ISO 9001:2015 – Wissen der Organisation

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ISO 9001:2015 – Wissen der Organisation
Wir leben und arbeiten in einer „Informations- und Wissensgesellschaft“, und in der großen Mehrzahl
der Organisationen ist die praktische Bedeutung von Wissen als Wert und Erfolgsfaktor längst
unumstritten. Aber wie gelingt es uns, die „Ressource Wissen“ systematisch in das Managementsystem
zu integrieren?
Im ISO/FDIS 9001:2015 heißt es: „Die Organisation muss das
Wissen bestimmen, das benötigt wird, um ihre Prozesse durchzuführen und um die Konformität von Produkten und Dienstleistungen zu erreichen. Dieses Wissen muss aufrechterhalten und
in ausreichendem Umfang vermittelt werden. Um sich ändernde
Erfordernisse und Trends zu berücksichtigen, muss die Organisation ihr momentanes Wissen betrachten und muss bestimmen,
auf welche Weise das nötige Zusatzwissen erlangt wird oder wie
darauf zugegriffen wird.“
Das bedeutet als Handlungsanforderungen konkret:
ƒƒFür die identifizierten Prozesse einer Organisation ist auch
das mit diesen Prozessen verbundene Wissen konkret zu
benennen.  Aussagen zum Prozesswissen gehören also
direkt in die Prozessbeschreibungen.
ƒƒEs geht einerseits um die Durchführung der Prozesse und
andererseits um die Ergebnisqualität.  Prozesswissen
bezieht sich auf die Durchführung der einzelnen Teilprozesse
und Aktivitäten (z. B. bezogen auf die Beherrschung von
Methoden und Technologien, die Bedienung von Maschinen)
und auf die Umsetzung von Konformitätsforderungen
(bezogen auf Gesetzlichkeiten, normative Vorgaben usw.
und die Anforderungen von Kunden).
ƒƒDie Aufrechterhaltung des Wissens in konkreten
Organisationsformen, z. B. bezogen auf Prozesse,
Produkte, die Entwicklung von Kundenerwartungen, ist
sicherzustellen. Dabei helfen uns heute in sehr effektiven
Formen die Instrumente moderner Informationstechnik.
 Aufrechterhaltung impliziert auch Verfügbarkeit und
praktische Nutzung von Wissen als Zielkriterium.
ƒƒDie „ausreichende Wissensvermittlung“ ist die Brücke zum
Kompetenzmanagement. Wissen ist im Sinne der Norm
keine abstrakte Größe an sich, sondern funktional auf
die wirksame Anwendung in Prozessen durch kompetente
Akteure ausgerichtet.  Also benötigen wir Transfer- und
Lernformen, wie aus Wissen Kompetenzen von einzelnen
Akteuren oder Mitarbeitergruppen werden.
ƒƒWelches benötigte Wissen ist jetzt bereits vorhanden
und welche Wissensanforderungen sind zukünftig
zu berücksichtigen? Welches Wissen ist aber auch
„auszusondern“, denn veraltetes Wissen kann für
Organisationen nicht nur als Ballast wirken, sondern sehr
gefährlich werden in Bezug auf Effektivität und Effizienz der
Prozesse?  Eine Form der Umsetzung dieser Forderung
findet sich in „lernenden Prozessen“ und „lernenden
Organisationen“ wieder.
©
DQS GmbH, Frankfurt am Main, Juli 2015
ƒƒAuf welches Wissen greifen wir im Maßstab der eigenen
Organisation zurück und welches „Zusatzwissen“ holen
wir uns kontinuierlich oder bei speziellen Bedarfen aus
externen Quellen?  Wie sind diese Zugriffe organisiert und
sichergestellt? Wie sichern wir aber auch die Vermeidung
von unerwünschtem „Abfluss“ von Wissen aus der
Organisation?
In den letzten Jahren hat sich das angewandte Wissensmanagement (WM) von einem organisationstheoretischen Diskussionsfeld zum praktischen Gestaltungsinstrument weiterentwickelt.
Die damit verbundenen Chancen passen sehr gut zur neuen
Normforderung, „Wissen als Ressource“ zu managen.
Was ist, was soll Wissensmanagement?
Im Entwurf der ISO wird Wissen als die „verfügbare Sammlung
von Informationen, die eine berechtigte Überzeugung darstellen
und mit großer Sicherheit wahr sind“, definiert. Dieser Wissensbegriff greift das im englischen Sprachraum häufig verwendete
Verständnis von Wissen als „Justified True Belief“ auf und stellt
den Zusammenhang zwischen Informationen und Wissen her. [1]
Grundlage des Verständnisses von Wissensmanagement ist
die Einordnung von Wissen als Ressource der Organisation, die
es zielgerichtet, z. B. untersetzt durch konkrete „Wissensziele“,
zu nutzen gilt. Hierzu gilt es, unterschiedliche Methoden und Instrumente auf betrieblicher Ebene einzusetzen, um den Umgang
mit Wissen im Unternehmen systematisch zu gestalten.
Wissensmanagement in der Praxis
1. Der Lebenszyklus von Wissen in Organisationen
Für die unternehmens- und handlungsorientierte Zusammenfassung des Lebenszyklus von Wissen lässt sich folgendes Referenzmodell des Fraunhofer IPK sehr gut verwenden.
Wissen erzeugen
Wissen anwenden
Wissensangebot
Geschäftsprozesse
Wissensdomänen
Wissensnachfrage
Wissen speichern
Wissen verteilen
www.dqs.de
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Das Referenzmodell bietet ein einfaches Verständnis von Wissensmanagement und seine Zusammenhänge im Unternehmen.
Die Kernbotschaften des Modells sind schnell verständlich: [2]
ƒƒIm Mittelpunkt der Betrachtung stehen die wichtigen
Geschäftsprozesse und Wissensdomänen des
Unternehmens.
ƒƒIn den Geschäftsprozessen wird Wissen erzeugt,
gespeichert, verteilt und (wieder) angewendet, um die
Wissensnachfrage mit einem Wissensangebot zu bedienen.
ƒƒWissensmanagement dient dazu, diese Kernaktivitäten im
Umgang mit Wissen zu optimieren und zu systematisieren.
2. Der Weg zum prozessorientierten Wissensmanagement
Die am Fraunhofer IPK entwickelte GPO-WM-Methode* baut auf
dem oben skizzierten Referenzmodell auf und gliedert sich in
drei aufeinander aufbauende Schritte:
ÎÎ
Auswahl und Beschreibung der Geschäftsprozesse
Die Beschreibung der zentralen Geschäftsprozesse erfolgt
anhand von Prozess-Steckbriefen oder durch den Einsatz
von Modellierungswerkzeugen. Neben der Visualisierung der
Unternehmensabläufe wird durch ein Prozessmodell zugleich
der Kontext für den Umgang mit Wissen spezifiziert. Liegen
im Unternehmen bereits Prozessbeschreibungen – beispielsweise aus dem Qualitäts- oder Geschäftsprozessmanagement – vor, so kann auf diesen aufgebaut werden.
ÎÎ
Analyse von Stärken und Schwächen im Umgang
mit Wissen
Anhand ausgewählter Wissensdomänen, z. B. Wissen über
Kunden, Wissen über Produkte, Fach- und Methodenwissen,
werden die vier WM-Kernaktivitäten (Erzeugen, Speichern,
Verteilen und Anwenden) analysiert. Hierzu wird in funktionsübergreifenden Workshops eine Selbstbewertung anhand
eines strukturierten Leitfadens durchgeführt.
ÎÎ
WM-Lösungen auswählen und prozessorientiert
einführen
Nach Auswertung und Diskussion der Analyseergebnisse werden Handlungsfelder priorisiert und entsprechende Verbesserungsmaßnahmen abgeleitet. Hierbei hat sich die Erstellung
einer Lösungs-Roadmap (zeitliche Planung und Meilensteine
für die Umsetzung) in der Praxis bewährt.
Die Ausrichtung der WM-Aktivitäten an konkreten Geschäftsprozessen gewährleistet, dass die operativen Abläufe im Unternehmen betrachtet werden und somit die Integration von Wissensmanagement in die alltäglichen Abläufe des Unternehmens
sichergestellt wird. Hierzu werden in der folgenden Tabelle ausgewählte Methoden und Instrumente exemplarisch dargestellt
Methoden und Instrumente
Wissen erzeugen
Befragungen zur Ermittlung der Kundenzufriedenheit
Wissen speichern
Einsatz technischer Hilfsmittel zur Dokumentation von Wissen, z. B. standardisierte Verzeichnisstrukturen, Wikis, Dokumentenserver
Wissen verteilen
Durchführung von Expertendebriefings bei
ausscheidenden Mitarbeitern – „Wissenstransfer zwischen den Generationen“
Wissen anwenden
Checklisten oder Verfahrensanweisungen,
um in wiederkehrenden Aufgaben die Qualität der Arbeitsergebnisse zu sichern
Methoden und Instrumente für den systematischen Umgang
mit Wissen im Unternehmen
Chancen nutzen und „Stolpersteine“ meistern
Aus der Erfahrung von Unternehmen, die sich bereits mit der
Einführung von WM-Lösungen beschäftigt haben, lassen sich
u. a. folgende Empfehlungen ableiten: [3]
ƒƒMitarbeiter bereits frühzeitig in das „Projekt Wissensmanagement“ einbinden und Ziele gemeinsam erarbeiten.
ƒƒDen Nutzen des Wissensmanagements anhand von
Beispielen verdeutlichen und intern kommunizieren
(„internes Marketing“).
ƒƒPrioritäten setzen: leicht umsetzbare, Nutzen stiftende
Punkte zuerst angehen.
ƒƒAuf bereits vorhandenen Strukturen und Systemen
aufbauen.
ƒƒGenügend Zeit und Ressourcen einplanen. Unterstützung
der Geschäftsleitung sichern.
ƒƒVerbindlichkeiten und Verantwortlichkeiten schaffen, z. B.
durch die Anbindung an das Qualitätsmanagement.
ƒƒUnternehmenskultur einbeziehen: Passt die Lösung zu
unserer Kultur?
ƒƒBei Einführung neuer IT-Systeme: Schulungen und
Qualifizierungsmaßnahmen durchführen.
Dr. Karsten Koitz
DQS-Auditor
[email protected]
Prof. Dr.-Ing. Holger Kohl
Geschäftsfeldleiter Unternehmensmanagement, Fraunhofer IPK
[email protected]
Ronald Orth
Abteilungsleiter Business Excellence Methoden, Fraunhofer IPK
[email protected]
* GPO-WM = Geschäftsprozessorientiertes Wissensmanagement
Quellen:
[1]Orth, R.; Voigt, S.; Kohl, I.:
Praxisleitfaden Wissensmanagement
Fraunhofer-Verlag, 2011
©
DQS GmbH, Frankfurt am Main, Juli 2015
[2]North, K.; Brandner, A.; Steininger, T.:
Die neue ISO 9001:2015 –
Wissensmanagement wird Pflicht!
In: wissensmanagement 17 (2), 2015
[3]Orth, R.: Fit für den Wissenswettbewerb:
Wissensmanagement in KMU erfolgreich
einführen. Hg: Bundesministerium für
Wirtschaft und Energie, 2013
www.dqs.de
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