Prof. Dr. Tatjana Lange Lehrgebiet: Regelungstechnik Laborübung 04/05: Thema: Streckenidentifikation. Ermittlung von Regelkennwerten aus dem offenen Regelkreis 1. Übungsziele: Vertiefung ausgewählter Methoden der Streckenidentifikation aus der Sprungantwort und der Ermittlung von Regelkennwerten aus dem Frequenzgang der offenen Strecke Demonstration moderner, rechnergestützter Identifikationsverfahren Demonstration des Verhaltens geschlossener Regelkreise und Vergleich der tatsächlichen Regelkennwerte mit den aus dem offenen Regelkreis ermittelten Werten 2. Grundlagen: 2.1. Experimentelle Systemidentifikation Kennfunktionen des dynamischen Übertragungsverhaltens eines Systems g(t) u(t) sind ↔ G(f) ↔ U(f) x(t) ↔ X(f) die Gewichtsfunktion (Stoßantwort) g (t ) die Übergangsfunktion (Sprungantwort) h (t ) Kennfunktionen im Zeitbereich G (f ) bzw. G( jω),ω = 2πf die Übertragungsfunktion G (p ) Kennfunktionen im Frequenzbereich der Frequenzgang Der Zusammenhang zwischen diesen Kennfunktionen ist wie folgt gegeben: g (t ) ∫ g( t )dt ↓↑ dh (t ) / dt h (t ) Fourier − Transformation } ↔ G (f )bzw. G ( jω) p = δ + j2πf ↓↑ δ = 0 G (p ) Zur meßtechnischen Ermittlung dieser Kennfunktionen (experimentellen Identifikation) benutzt man typischerweise folgende Schaltungsanordnungen und Meßsignale: Kennfunktion Gewichtsfunktion Übergangsfunktion Frequenzgang / Übertragungsfunktion Bereich Zeitbereich Zeitbereich Frequenzbereich Testsignal sehr kurzer Impuls Sprungsignal harmonisches Signal (punktweise Ermittlung) T1 -, T2 -, T1 − TD1 -Glieder) lassen sich die Parameter der G (p ) in der Zeitkonstantenform mit einfachen Mitteln aus der Für einfache Systeme (z.B. Übertragungsfunktion Sprungantwort (Übergangsfunktion) ermitteln: T1 -Glied: G (p ) = 1 1 + pT1 T1 1 0,63 0 t 0 T1 − TD1 -Glied: G (p ) = 1 + pTD 1 + pT1 T1 1 0,63(1-T /T ) D 1 TD/T1 TD < T1 0 0 t T1 − TD1 -Glied: 1 + pTD G ( p) = 1 + pT1 T1 TD /T 1 0,63(TD/T1-1) (TD /T1-1) 1 TD > T1 0 T1 1 T2 -Glied: G ( p) = t 0 0,7 1 (1 + pT1 )(1 + pT2 ) T1 = t 70 1,2(1 + q ) T2 = T1 ⋅ q Diagramm zur Ermittlung des Zeitkonstantenverhältnisses ð siehe Anhang 1 Ermittlung von70t h(t70 /4) 0 3 0 t 70 /4 Ermittlung von h(t70 /4) t t70 ≈ 1,2(T1 +T2 ) 2 Ermittlung von t 70 /4 Diagramm zur Ermittlung des Zeitkonstantenverhältnisses: 0,26 0,24 0,22 h(t70 /4) 0,2 0,18 4 Ermittlung von q 0,16 0,14 0,12 0,1 0 0,2 0,4 q=T2 /T1 0,6 0,8 1 2.2. Ermittlung der Reglerkennwerte aus dem offenen Regelkreis: Wir betrachten den in Abb. 2.2.a. gezeigten Standard-Regelkreis, auf den eine sprungförmige Störung z (t ) = 1 ⋅ σ(t ) wirkt. x(t) + Regler e(t) GR(p) Strecke u(t) -u(t) x a(t) GG(p) – x(t) z(t) Abb. 2.2.a: Standard-Regelkreis (Idealisierte) Reglertypen: GR ( p ) = K R P-Regler 1 G R ( p) = K R 1 + pTn PI-Regler: G R ( p) = K R (1 + pTv ) PD-Regler 1 G R ( p) = K R 1 + + pTv pTn Die Übertragungsfunktionen der PI-,PD- und PID-Regler sind so nicht realisierbar, da die für reale Systeme geltende Bedingung "Nennenpolynom ≥ Zählerpolynom" nicht erfüllt ist (näherungsweise Realisierung - s. Anlage 2). PID-Regler Für den in Abb. 2.2.a gezeigten Regelkreis sind folgende Regelkennwerte definiert: Statische Kenngröße: Dynamische Kenngrößen: bleibende Regelabweichung Überschwingweite e(∞ ) = e B Überschwingzeit ∆ h tm z(t) z(t) e(t) eB x(t) t t ∆ h tm Es ist nun möglich, aus der Amplitudenkennlinie der offenen Kette (s. Abb. 2.2.b) diese drei Kenngrößen zu ermitteln: P-Ketten I-Ketten 20lg|G(ω )| -40dB/Dek 20log|K s | ωs 20 Bereich I stationäres Verhalten 0 ωs 20 -20dB/Dek ωs Schnittfrequenz Bereich II dynamisches Verhalten ωs 20 ωs ω -40dB/Dek Bereich II ohne Bedeutung 20 ωs ω -90 ϕ(ω) γs >0 (positiver) Phasenrand -180 Abb. 2.2.b: Typische Amplituden- und Phasenkennlinien für eine offene Kette Unter der Voraussetzung, daß eine sprungförmige Störung Regelkreis wirkt, gilt eB = Z0 1 + Ks , Tm ≈ π ωs z(t ) = Z0 ⋅ σ(t ) auf den Z0 - Amplitude der sprungförmigen Störung ( ∆h [% ] ≈ 123 . 65ο − γ s ) nach Bauer 3. Übungsvorbereitung: h(t) 3.1. Ermitteln Sie aus der nachfolgend dargestellten Sprungantwort eines unbekannten Systems dessen Übertragungsfunktion und stellen Sie diese als Bodediagramm (nach Betrag und Phase) dar. 1 0,9 0,8 0,7 0,6 0,5 0,4 0,3 0,2 0,1 0 0 10 20 30 40 50 t 60 70 80 90 100 [s] 3.2. Das von Ihnen identifizierte System soll nun zusammen mit a) einem P-Regler mit dem Parameter K R = 100 b) einem idealen PD-Regler mit den Parametern K R = 100,TV in einen Regelkreis gemäß Abb. 2.2.a. geschaltet werden. = 50 3.3. Ermitteln Sie nun aus dem Bodediagrammen der offenen Kette für beide Fälle die bleibende Regelabweichung e B , die Überschwingzeit Tm und die Überschwingweite ∆ h. 4. Übungsdurchführung: 4.1. Ermitteln Sie unter Nutzung des blockorientierten Simulationssystems BORIS die Sprungantworten der mit den Superblöcken SYSTEM41.SBL, SYSTEM42.SBL, SYSTEM43.SBL gegebenen Systeme: Hinweis: Simulationszeit = 100 Zeitablenkung am Oszillographen: 20/Raster Schaltungsanordnung: 4.2. Drucken Sie die Sprungantworten aus und identifizieren Sie anhand dieser Sprungantworten die Parameter der Übertragungsfunktionen der Systeme. 4.3. Überprüfen Sie Ihre Ergebnisse für SYSTEM41.SBL, indem Sie dieses System unter Nutzung von BORIS mit verschiedenen Testsignalen (Sprung, Stoß, Rechteckfolge, Sinusschwingung, Rauschen) beaufschlagen, die Ein- und Ausgangssignale aufzeichnen und aus diesen Daten mit dem Simulationsblock IDA das System erneut identifizieren. Bewerten Sie dabei anhand der Restquadratsumme auch die Qualität der Approximation und diskutieren Sie die Ergebnisse. 4.4. Die von Ihnen untersuchte Strecke SYSTEM41.SBL soll nun mit einem P-Regler zu folgenden Regelkreis zusammengeschaltet werden: x(t) + P-Regler e(t) GR(p)=K P Strecke u(t) -u(t) – GG(p) x a(t) x(t) z(t) 4.5. Ermitteln Sie unter Nutzung des Simulationsblocks LISA aus dem Bodediagramm der offenen Kette die bleibende Regelabweichung Hinweis: In LISA G 0 (p) in Polynomform eB = e t → ∞ eingeben: ðDateiðSystem modifizieren die Überschwingzeit Tm Simulationszeit: 100 und, falls sinnvoll, die Überschwingweite ( ∆h ) bei Wirken einer sprungförmigen Störung z(t ) = σ(t ) am geschlossenen Regelkreis für folgende Werte des Übertragungsfaktors K P des P-Reglers: KR = 1 KR = 9 K R = 19 4.6. Simulieren Sie den geschlossenen Regelkreis und das Wirken der Störung mit dem blockorientierten Simulationssystem BORIS und vergleichen Sie die aus dem Bodediagramm der offenen Kette bestimmten Gütekenngrößen für das Regelverhalten mit dem "experimentell" (d.h. mit BORIS) ermittelten Werten. Schaltungsanordnung: 4.7. Überprüfen Sie durch Simulation mit BORIS die Ergebnisse der Übungsvorbereitung (s. Pkt. 3) 4.8. Wiederholen Sie die Schritte 4.5. und 4.6. mit einem PI und einem PID-Regler und vergleichen Sie die Ergebnisse. Verwenden Sie dabei folgende Reglerparameter: KR = 9 Tn = 10 TV = 10 Variieren Sie die Reglerparameter und beobachten Sie das Regelverhalten im geschlossenen Regelkreis. 5. Übungsauswertung: Diskutieren Sie die Ergebnisse und bewerten Sie die eingesetzten Reglertypen. Anlage 1: Diagramm zur Ermittlung des Zeitkonstantenverhältnisses für T2 -Glieder: 0,26 0,24 0,22 h(t 70 /4) 0,2 0,18 0,16 0,14 0,12 0,1 0 0,2 0,4 q=T2 /T1 0,6 0,8 1 Anlage 2: Rückkopplungsschaltungen für die näherungsweise Realisierung von idealen Reglern: PI-Regler: Kv G ( p) = 1 + Kv Kv - = pT 1 1+ pT1 Kv (1 + pT1 ) (1 + pT1 ) + Kv ⋅ pT1 lim G ( p) = mit Kv → ∞ pT1 (1 + pT1 ) K v →∞ (1 + pT1 ) ) = pT1 = 1+ PD-Regler: Kv G ( p) = 1 + Kv Kv - = K2 1+ pT2 mit Kv → ∞ pT 1 1+ pT1 (1 + pT2 ) + Kv K2 lim G ( p) = K v →∞ K v →∞ mit Kv → ∞ Kv G ( p) = pT1 ⋅ K2 1 + Kv (1 + pT1 )(1 + pT2 ) = Kv (1 + pT1 )(1 + pT2 ) (1 + pT1 )(1 + pT2 ) + Kv K2 ⋅ pT1 1 (1 + pT2 ) = G R ( p) K2 { KR lim G ( p) = K2 1+ pT 2 K2 (1 + pT2 ) Kv (1 + pT2 ) PID-Regler Kv 1 = G R ( p) pT1 (1 + pT1 )(1 + pT2 ) K2 ⋅ pT1 T +T pT 1 = 1 2 + + 2 K2 ⋅ T1 K2 ⋅ pT1 K2 bzw. lim G ( p) = G R ( p) = K v →∞ 1 = K R 1 + + pTV pTn mit T1 + T2 K R = K2 ⋅ T1 Tn = T1 + T2 TT TV = 1 2 T1 + T2