Ärzte und Kassen wollen Reformen

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POLITIK
NUTZENBEWERTUNG
Ärzte und Kassen wollen Reformen
Bei einer möglichen Gesetzesänderung soll es nach Vorstellungen von Fachgesellschaften sowie Krankenkassen vor allem beim Bewertungsverfahren Änderungen
geben. Die Preisgestaltung sollte sich dagegen nicht ändern.
uch im fünften Jahr nach Start
des Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes (AMNOG) werden dessen Verfahren und Auswirkungen auf das Verordnungsgeschehen in Deutschland sehr unterschiedlich bewertet. In einem aktuellen Report hat beispielsweise die
DAK-Gesundheit analysiert, dass
bei 60 der 134 AMNOG-Verfahren
kein Zusatznutzen der neuen Medikamente nachgewiesen werden
konnte. Trotzdem steige die Zahl
der Verordnungen der Wirkstoffe
ohne Zusatznutzen genau so stark
wie bei Medikamenten, denen nach
AMNOG ein zusätzlicher Nutzen
zugesprochen wurde. Somit hat die
Bewertung von Medikamenten auf
das Verordnungsverhalten von Ärzten weiterhin fast keinen Einfluss.
Daraus zieht die Kasse den
Schluss, dass Ärzte offenbar nicht
ausreichend über die Ergebnisse der
Nutzenbewertung informiert seien.
Laut einer Befragung im Rahmen
der Studie informiert sich nur die
Hälfte der befragten Ärzte regelmäßig ausführlich über die Ergebnisse der Nutzenbewertung. Die
Originaldossiers, die online abrufbar sind, seien im Praxisalltag
nicht leserfreundlich, erklärte DAKChef Herbert Rebscher. Der Bielefelder Gesundheitsökonom Prof.
Dr. rer. pol. Wolfgang Greiner, der
den Report im Auftrag der DAK
A
verfasst hat, sieht beispielsweise in
der Erweiterung der Praxissoftware
eine Möglichkeit, wie Ärzte die
Information über den Nutzen von
Medikamenten besser in den Arbeitsalltag integrieren können. Im
Grundsatz stimmt dieser Idee auch
die Arzneimittelkommission der
deutschen Ärzteschaft zu.
Neben der Analyse des AMNOG-Verfahrens werden derzeit
vor allem mögliche Änderungen
des Gesetzes diskutiert. So lobte
der Vorsitzende des Gesundheitsausschusses im Deutschen Bundestag, Edgar Franke (SPD), bei einer
Veranstaltung der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) die Einführung des AMNOG. Er räumte
aber ein, dass man „nachschauen
müsse, ob Nachbesserungsbedarf
bestehe“. Ähnlich hatten sich in der
Vergangenheit auch andere Gesundheitspolitiker geäußert (DÄ,
Heft 6/2016).
Lebensqualität für Patienten
Im Fokus der Diskussion steht dabei die Forderung, bei der Nutzenbewertung die Auswirkungen der
Medikamente auf die Lebensqualität der Patienten mehr Gewicht
zu verleihen. Gesundheitsökonom
Greiner, der auch Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung
der Entwicklung im Gesundheitswesen ist, sieht in einigen Medika-
menten, denen kein Zusatznutzen
bescheinigt wurde, in Einzelfällen
doch eine therapeutisch sinnvolle
Option. Ein Beispiel sei dabei der
Wirkstoff Dimethylfumarat zur Behandlung der Multiplen Sklerose,
dem vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) kein Zusatznutzen bescheinigt wurde, der aber als
Darreichungsform für den Patienten als Tablette deutlich angenehmer sei als eine Injektion, erklärte
Greiner.
Für die DAK stehen bei den Reformüberlegungen vor allem die
Kosten für innovative Arzneimittel
im Fokus, die mit dem Gesetz gedrosselt werden sollten. „Das AMNOG ist in seinen Grundzügen
sinnvoll. Doch die durch das Gesetz
erhofften Spareffekte sind begrenzt“, erklärte DAK-Chef Rebscher. Er sieht vor allem Reformbedarf beim sehr hohen Einstiegspreis: In den ersten zwölf Monaten
nach Markteintritt kann ein Hersteller den Preis selbst festlegen. Erst
nach Feststellung eines oder keines
Zusatznutzens starten die Preisverhandlungen mit dem GKV-Spitzenverband. Rebscher sieht in den hohen Einstiegspreisen eine „fundamentale Belastung für das Gesund-
IQWiG
Prüfung und Bewertung
kann Prüfungsauftrag erteilen
Hersteller
Frühe Nutzenbewertung
Die zeitlichen Abläufe der frühen Nutzenbewertung – vom Einreichen des
Dossiers durch den Hersteller bis zum
Abschluss der Erstattungsbetragsvereinbarung – sind vom Gesetzgeber
genau terminiert.
Markteinführung
G-BA
Nutzenbewertung
(Veröffentlichung)
Anhörung G-BA
Herstellerabgabepreis
(HAP, festgelegt)
Markteinführung
A 308
reicht Dossier ein
erstellt Gutachten
3 Monate
Deutsches Ärzteblatt | Jg. 113 | Heft 8 | 26. Februar 2016
POLITIK
Intensive Abstimmung
Nicht nur von Kassen, sondern
auch von ärztlicher Seite werden
Forderungen nach einer Reform des
AMNOG immer lauter: So stellte
jüngst die DDG in Berlin klar, dass
ein nicht durch den Gemeinsamen
Bundesausschuss festgestellter Zusatznutzen eines Medikaments keineswegs bedeute, dass dies schlecht
sei oder nicht wirke – insbesondere
bei chronischen Erkrankungen wie
dem Diabetes mellitus.
Grundsätzlich hält auch die Fachgesellschaft das Gesetz für notwendig. „Das AMNOG ist ein
sehr wichtiges und notwendiges
Steuerungsinstrument für den Arzneimittelmarkt in Deutschland.
Durch die Nutzenbewertung kann
sichergestellt werden, dass neue
Medikamente, die einen Zusatznutzen belegen können, vorteilhafter
im Markt platziert werden können“,
sagte DDG-Präsident Prof. Dr.
med. Baptist Gallwitz. Dieser Mechanismus funktioniere bei neuen
Medikamenten für Erkrankungen
mit hohem Innovationsdruck gut,
wie beispielsweise in der Onkologie oder der Immunologie. Zudem
G-BA
Nutzenbewertung
(Beschluss)
kein Zusatznutzen
würden dort messbare Endpunkte
für die Nutzenbewertung schneller
erreicht, zum Beispiel das Überleben der Patienten in der Onkologie.
Anders sehe es bei der Therapie
von chronischen Erkrankungen aus:
Hier könne das AMNOG Neuentwicklungen behindern, da es weniger lukrativ sei, für chronische
Krankheiten Medikamente zu entwickeln, erklärte Gallwitz. Zum einen gebe es viele Generika, die als
Vergleichstherapie in der Nutzenbewertung gewählt würden (Beispiel
Sulfonylharnstoffe bei Diabetes,
ACE-Hemmer bei Hypertonie).
Ferner zeigten sich Unterschiede in
anerkannten Endpunkten oft erst
nach vielen Jahren. „Gerade für die
Entwicklung von neuen Therapien
bei den Volkskrankheiten ist das ein
kritischer Punkt“, sagte der DDGPräsident.
Die Fachgesellschaft fordert deshalb eine intensivere Abstimmung
des G-BA mit den Fachgesellschaften, den Zulassungsbehörden und
dem pharmazeutischen Unternehmer im Vorfeld der Planung einer
Medikamentenzulassung. Ziel müsse es sein, das klinische Studienprogramm so zu entwickeln, dass es
optimal die Fragen zu Wirksamkeit
und Sicherheit unter zusätzlicher
Berücksichtigung der Vergleichstherapie beantwortet.
Ähnlicher Ansicht ist die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie
(DGHO). „Die frühe Nutzenbewertung ist als Instrument der Preisfindung sinnvoll, aber die verwendeten Parameter sind nicht immer für
die individuelle Entscheidung über
eine Therapie eines Patienten geeignet“, betonte Prof. Dr. med.
Carsten Bokemeyer, Geschäftsführender Vorsitzender der DGHO.
Zusatznutzen
Hersteller/GKV
„Die Krebsbehandlung befindet
sich in einem tiefgreifenden Wandel. Uns Hämatologen und Onkologen steht nahezu monatlich ein
neues Medikament zur Verfügung“,
erklärte der am Universitätsklinikum Hamburg tätige Onkologe.
Viele neue Substanzen führten sowohl zu längeren mittleren Überlebenszeiten als auch zu einer höheren Rate von Langzeitüberlebenden. „Darüber hinaus kommt es
aber unter den neuen Medikamenten oft zu einer klinisch relevanten
Linderung von krankheitsbedingten Beschwerden und – im Vergleich zur Chemotherapie – oft zu
einer signifikanten Verringerung
von Nebenwirkungen.“ Bei jeder
neuen Substanz müsse man sich
deshalb die Fragen stellen, welches
Arzneimittel wirklich ein Gewinn
sei und welcher Patient von welcher Substanz profitiere.
Wissenschaftliche Probleme
„Aus Sicht der Fachgesellschaft
muss die wissenschaftliche Evidenz
die Antwort auf diese Fragen sein“,
sagte Prof. Dr. med. Diana Lüftner,
Mitglied im Vorstand der DGHO
und Onkologin an der Berliner Charité. Die Zulassung und die frühe
Nutzenbewertung sowie die aktuellen Behandlungsleitlinien beruhten
zwar häufig auf identischen Daten,
kämen aber nicht immer zu denselben Schlussfolgerungen. „Das ist
zum einen ein wissenschaftliches
Problem, da die jeweiligen methodischen Ansätze differieren. Zum
anderen spielt auch die jeweilige
Intention der an den verschiedenen
Verfahren beteiligten Institutionen
und Akteure eine Rolle“, erklärte
▄
die Onkologin.
Rebecca Beerheide,
Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann
keine Einigung
nicht festbeitragsfähig
Festbetrag
6 Monate
Deutsches Ärzteblatt | Jg. 113 | Heft 8 | 26. Februar 2016
Einigung
Rabatt
auf HAP
12 Monate
Hersteller/GKV
Schiedsspruch
Preisverhandlung
Foto: Fotolia/bestforyou
heitssystem“. Er plädiert dafür, dass
die freie Preisgestaltung der Hersteller nur in den ersten sechs Monaten erlaubt sein sollte. Ein hohes
Einsparpotenzial bescheinigt Gesundheitsökonom Greiner der DAK
in seinem Report allerdings nicht:
So hätte es 2014 ein Einsparvolumen von 20,1 Millionen Euro für
die Kasse geben können, käme es
zu einer früheren Preisbindung. Im
Vergleich sei dies ein Einsparpotenzial von 6,8 Prozent im Vergleich
zum gesamten Ausgabenanstieg
von Arzneimitteln zwischen 2013
und 2014.
Beschluss
gilt rückwirkend
Rabatt
auf HAP
15 Monate
A 309
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