Positionspapier Migration und Integration als Querschnittsthema in

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Positionspapier
Migration und Integration
als Querschnittsthema in den Generationsübergreifenden Freiwilligendiensten (GüF)
und im bürgerschaftlichen und freiwilligen Engagement
Stand 18.10.2007
Migration ist empirisch normal. Sie ist einer der Faktoren, die die kulturelle und religiöse Vielfalt, die den
Reichtum Deutschlands als Einwanderungsland ausmacht, schaffen. Diese Vielfalt spiegelt sich in den
alltäglichen Interaktionen beispielsweise am Arbeitsplatz, beim Einkaufen und in Sportvereinen, wo sie
eine große Bereicherung darstellt. Sie kann aber auch Schwierigkeiten aufwerfen, die wahrgenommen
und gelöst werden müssen. Die Gestaltung der Einwanderungsgesellschaft ist zu einer zentralen
Aufgabe unserer heutigen Zeit geworden.
Heute leben laut Mikrozensus 2005 in Deutschland etwa 15 Mio. Menschen (18,6% der Bevölkerung),
die selbst eingewandert sind oder mindestens einen Elternteil haben, der nicht in Deutschland geboren
wurde. Jede sechste Ehe ist bikulturell und schon heute haben bereits ca. 30 Prozent der
Neugeborenen zumindest einen Elternteil nicht-deutscher Herkunft; z.B. in Berlin und Köln sind es
bereits 40 Prozent.
Mit der demographischen Entwicklung in Deutschland gehen Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt
einher, aber auch neue kulturelle und zivilgesellschaftliche Herausforderungen sind auf die Potenziale
dieser Einwanderer und Einwanderinnen angewiesen: In Institutionen und Unternehmen aller Branchen
arbeiten längst Menschen unterschiedlicher Herkunft und mit verschiedenen kulturellen, sozialen und
religiösen Hintergründen zusammen. Diese Vielfalt stellt eine Ressource für Unternehmen und
Institutionen dar, denn sie birgt Kompetenzen, die die Arbeit bereichern und nach außen positiv auf
KundInnen und KooperationspartnerInnen wirken. Junge Menschen mit Migrationshintergrund bringen
Fähigkeiten mit, die im Bildungs- und Ausbildungssystem anerkannt und gefördert werden müssen,
damit diese wertvolle Ressource nicht verloren geht. Auch die zivilgesellschaftlichen Institutionen in
Kultur, Sport, Erziehung usw. können von kultureller Vielfalt noch mehr profitieren.
Die Gesellschaft als Gesamtsystem muss nachhaltig mit dieser Normalität umgehen
Dies alles erfordert die Anerkennung von Integration als dauerhafte Gestaltungsaufgabe auf sämtlichen
Ebenen der Gesellschaft (ökonomisch, politisch, sozial und kulturell).
Integration aus unserer Sicht ist nicht die Integration von BürgerInnen mit Migrationshintergrund in ein
bestehendes kulturell-sozial-ökonomisches System, sondern der wechselseitige Prozess der Gestaltung
und Definition dieses Systems durch alle Mitglieder einer Gesellschaft – ob mit und ohne
Migrationshintergrund – auf einer gleichberechtigten Basis (die in vielen Fällen im Verlauf dieses
Prozesses noch zu schaffen ist).
Der Bericht der Unabhängigen Kommission „Zuwanderung“ (2001) spricht von einem neuen Paradigma
„Integration“ – einem permanenten und aktiv zu gestaltenden Prozess, der zum Aufbau einer auf
Gegenseitigkeit und Verantwortung beruhenden Beziehung führt. Integration bedeutet neue
Herausforderungen sowohl für Migranten und Migrantinnen als auch für die Mitglieder der
Mehrheitsgesellschaft. Diese können auch verunsichern. Es ist jedoch nicht angebracht, über
Integrationswilligkeit von Migranten und Migrantinnen zu
sprechen, ohne zugleich die
Integrationsfähigkeit der Mehrheitsgesellschaft einzufordern.
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Ziel einer modernen Integrationspolitik muss es sein, Migranten und Migrantinnen eine gleichberechtigte
Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen. Sie muss individuelle Ressourcen anerkennen
und fördern. Integration setzt die Herstellung von Chancengerechtigkeit und Rechtsgleichheit voraus.
Dies bedeutet im Zuge interkultureller Öffnung die Herstellung von gleichberechtigten
Zugangsmöglichkeiten zu und Repräsentation in allen zentralen Bereichen der Gesellschaft – zu Arbeit,
Bildung und Ausbildung, Wohnen und den Angeboten sozialer Dienstleistung, zu politischen und
kulturellen (Freizeit)aktivitäten. Es ist Aufgabe der Politik, die Voraussetzungen zur Herstellung gleicher
Ausgangspositionen zu schaffen.
Eine erfolgreiche Integration erfordert aber auch die Möglichkeit und die Bereitschaft, sich aktiv mit
kultureller Vielfalt auseinander zu setzen und sich auf ihre Entwicklungen und gemischtkulturellen
Verschränkungen einzulassen. Die Akzeptanz von kultureller Vielfalt ist eine Herausforderung für die
Politik und das Bildungswesen der sich in Zukunft noch weiter pluralisierenden Gesellschaft der
Bundesrepublik Deutschland.
Bürgerschaftliches und freiwilliges Engagement sind wichtige Stützpfeiler einer
pluralistischen, demokratischen Gesellschaft
Integration ist aber weder eine allein vom Staat zu bewältigende Aufgabe noch ausschließlich
Privatsache. Gelingen kann sie nur als zivilgesellschaftliches Projekt, in das sich alle Mitglieder unserer
Gesellschaft, gleich welcher Nationalität und Herkunft, eingebunden fühlen. Integrationspolitik – als
dauerhafte gesellschaftliche Aufgabe – muss somit auf die Kräfte der Zivilgesellschaft rekurrieren. Die
Umsetzung von konkreten Integrationsangeboten ist auf zivilgesellschaftliches Engagement und auf die
Institutionen der Zivilgesellschaft angewiesen.
Integration ist somit als gesamtgesellschaftliche Querschnittsaufgabe zu denken, an der sich neben der
Politik auch soziale Institutionen und Organisationen, Verbände und Religionsgemeinschaften und vor
allem jede/r Einzelne beteiligen muss.
Nicht zuletzt die neue Regierungsinitiative „Miteinander Füreinander“ für „ZivilEngagement“ zeigt, dass
die Bundesregierung dem Engagement der Bürgerinnen und Bürger zu Recht einen hohen Stellenwert
einräumt. Im nationalen Integrationsplan wird auf die besondere Bedeutung des Engagements von
Menschen mit Migrationshintergrund hingewiesen. Diesen Absichtserklärungen müssen nun konkrete
Handlungsschritte folgen.
Die Bereitschaft zum Bürgerengagement ist ein Indikator für den integrierenden Charakter einer
demokratischen Gesellschaft und für die Identifikation mit dieser. Effektive Integrationsarbeit muss
notwendigerweise auf die Effekte von Selbsthilfe, Bürgerengagement und Selbstorganisation von
MigrantInnen und Einheimischen setzen.
In das Leitbild der „Bürgergesellschaft“ gehören Integrations- und Engagementkonzepte, die
- interaktiv, d.h. auf ein Zusammenwirken und aufeinander Zugehen von Menschen mit und ohne
eigene Zuwanderungsgeschichte hin orientiert,
- emanzipatorisch, d.h. auf die Anerkennung und Wertschätzung hybrider Identitäten entlang der
Markierungen Religion und Kultur, Bildung und Beruf, Geschlecht und Alter, politische
Haltungen und sozialem Engagement, etc.
- und partizipativ, d.h. die Mitwirkung und Mitentscheidung von Einzelnen, Gruppen und
Organisationen anbietend und einfordernd
ausgerichtet sind.
Integration geschieht vor Ort in Wohnvierteln, Schulen und Betrieben. Dazu braucht es Lernprozesse,
um mit gegenseitigen Unsicherheiten, die zur Normalität jeder Einwanderungsgesellschaft gehören,
umzugehen. Es braucht Gelegenheiten, um voneinander zu erfahren, von den eigenen Traditionen zu
erzählen und sich damit anerkannt zu fühlen, aber auch um vertraute Symbole, feste Gewohnheiten und
Traditionen im Kopf zu korrigieren und Schubladen im Denken abzubauen. In diesem Sinne darf
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bürgerschaftliches Engagement nicht nur verstanden werden als Engagement für eine sich
integrierende Gesellschaft, sondern auch als das legitime und wertvolle Anliegen ihrer Mitglieder nach
persönlichem Wachstum, Lernen und Erfahrungsreichtum. Es ist aber auch zu fragen nach den
strukturellen Voraussetzungen von Engagement: nur wer sich als Bürger fühlt und alle Bürgerrechte
besitzt, kann sich bürgerschaftlich engagieren.
Geregelte Freiwilligendienste können und sollten hier einen Beitrag leisten
Das Modellprogramm „Generationsübergreifende Freiwilligendienste“ kann einen Rahmen bzw. ein
Forum für derartige Lernprozesse zur Verfügung stellen. Dieser sollte sich auch für die Zielgruppe der
MigrantInnen als Freiwillige sowie für die Migrantenorganisationen als Projektträger verstärkt öffnen.
Deswegen sollten MigrantInnen als Zielgruppe auch eines geregelten Freiwilligendienstes stärker
berücksichtigt werden: Der zweite Freiwilligensurvey des Bundesministeriums für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend (BMFSFJ) verweist darauf, dass MigrantInnen ein hohes Engagementpotenzial
besitzen, das zum gegenwärtigen Zeitpunkt (noch) nicht ausreichend genutzt wird. D.h. sie haben ein
hohes Interesse an einem Engagement, es fehlen oftmals allerdings die Zugangsmöglichkeiten und/
oder die nötigen institutionellen und organisatorischen Rahmenbedingungen.
Zudem sollte die Einbindung von Selbstorganisation der MigrantInnen gleichberechtigt und
konsequent verfolgt werden: Selbstorganisationen der Migrantinnen und Migranten erbringen eine
Vielzahl von Leistungen, stellen soziale Netzwerke dar und haben sich darüber hinaus zunehmend zu
Interessenvertretungen von Minderheitengruppen in vielen Lebens- und Problemlagen entwickelt.
Selbstorganisationen verfügen über bedeutende Integrationspotentiale, die den wechselseitigen
Prozess zwischen Migranten und Migrantinnen einerseits und der Aufnahmegesellschaft andererseits
beeinflussen und stabilisierend gestalten können.
Bürgerschaftliches und freiwilliges Engagement sind Wege die gesamtgesellschaftliche Integration und
Partizipation nachhaltig zu unterstützen. Die „Generationsübergreifenden Freiwilligendienste“ haben
dazu bereits einen wichtigen Beitrag geleistet und Prozesse angestoßen. Dieser sollte unbedingt
weiterhin unterstützt und finanziell gefördert werden. Aus unserer Sicht sollten folglich die
„Generationsübergreifende Freiwilligendienste“ in Zukunft
• Zielgruppen unterschiedlicher sozialer und kultureller Hintergründe aktiv einbinden.
• Zielgruppen aller Generationen, auch Jugendliche und junge Erwachsene, aktiv einbinden.
• mit MigrantInnenorganisationen zusammenarbeiten.
• Beteiligung und Mitbestimmung der freiwillig Engagierten ermöglichen.
• fachliche und individuelle professionelle Begleitung der Freiwilligen sicherstellen.
• Qualifizierungs-, Bildungs- und Orientierungscharakter haben.
• systematische Anerkennungskultur gewährleisten.
• eine fest definierte Einsatzdauer (zwischen 3 und 24 Monaten) haben.
• durch eine schriftliche Vereinbarung, Auslagenersatz und Versicherungsschutz strukturell
gerahmt sein.
• Freiwilliges Engagement in unterschiedlichem Umfang (geringe bis hohe Wochenstundenzahl)
fördern.
Gleichzeitig sollten andere bereits bestehende Freiwilligendienstmodelle auf ihre Offenheit für die
Zielgruppe der MigrantInnen und Kooperationen mit MigrantInnenorganisationen überprüft und
angepasst werden.
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Verfasserinnen:
Kira Funke, Bundeskoordinatorin des trägergruppenübergreifenden Bundesmodellprojektes „freiwillig? –
na klar! - Freiwilligendienste von jungen Menschen mit Migrationshintergrund in den
Jugendmigrationsdiensten“
Simone Böddeker, Projektkoordinatorin des „Transkulturellen und interreligiösen Lernhauses der
Frauen“
Bundesarbeitsgemeinschaft
ev. Jugendsozialarbeit (BAG EJSA)
Katholische Fachhochschule NW
Transkulturelles und Interreligiöses Lernhaus der Frauen
- Büro Bonn -
Bundeskoordination „freiwillig? – na klar!“
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Tel: 0228 - 95 968-24
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Wörthstr. 10
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Tel: 0221 – 7757 - 318
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