„Aktuell steht die digitale Erlebnisweltgestaltung im Vordergrund“

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Schwerpunkt | Interview
„Aktuell steht
die digitale
Erlebnisweltgestaltung
im Vordergrund“
Technische Lösungen und Anwendungen werden für den Handel immer
wichtiger. Im Interview erläutert Guido Stillhard, CEO, Verwaltungsrat und Mitinhaber der JLS DIGITAL AG, die aktuellen Trends und prognostiziert, dass der Stellenwert digitaler Lösungen zukünftig weiter zunehmen wird.
Das Interview führte Elena Essig, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Forschungszentrum für
Handelsmanagement an der Universität St. Gallen.
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Marketing Review St. Gallen
3 | 2015
Schwerpunkt | Interview
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Guido
Stillhard
Das rasante Wachstum des E-Commerce verdeutlicht das Ausmaß, mit
welchem Technologie den klassischen Handel beeinflusst. Der OnlineGeschäftskanal ist heute fest in der Gesellschaft verankert, und technologische Innovationen revolutionieren das Einkaufserlebnis stetig aufs
Neue, so etwa das QR-Shopping oder ortsbasierte Services. Herr Stillhard,
was verstehen Sie unter „neuen Technologien“?
Im Kontext „Relevanz für den Einzelhandel“ würde ich Anwendungen und
Lösungen der folgenden Bereiche der Digital Customer Experience als „neue
Technologien“ bezeichnen: Dazu zählen erstens Digital Customer Solutions.
Darunter verstehe ich konsistente App- und responsive Weblösungen für
den Endkunden/Konsumenten als Informations-, Verkaufs- und Kundenbindungskanal. Zweitens die Digital Sales Solutions, womit der Einsatz mobiler Endgeräte zur Unterstützung des Verkäufers für personalisierte Beratungsprozesse, Vereinfachung der Logistikprozesse et cetera gemeint ist. Wir
sprechen hier also von Beraterapplikationen auf interaktiven Geräten, welche eine integrierte Handhabung der unterschiedlichen Verkaufskanäle in
der Kundenberatung zulassen. Drittens die Digital Experience Solutions,
also die digitale Erlebnisweltgestaltung des POS. Zum Beispiel die Stärkung
der Markenbindung und der Interaktion im Ladengeschäft durch die
Integration von Digital Signage, Kiosklösungen und multimedialer Installationen.
Wenn auch diese drei Ausprägungen technologisch gesehen nicht absolut
neu sind, so sind sie in ihrer An- und Verwendung im Einzelhandel dennoch als neue Technologien anzusehen.
Marketing Review St. Gallen
3 | 2015
absolvierte nach seiner kaufmännischen
Berufsbezeichnung
Grundausbildung und der höheren
Fachprüfung zum Eidg. Dipl. Logistikleiter ein Nachdiplomstudium in Betriebswirtschaft sowie verschiedene
Weiterbildungen mit Schwerpunkt Verkauf/Marketing und Medien an der St.
Galler Business School und der Universität St. Gallen. Seine Berufsstationen
umfassen namhafte Arbeitgeber im Bereich Verkehr/Logistik, IT-Dienstleistungen und Medien.
Unter seiner Führung entwickelte sich
JLS DIGITAL AG (ehem. John Lay Solutions AG) vom Start-up mit drei Mitarbeitern zu einem etablierten KMU
mit 60 Festangestellten. Guido Stillhard
ist seit 2001 in der Firma und hat in
dieser Zeit das Unternehmen strategisch
und operativ geprägt. Seit 2012 ist Guido Stillhard am Unternehmen beteiligt.
2013 hat Guido Stillhard gemeinsam
mit weiteren Investoren im Rahmen eines Management Buy Out das Unternehmen übernommen. In dieser Gruppe ist er anteilsmässig bedeutendster
Privatinvestor. 2015 hat JLS DIGITAL
AG unter der Leitung von Guido Stillhard die MONS Consulting GmbH mit
Sitz in Zürich übernommen und damit
das Unternehmen zur führenden Kreativagentur und Generalunternehmung
für Digital Marketing ausgebaut
.
Elena Essig
Universität St. Gallen, St. Gallen, Schweiz
E-Mail: [email protected]
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Welche Technologie-Trends sind aus Ihrer Sicht aktuell die
wichtigsten und erfolgversprechendsten?
Aktuell stehen sicher die „Digital Experience Solutions“, also
die digitale Erlebnisweltgestaltung am POS, im Vordergrund.
Dieser Trend ist unaufhaltsam und hat nun auch in der
Schweizer Retail-Landschaft deutlich zugelegt. In UK beispielsweise ist Digital Signage im Handel bereits Standard.
Beispiele wie PKZ WOMEN an der Zürcher Bahnhofstraße
zeigen deutlich, dass die Erlebniswelt am POS, das Generieren von Kundenfrequenzen, die Verlängerung der Verweildauer et cetera immer stärker von digitalen Lösungen unterstützt wird. In diesem Bereich gibt es mittlerweile viele
praxiserprobte Projekte und Anwendungen, welche den Erfolg für den Handel bestätigen.
In Zukunft werden wohl Anwendungen im Bereich „Digital Customer Solutions“, also Touchpoints auf den mobilen
Kundengeräten, auf Smartphones, Tablets und Wearables den
wichtigsten und erfolgversprechendsten Trend darstellen.
Hier spreche ich nicht einfach von Mobile Marketing, sondern von der aktiven Verknüpfung des Händlers mit eigenen
Applikationen auf Kundengeräten. Auch hier darf die Loyality- und Couponing-App von PKZ als gutes Bespiel genannt
werden. Prominentestes Beispiel ist sicher die Digital Customer Solutions von SBB, welche mit ihrer Kunden-App sehr
viele Mehrwerte für Reisende schafft und daher sensationell
hohe Akzeptanz- und Nutzungswerte aufweist.
Immer mehr Unternehmen greifen in ihrer Kommunikation, Kundenansprache und Ladengestaltung auf technologische Gadgets wie etwa iPads und digitale Terminals
zurück. Was macht diese Maßnahmen aus Ihrer Sicht so
beliebt?
Ich glaube nicht, dass diese Maßnahmen bei den Händlern
besonders beliebt sind. Vor allem nicht die Investitionen in
solche Maßnahmen. Vielmehr sieht sich der Handel herausgefordert, weil seine Kunden dank digitaler Lösungen permanent über umfassende Informationen, auch über das HandelsAngebot, verfügen. Showrooming, Personalisierung und eine
einheitliche Brand Experience über alle On- und OfflineKanäle sind die aktuellen Herausforderungen im Retail.
Digitale Lösungen, wie ich sie vorgängig genannt habe, können wertvolle Ansätze zur erfolgreichen Begegnung dieser
Herausforderungen darstellen. Aus den zahlreichen Gesprächen mit dem Handel kann ich Ihnen aber versichern, dass
diese Maßnahmen meistens nur unter Druck integriert werden und beim Handel leider immer noch nicht „beliebt“ sind.
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Dies obschon der Handel weiß, dass ein zögerliches Zuwarten mit Investitionen in die digitale Transformation den
Druck weiter erhöht und bei Untätigkeit mit der Zeit zur
Überlebensfrage mutiert.
Mit welchen Technologien lassen sich das stationäre Ladengeschäft, der Online-Store und mögliche weitere Kanäle
eines Unternehmens am besten verknüpfen?
Durch eine intelligente Verknüpfung von Digital Customer
Solutions (Mobile/Tablet/Wearable des Kunden), Digital Sales Solutions (interakative Screens oder mobile Beraterapplikationen am POS) und Digital Experience Solutions (Digital
Signage am POS) wird der Konsument einige Tage nach dem
Kauf gar nicht mehr mit Sicherheit sagen können, ob er nun
das Produkt online oder stationär gekauft hat. Er wird aber
mit Sicherheit sagen können, bei welchem Händler er das Produkt gekauft hat. In Zukunft ist den Identifikationstechnologien, wie zum Beispiel iBeacon, ebenfalls Bedeutung zuzumessen. Dies weil durch den Einsatz solcher Technologien im
Ladengeschäft die Instore-Kommunikation zum Beispiel mit
dem Smartphone des Konsumenten „verknüpft“ wird und interagieren kann.
Dank leistungsfähiger Datenübertragungstechnologien
und der Popularität von Smartphones sind Internetnutzung
und mobile Ansprache von Kunden kaum noch zeit- und
ortsgebunden. Inwiefern beeinflusst dieser Trend das Marketing in Handelsunternehmen?
Der Einfluss ist ganz massiv. Früher, in der stationären Welt,
konnte man sämtliche Maßnahmen auf Ladenöffnungszeiten
ausrichten. Heute, in der Multikanal-Welt, ist der Laden immer offen. Konsumenten erwarten also die genau gleiche Reaktionszeit um Mitternacht,wie früher in Situationen der persönlichen Beratung im Ladengeschäft. Diese neuen Anforderungen bedeuten für den Handel eine gewaltige Verkürzung
und Beschleunigung der Prozesse. Ich wage zu sagen, dass
sich der Handel von einem „gestoßenen“ Verkaufsprozess immer mehr zu einem „gezogenen“ Verkaufsprozess entwickelt.
Für das Marketing und die Kommunikation im Handel bedeutet dies, dass man nicht mehr wie früher mit lange vorausgeplanten Kampagnenplänen arbeiten kann. Vielmehr beeinflussen in Zukunft die konkreten Ist-Daten oder umfeldbasierende Daten (zum Beispiel aktuelle Warenbestände pro
Filiale, Aufenthaltsort des Konsumenten et cetera) die Inhalte des Marketing. Im digitalen Marketing gilt es überdies darauf zu achten, dass man die Kunden entlang der „Customer
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Journey“ früher abholt und im weiteren Prozess, auch über
den Verkauf hinaus, zu binden vermag. Solche Modelle werden primär im Digital Marketing angesiedelt sein. Es gibt aber
auch in der analogen Welt betreffend Abgreifung der Customer Journey höchst erfolgreiche Beispiele, wie zum Beispiel
die Collectible-Kampagnen der Migros.
Wie Sie bereits angesprochen haben, bergen neue Technologien etliche Potenziale und Chancen für den Handel. Bei
der Auswahl und Implementierung ist jedoch Vorsicht geboten. Welche Risiken müssen Händler beim Umgang mit
neuen Technologien beachten und wie lassen sich diese
vermeiden?
Wenn der Handel erfolgreich digitale Marketing- und Verkaufsprozesse etablieren will, dann sollte dies Teil einer übergeordneten Strategie sein. Solche Projekte sind auf jeden Fall
im C-Level-Bereich zu führen. Als eindrücklichstes Beispiel
dazu gilt die globale Luxusmarke Burberry. Kaum eine andere Traditionsbrand hat den digitalen Wandel in Marketing
und Kommunikation derart konsequent durchgeführt. Das
Resultat daraus ist sehr eindrücklich. Der Name der Strategie
war ganz einfach „Burberry Digital“.
Fehler lassen sich vermeiden, indem sich der Handel bereits
bei der Ausarbeitung der Digital-Strategie von Spezialisten,
welche neutral von Marke, Lösung und Hersteller arbeiten,
beraten lässt. Full-Service-Digital-Agenturen sind also bereits
in der Konzeptphase wichtig, nicht erst im Projekt oder im
operativen Betrieb. Der Handel sollte die Fallgruben kennen,
welche sich rund um die Integration dieser Technologien auftun. Es sind primär folgende:
• Technikfokus statt Marketingfokus
• IT-Projekt statt Marketingprojekt
• Handelsdenken statt Konsumentendenken
• Selber machen statt Spezialisten hinzuziehen
Wir erleben, dass der Handel sehr an neuen Technologien
interessiert ist und sich viel zu stark für Produkte (Screens,
Software et cetera), Technologien und ihre Details interessiert.
Der Handel will das Produkt verstehen und dann möglichst
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günstig beschaffen und die Lösungen durch die eigene Organisation, meistens die IT-Abteilung, selber betreiben. Der
Handel favorisiert bei der Integration neuer Technologien
einfache Kaufmodelle und zieht diese den sorgloseren Service-Modellen vor. Dabei verhält sich der Handel oft so, als
ginge es um ein Update des Kassensystems oder um die Integration von neuem Mobiliar in den Geschäften. Viele Einzelhändler setzen durch dieses Verhalten den falschen Fokus in
Digital-Marketing-Projekten. Gerade in Branchen, wo die
Business-Modelle schon sehr lange auf gleiche oder ähnliche
Art funktionieren, ist man von der Denkhaltung her meistens
noch nicht bereit für eine erfolgreiche digitale Transformation im Marketing. Dies deshalb, weil die Erfahrung, das Wissen über das Bestehende, für den Erfolg dieser Projekte gar
nicht so wichtig ist. Viel wichtiger ist das konsequente Denken in Mehrwertfaktoren für Konsumenten. Das konsequente Berücksichtigen der Customer Insights und das praxiserprobte Know-how aus anderen Digital-Marketing-Projekten.
Welche Möglichkeiten gibt es, um den Erfolg des Einsatzes
neuer Technologien in Marketing und Handel zu messen?
Welche Indikatoren/Kennzahlen sollten Unternehmen hierzu am besten heranziehen?
Das ist wohl die „Killer-Frage“ … Eigentlich gilt nur die nachhaltige Entwicklung der Conversion-Rate als Gradmesser für
den Erfolg von Marketingmaßnahmen. Es geht darum, auf
den verschiedenen Kanälen zwischen dem Grad an Bekanntheit einer Handelsmarke beziehungsweise einer VertikalBrand und dem Grad an Kaufabschlüssen möglichst wenig
Potenzial zu verlieren (Stichwort: Customer Journey).
Die digitalen Technologien sind also mit Vorteil bewusst danach auszurichten und nach ganz klaren Zielsetzungen zu
profilieren.
sammen verbunden sein werden und deshalb einen noch höheren Stellenwert in unserem Lebensstil einnehmen werden.
Es werden sich ob neuen Möglichkeiten, wie zum Beispiel
dem Wearable-Device Apple Watch, die Digital Use Cases und
das Medien-Nutzungsverhalten nochmals deutlich verändern. Erste Anzeichen dieser Veränderungen werden wir
schon wenige Monate nach der Lancierung der Apple Watch
eindrücklich erleben können. Wenn nun dereinst der Großteil der Konsumenten diese Lösungen nutzt, wird dies automatisch sehr relevant für den Handel und wird dazu beitragen, dass die Handelslandschaft erneut herausgefordert wird
und sich die Verkaufs- und Informationskanäle weiter fragmentieren.
Stellen Sie sich nur einmal den möglichen Einfluss sensorgenerierter Daten durch die Wearables, wie die Apple Watch,
vor. Ihre Apotheke könnte dadurch zum Beispiel automatisch
feststellen, ob Ihre Stoffwechselwerte, Ihre Körpertemperatur,
Ihr Herzschlag et cetera in Ordnung sind oder ob Sie einen
Arzt konsultieren oder ein Medikament einnehmen sollten.
Ihre Krankenkasse könnte Sie zum Beispiel je nach Grad
nachweisbarer sportlicher Aktivität tarifarisch individuell taxieren et cetera. Solche Entwicklungen werden durch den
technologischen Fortschritt möglich. Solche Entwicklungen
könnten, vor allem die bedarfsorientierten Retailprozesse,
nachhaltig prägen.
Herr Stillhard, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für dieses
Interview genommen haben.
Als einer der führenden Schweizer Anbieter von Digital
Marketing am POS verfügen Sie über ein ausgeprägtes
Gespür für Technologie-Trends und -Neuheiten. Mit Blick in
die Zukunft, welche noch nie da gewesenen technologischen Entwicklungen könnten schon bald das Marketing
und die Handelslandschaft nachhaltig prägen?
Ich würde jetzt sagen: die weitere Entwicklung und neue Nutzungsformen des Smartphones … Aber dieses ist ja schon lange da und in dem Sinne kein unerwarteter Trend.
Entgegen vielen Einschätzungen bin ich überzeugt, dass in
Zukunft Medienträger und digitale Lösungen noch persönlicher werden, das heißt, noch näher mit dem Menschen zu-
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