26 Gesundheit Montag 15. August 2011 Stammzellen reparieren Hirngewebe FORSCHUNG Bei 40 Prozent der 15 000 jährlichen Schlaganfallpatienten wird das Gehirn so geschädigt, dass sie Pflegefälle werden. Das könnte sich künftig ändern. Dank Forschern wie Robert Andres. Der Neurochirurg vom Inselspital wies mit US-Kollegen erstmals nach, wie nach einem Schlaganfall transplantierte Stammzellen zur Reparatur von Gehirngewebe animieren. Herr Andres, warum sind embryonale Stammzellen ein so heisses Thema für die Forschung? Robert Andres: Embryonale Stammzellen sind zelluläre Alleskönner. Da sie noch keine Differenzierung aufweisen, können sie sich zu jeder Zellart entwickeln und gezüchtet werden. Sie haben menschliche Stammzellen ins Gehirn von Ratten verpflanzt, die einen Schlaganfall hatten. Andere haben das schon am Menschen versucht. Warum sorgten Ihre Studien für Furore? Bis zu unserer Studie nahm man an, dass sich ins Gehirn von Schlaganfallpatienten verpflanzte Stammzellen dort zu Nervenzellen ausbilden und so das abgestorbene Gewebe ersetzen. Meine Kollegen von der Universität Stanford und ich beobachteten aber, dass das nur auf einen kleinen Teil der transplantierten «Die Lähmungen hatten sich nach drei bis vier Wochen bei den Ratten, denen wir Stammzellen ins Hirn gesetzt hatten, stark gebessert.» Stammzellen zutraf. Die meisten blieben Stammzellen und schütteten Stoffe aus, die die noch intakten Nervenzellen im Gehirn dazu anregten, Verbindungen zu anderen Nervenzellen aufzubauen. Dank dieser neuen Leitungen können andere Hirnregionen die beschädigten Funktionen übernehmen. Ist es besser, wenn Stammzellen andere Zellen im Gehirn zur Reparatur anregen, anstatt sich selbst in Nervenzellen zu verwandeln? Man kann nicht sicher sagen, was besser ist. Es können sich auch beide Mechanismen ergänzen. Aber zumindest muss man nicht mehr davon ausgehen, dass grosse defekte Hirnareal komplett ersetzt werden müssen, um beim Patienten einen Therapieerfolg zu erzielen. Wie wirkte sich dieser Reparaturmechanismus im Gehirn auf die Ratten aus? Der Gehirnschlag führte bei den Tieren zu Lähmungen. Diese hatten sich drei bis vier Wochen später bei den Ratten, denen wir AUFBAU EINER NERVENZELLE Nervenzellen nach einem Hirnschlag. Bild 2 zeigt Nervenzellen nach der Gabe von Stammzellen, die zu neuen Verbindungen angeregt haben. Stammzellen ins Hirn gesetzt hatten, stark gebessert. Auch ihre Reflexe normalisierten sich eher als bei den Nagern, denen nichts transplantiert worden war. Lassen sich diese Ergebnisse auf den Menschen übertragen? Das Gehirn des Menschen ist natürlich viel komplexer als das eines Nagetiers. Wir haben aber festgestellt, dass die noch existierenden Nervenzellen im Gehirn der Ratten, die Stammzellen erhalten hatten, stärker Dendriten bildeten. Sie sind eine Art Verbindungskabel zu anderen Nervenzellen, um mit ihnen zu kommunizieren. Auch die Axone, die Fortsätze der Nervenzellen, die elektrische Impulse weiterleiten, wurden bei diesen Ratten nach dem Hirnschlag vermehrt ausgebildet und bildeten neue Leitungen (siehe Grafik). Diese Ausbildung von Fortsätzen ist ein Mechanismus, der in allen Gehirnen eine wichtige Rolle spielt, und daher lassen sich diese Beobachtungen schon auch auf den Menschen übertragen. Gibt es einen idealen Zeitpunkt, um nach einem Schlaganfall Stammzellen ins Gehirn zu verpflanzen? Bislang glaubte man, dass ein Hirnschlag erst abheilen müsse, da sonst nur ein kleiner Teil der Stammzellen überlebt. Warum? Nach dem Schlaganfall kommt es zu einer Entzündungsreaktion, bei der körpereigene Fresszellen das abgestorbene Hirngewebe abbauen. Und es bilden sich Narben. Für die empfindlichen Stammzellen, von denen nur ein kleiner Teil die Transplantation überlebt, wäre das ein sehr ungünstiges Milieu. Wann haben Sie transplantiert? Eine Woche nach dem Hirnschlag. Bereits sieben Tage später bemerkten meine Kollegen und ich positive Effekte wie einen Rückgang der Lähmungserscheinungen bei den Ratten. Wann wird es neue Versuche geben, bei denen Stammzellen in Menschengehirne eingesetzt werden? Derzeit laufen sechs internationale Studien zum Thema Hirnschlag sowie weitere Untersu- Inselspital chungen bei anderen neurologischen Krankheiten. Eine wird gerade am Paraplegiker-Zentrum der Uniklinik Balgrist in Zürich durchgeführt. Dort kommen Stammzellen bei Rückenmarkverletzungen zum Einsatz. Gibt es schon Prognosen, wann dieses Verfahren bei Schlaganfallpatienten zum Standard wird? Sicher nicht vor zehn Jahren. Es ist schwierig, eine Schätzung abzugeben, da noch viele Punkte offen sind. Zum Beispiel müssen wir sicher sein, dass die transplantierten Stammzellen auf längere Sicht nicht zur Bildung von Tumoren führen. Darüber hinaus sind embryonale Stammzellen ethisch umstritten. Allerdings. Für diese Therapie brauchten wir eine grosse Anzahl davon, da nicht alle die Transplantation überleben. Schon aus diesem Grund wird diese Methode mit embryonalen Stammzellen nicht breit anwendbar sein. Vielleicht eignen sich für dieses Verfahren «Stammzellentherapie ist zurzeit die einzige Möglichkeit, nach einem Hirnschlag zerstörtes Gewebe zu reparieren.» Robert Andres’ Studie, die er mit US-Kollegen durchführte, wurde im wichtigen Fachmagazin «Brain» publiziert und sorgte für Furore. Urs Baumann EMBRYONALE STAMMZELLEN Zelluläre Alleskönner Embryonale Stammzellen werden aus Blastozyten (Keimbläschen) gewonnen. Bei diesen Zellklumpen handelt es sich um eine Frühform des Embryos, das sich nach etwa fünf Tagen aus der befruchteten Eizelle entwickelt. Diese noch nicht differenzierten Stammzellen können sich zu verschiedenen Zellarten des menschlichen Körpers entwickeln. Die Forschung will aus ihnen Ersatzgewebe züchten, um Erkrankungen zu heilen, bei de- auch andere Arten von Stammzellen. Damit wäre die ethische Debatte vom Tisch. Oder es werden Medikamente und Gentherapien entwickelt, die Reparaturmechanismen im Hirn anregen. Gibt es noch andere Möglichkeiten, nach einem Hirnschlag zerstörtes Gewebe zu reparieren? Nein. Die Stammzellentherapie ist zurzeit die einzige Möglichkeit, und daher läuft die Forschungstätigkeit in diesem Bereich auf Hochtouren. Bislang haben Schlaganfallpatienten nur die Möglichkeit, in der Rehabilitation an Lähmungserscheinungen und Sprachstörungen zu arbeiten. Interview: Juliane Lutz ADULTE STAMMZELLEN nen Zellen zerstört werden. Etwa bei Alzheimer, bei Parkinson und bei Schlaganfällen. Embryonale Stammzellen werden meist aus überzähligen Embryonen gewonnen, die für eine künstliche Befruchtung gezeugt, aber nicht mehr gebraucht werden. Dabei wird der Embryo zerstört. Zwar befinden sich die Embryonen in einem sehr frühen Entwicklungsstadium. Eingesetzt in eine Gebärmutter, könnte sich aus ihnen theoretisch ein Mensch entwickeln. jl Begrenztes Potenzial Da Stammzellen in der Medizin unverzichtbar sind, setzen Forscher ihre Hoffnungen auch auf adulte Stammzellen. Das sind die Zellen, die sich nach der Geburt im menschlichen Organismus befinden. Sie kommen im Blut, im Knochen- und Rückenmark oder im Gehirn vor und können relativ einfach entnommen werden. Sie bilden ebenfalls Gewebe nach, sind aber nicht so wandlungsund vermehrungsfähig wie embryonale Stammzellen. jl Fortsetzung von SEITE 25 Was taugen diese bekannten Diäten nächtliche Regenerationsprozesse aus den Fettdepots beziehen. Je nach Body-Mass-Index bemisst sich die tägliche Menge der Kohlehydrate. Zwischen den Mahlzeiten darf fünf Stunden nichts gegessen werden. Versprechen: Diese Diät ist auch für Kinder, Schwangere und Diabetiker geeignet. Gewichtsverlust: bis zu 5 Kilo pro Monat. Kritik: Die Diät eignet sich nur für disziplinierte Leute. Im Alltag ist es nervig, ständig Eiweiss und Kohlehydrate zu trennen. Fazit von Sven-David Müller: Der Buchtitel ist irreführend, denn eine Diät ist immer mühevoll. Aber die Methode von Pape, einem renommierten Adipositas-Experten, funktioniert. Die drei Mahlzeiten pro Tag sättigen, ohne dass der Insulinspiegel zu sehr ansteigt. Morgens sorgen Kohlehydrate dafür, dass der Stoffwechsel in Schwung kommt. Eiweiss am Abend hilft, Fett über Nacht abzubauen. Im Gegensatz zur Atkins-Diät sind Kohlehydrate erlaubt, und es gibt keine Mangelerscheinungen. Diese InsulinTrennkost ist alltagstauglich. 17 DAY DIET Der Wechsel zwischen kohlehydratarmer Ernährung und Perioden, in denen Kohlehydrate erlaubt sind, sollen den Stoffwechsel austricksen und die Fettverbrennung anregen. Das ist die Idee der neuen «17 Day Diet». Der Erfinder, US-Arzt Mike Moreno, rät zu vier Phasen, die jeweils 17 Tage dauern. In der ersten Phase sind 1200 Kalorien täglich erlaubt in Form von Joghurt, Eier, Poulet sowie Gemüse und Früchten, die wenig Stärke enthalten. In den nächsten 17 Tagen sind pro Tag 1500 Kalorien sowie natürliche Kohlehydrate wie etwa Naturreis erlaubt. In dieser Periode isst man an einem Tag wie in Phase 1, am nächsten Tag wie in Phase 2. Von Tag 35 bis 52 ist pro Tag ein Drink gestattet, und auf dem Plan stehen auch Teigwaren, doch die Kalorienmenge bleibt niedrig. In der letzten Phase isst man unter der Woche wie in den letzten 52 Tagen. Am Wochenende darf man schlemmen. Versprechen: Die gesunde Nahrung sowie der Verzicht auf Alkohol und Zucker sollen entgiften. Gewichtsverlust: bis zu 6 Kilo in 17 Tagen. Kritik: Nur 1200 Kalorien pro Tag sind für körperlich aktive Leute zu wenig. Wer am Wochenende über die Stränge schlägt, macht die Abnehmbemühungen unter der Woche zunichte. Fazit von Sven-David Müller: Es ist unsinnig, zwischen kohlehydratarmen und kohlehydratreichen Phasen zu wechseln. Grundsätzlich ist eine streng kohlehydratarme Ernährungsweise nicht ratsam, da der Körper Kohlehydrate dringend benötigt. Ihre Einsparung führt auch nicht automatisch zu Gewichtsverlust. Die diätetischen Regeln entbehren jeder wissenschaftlichen Grundlage, sind aber ungefährlich. Juliane Lutz Sven-David Müller, 41, ist Diätassistent und studierte Ernährungsmedizin. Er veröffentlichte über 100 Bücher zum Thema Ernährung. Diätexperte Sven-David Müller.