Beitrag als PDF öffnen - Österreichisches Jahrbuch für Politik

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alexander janda
Die internationale Finanzkrise
und Österreichs
Migrations- und Integrationspolitik
Der Beitrag befasst sich mit Parallelitäten und Kausalitäten, die die internationale Finanzkrise mit der Frage der Entwicklung einer österreichischen Migrations- und Integrationspolitik verbinden. Der Autor konstatiert das Fehlen einer professionellen Migrationspolitik, trotzdem Migration seit den 1970er-Jahren Teil der gesellschaftlichen
Realität ist. Er empfiehlt eine Neuorientierung am „national interest“ und mahnt die
damit verbundene Notwendigkeit zur Attraktivierung des Standortes Österreich für die
zukünftigen Migrantinnen und Migranten ein. Für die Entwicklung einer nachhaltigen
Integrationspolitik steht das Gebot eines objektiven und sachorientierten Diskurses abseits politischer Ideologismen, Radikalisierung und Realitätsverweigerungen im Mittelpunkt des Beitrages.
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Auf den ersten Blick mag eine Verknüpfung der internationalen Finanzkrise mit
der Frage der Gestaltung der österreichischen Migrations- und Integrationspolitik überraschen. Eine nähere Analyse zeigt Parallelitäten, Kausalitäten und
Handlungsnotwendigkeiten, die beide Politikfelder eng verknüpfen.
Die Anzeichen oder Warnsignale für die Entstehung einer globalen Finanz- und Wirtschaftskrise waren seit Längerem klar erkennbar. Dennoch
wurde die Frage der Regulierung und Verantwortlichkeit im internationalen Finanzsystem über lange Zeit nicht oder nur unzureichend als politisches
Handlungsfeld begriffen. Erst mit dem Ausbruch der Krise waren Staaten, Nationalbanken und transnationale Akteure, wie die Europäische Union, gefordert,
um oftmals als letzter Rettungsanker die kollabierenden Finanzinstitutionen
und daran anknüpfend ganze Volkswirtschaften durch Interventionen aufzufangen. Die dafür aufgewendeten öffentlichen Mittel, deren Rechtfertigung
mit der unmittelbaren Abwendung von volkswirtschaftlichen Gesamtkatastrophen argumentiert wurde, werden die Steuerzahler über viele Jahre belasten.
Dort, wo vor Kurzem staatliche Verantwortung im Sinne einer Regulierung als
Feindbild schlechthin gesehen wurde, ist nunmehr der Staat – und mit ihm
die Steuerzahler – in die Verantwortung gedrängt worden. Die kurz- und mittelfristigen Erfolge des internationalen Finanzsystems sind inzwischen in Form
von gigantischen Erlösen aus Spekulationsgeschäften von den Verantwortlichen
für die Finanzkrise vereinnahmt worden und stehen nun nicht mehr für deren
Sanierung zur Verfügung.
Die Anzeichen oder Warnsignale für eine gesellschaftliche Krise, die sich
in der Frage der Gestaltung (oder Nicht-Gestaltung) einer verantwortungsbewussten Migrations- sowie einer nachhaltigen Integrationspolitik bündeln, sind
in Österreich spätestens seit den frühen 1990er-Jahren klar erkennbar. Mit dem
Aufgreifen des Ausländerthemas durch die FPÖ, dem Aufstieg Jörg Haiders in
Österreich und der parallelen Entstehung von ähnlichen politischen Bewegungen in zahlreichen europäischen Staaten ist diese Frage in den Mittelpunkt des
gesellschaftlichen Diskurses in Österreich und Europa gerückt. Meinungen und
Schlagzeilen werden mit dem „Ausländerthema“ gemacht, politische Parteienprofile daran konfrontativ geschärft und Wahlkämpfe damit dominiert (und
vielfach „gewonnen“). Der große Krach ist – noch – ausgeblieben, die Anzeichen für eine veritable Krise in der Gestaltung eines friedlichen und gedeihlichen Zusammenlebens sind jedoch überdeutlich erkennbar.
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Die internationale Finanzkrise trägt entscheidend zur Schwächung der
von ihr betroffenen Standorte bei. Eine erfolgreiche Standortpolitik braucht
eine gesunde wirtschaftliche Kernsubstanz, Vertrauen in die zentralen Insti­
tutionen des Finanzsektors und lebt von den Erträgen einer nachhaltigen
Anlage- und Investitionspolitik. Wenn der politischen Führung eines Bundeslandes, einem Sozialpartner als Eigentümer einer Bank oder großen unternehmerischen Investoren nicht mehr vertraut werden kann, dann geht das an
die Grundfesten der Gesellschaft. Die Frage der Gestaltung der Migrationsund Integrationspolitik ist ebenso eine zentrale Standortfrage. In ihr entscheidet sich nicht nur die Form des Zusammenlebens von Menschen unterschiedlichster Herkunft, sondern auch die Frage der Bevölkerungsentwicklung vor
dem Hintergrund stark gesunkener Geburtenzahlen, die Frage der künftigen
Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme oder die Frage der Rekrutierung
von Arbeitskräften für die Wirtschaft. Es geht um nichts weniger als die soziale
und wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit des Landes.
Die unmittelbaren Auswirkungen der Finanzkrise zeigen sich auch in
Österreich in Wachstumseinbrüchen, dem Verlust von Arbeitsplätzen und volkswirtschaftlichem Vermögen und damit verbunden einem notwendigen Sparkurs auf allen politischen Verantwortungsebenen, der die geringer werdenden
Steuereinnahmen auf eine wachsende Zahl von Problemfeldern verteilen muss.
Die Ersten, die die Konsequenzen dieser Entwicklungen zu spüren bekommen,
sind oftmals Menschen mit Migrationshintergrund. Denn sie sind überproportional stark in jenen Branchen, Lohn- und Qualifikationssegmenten tätig, die
am stärksten von den genannten Entwicklungen betroffen sind. Eine Untersuchung der OECD aus dem Jahr 2009 sieht klare Anzeichen für diese Entwicklungen, die aus strukturellen und anderen Ursachen in besonderem Maße
Migrantinnen und Migranten treffen.
Diese Erfahrung ist für Migrantinnen und Migranten keine neue, sind
sie doch traditionell öfter arbeitslos, schwieriger in den (qualifizierten) Arbeitsmarkt zu integrieren, meist in prekären Arbeitsverhältnissen und aufgrund oft
fehlender Bildungs- und Qualifikationshintergründe im sozialen Aufstieg eingeschränkt. Die Finanzkrise verschärft diese bestehenden strukturellen Probleme
für MigrantInnen und sorgt auf „politischer“ Ebene für eine weitere bedrohliche Entwicklung. Angesichts der krisenhaften Entwicklungen für die gesamte
Gesellschaft werden rasch Rufe laut, zunächst als Sündenbock die „Ausländer“
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zur Verantwortung zu ziehen. Denn sie würden die wenigen verbleibenden Jobs
okkupieren, die Sozialsysteme angesichts der Krise noch stärker ausbeuten und
ganz allgemein zur Verunsicherung in der Gesellschaft beitragen. Diese mittelbare Konsequenz aus der Finanzkrise erscheint bedrohlicher als die unmittelbare, die zuvor skizziert wurde.
Damit verstärkt sich die ohnehin seit Jahren bestehende Notwendigkeit
und Dringlichkeit, eine verantwortungsbewusste Migrationspolitik und eine
nachhaltige Integrationspolitik zu entwickeln. Migration und Integration sind
seit den 1970er-Jahren Teil der gesellschaftlichen Realität Österreichs – die
Entwicklung einer umfassenden Strategie zu deren mittel- und langfristiger
Gestaltung ist daher höchst geboten.
Migration nach Österreich ist seit langem (ebenso wie Emigration aus
Österreich) Teil unserer Geschichte. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs
hat sich diese zunächst in zwei Grundströmungen entwickelt. Erstens war Österreich Ziel von Flüchtenden diverser europäischer und außereuropäischer
Konfliktherde und hat bis heute Hunderttausenden von Menschen humanitären Schutz gewährt. Für diese Menschen – seien es Ungarn, Vietnamesen, Chilenen, Tschechen und Slowaken, Polen, Ex-Jugoslawen, Kosovaren, Afghanen,
Iraker oder Iraner – wurden spezielle Hilfs- und Unterstützungsprogramme
entwickelt, die deren sprachliche, berufliche und gesellschaftliche Integration
unterstützen und begleiten.
In den 1970er-Jahren wurde mit der Anwerbung von Gastarbeitern
begonnen. Für diese Menschen – primär aus der Türkei und dem ehemaligen Jugoslawien – war Integration nicht vorgesehen. Vielmehr wurde deren
Arbeitsleistung in Industrie und Wirtschaft auf Zeit benötigt. Danach sollte
eine Rückkehr in die Herkunftsstaaten erfolgen. Statt der Rückkehr folgten
der Nachzug von Ehefrauen und Kindern und der Versuch, auf Basis der ersten Arbeitsjahre eine Existenz in Österreich aufzubauen. In den 1980er- und
-90er-Jahren wurden die Rahmenbedingungen für die Zuwanderung vor dem
Hintergrund veränderter Bedürfnisse des Arbeitsmarktes komplexer und unüberschaubarer. Die beginnende „Ausländerdebatte“, die von der Haider-FPÖ
in die politische Arena getragen wurde, verschärfte die Wahrnehmung von Defiziten und Herausforderungen, ohne selbst Lösungen anbieten zu können.
Mit der Jahrtausendwende war in Österreich erstmals auf unterschiedlichsten politischen Verantwortungsebenen ein langsam erwachendes Bewusst-
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sein für die Notwendigkeit einer nachhaltigen Integrationspolitik erkennbar.
Gemeinden begannen Integrationsbeauftragte zu installieren, Beiräte einzuberufen und das Integrationsthema abseits tagespolitischer Befindlichkeiten in
seinen Grundsätzen zu diskutieren. Auf Landesebene begann ein Prozess der
Entwicklung von Integrationsleitbildern, der unter breiter Einbindung von Bevölkerung, Verantwortlichen auf Behörden- und Politikebene sowie der Migrantinnen und Migranten selbst entwickelt wurde. Dieser Prozess zeigte ein
„West-Ost-Gefälle“: Dornbirn war Vorreiter dieser Entwicklungen und von den
westlichen Bundesländer aus entstand eine langsame Bewegung, die sich dann
auch in die östlichen Bundesländern fortsetzte. Gemeinden und Länder begannen, Integration zusehends als eine Materie zu verstehen, für die sie unmittelbare Verantwortung hatten und die sie auch zu tragen bereit waren. Das Verständnis von Integration als Querschnittsmaterie fand breite Akzeptanz. Dieses
Verständnis beruht seitens der Länder und Gemeinden jedoch auf der Erwartung, dass eine Finanzierung diverser Integrationsprogramme und -maßnahmen
Aufgabe des Bundes sei. Ein Blick auf die budgetären Planungsprioritäten zeigt,
dass der Bund primär über das Bundesministerium für Inneres als nationaler
Fördergeber bzw. als Ko-Fördergeber europäischer Programme (Europäischer
Flüchtlingsfonds und Europäischer Integrationsfonds) als stärkster Finanzpartner auftritt. Schrittweise haben auch Gemeinden, Länder und Sozialpartner die
Bereitschaft zur Kofinanzierung gezeigt. Generell argumentieren Gemeinden
und Länder jedoch mit der Verantwortung des Bundes und verweisen darauf,
dass sie selbst über Ausgaben des Bildungs- oder Sozialwesens ohnehin stark
mit Integrationsfragen finanziell belastet seien.
Der Bund hat neben seiner Rolle als finanzieller Verantwortungsträger
2002 mit der Integrationsvereinbarung eine erste legistische Maßnahme als Vorstufe zur Entwicklung einer umfassenden und nachhaltigen Integrationspolitik
umgesetzt. Eine 2007 vom damaligen Innenminister Platter initiierte Integrationsplattform sowie der von Innenministerin Fekter koordinierte Prozess zur
Erarbeitung eines Nationalen Aktionsplans für Integration, der 2009 gestartet
wurde, zeigen, dass signifikante Teil- und Fortschritte erreicht werden konnten.
2010 steht die Aufgabe an, den seit den 1980er-Jahren bestehenden „Strategierückstand“ aufzuholen und auf Basis der geleisteten Vorarbeiten und der im
Regierungsprogramm klar verankerten Zielsetzungen ein umfassendes Konzept
einer Migrations- und Integrationspolitik vorzulegen.
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Verantwortungsbewusste Migrationspolitik
Böse Zungen behaupten, man könne die österreichische Migrationspolitik gar
nicht kritisieren oder kritisch reflektieren, da es bis dato gar keine solche gegeben habe. Vielmehr wären Quoten definiert worden, die wenig oder nicht den
Realitäten von Arbeitsmarkt oder Gesellschaft entsprochen hätten; Zuwanderung wäre zusehends mit Asyl vermischt und verwechselt worden; es wäre die
Vision einer politischen Steuerungsmöglichkeit von Migration aufrechterhalten
worden, die so gar nicht existiere.
Tatsache ist, dass vieles an dieser Kritik zutreffend ist. Eine langfristige
und am „national interest“ orientierte Migrationspolitik wurde bis dato nicht
entwickelt. Was mit der Bedürfnisabdeckung der Industrie der 1970er- und
80er-Jahre begann, entwickelte sich vielfach zum defensiven Quotenmarathon,
mit dem unterschiedlichste Bedürfnisse, Erwartungen und Partikularinteressen zu befriedigen waren. Die einen wollten billige Saison- oder Erntearbeitskräfte auf Zeit, andere wiederum drängten trotz am inländischen Arbeitsmarkt
bereits vorhandener niedrig qualifizierter Arbeitskräfte auf den „Import“ solcher zusätzlichen Kräfte aus Wettbewerbs- und Kostengründen, Dritte sahen
die Notwendigkeit der Rekrutierung von Spitzenkräften, die Unternehmen
unmittelbar oder mittelfristig aufgrund der Bevölkerungs- und Ausbildungsentwicklung in Österreich fehlten. Andere schließlich versuchten die Migrationspolitik zur Asylpolitik zu machen, indem für Menschen, deren Asylanträge
nach klaren rechtsstaatlichen Verfahren abgelehnt wurden, dennoch ein Aufenthaltsrecht eingefordert wurde. Der Fall Zogaj ist beispielhaft für diese bewusste
Vermischung von Asyl und Zuwanderung. Ein humanitäres Aufenthaltsrecht als
Flüchtling auf Basis der Genfer Flüchtlingskonvention muss jedenfalls gewahrt
bleiben und kann für den Fall, dass dieses nicht gewährt wird, weil jemand
nicht politisch verfolgt ist, nicht einfach in Zuwanderungsrecht aus Gewohnheit umgewandelt werden.
Der Mythos einer staatlichen Migrationssteuerung auf Basis des bestehenden Systems ist lange zu Unrecht aufrechterhalten worden. Wer Zuwanderung nach Österreich und die ihr zugrunde liegenden Regelungen analysiert,
wird erkennen, wie wenig davon reglementier- und steuerbar ist. Zunächst
können alle Menschen, die auf Basis der Genfer Flüchtlingskonvention Asyl
oder subsidiären Schutz in Österreich erhalten, meist auf Dauer im Land bleiben. Die Frage einer Qualifikation für bestimmte Tätigkeiten, vorhandene
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Sprachkenntnisse etc. stellt sich bei dieser Gruppe, die jährlich einige Tausend
Menschen umfasst, nicht. Ausschlaggebend ist einzig und allein die Zuerkennung des Asylstatus.
Die größte aktuelle Zuwanderergruppe sind deutsche Staatsbürger. Für
sie stellt sich – wie für alle Unions- und EWR-Bürger auf Basis der Niederlassungsfreiheit – nicht die Frage nach der Regelung von Zuwanderung. Ein
staatliches Regelwerk, das bestimmte Zuwanderungskriterien definiert, kann
hier nicht greifen. Ebenso wenig wäre ein solches Regelwerk für die Frage des
Familiennachzugs von Bedeutung. Der Familiennachzug orientiert sich einzig und allein an der familiären Bindung zu einer schon in Österreich lebenden Person und nicht an Fragen der Bildung, Qualifizierung oder Ähnlichem.
Schließlich ist auf europäischer Ebene, trotzdem von einer gemeinsamen europäischen Migrationspolitik noch lange nicht die Rede sein kann, ein Regelwerk von Richtlinien entstanden, das den Mitgliedsstaaten bindende Verpflichtungen in Fragen der Zuwanderungsregelung in einigen zentralen Bereichen
auferlegt. Was bleibt, ist die Regelung der sogenannten „Schlüsselkraftquote“,
wonach Österreich alleine über die Kriteriengestaltung für Schlüsselarbeitskräfte, die die Wirtschaft benötigt, entscheiden kann.
Verkürzt formuliert könnte man sagen, von zehn Personen, die nach Österreich kommen, um hier dauerhaft zu leben, unterliegt eine Person einem nationalen Steuerungsmechanismus im Sinne der Definition des „national interest“, während neun andere diesem aus den genannten Gründen und Tatsachen
nicht unterliegen.
Es ist somit klar festzuhalten, dass dieses System nachhaltig verändert
und weiterentwickelt werden muss, um eine glaubwürdige Migrationspolitik
zu entwickeln. Eine solche muss sich zunächst dazu bekennen, dass sie im nationalen Interesse handelt und dieses ihr primäres Ziel ist. Nationales Interesse
bedeutet in diesem Zusammenhang, die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes und
die Aufnahmefähigkeit der Gesellschaft gleichermaßen zu berücksichtigen.
Nationales Interesse definiert keinen Raum für humanitäre Fälle – diese sind
unter den Regelungen des Asyl- und Flüchtlingswesens zu klären. Vielerorts
wird das sogenannte kanadische Modell als besonders attraktiv und interessant
für Österreich zitiert. Dieses von Kanada seit Jahren erfolgreich praktizierte
System sieht – verkürzt dargestellt – vor, dass Menschen nach Kanada zuwandern können, die fließende Kenntnisse einer Landesprache haben, hervorra-
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gend ausgebildet, jung und ohne gesundheitliche Beeinträchtigungen sind.
Kanada bietet denen, die diese Kriterien erfüllen, ausgezeichnete Aufnahmeund Integrationsbedingungen und gilt vielen neben dem ähnlich funktionierenden australischen Modell als Best-Practice-Beispiel für gelungene Migrationssteuerung. Wer dieses Modell (wie der Autor) für Österreich propagiert,
muss wissen, dass damit gänzlich andere Zuwanderungsmuster für Österreich
verbunden wären. Und, dass viele Menschen, die bislang auf Basis der diversen
Quoten zugewandert sind, in Hinkunft nicht mehr nach Österreich kommen
könnten.
Zugleich muss sich Österreich bewusst sein, dass ein solcher Systemwechsel nicht automatisch bedeutet, dass die so definierten „Idealzuwanderer“
auch tatsächlich nach Österreich kommen. Im globalen Migrationsgeschehen
hat sich schon längst ein Wettbewerb um die besten, gebildetsten oder geeignetsten Zuwanderer entwickelt. Es genügt daher für ein Land nicht, sein System zu ändern und zu erwarten, dass danach die benötigten Zuwanderer von
selbst kommen. Vielmehr muss sich Österreich einem globalen Standort- und
Attraktivitätswettbewerb stellen und von einem defensiven Abwehrsystem zu
einem offensiven Attraktivierungssystem kommen. Dabei zählen für potenzielle
Migrantinnen und Migranten Faktoren wie die Attraktivität von Arbeitsplätzen,
die Bürokratie bei der Gestaltung der Zuwanderung für die Familie, die soziale
Sicherheit, die intakte Umwelt, die Attraktivität von Bildungs- und Kultureinrichtungen ebenso wie die Offenheit der Gesellschaft für Zuwanderung oder
das etwaige Vorhandensein von Fremdenfeindlichkeit.
Integration als Herausforderung in der Mitte der Gesellschaft
Die Gestaltung der Migrationspolitik entscheidet über zukünftige Entwicklungen, Potenziale und Chancen für den Standort Österreich. Im Hier und Jetzt
stellt sich jedoch eine zweite, ebenso wichtige Herausforderung: die Entwicklung einer nachhaltigen Integrationspolitik für jene Menschen, die in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten nach Österreich gekommen sind, um hier
dauerhaft als Teil der österreichischen Gesellschaft zu leben. Mehr als 1,4 Millionen Menschen in Österreich haben Migrationshintergrund. Das sind in etwa
16 Prozent der in Österreich lebenden Gesamtbevölkerung. In Wien beträgt
dieser Anteil mehr als ein Drittel mit stark steigender Tendenz.
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Die Debatte über die Gestaltung von Integration und die Entwicklung
einer Integrationspolitik ist von starken Ideologismen, konfrontativen Argumentationsmustern und tiefer Unsachlichkeit auf vielen Seiten geprägt. Während die einen von rechts auf Unsicherheit, Angst und Konfliktorientierung
setzen, betreiben die anderen von links konsequente Realitätsverweigerung
und stellen Defizite bzw. Handlungsnotwendigkeiten in Abrede. Dazwischen
agieren manche im Bereich von Nicht-Regierungsorganisationen, deren tägliche operative Arbeit für Menschen mit Migrationshintergrund seit vielen
Jahren wertvoll und wichtig ist, als Instanzen einer höheren Moral, die sich
über Fakten, Recht und Realitäten hinwegzusetzen versucht, um unter dem
Primat der Humanität staatliche Regelsysteme permanent zu hinterfragen und
zu untergraben. Sie bedienen sich dabei professioneller Medieninszenierungen
und schaffen so Polarisierungen, die auf Konfrontation statt auf Vernunft und
Augenmaß setzen. MigrantInnen werden dabei oft in eine passive Opferrolle
gedrängt und es werden Erwartungen und Hoffnungen erzeugt, die so meist
nicht realisiert werden können.
Es braucht daher Offenheit und Sachlichkeit in der Debatte und den
Mut, von Migrantinnen und Migranten wie von der Mehrheitsgesellschaft
eine Bereitschaft zur Integration einzufordern. Auf Seiten der Migrantinnen
und Migranten bedeutet das, sich den Sprach-, Bildungs- und Qualifikationsdefiziten zu stellen und als gesellschaftlichen Grundkonsens ein Bekenntnis zu
Rechtsstaat und Werten einzufordern. Auf Seiten der Mehrheitsgesellschaft bedeutet das, sich abseits tagespolitischer Schlagzeilen und konfrontativer Wahlauseinandersetzungen mit den rationalen Grundlagen für Integration auseinanderzusetzen, Vorurteile und vorhandene Ablehnungsmuster zu überwinden und
offener mit der Realität und Notwendigkeit von Migration und Integration
umzugehen.
Die politische Grundsatzfrage kann nicht mehr länger lauten, ob man für
oder gegen Migration bzw. Integration ist, sondern wie diese Prozesse steuerund gestaltbar sind. Eine professionelle Migrationssteuerung im nationalen Inter­
esse unter Berücksichtigung der humanitären Verantwortung aus dem Völkerrecht und die nachhaltige Integrationspolitik, die vorhandene Potenziale nützt,
Verantwortung einfordert und gemeinsam eine friedliche Gesellschaft fördert,
sind im 21. Jahrhundert entscheidende Wettbewerbsfaktoren für einen europäischen Staat. Die entscheidende Herausforderung liegt in der Überwindung
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eines defensiven Abwehrreglements, das Migration zunächst als ausschließliche Bedrohung definiert, in der Entwicklung eines gemeinsamen Rechts- und
Wertekonsenses, den alle als bindend anerkennen, in der Förderung von individueller Verantwortung und Initiative, damit Migrantinnen und Migranten selbst
die entscheidenden Schritte zur sprachlichen, beruflichen und gesellschaftlichen
Integration setzen können und wollen und schließlich im Erkennen der Mehrheitsgesellschaft, dass Integration Chancen sichern kann und nicht Bedrohung
oder Belastung, sondern vielmehr Perspektive und Zukunft bietet.
In den 1930er-Jahren mussten zahlreiche Menschen aus politischen, rassischen und anderen Gründen ihre Heimat Österreich verlassen. Viele von Ihnen
haben in anderen Staaten, die zur neuen Heimat wurden, erfolgreich eine neue
Existenz aufgebaut. Manche wurden zu Unternehmern, andere sogar zu Nobelpreisträgern. Österreich selbst hat über viele Jahre an diesem Verlust an Ressourcen und Potenzial gelitten. Nunmehr ist Österreich in der Situation, Menschen aus anderen Staaten, die diese aus politischen Gründen verlassen müssen
oder eine neue Lebensperspektive für sich selbst suchen, zur neuen Heimat zu
werden. Entscheidend ist, ob wir die Voraussetzungen und Möglichkeiten schaffen, dass aus diesen Menschen Ärzte, Lehrer, Facharbeiter, Polizisten, Unternehmer – und vielleicht sogar Nobelpreisträger – werden können. Dazu braucht
es Freiheit und Verantwortung, Respekt und Realitätssinn und die Bereitschaft,
Migration und Integration als zentrales politisches Handlungsfeld zu begreifen.
Literatur
Es wurde bewusst auf Fußnoten und Zitate verzichtet. Der Autor empfiehlt zur weiteren Lektüre bzw. als Referenz- und Nachschlagewerke folgende Publikationen:
FASSMANN, HEINZ (Hg.): 2. Österreichischer Migrations- und Integrationsbericht. Drava Verlag. Klagenfurt, 2007.
Integration in Österreich – Einstellungen / Orientierungen / Erfahrungen. GfK AUSTRIA GmbH, 2009.
migration&integration: zahlen.daten.fakten 2009. Herausgegeben vom ÖSTERREICHISCHEN INTEGRATIONSFONDS.
OECD INTERNATIONAL MIGRATION OUTLOOK 2009: International Migration and the Economic Crisis – Understanding the Links
and Shaping Policy Responses.
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