SI C C A Bildgebende Diagnostik beim Trockenen Auge Von Dieter F. Rabensteiner, Ingrid Boldin und Jutta Horwath-Winter Das Trockene Auge wird in den letzten Jahren immer häufiger beobachtet. Es handelt sich dabei um eine multifaktorielle Erkrankung des Tränenfilms und der Augenoberfläche, die mit subjektiven Beschwerden, Sehstörungen und Tränenfilminstabilität einhergeht. Begleitet wird sie von einer Hyperosmolarität des Tränenfilms, entzündlichen Veränderungen und einer potentiellen Schädigung der Augenoberfläche.1 Das Trockene Auge wird nicht nur durch einen Mangel an Tränenflüssigkeit ausgelöst, sondern entsteht vor allem auch durch eine vermehrte Verdunstung des wässrigen Anteils bei Störungen in der Zusammensetzung der Tränenflüssigkeit, bei krankhaften Veränderungen der Augenoberfläche, der Lider und der Blinkfrequenz. W ir möchten in diesem Artikel ­ einige der bildgebenden ­Geräte für die Diagnostik beim Trockenen Auge vorstellen und ihre wichtigsten Funktionen beschreiben. Um einen besseren Überblick zu bekommen, werden die Geräte den jeweils darzustellenden Strukturen zugeordnet. FOTOS: MAG. BERNHARD STEINER; MED. UNI GRAZ; DR. ERICH FEICHTINGER / MEDICAL NETWORK LIPIDSCHICHT Laut Literatur liegt bei über 75 Prozent der PatientInnen mit Trockenem Auge eine Störung der oberflächlichen Lipidschicht des präokulären Tränenfilms vor.2 Die Lipidschicht ist für die Stabilität des Tränenfilms von enormer Bedeutung und auch für die Bildung einer optisch glatten Grenzfläche wesentlich. Mit Hilfe der Beleuchtungseinstellung für diffuses, helles Licht an der Dr. Dieter Franz ­Rabensteiner Priv.-Doz. Dr. Ingrid Boldin Spaltlampe ist es möglich, Aussagen über das Aussehen und die Dicke der Fettschicht zu treffen. Man macht sich hierbei das Phänomen von Interferenzen zunutze. Interferenzen entstehen, wenn Lichtstrahlen an der Vorder- und Rückseite dünner Schichten reflektiert werden und sich gegenseitig beeinflussen. Das entstehende Farbmuster variiert von Grau bis zu einem regenbogenartigen Schillern, das man zum Beispiel von Fett an Wasseroberflächen kennt. Die Beobachtung der Lipidinterferenzmuster mittels Spaltlampe erfordert ­Erfahrung. Im Gegensatz dazu stellt das „TearScope-Plus“ der britischen Firma Keeler eine sehr gute, einfache und ­rasche Möglichkeit zur Visualisierung der Fettschicht dar. Das Auge wird mit der Spaltlampenoptik direkt durch das TearScope-Plus in einer Art diffuser Mittels des „Keratograph 5M“ der deutschen Firma Oculus können Fotos und ­Videoaufnahmen der Lipidschicht angefertigt werden. Eine automatische Analyse des Lipid­films sowie eine Quantifizierung seiner Dicke ist nicht möglich. Priv.-Doz. Dr. Jutta ­Horwath-Winter Spezialbereich für Benetzungsstörungen der ­Ambulanz der Universitäts-Augenklinik Graz, ­Medizinische ­Universität Graz Œwww.medunigraz.at 10 Umfeldbeleuchtung betrachtet. Das TearScope-Plus selbst ist nicht mehr ­erhältlich, es gibt jedoch mittlerweile ein nahezu baugleiches G ­ erät mit moderner LED-Beleuchtung, das „­ Polaris“ der deutschen Firma bon Optic (Abb. 1–3). Dank eines Universal-Adapters können beide Geräte an den meisten Spaltlampen verwendet werden. Weder das TearScope-Plus, noch das Polaris sind in der Lage, ein Bild aufzunehmen. Dies kann jedoch mit einer an die Spaltlampe angeschlossenen Kamera oder sogar mit einem Smartphone durch ein Okular bewerkstelligt werden. MEDICAL NETWORK 2015 HERBST SPECIAL p www.medical-network.at Abb. 1: Polaris SI C C A Mittlerweile gibt es ein neues Gerät zur automatisierten Messung der Lipidschichtdicke, das „LipiView“ der amerikanischen Firma TearScience (Abb. 4). Sie wird dabei auf Nanometer genau gemessen, wobei es leider bei 100 nm einen Cut-off gibt, so dass eine dickere Lipidschicht nur mit 100+ angegeben wird. Oft ist eine Messung von 100+ auch nach der Anwendung von lipidhaltigen Augentropfen oder Augensalben zu beobachten, sodass empfohlen wird, einige Stunden vor der Untersuchung Abb. 2: Polaris – Dünne Lipidschicht, rasches Aufbrechen und dadurch übermäßige Verduns­tung von ­Tränenflüssigkeit sehr wahrscheinlich keine Lokaltherapie zu applizieren. Das ­LipiView wird unter anderem in Kombination mit einem Therapieapparat zur Erwärmung und Massage der MeibomDrüsen, dem „LipiFlow“ vertrieben. Auf Grund der hohen Anschaffungskosten ist dessen Verbreitung derzeit noch gering. bewertet und mittels Spaltlampenfotografie dokumentiert werden. Der Keratograph 5M ermöglicht die digitale Ausmessung des Tränenmeniskus. Generell sei hier jedoch auf die hohe und rasche Variabilität der Tränenmeniskushöhe h ­ ingewiesen. NICHT-INVASIVE TRÄNENFILM­ AUFREISSZEIT TRÄNENMENISKUSHÖHE Der Tränenmeniskus kann nach seiner Höhe, Form und Regelmäßigkeit mit ­Hilfe des TearScope-Plus und des P ­ olaris Abb. 3: Polaris – Ausreichend dicke Lipidschicht, stabiler Tränenfilm Die Tränenfilmaufreißzeit stellt ein generelles Maß für die Stabilität des Tränenfilms dar. Mit Hilfe verschiedener Ras­ter FORTSETZUNG SEITE 13 > Abb. 4: LipiView--Fettfilmdarstellung p www.medical-network.at MEDICAL NETWORK 2015 HERBST SPECIAL 11 SI C C A BILDGEBENDE DIAGNOSTIK BEIM TROCKENEN AUGE lässt sich durch das TearScope-Plus und das Polaris die nicht-invasive Aufreißzeit (NIBUT) messen. Das TearScope-Plus verfügt dabei über eine integrierte Stoppuhr. Eine Fotodokumentation ist dabei wieder nur mittels Spaltlampenfotografie möglich. Der Keratograph 5M verfügt über eine spezielle Software, die die so genannte nicht-invasive Keratographen-Break-uptime (NIKBUT) automatisiert bestimmt. Die Hornhaut wird dabei in viele kleine Messfelder zerlegt und für jedes dieser Felder getrennt „das Unscharfwerden“ der auf die Hornhaut projizierten PlacidoScheibe, also das Aufreißen des Tränenfilms lt. Definition, gemessen (Abb. 5). RÖTUNGSGRAD DER AUGENOBER­FLÄCHE Neuerdings ist es möglich die Rötung der Augenoberfläche mittels des Keratograph 5M zu quantifizieren. Es wird dazu ein F ­ oto der Augenoberfläche bei idealerweise ­ aximal geöffnetem Auge aufgenommen m und anschließend in automatisch definierten Bereichen der Rötungsgrad der Augenoberfläche bestimmt. Hin und ­wieder werden auch Teile der Lider in den automatisch definierten Bereichen ausgewählt, was zu einer Verfälschung des Ergebnisses führen kann. Leider ist derzeit noch keine manuelle Korrektur der Bereiche möglich. Dies wird aber eventuell mit einem zukünftigen Software-Update behoben. MEIBOGRAPHIE Eine praktische, schnelle und nicht-invasive Methode zur morphologischen Untersuchung der Meibom-Drüsen stellt die Meibographie dar. Sie ermöglicht eine fotografische Dokumentation der Drüsen bei PatientInnen nahezu aller Alters­ gruppen, inklusive Kindern. Ursprünglich erfolgte die Darstellung der Drüsen mittels Durchleuchtung der Lider. Aufgrund der umständlichen Hand- Das grundsätzliche System besteht aus einer Spaltlampe, die mit einer InfrarotCCD (Charge-coupled device)-Videokamera und einem Infrarot-Filter ausgestattet ist. Manche Hersteller (Topcon, Japan) bieten ein ähnliches System als Aufsatz für ihre Spaltlampen an. Bei der Untersuchung werden die ­Meibom-Drüsen des evertierten Ober- und Unterlides beobachtet und fotografisch dokumentiert. Der sichtbare Verlust von Meibom-Drüsen (Dropout) lässt sich für jedes Augenlid mittels verschiedener Graduierungen bestimmen (Abb. 6 und 7). Arita et al. unterscheiden vier Abstufungen,3 Pult et al.4 teilen den Ausfall der Meibom-­Drüsen in fünf Grade ein. Auch an M ­ öglichkeiten zur computer­ gestützten Ausmessung der DropoutFläche wird g­ earbeitet.5 Handelsübliche Angiographiesysteme verfügen in der Regel über einen Infrarotmodus und ein System (z. B. eine ­Vorsatzlinse) für Aufnahmen im vorderen Augenabschnitt. An unserer Klinik haben wir positive Erfahrungen mit einer RetinaAngiographie-Kamera der deutschen Firma Heidelberg Engineering gemacht und konnten damit qualitativ hochwertige Meibographien anfertigen. Auf Grund ­ihrer weiten Verbreitung und Bildqualität stellen Angio­graphiekameras eine gute Möglichkeit zur Durchführung von ­Meibographien, vor allem im klinischen Bereich, dar. Pult und Kollegen6 konnten zeigen, dass Meibographien auch mittels handelsüblicher Infrarot-Sicherheitskameras möglich sind. Um eine ausreichende Auflösung zu erreichen, wurde eine +20-Dioptrien-Linse vor die Optik der Kamera positioniert. Abb. 5: NIKBUT-Messung mit dem Keratograph 5M Abb. 6: Kein Dropout (Grad 0) habung und der für PatientInnen recht ­unangenehmen Prozedur wurde diese ­Methode mittlerweile nahezu vollständig durch die soge­nannte Infrarot-Auflichtmeibographie verdrängt, die ohne Kontakt mit dem Lid durchgeführt wird. Abb. 7: Dropout (Grad 2 nach Arita et al.) Mittlerweile gibt es zahlreiche ophthalmologische Multifunktionsgeräte (Keratometer, Autorefraktometer, Funduskameras, Scheimpflugkameras etc.) von verschiedenen Herstellern am Markt. Die Non-Kontakt-Infrarot-Meibographie FORTSETZUNG > p www.medical-network.at MEDICAL NETWORK 2015 HERBST SPECIAL 13 SI C C A BILDGEBENDE DIAGNOSTIK BEIM TROCKENEN AUGE Abb. 8: Meibographie mit dem System von bon Optic Abb. 10: Inkomplette ­Lidschläge gewebes. Derzeit ist die Meibographiefunktion des LipiView auf die Anwendung am Unterlid beschränkt (Abb. 9). INKOMPLETTE LIDSCHLÄGE Abb. 9: Meibographie mit dem LipiView ist bei vielen dieser Geräte bereits als ­Zusatzfunktion erhältlich. Zur besseren Beurteilung wird das Drüsengewebe ­ häufig kontrastverstärkt dargestellt. ­Beispiele hierfür sind die Cobra Funduskamera, die Sirius Scheimpflugkamera, der EyeTop-S Topographer der deutschen Firmen CSO bzw. bon Optic, sowie der Keratograph 5M der Firma Oculus. Mit Hilfe eines Zusatzmoduls für das LipiView ist erstmals eine kombinierte Meibographie mittels aktuellem AuflichtInfrarot- und dem ursprünglich verwen­ deten Durchleuchtungsverfahren möglich. Dies führt zu einer besonders deutlichen Kontrastierung und ermög­licht eine fast dreidimensionale Darstellung des Drüsen14 Spontane Lidschläge spielen eine wichtige Rolle bei der Aufrechterhaltung der Integrität der Augenoberfläche. Pathologischen Lidschlagmustern wird eine Schlüsselrolle bei der Entstehung von ­Augenoberflächen-Erkrankungen zugeschrieben. Insbesondere intensive Bildschirmarbeit von längerer Dauer führt zu einem veränderten Blinkverhalten bis hin zu vermehrt inkompletten Lidschlägen.7 Bei der Messung der Lipidfilmschichtdicke erfasst das LipiView automatisch die Anzahl der inkompletten Lidschläge. Diese können dann bei der Auswertung des Bildmaterials getrennt beobachtet werden (Abb. 10). Wichtig ist, dass die Aufnahmen ohne Make-Up im Augenbereich durchgeführt werden, da es sonst eventuell zu einer fehlerhaften Detektion von inkompletten Lidschlägen kommen kann. Mittlerweile gibt es eine Vielzahl bildgebender Geräte, die eine genaue Analyse der unterschiedlichen Komponenten des Tränenfilms, der Augenoberfläche und der Lider ermöglichen. Diese Informationen ermöglichen uns ein zunehmendes MEDICAL NETWORK 2015 HERBST SPECIAL p www.medical-network.at Verständnis der pathophysiologischen Zusammenhänge von Benetzungsstörungen, eine verbesserte Diagnostik und bilden daher die Grundlage für eine ­optimierte Tränenfilm- und augenober­ flächenorientierte Therapie. REFERENZEN 1 Report of the international dry eye workshop 2007 (DEWS). The Ocular Surface. 2007 Apr; 5(2): 65-199 2 Heiligenhaus A, Koch JM, Kemper D, Kruse FE, Waubke TN. Therapie von Benetzungsstörungen. Klin Monatsbl Augenheilkd. 1994 Mar; 204(3): 162-68 3 Arita R, Itoh K, Inoue K, Amano S. Noncontact infrared meibography to document age-related changes of the meibomian glands in a normal population. Ophthalmology. 2008 May; 115(5): 911-15 4 Pult H, Nichols JJ. A Review of Meibography. Optom Vis Sci. 2012; 89(5): 760-69 5 Pult H, Riede-Pult BH, Nichols JJ. Relation between upper and lower lids' meibomian gland morphology, tear film, and dry eye. Optom Vis Sci. 2012 Mar; 89(3): E310–15 6 Pult H, Riede-Pult BH. Non-contact meibography: Keep it simple but effective. Cont Lens Anterior Eye. 2012 Apr; 35(2): 77–80 7 Portello JK, Rosenfield M, Chu CA. Blink rate, incomplete blinks and computer vision syndrome. Optom Vis Sci. 2013 May; 90(5): 482-87 Es besteht kein Interessenskonflikt. Die Autoren haben kein finanzielles I­nteresse an den genannten Systemen, die L­ iste der besprochenen Geräte erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.