ianus 4/1998 - IANUS, TU Darmstadt

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Interdisziplinäre Arbeitsgruppe Naturwissenschaft, Technik und Sicherheit
Interdisciplinary Research Group Science, Technology and Security
Arbeitsbericht
Working Paper
IANUS 4/1998
Wolfgang Sender
Ethische Aspekte prospektiver Technikbewertung:
Das Beispiel Kernfusion
Antrittsvorlesung
im Fachbereich Gesellschafts- und Geschichtswissenschaften
der Technischen Universität Darmstadt
IANUS - Technische Universität Oarmstadt - Hochschulstraße 10
0-64289 Oarmstadt, Germany
Tel.: 061 51/164368 (Sekretariat) - Fax: 0 61 51/16 6039
Mail: IANUS @hrzpub.th-darmstadt.de - Internet: http://www.th-darmstadt.de/zelianus
Wolfgang Bender
Ethische Aspekte prospektiver Technikbewertung:
Das Beispiel Kernfusion
1. Der Arbeitskontext der Überlegungen
Die Überlegungen, die ich Ihnen heute vortragen möchte, stehen im Zusammenhang
eines längeren interdisziplinären Arbeits- und Diskursprozesses, an dem viele der
hier Anwesenden beteiligt sind. In diesem Prozeß ging und geht es um die
Entwicklung von ethischen Beurteilungs- und Gestaltungskriterien, die in die
Technikforschung und -bewertung eingebracht werden sollten. Natürlich lag dies in
meinem Interesse als Sozialethiker. Das Wichtigste aber war doch, daß ich von
Kolleginnen und Kollegen aus anderen Disziplinen immer wieder angefragt und
herausgefordert wurde.
Einer der ersten Versuche, solche Kriterien zu benennen und auch zu konkretisieren,
fand seinen Niederschlag in einem Text mit dem Titel "Menschen- und
gemeinwohlgerechte Softwareentwicklung". Dieser Entwurf wurde weiterentwickelt
im Rahmen des jetzt schon viele Jahre laufenden Lehrprojekts "Sozialorientierte
Gestaltung von Informations- und Kommunikationstechnologie", an dem
Informatiker, Pädagogen, Psychologen, Soziologen und Sozialethiker gleichermaßen
beteiligt sind.
Die Ausformung der Kriterienkataloge zu einem "Strukurmodell ethischer
Urteilsbildung" fand vor allem im Rahmen des interdisziplinären Projekts "Ethische
Kriterien bei Unternehmensentscheiungen im Bereich Biotechnologie/Gentechnik"
statt, in dem Mitglieder des Instituts fur Biochemie, des Instituts für Theologie und
Sozialethik und des Zentrums fur Interdisziplinäre Technikforschung (ZIT)
zusammenarbeiten.
Dieses Strukturmodell - um es nur ganz kurz zu erläutern - geht von einem problemorientierten Ansatz der Technikbewertung aus, fragt also zuerst nach dem
menschlichen oder gesellschaftlichen Problem, das gelöst werden soll, und der
entsprechenden Zielsetzung des HandeIns. Inwieweit Zielsetzungen ethisch
gerechtfertigt werden können, soll anhand der Leitkriterien von Erhaltung und
Entfaltung der Menschheit überprüft werden. In einem zweiten Schritt werden die
Mittel, vor allem auch die technischen Mittel, die zur Problemlösung beitragen
können, benannt und mit den Kriterien der Human-, Sozial-, Umwelt- und
Zukunftsorientierung konfrontiert. Hier ist dann auch die technikinduzierte
Bewertungsdiskussion zu führen.(l)
Das Strukturmodell ethischer Urteilsbildung spielte gleichzeitig eine Rolle in
verschiedenen Projekten in der Interdisziplinären Arbeitsgruppe Naturwissenschaft,
Technik und Sicherheit (lANDS), zum Beispiel in dem Projekt "Verantwortbare
Energieversorgung für die Zukunft"(2), dem Projekt "Endlagerung oder
Langfristzwischenlagerung atomarer Abfälle" und jetzt vor allem in dem Projekt
1
"Neue Nukleartechnologien zwischen Naturwissenschaft und Ethik", zu dem
natürlich auch die Auseinandersetzung mit der Kernfusion gehört.
Der Kontakt mit den Frankfurter Kollegen aus Theologie und Sozialethik fand im
Rahmen des dort betriebenen Projekts "Ethische Kriterien für die Bewertung von
Unternehmen" statt, dessen Ergebnis in Gestalt des "Frankfurt-Hohenheimer
Leitfadens" vorliegt und einen vergleichbaren Kriterienkatalog enthält, in dem das
Kriterium der Kulturverträglichkeit eine hervorragende und uns anregende Rolle
spielt.(3)
Auch die, die am Institut rur Theologie und Sozialethik im Lauf der letzten Jahre
studiert haben und hier anwesend sind, haben ihren Anteil an meinen Überlegungen.
Sie haben - gerade weil sie durch ihr technisches Hauptfach die entsprechende
Kompetenz besitzen - mich immer wieder durch ihre Fragen herausgefordert und
mich auch dazu gebracht, die ethischen Probleme in einer verständlichen Sprache zu
formulieren. Dabei ist mir die Warnung Theodor W. Adornos durchaus gegenwärtig.
Danach muß, wer der Demoralisierung entgehen will, ,jeden Rat, man solle auf
Mitteilung achten, als Verrat am Mitgeteilten durchschauen".(4)
Es ist mir wichtig, diese Zusammenhänge in Erinnerung zu rufen. Ich stehe in diesen
vielfältigen Diskursprozessen und verdanke ihnen mehr, als sich ermessen läßt.
Darur möchte ich allen Kolleginnen und Kollegen, die daran beteiligt waren und
sind, danken.
Damit kann ich zu dem Gegenstand dieser Vorlesung kommen: zur Frage der
Kernfusion und ihrer Bewertung unter ethischen Aspekten.
2. Warum die Kernfusion ein wichtiger Gegenstand für die Technikbewertung
ist.(S)
Warum befassen wir uns - wir, d.h. eine Arbeitsgruppe von IANUS in Kooperation
mit
dem
Öko-Institut
Darmstadt
in
einem
interdisziplinären
Technikbewertungsprojekt überhaupt mit der Kernfusion? Es ist doch frühestens
nach 2050 mit Energie aus der Fusion zu rechnen, - wenn überhaupt. Denn noch ist
weder sicher, daß die Kernfusion technisch machbar, noch daß sie industriell
umsetzbar ist. Warum also machen wir trotzdem die neuen Nukleartechnologien und
damit auch die Fusion zum Gegenstand eines Forschungs- und Diskursprojekts? Ich
nenne fünf Gründe.
a) Das Energieproblem stellt eine der größten und schwierigsten Herausforderungen
rur Politik, für die Gesellschaft und ihre Mitglieder, rur Wissenschaft und Technik
dar. Bei seiner Analyse sind zunächst drei harte Fakten zu berücksichtigen:
* Die gegenwärtige Art der Energiegewinnung ist mit unerwünschten Folgen
verbunden: die Nutzung fossiler Brennstoffe mit einem hohen Ausstoß von
Kohlendioxyd und anderen treibhausrelevanten Gasen, die Kernspaltenergie mit
radioaktiver Strahlung bei der Gewinnung des Urans, bei Reaktorunfällen, bei der
Entsorgung und auch beim normalen Betrieb.
2
* Der Energieverbrauch
ist in den Ländern der Erde sehr unterschiedlich. Länder
mit einem extrem niedrigen Verbrauch - z.B. Bangladesh oder einige Länder Afrikas
- stehen Industrieländern mit extrem hohem Energieverbrauch gegenüber. Hinzu
kommen Länder, die eine sehr expansive Energiepolitik begonnen haben und in den
nächsten Jahrzehnten weiterbetreiben werden, z.B. Indien und vor allem China.
* Die Weltbevölkerung wächst weiter an. Bis zur Mitte des nächsten Jahrhunderts
werden 9 bis 10 Milliarden Menschen die Erde bewohnen und über die
lebensnotwendige Energie verfügen wollen.
Drei weitere Umstände sind bei der Beschreibung des Problems zu berücksichtigen:
* Der Energieverbrauch steht in einem deutlichen Zusammenhang mit
Lebensformen. Der hohe Energieverbrauch in den Industrieländern ist u.a. abhängig
von
Konsumgewohnheiten
z.B.
Ernährungsweisen,
Wohnkomfort,
Mobilitätsansprüchen. Die Änderung dieser Konsumgewohnheiten könnte nicht
unerheblich zur Senkung des Energieverbrauchs beitragen. Gewohnheiten erweisen
sich allerdings als sehr resistent. Deshalb ist es eine offene Frage, ob es in den
Industrieländern zu veränderten Lebensstilen kommen wird. Eher ist zu erwarten,
daß sich die Lebensstile in den Entwicklungsländern denen in den Industrieländern
anpassen.
* Die Entwicklung der Weltgesellschaft ist durch die Ungleichzeitigkeiten zwischen
Industrienationen,
Schwellenländern,
Entwicklungsländern
mit
höherem
Industrialisierungstempo und den ärmsten Ländern bestimmt. Es ist noch nicht
abzusehen, in welcher Weise sich die Globalisierung der Märkte und die
Internationalisierung der Unternehmen auf die ärmsten Entwicklungsländer - z.B. auf
dem afrikanischen Kontinent - auswirken wird, ob sie von der Entwicklung
abgekoppelt werden oder nicht.
* Bislang war die gesellschaftliche Entwicklung an die Erhöhung des
Energieverbrauchs gekoppelt. Inzwischen hat sich in einigen Industrienationen
deutlich gezeigt, daß diese Koppelung nicht notwendig sein muß. Offen ist allerdings
die Frage, in welchem Ausmaß eine Entkoppelung gelingen kann. Bezüglich der
Entwicklungsländer wird man beachten müssen, daß eine Verringerung des
Bevölkerungswachstums nicht ohne Erhöhung des Energieverbrauchs möglich sein
wird; d.h. dort ist vorerst an eine Entkoppelung nicht zu denken.
Das ist also - in groben Umrissen - das Problem, vor dem diejenigen stehen, die bei
der Technikbewertung von einem problemorientierten Ansatz ausgehen wollen.(6)
Aufgrund dieser Problembeschreibung läßt sich die folgende Zielsetzung
formulieren: Sicherstellung einer nachhaltigen und gerechten Energieversorgung
bis zur Mitte des nächsten Jahrhunderts und darüber hinaus. Diese Zielsetzung ist
an dem allgemein anerkannten normativen politischen Konzept des "sustainable
development" orientiert und läßt sich angesichts der ethischen Leitkriterien
Erhaltung
der
Menschheit
in
ihren
natürlichen
und
kulturellen
3
Lebenszusammenhängen und der individuellen und sozialen Entfaltung
(Selbstbestimmung, Kommunikation, Partizipation) rechtfertigen.
Will man der Gefahr von Energieverteilungskämpfen vorbeugen, indem man die
Situation in den Entwicklungsländern verbessert und gleichzeitig den
Energieverbrauch in den Industrieländern einschränkt und in den Schwellenlänern
drosselt, ergibt sich für die Jahrzehnte von 1990 bis 2050 - so sieht es die Mehrzahl
der Szenarien - eine Steigerung des Bedarfs an Primärenergie, wobei aber aus
ökologischen Gründen die Belastung der Atmosphäre durch Treibhausgase drastisch
verringert und die Gefahr umwelt- und gesundheitsgefährdender radioaktiver
Strahlung beseitigt werden muß.
Angesichts eines so komplexen und schwierigen Problems und eIner
überlebensnotwendigen Zielsetzung sind alle in Frage kommenden Mittel, auch
alle technischen Mittel, die der Erreichung des Ziels dienlich sein können, zu prüfen
und zu vergleichen. Dazu gehören auch die neuen Nukleartechnologien, darunter die
Kernfusion, auch wenn sie - im günstigsten Fall - erst nach 2050 zur Verfügung
stehen werden. Jedenfalls verspricht die Kernfusion - im Vergleich zu den fossilen
Energieträgern eine kohlendioxydarme und - im Vergleich zur Spaltenergie - eine sicherere, mit
radioaktiven Abfällen geringerer Gefährlichkeit belastete, nahezu unbegrenzt
verfügbare Energieversorgung.(7)
b) Die zweite begründende Überlegung muß zu dieser ersten als notwendige
Ergänzung hinzugefügt werden. Sie bezieht sich auf den ethischen Gesichtspunkt der
intergenerationellen Gerechtigkeit und besagt, daß wir durch unsere heutigen
Handlungen oder Unterlassungen die Entscheidungs- und Gestaltungsspielräume
kommender Generationen nicht einschränken, sondern eher erweitern sollten. Das
heißt: wir sollten auch die Option Kernfusion für nachfolgende Generationen
offenhalten. Dabei werden unterschiedliche Abstufungen diskutiert, wie man dieses
Prinzip, eine Option offenzuhalten, verwirklichen könnte. Die niedrigste Stufe wäre
die, daß man in einem Land auf eigene Aktivitäten verzichtet, im Wissen darum, daß
anderwärts an der Kernfusion weitergearbeitet wird; man würde diese
Entwicklungen verfolgen, um sich gegebenfalls zu einem späteren Zeitpunkt an
ihnen zu beteiligen. Eine nächste Stufe bestünde darin, die Grundlagenforschung
begrenzt weiter zu betreiben, um einem naturwissenschaftlichen und technischen
Fadenriß vorzubeugen. Eine dritte Stufe würde vorsehen, die Forschungen
weiterzutreiben bis zum Nachweis der technischen Machbarkeit der Kernfusion in
einem Experimentalreaktor, während die vierte Stufe das Ziel hätte, die industrielle
Realisierbarkeit und ihre ökonomischen Rahmenbedingungen in Reaktorprototypen
zu prüfen. Ich kann die einzelnen Abstufungen hier nicht weiter verfolgen, will aber
sagen, daß ich mich - unter Bedingungen, die noch genannt werden - für die dritte
Art von Option entscheide.
4
c) Es reicht allerdings nicht aus, das Prinzip von den offenzuhaltenden Optionen ins
FeId zu ruhren, um sich allein unter Berufung darauf rur die weitere Forschung und
Entwicklung der Kernfusion einzusetzen. Allein schon mit Rücksicht auf die
begrenzten finanziellen Ressourcen ist es gar nicht möglich, alle Optionen, die wir
offenhalten möchten, auch tatsächlich offenhalten zu können. Es müssen also
speziellere Gründe genannt werden, warum die Kernfusion unter diesen
offenzuhalten Optionen sein sollte. Ein solcher Grund ist die Unsicherheit der
Prognosen bezüglich des Energiebedarfs bis 2050 und darüber hinaus sowie
bezüglich des in diesen Zeiträumen erreichbaren Energiemixes aus erneuerbaren
Energien, kohlendioxydärmeren fossilen Energien und Kernspalt- bzw.
Kernfusionsenergien. Insbesondere die folgenden Gesichtspunkte sind zu
berücksichtigen:
* Zumindest auf längere Sicht muß auf die Nutzung fossiler Brennstoffe aus zwei
Gründen verzichtet werden: ihre Verbrennung stellt eine nicht mehr tolerierbare
Belastung der Atmosphäre dar; die begrenzten Vorräte müssen wichtigeren
Nutzungen zugeruhrt werden.
* Die Kernspaltungsenergie ist wegen der begrenzten Uranvorräte längerfristig nicht
zukunftsfähig; die Brütertechnologie, die eine wesentlich längere zeitliche
Reichweite ermöglichen könnte, wird wegen der erheblichen Probleme mit
Funktionsfähigkeit, Sicherheit und folglich auch Wirtschaftlichkeit nicht weiter
verfolgt; wenn sich ein katastrophenfreier Leichtwasserreaktor als realisierbar und
wirtschaftlich erweisen sollte, wären die kostengünstig auszubeutenden Uranvorräte
- ohne eine Steigerung der installierten Kraftwerkskapazität - in etwa einem
Jahrhundert aufgebraucht.(8)
* Es ist nicht sicher, daß die erneuerbaren Energien bis zum Jahr 2050 und
darüberhinaus einen so hohen Anteil an der Energieversorgung übernehmen, daß sie
allein die fossilen Brennstoffe ersetzen können.(9) Außerdem ist bislang keine
Solartechnik in der Lage, den Bedarf großer Ballungszentren, den Bedarf an
Prozeßwärme in der Industrie decken und die Energie-Grundlast sicherstellen zu
können.
Da sich zur Zeit nicht abzeichnet, wie bestimmte energierelevante Gegebenheiten der
Industriegesellschaft, z.B. die voranschreitende Urbanisierung, die energieintensive
Industrie, die globale Mobilität, verändert werden können, ist unter den möglichen
Mitteln einer langfristigen Sicherung der Energieversorgung die Nutzung neuer
nuklearer Technologien zu erwägen und über die Bedingungen ihrer verantwortbaren
Gestaltung nachzudenken.
Wer dafür plädiert, die Option z.B. rur die Fusionsenergie offenzuhalten, muß sich
allerdings bewußt sein, daß ihre technische Realisierbarkeit weder in einem
Experimentalreaktor noch gar in einer Großanlage erwiesen ist, daß noch unklar ist,
welches Reaktorkonzept - Plasma-Magnetfeld-Einschluß (Tokamak, Stellarator) oder
Trägheitsfusion - die bessere Lösung darstellt und daß die Weiterentwicklung der
Fusionstechnik außerordentlich hohe Investitionssummen erfordert, die sich dann
5
noch vervielfachen, wenn man sich nicht von vornherein auf nur eInen Weg
festlegen, sondern die verschiedenen Konzepte prüfen will.
Bei den Schwierigkeiten und offenen Fragen, denen sich der Fusionsweg zusammen mit anderen neuen nuklearen Konzeptionen - gegenübersieht, müssen
alternative Szenarien weiter verfolgt und die Weiterentwicklung vorhandener und
beherrschter, risikoarmer Technologien mit Priorität gefördert werden. Dies ist eine
der Bedingungen für das Offenhalten der Option Fusion, von denen ich vorher
gesprochen habe.
d) Ein weiterer Grund, warum wir uns mit neuen nuklearen Technologien
beschäftigen, hängt mit unserem Konzept einer prospektiven Technikbewertung
und einer prospektiven Ethik zusammen.(IO) Bisher befaßten sich
Technikbewertungen fast ausschließlich mit bereits entwickelten und eingeführten
Technologien. Das Beispiel der Diskussion über die Risiken der zivilen Nutzung der
Kernspaltenergie liegt auf der Hand. Solche Bewertungsprozesse haben ihre
Bedeutung und sind unverzichtbar~ Sie haben aber auch ihre Grenzen, insofern sie es
mit einer weitgehend fertigen Technologie zu tun haben, die durch die in der
Diskussion erarbeiteten Berwertungsgesichtspunkte kaum noch geändert werden
kann. So geriet die Technikbewertung leicht in die Situation zu spät gekommenen
Warners. Deswegen bedarf es einer prospektiven Technikbewertung. Sie will bereits
im Stadium der anwendungsorientierten Forschung einsetzen und im Dialog mit
allen an
einem Projekt Beteiligten und interessierten Disziplinen
Bewertungskriterien entwickeln und präzisieren. Gerade weil der kommunikative
Bewertungsprozeß
bereits die frühen Phasen einer Technologieentwicklung
begleitet, können die Bewertungskriterien Einfluß auf die Gestaltung einer Technik
gewinnen. Die Berwertungskriterien werden zu Gestaltungskriterien.
Die Kernfusion ist eine Technologie, die sich noch mitten im Stadium der Forschung
und Entwicklung befindet. Hier lassen sich also Erfahrungen und Erkenntnisse
sammeln, inwieweit es gelingen kann, sich in diesem Stadium auf
Gestaltungskriterien in einem diskursiven Prozeß zu einigen, und inwieweit es
möglich ist, daß diesen Kriterien dann auch tatsächlich bei der Technikgestaltung
Rechnung getragen wird. An dieser Stelle ist unser interdisziplinäres
Forschungsinteresse angesiedelt.
e) Der zu spät gekommene Bewertungsdiskurs ist ein Grund dafür, daß der dringend
notwendige gesellschaftliche Diskurs über die künftige Energieversorgung vorsichtig gesagt - ins Stocken geraten ist. Daraus läßt sich ersehen, daß prospektive
Technikbewertungsprozesse für Industriegesellschaften eine besondere Bedeutung
haben. Sie werden nur überlebensfähig bleiben, wenn über die technologischen
Entwicklungen und über die technologiebedingten Veränderungen des
gesellschaftlichen Zusammenlebens ein breiter Konsens erreicht und gesichert
werden kann. Dies wird dann gelingen, wenn rechtzeitig ein breiterer
gesellschaftlicher Diskurs über Verantwortbarkeit und Wünschbarkeit neuer
6
Technologien geführt wird, wenn also über die Überzeugung von der AkzeptabiIität
einer Entwicklung ihre gesellschaftliche Akzeptanz begründet werden kann. Damit
ist das gesellschaftspolitische Interesse benannt, das wir mit dem Forschungs- und
Diskursprojekt verbinden.
Damit sollte das Wichtigste über die Gründe, warum die Kernfusion ein sinnvoller
Gegenstand für prospektive Technikbewertung sein kann, angesprochen sein. Ich
möchte nun für die, die sich nur sehr am Rande mit neuen nuklearen Technologien
befassen konnten, in aller Kürze auf den bisherigen Weg der Fusionsforschung, den
ihren gegenwärtigen Stand und ihre Perspektiven eingehen.
3. Die Kernfusion: der bisher zurückgelegte Weg, der gegenwärtige Stand und
die Perspektiven
Bereits im Jahr 1952 wurde in der Sowjetunion - unter Beteiligung von Andrej D.
Sacharow das Konzept eines Fusionsreaktors erfunden, der mit dem Kürzel
Tokamak - rür Toroidalnaya Kamera Magnitnaya Katuschka - bezeichnet wird. Der
Name bringt zum Ausdruck, wie man eines der schwierigen Probleme der
Kernfusion zu lösen gedachte, das Problem des Plasma-Einschlusses. Die Elemente nach dem heutigen Stand der Dinge die Wasserstoffisotope Deuterium und Tritium befinden sich im vierten Aggregatzustand, dem Plasmazustand. Dieser ist dadurch
charakterisiert, daß sich durch Erhöhung der Temperatur die im gasförmigen Zustand
noch intakten Atome in Elektronen und Atomkerne (Ionen) auflösen. Dieser Zustand
ist einerseits außerordentlich instabil, andererseits kann es gerade in ihm - bei
weiterer Energiezufuhr - zur Verschmelzung von Deuterium und Tritium zu Helium
kommen, wobei enorme Energien freigesetzt werden. Die Instabilität des Plasmas
stellt die Fusionstechnik vor die schwierige Aufgabe, das Plasma unter Verschluß zu
halten - es einzuschließen -, für eine gleichmäßige Verteilung der Bestandteile des
Plasmas zu sorgen und die chaotische Dynamik des Plasmas so zu steuern, daß
Plasma-Abrisse vermieden werden. Der so beschriebene Plasmaeinschluß ist die
Voraussetzung dafür, daß der Fusionsprozeß eingeleitet werden kann. Beim
Tokamak wird das Plasma in einem toroidalen Gefäß mit Hilfe von Magnetfeldern
eingeschlossen und durch ebensolche Felder in einem gleichmäßigen Zustand
gehalten.(11)
Das Prinzip des Plasma-Einschlusses war also bereits 1952 bekannt. Bei der
Eröffnung der ersten Genfer Atomkonferenz 1955 wurde die Zuversicht geäußert,
innerhalb der nächsten zwei Jahrzehnte die technischen Probleme zu lösen, die einer
kontrollierten Freisetzung von Fusionsenergie noch im Wege stehen.(12) Inzwischen
wissen wir, daß aus einem 20- oder 25jährigen Projekt ein Jahrhundertprojekt
geworden ist. Die Schwierigkeiten, die Plasmaphysik und -technik zu lösen hatten,
erwiesen sich als ungleich größer als ursprünglich erwartet. In Kenntnis dieser
7
Schwierigkeiten ist der bis heute erreichte Stand beachtlich und auch ein Grund, die
weitere Forschung und Entwicklung nicht vor dem Nachweis der technischen
Machbarkeit der Fusion in einem Experimentalreaktor abzubrechen.
Ich gehe auf andere Konzepte der Fusionsforschung und -technik nicht ein, sondern
zähle nur einige der wichtigsten Stationen der Tokamakentwicklung bis zur
Gegenwart auf. 1958 wurde die Europäische Atomgemeinschaft gegründet und das
erste Euratom-Forschungsprogramm aufgelegt. Zwei Jahre später wurde das Institut
rur Plasmaphysik (IPP) in Garching eröffnet, das heute als Max-Planck-Institut ein
Großforschungszentrum mit ca. 1000 MitarbeiterInnen, darunter ca. 250
WissenschaftlerInnen ist und u.a. über einen Tokamak verrugt. Der Bau eines
europäischen Tokamak, des "Joint European Torus" (JET) wurde 1972 beschlossen
und 1983 bei Oxford in Betrieb genommen. Inzwischen gilt der JET als das
erfolgreichste Fusionsexperiment, besonders nachdem 1991 zwei Entladungen einer
Deuterium-Tritium-Mischung durchgeführt wurden. Dabei konnte bei einer
Entladungsdauer von 2 Sekunden eine Durchschnittsleistung von 1 Megawatt erzielt
werden.(13)
Der nächste Schritt der Weiterentwicklung - damit bin ich auch schon bei den
Perpektiven - ist durch die Internationale Atomenergie-Agentur (IAEA) mit dem
Projekt eines "International Thermonuclear Experimental Reactor" (ITER) auf den
Weg gebracht worden, dessen Bau 1995 seitens der USA, der EU sowie von Japan
und Rußland beschlossen worden ist. Die Beschlüsse über den Standort des ITER
und seine Finanzierung stehen noch aus und werden vor 2002 nicht erwartet.
Frühestens um 2015 bis 2020 könnten die Ergebnisse des ITER vorliegen. Bei
positivem Ausgang des ITER-Experiments könnte dann die Fusionsenergie in die
Planungen einer Energieversorgung über 2050 hinaus einbezogen und mit der
Planung eines Demonstrationsreaktors, der auch über Turbinen und Generatoren zur
Stromerzeugung verfugen würde, begonnen werden. Nach 2050 wäre dann mit dem
Bau kommerzieller Reaktoren zu rechnen.(14)
Ich nenne, den Rückblick und Ausblick abschließend, einige der offenen Fragen, die
möglicherweise mit dem ITER gelöst werden könnten: Welche Materialien sind die
geeignetsten rur die sogenannte erste Wand? Wie geartet sind die radioaktiven
Belastungen dieser Materialien durch den Betrieb des Reaktors und welche
Entsorgungsfragen stellen sich? Wie kann der aufgrund der radioaktiven Belastung
regelmäßig erforderliche Austausch der ersten Wand technisch und mit der
notwendigen Sicherheit bewerkstelligt werden? Wie kann die rur einen Dauerbetrieb
nötige Energie zur Verrugung gestellt werden und in welchem Verhältnis steht sie
zum Energiegewinn durch die Fusion? Mit der Lösung all dieser Probleme hängen
die Fragen der Wirtschaftlichkeit des Fusionsweges engstens zusammen.(15)
8
4. Bewertungs- und Gestaltungskriterien für Kernfusionsreaktoren
a) Sachkriterien
Bei den Bewertungskriterien wird unterschieden zwischen Sachkriterien und
ethischen Kriterien.(16) Sachkriterien beziehen sich auf die technische Güte eines
Werkzeugs, einer Maschine, einer großtechnischen Anlage oder eines Systems und
auf ihre wirtschaftlich angemessene Realisierbarkeit. Die Einhaltung der
Sachkriterien ist empirisch nachprüfbar und ihre graduelle Berücksichtigung meßbar.
Sachkriterien sind Funktionsfähigkeit, Sicherheit und Wirtschaftlichkeit. Sie sind
notwendige Kriterien, aber nicht hinreichende Kriterien für die ethische
Urteilsbildung.
Funktionsfähigkeit, Sicherheit
Die Sachkriterien von Funktionsfähigkeit und Sicherheit sind als Gestaltungs- und
Bewertungskriterien für Technologien, auch für neue Nukleartechnologien,
allgemein anerkannt. Funktionsfähigkeit ist das technische Gütekriterium
schlechthin. Sie ist gegeben, wenn ein zur Erreichung eines humanen bzw.
gesellschaftlichen Ziels benötigtes technisches Mittel herstellbar, im Gebrauch oder
Betrieb wirkungsgvoll, zuverlässig und dauerhaft ist und insgesamt den
Qualitätsanforderungen genügt. Die Erfahrungen mit technischen Geräten, Anlagen
und Systemen in den letzten Jahrzehnten haben dazu geführt, das Kriterium der
Sicherheit, das eigentlich in der Funktionsfähigkeit mit enthalten ist, besonders
hervorzuheben. Ein Höchstmaß an Sicherheit muß gewährleisten, daß Risiken des
laufenden Betriebs, Unfall- sowie Mißbrauchrisiken und damit Gefahren fur Leib
und Leben einzelner Menschen sowie für die gesellschaftiche Ordnung und ihren
Bestand ausgeschlossen werden können. Funktionsfähigkeit und vor allem auch
Sicherheit können in unterschiedlichen Graden verwirklicht werden.
Bei der Diskussion über den Umfang der Sicherheitsanforderungen sollte die
Nebenfolgenminimierungsregel herangezogen werden, die besagt: Der Einsatz
eines technischen Mittels zur Erreichung eines ethisch gerechtfertigten Ziels ist nur
dann sittlich erlaubt, wenn die mit ihm verbundenen negativen Folgen auf das
technisch geringstmögliche Maß gebracht werden. Dieser Regel korrespondiert auf
der rechtlichen Ebene z. B. das sogenannte Minimierungsgebot der
Strahlenschutzverordnung, die für die Genehmigung kemtechnischer Anlagen
maßgebend ist.(17) Auch das novellierte deutsche Atomgesetz von 1994 trägt der
Nebenfolgenminimierungsregel Rechnung, indem es die Katastrophenfreiheit von
Kernreaktoren fordert. (18)
Die Gewährleistung von Sicherheit und ihr glaubhafter Nachweis sind eine wichtige
Voraussetzung dafür, die gesellschaftliche Akzeptanz für ein technisches Projekt zu
geWInnen.
9
Die Funktionsfähigkeit eines Fusionsreaktors muß, wie schon gesagt, erst
nachgewiesen werden. Bezüglich der Sicherheit werden sich Vorteile gegenüber der
Kernspaltung, aber auch gegenüber der Trägheitseinschlußfusion ergeben.
Problematisch ist die Verwendung von Tritium. Deswegen wäre eine DeuteriumDeuterium-Fusion anzustreben.
Wirtschaftlichkeit
Unter den Bedingungen einer marktwirtschaftlichen Ordnung ist ein weiteres, aus
dieser Wirtschaftsordnung sich ergebendes Sachkriterium zu berücksichtigen: das
Kriterium der Wirtschaftlichkeit. Es umfaßt betriebswirtschaftliche und
volkswirtschaftliche Aspekte. Es verlangt einerseits die realistische Einschätzung der
Kosten eines technischen Mittels, also auch die Verrechnung der externen Kosten,
zum anderen eine Abwägung zwischen dem erwarteten gesellschaftlichen Nutzen
und der ökonomischen Leistungsfähigkeit einer Gesellschaft.
Das Kriterium der Wirtschaftlichkeit darf nicht verfrüht in die Bewertungsdebatte
eingeführt werden. Zuerst ist eine optimale Gestaltung einer Technik anhand der
vorher besprochenen Sachkriterien und der noch zu erläuternden ethischen Kriterien
zu entwerfen. Danach erst kann die Frage nach den Kosten geklärt und über die
Modalitäten·der Finanzierbarkeit nachgedacht werden.
Dennoch ist schon jetzt festzuhalten: Die Kosten für die Forschung und Entwicklung
bis hin zu einem kommerziell nutzbaren Fusionsreaktor werden außerordentlich hoch
sein. Bislang hat die Europäische Union 15 Milliarden DM für die Förderung der
Fusion ausgegeben. Die Kosten bis zum Bau eines kommerziellen Reaktors in etwa
60 Jahren werden zur Zeit auf etwa 60 Milliarden DM in der EU geschätzt; dies
bedeutet einen jährlichen Betrag von 1 Milliarde DM in der EU, wovon die
Bundesrepublik Deutschland gegenwärtig 400 Millionen DM jährlich trägt. Die
weltweit entstehenden Kosten werden auf 150 Milliarden DM beziffert. Es handelt
sich also um ein Projekt, das nur in internationaler Zusammenarbeit möglich und
vertretbar ist.
b) Ethische Kriterien
Im Kontext von Technikbewertung sollen die ethischen Kriterien notwendige
Zusammenhänge in dem Beziehungsfeld von Technik einerseits und Mensch,
Gesellschaft und Natur andererseits herstellen. Ich unterscheide vier solche
Kriterien:
die
Humanorientierung,
die
Sozialorientierung,
die
Umweltorientierung und die Zukunftsorientierung. Durch ihre Beachtung soll
sichergestellt werden, daß die Technik ihre Aufgabe als Mittel zur Verbessening
menschlicher und gesellschaftlicher Lebensverhältnisse realisiert oder wiedererhält.
Im Unterschied zu der eingebürgerten Ausdrucksweise, die nur von Verträglichkeit,
10
z.B. von der Sozialverträglichkeit, spricht, wählen wir den Ausdruck "Orientierung". Dadurch wird es möglich, zwei Aspekte zu unterscheiden: die
Verträglichkeit, also die Nicht-Schädlichkeit, eines technischen Mittels und seine
Förderlichkeit. Konzentriert man sich ausschließlich auf die Verträglichkeit, begibt
man sich in die Gefahr, die Kriterien zu niedrig anzusetzen und nicht deutlich genug
darauf zu insistieren, daß technische Mittel der Erhaltung und Entfaltung
menschlichen Lebens dienen sollen.(19)
Allerdings sind diese Kriterien noch weitgehend unbestimmt. Sie sagen bis jetzt nur,
daß das Beziehungsfeld Technik-Mensch, Technik-Gesellschaft und Technik-Natur
in der Weise zu beachten sei, daß den Menschen, der Gesellschaft, der Natur nicht
geschadet, sondern daß sie geschont und gefördert werden. Sie näher zu bestimmen
ist also eine unerläßliche, wenn auch komplizierte Aufgabe. Sie kann dadurch gelöst
werden, daß einerseits gezeigt wird, auf welche ethischen Prinzpien und Normen
sich Human-, Sozial-, Umwelt- und Zukunftsorientierung beziehen, und nach der
anderen Seite - dem technischen System - hin, konkretisiert wird, welche
Gestaltungsanforderungen zu stellen sind. Die ethischen Kriterien befinden sich in
der Mitte zwischen den ethischen Prinzipien und Normen auf der einen und den
technischen Gestaltungskriterien auf der anderen Seite. Diese Zusammenhänge
werden näher erläutert, wenn ich auf die einzelnen Kriterien eingehe.
Zuvor fuge ich noch eine zusätzliche Bemerkung allgemeinerer Art ein: Einige
dieser ethischen Prinzipien und Normen haben Rechtsgültigkeit erlangt, in manchen
Fällen bis zum Verfassungsrang; zu letzteren zählen vor allem die Achtung der
menschlichen Würde und die Grundrechte. Im Hinblick auf diese kann die
Verfassungsverträglichkeit einer technischen Entwicklung überprüft und eingeklagt
werden.(20) Über viele ethische Prinzipien und Normen sowie ihre Interpretation
herrscht allerdings kein Einvernehmen. Gegebenenfalls lassen sich in Diskursen
Verständigungen über sie erreichen oder jedenfalls Kompromisse anstreben.
Humanorientierung
Das Kriterium der Humanorientierung bezieht sich auf das Zuordnungsverhältnis
der Menschen als Individuen und der Technik. Humanverträglich ist ein technisches
Mittel, wenn weder sein intendierter Einsatz noch seine unbeabsichtigten sonstigen
Wirkungen die Qualität des individuellen Lebens sowie die personale Identität und
Integrität beeinträchtigen. Humanförderlich ist ein Mittel, wenn Gesundheit,
leibliches und seelisches Wohlbefinden, Freiheit, Selbstbestimmung und Kreativität
unterstützt und die Kontingenz des Menschen geachtet wird.
Durch das Kriterium der Humanorientierung soll bei der Gestaltung einer Technik
einer Reihe von ethischen Einzelnormen, die weitgehend anerkannt sind, zur Geltung
verholfen werden: dem Schutz und der Förderung von Gesundheit und
Wohlbefinden wie auch der personalen Identität, Integrität und Kreativität des
11
Menschen,
der
Achtung
seiner
Freiheit,
Selbstbestimmung
und
Selbstverantwortlichkeit, aber auch seiner körperlichen, psychischen und geistigen
Kontingenz. Diese Nonnen stellen Konkretisierungen zweier allgemeiner ethischen
Prinzipien dar: Niemanden schädigen, sondern soweit wie möglich helfen.(21) Und:
Jede Person als Zweck, d.h. als sich selbst bestimmende, achten, sie niemals nur als
Mittel zu gebrauchen, d.h. sie zu funktionalisieren, zu instrumentalisieren, zu
entfremden.(22) Eine Technik, die diesen Kriterien und· Nonnen Rechnung trägt,
kann als menschengerechte Technik gelten.(23)
Im Hinblick auf einen zu konstruierenden Fusionsreaktor wie auch andere
Nukleartechnologien werden Kriterien wie Gesundheit und leibliches Wohlbefinden
im Zusammenhang der Risikodiskussion, Kriterien wie Freiheit und
Selbstbestimmung zum Beispiel im Zusammenhang der aus Sicherheitsgründen
notwendigen Personenüberprüfungen diskutiert werden. Ich gehe hier nur auf einen
Aspekt ein, der bislang in der Bewertungs- und Gestaltungsdiskussion wenig
Beachtung findet: das Kriterium der körperlichen, psychischen und geistigen
Kontingenz.(24)
Unter körperlicher, psychischer und geistiger Kontingenz ist der Umstand zu
verstehen, daß jeder Mensch seine Grenzen hat: Grenzen der körperlichen
Leistungsfähigkeit, Grenzen der psychischen Belastbarkeit, Grenzen, die ihm durch
zeitweise oder chronische Krankheiten gesetzt werden, Grenzen der
Reaktionsfähigkeit, der Konzentrationsfähigkeit, des Gedächtnisses, der Übersicht
und der Intelligenz. Diese Kontingenz kann ausgenutzt werden, um Menschen
gefügig zu machen und sie zu demütigen, - durch körperliche Züchtigung und Folter,
durch seelischen Druck oder geistige Verachtung. In unserem Zusammenhang muß
auf einen anderen Gesichtspunkt besonders hingewiesen werden. Techniken müssen
so gestaltet werden, daß die mit ihnen umgehenden Menschen weder permanent noch
nur in besonders kritischen Situationen ihre seelischen und geistigen Grenzen
vorgeführt bekommen, sondern daß sie angesichts ihrer Unzulänglichkeiten ihJe
Selbstachtung wahren können. Bei der Softwaregestaltung wird dies unter dem
Kriterium
der
Benutzerfreundlichkeit
diskutiert.
Das
Problem
der
Benutzerfreundlichkeit wird erheblich verschärft, wenn das bedienende Personal es
mit einer Technik zu tun hat, die nicht fehlertolerant ist, bei der Folgen von
Bedienungsfehlern nicht in jedem Fall rückgängig gemacht werden und eventuell zu
schweren Katastrophen führen können. Wie kann also eine hochkomplexe Technik
in einer Weise gestaltet werden, daß sie den menschlichen Begrenztheiten Rechnung
trägt? Wie kann gewährleistet werden, daß diese Technik den für sie
verantwortlichen Menschen wenigstens im Team überschaubar und handhabbar
bleibt?
Die Vorgänge bei den Reaktorkatastrophen von Harrisburgh und Tschernobyl
zeigen, daß die dort installierten Reaktortechniken weder fehler- noch
benutzerfreundlich sind. Die Vertreter der Kernfusion können demgegenüber darauf
verweisen, daß Fusionsreaktoren inhärent sicher sind, d.h. aufgrund ihrer Physik ein
Unfall von der Größenordnung der Kernschmelze gar nicht entstehen kann.(25) In
12
diesem Sinn ist der Fusionsreaktor fehlertoleranter und deshalb auch
benutzerfreundlicher als die bis heute bekannten Spaltreaktoren. Mit dieser
zweifellos wichtigen Feststellung allein sollte man sich allerdings nicht zufrieden
geben, sondern zum Beispiel im Hinblick auf den Umgang mit dem radioaktiven
Stoff Tritium oder auf den zum normalen Betrieb gehörenden Austausch der
radioaktiv gewordenen Materialien der ersten Wand fragen, ob bei der Gestaltung
der Technik der höchstmögliche Grad an Benutzerfreundlichkeit angestrebt worden
ist. Was das Tritium betrifft, wäre dies nur durch den - prinzipiell wahrscheinlich
möglichen, aber jetzt noch nicht realisierbaren - Verzicht zu erreichen. Bezüglich der
Strukturmaterialien kann das Problem erst zu einem späteren Zeitpunkt erörtert
werden, wenn man genauer weiß, welche Materialien und in welchem modularen baukastenähnlichen - Aufbau verwendet werden sollen.
Sozialorientierung
Mit dem Kriterium der Sozialorientierung wird das Zuordnungsverhältnis von
Technik und Gesellschaft in den Blick genommen. Sozialverträglich ist eine
Technik, wenn ihr Gebrauch keine Schäden oder Nachteile fUr menschliche
Gesellschaften mit sich bringt. Sozialf6rderlich ist sie, wenn sie das gemeinsame
menschliche Leben verbessern hilft.
Unter dem Aspekt der Sozialorientierung sind folgende ethischen Leitideen zu
berücksichtigen: Gerechtigkeit, Gleichheit, Partizipation, Frieden. Sie finden ihren
Ausdruck in ethischen Normen wie: Gesellschaftliche Güter sollen unter
Berücksichtigung der Bedürfnislagen gleich verteilt werden. Ebenso sollen
Freiheitschancen und Einflußmöglichkeiten auf die Gestaltung des gesellschaftlichen
und staatlichen Zusammenlebens gleich verteilt sein.(26) Friedliches
Zusammenleben soll gefördert und die Anwendung von Gewalt auf die Sicherung
dieses Zusammenlebens beschränkt werden. Ich mache hier nur eine Bemerkung zum
Gerechtigkeitsaspekt und eine zweite zum Friedensthema.
Bezogen auf die hier erörterte Fusionstechnik ergibt sich, was den
Gerechtigkeitsaspekt betrifft, ein ambivalentes Bild. Einerseits werden
Gerechtigkeit, Gleichheit und Frieden gefördert, wenn durch den Einsatz dieser
Technik in einigen Ländern eine ausreichende und gerechtere Energieversorgung der
ganzen Weltbevölkerung möglich wird und so energiebedingte Konflikte vermieden
werden können. Andererseits handelt es sich um eine Technik, deren Entwicklung
und Anwendung höchstes wissenschaftliches und technisches Know-how erfordert,
über das nur die hochentwickelten Industrienationen verfUgen. Das technologische
Gefälle und damit die Ungleichheit zwischen den Ländern könnte auf diese Weise
verfestigt werden. Dies kann nicht im Sinn des Kriteriums der internationalen
Verträglichkeit sein, auf das sich bereits 1980 die Enquete-Kommission des
Deutschen Bundestages zu Energiefragen geeinigt hatte.(27)
Ich komme zur zweiten Bemerkung, die sich auf Zusammenhänge zwischen friedensethischen Postulaten und Gestaltungsanforderungen an Reaktortechniken
13
bezieht. In der neueren Friedensethik ist Übereinstimmung darüber erzielt worden,
daß der Einsatz atomarer Waffen sittlich nicht vertreten werden kann. Was aber den
Besitz oder die Abschaffung der Waffen betrifft, gehen die Meinungen auseinander.
Die einen argumentieren, daß aus einer Ablehnung ihres Einsatzes auch deren
vollständige Abschaffung zu folgern sei, zumal ja auch eine abschreckende Wirkung
nur glaubhaft zu machen sei, wenn man die Bereitschaft zum Einsatz habe. Die
anderen verweisen auf die Verrugbarkeit der atomaren Waffen, d.h. auf die
Möglichkeit, sich selbst nach der Abschaffung wegen des vorhandenen
wissenschaftlich-technischen Know-how in kürzester Frist wieder in ihren Besitz zu
bringen, was angesichts immer wieder auftretender politischer Instabilitäten eine
extreme Gefahr für den Frieden darstelle; unter solchen Bedingungen sei
Friedenssicherung ohne atomare Abschreckung, ohne den durch internationale
Verträge vereinbarten Atomwaffenbesitz weniger Länder, nicht möglich.(28) Beide
friedensethischen Parteien müssen allerdings daran interessiert sein, daß durch die
zivile Reaktortechnik die Herstellung atomarer Waffen bzw. ihre horizontale wie
vertikale Verbreitung nicht ermöglicht oder begünstigt wird. Dazu ist das Konzept
der Proliferationsresistenz von Kernreaktoren entwickelt worden. Es strebt an, die
zivilen Nukleartechnologien - wenn schon nicht proliferationssicher - so doch
widerständiger gegenüber militärischen Nutzungsmöglichkeiten zu machen. Unter
diesem Gesichtspunkt betrachtet, sind Spaltreaktoren, die waffengrädiges Material
erbrüten, besonders problematisch. Das Fusionskonzept, das mit dem
Trägheitseinschluß
arbeitet,
kann
die
Weiterentwicklung
der
Wasserstoffbombentechnik und damit die vertikale Proliferation fördern. Im
Vergleich
dazu
läßt
sich
die
Magneteinschlußfusionstechnik
als
proliferationsresistenter bewerten. Wird allerdings der Weg der Deuterium-TritiumFusion weiter verfolgt, dann ist sie nicht resistent genug, da Tritium ein wichtiges
Material rur die Erhöhung der Sprengkraft von Atomwaffen ist. Es zeigt sich also
wieder, daß bei der weiteren Forschung und Entwicklung der Tritium-Problematik
ganz besondere Aufmerksamkeit zu widmen ist.(29)
Umweltorientierung
Das Kriterium der Umweltorientierung bezieht sich auf das Zuordnungsverhältnis
von Mensch bzw. Gesellschaft, Technik und Natur. Umweltverträglich sind
diejenigen Mittel, die in dem genannten Beziehungsfeld keine Schäden hervorrufen
bzw. eingetretene oder verursachte Schädigungen mindern oder beseitigen.
Umweltf6rderlich sind Techniken, die das Beziehungsverhältnis verbessern.
Dieses Beziehungsfeld ist sehr komplex, da Wechselverhältnisse zu berücksichtigen
sind. Es ist ja nicht so, daß Technik und Natur oder Technik und Gesellschaft klar
voneinander abgegrenzt oder das Beeinflussungsverhältnis nur in einer Richtung z.B. die Technik beeinträchtigt die Natur - bestimmt werden könnte.
Selbstverständlich haben wir es mit einer kultur- und technikbestimmten Natur - mit
einer "zweiten Natur" im Unterschied zu einer unberührten "ersten Natur", der wir in
14
eigener Anschauung fast nicht einmal mehr im tropischen Urwald und
wissenschaftlich bald auch nicht mehr im Genom begegnen werden - zu tun, die aber
umgekehrt die Rahmenbedingen rur kulturelle und technische Gestaltung setzt - bis
hin zu der Möglichkeit, dem rücksichtslosen "homo faber" die Lebensgrundlage zu
entziehen, sich also zu einer "dritten Natur" - nach dem Verschwinden des "homo
sapiens" - weiterzuentwickeln. Nimmt man als weitere zu berücksichtigende Größe
die Gesellschaft, hinzu, so bestimmt einerseits die Gesellschaft die Technik und den
Umgang mit der Natur, wie andererseits aber auch die Formen der Gesellschaften z.B. die "industrielle" oder die "postindustrielle" Gesellschaft - technikbedingt sind
und naturabhängig bleiben.(30)
Die ethische Bewertung der umweltrelevanten Fakten ist zunächst abhängig von der
umweltethischen Konzeption, die vertreten wird. Grob lassen sich drei Konzepte
unterscheiden, die zu unterschiedlichen Schlußfolgerungen führen: das religiöse
Konzept einer "Ehrfurcht vor dem Leben", das biozentrische oder kosmozentrische
Konzept eines "Eigenrechts der Natur" und das anthropozentrische Konzept, das
Kosmos, Erde und Natur als Lebensraum und Lebensgrundlage des Menschen achten
und bewahren will.(3!) Aus pragmatischen Gründen sollte man von dem
anthropozentrischen Konzept ausgehen, um über konkretere umweltethische Normen
Einigung erzielen zu können. Solche umweltethischen Normen sind u.a.: Die
lebensgefährdenden oder lebensbeeinträchtigenden Belastungen der natürlichen
Umwelt müssen verringert werden. Es dürfen keine neuen menschenverursachten
Gefahrenquellen in die Natur eingeführt werden. Im Hinblick auf unsere prinzipiell
wie faktisch begrenzten Kenntnisse der komplexen und empfindlichen ökologischen
Zusammenhänge muß der Grundsatz äußerster Vorsicht gelten, der die möglichen
negativen Folgen einer Handlung - z.B. die radioaktive Belastung durch
Kernreaktoren - mit den möglichen negativen Folgen der Unterlassung dieser
Handlung - z.B. die Belastung der Atmosphäre durch Treibhausgase - abwägt und
sich vor allem auf die Suche nach Alternativen begibt, die aus einem solchen
Handlungsdilemma herausführen können.(32)
Diese ethischen Normen können im Hinblick auf die Reaktortechniken konkretisiert
werden durch die Berücksichtigung folgender Gestaltungskriterien: Beitrag zu
Erreichung von Klimaschutzzielen, Verringerung absehbarer Langzeitfolgen. Was
den Klimaschutzziele angeht, so sind nukleare Technologien - im Vergleich zur
Nutzung fossiler Energieträger - positiv zu bewerten; die Ökobilanz der
Fusionstechnik im Vergleich zu den erneuerbaren Energieträgern ist noch genauer zu
prüfen. Wenn allerdings aufgrund der Komplexität der Technik und der Höhe der
Kosten die Fusionsreaktoren nur in den hochindustrialisierten Ländern, deren
Energiebedarf in den nächsten Jahrzehnten sinken wird, installiert werden sollten,
die sich entwickelnden Länder mit ihrem enorm anwachsenden Energiebedarf
dagegen verstärkt auf die fossilen Energieträger setzen müßten, könnte kaum mehr
von einem relevanten Beitrag der neuen Nukleartechnologien zur Erreichung
notwendiger Klimaschutzziele die Rede sein.
15
Bezüglich der Minimierung der Langzeitfolgen ist festzustellen, daß bei der Magneteinschlußtechnik keine langlebigen radiotoxischen Substanzen, die eine Lagerung
über Zeiträume erforderlich machen, die den Rahmen menschlichen
Zukunftsdenkens und menschlicher Zukunftsplanung sprengen, entstehen werden.
Insofern fällt der Vergleich mit den Spaltreaktoren günstig aus. Sollten also
tatsächlich die anfallenden radioaktiven Strukturmaterialien nur über begrenzte
Zeiträume - etwa wenige hundert Jahre kontrolliert gelagert werden müssen, könnte
das Kriterium der Verringerung der Langzeitfolgen als erfüllt angesehen werden.
Darüber ist jedoch beim jetzigen Stand von Forschung und Technik noch keine
Aussage möglich.(33)
Zukunftsorientierung
Das Kriterium der Zukunftsorientierung fordert, Human-, Sozial- und
Umweltorientierung nicht nur für die Gegenwart, sondern auch für die nahe und
ferne Zukunft zu überprüfen. Zur Zukunftsorientierung gehört die Beachtung der
folgenden Normen: Der Nachwelt dürfen keine Probleme hinterlassen werden, deren
Lösung uns heute noch nicht bekannt ist. Die Lebens- und Gestaltungschancen
kommender Generationen dürfen nicht geschmälert werden. Im Sinn von
Zukunftsförderlichkeit geht es - in Analogie zur elterlichen Verantwortung - um die
Wahrung und Verbesserung der Lebensmöglichkeiten künftiger Generationen.(34)
Das Problem der Langzeitfolgen wurde soeben unter dem Aspekt der
Umweltorientierung behandelt. Die Gestaltungschancen künftiger Generationen sind
weiter oben thematisiert worden, als begründet wurde, warum die Option für die
Kernfusion offengehalten werden sollte. In diesem Zusammenhang wurde auch
erwähnt, daß die auf die verfügbaren Uranvorräte angewiesene Kernspaltenergie
längerfristig nicht zukunftsfähig ist, während die Nutzung der Kernfusion dem
Kriterium der nachhaltigen Rohstoffnutzung - was die Fusionsmaterialien
Deuterium und Tritium betrifft - gerecht werden könnte.(3 5)
c) Verhältnis von Sachkriterien und ethischen Kriterien
So sinnvoll es ist, Sachkriterien und ethische Kriterien zu unterscheiden, so wenig
lassen sie sich klar voneinander trennen. Dies konnte schon im Vorhergehenden
auffallen: Bei dem Sachkriterium der Sicherheit wurde auf die ethische
Nebenfolgenminimierungsregel, beim ethischen Kriterium der Umweltorientierung
auf das Sicherheitskriterien des Klimaschutzes und der Minimierung von
Langzeitfolgen Bezug genommen. Man kann den Zusammenhang anhand eines
bekannten Beispiels klarmachen: Um dem Sachkriterium der Sicherheit Rechnung zu
tragen, gibt es inzwischen eine ganze Reihe von Verordnungen, die Grenzwerte für
bestimmte Stoffe in Nahrungsmitteln, im Wasser und in der Luft festlegen, um die
Gesundheit - d.h. die Lebenssicherheit - von Menschen nicht zu gefährden. Die
Sicherheitsbedürfnisse einzelner Menschen und gesellschaftlicher Gruppen im
16
Hinblick auf ihre Gesundheit müssen mit der in Grenzwerten objektivierten
Sicherheit nicht übereinstimmen, sie können darunter liegen oder weit über sie
hinausgehen. Und selbst bei der Festlegung solcher Grenzwerte spielen
unterschiedliche Vorstellungen eines guten und gesunden Lebens eine Rolle und
führen zu unterschiedlichen Grenzwertangaben, wie z.B. nach der Katastrophe von
Tschernobyl hinsichtlich der tolerierbaren Werte radioaktiver Belastungen zu
beachten war. Man wird also die in Maß und Zahl fixierten Sicherheiten immer
wieder im Hinblick aufdie normativen Ansprüche von Menschen und Gesellschaften
beziehen müssen, sie überprüfen und ggf. ändern, wie auch umgekehrt - sei es unter
mißlichen "Sachzwängen" oder auch aufgrund verbesserter technischer
Möglichkeiten - normative Erwartungen verändert werden können.
4. Ausblick: Die Fortführung des Energiediskurses
Ich komme zu einigen Schlußbemerkungen, die auf weitere Aufgaben hinweisen
sollen.
Erstens: Das Kriterienkapitel meiner Ausführungen konzentrierte sich - in
technikinduzierter Betrachtung - auf einen bestimmten Fusionsweg, nämlich die
Magneteinschlußfusion des Tokamakkonzepts. Dabei zeigte sich, daß eine Reihe
wichtiger Fragen noch offen ist, die zum großen Teil erst im Lauf der weiteren
Forschung und Entwicklung geklärt werden können. Darüber möchten wir vor allem
mit den Mitgliedern des Instituts für Plasma-Physik in Garching weiter im Gespräch
bleiben.
Zweitens: Nicht behandelt wurden andere Konzepte fortgeschrittener
Nukleartechnologien wie die angeblich katastrophensicheren Weiterentwicklungen
des
Leichtwasserreaktors,
der
Entwurf
eines
inhärent
sicheren
Hochtemperaturreaktors, die Trägheitseinschlußfusion, an der vor allem in den USA
gearbeitet wird, oder die Pläne rur Beschleunigergestützte Systeme (Accelerator
Driven Systems - ADS), die eine Umwandlung von Plutonium in weniger oder nicht
radioaktive Stoffe bei gleichzeitiger Energiegewinnung versprechen. Verfolgt man
einen problemorientierten Ansatz von Technikbewertung, müssen auch diese
Konzepte in die Betrachtung einbezogen werden. In einem ersten Anlauf ist dies
auch bei dem Fachgespräch "Neue Nukleartechnologien zwischen Naturwissenschaft
und Ethik" Mitte März· 1998 an der TUD geschehen. Diese Aufgabe wird
weitergeruhrt werden in einer Technikbewertungsstudie über fortgeschrittene
Nukleartechnologien, die der Schweizer Wissenschaftsrat in Auftrag gegeben hat
und die von Mitgliedern der lANDS-Gruppe in Zusammenarbeit mit dem ÖKOInstitut Darmstadt erarbeitet wird.
Drittens: Der problemorientierte Ansatz macht es darüberhinaus notwendig, die
erneuerbaren Energien in die Bewertung einzubeziehen, um die wichtigsten Wege
zur Lösung des Energieproblems besser miteinander vergleichen zu können. Bislang
stehen sich die beiden Lager - die Vertreter der nur regenerativen Lösung und die der
nuklear-regenerativen Strategie - gegenüber, ohne daß eine Bewegung in Richtung
17
eines gemeinsam vertretbaren Konzepts erkennbar wäre. Allererste Ansätze
zaghafter Bewegungsbemühungen waren immerhin bei dem erwähnten Workshop
oder bei der Frühjahrskonferenz des Arbeitskreises Energie der Deutschen
Physikalischen Gesellschaft zu erkennen. Wir planen ein weiteres Fachgespräch in
angemessener Frist, bei dem die Vergleichsdiskussion geführt werden soll.
Viertens: Der Zustand des öffentlichen Energiediskurses ist in höchstem Maß
beunruhigend und beklagenswert. Er findet zur Zeit gar riicht statt. Diejenigen, die
bereit sind, sich um seine Wiederbelebung zu bemühen, gehören unterschiedlichen
gesellschaftlichen Gruppen an: sie kommen als forschungspolitisch Engagierte aus
politischen Parteien, sie arbeiten z.B. im Wuppertal-Institut, im Öko-Institut oder
auch in kirchlichen Akademien, sie finden sich in interdisziplinär arbeitenden
Hochschulgruppen oder in hochschulübergreifenden Projekten wie auch in
Großforschungseinrichtungen und in Unternehmen. Der Wunsch wäre, unter ihrer
Beteiligung ein breiteres Netzwerk zustande zu bringen, um auf diese Weise dazu
beizutragen, daß die Blockaden überwunden, der Energiediskurs wiederbelebt und
die richtigen Fragen - fatale Engführungen vermeidend - auf seine Tagesordnung
gesetzt werden.
Anmerkungen
(l) Bender, Wolfgang - Platzer, Katrin - Sinemus, Kristina: On the Assessment of Genetic
Technology: Reaching Ethical Judgements in the Light of Modern Technology. In: Science and
Engineering Ethics, 1 (1995), S.21-32.
(2) Vgl. Bender, Wolfgang (Hrsg.): Verantwortbare Energieversorgung für die Zukunft. THD
Schriftenreihe Wissenschaft und Technik 71. Darmstadt 1997.
(3) Hoffmann, Johannes - Ott, Konrad - Scherhorn, Gerhard: Ethische Kriterien für die Bewertung
von Unternehmen. Frankfurt-Hohenheimer Leitfaden. Frankfurt a.M.: IKO 1997.
(4) Adorno, Theodor W.: Minima Moralia. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1969. S. 128f.
(5) V gl. Jonas, Hans: Warum die Technik ein Gegenstand für die Ethik ist: Fünf Gründe. In: Lenk,
Hans - Ropohl, Günter (Hrsg.): Technik und Ethik. Stuttgart: Reclam 1993 (2. Aufl.). S. 81-91.
(6) Zum Unterschied zwischen dem technikinduzierten und problemorientierten Ansatz von
Technikbewertung vgl. Verein Deutscher Ingenieure (VDI): Technikbewertung - Begriffe und
Grundlagen. Erläuterungen und Hinweise zur VDI-Richtlinie 3780. VDI Report 15, 1991.
(7) Vgl. Rebhan, Eckhard: Heißer als das Sonnenfeuer. Plasmaphysik und Kernfusion. München:
Piper 1992. S. 403-489. - Hein10th, Klaus: Die Energiefrage. Bedarf und Potentiale, Nutzung,
Risiken und Kosten. Braunschweig: Vieweg 1997. S. 271-282.
(8) Vgl. Nuclear Energy Agency, OECD: nuclear energy data 1997. S. 24-27. Stützt man sich auf
die dortigen Angaben, läßt sich daraus eine grobe Abschätzung ableiten: Die Uran-reserven werden
auf ca. 4 000 000 t beziffert, der jährliche Bedarf an Uran mit ca. 50 000 t angegeben. Dies bedeutet
eine Reichweite von ca. 80 Jahren. - Die Angaben über die zeitliche Reichweite von Natururan
gehen bei den Autoren weit auseinander. Nach K. Hein10th reichen die Vorräte zur Deckung eines
jährlichen Weltbedarfs in Höhe von 50000 t für Leichtwasserreaktoren in Gesteinslagerstätten sogar
einige 1000, im Meerwasser einige 10000 Jahre; vgl. a.a.O., S. 219. In den letzten Jahren ist
zunehmende Zurückhaltung gegenüber Zeitangaben über die Reichweite der Vorräte zu beobachten,
weil die Ausbeutung oder Nichtausbeutung von Uranlagerstätten wesentlich von den entstehenden
18
Kosten abhängt. Insgesamt bleibt aber die Feststellung, daß die Reichweite von Wasserstoff
ungleich größer ist als die von Natururan.
(9)
In dieser Frage stehen sich die Positionen der Vertreter regenerativer-nichtnuklearer
Energiesysteme und die Vertreter nuklear-regenerativer Energiesysteme nach wie vor gegenüber.
Vgl. hierzu Forum für Zukunftsenergien (Hrsg.): Langfristige Aspekte der Energieversorgung.
Folgerungen und Kriterien für die Energiepolitik heute. Schriftenreihe des Forums, Band 40. Bonn
1997.
(10) Vgl. Bender, Wolfgang: Zukunftsorientierte Wissenschaft - Prospektive Ethik. In: Wobus,
Anna - Wobus, Ulrich - Parthier, Benno (Hrsg.): Stellenwert von Wissenschaft und Forschung in
der modernen Gesellschaft - Handeln im Spannungsfeld von Chancen und Risiken. In: Nova Acta
Leopoldina. Neue Folge, Nr. 297, Bd. 74. Halle: Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina
1996. S. 39-59. - Vgl. auch das Konzept der innovativen Technikbewertung in: Ropohl, Günter:
Ethik und Technikbewertung. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1996. S. 259-283.
(11) Vgl. Rebhan, Eckhard: Heißer als das Sonnenfeuer. Plasmaphysik und Kernfusion. München:
Piper 1992. S. 57-95.262-312.
(12) A.a.O., S. 82. Wörtlich sagte der indische Atomphysiker H. Bhaba: "Die technischen Probleme
sind gewaltig, aber ... ich wage die Voraussage, daß sich eine Methode finden wird, mit der sich
innerhalb der nächsten zwei Jahrzehnte kontrolliert Fusionsenergie freisetzen läßt."
(13) Vgl. A.a.O., S. 450-453.
(14) Hier beziehe ich mich auf Äußerungen von Friedrich Wagner vom Institut für Plasmaphysik in
Garching bei dem Fachgespräch "Neue Nukleartechnologien zwischen Naturwissenschaft und
Ethik" vom 11-14. März 1998 an der TUD.
(15) Vgl. Hein10th, Klaus: Die Energiefrage. Bedarf und Potentiale, Nutzung, Risiken und Kosten.
Braunschweig: Vieweg 1997. S. 281f.
(16) Bender, Wolfgang - Platzer, Katrin - Sinemus, Kristina: On the Assesssment of Genetic
technology: Reaching Ethical Judgements in the Light of Modem Technology. In Science and
Enineering Ethics, 1 (1995), S. 21-32. - Zur neueren Kriteriendiskussion, soweit sie auf
Energietechnologien bezogen ist, vgl. Korff, Wilhelm: Die Energiefrage. Entdeckung ihrer
ethischen Dimension. Trier: Paulinus 1992. S. 23-26. - Hein10th, Klaus: a.a.O., S. 121-125. - Forum
für Zukunftsenergien (Hrsg.): Langfristige Aspekte der Energieversorgung. Folgerungen und
Kriterien für die Energiepolitik heute. Schriftenreihe des Forums, Band 40. Bonn 1997. S. 13-17. Kröger, Wolfgang: Sustainable Development of Energy Supply. Vortrag bei der Int. Conf. On
Environment and Surviva! of Nuclear Energy, 27.-29. Okt. 1997, Washington (Ms.). Der Autor
gehört dem Paul ScheITer Institut, CH-5232 Villingen PSI, an. - Liebert, Wolfgang: Aspekte
prospektiver Technikbewertung: Das Beispiel neuer Nukleartechnologien. Vorstellung eines
Kriterienentwurfs. Vortrag bei dem Fachgespräch "Neue Nukleartechnologien im Spannungsfeld
von Naturwissenschaft und Ethik" (Ms.) Vgl. Anrn. 14.
(17) Strahlenschutzverordnung, § 28, Abs. 1.
(18) Atomgesetz mit Verordnungen. Baden-Baden: Nomos 1995 (19. Aufl.)
(19) Vgl. Langenheder, Wemer: Konzepte sozialorientierter Technikgestaltung. Gesellschaft für
Informatik, Fachbereich 8. Rundbrief 1,35-42.
(20) Von besonderem Interesse sind in diesem Zusammenhang die Arbeiten der Projektgruppe
Verfassungsverträgliche Technikgestaltung (Provet) in Darrnstadt. Vgl. Hammer, Volker Pordesch, Ulrich - Roßnagel, Alexander: KORA. InfoTech, Jg. 5 (1993), Heft 1. S. 21-24.
(21) Vgl. Schopenhauer, Arthur: Über die Grundlage der Moral. In: ders. Zürcher Ausgabe. Werke
in zehn Bänden. Band VI. Zürich: Diogenes 1977. S. 252-270.
(22) Vgl. Kant. Immanuei: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. In: ders.: Werke in zehn
Bänden. Band 6. Darrnstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1983. S. 61.
(23) Vgl. Blich, Ivan: Selbstbegrenzung. Eine politische Kritik der Technik. Reinbek: Rowohlt
1975. - I. Blich führt den Begriff der konvivialen oder lebensgerechten Gesellschaft und als
19
Leitbegriff der Technikbewertung und -gestaltung das konviviale Werkzeug ein. Was
"menschengerecht" ist, ist auch "konvivial", dem Zusammenleben der Menschen förderlich, oder wie Blich unter Bezugnahme auf den spanisch-mexikanischen Ausdruck "convivencialidad"
erläutert - auf "die Fülle des Miteinanderlebens" bezogen.
(24) Vgl. Podlech, Adalbert: Art. 1 GG (Schutz der Menschenwürde). In: Kommentar zum
Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Band 1. Reihe Alternativkommentare.
Gesamtherausgeber RudolfWassermann. Neuwied: Luchterhand 1984. S. 288-291. - Unter den fünf
Bedingungen der Wahrung der Menschenwürde nennt A. Podlechdie "Achtung der körperlichen
Kontingenz des Menschen". Sein Text erlaubt es, die psychische Kontingenz miteinzubeziehen. Mir
erscheint es sinvoll, die geistige Kontingenz hinzuzufügen.
(25) Damit ist noch nicht gesagt, daß der Fusionsreaktor katastrophenfrei im Sinn des deutschen
Atomgesetzes ist; danach dürfen keine Unfälle mit radioaktiver Strahlung nach außen entstehen, die
die Evakuierung der Bevölkerung notwendig machen. Es kann bis jetzt nicht völlig ausgeschlossen
werden, daß bei einem Plasmaabriß durch Verkettung von Umständen eine derartige Situation
auftreten könnte.
(26) Vgl. Hastedt, Heiner: Aufklärung und Technik. Grundprobleme einer Ethik der Technik.
Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1991. S. 252f. - H. Hastedt formuliert fünf Prinzipien der
Technikbewertung, die sich Freiheits- und Verteilungsprinzip der Theorie der Gerechtigkeit von
lohn Rawls orientieren.
(27) Vgl. Deutscher Bundestag: Bericht der Enquete-Kommission "Zukünftige Energiepolitik". BTDrucksache 8/4341. Bonn 1980.
(28) Vgl. Nerlich, Uwe - Rendtorff, Trutz (Hrsg.): Nukleare Abschreckung - Politische und ethische
Interpretationen einer neuen Realität. Baden-Baden: Nomos 1989. - Henrich, Dieter: Ethik zum
nunklearen Frieden. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1990. - Bender, Wolfgang: Wege zum dauerhaften
Frieden. IANUS-Arbeitsbericht 13/1992. S. 35-65.
(29) Vgl. Colschen, Lars - Kalinowski, Martin: Die Kontrolle der militärischen Nutzung von
Tritium. In: Müller, Erwin - Neuneck, Götz (Hrsg.): Rüstungsmodemisierung und
Rüstungskontrolle. Baden-Baden: Nomos 1991. S. 123-145. - Dies.: Tritium. Ein Bombenstoff
rückt ins Blickfeld von Nichtverbreitung und nuklearer Abrüstung. In: Informationsdienst für
Wissenschaft und Frieden, Ig. 9, Heft 4/1991. S. 10-14. - Kalinowski, Martin B.: Uncertaintyand
Range of Alternatives in Estimating Tritium Emissions from Proposed Fusion Power Reactors and
their Radiological Impact. IAEA Technical Committee Meeting on "Developments in Fusion
Safety", 7-11 lune 1993 at Tornoto, Canada. In: Journal ofFusion Energy, 12 (1993), S. 392-395. Ders.: Wie sauber stellen TA-Studien die Fusionsenergie dar? Das Beispiel der Tritiumemissionen.
In: TA-Rundschau, Nr. 111994, S. 3-7. - Ders.: The Role of Tritium within a Verified Cutoff of
Fissile and Fusionable Materials Production. In: Liebert, Wolfgang - Scheffran, lürgen (Hrsg.):
Against Proliferation - Towards General Disarmament. Proceedings of the First INESAP
Conference at Mülheim in August 1993. Münster: Agenda 1995. S. 61-64.
(30) Vgl. Beck, Ulrich: Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Modeme. Frankfurt a.M.:
Suhrkamp 1986. S. 107-112.
(31) Vgl. Ott, Konrad: Ökologie und Ethik. Ein Versuch praktischer Philosophie. Tübingen:
Attempto 1993.
(32) Vgl. u.a. Spaemann, Robert: Technische Eingriffe in die Natur als Problem der politischen
Ethik. In: Bimbacher, Dieter (Hrsg.): Ökologie und Ethik. Stuttgart: Reclam 1980. 8.180-206.
(33) Vgl. Liebert, Wolfgang: Aspekte prospektiver Technikbewertung: Vorstellung eines
Kriterienentwurfs für nukleare Energiesysteme. Beitrag zum Fachgespräch "Neue
Nukleartechnologien zwischen Naturwissenschaft und Ethik", Darmstadt, 11.-14. März 1998.
Manuskript.
(34) Vgl. Rawls, lohn: Eine Theorie der Gerechtigkeit. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1979. - 1. Rawls
diskutiert ausdrücklich das Problem der Gerechtigkeit zwischen den Generationen. In seine
20
Konstruktion des Urzustandes nimmt er die Bestimmung, daß die Mitglieder im Urzustand
Geschlechterlinien repräsentieren und deswegen die Rechte mehrerer Generationen berücksichtigen
müssen. Dies geschieht im zweiten Grundsatz der Gerechtigkeit in Form des gerechten
Spargrundsatzes.(S. 166-174. 319-327. 336f.
(35) Siehe Anm. 32.
Ausgewählte Literatur
Altner, Günter: Auf der Suche nach einer neuen ökologischen Ethik. Grundsätze und Perspektiven.
In: Scheidewege, Jg. 27 (1997/98). S. 305ff.
Enquete-Kommission "Schutz der Erdatmosphäre" des Deutschen Bundestages (Hrsg.): Mehr
Zukunft für die Erde. Nachhaltige Energiepolitik für dauerhaften Klimaschutz. Bonn: Economica
1995.
Gleich, Arnim von: Der wissenschaftliche Umgang mit der Natur. Über die Vielfalt harter und
sanfter Naturwissenschaften. Frankfurt a.M./New York: Campus 1989.
Hastedt, Heiner: Aufklärung und Technik. Grundprobleme einer Ethik der Technik. Frankfurt a.M.:
Suhrkamp 1991.
Hein10th, Klaus: Die Energiefrage. Bedarf und Potentiale, Nutzung, Risiken und Kosten.
Braunschweig: Vieweg 1997.
Henssen, Hermann: Energie zum Leben. Die Nutzung der Kernkraft als ethische Frage. München:
Bonn aktuell 1993.
Korff, Wilhelm: Die Energiefrage. Entdeckung ihrer ethischen Dimension. Trier: Paulinus 1992.
Kümmel, Reiner: Energie und Kreativität. Die Entwicklung von Arbeit und Wohlstand.
Stuttgart/Leipzig: Teubner 1998 (im Druck).
Liebert, Wolfgang: Sind Hoffnungen auf neuartige nukleare Zukunftstechnologien berechtigt? In:
ders. - Schmithals, Friedemann (Hrsg.): Tschernobyl und kein Ende? Argumente für den Ausstieg.
Szenarien für Alternativen. Münster: agenda 1997. S. 230-245.
Meyer-Abich, Klaus Michael - Schefold, Bertram: Wie möchten wir in Zukunft leben. Der 'harte'
und der 'sanfte' Weg. München: Beck 1981.
Meyer-Abich, Klaus Michael: Praktische Naturphilosophie. Erinnerungen an einen vergessenen
Traum. München. Beck 1997.
Rebhan, Eckhard: Heißer als das Sonnenfeuer. Plasmaphysik und Kernfusion. München: Piper
1992.
Ropohl, Günter: Ethik und Technikbewertung. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1996.
Anlagen
Das Jahrhundertprojekt Kernfusion. Zeittafel
Tokamak. Skizze
Strukturmodell ethischer Urteilsbildung
VDI-Richtlinie: Werte im technischen Handeln
Klaus Hein10th: Kriterien für eine verträgliche Bereitstellung und Nutzung von Energie
Forum für Zukunftsenergien: Anforderungen an Energiesysteme
Frankfurt-Hohenheimer Leitfaden
Heiner Hastedt: Fünf Prinzipien als Kriterien der Technikbewertung
21
Das Jahrhundertprojekt Kernfusion. Zeittafel
1952
1953
1955
1958
1960
1972
1975
1983
1990
1991
1991
1995
Erfindung des Tokamak in der Sowjetunion unter Beteiligung
von Andrej D. Sacharow
(Toroidalnaya Kamera Magnitnaya Katuschka)
Dwight D. Eisenhower: Programm "Atoms for Peace"
Bundesrepublik Deutschland: Einrichtung eines Atomministeriums
W. Heisenberg stellt Antrag auf Förderung von Forschungen
zur Kernfusion
Aufbau der Forschungszentren Karlsruhe und Jülich
Zweite internationale Atomkonferenz in Genf: Aufhebung
der Geheimhaltung, Freigabe der Ergebnisse der Fusionsforschung
Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft, erstes
Euratom-Fusionsprogramm
Institut für Plasmaphysik in Garching
(seit 1971 MPI und Großforschungszentrum mit ca. 1000
MitarbeiterInnen, darunter ca. 250 WissenschaftlerInnen)
Beschluß zum "Joint European Torus" (JET), Standort
Abington bei Oxford
Vergleichbare Projekte in den USA und Japan
TEXTOR (Toroidal Experiment für Technology Oriented
Research) der Kernforschungsanlage Jülich)
Inbetriebnahme des JET
Inbetriebnahme eines sowjetischen Tokamak
Forschungsprojekt mit dem Ziel einer Leistung von 1000 MW
für 200 Sekunden
Erste Fusionsleistung des JET: 1 Megawatt für 2 Sekunden
(maximale Leistung 1,7 MW)
Zweigstelle des MPI für Plasmaphysik in Greifswald eröffnet
Beschluß zum Bau des Internationalen Thermonuklearen
Experimentalreaktors (ITER) seitens USA, EU, Japan und
Rußland
2002
Baubeginn des ITER
2020
Beginn der Planungfür einen Demionstrationsreaktor
2040
Erster kommerzieller Reaktor
22
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(ziele)
. Ebene 2
Benennung der Mittel zur Erreichung
des Zieles
Überprüfung der Mittel anhand von
Ebene 1:
Sachgerechtigkeitskriterien
Ethischen Kriterien
Wirtschaftlichkeit
Funktionsfähigkeit
Sicherheit
Humanorien"tierung
Sozialorientierung
Umweltorientierung
Zukunftsorientierung
Problembeschreibung und
" Zielbestimmung
Überprüfung der Zielbestimmung. anhand
der Leitwerte
Erhaltung
Entfaltung
Ebene 3
Angesichts der Erwartung von
Nebenfolgen
Güterabwägung anhand von drei Regeln
-
Alternativenerwägungsre.gel
Nebenfolgenminimierungsregel
Unterlassungsfolgenregel
I Ebene 4
Angesichts fortbestehender Unsicherheiten hinsichtlich der Wahl
des geeigneten Mittels
Entscheidung anhand zweier
Modelle
Probabilistisches Modell· (Wagnismodell) für den gesellschaftlichen
und politischen Bereich
Tutioristisches Modell (Sicherheitsmodell) für den Bereich technischen
Handeins mit erheblicher Reichweite und Nebenfolgen
Struktur und Prozeß ethischer Urteilsbildung
Sicherheit
---~.......
.. 1"
Werte 1m technischen Handeln
häufige Instrumentalbeziehungen
häufige Konkurrenzbeziehungen
Klaus Hein10th: Kriterien für eine verträgliche Bereitstellung und
Nutzung von Energie
1.
Bedarf an Energie
2.
Verfügbarkeit von Energie aus bestimmten Quellen
3.
Notwendiger Entwicklungsaufwand bis zur kostengünstigen Wirtschaftlichkeit
4.
Technologische Handhabbarkeit, Fertigkeit im Umgang mit Technologien
5.
Wirtschaftsverträglichkeit
6.
Umweltverträglichkeit
7.
Sozialverträglichkeit
Forumfür Zukunjtsenergien: Anforderungen an Energiesysteme
Leitziel
Energie soll ausreichend und - nach menschlichen Maßstäben - langandauernd so
bereitgestellt werden, daß möglichst alle Menschen jetzt und in Zukunft die Chance
für eine menschenwürdiges Leben haben,
und in die Wandlungsprozesse nicht rückführbare Stoffe sollen so deponiert werden,
daß die Lebensgrundlagen der Menschheit jetzt und zukünftig nicht zerstört werden.
Anforderungskategorien
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
Ausreichende Menge
Bedarfsgerechte Nutzungsqualität sowie Flexibilität
Versorgungssicherheit
Ressourcenschonung
Inhärente Risikoarmut und Fehlertoleranz
Umweltverträglichkeit
Internationale Verträglichkeit
Soziale Verträglichkeit
Effizienz der Energiesysteme im Sinne niedriger Kosten
26
Frankjurt-Hohenheimer Leitfaden
Der Leitfaden für die Bewertung von Unternehmen folgt dem Wertbaumkonzept. Er
nennt auf den ersten drei Ebenen die strukturierenden Ordnungsbegriffe, während
die folgenden Ebenen zu den konkreten Bewertungen hinführen.
Die drei ersten Ebenen sind:
1.
Die grundlegenden Dimensionen der Bewertung (Naturverträglichkeit, Sozial
verträglichkeit und Kulturverträglichkeit).
2.
Die Handlungsbereiche innerhalb einer Dimension.
3.
Die verschiedenen Bewertungsobjekte in einern Handlungsbereich.
In der folgenden Übersicht werden die Ebenen 1 und 2 wiedergegeben.
Naturverträgiichkeit
Umgang mit Umweltinstitutionen
Umgang mit Umweltinformationen
Lebewesen
Energie
Stoffe
Transport
Emissionen
Umwelttechnologie
Sozialverträgiichkeit
Sozialverträglichkeit der Unternehmensorganisation
Interne Anspruchsgruppen: Allgemeine Interessen
Interne Anspruchsgruppen: Besondere Interessen
Externe Anspruchsgruppen
Produkte
Kulturverträgiichkeit
Anthropologisch vorgegebene Antriebsstrukturen
Allgemeine moralische Grundnormen
Leitbilder
Tugenden
27
Heiner Hastedt: FünfPrinzipien als Kriterien der Technikbewertung
"Eine Technik ist
1. nur legitim, wenn sie vereinbar mit dem umfangreichsten System gleicher
Grundfreiheiten für alle ist,
und normativ erwünscht, wenn sie
2. der Realisierung des umfangreichsten Systems gleicher Grundfreiheiten förderlich
ist, und
3. förderlich ist für die Realisierung der Prinzipien der sozialen Gerechtigkeit oder
zumindest vereinbar mit ihnen ist, d.h. soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten
nur dann zuläßt, wenn sie zu jedermanns Vorteil sind, und nur Positionen notwendig
macht, die jedem offenstehen, und
4. die gleichen Chancen zur Berücksichtigung der Prinzipien 1 bis 3 für zukünftige
Generationen gewahrt bleiben, und
5. (a) sowohl die Möglichkeit eines selbstgewählten guten Lebens aller der jetzt
Lebenden und der zukünftigen Generationen gewährleistet als auch
(b) zum guten Leben aller jetzt Lebenden beiträgt." (S. 252f.)
Die Technikfolgenabschätzung auf der Grundlage der fünf Prinzipien ist zu beziehen
auf die folgenden fünf Verträglichkeitsdimensionen:
1. Gesundheit,
2. Gesellschaft,
3. Kultur,
4. Psyche,
5. Umwelt. (S. 257)
28
IANUS-Publikationsreihe
Seit 1989 veröffentlicht IANUS Arbeitspapiere in einer eigenen Reihe. Exemplare sind auf Anfrage
zum Selbstkostenpreis erhältlich. Die vollständige Liste kann angefordert werden bei:
IANUS, TU Darmstadt, zu Hd. Brigitte Schulda,
Hochschulstr. 10, D-64289 Darmstadt.
Since 1989 working papers of IANUS have been published. Copies can be sent on request at cost
price. A complete listcan be ordered 'trom:
IANUS, TU Darmstadt, attn. Brigitte Schulda,
Hochschulstr. 10, D-64289 Darmstadt, Germany.
IANUS 1/1995
IANUS 2/1995
IANUS.3/1995
IANUS 4/1995
IANUS 1/1996
IANUS 1A/1996
IANUS 2/1996
IANUS 3/1996
IANUS 4/1996
IANUS 5/1996
IANUS 1/1997
IANUS 2/1997
IANUS 3/1997
IANUS 4/1997
IANUS 5/1997
IANUS 6/1997
IANUS 1/1998
IANUS 2/1998
IANUS 3/1998
IANUS 4/1998
W. Liebert,
"After the NPT Review and Extension Conference: Results and Perspectives"
B. Gotthold, "Conditio Humana und die Technik des 20.Jahrhunderts - Hannah Arendts
Gedanken zu Naturwissenschaft und Technik aus heutiger Perspektive"
W. Liebert,
"Die Hanauer Brennelementefabrik ist tot - Es lebe Hanau für die Abrüstung? "
I. Stumm, J. Brauburger, K. Nixdorff,
"Haben Toxinwaffen militärische Relevanz?"
M.B. Kalinowski, "Computersimulationen und subkritische Kernwaffentests"
M.B. Kalinowski, "Virtual Nuclear Tests - Can the Comprehensive Test Ban Treaty be
Circumvented by Computer Simulations?"
D. Hahlbohm, K. Nixdorff, "Stand und Probleme der Verhandlungen zur Stärkung der
Biologischen-Waffen-Konvention"
M.B. Kalinowski, "Kritierien für Ganzwelt- und Zukunftsorientierung"
J. Scheffran, "Frieden und nachhaltige Entwicklung"
J. Scheffran, "Konfliktfolgen energiebedingter Umweltveränderungen am Beispiel des
globalen Treibhauseffekts"
W. Sender, "Ethische Dimensionen nachhaltiger Entwicklung"
W. Liebert, "Gestaltung von Forschung und Technik.
- Wertfreiheit oder Wertbindung der Wissensschaft.
- Reformbedarf für eine zukunftsfähige Hochschule in der Gesellschaft."
Drei Vorträge an der Technischen Hochschule Darmstadt
J. Scheffran, "ModelIierung von Umweltkonflikten und nachhaltiger Entwicklung.
Anwendungsmöglichkeiten in der Klima- und Energiepolitik"
W. Liebert, "The Use of Highly-Enriched Uranium (HEU) in Research Reactors:
Implications for Proliferation"
M.B. Kalinowski, "Perspektiven der nuklearen Abrüstung"
K. Nixdorff
"Gefährdung durch biologische Agenzien" und "Die Biologische-Waffen-Konvention"
W. Krabs, S. Pickl, "Time-Discrete Dynamical Games"
M.E. Hummel, J. Scheffran, H.-R. Simon (Hrsg.),
Konfliktfeld Biodiversität
M.B. Kalinowski, H. Sartorius, S. Uhl, W. Weiss, "Rückschließbarkeit auf
Plutoniumabtrennungen durch Auswertung von Messungen des atmosphärischen
Krypton-85 in Wochenproben bei verschiedenen Abständen von der
Wiederaufarbeitungsanlage Karlsruhe"
W. Bender, "Ethische Aspekte prospektiver Technikbewertung: Das Beispiel
Kernfusion". Antrittsvorlesung im Fachbereich Gesellschafts- und
Geschichtswissenschaften der Technischen Universität Darmstadt
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