Integration statt Ausgrenzung - die Multikulturelle Demokratie durch

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1. Ordentlicher Länderrat 2006
11. März 2006, Mainz, ZDF-Kongresszentrum
Beschluss: Integration statt Ausgrenzung - die Multikulturelle Demokratie
durch eine Politik der Anerkennung verwirklichen
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Die Globalisierung bringt nicht nur früher von einander getrennte Ökonomien, sondern auch verschiedene Kulturen in ständig zunehmenden Kontakt
miteinander. Der Dialog, die Verständigung auf gemeinsame Werte und die
wechselseitige Anerkennung zwischen Menschen, die aus unterschiedlichen
Kulturen und Religionen stammen, wird daher immer wichtiger. Deutschland
ist ein Einwanderungsland. Einwanderungsgesellschaften sind immer multiethnisch und multireligiös. Multikulturalität ist keine grüne Träumerei. Multikulturalität ist eine Tatsache, Integration ist eine Aufgabe. 14 Millionen Menschen haben in Deutschland einen Migrationshintergrund jüngerer Vergangenheit, darunter vier Millionen Aussiedler. 1,5 Millionen Kinder entstammen
aus binationalen Familien.
Moderne Gesellschaften sind geprägt von einer Vielfalt unterschiedlicher Lebensstile und Lebensentwürfe. Die multikulturelle Demokratie baut auf Toleranz und ist mit Zumutungen verbunden. Das kann anstrengend sein. Dieser
Anstrengung mit der Forderung nach einer Leitkultur, gar einer deutschen
Leitkultur, entgehen zu wollen, wäre der kulturell überhebliche Beginn des
Weges in die Sackgasse der Abschottung. Konservative Katholiken müssen
CSD-Paraden, überzeugte Feministinnen Kopftücher, gläubige Muslime sich
küssende Männer und bayerische Stammtischler grüne Weltverbesserer ertragen. Das alles sind Zumutungen, die in einer pluralistischen Gesellschaft auszuhalten sind.
Nicht tolerieren können wir die Intoleranz. Das Band, das ein Zusammenleben
trotz wachsender Pluralität ermöglicht, ist unsere Verfassung mit ihren Freiheits- und Grundrechten. Toleranz hört für uns da auf, wo das Grundgesetz
und die Menschenrechte missachtet werden. Die Trennung von Religion und
Staat gehört zu den Grundlagen unseres Zusammenlebens. Alle Religionen
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müssen daher staatliches Recht und insbesondere die Grundrechte achten.
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Wir sagen ganz klar: Frauenrechte sind Menschenrechte und dürfen nicht aus
kulturellen oder religiösen Gründen eingeschränkt werden. Und es gibt keine
Toleranz für Antisemitismus oder Frauenfeindlichkeit, genauso wenig wie für
Homophobie oder Islamfeindlichkeit.
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BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fordern die Migrantenverbände und religiösen
Gruppen auf, sich intensiv an der Bekämpfung und Isolierung eines verfassungsfeindlichen Islamismus in Deutschland zu beteiligen. Dieser Islamismus
ist totalitär; er richtet sich gegen Gleichheit, Freiheit und die säkulare Moderne. Wir lehnen daher den „Kulturrelativismus“ ab, der im Namen des Respekts für Kulturen und Traditionen akzeptiert, dass muslimische Frauen und
Männer des Rechts auf Gleichheit, Freiheit und säkulare Werte beraubt werden.
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Die Politik der Anerkennung meint die gegenseitige Anerkennung der Individuen als Trägerinnen und Träger gleicher Rechte. Zur Gestaltung der multikulturellen Demokratie setzen wir deshalb auf eine Politik, die Teilhabe und
Chancengleichheit ermöglicht. Unsere Einwanderungsgesellschaft braucht
Kinder, deren Lebenschancen nicht von den sozialen Verhältnissen ihrer Eltern
oder von ihrem Migrationshintergrund abhängen. Eine Politik der Zuerkennung von gleichen Chancen braucht gezielte Förderung und Unterstützung.
Die Instrumente einer erfolgreichen Integrationspolitik können nur gemeinsam mit den MigrantInnen entwickelt werden. Wir wollen sie einladen, gemeinsam mit uns die multikulturelle Demokratie zu gestalten, mit einer emanzipativen Integrationspolitik, die auf die Partizipation von Migrantinnen und
Migranten setzt.
Das friedliche Zusammenleben zwischen Menschen, die aus unterschiedlichen
Kulturen kommen, setzt wechselseitige Anerkennung voraus: auf der Grundlage gleicher Rechte und gleicher Freiheiten - auf der Grundlage dessen, was
das Grundgesetz in allgemeiner Form regelt. Es meint aber auch eine Toleranz
und Dialogfähigkeit, die Andersheit aushält, die anderen Kulturen und Religionen gegenüber weder gleichgültig ist noch sie mit leitkulturellen Konstruktionen hierarchisieren will.
Die Union hat Integrationspolitik zur Chefsache erklärt und die Integrationsbeauftragte im Bundeskanzleramt angesiedelt. Das ist leider nur schöne Fassade: Gleich zwei Vorstöße aus dem Süden zeigen, wie man in den unionsgeführten Ländern tatsächlich denkt: Stoiber fordert eine Verschärfung des
Ausländerrechts und Baden-Württemberg hat einen „Muslimtest“ eingeführt.
Der Test schürt einen Generalverdacht gegen Muslime und offenbart, dass
CDU und FDP die Werte unserer Verfassung nicht verstanden haben. Wer
angesichts des Gleichbehandlungsgrundsatzes im Grundgesetz bestimmte
Fragen nur Angehörigen einer Religionsgemeinschaft stellen will, der missachtet genau die Grundsätze, die er zu schützen vorgibt. Zugleich legt das
Bundesministerium des Inneren einen Entwurf zur Reform des Zuwanderungsgesetzes vor, der u.a. das Grundrecht auf Familienzusammenführung
einschränken möchte.
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Ebenso verantwortungslos ist die geplante Kürzung der Haushaltsmittel für
die Integrationskurse des Zuwanderungsgesetzes um 67 Mio. für das Jahr
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Rot-Grün hatte in einem großen Kraftakt für diese Kurse 208 Mio. eingestellt, nachdem sich die unionsgeführten Bundesländer komplett aus der Finanzierung dieser Sprachkurse zurückgezogen hatten.
Die Sprachkurse haben sich – gerade für schon länger in Deutschland lebende
Migrantinnen und Migranten – als regelrechter Renner erwiesen: Aber: rund
ein Drittel der zugelassenen Personen konnten im letzten Jahr an keinem
Deutschkurs teilnehmen.
Die Teilnahme gerade auch von langjährig in Deutschland lebenden Ausländerinnen und Ausländern war der erklärte Wille des Gesetzgebers. Niedrige
Zugangszahlen von Neuzuwanderinnen und Neuzuwanderern dürfen nicht zu
Lasten der integrationswilligen länger hier lebenden Migrantinnen und Migranten gehen. Freibleibende Finanzmittel sollten für ihre Teilnahme eingesetzt werden.
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Wer immer Integrationswilligkeit einfordert, dann aber ausgerechnet die
Sprachkursmittel kürzt, handelt völlig verantwortungslos.
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Auch aufgrund solcher politischen Stimmungsmache nehmen in der Bevölkerung – und zwar gerade auch in der Mittelschicht - Fremdenfeindlichkeit und
Islamfeindlichkeit deutlich zu. Die Jugendkrawalle in Frankreich haben die
Ängste weiter geschürt und erneut die Frage aufgeworfen, ob Integrationspolitik zum Scheitern verurteilt ist. Wir Grüne nehmen die Ängste ernst,
aber auch die Ängste von Migrantinnen und Migranten, die sich durch Stimmungsmache ausgegrenzt und nicht als willkommener Teil der deutschen
Gesellschaft fühlen. Die richtige Antwort darauf ist die aktive Gestaltung der
multikulturellen Demokratie. Sie ist eine vernünftige Antwort auf die Wirklichkeit der Globalisierung. Vielfalt hat Zukunft. Viele große Unternehmen
betrachten Vielfalt nicht als Ärgernis, sondern als Ressource. „DiversityManagement" und „interkulturelles Management“ gehören dort längst zur
Firmenphilosophie.
Für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN beinhaltet die Verwirklichung der multikulturellen Demokratie eine Schwerpunktsetzung in sechs Bereichen:
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1. Deutschland braucht eine Bildungsoffensive für alle Kinder – Sprachkompetenz ist der Schlüssel
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Das deutsche Bildungssystem ist nicht im Stande mit Individualität und Heterogenität umzugehen. Der eklatante Leistungsunterschied zwischen Kindern
aus der Mehrheitsgesellschaft und Einwandererkindern korrespondiert mit
ihrer sozialen Situation. Kinder von MigrantInnen kommen überproportional
aus Arbeiterfamilien. Sie sind nicht lernunfähiger als deutsche Kinder. Es ist
die fehlende soziale Durchlässigkeit des deutschen Bildungssystems, die auch
die Möglichkeiten zur Integration von Migrantenkindern reduziert.
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Wir wollen eine neue Bildungsoffensive. Sie muss gezielte Maßnahmen zur
Förderung des Spracherwerbs beinhalten, um allen Kindern unabhängig von
ihrer Herkunft Schlüsselqualifikationen zu vermitteln, die Voraussetzung für
gesellschaftliche Integration, für schulischen und beruflichen Erfolg und sozialen Aufstieg sind. Die Förderung von Mehrsprachigkeit gehört für uns dazu. Die Fähigkeit, die deutsche Sprache zu beherrschen, ist der Schlüssel für
die Teilhabe an unserer Gesellschaft. Deshalb haben wir uns im Zuwanderungsgesetz für das Angebot von und die Verpflichtung zu Sprachkursen eingesetzt. Andererseits können wir nicht hinnehmen, dass SchülerInnen von
Teilen des Unterrichts abgemeldet werden, z. B. Mädchen vom Schwimmunterricht. Es müssen die gesetzlichen Grundlagen dafür geschaffen werden,
dass Kinder nicht aus weltanschaulichen Gründen vom Unterricht abgemeldet
werden.
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Die Chance von Migrantenkindern auf Integration entscheidet sich zu einem
guten Teil bereits in der Zeit vor der Schule. Wer hier den Anschluss verpasst
und die deutsche Sprache nicht erlernt, hat danach deutlich schlechtere
Chancen. Deshalb ist Sprachförderung im vorschulischen Bereich zentral. Je
früher Kinder beginnen die deutsche Sprache zu lernen, desto größere Chancen haben sie in ihrer Bildungslaufbahn.
Wenig hilfreich ist es, wenn manche Unionspolitiker Deutschzwang auf dem
Schulhof fordern. Eine freiwillige Selbstverpflichtung an einzelnen Schulen
getragen von Schülern, Eltern und Lehrern zu Gebrauch der deutschen Sprache auf dem Schulhof dagegen respektieren und begrüßen wir. Gerade
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fordern schon lange mehr Autonomie für die
Schulen bei der Umsetzung eigener pädagogischer Konzepte. Denn damit
können sie auf besondere regionale oder soziale Gegebenheiten reagieren,
zum Beispiel auf die Zusammensetzung ihrer Schülerschaft. Kompetenzen, die
aus einer anderen kulturellen und sprachlichen Herkunft resultieren, sollten
nicht nur als Problem, sondern auch als Bereicherung verstanden, gefördert
und in pädagogischen Konzepten aufgegriffen werden. Wissenschaftliche
Erkenntnisse und die Erfahrungen anderer Einwanderungsländer zeigen, dass
die Kinder, die in ihrer Erst- bzw. Herkunftssprache und ihrer Zweitsprache
gefördert werden, deutlich besser die Landessprache lernen. Im interkulturellen Lernen, in der Zwei- und Mehrsprachigkeit liegen große Chancen für
künftige Karrieren im Land des Exportweltmeisters.
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Wir wollen auch faire Chancen für die sogenannten Illegalisierten, unter denen es Familien gibt, die seit Jahrzehnten in Deutschland leben. Im Sinne der
Integration dürfen Schulen nicht mehr verpflichtet werden, Kinder ohne Ausweispapiere den Ausländerbehörden zu melden.
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2. Integration läuft über Chancen auf dem Arbeitsmarkt
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Gesellschaftliche Integration läuft ganz wesentlich über Zugang zum Arbeitsmarkt. Gerade für Jugendliche mit Migrationshintergrund, denen dieser Zugang in einem erschreckend hohen Maß fehlt, müssen verstärkte Anstrengungen unternommen werden. Interkulturelle Kompetenz darf vor den Werkstoren und Berufsschulen nicht Halt machen. Nichtdeutsche ArbeitnehmerInnen und EinwanderInnen der zweiten und dritten Generation müssen über
adäquat ausgebildete BeraterInnen und ausgewiesene Beratungsstellen gezielt
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auf Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen bzw. nationale und europäische Förderungsprogramme hingewiesen werden.
Es ist nicht akzeptabel, dass in Deutschland noch immer viele langjährig hier
lebende Migrantinnen und Migranten nur über einen nachrangigen Zugang
zum Arbeitsmarkt und zur selbstständigen Beschäftigung verfügen. Die Vorrangprüfung behindert die Integration dieser Menschen. Für diese Menschen
wollen wir sie deshalb abschaffen. Der Öffentliche Dienst sollte hier mit gutem Beispiel voran gehen. Über entsprechende Förderprogramme besteht die
Chance, den Anteil gerade auch von besser qualifizierter Migrantinnen und
Migranten zu steigern.
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3. Politik für eine offene Gesellschaft – gegen Diskriminierung und für
Gleichstellung
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Wir halten gesetzliche Anti-Diskriminierungsmaßnahmen für wichtige Instrumente einer modernen Integrationspolitik – auch deshalb, weil es strukturelle
Diskriminierung in unserem Land gibt. Unter den Jugendlichen mit Hauptschul- oder Sonderschulabschluss erhalten 43 Prozent der deutschen Schüler
einen Ausbildungsplatz, bei den Migranten sind es bei gleicher Qualifikation
23 Prozent. Bei Realschulabschluss steigt die Zahl um 18 auf 61 Prozent,
während bei MigrantInnen die Chance auf einem Ausbildungsplatz dagegen
nur um einen Prozentpunkt auf 24 Prozent steigt. Hier spielt die Herkunft
leider eine wichtigere Rolle als die Qualifikation. Es darf nicht sein, dass junge
Menschen aufgrund ihrer Herkunft oder ihrer Religion schlechtere Chancen
haben. Deshalb treten wir für ein umfassendes Anti-Diskriminierungsgesetz
ein. Bestehende ausländerdiskriminierende Regelungen und Paragraphen
wollen wir beseitigen, hierzu zählen z.B. Regelungen in der Berufsordnungen
für Ärzte und im Bundesausbildungsförderungsgesetz.
Es ist ein politisches Armutszeugnis für unser Land, dass eine große Gruppe
von Menschen, die seit langem hier lebt, nach wie vor von grundlegenden
staatsbürgerlichen Rechten ausgeschlossen ist. Die Regelungen zum Erwerb
der deutschen Staatsbürgerschaft wollen wir verbessern. Hierzu zählt insbesondere, dass die jungen Menschen, die qua Geburt zwei Staatsangehörigkeiten erworben haben, nicht gezwungen werden eine ihrer Staatsangehörigkeiten aufzugeben.
Ein wesentliches Mittel Einbürgerung zu erleichtern ist die erweiterte Hinnahme der doppelten Staatsbürgerschaft. Die Einbürgerungskriterien sind
klar: Bei allen Einbürgerungswilligen werden die Deutschkenntnisse und die
wirtschaftlichen Verhältnisse geprüft. Es erfolgen Anfragen beim Bundeszentralregister, beim Landeskriminalamt und beim Verfassungsschutz. Und zusätzlich muss eine Loyalitätserklärung abgegeben werden. Das alles ist geltendes Recht. Wir brauchen daher keine weiteren Hürden, sondern weitere
Integrationsangebote. Zu begrüßen sind kommunale Initiativen, wie beispielsweise die in immer mehr Kommunen stattfindenden Einbürgerungsfeiern. Solche Willkommensgesten sollten Schule machen.
Es war richtig im Zuwanderungsgesetz zu regeln, dass Neuzuwanderern Kurse
zur allgemeinen Orientierung über die Bundesrepublik Deutschland angeboten. Leider ist die Stundezahl mit 30 Stunden viel zu gering. Eine höhere
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Stundenzahl im Zuwanderungsgesetz festzulegen, war am Zahlungswillen der
Länder gescheitert. Hier sind die Bundesländer konkret gefordert.
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Wir fordern die Bundesregierung auf eine Kampagne zu starten, die sich an
lange hier lebende Menschen wendet und sie einlädt und auffordert Bürger
dieses Landes zu werden.
Antidiskriminierungs- und Gleichstellungspolitik heißt auch, Gewalt gegen
Migrantinnen entgegenzutreten. Wir Grüne haben - gegen den erbitterten
Widerstand der Union - ein eigenständiges Aufenthaltsrecht für Ehegatten
eingeführt. Daneben haben wir mit dem Gewaltschutzgesetz die Rechte von
misshandelten oder gewaltbedrohten Frauen deutlich gestärkt und eine Verschärfung bei Zwangsverheiratung im Strafgesetzbuch vorgenommen. Im
November 2005 haben wir schließlich einen Antrag für einen umfassenden
Ansatz zur Bekämpfung und Verhinderung von Zwangsehen und häuslicher
Gewalt beschlossen. Die anderen Parteien legen den Schwerpunkt zumeist
auf strafrechtliche Forderungen. Uns Grünen geht es nicht nur um die Bestrafung der Täter, sondern vor allem auch um den Opferschutz. Wir setzen
auf aufenthaltsrechtliche Verbesserungen, wie das Rückkehrrecht für ins
Ausland verheiratete Frauen oder das eigenständigen Aufenthaltsrecht für
Frauen, die nur geduldet werden oder Asylbewerberinnen sind. Nur wenn die
Frauen diese Rechte haben, können sie sich wirksam gegen Gewalt wehren.
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Mit den Menschen sind auch ihre Religionen gewandert. Die religiöse Landschaft der Bundesrepublik hat sich dadurch verändert und ist vielfältiger und
heterogener geworden. Lange Zeit spielten die religiösen Belange von Migrantinnen und Migranten in der Integrationspolitik keine nennenswerte Rolle. Während die katholischen, orthodoxen und protestantischen sowie jüdischen Zuwanderer auf die integrierenden Strukturen der vorhandenen Kirchen und Gemeinden in Deutschland trafen, mussten sich Muslime, Hindus
oder Buddhisten eigene religiöse Strukturen in Deutschland erst aufbauen. Für
die Integration von Muslimen - der größten zugewanderten Religionsgemeinschaft in Deutschland – bedarf es einer Politik, die den Islam als gleichberechtigte Religion akzeptiert und Muslime rechtlich und politisch auf der Basis
unseres Grundgesetzes integriert. Konkret bedarf es u. a. folgender Maßnahmen:
Um verbindliche Vereinbarungen treffen zu können, braucht die Politik legitimierte Ansprechpartner und Vertretungen, die die Muslime in unserer Gesellschaft repräsentieren und die Anforderungen eines verlässlichen Kooperationspartners des Staates erfüllen. Ihnen müssen dabei Wege eröffnet werden, den Status einer Religionsgemeinschaft zu erlangen.
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Die Ausbildung von Imamen und muslimischen Religionslehrern an staatlichen
deutschen Universitäten in deutscher Sprache ist auf- und auszubauen.
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In den Bundesländern mit Religionsunterricht muss der islamische Religionsunterricht in deutscher Sprache zu einem Regel-Angebot für alle muslimischen Schülerinnen und Schüler aufgebaut werden.
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Die bestehenden straf- und vereinsrechtlichen Sanktionen sind bei der Bekämpfung des militanten Islamismus auszuschöpfen.
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5. Integration braucht politische Teilhabe und Partizipation
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Politische Teilhabe – die Wahrnehmung des allgemeinen Wahlrechts zu Parlamenten, die Teilnahme an betrieblicher Mitbestimmung und an Sozialwahlen, das Engagement in gesellschaftlichen Gruppen, Parteien und Gewerkschaften – ist ein wichtiger Integrationsfaktor in demokratischen Gesellschaften. Sie schafft Identifikation mit dem Gemeinwesen. Dies gilt insbesondere
auch für die kommunale Ebene.
Wir setzen uns dafür ein, die gesellschaftlichen Teilnahmemöglichkeiten für
EinwanderInnen und Flüchtlinge gezielt zu erweitern. Auf kommunaler Ebene
wollen wir ihnen das aktive und passive Wahlrecht einräumen.
Integration geschieht vor Ort, in den Kommunen. Umso wichtiger ist es,
durch kluge vorausschauende Planung vielfältige und lebendige Stadtteile zu
schaffen. Dazu gehört eine Stadtentwicklung, die unter starker Einbeziehung
der Bevölkerung erfolgt. Der Staat kann niemandem vorschreiben, wo er oder
sie zu wohnen hat. Dennoch ist es Aufgabe der Politik, Leitbilder einer
Wohnpolitik zu formulieren, die eine Segregation der Bevölkerung in urbanen
Gebieten verhindert.
6. Flüchtlinge und Geduldete integrieren
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Die Asylpraxis in Deutschland verhindert systematisch die Integration von
Flüchtlingen – selbst derjenigen, die schon lange hier leben. Über 200 000
Geduldete leben derzeit in Deutschland, fast die Hälfte davon seit über zehn
Jahren. Die äußerst restriktive Anerkennungspraxis des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge ist verfehlt. Gleiches gilt für die gegenwärtige Widerrufspraxis, die Menschen aus dem Irak auffordert nach Bagdad zurückzukehren, weil die Verhältnisse dort mittlerweile sicher seien. Die Ermessensspielräume für Aufenthaltstitel im Aufenthaltsgesetz werden mit Billigung der politisch Verantwortlichen derzeit bereits wieder administrativ verstellt und die
Härtefallverordnungen vieler Länder mit zwingenden Ausschlussgründen
überzogen. Damit werden nicht nur Integrations- und Entwicklungschancen,
insbesondere von hier aufgewachsenen Kindern, Jugendlichen und jungen
Erwachsenen, unwiederbringlich verspielt, sondern bisweilen auch Abschiebungen aus Deutschland begründet.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fordern eine großzügige allgemeine Bleiberechtsregelung, um die Kettenduldungspraxis zu beenden und Integration zu
ermöglichen. Deshalb unterstützen wir Initiativen wie "Hier geblieben".
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