Islamismus – eine Gefahr für Deutschland und Brandenburg? Als die benzingefüllten Flaschen auf den Fensterabdeckungen des Wahllokals zersplitterten, krachte es laut. Brennen sollte er, der Ort, an dem irakische Staatsbürger ihre Stimme zur Wahl der Nationalversammlung abgeben würden. Noch in der Nacht ging bei einer Tageszeitung das Bekennerschreiben einer al-Qaida-Gruppe ein. Ein normale Szene in Irak dieser Tage, mag man denken. Nur dass sich diese Szene nicht in Irak abspielte, sondern in Kista, einem Vorort der schwedischen Hauptstadt Stockholm. Weil die Brandsätze in der Nacht vom 14. auf den 15. Dezember 2005 glücklicherweise nicht in das Gebäude eindringen konnten, kam niemand zu Schaden. Die schwedischen Behörden vermuten, dass hinter dem Anschlag junge irakischstämmige Schweden oder Exiliraker stecken könnten, die sich zwar auf die Ideologie der Qaida berufen, jedoch keine organisatorische Verbindung zu der transnationalen Terrororganisation haben. Der Anschlag in Schweden steht für eine neue Dimension des islamistischen Terrors, die sich bereits im Juli 2005 bei den Anschlägen von London zeigte: Junge Menschen, deren Eltern nach Europa eingewandert sind, lassen sich von der Ideologie der Qaida einnehmen und zu Terrorakten hinreißen. Die Ideen von al-Qaida kennen sie derweil nur aus Moscheen, Büchern oder aus dem Internet, sie waren weder in Afghanistan, noch hatten sie je Kontakt zu Angehörigen der Qaida-Organisation. Die Benzinflaschen-Attacke von Stockholm hätte vielleicht auch in einer deutschen Stadt passieren können, begangen möglicherweise von einem Muslim, der schon seit langer Zeit gut integriert in dieser Gesellschaft lebt, und sich dennoch plötzlich von einem Hass auf den Westen und seine weltliche Lebensweise erfassen lässt. Muss man sich nun vor jedem Muslim fürchten? Gewiss nicht. Fast alle Muslime, die in Deutschland leben (99 Prozent von ungefähr drei Millionen), halten sich von islamistischen Bestrebungen fern. Sie betrachten ihre Religion als Privatsache und haben keine Ambitionen, ihren Glauben gewaltsam in den politischen Raum zu tragen, den Staat umzustürzen oder Nichtgläubige zwangsweise zu bekehren. Die Islamisten dagegen sehen ihren Glauben als zentrale öffentliche Angelegenheit und einzige politische Handlungsanweisung. Es ist daher dringend geboten, streng zwischen der politischen Ideologie „Islamismus“ und der Religion „Islam“ zu unterscheiden. Verfassungsschutz Brandenburg 2006 1 Der Islam ist – wie Judentum und Christentum – eine Ein-Gott-Religion. Stifter des Islam war der Prophet Mohammed, der im 7. Jahrhundert nach Christus göttliche Offenbarungen erhielt. Das Wort „Islam“ bedeutet „Hingabe an Gott“, damit ist gemeint, dass der Muslim sein Leben der Erfüllung von Gottes Wünschen widmen soll – nicht der Erfüllung seiner eigenen egoistischen Interessen. Ein Muslim hat die „fünf Säulen“, auf denen die Religion aufgebaut ist, zu beachten: Das Glaubensbekenntnis, das Gebet fünf Mal am Tag, das Fasten im Monat Ramadan, das Almosenspenden, und einmal im Leben nach Mekka zu pilgern. Das Glaubensbekenntnis lautet: „Es gibt nur den einen Gott, und Mohammed ist sein Prophet.“ Durch das dreimalige Wiederholen dieser Formel vor Zeugen kann jeder Mensch zum Islam konvertieren. Mit 1,2 Milliarden Gläubigen weltweit ist der Islam die zweitgrößte Weltreligion, nach dem Christentum mit zwei Milliarden Anhängern. Dabei sehen die Muslime ihre Religion in Kontinuität zu den älteren monotheistischen Religionen Christentum und Judentum. Den Koran, das den Muslimen offenbarte Wort Gottes, stellen sie in eine Reihe mit der Tora und den Evangelien. Auch Abraham, Moses und Jesus werden von den Muslimen als Propheten anerkannt und verehrt. So finden sich viele biblische Geschichten – zum Teil in anderen Versionen – im Koran wieder. Betrachtet man die 1400 Jahre gemeinsamer Geschichte von Juden, Christen und Muslimen, so stellt man fest, dass es jahrhundertelang die Muslime waren, die Toleranz übten sowie die Wissenschaften und die Kunst förderten. Das spanische Andalusien erlebte unter der Herrschaft der Muslime seine berühmte Blütezeit. Die Kreuzzüge hingegen – zum Teil blutrünstige Beutezüge – wurden von christlichen „Hasspredigten“ begleitet. Heute allerdings gehen von den islamisch geprägten Teilen der Welt – die immerhin von Nordafrika bis Malaysia reichen – kaum wirtschaftliche oder kulturelle Impulse aus. Das Gefühl, von einem aggressiven Westen überrollt zu werden und den Anschluss an die modernen Wohlstandsgesellschaften zu verpassen, hat sich bereits seit Jahrzehnten in den Köpfen vieler Muslime festgesetzt. Das Gefühl, auf der Verliererseite zu stehen, macht empfänglich für die islamistische „Heilslehre,“ eine ganz und gar politische – eben nicht religiöse – Ideologie. Mit dieser Ideologie bieten die Islamisten – wie alle Extremisten – eine vermeintlich einfache Lösung für die komplizierten Probleme der Welt an: Sie streben nach einem Staat, in dem Gott der Gesetzgeber ist. Sein Wille wird durch die Religionsgelehrten ermittelt, weshalb sie die höchste Macht im Staat ausüben. Auf diese Weise wird nach Meinung der Islamisten der Scharia, dem islamischen Recht, Verfassungsschutz Brandenburg 2006 2 Geltung verschafft. Weiterhin soll sich das Staatswesen am Vorbild der islamischen Urgemeinde in Mekka und Medina ausrichten, wie der Prophet Mohammed sie im 7. Jahrhundert schuf. Islamisten sind überzeugt, der Islam sei durch die Traditionen, die sich in den Jahrhunderten herausbildete, und ganz besonders durch den Einfluss des Westens, verunreinigt und verfälscht worden. Eine Rückkehr zum UrIslam könne hingegen alle Probleme mit einem Schlag lösen. Dem Staatsgefüge, wie die Islamisten sich es vorstellen, fehlt die freiheitliche demokratische Grundordnung, die das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland festschreibt. Die Umsetzung der Scharia – zumindest einer rigiden Auffassung von Scharia, wie die Islamisten sie vertreten – ist mit der Geltung der Menschenrechte unvereinbar; man denke nur an die Körperstrafen und die Todesstrafe, die eine rigide Scharia vorsieht. Eine Gesetzgebung durch den Willen Gottes ermittelnde Rechtsgelehrte steht klar gegen das Prinzip der Volkssouveränität. Der demokratische Wettstreit mehrer Parteien ist in einem islamistischen Staat ebenso ausgeschlossen wie eine Kontrolle und Ablösbarkeit der Regierung. Die Ideologie der Islamisten stellt sich aber nicht nur gegen die Garantien der bundesdeutschen Verfassung für Freiheit um politische Teilhabe, sie ist auch in sich selbst unstimmig. So ignorieren die Islamisten die Tatsache, dass die Scharia zur Zeit des Propheten noch gar nicht existierte. Das islamische Recht ist ein Ergebnis der historischen Entwicklungen nach dem Tod des Propheten! Auch in ihrer Interpretation des Jihad kümmern sich die Islamisten weder um den Sinn des Begriffs „Jihad“ noch um dessen Bedeutung innerhalb der Religionslehre. „Jihad“ bedeutet eigentlich „das angestrengte SichBemühen um die Sache Gottes“. Das intensive Studium des Koran kann ebenso ein Jihad sein wie die Suche nach einer Lösung für ein kompliziertes theologisches Problem. Zwar war mit Jihad auch immer der kriegerische Kampf zur Verteidigung der islamischen Gemeinschaft gemeint, niemals jedoch das Töten Unschuldiger und Wehrloser. Und schon gar kein Selbstmord! In den aktuellen Fernsehsendungen mit Religionsgelehrten kommt es immer wieder vor, dass populäre Geistliche unmissverständlich sagen: Selbstmord ist im Islam verboten. Die Selbstmörder sind keine Märtyrer sondern Anwärter für das Höllenfeuer. Die Islamisten übersehen weiterhin, dass man mit dem Koran in der Hand und der Scharia auf den Lippen keinen Staat machen kann. Der Koran und die Überlieferungen treffen nur Aussagen zu wenigen Straftatbeständen (Alkoholgenuss, Diebstahl, Unzucht) und zu Angelegenheiten des Personenstandes und Erbrechts. Bestimmungen zur Besteuerung (außer dem Gebot, Almosen zu geben), finden sich dort ebenso wenig wie solche zur Regelung der inneren Sicherheit eines Staates oder zur Arbeitssicherheit. Verfassungsschutz Brandenburg 2006 3 Nur etwa ein Prozent der in Deutschland lebenden Muslime sympathisiert mit der unstimmigen, aggressiven und verfassungsfeindlichen Ideologie der Islamisten, und unter diesen gehört der weit überwiegende Teil der sogenannten „legalistischen“ Strömung an. Die legalistischen Islamisten, z. B. die „Islamische Gemeinschaft Milli Görüs,“ wollen den von Ihnen gewünschten Gottesstaat ohne Gewalt errichten. Auf Gewalt setzt nur eine kleine Minderheit der Islamisten, und diese planen zumeist keine Anschläge in Deutschland, sondern nutzen Deutschland nur zur logistischen und finanziellen Unterstützung des bewaffneten Kampfes in ihren Heimatländern. Es gibt dennoch kaum Anlass, sich beruhigt zurückzulehnen. Denn von sehr kleinen Gruppen oder sogar Einzelpersonen, die konspirativ Anschläge vorbereiten, können erhebliche Gefahren ausgehen. Dies zeigt der – auf den ersten Blick vergleichsweise unspektakuläre – Anschlag auf das Wahllokal in Kista sehr deutlich. Verfassungsschutz Brandenburg 2006 4