Tinnitus Bewältigung Das Selbsthilfeprogramm Wie funktioniert das Hören 23 von 122 Hinter dem Trommelfell sitzen die Gehörknöchelchen Hammer, Amboss und Steigbügel. Die nehmen diese Schwingungen auf und leiten sie an die Cochlea, die sog. Schnecke, weiter. Ein Feind, der im Nebel steckt, kommt uns immer viel gefährlicher vor als einer, den wir genau sehen können. Darum ist es so wichtig, dass Sie genau verstehen, wie das Hören funktioniert und wie dabei ein Tinnitus entstehen kann: Eine Schallwelle, also eine winzig kleine Druckveränderung in der Luft wird von der Ohrmuschel aufgefangen und über den Gehörgang (Hörkanal) an das Trommelfell weitergeleitet. Cochlea (oder Schnecke) mit Steigbügel Man kann sich die Schnecke vorstellen wie einen Schlauch, der zusammengerollt ist und in diesem Schlauch steckt ein weiterer Schlauch, das eigentliche Hör-Organ. Aussenohr mit Gehörgang und Trommelfell Das Trommelfell wird dadurch in winzig kleine mechanische Schwingungen versetzt. Vielleicht haben Sie schon einmal gesehen, wie die Membran eines Lautsprechers vibriert, wenn man Musik hört? Genau so, wie diese Membran schwingt, so schwingt auch das Trommelfell, nur natürlich ist im Ohr alles viel kleiner. Mittelohr mit Gehörknöchelchen und Schnecke Cochlea geöffnet, mit Hörnerv (gelb) Über ein kompliziertes System von Hebelwirkung und der Kraft der winzigen Muskeln im Mittelohr können die Schwingungen bei leisen Tönen verstärkt und bei lauten Tönen abgeschwächt werden. Die winzigen Schwingungen des Trommelfells werden durch winzige Bewegungen des Steigbügels auf das ovale Fenster der Cochlea übertragen die mit einer Flüssigkeit gefüllt ist. Tinnitus Bewältigung Das Selbsthilfeprogramm Die Cochlea selbst ist fest in das Felsenbein des Schädels eingewachsen, also völlig von Knochen umgeben. Diese Flüssigkeit wird in wellenartige Bewegung versetzt – kurze Wellen für die hohen Töne und lange Wellen für die tiefen Töne; die mechanischen Schwingungen sind somit in Flüssigkeitswellen umgewandelt. 24 von 122 Impuls verstärkt oder abgeschwächt werden kann. Und ganz am Ende dieser Kette, dicht unter der Schädeldecke liegt unser Hörzentrum, in dem wir diese elektrische Energie als Geräusch identifizieren und somit wahrnehmen. In dieser Schnecke aufgereiht sitzen kleine Sinneszellen, die sog. Haarzellen. Der Name Haarzelle kommt daher, weil oben auf diesen Zellen feine Härchen sind, die sich wie Algen im Meer in der Flüssigkeit bewegen können. Diese Haarzellen funktionieren wie Bewegungsmelder. Je nach Wellenlänge werden die „Haare“ dieser Sinneszellen bewegt und wandeln die mechanische Energie dieser Wellen in elektrische Energie um. Die hohen Frequenzen erregen die Sinneszellen am Eingang der Schnecke, und die tiefen Frequenzen die Zellen ganz am Ende, im Inneren der Schneckenwindung. Die elektrische Energie, die von den inneren Haarzellen aus der mechanischen Energie umgewandelt wurde, wird über die Hörnerven an das Gehirn weitergeleitet. Im Gehirn durchlaufen diese Nerven verschiedene Stationen, wo der elektrische Stationen der Hörbahn im Gehirn Diese Grafik dient nur dazu, Ihnen zu zeigen, wie kompliziert die Verschaltung ist; bitte nicht merken...Dieser Weg vom Ohr bis ins Gehirn wird als Hörbahn bezeichnet. Zum einen gibt es viele Umschalt-Stationen (um genau zu sein: sieben verschiedene) und zum anderen gibt es Verbindungen zu anderen Teilen des Gehirns (und auch zur Hörbahn der gegenüberliegenden Seite), die alle einen Einfluss auf das Signal haben. Sie können sich vorstellen, dass es auf diesem langen Weg jede Menge Einflussfaktoren geben kann. Und wenn Sie einen Tinnitus haben, dann ist das auch bei Ihnen so. Tinnitus Bewältigung Das Selbsthilfeprogramm Vom Aussenohr bis zur Cochlea: Jetzt noch einmal, aber etwas genauer: Die Haarzellen sind die eigentlichen Sinnesorgane in unserem Innenohr. Die Haarzellen funktionieren wie Bewegungsmelder und sie sind der Reihe nach in der Schnecke angeordnet – insgesamt 35.000 pro Ohr. Querschnitt durch das Innenohr mit Haarzellen Es gibt zwei unterschiedliche Typen, die äußeren (ÄHZ) und die inneren Haarzellen (IHZ), wobei nur die IHZ Impulse an das Gehirn weitergeben. Die Schallwellen in der Luft werden, wie bereits erwähnt, in Flüssigkeitswellen in der Schnecke umgewandelt, über das Trommelfell und die Gehörknöchelchen. Hohe Töne machen kurze Wellen, tiefe Töne machen lange Wellen. Diese Wellen treffen auf eine ganz dünne Membran, die oberhalb der Haarzellen liegt – auf die Tektorialmembran. Und diese Membran wird durch die Flüssigkeitswelle in Schwingungen versetzt. Wenn die schwingende Membran die feinen Härchen der Haarzellen darunter berührt, dann erzeu- 25 von 122 gen diese elektrische Energie. Und je nach Wellenlänge reagieren die unterschiedlichen IHZ wie Bewegungsmelder – sie wandeln die mechanische Energie in einen elektrischen Impuls um, der dann über den Hörnerv weitergeleitet wird. Die ÄHZ dienen dazu, die Empfindlichkeit des Gehörs zu regeln, indem sie dafür sorgen, dass die Schallwelle besser (oder schlechter) auf die IHZ treffen kann. Das tun sie weil sie in der Tektorialmembran stecken und sich aktiv bewegen können. Sie können sich zusammenziehen – dann kommt die Tektorialmembran näher an die inneren Haarzellen. Oder sie können sich strecken, dann entfernt sich die Tektorialmembran von den inneren Haarzellen und muss viel stärker schwingen um eine Erregung auszulösen. So können diese ÄHZ die Empfindlichkeit unseres Gehörs regeln. Wenn wir unsere Ohren spitzen, also genau hinhören, dann ziehen sich die ÄHZ zusammen - und die Tektorialmembran kann schon mit ganz kleinen Schwingungen, also mit ganz leisen Tönen, die IHZ erregen. Wenn es laut wird, dann strecken sich die äußeren Haarzellen und die Membran muss viel stärker schwingen, um die inneren Haarzellen erregen zu können. Diese Art zu hören nennt man die „Luftleitung“, weil sie über die Schwingungen der Luft auf das Trommelfell übertragen wird. Es gibt noch eine andere Art zu hören: Wenn eine Schallwelle auf einen festen Körper trifft, dann beginnt dieser Körper auch zu schwingen. Die Art wie ein Körper mitschwingt ist die Resonanz. Diese Resonanz hängt von vielen Faktoren ab – aus welchem Material ist der Körper, Tinnitus Bewältigung Das Selbsthilfeprogramm wie gut dämpft er, etc. Wichtig für uns ist, dass Schallwellen auch unseren Körper zum Mitschwingen anregen und diese Schwingungen übertragen sich auch durch die Knochen auf das Innenohr. Dies nennt man die „Knochenleitung“. Die Haarzellen können durch unterschiedliche Einwirkungen geschädigt werden: Lärm, bestimmte Medikamente, bei Infektionskrankheiten, etc. Dieser Schaden kann entweder vorübergehend sein oder permanent, wobei die äußeren Reihen besonders empfindlich sind. Wenn eine IHZ zerstört ist, dann ist das Hören in dieser speziellen Frequenz unwiederbringlich beeinträchtigt. Die Nachbarzellen können zwar ein bisschen helfen, aber diese eine spezielle Frequenz ist gestört. Die häufigste Schädigung ist die Lärmschädigung. Das bedeutet ein starker Schallimpuls bricht die Sinneshaare der betreffenden IHZ ab und sie fällt aus. Wie man sich leicht vorstellen kann, sind die IHZ, die direkt am Eingang zum Innenohr liegen besonders gefährdet, dort ist die mechanische Einwirkung am stärksten. Darum beginnt die Lärmschwerhörigkeit meist in den hohen Frequenzen. In den folgenden faszinierenden Abbildungen, die mit einem Elektronen-Mikroskop gemacht wurden, sehen Sie Haarzellen - von gesund bis zerstört: Zunächst die gesunden, eine Reihe kleiner Stifte: „gesunde“ Haarzellen 26 von 122 Hier sind die Haarzellen verklebt, was z. B. nach einer langen Diskonacht vorkommen kann. Dieser Schaden kann sich noch erholen: „verklebte“ Haarzellen Aber hier gibt es nichts mehr, das sich noch erholen könnte. Diese Haarzellen sind unwiederbringlich zerstört: zerstörte Haarzellen Diese Bilder zeigen eindrucksvoll, was Lärm mit unseren Ohren anstellen kann. Und das ist ein sehr großes Problem bei uns: Eine Untersuchung hat ergeben, dass in Deutschland jeder Vierte im Alter zwischen 16 und 25 Jahren bereits einen deutlich nachweisbaren Schaden im Hochtonbereich hat. Diese Zahlen sind wirklich alarmierend – unsere heutige Welt ist viel zu laut für unsere Ohren. Das Problem hierbei ist, dass die Betroffenen in jungen Jahren selbst noch nichts von diesem Schaden bemerken. Aber wie wir schon gesehen haben: Eine Hörminderung ist der Haupt-Risikofaktor für die Entwicklung eines Tinnitus!