walter 2013). Die Jugendkohorten der letzten Dabei ist der Zugang zu diesen Politikfeldern Postideologische Jahre sind politischer, als gemeinhin behaup- ebenso wie die Auswahl von Aktionsformen Unbefangenheit tet wird (Schneekloth 2010): Sie beteiligen sich zumeist spielerisch orientiert. Man nähert sich rege an Unterschriftensammlungen, reichen unbefangen politischen Vorstellungen, eben Petitionen ein, diskutieren mit Freunden und ganz so, wie es das postideologische und post- Bekannten, nehmen an Demonstrationen teil moderne Zeitalter erwarten lässt. Hinsichtlich oder treten Verbänden und Vereinigungen bei, der Programmatik sind die Angehörigen der aber sie halten all das nicht unbedingt für Poli- zweiten Mitgliederwelle der Piraten für aller- tik. Für sie ist Politik das, was Politiker beruf- lei Ansätze und Ideen offen. Eine ideenge- 52 M ITGLIEDER schichtliche, intellektuell anspruchsvolle Her- genblick, in dem es erstmals etwas zu verteilen leitung von politischen Programmen haben sie gibt, in dem bezahlte Ämter und Funktionen lo- nicht im Sinn, wohl allerdings den Wunsch, cken, nehmen manche Piraten der ersten und möglichst schnell zu vielen Fragen der Zeit ir- zweiten Generation die Ansprüche der Neumit- gendwie kreative Antworten zu finden. Erra- glieder als ungerechtfertigt wahr, da diese we- tisch vollzieht sich deswegen auch die Pro- der die Jahre des Aufbaus noch die Zeit der grammentwicklung bei den Piraten. Stagnation erlebt hatten. Zugleich bezweifeln Zwischen den älteren Mitgliedern und den sie deren politische und organisatorische Eig- neu hinzugekommenen gibt es somit eine erste nung und heben bei Vorstellungsrunden das innerparteiliche Friktionslinie, wobei die Zu- Eintrittsdatum und die eigenen innerparteilich ordnung zu den Befürwortern eines auf Fragen gesammelten Meriten besonders hervor. Die- der Netzpolitik konzentrierten Kernprogramms ses Verhalten erinnert an den Umgang der eta- und eines möglichst umfassenden Vollpro- blierten Parteien mit Seiteneinsteigern: Man gramms durchaus ein wenig quer zum Beitritts- aktiviert all die Elemente politischer Kultur, mit datum verläuft. Dennoch war der Zulauf neuer denen die Neueinsteiger noch nicht vertraut Mitglieder dafür entscheidend, dass sich auf sind und mit denen sie umgehen müssen, wol- dem Parteitag in Chemnitz 2010 die letztge- len sie nicht scheitern (siehe Lorenz/Micus nannte Position durchsetzte. Bis heute stößt 2009). diese Entwicklung nebst der grundsätzlichen In der Tat motivieren die neu hinzugekom- Beschlussfassung für ein bedingungsloses menen Piraten auch Karriereaussichten, doch Grundeinkommen vor allem bei den Altpiraten zum Teil reizt sie offensichtlich auch einfach die auf Skepsis. Sie kritisieren dabei nicht nur die Lust auf etwas Neues. Sie sind vom konventio- Ausweitung der Themenpalette, sondern be- nellen Politbetrieb gelangweilt und erleben bei mängeln insbesondere die Vernachlässigung den Piraten nicht selten eine Art zweiten politi- der ursprünglichen Kernanliegen. Eine pro- schen Frühling. Deswegen akzeptieren sie die grammatische Weiterentwicklung in ihrem zeitaufwendigen Verfahren, die sich in der Pi- Kernpolitikfeld ist jedenfalls ausgeblieben, ratenpartei etabliert haben. Sie fühlen sich zu- während andere Parteien hierin ihre Kompe- gleich veranlasst, ihre Treue zur Partei durch tenzen gestärkt haben (Wagner 2012: 43 ff.). eine vorbehaltlose Billigung und Unterstützung Die erste und zweite Generation eint die des Parteiprogramms zu bekennen. Die stete Offenheit gegenüber unkonventionell oder al- Berufung auf das bereits bestehende Pro- ternativ wirkenden Konzepten sowie eine gramm, die Pflege der gewohnten Rituale, die grundlegende Skepsis gegenüber der dritten langwierige Kür von Kandidaten und die stete Generation, also jenen Mitgliedern, die erst im Debatte um Verfahrensfragen drohen dadurch Zuge der Wahlerfolge in Berlin und im Saar- aber zum Selbstzweck zu werden. Für eine Par- land hinzugekommen sind. Gerade in dem Au- tei, die bislang auf Dynamik aufbaut, die aber UND S YMPATHISANTEN Karriereaussichten locken neue Klientel 53 D IE P IRATENPARTEI Schwächen und Leerstellen besitzt, ist das eine ein, womit sie zwangsläufig in Widerspruch zur gefährliche Mischung. So besteht die latente Offenheit und der zur Schau gestellten Basis- Gefahr, dass Themen, die aus Sicht der Mehr- demokratie der Piraten geraten. heit weniger interessant sind, in der programmatischen Arbeit der Partei keinen Niederschlag finden. Die Masse der alten und neuen Mitglieder droht mit dem Schwarm der Mehrheit zu treiben. 54 5.2 Glücksritter, Parteiwanderer und merkwürdige Gestalten Während sich die Differenzen, Motivationen Der Einfluss der im „Goldrausch“ (vgl. Hon- und programmatischen Interessenlagen aus nigfort 2012) Hinzugekommenen trägt aller- den einzelnen Beitrittswellen heraus ergeben, dings gegenwärtig zur weiteren programmati- stellt sich die Frage, wer sich hinter den Mit- schen Diversifizierung der Partei bei. Zentrale gliedern verbirgt. Ein erster Blick fällt natür- Fragestellungen der Piraten der ersten Genera- lich auf Personen, die zuvor anderen Parteien tion, etwa im Bereich der Freiheit des Internets angehört haben. Das ist durchaus nicht unge- oder der Modifikation des Urheberrechts, für wöhnlich und erfasst eine Partei nicht erst im die die zweite Generation wenigstens noch ein bereits erwähnten Goldrausch. Im Laufe der lebensweltlich fundiertes Interesse aufbringt, Jahre sind einige zu den Piraten dazugestoßen, sind für die Neumitglieder kaum mehr von Be- die zuvor bereits in anderen Parteien aktiv wa- lang. Selbiges gilt für eher affektiv bezogene ren. Der stellvertretende Bundesvorsitzende Haltungen wie die Ablehnung eines Nations- Sebastian Nerz hatte als CDU-Bewerber erfolg- oder Volksbegriffs, die mit einem Male für die los für den Tübinger Stadtrat kandidiert. Der Mehrheit der Mitglieder nicht mehr selbstver- saarländische Fraktionsvorsitzende Michael ständlich sind. Das wiederum bringt langge- Hilberer war einstmals Mitglied der Jungen diente Mitglieder dazu, ihre eigene Mitglied- Union. Das SPD-Parteibuch hatten früher der schaft zu überdenken (Schneider 2012). Ein schleswig-holsteinische Abgeordnete Wolf- Grund für diese andere Themenagenda und da- gang Dudda, sein Berliner Kollege Pavel Meyer rin eingewobene Kontroversen sind die alters- und Niedersachsens Landesvorsitzender An- mäßigen Unterschiede und die damit verbun- dreas Neugebauer besessen. Die Grünen muss- denen differierenden lebensweltlichen Lagen. ten Anke Domscheid-Berg ebenso ziehen las- Die ganz neuen Piraten sind vielfach älter als sen wie Bruno Kramm, der nun die bayerische die beiden Vorgängergenerationen, verfügen Landesliste der Piraten zur Bundestageswahl über mehr und andere Lebenserfahrungen, anführt. Die einstigen Vorstandsmitglieder Ju- fremdeln dafür teilweise aber mit den techno- lia Schramm und Stefan Lamprecht waren eini- logischen Möglichkeiten des Internets. Ange- ge Zeit in der FDP. Dort war auch der Berliner strengt suchen sie so nach Strukturen, fordern Abgeordnete Gerwald Claus-Brunner, während straffere Organisationsweisen und Strategien sein heutiger Fraktionskollege Simon Kowa- M ITGLIEDER lewski zur gleichen Zeit in Niedersachsen den Im Zuge des Erfolgs zieht die Piratenpartei PDS-Jugendverband Solid gegründet hatte, ehe auch notorische politische Querulanten an, die er sich der Partei DIE PARTEI des Satirikers der Partei eine negative öffentliche Wahrneh- Martin Sonneborn anschloss und danach bei mung bescheren. Probleme verursachen vor- den Violetten Fuß zu fassen suchte (Appelius/ rangig solche Mitglieder, deren politische Pri- Fuhrer 2012: 226, 262, 290, 298; Bewarder märsozialisation oder deren politische Ansich- 2012; Häusler 2011: 74). ten im rechten Spektrum zu verorten ist. Wenn Vielfach handelt es sich damit um Personen, sie gezielt rechtsextreme Thesen lancieren, die einige Jahre in einer der etablierten Partei- sieht sich die Partei unter Zugzwang, was en politisch aktiv waren. Über die seinerzeit er- wiederum zu oft schwierigen Diskussionen haltenen Qualifizierungen, etwa durch die An- führt, in welchem Umfang derartige Positionen gebote der politischen Stiftungen, besitzen sie von der innerparteilich hochgeschätzten Mei- eine grundlegende Qualifizierung, welche sie nungsfreiheit gedeckt werden. UND S YMPATHISANTEN aufgrund der oftmals schwerfälligen örtlichen Mittlerweile sind die Parteivorstände der Parteistrukturen jedoch selten anwenden konn- einzelnen Ebenen diesbezüglich sensibilisiert ten. Das so erworbene basale Wissen können sie und greifen recht energisch durch, um einer nun in der Piratenpartei erstmals in vollem Um- negativen Berichterstattung zuvorzukommen. fang anwenden. Bei den Piraten trifft man näm- Sie suspendieren dann vorsorglich Aufstellun- Abgrenzung lich kaum auf jene Bedenkenträger, die aus ih- gen von umstrittenen Kandidaten (Bohnen- gegen Rechte rer parteipolitischen Erfahrung heraus Neuerun- kamp 2012), reagieren auf antisemitische Aus- gen skeptisch gegenübertreten. Daher kann sagen von einzelnen Kommunalpolitikern der man viel experimentieren. Partei oder irrlichternden Kreisvorsitzenden Durch Übertritte wandelt sich die Parteiba- und führen Rücktritte oder Parteiausschluss- sis der Piraten; sie gewinnen politische Man- verfahren herbei (Deckert 2012; Fischermann dats- und Funktionsträger aus anderen Partei- 2012). Während also in Bezug auf Ämter und en. Auf kommunaler Ebene haben die Piraten mögliche Mandate die Partei empfindlicher re- mehr als 50 Mandate durch Übertritte hinzuge- agiert, duldet die Piratenpartei aber immer wonnen. Doch bis auf die früheren Bundestags- noch Mitglieder, deren Einlassungen zweideu- abgeordneten Jörg Tauss (SPD), Herbert Rusche tig sind. Gerade die nicht moderierten Foren und Angelika Beer (beide Grüne) haben die Pi- der Partei im Internet bieten eine Nische für raten bislang kaum prominente Zugänge von antisemitische und rechtspopulistische Argu- den etablierten Parteien zu verzeichnen. Es mentationen oder Ansätze zur Holocaustrelati- sind letztlich randständige Figuren oder Perso- vierung (Hönigsberger/Osterberg 2012: 38 f.). nen, die in ihren alten Parteien schlicht „in Un- Stets kommt in derartigen Kontexten die gnade gefallen waren“ (Jesse 2011: 189). Frage auf, wie weit innerparteiliche Meinungsfreiheit bei den Piraten reichen darf. Der Druck 55 D IE P IRATENPARTEI einer fortgesetzten medialen Debatte um eine szene wie auch die digitalen Bürgerrechtsakti- etwaige Rechtslastigkeit der Partei veranlass- visten finden sich in der Piratenpartei somit te den Bundesparteitag der Piraten im April zwar wieder, sehen diese aber mitnichten als 2012, eine unmissverständliche Erklärung zum ihr politisches Sprachrohr an. Am stärksten ist Thema Holocaustleugnung abzugeben. Gleich- an einigen Orten die Bindung an den Arbeits- zeitig versuchen verschiedene innerparteili- kreis Vorrat ausgeprägt, der gegen die Einrich- che Initiativen gegen die befürchtete schlei- tung der Vorratsdatenspeicherung gegründet chende Unterwanderung oder ideologische wurde. Einflüsse von rechts vorzugehen. Aktionen und Einige der bekannteren und profilierteren Initiativen im Internet oder entsprechende Kon- Köpfe der deutschen Netzszene sind in der Zwi- ferenzen, die insbesondere der Landesverband schenzeit sogar demonstrativ auf Distanz zu Berlin forciert, setzen sich vermehrt mit Diskri- den Piraten gegangen (Becker 2012a). Viele minierungen und Ressentiments in der Gesell- professionelle Netzaktivisten bewerten die schaft sowie in der Partei auseinander. netzpolitische Agenda der Piraten als wenig Trotz mancher Parteiwanderer und seltsa- fundiert. Bei einigen kommt auch ein wenig mer Gestalten fällt jedoch auf, dass Personen Neid hinzu, schließlich haben die Piraten eine mit abseitigen Ideen in aller Regel nicht mehr- mediale Aufmerksamkeit erlangt, um die sie heitsfähig sind und die Parteimitglieder gegen selbst über Jahre mit höchstens mäßigem Er- diese auf den unterschiedlichen Kommunikati- folg gerungen hatten. Ohnehin empfinden er- onsebenen der Partei massiv vorgehen. probtere Aktivisten die Organisationsstruktur als zu wenig effektiv und machen die Erfah- 5.3 Das gesellschaftliche Umfeld der Partei rung, dass ihre Reputation und Kompetenz innerparteilich kaum anerkannt wird. Das ändert nichts daran, dass die Piraten durchaus als Ko- Für eine Partei, die sich als Bewegung versteht, operationspartner wahrgenommen werden, Wurzeln in erscheint das Vor- und Umfeld überaus schwach wenn es um die Mobilisierung von Protest geht, der Netzszene organisiert zu sein. Allenfalls gibt es eine aus- wie es sich beispielsweise im Fall der Anti- geprägte Verbindungslinie zum Zentrum der ACTA-Demonstrationen zeigte. Dennoch sind deutschen Hackerszene, dem Chaos Computer die Organisationen und Aktivisten im netzpoli- Club, von dem sich allerdings bislang kein füh- tischen Umfeld insgesamt bemüht, den Werde- rendes Mitglied den Piraten angeschlossen gang der Piratenpartei zu verfolgen und zu be- hat. Der ehemalige Wikileaks-Sprecher Daniel einflussen. So trifft man auf Bundesparteitagen Domscheit-Berg oder die Referentin für digita- immer wieder Netzaktivisten an. Andere kom- le Verbraucherrechte beim Verbraucherzentra- munizieren über Twitter oder Blogs regelmä- len-Bundesverband, Katharina Nocun, sind da- ßig mit den Piraten und mischen sich in einige her rare Ausnahmen in der Partei. Die Hacker- der parteiinternen Diskussionen ein. 56 M ITGLIEDER Wenn man die politische Identität der Mit- auf Personen, die zumindest einen ähnlichen glieder über ihre Vereins- und Organisationszu- Hintergrund haben. Auffallend ist allerdings, gehörigkeit sowie ihre Parteimitgliedschaft de- dass diese einer gewerkschaftlichen oder ar- finiert, fällt ansonsten jedoch auf, dass es eine beitnehmerorientierten Politik selten ver- eigenartige Sphärentrennung gibt. Die Parteiar- ständnisvoll, sondern eher kritisch gegenüber- beit wird merklich von den sonstigen gesell- stehen. UND S YMPATHISANTEN schaftlichen Aktivitäten geschieden. Wann Dabei blicken Piraten keineswegs feind- immer Mitglieder der Partei Aktionen durchfüh- schaftlich auf Gewerkschaften. Vielmehr wird ren, legen sie meist Wert darauf, dass sie als in Gesprächen fast schon mit Enttäuschung be- Privatpersonen handeln. Umgekehrt profilieren tont, dass diese für das Kernmilieu der Piraten sich Piraten innerparteilich nur selten mit ihrem kaum etwas zu bieten hätten. Insbesondere auf Beziehung zu Engagement außerhalb der Partei. die aus der Tertiarisierung (der Verlagerung Gewerkschaften Diese Sphärentrennung betrifft auch die des volkswirtschaftlichen Schwerpunkts auf formale Mitgliedschaft in Organisationen jen- den dritten, den Dienstleistungssektor) er- seits der Piratenpartei. Gewerkschaftsmitglie- wachsenen veränderten Arbeitsbeziehungen der etwa sind in der Partei selten anzutreffen. mit Formen von Werkarbeit, Selbstständigkeit, Dennoch finden sich bei Mitgliedern oder Mit- Honorartätigkeiten, Leiharbeit oder Ähnlichem arbeitern der Fraktionen in Berlin, Schleswig- sind aus Sicht vieler Piraten von den Gewerk- Holstein und Nordrhein-Westfalen entspre- schaften bislang nicht adäquat aufgegriffen chende Bezugspunkte in deren politischer Bio- worden. Durch die stetige Bezugnahme auf das grafie. In Einzelfällen war eine gewerkschaftli- fordistische Normalarbeitsverhältnis hätten che Interessenorganisation für die eigene poli- die Gewerkschaften ein Idealbild von Erwerbs- tische Sozialisation sogar wichtig. Im Kreise arbeit, welches nicht den Erfahrungen vieler der Abgeordnetenmitarbeiter finden sich eini- selbstständig und kreativ tätiger Piraten ent- ge wenige ehemalige Jugend- und Auszubilden- spreche. Auch werden die Trägheit von gewerk- denvertreter. Darüber hinaus sind auch einige schaftlichen Organisationen gegenüber dem Abgeordnete in Gewerkschaften oder in der digitalen Wandel und deren fehlende aktionis- betrieblichen Interessenvertretung aktiv gewe- tische Spontaneität und Flexibilität bemängelt. sen: Schleswig-Holsteins Landtagsabgeordne- Insoweit fallen nicht nur die politischen Per- ter Wolfgang Dudda ist immerhin stellvertre- spektiven und Forderungen von Gewerkschaf- tender Vorsitzender der Bezirksgruppe Zoll der ten und Piratenpartei auseinander. Viele Pira- Gewerkschaft der Polizei. Sein Kollege in ten weisen eine aus ihrer arbeits- und lebens- Nordrhein-Westfalen, Torsten Sommer, ist weltlichen Prägung entwickelte und von der ohne Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft Be- traditionellen gewerkschaftlichen Perspektive triebsratsmitglied bei der WAZ-Gruppe. Auch abweichende Vorstellung von politischer Orga- auf der örtlichen Ebene stößt man vereinzelt nisation, demokratischer Partizipation und Re- 57 D IE P IRATENPARTEI präsentation auf, die den Aspekt der Flexibilität der Frauen in der Partei durch eine Quotenre- und Individualität besonders stark betont (Stal- gelung zu verbessern, ist die Piratenpartei – der 2011). Trotzdem lassen sich auf beiden Sei- wie auch die FDP – gegenwärtig gegen eine sol- ten Anzeichen einer Annäherung beobachten. che Regelung. Um die Positionierung in dieser Nachdem die Piraten nach dem Einzug in ver- Frage gibt es innerhalb der Piratenpartei seit schiedene Landtage Zeit gebraucht haben, um geraumer Zeit immer wieder heftige Konflikte. Funktion und Bedeutung verschiedener politi- Insbesondere die Aktivistinnen im Berliner Ke- scher Akteure zu überblicken, haben sie lang- gelklub, einem informellen Zusammenschluss, sam begonnen sich gegenüber Kooperationen der sich mit geschlechterpolitischen Fragen mit Akteuren wie den Gewerkschaften zu öffnen; auseinandersetzt, versucht die Debatte für fe- zumindest erste Kontakte sind festzustellen. ministische Ansätze zu öffnen. Dessen unge- Die Bindung zu anderen Vereinen oder Ini- achtet behaupten weite Teile der Partei, Ge- tiativen wiederum ist selten. Selbst in Gegen- schlecht als Kategorie spiele schlicht keine den mit hohen Vereins- und Organisationsbin- Rolle. Nach einer Erhebung des Kegelklubs dungen bekennen sich die Piraten meist dazu, sind rund drei Viertel der Mitglieder der Auf- eben nicht in eine der zahlreichen Gruppierun- fassung, dass in der Piratenpartei Männer und gen eingebunden zu sein. Anscheinend haben Frauen vollständig oder weitgehend gleichbe- bei den Piraten vorwiegend jene angeheuert, rechtigt seien. Bei der parallel gestellten Fra- die zuvor allenfalls individualisiert aktiv gewe- ge, ob Frauen und Männer in der Gesellschaft sen sind und sich daher nicht über andere Kol- gleichberechtig seien, waren die Antworten lektivorganisationen definieren. sehr viel verhaltener, immerhin ein gutes Drittel verneinte das Vorhandensein von Gleichbe- 5.4 Jenseits von Geschlecht und Quote? Frauen bei den Piraten Männerpartei 58 Seit ihren Anfängen ist die Piratenpartei in ers- rechtigung (Kegelklub 2012: 22). Angesichts dieser Zahlen scheinen die Piraten von den Mitgliedern als ein Hort der Emanzipation wahrgenommen zu werden. ter Linie eine Männerpartei. Die Partei selbst Sieht man jedoch genauer hin, fällt die auf- führt darüber keine Statistik, Erhebungen ge- fallend geringe Repräsentanz von Frauen in hen aber von Frauenanteilen zwischen 8,5 Pro- herausgehobenen Funktionen auf. 2009 waren zent (T. Neumann 2011: 190) und 18 Prozent (Ke- gerade einmal vier Prozent der Kandidaten auf gelklub 2012) aus. den ersten fünf Landeslistenplätzen zur Bun- Selbst wenn man den höheren Wert destagswahl weiblichen Geschlechts. Mit einer zugrunde legt, ist dieser deutlich niedriger als Ausnahme waren die Bundesvorstände bis 2011 in den etablierten Parteien. Während zuletzt reine Männerrunden. In drei der vier Landtags- die CSU aus ihrem geringen Frauenanteil den fraktionen der Piraten findet sich nur eine ein- Schluss zog, wenigstens die Repräsentation zige Frau. Im Lichte der bisherigen Kandidaten- M ITGLIEDER UND S YMPATHISANTEN Tabelle 5: Frauenanteil und Quotenregelungen im Vergleich Frauenanteil Mitgliedschaft Frauenquote Frauenanteil auf den ersten fünf Plätzen der Landeslisten zur Bundestagswahl 2009 Frauenanteil in den Landesparlamenten Frauen als Landesvorsitzende1 Frauen als Fraktionsvorsitzende in Land- und Bundestag 1 2 3 4 5 6 7 SPD 31 % CDU 26 % CSU 19 % FDP 23 % Linke 37 % Grüne 37 % Piraten < 18 % 40 % 43 % 33 % 29 % 40 % 40 % – 23 % 50 % 59 % 50 % 56 % – 4% 36 % 25 % 21 % 17 % 53 % 50 % 13 % 2 42 23 2 11 4 17 5 2 1 1 (1)6 1 4 87 – Stand Oktober 2012. In Brandenburg ist der Vorsitz vakant, zuvor war dort ebenfalls eine Frau Vorsitzende. Die CSU ist nur in Bayern vertreten und gliedert sich dort in zehn Bezirksverbände; hier angegeben ist die Zahl der weiblichen Bezirksvorsitzenden. Einige Landesverbände verfügen über eine Doppelspitze mit weiblichen und männlichen Vorsitzenden, in Baden-Württemberg gibt es gar einen sechsköpfigen Sprecherrat. Außer in Hamburg haben die Grünen in allen Ländern eine Doppelspitze, in der mindestens eine Frau vertreten ist. Einbezogen ist die Vorsitzende der CSU-Landesgruppe in der gemeinsamen Bundestagsfraktion mit der CDU. Die Grünen haben im Bundestag sowie in einigen Landesparlamenten Doppelspitzen. Quelle: Eigene Darstellung und Erhebung mit Daten von Niedermayer (2013b: 95). aufstellungen zur Bundestagswahl dürften ei- der Partei eine Reihe von spezifischen Hinder- ner möglichen Piratenfraktion ebenfalls nur nissen, die einer Beteiligung von Frauen entge- wenige Frauen angehören. genwirken. Wie in den etablierten Parteien auch sind Die Kegelklub-Erhebung zumindest weist Frauen bei den Piraten gerade in Spitzenfunk- klar auf geschlechterspezifische Differenzen tionen selten vertreten. Sechs der sechzehn und Ausschlussmechanismen hin. Demnach Landesvorstände kommen sogar komplett ohne fühlen sich 25 Prozent der männlichen Partei- eine Frau im Vorstand aus. In acht weiteren Lan- mitglieder durch sogenannte Shitstorms abge- desvorständen ist nur eine Frau vertreten. schreckt, denen sich Vorstandsmitglieder und Geschlechts- Sicherlich mag der geringe Frauenanteil in den Kandidaten im Netz immer wieder ausgesetzt spezifische Aus- Gremien der Partei dem Anteil innerhalb der sehen. Dieser beachtliche Wert wird noch auf- grenzungsformen Mitgliedschaft entsprechen. Trotzdem gibt es in fälliger dadurch, dass für 37 Prozent der Frau- 59 D IE P IRATENPARTEI en genau dies ein zentrales Hindernis für die Funktionen gesteigert werden könnte, weicht Übernahme eines Parteiamtes darstellt. Mit 19 die Partei bisher aus. Versuche, 2009 ein Pira- zu 7 Prozent ist zudem der Anteil der Frauen tinnennetzwerk zu gründen, wurden wüst be- fast dreimal so hoch wie der der Männer, die kämpft (Kucklick 2013: 161), Frauenquoten ver- die Aufstellungs- und Befragungsprozedur, das einzelt als „Tittenbonus“ verunglimpft (Christ- „Postgender“ als Kandidatengrillen, abschreckend finden (Ke- mann 2012). Allerdings gibt es auch Diskus- Rechtfertigung? gelklub 2012: 18). Diese beiden Aspekte sind sionsansätze, die unter dem Etikett postgender von besonderer Bedeutung. Während die wei- den Versuch unternehmen, eine Gleichstel- teren Merkmale wie Arbeitsaufwand, drohen- lungspolitik jenseits von Quotenregelungen zu de Überforderung, fehlende Unterstützung, Un- durchdenken (Siri/Villa 2012: 169), wozu auch sicherheit, unsympathische Teamkollegen oder der Kegelklub zu zählen wäre. 60 harte Konkurrenz bei der Wahl wohl in allen Quotenregelungen und andere Gleichstel- Parteien, Organisationen und Vereinen anzu- lungsmaßnahmen werden unter anderem mit treffen sind (Siri/Villa 2012: 160), dürften die- dem Argument zurückgewiesen, dass diese die se beiden Aspekte als spezifisch „piratig“ gel- eigentlich abzulehnende und zu überwindende ten. Dass ausgerechnet dabei aber die Ge- Kategorie des Geschlechts nur weiter festigten schlechterdifferenz so ausgeprägt ist, zeigt, (Häusler 2011: 72 f.). Trotz derartiger gender- dass die Parteistruktur der Piraten latent ab- theoretisch gesättigter Rekurse entsteht im Rah- schreckend auf Frauen wirkt. men der zumeist stark polarisierten Diskussio- Selbst bei der vermeintlichen Einigkeit zwi- nen zu derartigen Themen jedoch oft der Ein- schen den Geschlechtern hinsichtlich der Ab- druck, dass sich in der Partei zugleich diejeni- lehnung einer Quotenregelung (Kegelklub gen Männer finden, die sich zu den Verlierern 2012: 20) fallen geschlechterspezifische Unter- der Gleichstellungsprozesse der letzten dreißig schiede auf. Unter den Frauen in der Partei ist Jahre zählen. Gerade für Mitglieder mit techni- die Präferenz für die Einführung einer Quote schen oder naturwissenschaftlichen Ausbildun- höher als bei den Männern. Auch die Frage gen erscheinen Quotenregelungen, Frauenför- nach der Gleichberechtigung in der Partei se- derpläne oder ähnliche Gleichstellungsinstru- hen sie beileibe nicht so euphorisch wie die mente in Anbetracht des in diesen Bereichen Männer. Die Frage, ob die Partei oder das je- hohen Männerüberhangs gar als Bedrohung der weilige Mitglied „postgender“ (d. h. ablehnend eigenen biografischen Planung. Die Selbstdefi- gegenüber der Differenzierung von Menschen nition als postgender bietet da eine willkomme- anhand ihres Geschlechts) sei, bejaht zwar ne theoretische Grundierung und Rechtfertigung eine Mehrheit der Männer, nicht aber der Frau- dieser subjektiven Wahrnehmung. Dass dieses en (Kegelklub 2012: 25). Konstrukt bislang auch von einer Mehrheit der Einer umfassenden Diskussion, wie der Frauen in der Partei geteilt wird, hängt mit der Frauenanteil in der Mitgliedschaft oder in gemeinsamen Ablehnung eines klischeehaften M ITGLIEDER Bildes von Feminismus zusammen, die als ide- Auftreten von männlichen Piraten kritisiert, ologische Klammer fungiert. Gerade weil der und chauvinistische Aussagen bleiben nicht Gleichstellungsansatz der 1970er Jahre mit der unkommentiert. Zudem wird im Parteialltag Lebensrealität vieler Frauen gegenwärtig we- auch positiv wahrgenommen, dass Frauen, so nig gemein hat, kann dieser als Negativfolie sie denn für Ämter kandidieren, durchaus gute genutzt werden, um einen anderen ideologi- Chancen haben, gewählt zu werden. Insbeson- schen Überbau zu formulieren und hegemonial dere wenn nur wenige Frauen für Ämter kandi- in der Partei zu verankern. dieren, scheint es bei den Mitgliederversamm- Indessen sind Ansätze einer gewissen Sensibilisierung erkennbar. So wird sexistisches UND S YMPATHISANTEN lungen die Bereitschaft zu geben, diese auch zu wählen. 61 D IE P IRATENPARTEI 6. Wählerschaft der Partei Der Zuwachs der Wählerschaft der Piratenpar- Anliegen der Piraten gäbe (Borchard/Stoye tei war genau wie die Mitgliederentwicklung 2011: 18 f.). Doch ob solch ein Potenzial für eine bis zur Bundestagswahl 2009 beachtlich. dauerhafte, gar flächendeckende parlamentari- Danach stagnierte die Wählerklientel auf ei- sche Repräsentanz reichen würde, durfte be- nem verlässlichen Niveau von rund zwei Pro- zweifelt werden. Nach den Landtagswahlen im zent der Stimmen. Die Piraten waren so nahezu Frühjahr 2012 veränderte sich diese Sichtweise. flächendeckend zur größten der „sonstigen Bei allen drei Urnengängen bestätigte sich näm- Parteien“ geworden. Allenfalls geringfügige lich, dass das Ergebnis der Piratenpartei regio- Vorteile im urbanen Raum sowie in West- nal überaus ausgeglichen war. Die Partei erhielt Mehr als eine hippe deutschland ließen sich ausmachen (Brähler/ nicht nur Zuspruch von einem hippen, städti- urbane Partei Decker 2012: 8; Jesse 2011: 190; Onken/ schen und internetaffinen Publikum, sondern Schneider 2012: 613). Dieses Ergebnis bestä- war in der Lage, in Flächenländern ebenso Erfol- tigte sich auch auf kommunaler Ebene, als die ge zu generieren. 62 Partei erstmals bei den hessischen Kommunal- Eine Auswertung aller Wahlen, auch der wahlen im Frühjahr 2011 flächendeckend antrat jüngsten niedersächsischen, belegt, dass die und in alle Räte der kreisfreien Städte sowie in Partei vorherige Nichtwähler sowie Erstwähler die Hälfte aller Kreistage einzog. Auch bei den erreichte und dass sie phasenweise ausgespro- Kommunalwahlen in Niedersachsen im Septem- chen attraktiv war für Wähler aus allen politi- ber 2011 verbuchten die Piraten dort, wo sie schen Lagern. Rund die Hälfte ihrer Wähler hat- kandidierten, in der Regel Ergebnisse von drei ten ihre Stimme zuvor der SPD, den Linken oder Prozent. den Grünen gegeben. Ein Fünftel stammte aus Im September 2011 gelang der Partei in Ber- dem vormals schwarz-gelben Elektorat. Ein lin bei den Abgeordnetenhauswahlen dann mit Drittel schließlich stammte von anderen Partei- 8,9 Prozent erstmals der Sprung über die 5-Pro- en, waren Erst- oder vorherige Nichtwähler. zent-Hürde. Solch ein Ergebnis gerade in einem Außerdem sind die Piraten zum Sammelbe- Stadtstaat war jedoch kein sicherer Beleg für cken all jener Wähler geworden, die sonst zu die weitere Etablierung der Partei. Immerhin nichtetablierten Kleinparteien tendiert hatten kennt die deutsche Parteiengeschichte zahlrei- (Haas/Hilmer 2012: 191; Niedermayer 2013a: che Parteien, die kurzzeitig solche Erfolge ge- 67). Offensichtlich haben etliche Wähler, die feiert hatten, denen aber nie der Sprung in den zuvor konstant und konsequent gegen die eta- Deutschen Bundestag gelang. Überdies ließ sich blierten Parteien votiert hatten, ohne damit Er- das Ergebnis leicht als „berlinspezifisch“ deu- folg im Sinne parlamentarischer Vertretung zu ten (Niedermayer 2012: 25). Zugleich waren sich erzielen, bei den Piraten einen Pol gefunden, Beobachter jedoch recht sicher, dass es auch um ihren Unmut wirksam zu artikulieren. außerhalb der Hauptstadt zumindest einen ge- In Bezug auf Einstellungen, thematische In- wissen Resonanzboden für die netzpolitischen teressen und vorherige Wahlentscheidungen W ÄHLERSCHAFT DER P ARTEI Tabelle 6: Wählerwanderung Piraten Berlin Saarland Schleswig-Holstein Nordrhein-Westfalen Niedersachsen Grüne +17.000 +3.000 +13.000 +80.000 +6.000 SPD +14.000 +3.000 +10.000 +90.000 +5.000 Linke +13.000 +7.000 +6.000 +80.000 +8.000 FDP +6.000 +4.000 +14.000 +40.000 +5.000 CDU +4.000 +4.000 +14.000 +60.000 +2.000 Andere Parteien +22.000 k.A. k.A. +40.000 +13.000 Erstwähler +12.000 +3.000 +6.000 +30.000 +14.000 Nichtwähler +23.000 +8.000 +11.000 +70.000 +10.000 Zugezogene +23.000 k.A. k.A. k.A. +9.000 Quelle: Eigene Darstellung mit Daten von Infratest-dimap. sowie beim Stimmensplitting lässt die Wähler- ziert. Als zentrale Ursache wird ein „Dogmatis- schaft der Piratenpartei Präferenzen für eine mus der politischen Klasse“ (Alemann/Daniel Position „links von der Mitte“ erkennen 2012: 190) gesehen, der Entscheidungen als (Hirscher 2011: 3). Der insgesamt hohe Zustrom zwingend, alternativlos und unausweichlich von Wählern aller Parteien und der hohe Anteil begründet. Dies wird sekundiert durch eine einstiger Nichtwähler lassen aber vermuten, wissenschaftliche Debatte, die insbesondere dass die Wählerschaft in erster Linie nicht die materiellen Einflussmöglichkeiten der Po- durch eine konsistente politische Grundüber- litik als stark limitiert ansieht (Crouch 2008). zeugung zu ihrer Stimmabgabe für die Piraten So gewinnt ein Teil der Bevölkerung den Ein- bewogen wurde. Die Nachwahlbefragungen of- druck, dass sich die politischen Repräsentan- fenbaren vielmehr Hinweise auf ein Protest- ten nicht um die Problemlagen der Wähler küm- wahlverhalten. Relativ stabil geben rund zwei merten. Das politische System wird als untaug- Drittel der Piratenwähler an, dass sie aus Ent- lich angesehen, seine Funktionen hinreichend täuschung für die Partei votiert hätten. Der An- zu erfüllen, was eine rückläufige Wahlbeteili- teil der enttäuschten Wähler lag damit sogar gung, aber gleichzeitig eine anwachsende Pro- noch höher als der entsprechende Wert bei der testneigung der Bevölkerung nach sich zieht. Linken (SPD 2012a: 2; 2012b: 15). Entgegen zahlreichen normativen Interventio- Seit einigen Jahren wird ein gestiegenes nen, die den Wert der repräsentativen Demo- Protestpotenzial in der Gesellschaft identifi- kratie verteidigen (Fraenkel 1991: 158; Klei- Protestwählerschaft 63 D IE P IRATENPARTEI nert 2012; Weber 1976: 156), wächst gleichzei- tationen, welche die Partei als Ausdruck eines tig das Bedürfnis nach mehr und unmittelbarer Generationenkonflikts deuten. Doch diesbe- Partizipation. Die Forderung nach Transparenz züglich ist Zurückhaltung angebracht, weil „al- Transparenz im Staatswesen, das Versprechen von mehr ters- und geschlechtsspezifische Interessenla- als Verheißung Mitwirkung und eine latente Kritik an der gen in sozialstrukturelle und kulturelle Kon- Macht- und Wirkungslosigkeit von Parlamen- flikte […] eingebettet sind“ (Onken/Schneider ten führt also zu einem durchaus verheißungs- 2012: 615). vollen Angebot an die Wählerschaft, und zwar quer durch die politischen Lager. 64 Der geringe Anteil von über 60-Jährigen bringt es mit sich, dass die Erwerbstätigenquo- Dieser Bevölkerungsteil wird durch die Pi- te der Partei mit 70 Prozent so hoch liegt wie raten wieder an die Wahlurnen gebracht bezie- bei keiner anderen Partei (Appelius/Fuhrer hungsweise veranlasst, sein Wahlrecht weiter- 2012: 64). Trotz ihrer hohen Akzeptanz bei den hin wahrzunehmen. Recht typisch für eine Pro- Arbeitslosen sind die Piraten in erster Linie testpartei ist auch der hohe Zuspruch seitens also eine Partei, die von Leuten gewählt wird, deprivilegierter Wähler mit geringen Monats- die im Arbeitsleben stehen. Die Piraten bün- einkünften (Brähler/Decker 2012: 2) oder ohne deln somit nicht die gesellschaftliche Unter- berufliche Anstellung sowie von Wählern schicht, sondern in erster Linie eben hoch ge- männlichen Geschlechts (Onken/Schneider bildete, junge und zukunftsbejahende Grup- 2012). Am erheblichen Anteil von Wählern mit pen, die dennoch mit den Verhältnissen unzu- Abitur ist ersichtlich, dass die Piraten-Wähler- frieden sind. schaft zugleich aber über einen sehr hohen Bil- Durch die Wahl der Piratenpartei wird also dungsgrad verfügt (Brähler/Decker 2012: 3; Protest ausgedrückt, wobei die Entscheidung Onken/Schneider 2012: 617). für die Piraten zugleich ein demokratiebeja- Den zahlreichen Jung- und Erstwählern der hendes Element enthält. Die Piraten werden Piraten steht nur eine marginale Zahl von Wäh- gerade nicht als echte Anti-System-Partei ge- lern mit mehr als 60 Lebensjahren gegenüber. wählt, sondern als Formation, die sich dezi- Ein derartig drastischer Generationenunter- diert für eine Erneuerung der demokratischen schied lässt sich bei keiner anderen Partei fest- Ordnung stark macht, die jedoch andere Perso- stellen und führt dazu, dass die Wählerschaft nen und andere Ansätze mitbringt als die ande- der Piratenpartei mit durchschnittlich 33,6 Jah- ren Parteien. ren mit weitem Abstand die jüngste aller Par- Aufgrund ihres Protesthintergrundes wei- teien ist (Brähler/Decker 2012: 6). Selbst bei sen die Wähler der Piratenpartei aber nur eine den desaströs verlaufenen Wahlen in Nieder- geringe Bindung zu ihrer Partei auf. Das zeigte sachsen erzielten die Piraten bei den Jung- und sich gerade im Verlauf der Umfrageergebnisse Erstwählern deutlich über fünf Prozent der des Jahres 2012 bis Januar 2013 für die Piraten- Stimmen. Naheliegend wären daher Interpre- partei auf Bundesebene: W ÄHLERSCHAFT DER P ARTEI ken (SPD 2011: 14). Eine Erklärung findet sich Tabelle 7: bei den als wahlentscheidend angesehenen Sonntagsfrage Piratenpartei „Welche Partei würden Sie wählen, wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre …“ Themen. Bei allen Wahlen gaben recht konstant 15.01.2012 7% als wahlentscheidendes Thema soziale Gerech- Sehnsucht nach 19.02.2012 9% tigkeit an. Die zentrale Bedeutung des Themas sozialer Gerechtigkeit 18.03.2012 8% reicht an die traditionell hohen Werte von SPD 15.04.2012 12 % und Linken heran. Die programmatische Un- 12.05.2012 11 % klarheit der Piraten erweist sich dabei anschei- 10.06.2012 10 % nend als Vorteil, schließlich lassen sich 15.07.2012 9% dadurch sehr unterschiedliche Vorstellungen 12.08.2012 8% auf die Partei projizieren. 16.09.2012 7% Gegenüber dem Durchschnitt der Wähler- 21.10.2012 6% schaft sind die Anhänger der Piratenpartei in 04.11.2012 4% geringerem Maße für Steuersenkungen oder 09.12.2012 3% Klimaschutz, präferieren dafür doppelt so stark 13.01.2013 4% einen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan über 40 Prozent der Wähler der Piratenpartei oder fordern Bürokratieabbau ein (Onken/ Quelle: Emnid, nach www.wahlrecht.de/emnid. Schneider 2012: 623). Die Wählerschaft der Partei kokettiert somit zumindest mit Positionen im liberal-libertären Spektrum wie auch im Die Wählerschaft der Piratenpartei stellt linkspopulistischen Bereich. sich, abgesehen von den Faktoren Alter und Durch diese Themenspanne hat sich bei den Geschlecht, heterogen dar. Dabei fällt auf, dass Piraten ein elektoraler Schwemmsand angela- die Partei in fast allen gesellschaftlichen Grup- gert, der jedoch schwerlich zu halten ist. Viel pen reüssiert. Sie erreicht nämlich meist auch zu heterogen und widersprüchlich sind die Er- überdurchschnittliche Werte bei den Selbst- wartungswerte der neuen Wählerklientel. Die ständigen (Borchard/Stoye 2011: 4; Hirscher Piraten selbst nehmen schon seit geraumer Zeit 2011: 3 f.), was sich mit der starken Affinität zu wahr, dass ihre Wählerschaft sie für andere IT-Berufen erklären lässt. Erklärungsbedürftig Themen unterstützt als für jene, die ihnen ist demgegenüber, warum die gewerkschaftlich selbst wichtig sind und bei denen sie ihre Kern- gebundenen Arbeiter, nicht jedoch die Ange- kompetenzen sehen. Um für die heterogenen stellten überdurchschnittlich stark für die Pira- Wählerpotenziale programmatische Angebote ten votierten. In Berlin avancierten die Piraten zu machen, fehlt es den Piraten jedoch an orga- mit 14 Prozent sogar zur drittstärksten Partei in nisatorischer Stringenz und Effektivität. diesem Wählersegment, gleichauf mit den Lin- 65 D IE P IRATENPARTEI 7. Das politische System reagiert Die Piratenpartei ist mittlerweile eine arrivier- Partei entgegen den zahlreichen Unkenrufen te, keineswegs aber etablierte Partei. Gesell- in allen Wahlen des Jahres 2012 erfolgreich in schaftlich hat sie unverkennbar einen Nerv ge- die Landtage eingezogen war, sortierte sich troffen. Kleinparteien akzentuieren mit ihren das Feld neu. Erfolgen oftmals Mängel in der politischen Re- Die umfangreichen Reaktionen auf die Pira- präsentation, wenn einzelne soziale Gruppen ten, die von entrüsteten Verurteilungen über oder spezifische Themen nicht mehr adäquat interessierte Sondierungen bis zu offenen Um- von den etablierten Parteien vertreten werden. armungen reichten, machten gleichsam darauf Wie gezeigt worden ist, haben die Piraten das aufmerksam, dass sie zusehends als parteipo- spezifische Nischenthema der Netzpolitik mit litischer Konkurrent wahr- und ernst genom- der Unzufriedenheit eines großen Teils der men wurden. Damit eröffnete sich für die Pira- Wählerschaft sehr wirksam verbinden können. ten eine Stellung im Parteiensystem, die es ih- Wie aber auch deutlich geworden ist, sind die- nen erlaubte, verschiedene Funktionen erfül- Aufstrebende se Erfolge überaus flüchtig. Ein Grund hierfür len zu können: Als aufstrebende Außenseiter Außenseiter sind die Reaktionen der etablierten Akteure konnten sie Druck ausüben, der vor allem bei des politischen Systems. Die Stärken der poli- den etablierten Parteien zu Reaktionen, zu Be- tische Newcomer werden von jenen adaptiert wegung, Umdenken und Erneuerung führte oder deren Schwächen ausgenutzt. (Hensel 2012b: 107 f.). Die Parteien erkannten Als parteipolitischer Träger eines auf den ersten Blick recht begrenzt wirkenden Themas dabei in dreierlei Hinsicht Handlungsbedarf: kommunikativ, inhaltlich und strategisch. wurden die Piraten von den etablierten Parteien 2009 kaum als ernst zu nehmende Konkurrenz angesehen. Das Zugangserschwerungsgesetz und die wachsende Protestbereitschaft der 66 7.1 Kommunikative und organisationskulturelle Reaktionen Wähler vor dem Hintergrund der Großen Koali- Die 2009 durchaus naheliegende Analyse, die tion waren mit der Bundestagswahl bereits Ge- Piraten als Internetpartei einzustufen, führte schichte. Allein die Tatsache, dass es den Pira- dazu, dass die etablierten Parteien vor allem ten gelungen war, ein zuvor kaum politisiertes versuchten, basispartizipatorische Prinzipien Themenfeld zu besetzen und zahlreiche Neu- und Ansprüche mit den Möglichkeiten des In- wähler anzuziehen, gab den etablierten Partei- ternets zu verschränken. Schließlich schienen en Rätsel auf, doch nach dem Verblassen der die Piraten geradezu intuitiv genau das zu rea- ersten medialen Aufmerksamkeit für die Pira- lisieren, was die Jungen, Wütenden und Unzu- ten hatte man sich in den Parteizentralen friedenen dieser Republik in den vergangenen wieder mit anderen Dingen befasst. Diese Si- Jahren immer wieder gefordert hatten, nämlich tuation änderte sich erst durch den Erfolg der unkonventionelle, thematisch begrenzte, zeit- Berliner Piraten im Herbst 2011. Nachdem die lich flexible und tendenziell basisdemokrati- D AS POLITISCHE S YSTEM REAGIERT sche Formen des Engagements (Klatt/Walter und mediale wie parlamentarische Logiken ge- 2011: 35 f.). Tatsächlich drehten sich die Re- bunden sind, schränkt das notwendigerweise formdebatten in allen Parteien bereits seit rund ihre Experimentierfähigkeit ein. drei Dekaden genau um solche Aspekte, und Doch alle Parteien stellen schnell fest, dass mit der erhöhten Nutzung des Internets und sei- deren konsequente Umsetzung zumeist an- ner Potenziale im Hinblick auf Partizipation und strengend und trotz aller technischen Entwick- Kommunikation wurde schon seit geraumer lungsfortschritte oft unproduktiver und ineffek- Zeit in den Parteien experimentiert (Wie- tiver ist als traditionelle Formen der Organisa- sendahl 2006a: 163 ff.). Allerdings waren sie tion. Meist beschränken sich etablierte Par- kaum in der Lage, daraus nachhaltig erfolgrei- teien daher weiterhin auf oberflächliche For- che Parteireformen zu entwickeln. men der digitalen Kommunikation und Partizi- Die digitalen Medien wurden von den Par- pation. teiorganisationen in erster Linie als Distribu- Spätestens der Durchbruch der sozialen tions- und nicht als Partizipationskanäle ver- Netzwerke hat die vorwiegend in eine Richtung standen. Ausnahmen bilden hier beispiels- laufende Netzkommunikation der Parteien je- weise die Gründung des virtuellen Ortsvereins doch massiv in Frage gestellt. Die ersten Erfol- der SPD und des „Internet-Landesverbandes“ ge der Piraten 2009 waren dafür der deutlichs- der FDP Mitte der 1990er Jahre. Über diese wur- te Indikator. Als Reaktion darauf haben sich die de eine eigene, virtuelle Parteigliederung er- etablierten Parteien seitdem verstärkt die Kul- probt, die sich allerdings vornehmlich mit Fra- turtechnik digitaler Medien angeeignet: Twit- gen der Netzregulation und der Gestaltung des ternde Politiker, diverse Grundsanierungen digitalen Zeitalters befasste (Bieber 2010: von Homepages, eine intensivierte Pflege von 33 f.) und deren Arbeit von den Parteivorstän- Profilseiten in sozialen Netzwerken sowie die den nicht allzu ernst genommen wurde. Eröffnung digitaler Diskussions- und Beteili- Tatsächlich kollidieren die in den etablier- gungsplattformen sind eine Folge davon. ten Parteien eingeübten Gesetzmäßigkeiten Digitale Kommunikation und Kooperation der inner- wie außerparteilichen Kommunika- bedarf aber nicht nur technischer Strukturen, tion schnell mit der latent anarchischen Netz- sondern ebenso kultureller Fähigkeiten. In Be- kultur. Politiker sehen sich dem Dilemma ge- zug auf die dazugehörige Authentizität haben genüber, die Kulturtechniken des Netzes anzu- die meisten Politiker quer durch die etablier- wenden, ohne ihre politische Logik und organi- ten Parteien aufgrund ihrer abweichenden sationskulturellen Anforderungen, wie Strate- Mediensozialisation oftmals Schwierigkeiten, giefähigkeit, Effizienz und Produktivität, zu was ihnen im Internet schnell Häme einbringt. vernachlässigen (Hensel 2012b: 108 f.). Da die Offener reagieren die Parteien freilich auf etablierten Parteien an gewachsene Traditio- die neuen und alten Möglichkeiten einer basis- nen, filigrane innerparteiliche Machtbalancen demokratischen Partizipation, welche die Pira- 67 D IE P IRATENPARTEI tenpartei besonders prononciert eröffnet hat Rolle. Gut sichtbar war dies im allgemeinen und die einer forcierten Online-Kommunika- Bedeutungsgewinn des thematischen Kernbe- tion innezuwohnen scheint. Die FDP beispiels- reichs der Piraten, also der Frage, wie die He- weise lässt die Prioritäten bei der Antragsbera- rausforderung der Digitalisierung der Gesell- tung im Vorfeld von FDP-Parteitagen ohne wei- schaft zu gestalten sei. So schrieben die etab- tere Vorgaben durch die Delegierten selbst lierten Parteien nun vor allem der Netzpolitik festlegen und setzt in ihrem bayrischen Landes- eine höhere Priorität zu. Natürlich gab es auch verband mittlerweile eine Plattform ein, die Li- dazu schon längere Zeit Diskurse, bloß wurden quidFeedback ähnelt. Auch in anderen Parteien diese eher randständig geführt. Netzpolitik hat man Formen basisdemokratischer Mitwir- wurde nach dem ersten Wahlerfolg der Piraten kung entdeckt oder experimentiert in der Zwi- 2009 als Thema innerhalb der etablierten Par- schenzeit mit digitalen Plattformen wie Liquid- teien ernster genommen und bot gerade einem Feedback oder Adhocracy. versierten Nachwuchs Profilierungsmöglich- Dennoch: Gerade weil es sich um langfristi- keiten. Junge Abgeordnete wie Lars Klingbeil ge Prozesse der Modernisierung der politi- (SPD), Jimmy Schulz (FDP), Halina Wawzyniak schen Kommunikation und Organisation han- (Linke) oder Konstantin von Notz (Grüne) nut- delt, hat das Auftauchen der Piraten in Bezug zen diese Leerstelle jedenfalls effizient aus. auf die kommunikative Kompetenz zwar kurz- Durch diese inhaltliche Neuorientierung schien fristig zu keinen wesentlichen Veränderungen sich die Auseinandersetzung mit der neuen der bisherigen Arbeitsweisen in den etablier- Partei insgesamt auf eine rationale Handlungs- ten Parteien geführt, wohl aber werden länger- ebene zu verlagern. Sichtbarstes Zeichen ist fristige Anpassungsprozesse an Erfordernisse die Enquête-Kommission des Bundestags zur der Internetkommunikation gefördert. Netzpolitik, über die viele der prominenten netzpolitischen Aktivisten der Republik einge- 7.2 Inhaltliche Reaktionen spannt wurden. Auch innerhalb der etablierten Parteien Motor für inhaltliche Das Auftauchen der Piratenpartei wirkte über- versuchte man netzpolitische Kompetenzen Entwicklungen dies als Initiator und Motor der Entwicklung aufzubauen, indem man Arbeitskreise und von neuen oder alternativen politischen Inhal- Kommissionen einsetzte oder Kongresse ab- ten. Insoweit nahmen die Piraten eine weitere, hielt. Beschlüsse und Thesenpapiere waren so geradezu prototypische Funktion nichtetablier- vielfach bereits vor dem Piraten-Hype 2011/12 ter Kleinparteien wahr: Ihre Präsenz brachte in der Diskussion. Mit einem parteinahen Ver- die innerparteilichen Debatten und Machtver- ein wie Liberale Basis e. V. bei der FDP oder hältnisse der etablierten Parteien in Bewe- einem der SPD nahen Thinktank wie D64 exis- gung. Dabei spielt vor allem die Aufwertung tieren mittlerweile Umfeldorganisationen für von vormaligen Außenseiterpositionen eine netzpolitische Themen. Die Grünen haben dazu 68 D AS POLITISCHE S YSTEM REAGIERT bereits im November 2011 auf ihrem Parteitag der Piratenfraktion im Parlament, die Bezie- umfassend beraten. Einen Monat darauf zogen hung zwischen den Parteien blieb aber von ei- die Sozialdemokraten nach, deren Bundes- nem Gefühl der Fremdheit und Konkurrenz be- tagsfraktion zudem ein halbes Jahr später ein stimmt. Die politische Gegnerbeobachtung Thesenpapier zur Reform des Urheberrechts nahm sich der Piraten derweil intensiver an. zur Debatte stellte (Wagner 2012: 45, 131). Zu Gleichzeitig sendeten die Spitzenkandidaten den Kernthemen der Piraten besitzen somit alle der SPD in Nordrhein-Westfalen, Schleswig- etablierten Parteien mittlerweile Expertise, Holstein und Niedersachsen vorsichtige Signa- können auf Beschlüsse verweisen oder bieten le an die neue Partei aus, um von vornherein Diskursforen an. weder deren Wähler zu verschrecken noch sich rechnerische Koalitionsoptionen zu verbauen. 7.3 Strategische Orientierungen Auch in der CDU mangelte es nicht an Versuchen, die Piraten in den Kommunalparlamen- Freilich hatten die meisten Beobachter erwar- ten und Landtagen zumindest punktuell einzu- tet, dass sich so das Wählerpotenzial der Pira- binden. Der vormalige Parlamentarische Ge- ten domestizieren ließe, was sich als Trug- schäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag, schluss erwiesen hat, da die Piraten eben nicht Peter Altmaier, stellte eine Kooperation per- nur aus netzpolitischen Gründen Zulauf erhal- spektivisch in Aussicht und gab sich in Bezug ten, sondern weil sie als Projektionsplattform auf die Kommunikationsweise und die politi- verschiedener Interessen gewählt werden. In- schen Ideen und Ansätze der Piraten überaus soweit mussten die etablierten Parteien die Pi- verständnisvoll. So räumte er sogar Fehler sei- raten unverändert als ernsthaften Mitbewerber ner Regierung im Bereich der Netzpolitik ein, bei der Bundestagswahl einschätzen und auch stellte sich Diskussionen mit Piraten und lud in Bezug auf einen möglichen Parlamentsein- den neuen Mitbewerber regelrecht zum Mitma- zug Strategien entwickeln. chen ein: „Es sind junge Leute voller Ideale, die Neue Koalitions- die Welt zum Besseren verändern wollen, aber konstellationen Bei der SPD hofierte man die Kritiker von Netzsperren und intensivierte die weiteren noch nicht wissen, wie“ (Altmaier 2011). Kontakte zu Vertretern der digitalen Szene, um Nun scheint eine Koalition aus Union und dem in den Jahren zuvor entstandenen politi- Piraten für 2013 trotz einiger Mutmaßungen schen Vertrauensverlust in diesen Themenbe- (Bieber 2012b; Wentzien 2012) wohl eher aus- reichen zu begegnen. Darüber hinaus suchten geschlossen zu sein. Die inhaltlichen Schwach- die Sozialdemokraten nach der Berlin-Wahl im stellen und die mangelnde programmatische Herbst 2011 zaghaft Kontakt zu den Piraten. Kohärenz der Piraten mit ihren vielschichtigen Klaus Wowereit stellte sich zwar im Vorfeld sei- personellen und organisatorischen Problemen ner Wiederwahl als Regierender Bürgermeis- sprechen aus Sicht der Union klar gegen eine ter im Berliner Abgeordnetenhaus den Fragen solche Zusammenarbeit. Und auch die Piraten 69 D IE P IRATENPARTEI 70 dürften Schwierigkeiten haben, sich mit der Während die Volksparteien somit abwar- Partei einzulassen, die die Netzsperren maß- tend, aber eben nicht ablehnend reagieren, geblich vorangetrieben hat. Dennoch hätte fällt den kleineren Parteien die Reaktion auf eine wenigstens rechnerische Mehrheit aus ihre neue Konkurrentin bislang schwerer. Die CDU/CSU und Piraten für Merkels Union im- FDP kann trotz ihrer netzpolitischen Bilanz in mense Vorteile. Wenn 2013 eine Konstellation der Regierungsarbeit den Piraten keine bürger- eintritt, in der abermals eine Große Koalition rechtlich-liberal orientierten Wähler entrei- als einzige realistische Option verbleibt, wäre ßen. Sie scheitert nicht zuletzt an den kulturel- ein theoretisches Drohpotenzial mit einer an- len Differenzen zu den Piraten. Hinzu kommt deren Mehrheitsoption für die Union natürlich eine verbreitete emotional-kulturelle Aversion günstig. Somit erfüllen die Piraten für die CDU innerhalb des Piratenmilieus gegen die deut- eine Doppelfunktion: Sie könnten einerseits lich wirtschaftsliberaler positionierten Frei- helfen, eine rot-grüne Mehrheit zu verhindern, demokraten. Das gilt ungeachtet der auch in andererseits eröffnet ihr Parlamentseinzug diesem Feld erkennbaren Deckungsfähigkeit eine strategische Möglichkeit, Sozialdemokra- der Positionen. Zu Recht sehen Strategen der ten oder Grüne unter diesen Umständen von ei- FDP weder in den Piraten noch in den abgewan- nem Bündnis mit der CDU zu überzeugen. derten Wählern eine Klientel, welche sie dau- Ähnlich verhält es sich mit der strategi- erhaft erreichen könnten. Aus Sicht der Libera- schen Ausrichtung der CSU. Weil die Christso- len ist allenfalls erfreulich, dass die Wahler- zialen aber auch die absolute Mehrheit in Bay- folge der Piraten die Option auf ein rot-grünes ern wiedergewinnen wollen, ist das Verhältnis Mehrheitsbündnis erschweren. zu den Piraten zwiegespalten. Schließlich hat Auch aus diesem Grund ist das Verhältnis die CSU sehr genau zur Kenntnis genommen, zwischen Grünen und Piraten gegenwärtig am dass sich die Sozialstruktur im Freistaat nach- kontroversesten. Viele Piraten sehen die Grü- haltig geändert hat. Die dort nun ansässigen nen als die Negativfolie schlechthin an, weil modernisierten sozialen Milieus fremdeln mit diese ihre einstigen Ideale verraten hätten. der CSU, einige sind aber bedingt durch ihre Bereits auf diesen Vorwurf reagieren die Grü- Jobs in der Hightech-Industrie Bayerns quasi nen überaus empfindlich. Weitaus stärker eine Kernklientel der Piraten. Nicht von unge- macht ihnen aber zu schaffen, dass Piraten sich fähr befindet sich dort der größte Landesver- als veritable Konkurrenz bei der eigenen Wäh- band der Piraten. Die CSU versucht sich daher lerklientel erweisen. Immerhin jeder dritte in einer Doppelstrategie. Ihre Innenpolitiker Wähler der Grünen kann sich eine Wahl der Pi- suchen die Abgrenzung zur Partei, um die eige- raten vorstellen, Programm und Nonkonformi- ne konservative Kernklientel nicht zu verschre- tät im Auftreten sind schließlich ähnlich (Haas/ cken. Zugleich öffnen sich andere Teile der Par- Hilmer 2012: 183 f.; Hönigsberger/Osterberg tei aber für netzkulturelle Entwicklungen. 2012: 20). Wesentliche Erfolgsfaktoren des D AS POLITISCHE S YSTEM REAGIERT Wahlhochs der Grünen werden ihnen von den che Protestklientel wetteifert. Die Wahrneh- Piraten somit zumindest partiell streitig ge- mung eines Teils der Linken ist durch Deutun- macht. gen vorgeprägt, welche die Piraten klar als li- Gegnerschaft Die Grünen ringen insgesamt noch um die berale Partei einordnen oder die Debatte über zu Grünen passende Strategie im Umgang mit den Piraten eine vermeintliche Rechtslastigkeit fälschlich (Schulte 2012). Gerade die Führungsschicht der überhöhten. Partei sucht die offensive Konfrontation mit der Im Gegensatz zu den Grünen sind die Lin- neuen Konkurrentin. Programmatische Män- ken aber von Anfang an sehr pragmatisch mit gel, organisatorische Schwierigkeiten, ein nai- ihrem neuen Wettbewerber umgegangen. In ves Politikbild oder ein geringer Frauenanteil – zahlreichen Kommunalvertretungen gibt es ge- tatsächlich finden sich aus grüner Perspektive meinsame Fraktionen beziehungsweise Grup- genug Angriffspunkte, die auch mit größter pen. Anderswo sind die Fraktionen der Linken Härte angegangen werden. Die jüngeren Grü- um gemeinsame Anträge bemüht. Zu dieser nen beziehen sich hingegen häufiger positiv pragmatischen auf die mit den Piraten geteilte Netzkultur und auch, dass die Linken das gegenwärtige Auftre- plädieren für einen besonnenen Umgang mit ten der Piraten durchaus als Chance sehen, die der neuen Partei. eigenen offenen strategischen Fragen auszu- Herangehensweise gehört Auf Debatten setzt man auch bei den Lin- klammern. Schließlich könnte ein Einzug von ken. Man spekulierte berechtigterweise da- Piraten und Linken die Bildung einer rot-grü- rauf, durch öffentliche Dispute zwischen Ver- nen Minderheitsregierung befördern. Eine sol- tretern der Piraten und der Linken etwas von che Regierung wäre davon befreit, bloß von der immensen Aufmerksamkeit abzubekom- Gnaden der Linken zu existieren, und könnte men, welche den Piraten im Zuge ihres Hypes zudem in außenpolitischen Fragen auch unab- zuteil wurde. Ungeachtet dessen sieht die Lin- hängig von der Linken agieren, was der Linken ke in den Piraten durchaus eine Konkurrenz, eine Reihe schwieriger Grundsatzfragen erspa- die gerade in Westdeutschland um eine ähnli- ren würde. 71 D IE P IRATENPARTEI 8. Piraten in Parlamenten 72 Als griffigen Slogan postulieren die Piraten in dem soll das faktische Delegationsrecht der Wahlkämpfen „Klarmachen zum Ändern“ und Fraktionen in die Ausschüsse durch ein indivi- stellen eine umfassende Restrukturierung der duelles Mitwirkungsrecht aufgeweicht werden. politischen Verhältnisse in Aussicht. Diese Ori- Zugleich sollen kleinere Fraktionen die beson- entierung findet konsequenterweise ihren Nie- deren Rechte größerer Fraktionen, etwa im Hin- derschlag im Auftreten der Piraten in der parla- blick auf die Einberufung des Parlaments, er- mentarischen Sphäre selbst. Vor allem die Ab- halten, wozu die Piraten eine Verfassungsän- geordneten in Berlin und Schleswig-Holstein derung anstreben. Ähnliche Vorstöße unter- kokettieren mit einer zur Schau getragenen nahmen die Piraten in Schleswig-Holstein, wo Distanz zu den etablierten Mechanismen parla- sie die verankerten Rechte großer Fraktionen mentarischer Arbeit und Kultur. Allein über ih- zur Beeinflussung von Verfahrensfragen auch ren zum Teil sehr unkonventionellen Kleidungs- für kleine Fraktionen reklamieren. Gleichzei- stil erlangten sie leicht mediale Aufmerksam- tig lehnten die Piraten dort mit Verweis auf die keit. Abgeordnete im Blaumann, mit Kopftuch Gewissensfreiheit des Einzelnen das im parla- oder Schiebermütze lösten für einige Zeit ein mentarischen Alltag übliche sogenannte Pai- mediales Echo und Empörung der Parlaments- ring (Absprache zwischen Abgeordneten von kollegen aus. Allerdings: Dramatisch sind die- Regierungs- und Oppositionsparteien, an einer se Aufwallungen nicht, rasch setzt ein Gewöh- Abstimmung nicht teilzunehmen, um die Mehr- nungseffekt ein. Zudem legen andere Parla- heitsverhältnisse nicht zu verändern) selbst in mentarier der Piraten wie der nordrhein-west- Krankheitsfällen ab. Mehr oder weniger aus- fälische Fraktionsvorsitzende Joachim Paul de- geprägt stellen die Piraten damit Regeln zur zidiert Wert auf einen konventionellen Klei- effizienten Arbeit parlamentarischer Gremien dungsstil. in Frage. Das dahinterliegende idealisierte Während der von den Piraten ausgehende Verständnis von parlamentarischer Demokra- Kulturschock parlamentarisch weitgehend ver- tie kollidiert jedoch offensichtlich immer daut ist, fordern diese die Fraktionen der eta- wieder mit deren tatsächlicher Funktionsweise. blierten Parteien mit Anträgen zur Änderung Neben den Geschäftsordnungen haben die der Geschäftsordnung immer wieder heraus. In Piraten überaus schnell Initiativen zur Auswei- Berlin forderten sie eine Vergrößerung des tung von Entscheidungs- und Mitwirkungsrech- Parlamentspräsidiums und reklamierten damit ten in den Landesverfassungen gestartet. Ihre einen Vizepräsidentenposten für sich. Zudem Gesetzesentwürfe dazu thematisieren grob verlangen sie, originäre Rechte der Fraktionen zwei Regelungsbereiche. Zum einen wollen sie auf einzelne Abgeordnete übergehen zu las- eine deutliche Ausweitung plebiszitärer Ele- sen. So sollen Entschließungsanträge oder mente. Zum anderen greifen sie das vorhande- Große Anfragen bereits von jedem einzelnen ne Missverhältnis zwischen Parlament und Re- Abgeordneten gestellt werden können. Außer- gierung auf der Landesebene auf. Gegen die P IRATEN IN P ARLAMENTEN Handlungsvorteile einer dortigen Regierung schmieder 2013: 219). Der seinerzeit gewählte kommen die Landesparlamente nur mühsam an Andreas Baum ist seitdem vor allem damit be- (Klecha 2011: 38 ff.). In ihrem Bestreben, dies schäftigt, die Fraktion im Inneren zusammen- zu korrigieren, kümmern sich die Piraten je- zuhalten, und tritt nach außen hin eher wenig doch wenig um den verfassungsrechtlich ge- in Erscheinung. Zum Gesicht der Fraktion avan- schützten Kernbereich exekutiver Eigenverant- cierten dagegen der erste Parlamentarische wortung, sondern streben tendenziell eine All- Geschäftsführer Martin Delius sowie der omni- zuständigkeit des Parlaments an. präsente Christopher Lauer, der seit Herbst Indem sie Verfahrensmodalitäten ändern wollen, besetzen die Piratenfraktionen ein 2012 mit Baum auch offiziell eine Doppelspitze bildet. Thema, das in ihrer Wahlkampfkommunikation Die Mandatsträger der Piraten erfuhren re- eine große Rolle spielt. Doch auf die schon lativ schnell und immer wieder die Nachteile meist zu Beginn einer Legislaturperiode ge- der von ihnen umfassend praktizierten Trans- stellten Anträge folgten seitens der Fraktionen parenz ihrer parlamentarischen Tätigkeit. Vor bislang eher wenige Impulse. Ein zentraler allem Debatten über strategische oder sensib- Grund ist der langwierige Aufbau der Arbeits- le fraktionsinterne Fragen wurden durch die strukturen in den Fraktionen. Fehlende Erfah- mediale Berichterstattung wesentlich verkom- rungen und Routinen hemmen deren Aktivitä- pliziert. Und selbst seit dem Nachlassen der ten. Kompetenzen, um beispielsweise den medialen Aufmerksamkeit finden negative Haushaltsplan zu verstehen, müssen erst müh- Wahrnehmungen der Fraktionsarbeit schnell sam aufgebaut werden. Überdies verwenden ihren Weg in die parteiinterne Kommunikation die Piraten ausgesprochen viel Zeit für die ge- und gelangen von dort immer wieder an die Öf- meinsame Erörterung der Regularien des Ab- fentlichkeit. Infolgedessen sehnen sich einige Sehnsucht nach geordnetendaseins und für profane Fragestel- Abgeordnete nach Vertraulichkeit und Ver- Vertraulichkeit lungen, die sonst im Hintergrund von den Frak- schwiegenheit. tionsgeschäftsführungen geregelt werden. Doch entsprechende Forderungen führten Die Berliner Piratenfraktion liefert für die zu erbitterter Gegenwehr aus Teilen der Frak- weiteren Fraktionen zugleich eine positive wie tion sowie aus der Partei (Koschmieder 2013: negative Referenz. Dort hatten persönliche 220). Alle Sitzungen der Fraktionen wie des Konflikte zwischen den Mandatsträgern den Fraktionsvorstands werden daher nach wie vor Findungsprozess der Fraktion verzögert. Die im Internet übertragen und sind mit wenigen Berliner Abgeordneten standen dadurch früh- Ausnahmen für Gäste offen. Wie einst bei den zeitig in einem unvorteilhaften Licht. Bereits Grünen war die Resonanz darauf am Anfang bei der Konstituierung kam es vor den Augen noch groß. Mit der Zeit aber kamen immer we- der Öffentlichkeit zum offenen Streit über die niger Medienvertreter zu den Sitzungen, von Zusammensetzung der Fraktionsspitze (Ko- interessierten Bürgern einmal ganz abgese- 73 D IE P IRATENPARTEI hen. In allen Fraktionen pendelte sich die Zahl nach der Aufstellungsversammlung versuchten der Zuschauer und Zuhörer der Streams auf die Bewerber auf der Landesliste miteinander eine sehr überschaubare Größenordnung ein, ins Gespräch zu kommen, um sich besser ken- selten finden sich in Nordrhein-Westfalen mehr nenzulernen. Niedersachsens Piraten organi- als 50, in Schleswig-Holstein durchgängig we- sierten beispielsweise einen Kandidaten- niger als 20 und im Saarland in der Regel keine Workshop. Diese Teambuilding-Maßnahmen, 10 Zuschauer ein. die in Berlin erst nach der Konstituierung der Zäher Fraktions- Daneben war gerade der Aufbau der Berli- Fraktion eingesetzt hatten, wurden somit vor- aufbau in Berlin ner Fraktion von einigen Pannen begleitet: Die verlagert. Doch das änderte nichts an dem Um- Bewerber auf die Mitarbeiterstellen etwa er- stand, dass die Piraten in den ersten Monaten hielten versehentlich sämtliche E-Mail-Adres- ihrer Zugehörigkeit zu den jeweiligen Landes- sen ihrer Mitkonkurrenten mitgeteilt (o. V. parlamenten kaum Aufmerksamkeit für kon- 2011; Wagner 2012: 85). Abgeordnete stellten struktive politische Beiträge erhielten. Als Op- ihren Lebensgefährten als persönlichen Mitar- positionspartei können sie ohnehin nicht viel beiter ein und ernteten öffentliche Empörung verändern, dazu fehlen die Mehrheiten. So ver- (van Bebber 2011; Wagner 2012: 84). Erschwert suchen die Mandatsträger wenigstens die ei- wurde der Aufbau konstruktiver Arbeitsstruk- genen Ideale zu erfüllen und legen bestimmte turen durch die innerhalb der Fraktion beste- Informationen offen: Nebentätigkeiten und Ne- henden sehr unterschiedlichen Vorstellungen benverdienste werden von fast allen Mandats- von der Wahrnehmung des eigenen Mandats. trägern en détail angegeben. Formalisierte Kaum einer der Kandidaten hatte mit einem Kontakte mit Vertretern von Lobbyorganisatio- Wahlerfolg gerechnet, und so brachen entspre- nen werden ebenfalls penibel aufgelistet. Eini- chende Differenzen gleich zu Beginn der Wahl- gen Vordenkern schwebt vor, dies mittelfristig periode auf. Da einige Fraktionsmitglieder mit den entsprechenden Drucksachen zu ver- sowieso schon längere Zeit in herzlicher Ab- knüpfen, um so die Verbindungslinie von Inte- lehnung zueinander verbunden waren, entlu- ressen zu Beschlüssen darzulegen. 74 den sich Spannungen oft aufgrund von Kleinig- Abseits jenes ehrenwerten Versuchs, Vor- keiten. Am Ende sah sich die Fraktion veran- bild zu sein, ist die wohl wichtigste Aufgabe ei- lasst, einen Mediator zu engagieren und einen ner Oppositionsfraktion im parlamentarischen wöchentlichen Stuhlkreis einzurichten, um un- Regierungssystem, die Regierungsarbeit zu ter Ausschluss der Öffentlichkeit über ihre kontrollieren. Tatsächlich haben die Piraten zahlreichen persönlichen Animositäten zu sich diesbezüglich redlich bemüht: Im Saarland sprechen (Burger 2012; Neumann/Fritz 2012: und in Nordrhein-Westfalen haben sie jeweils 331; von Törne 2011). die Wiedereinsetzung eines Untersuchungs- Eine solche Situation war bei den folgen- ausschusses aus der vorherigen Legislaturpe- den Landtagswahlen nicht gegeben. Schon riode beantragt, dessen Arbeit durch die Auflö- P IRATEN IN P ARLAMENTEN Tabelle 8: Kleine Anfragen der Piraten Land Anteil der Piraten an Anteil der Piraten an Kleinen Anfragen der Opposition insgesamt Berlin 21,5 % 28,3 % Saarland 30,2 % 28,6 % Schleswig-Holstein 11,2 % 17,6 % Nordrhein-Westfalen 12,9 % 18,3 % Quelle: Eigene Darstellung mit Zahlen von Becker/Kaiser/Latsch u. a. (2012: 31). sung der Landtage vorzeitig geendet hatte. In ten Opposition, so erhält man eine erste Aus- Berlin war die Piratenfraktion an der Einset- kunft über die quantitative Arbeitsleistung der zung eines Untersuchungsausschusses zu den Neuparlamentarier. Nur im Saarland sind die Pannen beim Bau des neuen Berliner Flugha- Piraten demnach so produktiv, wie man es in fens maßgeblich beteiligt, wobei ihnen sogar Anbetracht ihrer jeweiligen Stärke erwarten die Leitung des Gremiums zugefallen ist. Parla- dürfte. Die reine Quantität von Anfragen sagt Parlamentarische mentarische Untersuchungsausschüsse sind jedoch nur wenig aus. Vielmehr ist die gezielte Aktivität die meist spektakulären Höhepunkte in der Multiplizierung von Anfragen, um die Auswir- Kontrolltätigkeit der Opposition. Wie ernst die kungen eines Sachverhalts in jedem einzelnen Piratenfraktion dort diese Aufgabe nimmt, wird Wahlkreis abzufragen, nicht unüblich und wur- schon an der Besetzung des Vorsitzes mit ihrem de insbesondere von der FDP in Nordrhein- ehemaligen parlamentarischen Geschäftsfüh- Westfalen ausgiebig angewandt (Kompa 2012). rer deutlich. Qualitativ gibt es erhebliche Differenzen in Wichtig für die parlamentarische Alltagsar- den Themenfeldern, in denen die Piraten Anfra- beit ist das Fragerecht der Opposition. Durch gen stellen. In einigen Bereichen bringen sie dieses können Oppositionsparteien nicht nur durchaus Erfahrungswissen ein, das meist aus den öffentlichen Informationsstand verändern, ihren beruflichen Erfahrungen herrührt. Der sondern auch die Regierung zu Positionierun- ehemalige Polizist Dirk Schatz beispielsweise gen zwingen und Missstände anprangern. stellt in Düsseldorf Fragen zur Zahl der Einstel- Nimmt man die Zahl der Kleinen Anfragen, lungen und Bewerbungen im gehobenen Poli- die die Piratenfraktionen in den vier Landes- zeidienst oder zur polizeilichen Kriminalstatis- parlamenten gestellt haben, und setzt diese in tik. Auffällig ist auch, dass sich einige Piraten Relation zum Anteil der Piraten an der gesam- bestimmten Lieblingsthemen widmen. Saar- 75 D IE P IRATENPARTEI lands Piratenabgeordnete Jasmin Maurer frag- in geringerem Maße die alleinige Urheber- te beispielsweise umfänglich Informationen schaft für sich beanspruchen. zum Tierschutz ab. Vielfach erfragen die neuen Gegenwärtig kann das noch mit dem Aufbau Abgeordneten auch Statistiken, die mit dem der Arbeitsstrukturen erklärt werden. Deutlich Haushaltsvollzug oder Ähnlichem zusammen- wird das bei einem Vergleich mit anderen Frak- hängen, um ihre noch vorhandenen Informa- tionen, die erstmals oder nach längerer Unter- Mühsamer tions- und Kompetenzdefizite auszugleichen. brechung wieder in einen Landtag eingezogen Kompetenzaufbau In den drei Flächenländern werden auch sind und ebenfalls im ersten halben Jahr eher immer wieder kommunalpolitische Themen wenig zuwege brachten: Die Grünen im nord- aufgeworfen, worin sich das bislang weitge- rhein-westfälischen Landtag etwa reichten hende Fehlen von Kommunalfraktionen der 1990 nur einen Entschließungsantrag, aber Piraten in den betreffenden Ländern bemerk- keinen Gesetzesentwurf ein. Die FDP produ- bar macht. Interessant ist, dass die jeweiligen zierte hingegen 2000 in Düsseldorf zehn Anträ- Landesregierungen auffällig bemüht sind, den ge, legte aber ebenfalls keinen Gesetzesent- Fragestellern die jeweiligen Rechtsgrundla- wurf vor. Zehn Jahre später legte die Linke gen detailliert und in der Regel verständlich immerhin 18 Entschließungsanträge vor. Ge- zu erörtern. messen an den Vergleichswerten aus dem Wes- 76 Wenn man darüber hinaus die Plenaranträ- ten der Republik scheinen die Piraten nicht auf- ge und Gesetzentwürfe der Piratenfraktionen in fallend weniger aktiv zu sein als einst die Grü- den vier Landtagen analysiert, erlangt man Hin- nen, sodass man den neuen Fraktionen eine weise, in welchem Umfang die jeweiligen Frak- gewisse Anlaufzeit zugestehen muss. tionen bemüht sind, die politische Agenda zu Zu diesen Lernprozessen gehört auch, die beeinflussen und eigene Anliegen auf die Ta- Wirksamkeit der eigenen Anträge zu erhöhen. gesordnung zu setzen. Auch hier liegt das Gelegenheitsfenster, in denen die Opposition quantitative Arbeitspensum der Piraten unter- mit ihren Anliegen durchdringt, sind rar gesät halb desjenigen der übrigen Oppositionsfrak- und oftmals nur über eine vorausschauende tionen (siehe Tabelle 9, nächste Seite). Bündnisarbeit im parlamentarischen wie Die Piratenfraktionen reichen in allen außerparlamentarischen Bereich zu erzielen. Landtagen die wenigsten Entschließungsanträ- Ausgerechnet beim Thema Transparenzgesetz ge ein. Gleichzeitig ist der Anteil von interfrak- zur Offenlegung von Verwaltungsprozessen ge- tionellen (von mehreren Fraktionen initiierten) genüber dem Bürger haben die Piraten dabei in Anträgen so hoch wie bei keiner anderen Oppo- Berlin eine überaus bittere Lektion gelernt. sitionsfraktion. Ähnlich verhält es sich bei den Nach ersten Gesprächen mit Linken und Grünen Gesetzentwürfen. Die Piraten reichen also we- bestand die Aussicht auf ein gemeinsames Vor- niger Initiativen ein als die übrigen Opposi- gehen aller Oppositionsfraktionen. Möglicher- tionsfraktionen, und dabei können sie auch nur weise wäre bei Wahrung der Verschwiegenheit P IRATEN IN P ARLAMENTEN Tabelle 9: Plenaranträge der Piraten Fraktion Entschließungsanträge Gesetzesentwürfe Gesamt davon interfraktionell gesamt Piratenfraktion Berlin davon interfraktionell 33 13 5 3 0 0 2 0 3 1 2 1 5 3 8 6 Piratenfraktion Nordrhein-Westfalen Piratenfraktion Schleswig-Holstein Piratenfraktion Saarland Quelle: Eigene Erhebung für den Zeitraum bis Mitte Oktober 2012. Tabelle 10: Plenaranträge anderer Oppositionsparteien Landtag Fraktion Entschließungsanträge gesamt davon Gesetzesentwürfe gesamt interfraktionell Berlin Saarland Schleswig-Holstein Nordrhein-Westfalen davon interfraktionell Grüne 92 16 3 3 Linke 76 16 3 3 Linke 11 2 10 4 Grüne 12 2 4 2 FDP 4 1 2 1 CDU 15 1 0 0 FDP 4 0 4 4 CDU 8 0 1 1 Quelle: Eigene Erhebung für den Zeitraum bis Mitte Oktober 2012. auch ein Mitwirken der Koalitionsfraktionen zu Vorgehen hinfällig. Damit schwand aber die erwarten gewesen, wenn nicht die Fraktion der mögliche Kooperationsbereitschaft der Regie- Grünen vorgeprescht wäre. Nachdem diese ih- rungsmehrheit. Vertrauensvolle Zusammenar- ren eigenen Vorschlag ins Plenum eingebracht beit und vollständige Transparenz schließen hatte, also letztlich transparent gemacht hatte, sich also mitunter aus. Solche Lernprozesse was sie beabsichtigte, war ein gemeinsames durchlaufen gegenwärtig auch die kommuna- 77 D IE P IRATENPARTEI len Mandatsträger. Vertraulichkeit von Abspra- gen Fachausschüssen verfolgten von ihnen be- chen, die Erörterung im Verborgenen, die ver- vorzugte Bereiche, statt gesellschaftlich re- schwiegene Verhandlung eröffnen ihnen levante Themen aufzugreifen, weil weder sie oftmals andere Einflussmöglichkeiten als die noch die Parteibasis sich dafür interessierten. vollständige Offenlegung aller politischen Dieses individualisierte Politikverständnis Schritte und Ziele. hat den Fraktionen bereits eine Reihe von Pro- Wie bereits bei den Anfragen fällt auf, dass blemen eingebracht. Einzelne Abgeordnete die Initiativen der Piraten entweder auf Indivi- fühlen sich nämlich mitnichten an die Beschlüs- dualinteressen einzelner Abgeordneter zuge- se der Fraktion gebunden oder handeln ohne schnitten sind oder sich eine Schwerpunktbil- weitere Rücksprache mit dieser. Das führt dung im Bereich der Themenfelder „Bürger- oftmals zu einem diffusen Bild in der Öffent- rechte, Überwachung und Transparenz“ sowie lichkeit. Gleichwohl lässt sich erkennen, dass „Bildungspolitik, Sozialpolitik und innere Si- die Fraktionen zunehmend kohärenter agieren. cherheit“ erkennen lässt (Koschmieder 2013: Die parlamentarischen Geschäftsführer drän- 227). In einigen anderen Politikfeldern können gen darauf, dass die Abgeordneten sich die Piraten gegenwärtig nur wenig Sachkom- möglichst frühzeitig gegenüber der Fraktion Professionalisierung petenz einbringen beziehungsweise haben sich rechtfertigen, wenn sie nicht der Fraktionslinie und Anpassung die zuständigen Mandatsträger meist ein we- folgen wollen. Immer wieder wird dabei betont, nig widerwillig der entsprechenden Themen es handele sich nicht um einen Fraktions- angenommen. Das gilt auch für den Einbezug zwang. Doch die Mechanismen sind genau jene, von Sachkompetenz ihrer Parteibasis. In eini- welche die Arbeit von Fraktionen in parlamenta- gen Politikfeldern ist diese ausgesprochen ge- rischen Demokratien ausmachen (Schütt- ring, in anderen versuchen Arbeitsgruppen der Wetschky 1991): Den Abgeordneten, die sich Partei, Sachverstand beizusteuern. Allerdings freiwillig einer Fraktion anschließen, wird ab- sind auch dort die Interessen oftmals nicht auf verlangt, die Regeln einer selbst gewählten die konkreten landespolitischen Forderungen Gemeinschaft zu akzeptieren oder sich bezogen. Das führt wiederum dazu, dass die anderenfalls mindestens zu rechtfertigen. Die Abgeordneten vielfach nicht die Geduld auf- Spezialisierung in Fachausschüssen bringt es bringen, sich jeder Debatte zu stellen, bezie- mit sich, dass die Abgeordneten in all jenen hungsweise diese sehen sich oft einem zeitli- Feldern, in denen sie keine eigene Sachkom- chen Entscheidungszwang gegenüber, der den petenz besitzen, auf die Expertise ihrer Frak- weit ausschweifenden und wenig strukturier- tionskollegen vertrauen. Offensichtlich er- ten Beteiligungsprozessen entgegensteht. In zeugt das parlamentarische System also einen den Fraktionsführungen betrachtet man das Druck auf die Fraktionen, geschlossen zu agie- recht unverhohlen als Mangel; so lägen einige ren. Die Ablehnung von Fraktionsdisziplin wird Themenfelder blank. Die Piraten in den jeweili- damit zu einem vordergründigen Alleinstel- 78 P IRATEN IN P ARLAMENTEN lungsmerkmal der Piraten, das sich in der Rea- schaftlichen Gruppen kooperiert. Wenn keiner- lität aber längst an die Gewohnheiten und Er- lei explizite Gesprächswünsche an die Piraten- fordernisse parlamentarischer Arbeit angegli- fraktionen herangetragen werden, meiden sie chen hat. solche Kontakte zumeist. Als Form der Einbin- Das insgesamt noch recht diffuse Bild der dung von gesellschaftlicher Öffentlichkeit lie- Piratenfraktionen ist zudem einer fehlenden ße sich allenfalls der Einbezug der Parteibasis strategischen Kommunikation geschuldet. Die ansehen, was in Berlin unter anderem über das Piratenfraktionen gehen in aller Regel nur zag- System LiquidFeedback erfolgt, wo sämtliche haft auf gesellschaftliche Großgruppen zu und Anträge im Abgeordnetenhaus mit Stimmungs- Maue Basis- orientieren einen nicht geringen Teil ihrer Öf- bildern versehen werden. Doch die Beteili- beteiligung fentlichkeitsarbeit in erster Linie auf die eige- gungsquoten sind auch in Berlin keineswegs ne Parteibasis. Wenn überhaupt, wird eher zu- besser als im bundesweiten LiquidFeedback. In fällig im Rahmen von Anträgen, Gesetzentwür- der Regel stimmen gegenwärtig nur 50 bis 150 fen oder fachlichen Zuständigkeiten mit gesell- der insgesamt 3800 Berliner Piraten mit ab. 79 D IE P IRATENPARTEI 9. Fazit Drei Erfolgsquellen Selten hat eine neue Partei in Deutschland so Rechtsstaats. Im ersten Falle haben die Mög- viel Furore gemacht wie die Piratenpartei wäh- lichkeiten der verlustfreien Duplizierung von rend ihres fulminanten Aufstiegs in den Jahren Werken und ihrer vereinfachten Veränderung 2009 bis 2012. Eine in Schweden eskalierte po- oder Weiterverarbeitung die bestehenden In- litische Auseinandersetzung um die Verletzung strumente des Schutzes von Urhebern und Ver- des Urheberrechts beim Austausch von Dateien wertern vor neue Herausforderungen gestellt. im Internet brachte auch hierzulande eine klei- Beim zweiten Komplex geht es um einen politi- ne Gruppe von Netzaktivisten, IT-Fachleuten schen Konflikt, der seine Wurzeln in der Ausei- und politisch Unzufriedenen mit dem Ziel zu- nandersetzung um die Volkszählung in den sammen, eine politische Partei für das Inter- 1980er Jahren hat und der mit der Sicherheits- netzeitalter zu gründen. Diese bewegte sich gesetzgebung nach den Anschlägen vom zunächst im üblichen Schattenfeld nichteta- 11. September 2001 an Aktualität gewonnen blierter Kleinparteien, bis sie im Rahmen eines hat. Die Vorstöße zur Ausweitung der Vorrats- Konflikts um die Regulierung des Internets im datenspeicherung sowie die konkrete Forde- Vorfeld der Europawahl 2009 eine gewisse Auf- rung, den Zugang zu Seiten mit kinderporno- merksamkeit erreichte. Zwar verpassten die grafischen Inhalten zu erschweren, wurden Piraten seinerzeit den Sprung ins Parlament, dabei zu den Kristallisationspunkten in der po- wohl aber erhielt die Partei in jenen Jahren Zu- litischen Debatte. lauf von jüngeren Aktivisten, die das Erschei- Der Schutz von Freiheitsrechten des Einzel- nungsbild und die Inhalte der Partei sukzessive nen gegenüber staatlichen Eingriffen sowie veränderten. Auf dieser Grundlage und vor dem das Recht, Wissen und Informationen weiterzu- Hintergrund einiger Besonderheiten der Berli- verwenden, stellten die netzpolitischen Kern- ner Politik gelang bei den Abgeordnetenhaus- forderungen der Piratenpartei dar. Damit ge- wahlen im Herbst 2011 ein Coup: Die Piraten lang es ihr schon 2009, sich als digitale Bürger- zogen erstmals in ein Landesparlament ein und rechtspartei zu profilieren. Doch obwohl sie in enterten in der Folge drei weitere Parlamente. dieser Phase ihren Bekanntheitsgrad erhöhte, Zugleich wuchs die Partei zum zweiten Mal wachsende Mitgliederzahlen aufwies und ers- sprunghaft an. Dieser Aufstieg der Piratenpar- te Wahlerfolge verzeichnete, verfehlte sie tei speiste sich aus drei schon seit einigen Jah- seinerzeit wie auch in den folgenden beiden ren sprudelnden Quellen: Netzpolitik, Internet- Jahren bei allen anstehenden Wahlen deutlich kommunikation und einer latenten politischen den Sprung in die Parlamente. Unzufriedenheit. 80 Befördert durch die Wahlen im Jahr 2009, Die politischen Debatten zur ersten dieser wurden die Piraten zur mitgliedergrößten der Quellen, der Netzpolitik, fokussieren sich vor nicht im Bundestag vertretenen Parteien; ihre allem auf zwei Regelungskomplexe: das Urhe- Mitgliedschaft war ausgesprochen jung und berrecht und die Entwicklung des liberalen agil. Deswegen besaß die Partei einen direk- F AZIT ten und authentischen Zugang zur modernen, zeugung, dass es vernünftige, logische, sinn- digitalen Kommunikation, ihrer zweiten Er- volle oder auch zwangsläufige Antworten gäbe, folgsquelle. So sind die Piraten mit vielen der wenn nur allen relevanten Informationen ver- historischen und gegenwärtigen Verfahrens- fügbar seien. Zahlenmäßig ist die Gruppe je- weisen, Kommunikationsformen, kulturellen ner, die derart umfänglich im Internet aktiv Codes und Ausdrucksformen im Internet ver- sind und auch die Zeit haben, die großen Infor- traut, was ihnen den Zugang zum kommunikati- mationsmengen angemessen zu verarbeiten, ven Dasein ihrer vorwiegend jüngeren Wähler recht gering. Allerdings sind deren kommuni- erleichtert. Dazu gehören die Nutzung bidirek- kative Fähigkeiten überaus nützlich, um unkon- Netzkulturelle tionaler (d. h. in zwei Richtungen funktionie- ventionelle Kommunikationskanäle zu er- Prägung render) und damit interaktiver Kommunika- schließen. Soweit sich diese Aktivisten nicht in tionskanäle ebenso wie die ständige Bereit- einem selbstreferenziellen Umfeld bewegen – schaft, Informationen auszutauschen und auf- wozu es in der Netzkommunikation eine latente zunehmen. Organisationskulturell sind die Neigung gibt –, stellen sie kommunikative Ker- Hierarchiefreiheit und das Prinzip der Selbst- ne dar, die weit in die Gesellschaft hineinrei- organisation von zentraler Bedeutung. Tech- chen. Schließlich ist abseits der intensiven nikbejahend, ja technikbegeistert, nutzt man Nutzer das Gros der Bevölkerung in der einen alle Tools, jedwede Software und jedes Instru- oder anderen Form häufig online und trifft dort ment, die einem das Internet bereitstellt. Tech- mehr oder minder zwangsläufig auf diese Akti- nologische Kompetenz und Erfahrung strahlen visten. Die Anwender- und Programmierungs- auf die Organisationsstruktur der Piraten aus. kompetenzen der ehrenamtlichen Mitglieder Zwar ist ihr organisatorischer Aufbau auch aus kompensieren das Fehlen hauptamtlicher Gründen parteirechtlicher Vorgaben in vieler- Strukturen. Hieran zeigt sich, welch immenses lei Hinsicht konventionell, doch ist er verwo- Potenzial zur politischen Mobilisierung im In- ben mit umfänglichen digitalen Kommunika- ternet vorhanden ist und dass dies von den eta- tionsweisen und bezieht die spezifische kolla- blierten Parteien bislang kaum genutzt wird. borative Arbeitsweise im Internet auf innovati- Trotzdem bleiben die Piraten nur sehr be- ve Weise stark in die Arbeit der Partei mit ein, grenzt handlungs- und ausstrahlungsfähig. etwa durch die parteieigenen Kommunika- Zum einen lässt sich das Kommunikationsge- tionstools wie dem Piratenwiki oder Liquid- wirr der Piratenpartei mit unzähligen Mailing- Feedback oder durch Nutzung sozialer Netzwer- listen und Blogs, den kommunikativen Aktivitä- ke wie Facebook oder Twitter. ten bei Twitter, den konkurrierenden Mei- Auch die inhaltliche Arbeitsweise der Par- nungsfindungstools, den verschiedenen Pod- tei ist dadurch geprägt. Die Mitglieder entwi- cast- und Webzeitungsangeboten kaum über- ckeln programmatische Antworten auf themati- blicken. Um halbwegs systematisch einzelnen sche Herausforderungen oftmals in der Über- Debatten zu folgen, bedarf es erheblicher Zeit- 81 D IE P IRATENPARTEI ressourcen und einer ausgeklügelten Strate- „Generation Praktikum“ sowie gewerkschaft- gie, Wichtiges von Unwichtigem zu trennen. lich gebundene Arbeiter entdeckten in den Pi- Der fortschreitenden innerparteilichen Diffe- raten eine Alternative zu den etablierten Par- renzierung und Aktivität stehen seit geraumer teien. Zeit personelle Kontroversen, misslungene Die durch den Berliner Erfolg ausgelöste Parteitage und fortwährender Streit entgegen, bundesweite Aufmerksamkeit beflügelte die die das Bild der Partei in der Öffentlichkeit Aktivisten, führte den Piraten neue Mitglieder stark prägen. Die nautischen Begriffe, eigen- zu und ermöglichte den Sprung über die Sperr- tümlichen Rituale, die komplizierten Wahlver- klausel im Saarland, in Schleswig-Holstein und fahren und die Verschrobenheit einiger Cha- in Nordrhein-Westfalen. Auch hier zog sie all raktere der Partei wirken eher exkludierend jene an, die sich nicht oder nicht mehr von den und abschreckend. etablierten Parteien vertreten fühlten und die All diese recht spezifischen Eigenschaften zugleich die Wahl einer originären Protestpar- der Piraten waren für die Parteientwicklung je- tei am linken oder rechten Flügel des Parteien- doch nicht immer hinderlich. Gerade im Berli- systems bewusst ablehnten. Die Umfragen ver- ner Wahlkampf stellten sie durchaus noch eine hießen der Partei deswegen eine glänzende Stärke dar, trafen sie in der netzaffinen Haupt- Zukunft. Auf zweistellige Resultate taxierten stadt doch auf einen entsprechenden Reso- alle Meinungsforschungsinstitute sie im Früh- nanzraum. So war es nicht verwunderlich, dass jahr 2012. Die Mitgliederzahlen verdreifachten den Piraten 2011 gerade dort ihr Durchbruch sich nochmals binnen Jahresfrist. Strukturen gelang. Und mehr noch: Die Erweiterung des konnten weiter konsolidiert werden. Die Me- Programms um gesellschaftspolitische The- dien und gerade die Gruppe vornehmlich jün- men, wie sie im Berliner Landesverband exem- gerer Online-Journalisten begleiteten den Auf- plarisch und erfolgreich erprobt wurden, er- stieg der Partei in dieser Phase mit einem ge- schloss den Piraten weitere wichtige Potenzia- wissen Wohlwollen. le. Mit einem bunten Sammelsurium plakativer Die Piraten nährten unterdessen eine Reihe Forderungen gelang es dort, gleichermaßen von politischen Hoffnungen in Bezug auf eine ein linksliberales wie auch ein urban-alternati- andere, erneuerte Demokratie. Sie kokettier- ves Milieu anzusprechen. Zugleich erhielten ten mit einem umfänglichen Transparenzver- sie durch die erhöhte mediale Präsenz Zugang sprechen. Es war dabei in Wahlauseinander- Zugang zur zu einer bunten Protestwählerschaft, ihrer drit- setzungen zweitrangig, dass dieses im parla- Protestwählerschaft ten Quelle. Die Piraten an Spree und Havel mentarischen Alltag schwerlich einzulösen, ja sammelten so erstmals eine insgesamt unzu- möglicherweise auch kontraproduktiv sein friedene Wählerklientel ein, die für die folgen- kann. Schließlich sind die Vorurteile in der den Wahlerfolge der Partei elementar war: Jun- Wählerschaft gegenüber der politischen Klas- ge Männer, Arbeitslose, aber auch Teile der se immens. So bemängeln viele Bürger die 82 F AZIT Nachvollziehbarkeit komplexer Entscheidun- sich in politischen Grundsatz- wie Detailfragen gen, verstehen die im Mehrebenensystem nicht konkret zu verorten. Mit der zunehmenden Grö- immer logischen Kompromisse nicht und wäh- ße sind die innerparteilichen Prozesse kompli- nen als Motiv hinter manchen Entscheidungen zierter geworden. So ist die Partei politisch Eigennutzen von Politikern oder schwer kon- inzwischen vielfältiger und keineswegs mehr trollierbaren Lobbygruppen. Die Aussicht auf nur netzpolitisch ausgerichtet. Doch jenseits Transparenz erscheint da wie eine logische Re- der prononcierten Forderung für ein bedin- aktion und wirkt verheißungsvoll, wenngleich gungsloses Grundeinkommen, dem Plädoyer sie latent populistisch bleibt. für ein humanistisches Menschenbild in der Ähnliches lässt sich über die basisdemo- Wirtschaftspolitik oder der plakativen Forde- kratischen Ideen der Piratenpartei sagen. Sie rung nach fahrscheinlosem Nahverkehr man- greifen idealisierte und in Teilen naive Vorstel- gelt es den Piraten vielfach an detaillierten lungen einer attischen Demokratie auf und sug- Konzepten, wie sie ihre Forderungen umsetzen gerieren, dass diese durch die technologischen oder konkretisieren wollen. Auch einige wich- Möglichkeiten des Internets nun erstmals auf tige Richtungsentscheidungen sind bis heute komplexe Gesellschaften anwendbar würde. offengeblieben. Sozial-, Renten-, Außen- oder Gerade vor dem Hintergrund der gestiegenen Wirtschaftspolitik sind selbst auf der Ebene des Partizipationsbereitschaft in der Bevölkerung Grundsatzprogramms weitgehend ungeklärt. fallen solche Forderungen auf fruchtbaren Bo- Die parteipolitische Selbstverortung als sozi- den. Natürlich blenden die Piraten dabei die alliberale Kraft stellt sich weiterhin als Bauch- geradezu klassischen Probleme der plebiszitä- gefühl heraus, das bislang mit nur wenig Sub- ren Demokratie aus. Die jakobinische Versu- stanz angereichert worden ist. Nichtsdestowe- chung, Minderheiten zu majorisieren, die man- niger gibt es natürlich ideologische Grundla- gelnde Verantwortung von Entscheidern oder gen. Die Übernahme von Elementen der Hacker- die soziale Selektivität von plebiszitären Ent- ethik, die Bezugnahme auf das Konzept der scheidungen sind unverändert gewichtige Pro- Gemeingüter, das Plädoyer für Netzneutralität bleme. und ein liberales Staatsverständnis sind in den Neben den strukturellen Problemen der Pi- Forderungen zweifelsohne erkennbar, wenn- Politische raten gibt es gegenwärtig einige Schwierigkei- gleich die textliche Niederlegung dieser Posi- Wachstumsschmerzen ten, die sich aus dem Wachstum ihrer Organi- tionen den Piraten Mühe bereitet. Auf den Par- sation ergeben haben: Die Partei hat program- teitagen wird dieses Unbehagen schnell sicht- matisch nur in wenigen Fällen mehr Substanz bar und steht gegenwärtig auch einer stringen- gewonnen. Zwar debattiert sie in fast allen Po- ten Programmdebatte entgegen. litikfeldern und zeigt erste Ansätze einer pro- Dass sich dieses Problem nicht lösen lässt, grammatischen Erweiterung. Jedoch fällt es ihr hängt mit dem Fehlen einer klaren innerpartei- und vor allem ihren Repräsentanten schwer, lichen Aushandlungsebene zusammen. Paral- 83 D IE P IRATENPARTEI Vorzüge der Unprofessionalität 84 leles Arbeiten und gegenläufige Aktivitäten Eingreifen mit funktionalen Argumenten in De- der Mitglieder in einer der zahlreichen Arbeits- batten wird die Partei unmerklich, aber doch gemeinschaften sind strukturell gewollt, füh- entscheidend beeinflusst. Längst läuft die Par- ren jedoch zu Ressourcenverschwendung. Die teiorganisation überdies Gefahr, dass die Unter- Basispartizipation vollzieht sich oft ungelenkt schiede zwischen schwächeren und stärkeren und entfaltet mitunter auch selbstzerstöreri- Regionen vertieft werden. sche Potenziale. Gerade dann, wenn das Prin- Für eine dieser Entwicklung entgegenwir- zip der Selbstermächtigung des Einzelnen in kende Professionalisierung fehlt es der Partei einen Gegensatz zu bereits niedergelegten jedoch insbesondere an finanziellen Ressour- programmatischen Zielen gerät, schwillt die cen. Auch die parlamentarische Arbeit der Par- innerparteiliche Erregung rasch an. Das fol- tei löst bislang nicht das Versprechen ein, die gende kommunikative Gewitter in den sozialen Dinge wirklich zu verändern. Die neuen Parla- Netzwerken, in Blogs oder Foren dringt seit den mentarier und Mandatsträger auf kommunaler Wahlerfolgen und aufgrund der vollkommenen Ebene sind bislang noch damit beschäftigt, Transparenz der Partei rasch nach außen, wo Strukturen aufzubauen. Sie müssen sich viel- es medial verstärkt wird. Innerparteiliche Mei- fach in unbekannte und dazu noch reichlich nungsverschiedenheiten schaukeln sich so zu komplexe Materie einarbeiten und werden erbitterten persönlichen Auseinandersetzun- davon infolge ihres Erfahrungsmangels über- gen hoch und lassen sich nur schwer begren- fordert. Zusätzlich müssen sie ihre oftmals un- zen. Besonders bedenklich ist, dass diese Form ter Zeitdruck zu treffenden Entscheidungen für des Umgangs auch dazu führt, dass in der Mit- die notorisch kritische Parteibasis aufbereiten. gliedschaft und auf Funktionärsebene Frauen Diese lauert wie auch die Medienberichterstat- massiv unterrepräsentiert sind. Die von den Pi- ter geradezu auf Fehler der Verantwortlichen; raten gepflegte Chiffre, postgender zu sein kleinere und größere Skandale werden schnell (also Geschlechterunterschiede bereits über- aufgebauscht. So gestaltet sich die Einbezie- wunden zu haben), erweist sich im Lichte des- hung der Parteibasis bei parlamentarischen sen allzu oft als Rechtfertigungsstrategie. Prozessen als noch nicht ausgereift. Eine weitere Kehrseite der mangelnden Über lange Zeit ist es der Piratenpartei ge- Struktur und Hierarchie in der Partei ist auch die lungen, ihre Mängel charmant als Andersartig- sukzessive Ausbildung einer informellen Macht- keit zu vermarkten. Ja, die Piraten haben einen hierarchie. Speziell die Fraktionen und einzel- Imagegewinn daraus generieren können, dass ne herausgehobene Mitglieder gewinnen mit ei- sie in der Tat anders sind als die etablierten nem Mal eine erhebliche Deutungsmacht im Hin- Parteien. Dadurch konnten sie Projektionsflä- blick auf die Weiterentwicklung der Partei. Über che für unbefriedigte, zum Teil untereinander die Besetzung von Versammlungsämtern, Wahl- widersprüchliche politische Bedürfnisse blei- leitungen und nicht zuletzt durch das situative ben. Darüber gelang es ihnen, eine Zeit lang F AZIT jene Protestwähler an sich zu binden, die ihnen kaum noch mit ihren damaligen Anliegen. Auch in der ersten Jahreshälfte 2012 zugelaufen wa- außenstehende Netzaktivisten kritisieren eine ren. Spätestens seit dem Sommer 2012 kom- fehlende thematische Weiterentwicklung und men allerdings zunehmend die Nachteile der Agilität. Zugleich haben alle anderen Parteien Parteiorganisation zum Vorschein. Der erhebli- netzpolitische Kompetenzen aufgebaut und che Verschleiß beim Führungspersonal, die In- diese zum Teil wirksamer in die gesellschaftli- effizienz der Basispartizipation, die Unprofes- che Debatte eingespeist als die Piraten. Diese sionalität im öffentlichen Auftritt und nicht vermögen indessen abseits der Parteitage kei- zuletzt die Mühen, die politische Alltagsarbeit ne Klärung von Positionen zu erreichen, mit der abseits von Wahlkämpfen durch eine Themen- Folge, dass ein seit Jahren schwelender Kon- und Strategieplanung zu gestalten, stellen sich flikt um die Nutzung von LiquidFeedback als ei- als grundlegende Probleme der Partei dar. nes orts- und zeitunabhängigen Entscheidungs- Auch deswegen bröckeln die Zustimmungswer- tools wieder an Schärfe gewinnt. So verstärkt te langsam, aber stetig. Personalquerelen, sich in der Öffentlichkeit der Eindruck, die Pi- Schwierigkeiten des niedersächsischen Lan- raten befassten sich in erster Linie mit sich desverbands bei der Kandidatenaufstellung selbst und mit parteiinternen Verfahrenswei- und Kommunikationsprobleme der Landtags- sen, legten es aber keineswegs auf einen in- fraktionen haben das Image der Piraten in der klusiven gesellschaftlichen Dialog an. Selten Öffentlichkeit beeinträchtigt. In der Zwischen- gelingt es der Piratenpartei, in laufende gesell- zeit behindern die selbst aufgestellten Regeln schaftliche Debatten wirksam einzugreifen, ein Stück weit eine wirksame Kommunikation gar die politische Agenda zu beeinflussen oder und Vernetzung der Partei. Durch die affektive zu steuern. Im besten Falle reagiert sie auf lau- Ablehnung von Lobbyismus steht man der insti- fende Diskussionen, doch vielfach erst verzö- tutionalisierten Kommunikation mit gesell- gert und dann kaum wahrnehmbar. schaftlichen Großgruppen reserviert gegen- Mit dem Scheitern bei der niedersächsi- über und sucht selten selbst den Diskurs mit schen Landtagswahl im Januar 2013 scheint der ihnen, aus Angst korrumpiert zu werden. Hype um die Piratenpartei nun vorerst vorbei zu So verflog der im Wahlkampf entstandene sein. In den Parteizentralen der im Bundestag Reiz, und die Protestwähler begannen sich von vertretenen Parteien bereitet man sich auf die der Partei abzuwenden. Parallel dazu gingen Bundestagswahl vor und meint, sich nicht mehr auch die einstigen Kerngruppen der Piraten allzu intensiv um den neuen politischen Mit- Stück für Stück auf Distanz. In dem Maße, wie bewerber kümmern zu müssen. Das verein- die Partei ihre so ertragreiche dritte Quelle, die facht die Strategiebildung: Rot-Grün versus Protestwähler, anzapfte, versiegte nämlich Schwarz-Gelb und dazwischen allein die Linke ihre erste. Gerade einige Piraten der ersten als Joker im Spiel, der politische Kalküle Stunde bemängeln, die Partei beschäftige sich durcheinanderbringen kann; daneben allen- Abwärtsspiralen 85 D IE P IRATENPARTEI falls noch die Möglichkeit einer Großen Koali- „Filter Bubble“ (Pariser 2012: 678) geraten tion. Vielfach scheinen sich Politik und Medien sind: Jenseits der Aktivitäten ihrer Partei neh- wieder auf den Status quo ante Piraten einzu- men sie Politik und Gesellschaft kaum noch stellen. Doch möglicherweise greift diese wahr, was insbesondere im niedersächsischen Rechnung zu kurz, denn ein Potenzial ist ein- Wahlkampf zu einem Problem wurde, in dem deutig vorhanden. Materialien, Aktionen und Veranstaltungen Schließlich haben die Piraten in vier sehr stark auf die Kernklientel zugeschnitten wa- unterschiedlich strukturierten Bundesländern ren. Ähnliche Probleme zeichnen sich bei den den Sprung über die Sperrklausel geschafft und Vorbereitungen der Partei auf die Bundestags- erzielten zwischenzeitlich zweistellige Umfra- wahl ab. Der Blick vieler Mitglieder verengt gewerte auf Bundesebene. Sie hatten empirisch sich mittlerweile auf die Binnenperspektive ih- bewiesen, dass es reale Perspektiven für eine rer Partei, und sie haben die Fähigkeit zur au- Partei ihrer Art gibt. Insbesondere die dritte thentischen und unkonventionellen politischen Quelle, die gesellschaftliche Unzufriedenheit, Kommunikation deutlich eingebüßt. hat die Piraten ja bei Wahlen stark werden las- Die Geschichte der bundesdeutschen Par- sen. Ihre Ergebnisse sind einerseits ein Resultat teienlandschaft lehrt indes, dass Parteien im der Beliebigkeit und Flexibilität der Wähler, Wege ihrer Etablierung und Konsolidierung andererseits sind sie auch eine Gegenreaktion Rückschläge hinnehmen müssen, dass sie im darauf. Die neue Partei kanalisierte die Hoff- Idealfall daraus lernen und sich verändern. nungen auf eine konzisere und klarer akzentu- Eine ausgeprägte Lernbereitschaft ist bei den ierte Politik. Dass es der Piratenpartei gelungen Piraten zweifelsohne zu konstatieren. Auch ist, von allen anderen Parteien Wähler und in verfügen sie durch die unvermindert junge Par- einem etwas begrenzteren Umfang auch Mit- teimitgliedschaft über beachtliche Aktivitäts- glieder abzuziehen, zeugt jedenfalls davon, ressourcen. 45 Landtagsabgeordnete, über dass es offensichtlich die Sehnsucht nach einer 200 Kommunalmandate und die Aussicht, bei Potenzial politischen Alternative gibt. Genau dafür haben der Europawahl durch den Wegfall der Sperr- bleibt erhalten die Piraten zumindest zeitweilig eine geeignete klausel in jedem Fall Mandate erlangen zu kön- Projektionsfläche geboten. Fraglich ist, ob ihnen nen, ermöglichen der Partei den Aufbau von das nochmals gelingt. Kompetenzen. Einige der Lern-, Veränderungs- 86 Dafür spricht allerdings, dass auch die und Professionalisierungsprozesse, die schon zweite Erfolgsquelle weiterhin ertragreich ist. auf der Ebene der Piratenfraktionen deutlich zu Schließlich haben die Piraten bewiesen, wel- erkennen waren, könnten in der kommenden ches Mobilisierungspotenzial in einer konse- Zeit auch in die Parteibasis diffundieren und zu quenten Nutzung des Internets liegt. Zum Pro- einer Neubestimmung bzw. Konkretisierung blem ist jedoch geworden, dass die aktiven Pi- von bislang widersprüchlichen Prinzipien und raten immer stärker in eine selbstreferenzielle Zielen führen. Es ist wesentlich für eine Partei, F AZIT dass sie in einer gesellschaftlichen Konflikt- dungen in der bundesdeutschen Geschichte ge- linie (Cleavage) einen Pol unverwechselbar be- hen. Ihr vorläufiger Niedergang überdeckt aber setzt. Die Tatsache, dass die Piratenpartei sowohl die Potenziale der Partei selbst als auch bislang kein wirklich genuin neues Cleavage die in der Mitte der Gesellschaft vorhandene besetzen kann, muss sich dabei keineswegs Basis für eine Protestpartei. Die drei Quellen, negativ auswirken. Sie könnte sich tatsächlich aus denen heraus die Piraten ihren zwischen- als liberale oder möglicherweise auch linksli- zeitlichen Erfolg speisen konnten, sind jedoch berale Kraft etablieren, wenn zugleich der Nie- sehr verschieden und nur bedingt miteinander dergang der FDP anhält und das vorhandene kompatibel. Die Piraten werden Schwierigkei- gesellschaftliche Potenzial für eine liberale ten haben, alle drei Quellen erneut in gleicher Partei nicht anderweitig absorbiert werden Weise anzuzapfen. So könnte es sein, dass an- kann. Das sozialliberale Bauchgefühl der Pira- dere Parteien diese stärker zu nutzen vermö- ten und die habituelle Nonkonformität stehen gen. den Selbstverortungen der bisherigen FDP-Anhängerschaft allerdings entgegen. Gegenwärtig sieht es aus, als würden die Piraten eher den Weg anderer Parteineugrün- Für die Piraten bedeutet dies: Ihre weitere Etablierung schwierig, Etablierung ist nach wie vor nicht ausgeschlos- aber nicht sen, doch sie wird weitaus schwieriger, als es ausgeschlossen im Frühjahr 2012 den Anschein hatte. 87 D IE P IRATENPARTEI Anhang Glossar Unter Mitarbeit von Christopher Schmitz Etherpad, #gate und Kegelklub – die Piratenpartei auf Anhieb zu verstehen ist nicht immer einfach. Sowohl in ihren politischen Forderungen als auch in ihren Organisationsmitteln, ihrer Arbeitsweise und Sprache sind die Piraten oftmals unkonventionell und stark von der Kultur des Internets geprägt. Dies hebt sie einerseits in der Landschaft der deutschen Parteien hervor und ist eine Quelle für Authentizität und Zusammenhalt innerhalb der Partei. Andererseits erschwert es vielen Menschen den Zugang zur Partei. Im Folgenden finden sich einige Erklärungen und Übersetzungen zentraler Begriffe, Abkürzungen und Symbole. ACTA, SOPA/PIPA Diese Buchstabenkombinationen stehen für verschiedene internationale Gesetzesvorhaben oder Abkommen, die eine stärkere Regulierung der Internetkommunikation vorsahen oder implizierten und daher in die Kritik gerieten. Für Europa ist insbesondere das Anti-Conterfeiting-Trade-Agreement (kurz ACTA) relevant, das sich gegen Produktpiraterie und Urheberrechtsverletzungen richtete und zum Jahreswechsel 2011/2012 eine europaweite Protestbewegung auslöste. Infolgedessen lehnte das EU-Parlament das ACTA-Vorhaben im Juli 2012 ab. Die Piratenpartei hatte bereits in den Jahren zuvor weitgehend erfolglos gegen ACTA demonstriert und auch 2012 die Proteste unterstützt. Approval Voting Die Piraten greifen für ihre Wahlen auf unterschiedliche Abstimmungsverfahren zurück. Am häufigsten ist das Approval Voting, die sogenannte Akzeptanzwahl. Dabei kann man beliebig vielen Kandidaten jeweils eine Stimme geben. Gewählt ist am Ende derjenige Kandidat mit der höchsten Zustimmung. Adhocracy Barcamp Bei Adhocracy handelt es sich um eine Plattform, welche versucht, die Vorstellungen der Liquid Democracy umzusetzen. Die Software funktioniert ähnlich wie das von den Piraten verwendete LiquidFeedback. Barcamps stellen ein offenes Konferenzformat dar, dessen Konzept an den Prinzipien von OpenSource-Projekten orientiert ist und das sowohl in der Piratenpartei als auch in der Internetszene weit verbreitet ist. Die Initiatoren von Barcamps sind zumeist nur für organisatorische und konzeptionelle Rahmenelemente verantwortlich, während die Teilnehmer der Konferenz diese in weiten Teilen selbstorganisiert mit Inhalten füllen. Viele Treffen und Konferenzen der Piraten haben den Charakter von Barcamps. An diesen nehmen Mitglieder und Funktionsträger der Partei weitge- AK Vorratsdatenspeicherung Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung ist ein 2005 entstandener Zusammenschluss von Datenschützern, Bürgerrechtlern und Netzaktivisten. Diese engagierten sich gegen die von der Bundes- 88 regierung geplante Einführung der Vorratsdatenspeicherung und forderten eine Ausweitung von herkömmlichen Bürger- und Freiheitsrechten auf die digitale Sphäre. Aktive aus diesem Spektrum wechselten später in die Piratenpartei. Einige lokale Strukturen des Arbeitskreises scheinen in der Piratenpartei aufgegangen zu sein. A NHANG hend gleichberechtigt teil. Ein jährlich stattfindendes Barcamp der Piraten stellt beispielsweise die Konferenz OpenMind dar. Bit-Torrent-Tracker Bit-Torrent-Tracker sind Plattformen im Internet, die zwischen Nachfrage und Angebot von Dateien mit Musik, Videos oder Computerspielen vermitteln, ohne diese selbst anzubieten. Das Vorgehen der schwedischen Justiz gegen den populären BitTorrent-Tracker The Pirate Bay spielte eine wichtige Rolle für den Aufstieg der schwedischen Piratenpartei, aber auch für die Popularisierung der deutschen Piratenpartei im Jahr 2009. Blog Der oder das Weblog (kurz Blog) ist eine Art online und öffentlich geführtes Tagebuch. Die Bezeichnung leitet sich aus dem Begriff Logbuch ab. Artikel und multimediale Beiträge, sogenannte Blogposts, erscheinen zumeist in chronologischer Reihenfolge. Die meisten Blogs bieten eine Kommentarfunktion an. Die Inhalte und die in Blogs benutzten Medienformate sind sehr variabel. Dementsprechend umfangreich ist das Themenspektrum der Blogosphäre, also der Gesamtumwelt verschiedenster Blogs. So gibt es Reise-Blogs, Wissenschafts-Blogs, Kunst-Blogs etc. In der Piratenpartei kommunizieren viele Mitglieder und Funktionsträger über Blogs, in denen viele der innerparteilichen Debatten geführt werden. Chaos Computer Club Der Chaos Computer Club (CCC) ist die größte Hackervereinigung und einer der wichtigsten Bezugspunkte der politischen Internetszene in Deutschland. Seine Mitglieder nehmen immer wieder Stellung zu Aspekten, die mit dem technologischen Wandel und der zunehmenden Digitalisierung der Gesellschaft einhergehen. Die Devise „Öffentliche Daten nutzen, private Daten schützen!“ geht beispielsweise auf den CCC zurück, ebenso das Konzept einer Kulturwertmark (einer Pflichtabgabe je Internetzugang) zur Reform des Urheberrechts. Auch die Verbannung von Wahlcomputern aus den Wahlkabinen in Deutschland geht maßgeblich auf vom CCC aufgedeckten Sicherheitslücken bei den Geräten zurück. Der CCC ist wie auch der AK Vorratsdatenspeicherung Teil des historischen Vorfelds der Piratenpartei. Club Mate Club Mate ist ein koffeinhaltiges Brausegetränk, das in der Hackerkultur und anderen digitalkulturellen Kreisen große Popularität genießt. Auch auf Treffen oder in Abgeordnetenbüros von Piraten werden oftmals größere Mengen (leerer) MateFlaschen gesichtet. Creative Commons Ähnlich wie OpenSource bezeichnet Creative Commons ein alternatives Urheberrechts- und Lizenzsystem, das den Umgang mit Werken vereinfachen soll. Urheber können durch die Wahl des Lizenztyps festlegen, ob und unter welchen Bedingungen ihr Werk verwendet oder weiterverbreitet werden darf. Die Lizenzierungen reichen hierbei von der Kennzeichnung als gemeinfrei über die freie Weitergabe unter Nennung des Urhebers unter der Maßgabe, dass keine Veränderungen am Werk durchgeführt werden dürfen, bis hin zu restriktiven Lizenzen, die eine nichtvergütete Weiterverwendung untersagen. Dadurch soll erreicht werden, dass Urheber selbstbestimmt über die Weiterverwendung ihrer Werke verfügen können und zweckund werkgebundene Lizenzen vergeben können. Die Idee und Praxis von Creative Commons ist innerhalb der Piratenpartei sehr weit verbreitet und stellt den Ausgangspunkt für verschiedene programmatische Debatten um Gemeingüter dar. Digital Natives Der Begriff geht vermutlich auf einen Essay von Marc Prensky mit dem Titel „Digital Natives, Digital 89 D IE P IRATENPARTEI Immigrants“ aus dem Jahr 2001 zurück. Dieser behauptet, dass mittlerweile eine Generation herangewachsen sei, die bereits von Kindesbeinen an mit digitaler Technologie, also hauptsächlich Internet und Mobiltelefonen, sozialisiert wurde. Eine solche Generation ginge selbstverständlicher mit diesen Technologien um. Unsicherheiten älterer Kohorten ob der Konfrontation mit einer völlig fremden Technologie und Lebenswelt oder die schrittweise CoEvolution vom analogen ins digitale Zeitalter sind dieser Generation dementsprechend fremd und in Teilen auch unbegreiflich. Die Gruppe der Digital Natives trug in Deutschland wesentlich zum Wachstumsschub der Piratenpartei im Jahr 2009 bei und beförderte einen kulturellen und programmatischen Wandel der Piratenpartei. Digitales Zeitalter In Abgrenzung zum analogen Zeitalter wird damit die zunehmende Durchdringung gesellschaftlicher Strukturen von digitaler Kommunikation beschrieben. Wann und wie umfangreich der Übergang stattgefunden hat, ist dabei ebenso umstritten wie die Bewertung dieses neuen Zeitalters, die zwischen freudiger Erwartung, Begrüßung, Skepsis und offener Ablehnung changiert. Die Piratenpartei selbst beschreibt sich oftmals als Partei des digitalen Zeitalters. Eine derartige, an sozialwissenschaftliche Theorien zur Wissensgesellschaft erinnernde Perspektive dient innerparteilich vielfach als Reservoir für die eigene Sinngebung und historische Einordnung der Partei. Fail Ein Fail bezeichnet in der netzkulturellen Kommunikation die negative Bewertung einer Aktion, Aussage oder Tatsache z. B. als Fehlschlag, ein zum Scheitern verurteiltes Vorhaben oder ein offensichtliches Fehlurteil. Die Verwendung dieses Begriffs tritt dabei fast immer in einem abwertenden, spöttischen Kontext auf und ist auch in der Piratenpartei im Rahmen von Kritik an Personen, Handlungen oder Prozessen weit verbreitet. Filter Bubble Mit eSport werden Wettkämpfe zwischen Computerspielern bezeichnet, die diese mit sportlichem Ehrgeiz betreiben. Es gibt hier verschiedene Ligen, Turniere, Welt- und Europameisterschaften. Der Begriff Filter Bubble ist vom Netzaktivisten Eli Pariser in die Debatte eingeführt worden. Er verweist damit auf den Umstand, dass die Internetkommunikation durch die Algorithmen der Suchmaschinen und sozialen Netzwerke so angelegt ist, dass man bevorzugt mit den Personen und Dingen in Verbindung gebracht wird, die den eigenen Interessen und Neigungen entsprechen. Weil dieser Prozess von den Benutzern selbst zumeist nicht wahrgenommen wird, verschiebt sich deren Wahrnehmungshorizont. Sie nehmen nur noch den sie interessierenden und genehmen Teil der Realität wahr und werden nicht mehr mit missliebigen oder gegenläufigen Tendenzen konfrontiert. Durch die ausgedehnte Kommunikation via Internet und durch ihre eigenen Online-Strukturen laufen die Piraten massiv Gefahr, Opfer ihrer Filter Bubble zu werden. Etherpad Gate Etherpads sind Editionsprogramme mit angehängter Chat-Funktion im Internet. Die als eine Art ge- Ein Gate ist die Bezeichnung für ein Informationsleck oder andere Formen eines politischen Skan- eSport 90 meinschaftlich genutzter Notizbücher fungierenden Pads bieten für Arbeitsprojekte den Vorteil, dass sie von mehreren Personen gleichzeitig benutzt werden können und somit kollaborative Prozesse ermöglichen. In der Piratenpartei werden in Etherpads verschiedenste Formen von Texten produziert. A NHANG dals. Vermutlich wurde der Begriff von der Watergate-Affäre inspiriert, wobei es seiner Verwendung sicherlich entgegenkommt, dass er nicht nur auf einen historischen Moment Bezug nimmt, sondern sich dahinter auch schlicht die englische Bezeichnung „Tür“ verbirgt, durch die man Zugang zu Informationen erhalten kann. Vor allem in der Kommunikation auf Twitter hat es sich eingebürgert, von Medien oder Parteimitgliedern aufgedeckte Skandale mit dem Kürzel #gate zu versehen. Hacker Hacker bilden sicherlich eine der schillerndsten und ältesten Subkulturen des Internets. Grundsätzlich meint der Begriff Hacker einen Technikenthusiasten. Eine Gemeinsamkeit der verschiedenen Hackerkulturen ist die Suche nach Grenzen und Schwachstellen technischer Systeme sowie Möglichkeiten, diese zu überwinden. Zwar ermöglicht dies einen potenziellen kriminellen Missbrauch der so gewonnenen Kenntnisse, aber zumeist dienen Praktiken von Hackern entweder als Test der eigenen Fähigkeiten oder einem aus Hackersicht definierten Begriff des Gemeinwohls. Entgegen der landläufigen Auffassung bezeichnet der Begriff des „Hackers“ demnach keine Personen mit hoher krimineller Energie, die in Computernetzwerke einbrechen, um sich zu bereichern oder der eigenen Zerstörungswut freien Lauf zu lassen. Solche Leute werden innerhalb der Hackerszene als „Cracker“ bezeichnet. Die historische Entwicklung der Hackerkultur, vor allem in ihren politischen Ausformungen, stellt eine zentrale Grundlage der Ideen- und Symbolwelt der Piratenpartei dar und bietet für viele Mitglieder einen ideologischen Überbau, auf den maßgebliche programmatische Einflüsse zurückgehen. Hackerspace Dieser Begriff bezeichnet Räume, in denen sich Hacker und andere an Wissenschaft, Technologie oder digitaler Kultur Interessierte treffen, sich aus- tauschen und gemeinsam Projekten nachgehen. Ein bekannter deutscher Hackerspace stellt der Berliner Club C-Base dar, wo 2006 die Piratenpartei gegründet wurde. Hashtag Hashtags stellen eine verbreitete Praktik im Mikrobloggingdienst (Dienst zum Versenden von Kurznachrichten mit begrenzter Zeichenanzahl ähnlich wie bei SMS) Twitter dar. Sie ermöglichen eine Verschlagwortung der eigenen Beiträge, indem Begriffen oder Wendungen das Rautenzeichen (#) vorangestellt wird. Sie dienen dazu, die einzelnen Nachrichten (sogenannte Tweets) zu sortieren, da Beiträge mit identischem Hashtag einfacher aufgefunden werden können und so eine Diskussion oder ein Meinungsaustausch unter einem eigenen Oberbegriff strukturiert werden kann. Hashtags selbst können zu Symbolen für bestimmte Debatten oder Protesthaltungen werden. So avancierte im Vorfeld des ersten politischen Durchbruchs der Piratenpartei im Sommer 2009 das Twitter-Schlagwort #zensursula, zum Symbol der Protestbewegung gegen das Zugangserschwerungsgesetz. Internetkultur Die Internetkultur bezeichnet ein Konglomerat von Werten, Einstellungen und Codes, die typisch für die Kommunikation im Internet sind. Ausfluss dessen sind zahlreiche Subkulturen, die sich mehr oder weniger stark voneinander unterscheiden. Allen gemein ist der ursprünglich starke Einfluss wissenschaftlicher Prinzipen, da die ersten dreißig Jahre der Internetentwicklung vielfach im universitären Umfeld stattfanden. Dadurch ist die Internetkultur einerseits von einer kollaborativen, emanzipatorischen und offenen Kommunikationskultur, andererseits aber auch von einer libertärmeritokratischen Grundhaltung geprägt, die in der Netzkultur eine eigenwillige Symbiose eingehen. Ausdruck findet das in Arbeitsweisen ebenso wie in Symboliken, Begrifflichkeiten und Ähnlichem. Vieles davon ist in die Piratenpartei eingegangen. 91 D IE P IRATENPARTEI JuPis Liquid Democracy JuPis ist die Abkürzung für Junge Piraten, die Jugendorganisation der Piraten, welche als selbstständiger Verein organisiert ist. Liquid Democracy ist eine demokratietheoretische Konzeption, welche die Grenzen zwischen repräsentativer und direkter Demokratie aufzulösen und deren Merkmale zu vermischen sucht. Während in der repräsentativen Demokratie die Differenz zwischen denjenigen, die Entscheidungen treffen (Agenten), und jenen, die sie dazu beauftragt haben (Prinzipale), konstitutiv ist, versucht Liquid Democracy diese Trennung zu vermindern und im besten Falle aufzuheben. Somit wird den Teilnehmern einer solchen Demokratie die Möglichkeit eröffnet, über konkrete politische Entscheidungen direkt mitzubestimmen oder ihre Stimme weitergeben zu können. Im Unterschied zur plebiszitären Demokratie wird bei Liquid Democracy durch die Einbindung von digitaler Kommunikation versucht, flexibel Aushandlungsebenen und Rückkoppelungsformen zu finden. Verfechter der Liquid Democracy erhoffen sich davon, dass wie in der attischen Demokratie die Bürger ihre Anliegen selbst wahrnehmen und zugleich der in Demokratien essenzielle Diskurs auch in der Großgesellschaft möglich bleibt. Kritiker verweisen auf die Selektivität der Verfahren und bemängeln die geringe Inklusionsleistung von aufwendigen Partizipationsweisen. Ein besonderer Kritikpunkt stellt dabei die verwendete Software dar. Die Piratenpartei setzt hier auf das System LiquidFeedback. Kandidatengrillen Mit Kandidatengrillen wird das Befragungsritual beschrieben, das die Piraten im Vorfeld einer Wahl anwenden. Dabei werden die Bewerber für ein Amt ausgiebig nach politischen Positionen, Vorlieben und persönlichen Vorstellungen über das Amt oder vorherige politische Erfahrungen befragt. Kegelklub Der Kegelklub ist eine lose parteiinterne Vereinigung, in der sich vor allem weibliche Mitglieder der Piraten aus dem Landesverband Berlin zusammengeschlossen haben. Der Kegelklub widmet sich schwerpunktmäßig geschlechterpolitischen Fragen und hat u. a. mehrere Mitgliederstudien erstellt. Die Positionen des Kegelklubs sind sowohl durch feministische Sichtweisen als auch durch die Postgender-Perspektive geprägt. LAN-Party LAN-Parties sind Treffen, bei denen mehrere Computerspieler über die in einem Netzwerk zusammengeschalteten Rechner gegeneinander Wettkämpfe austragen. LiquidFeedback LimeSurvey LimeSurvey ist ein Tool zur Erhebung von Umfragen im Internet. Die Piraten setzen in einigen Landesverbänden diese Software ein, um kurzzeitig Stimmungsbilder in der Partei zu erheben. Auch eine bundesweite Befragung zur Organisation des Bundesparteitags 2013 wurde über LimeSurvey abgehalten. 92 LiquidFeedback ist der Name einer internetbasierten Diskussions-, Meinungsbildungs- und Abstimmungssoftware, die sich am demokratietheoretischen Konzept der Liquid Democracy orientiert. LiquidFeedback ist in der Piratenpartei ebenso verbreitet wie umstritten und genießt bislang nur in wenigen Landesverbänden Satzungsrang. Nach Meinung vieler Befürworter des Systems bietet die Institutionalisierung von LiquidFeedback die Möglichkeit, das von der Partei angestrebte Ideal einer umfassenden Basispartizipation praktisch zu rea- A NHANG lisieren, indem die Parteibasis dauerhaft, verbindlich und flexibel an politischen Entscheidungen teilhaben kann. LiquidFeedback wird bereits von einigen Mandatsträgern und Fraktionen der Piratenpartei eingesetzt, um die Parteimitglieder bei ihrer politischen Entscheidungsfindung miteinzubeziehen. Ein Vorteil des Systems besteht darin, demokratische Prozesse zeitlich, örtlich und thematisch zu flexibilisieren. Die Kritik am System selbst macht sich vor allem an technischen Mängeln und Defiziten in der Bedienbarkeit fest. Andererseits wird immer wieder der nicht aufzulösende Widerspruch zwischen dem Anspruch auf geheime Wahl und dem Ziel der Verbindlichkeit und Manipulationskontrolle ins Feld geführt. Mailinglisten Mailinglisten sind ein eher klassisches Instrument der Internetkommunikation und können grundsätzlich als thematisch gegliederte elektronische Kettenbriefe beschrieben werden. Jede über die Liste verschickte Mail wird von allen Personen, die jene spezifische Liste abonniert haben, empfangen. Umgekehrt ist es damit auch jeder Person möglich, eine Nachricht über die Liste zu verschicken. Ein großer Teil der Kommunikation in der Piratenpartei vollzieht sich auf den Mailinglisten, die zudem als Instrument der Informationsverteilung genutzt werden. Jede Gliederungsebene und jeder Arbeitszusammenhang verfügt in der Regel über eine Mailingliste. Mem Mem (Pl. Meme) ist ein internetspezifischer Begriff für einen sehr bekannten, klassischen, archetypischen oder auch nur in seiner Art sehr originellen Inhalt, der aufgrund dieser spezifischen Eigenschaft denkwürdig und ausreichend bekannt ist. Die genaue Form dieses Inhalts ist dabei ebenso wenig festgelegt wie die genauen Anforderungen, die nötig sind, damit ein Inhalt zum Mem wird. Ein bekanntes Mem ist beispielsweise „Where the hell is Matt?“ Die Videos des Amerikaners Matt Har- ding, der an den verschiedensten Orten der Welt den gleichen Tanz tanzte, wurden millionenfach aufgerufen. Da Bekanntheit relativ ist je nach Größe der Gruppe, für die ein Inhalt produziert wird, ist die Bedeutung oder sinnstiftende bzw. prägende Wirkung eines Inhalts von außen nur sehr schwierig zu erfassen. Vielfach sind Meme auch einfach nur geflügelte Worte oder Aphorismen, die vor allem in Netzkreisen eine hohe Popularität genießen. Aktuelle oder klassische Meme sind vielfach Teil der innerparteilichen Kommunikation der Piraten. Microbloggingdienste Siehe Twitter Mumble Mumble ist ein Programm, das für Chats benutzt werden kann. Hauptsächlich genutzt wird es jedoch für Gesprächskonferenzen via Internet. Mumble ist eine unter OpenSource-Lizenz vertriebene Kommunikationssoftware und erfüllt im Grunde die gleichen Aufgaben wie die weit bekanntere Alternative Skype. Die zahlreichen Arbeitsgemeinschaften, Vorstände oder Arbeitszusammenhänge in der Piratenpartei nutzen Mumble, um ihre Sitzungen abzuhalten. My little Pony Eine seit den 1980er Jahren populäre amerikanische Serie mit animierten Spielzeugponys, die seit einigen Jahren im Internet eine hohe Popularität gewonnen hat. Sie ist dort Teil der Internetkultur, ein sogenanntes Mem. Die Berliner Piraten haben in die Geschäftsordnung ihres Landesparteitags eine Regelung aufgenommen, dass eine Folge der Serie auf Antrag abgespielt werden kann. Dies wird angewandt, um hoch aufwallende Debatten zu befrieden. 93 D IE P IRATENPARTEI Netzaktivisten Dieser Begriff bezeichnet diejenigen, die sich für Bürgerrechte im Internet einsetzen sowie jene, die das Internet nutzen, um ihre politischen Debatten und Ziele zu verbreiten. Nerd Gemeinhin werden mit diesem Begriff Männer bezeichnet, denen ein Set von stereotypen Eigenschaften zugeschrieben wird: Interessen im Bereich der naturwissenschaftlich-technischen Fächer, hohe Kompetenz im Bereich der Computerund Informationstechnik, die jedoch zulasten der Sozialkompetenz gehen. Ursprünglich in einem diffamierenden Sinne gebraucht, entfaltet der Begriff „Nerd“ seit einigen Jahren eine Art popkulturellen Siegeszugs, seitdem stereotype Merkmale, wie die große rechteckige Hornbrille, salonfähige Modeaccessoires oder Fernsehserien wie „The BigBang-Theory“ zum Bestandteil der Populärkultur wurden. Analog zu diesem Prozess wurde der Aufstieg der Piratenpartei als politischer Siegeszug der Nerds beschreiben. Nicht wenige Piraten beziehen sich mit einer gewissen Ironie auf den Begriff Nerd, um ihre ambivalente Rolle zwischen Sub- und Populärkultur zu verorten. OpenMind Die OpenMind ist eine jährlich von den Piraten ausgetragene Konferenz, auf der vor allem neue Ideen und inhaltliche Impulse für die politische Arbeit gesammelt werden. Auch werden dort strategische Debatten und innerparteiliche Vernetzungsprozesse vorangetrieben. Die OpenMind findet in der zweiten Jahreshälfte in Kassel statt und wird in Form eines Barcamps organisiert. OpenSource Der Ausdruck OpenSource bezieht sich auf ein Softwareprojekt, das einen speziellen urheberrechtlichen und organisatorisch offenen Status 94 aufweist. Softwareprogramme werden hier mittels offener Lizenzen zur freien Verfügung ins Netz gestellt. Damit werden diese zur Bearbeitung und Verbesserung durch interessierte, engagierte und qualifizierte Personen freigegeben. Die freie Enzyklopädie Wikipedia folgt ebenso dem OpenSourcePrinzip wie das Betriebssystem Linux. Im Umfeld derartiger Projekte hatte sich in den letzten Jahrzehnten eine soziale Szene entwickelt, die als historisches Vorfeld für die Entstehung der Piratenpartei und deren gesellschaftliche Verankerung zu betrachten ist. Auch die Organisationsstrukturen und -kultur der Piratenpartei selbst sind stark von der Idee und den Erfahrungen vieler Piraten in OpenSource-Projekten geprägt. Pad Siehe Etherpad Plattformneutralität Plattformneutralität bedeutet, dass der Zugang zu einer Infrastruktur und deren Nutzung diskriminierungsfrei möglich sind. Jeder Nutzen, der sich unmittelbar aus der Verwendung von Infrastruktur ergibt, steht im Gegenzug auch der Allgemeinheit wieder zur Verfügung. Verschiedene Konzepte und Ideen der Piratenpartei, wie beispielsweise die Forderung eines fahrscheinlosen öffentlichen Nahverkehrs, lassen sich mit Hilfe des Aspekts der Plattformneutralität erfassen. Pledgebank.com Hierbei handelt es sich um eine Internetplattform, auf der Personen Versprechen abgeben können, etwas zu tun, wenn eine bestimmte Zahl anderer es auch tun wird. Die Piraten nutzen diese Seite immer wieder zur Generierung von Spenden, die geleistet werden, wenn sich hinreichend viele andere Spender finden. A NHANG Postgender Stream Postgender bezeichnet einen in der Geschlechterforschung entstandenen Ansatz, der sich für die Abschaffung von Geschlechterunterschieden einsetzt. Dieser Ansatz geht davon aus, dass sich erst durch die Differenzierung in unterschiedliche biologische Geschlechter die Diskriminierung nach dem gesellschaftlich konstruierten Geschlecht ergibt. Deswegen wird beispielsweise die Abschaffung geschlechtseindeutiger Vornamen oder der Verzicht auf nach dem Geschlecht differenzierten Statistiken eingefordert. In der Kritik steht dieser Ansatz, weil er dazu führe, real existente Unterschiede und Ungleichheiten zu missachten. Ein wesentlicher Teil der Piraten stuft sich als postgender ein. Zugleich wird an der Postgenderperspektive immer wieder erhebliche Kritik geübt. Ein Stream bezeichnet die Übertragung von Inhalten (Musik, Filmen, Podcasts, Veranstaltungen etc.) im Internet. Der Begriff geht auf den dabei notwendigen Datenstrom zurück, der entsteht, wenn live oder zeitversetzt die gesendeten Inhalte vom Sender zum Empfänger fließen, ohne dass die Daten auf dem empfangenden Rechner dauerhaft gespeichert werden müssen. Das umfangreiche Angebot an Videostreams von Parteitagen, Veranstaltungen oder Barcamps der Piratenpartei ermöglicht zumindest partiell eine Teilhabe am Parteileben unabhängig vom Wohnort und von den Ressourcen der Mitglieder. Shitstorm Der mittlerweile von der Netz- in die Massenkultur gewanderte Begriff bezeichnet eine massive Welle von Kritik im Internet, die von einer großen Menge von Personen gegenüber einer Einzelperson oder einer bestimmten Gruppe formuliert wird. Im Gegensatz zu einem bloßen Sturm der Entrüstung haben Shitstorms die Tendenz, sich zu verselbstständigen und einen mehrheitlich vulgären, destruktiven und aggressiven Charakter anzunehmen. Gerade das Medium Twitter fördert aufgrund seiner kommunikativen Charakteristika die Entstehung von Shitstorms, da die vorgegebene Zeichenbegrenzung eine Schlichtung von Konflikten durch detaillierte und differenzierte Beiträge verhindert. Bei den Piraten gehören Shitstorms aufgrund der intensiven Nutzung digitaler Kommunikationsmittel zum Parteialltag. Dabei tragen Shitstorms aufgrund ihres destruktiven und aggressiven Charakters oftmals dazu bei, inhaltliche oder strategische Positionierungen der Partei zu unterminieren. Twitter Twitter ist ein webbasierter Microbloggingdienst. Mittels sogenannter Tweets, Kurznachrichten von maximal 140 Zeichen Länge, findet die chronologisch angeordnete Kommunikation über die sogenannte Twitter-Timeline statt. Twitter ist vor allem für aktive Piraten ein wichtiges Forum zur Verbreitung von Informationen und zur sozialen Interaktion. Vorratsdatenspeicherung Die Vorratsdatenspeicherung beschreibt einen mittlerweile ersatzlos abgeschafften Gesetzentwurf, dem zufolge alle Anbieter von Telefondiensten verpflichten werden sollten, sämtliche anfallenden Verkehrsdaten bei Kommunikation über Festnetz, Mobilfunk oder das Internet ausnahmslos für maximal sechs Monate („auf Vorrat“) zwischenzuspeichern. Die Diskussion um die Vorratsdatenspeicherung ist für die politische Sozialisation vieler Piraten von hoher Bedeutung. Web 2.0 Web 2.0 ist ein Schlagwort für eine Evolutionsstufe des World Wide Web. Ein Web 1.0 wurde dabei erst retrospektiv identifiziert, als im Laufe der tech- 95 D IE P IRATENPARTEI nischen Entwicklung deutlich wurde, dass sich die Kommunikationsstrukturen im Internet gewandelt hatten. Meist ist mit Web 2.0 eine Verschiebung von Produktions- und Konsumverhalten im Web gemeint. Zu Zeiten des Web 1.0 war es lediglich Experten vorbehalten, online Inhalte zu produzieren, weil die technischen Hürden entsprechende Qualifikationen voraussetzten. Mit zunehmender Massentauglichkeit des Internets wurden Grenzen zwischen Produzenten und Konsumenten weitgehend aufgelöst, wodurch kollaborative Prozesse in einem größeren Maßstab möglich wurden. Die Entwicklung der Piraten hat von der technischen und sozialen Verbreitung des Web 2.0 stark profitiert, da es die kulturellen, aber auch organisatorischen Voraussetzungen für eine Teilhabe an der Partei verbreiterte. Whistleblower Whistleblower verraten als Insider Geheimnisse oder haben Zugang zu vertraulichen Dokumenten, die sie öffentlich machen. Durch das Internet ist die Verbreitung solcher Informationen vereinfacht worden. Eine Plattform wie Wikileaks hat sich dieser Form der Kommunikation verschrieben. Die Piraten treten dafür ein, Whistleblower zu schützen. Hier folgen sie den Ansprüchen der Hackerkultur. Wiki Ein Wiki ist ein Sammelbegriff für ein dezentral und kollaborativ betriebenes System, das es den Nutzern ermöglicht, nicht nur Inhalte zu lesen, sondern diese auch umgehend und nachvollziehbar zu verändern und zu editieren. Das bekannteste Wiki-basierte Projekt ist die Online-Enzyklopädie Wikipedia. Innerhalb der Piratenpartei werden Wikis zur kollektiven Sammlung und öffentlichen Bereitstellung von organisatorischen und inhaltlichen Informationen benutzt. 96 #zensursula Ist sowohl ein Hashtag als auch ein wichtiges Symbol der Protestbewegung gegen das Zugangserschwerungsgesetz. Der Begriff stellt eine Kombination aus dem Wort Zensur und dem Vornamen der ehemaligen Familienministerin Ursula von der Leyen dar. Geprägt wurde dieser Begriff im Zuge der Debatte um die Einführung des sogenannten Zugangserschwerungsgesetzes, das die Internetdienstanbieter dazu anhielt, auf Anweisung von Polizeibehörden Websites mit kinderpornografischen Inhalten zu sperren. Die Gegner und Kritiker des Gesetzesvorhabens argumentierten hierbei, dass Sperrungen technisch ineffektiv, da sehr leicht zu umgehen seien und potenziell harmlose Internetauftritte ebenso treffen könnten, wodurch sie letztlich ihren Zweck verfehlten und darüber hinaus nicht das Problem an sich lösen würden. In Anbetracht dieser Umstände wurde das Vorhaben dieser Netzsperren als ein unverhältnismäßiger Eingriff in mutmaßliche Grundrechte der Bewegungsfreiheit im Netz und letztlich auch als Einstieg in eine allgemeine Zensur empfunden. Zugangserschwerungsgesetz Siehe #zensursula A NHANG Literaturverzeichnis Alemann, Ulrich/Daniel, Philip (2012): Politische Beteiligung: Wohin?, in: Asbach, Olaf/Schäfer, Rieke/ Selk, Veith/Weiß, Alexander (Hg.), Zur kritischen Theorie der politischen Gesellschaft, Wiesbaden, S. 189-194. 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Nach beruflichen Tätigkeiten an der Freien Universität Berlin, der Humboldt-Universität zu Berlin und der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg arbeitet er jetzt als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Göttinger Institut für Demokratieforschung. Seine thematischen Schwerpunkte liegen in den Bereichen Veränderungen des Parteiensystems, Regierungsformate (insbesondere Minderheitsregierungen) und Wahlrecht. Alexander Hensel (M.A.), geboren 1983, hat Politikwissenschaft, Philosophie sowie Medienund Kommunikationswissenschaft in Göttingen und Madrid studiert. Er forscht seit 2009 zum Thema Piratenpartei und arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Göttinger Institut für Demokratieforschung. Seine thematischen Schwerpunkte liegen in den Bereichen soziale Bewegungen, Parteien und Internetkultur. Er betreut zudem den Blog und das Videoangebot des Göttinger Instituts für Demokratieforschung. Christopher Schmitz (B.A.), geboren 1988, studiert Politikwissenschaften an der Georg-AugustUniversität Göttingen. Seit 2012 arbeitet er zu sozialen Bewegungen sowie Protestformationen und Internetkultur. Weitere Arbeitsinteressen liegen in den Bereichen moderne politische Theorie und Krisendiagnosen der Demokratie. Danksagung Studien wie diese sind letztlich nicht nur das Werk der Autoren. Ohne die großzügige Förderung der Otto Brenner Stiftung wie der Hans-Böckler-Stiftung hätte es keine Möglichkeit gegeben, derart umfänglich und empirisch weitläufig in das Thema einzusteigen. Ohne die Unterstützung von Professor Dr. Franz Walter wäre dieser Zweig der Parteienforschung am Göttinger Institut für Demokratieforschung wohl kaum so intensiv eingeschlagen worden. Und ohne die Zuarbeit, die Literaturrecherche und die Unterstützung bei der Erstellung des Glossars durch Christopher Schmitz wären wir wohl im Material schlicht ertrunken. Ebenso danken wir unseren Kollegen und Kolleginnen vom Göttinger Institut für Demokratieforschung, mit denen wir einzelne Aspekte und Thesen fortwährend gewinnbringend diskutieren konnten. Elke Habicht hat mit ihrem Lektorat dazu beigetragen, dass der Text noch flüssiger und lesbarer geworden ist. Last but not least danken wir auch der Piratenpartei, deren Mitglieder uns nicht nur umfängliches Material bereitgestellt haben, sondern auch keine Scheu hatten, sich von uns zahlreich interviewen und umfangreich beobachten zu lassen. Göttingen, im März 2013 107 D IE P IRATENPARTEI 108 Otto Brenner Stiftung Die Otto Brenner Stiftung … ... ist die gemeinnützige Wissenschaftsstiftung der IG Metall. Sie hat ihren Sitz in Frankfurt am Main. Als Forum für gesellschaftliche Diskurse und Einrichtung der Forschungsförderung ist sie dem Ziel der sozialen Gerechtigkeit verpflichtet. Besonderes Augenmerk gilt dabei dem Ausgleich zwischen Ost und West. OBS-Arbeitsheft 74 ISSN 1863-6934 (Print) Herausgeber: Otto Brenner Stiftung Jupp Legrand Wilhelm-Leuschner-Straße 79 D-60329 Frankfurt/Main Tel.: 069-6693-2810 Fax: 069-6693-2786 E-Mail: [email protected] www.otto-brenner-stiftung.de Die OBS dankt der Hans-Böckler-Stiftung (siehe www.boeckler.de) für ihre Beteiligung an der Förderung des Projekts. Ohne diese Unterstützung der Autoren: HBS hätte die OBS die „Piraten-Studie“ nicht reali- Alexander Hensel, Stephan Klecha sieren können. Göttinger Institut für Demokratieforschung Weender Landstr. 14 Hinweis zu den Nutzungsbedingungen: 37073 Göttingen Dieses Arbeitsheft darf nur für nichtkommerzielle [email protected] Zwecke im Bereich der wissenschaftlichen Forschung und Beratung und ausschließlich in der von Projektmanagement: der Otto Brenner Stiftung veröffentlichten Fassung Jupp Legrand, OBS – vollständig und unverändert – von Dritten weitergegeben sowie öffentlich zugänglich gemacht wer- Lektorat: den. Elke Habicht, M.A. In den Arbeitsheften werden die Ergebnisse der www.textfeile.de Forschungsförderung der Otto Brenner Stiftung do- Hofheim am Taunus kumentiert und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Für die Inhalte sind die Autorinnen und Au- Satz und Gestaltung: toren verantwortlich. complot-mainz.de Bestellungen: Bildnachweis: Über die Internetseite der Otto Brenner Stiftung Titel: Karikatur Gerhard Mester können weitere Exemplare dieses OBS-Arbeitshef- ... initiiert den gesellschaftlichen Dialog durch Veranstaltungen, Workshops und Kooperationsveranstaltungen (z. B. im Herbst die OBS-Jahrestagungen), organisiert internationale Konferenzen (Mittel-Ost-Europa-Tagungen im Frühjahr), lobt jährlich den „Brenner-Preis für kritischen Journalismus“ aus, fördert wissenschaftliche Untersuchungen zu sozialen, arbeitsmarkt- und gesellschaftspolitischen Themen, vergibt Kurzstudien und legt aktuelle Analysen vor. … macht die Ergebnisse der geförderten Projekte öffentlich OBS-Arbeitsheft 74 zugänglich und veröffentlicht z. B. die Ergebnisse ihrer Forschungsförderung in der Reihe „OBS-Arbeitshefte“. Die Arbeitshefte werden, wie auch alle anderen Publikationen der OBS, kostenlos abgegeben. Über die Homepage der Stiftung können sie auch elektronisch bestellt werden. Vergriffene Hefte halten wir als PDF zum Download bereit. rat reicht. Dort besteht auch die Möglichkeit, das mww.druck und so ... GmbH, Mainz-Kastel vorliegende und weitere OBS-Arbeitshefte als pdfDatei kostenlos herunterzuladen. Redaktionsschluss: 15. März 2013 Mehr Infos im Netz unter www.piraten-studie.de Alexander Hensel, Stephan Klecha Die Piratenpartei Havarie eines politischen Projekts? OBS-Arbeitsheft 73 Fritz Wolf Im öffentlichen Auftrag Selbstverständnis der Rundfunkgremien, politische Praxis und Reformvorschläge OBS-Arbeitsheft 72* … freut sich über jede ideelle Unterstützung ihrer Arbeit. Aber wir sind auch sehr dankbar, wenn die Arbeit der OBS materiell gefördert wird. Bernd Gäbler … ist zuletzt durch Bescheid des Finanzamtes Frankfurt am Main V (-Höchst) vom 6. Dezember 2011 als ausschließlich und unmittelbar gemeinnützig anerkannt worden. Aufgrund der Gemeinnützigkeit der Otto Brenner Stiftung sind Spenden steuerlich absetzbar bzw. begünstigt. Hans-Jürgen Arlt, Wolfgang Storz Hohle Idole Was Bohlen, Klum und Katzenberger so erfolgreich macht OBS-Arbeitsheft 71* „Bild“ und Wulff – Ziemlich beste Partner Fallstudie über eine einseitig aufgelöste Geschäftsbeziehung OBS-Arbeitsheft 70* Andreas Kolbe, Herbert Hönigsberger, Sven Osterberg Marktordnung für Lobbyisten Wie Politik den Lobbyeinfluss regulieren kann OBS-Arbeitsheft 69 Sandra Siebenhüter Integrationshemmnis Leiharbeit Unterstützen Sie unsere Arbeit, z. B. durch eine zweckgebundene Spende Spenden erfolgen nicht in den Vermögensstock der Stiftung, sie werden ausschließlich und zeitnah für die Durchführung der Projekte entsprechend dem Verwendungszweck genutzt. Bitte nutzen Sie folgende Spendenkonten: Für Spenden mit zweckgebundenem Verwendungszweck zur Förderung von Wissenschaft und Forschung zum Schwerpunkt: • Förderung der internationalen Gesinnung und des Völkerverständigungsgedankens Konto: 905 460 03 BLZ: 500 500 00 Bank: HELABA Frankfurt/Main oder 161 010 000 0 500 101 11 SEB Bank Frankfurt/Main Für Spenden mit zweckgebundenem Verwendungszweck zur Förderung von Wissenschaft und Forschung zu den Schwerpunkten: • Angleichung der Arbeits- und Lebensverhältnisse in Ost- und Westdeutschland (einschließlich des Umweltschutzes) • Entwicklung demokratischer Arbeitsbeziehungen in Mittel- und Osteuropa • Verfolgung des Zieles der sozialen Gerechtigkeit Konto: 905 460 11 BLZ: 500 500 00 Bank: HELABA Frankfurt/Main oder 198 736 390 0 500 101 11 SEB Bank Frankfurt/Main tes kostenlos bezogen werden – solange der VorDruck: Aktuelle Ergebnisse der Forschungsförderung in der Reihe „OBS-Arbeitshefte“ Geben Sie bitte Ihre vollständige Adresse auf dem Überweisungsträger an, damit wir Ihnen nach Eingang der Spende eine Spendenbescheinigung zusenden können. Oder bitten Sie in einem kurzen Schreiben an die Stiftung unter Angabe der Zahlungsmodalitäten um eine Spendenbescheinigung. Verwaltungsrat und Geschäftsführung der Otto Brenner Stiftung danken für die finanzielle Unterstützung und versichern, dass die Spenden ausschließlich für den gewünschten Verwendungszweck genutzt werden. Auswirkungen von Leiharbeit auf Menschen mit Migrationshintergrund OBS-Arbeitsheft 68* Bernd Gäbler „... und unseren täglichen Talk gib uns heute!“ Inszenierungsstrategien, redaktionelle Dramaturgien und Rolle der TV-Polit-Talkshows OBS-Arbeitsheft 67* Hans-Jürgen Arlt, Wolfgang Storz Drucksache „Bild“ – Eine Marke und ihre Mägde Die „Bild“-Darstellung der Griechenland- und Eurokrise 2010 OBS-Arbeitsheft 66 Rainer Weinert Berufliche Weiterbildung in Europa Was Deutschland von nordeuropäischen Ländern lernen kann OBS-Arbeitsheft 65 Burkart Lutz unter Mitwirkung von Holle Grünert, Thomas Ketzmerick und Ingo Wiekert Fachkräftemangel in Ostdeutschland Konsequenzen für Beschäftigung und Interessenvertretung OBS-Arbeitsheft 64 Brigitte Hamm, Hannes Koch Soziale und ökologische Verantwortung Zur Umsetzung des Global Compact in deutschen Mitgliedsunternehmen * leider vergriffen Diese und weitere Publikationen der OBS finden Sie unter www.otto-brenner-stiftung.de Otto Brenner Stiftung | Wilhelm-Leuschner-Straße 79 | D-60329 Frankfurt/Main Otto Brenner Stiftung OBS-Arbeitsheft 74 OBS-Arbeitsheft 74 Die Piratenpartei Alexander Hensel, Stephan Klecha Die Piratenpartei Havarie eines politischen Projekts? www.piraten-studie.de www.otto-brenner-stiftung.de Eine Studie der Otto Brenner Stiftung Frankfurt/Main 2013