ΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦ Fakultät für Physik und Astronomie der Ruhr-Universität Bochum ΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦΦ Institut für Theoretische Physik Manuskript zu den Vorlesungen Mathematische Methoden der Physik I und II – basierend auf den Vorlesungen in 2016/2017 gehalten von H. Fichtner – Bochum 2017 Mathematische Methoden der Physik I & II 19. Mai 2017 Dieses Skript basiert auf den Vorlesungen “Mathematische Methoden der Physik I und II” aus dem Wintersemester 2016/2017 und dem Sommersemester 2017 an der RuhrUniversität Bochum, gehalten von PD Dr. Horst Fichtner. Teile der vorliegenden LaTeXVersion wurden erstellt von Florian Bendl, Edin Husidic und Patrick Sturm. Herr Dipl.Math. Martin Walzer hat eine frühere Version des Manuskripts durchgesehen. Vorbemerkung: Das vorliegende Skript kann (und soll ,) kein Lehrbuch ersetzen. Insbesondere ist es (immer noch) nicht so gründlich Korrektur gelesen wie manches Buch. Daher sind wir (weiterhin) dankbar für jeden Hinweis auf Fehler! 1 2 ———————————————————————————————————– Inhaltsverzeichnis 0 1 2 Motivation 4 Vektoren 1.1 Motivation von Vektoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Vektoren im Rn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1 Rechnen mit Vektoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.2 Abstraktion auf “Vektorraum” . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.3 Das Skalarprodukt (= ˆ inneres Produkt) von Vektoren . . . . 1.2.4 Das Vektorprodukt (= ˆ äußere Produkt) von Vektoren . . . . 1.2.6 Spatprodukt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.5 Komponentendarstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Differentiation und Integration von Vektoren und Vektorfunktionen 1.3.1 Differentiation von Vektorfunktionen . . . . . . . . . . . . . 1.3.2 Partielle und totale Ableitung . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Krummlinige Koordinaten I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.1 2-dimensionale orthogonale Koordinatensysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Datenanalyse und Fehlerrechnung 11 11 13 13 13 13 15 15 16 18 19 25 30 31 39 3 Vektoranalysis I 40 3.1 Der Gradient eines skalaren Feldes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 3.2 Quellenfelder, der Divergenz-Operator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 3.3 Wirbelfelder, der Rotations-Operator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 4 Grundprobleme der Mechanik: Anwendungen Mechanik 4.1 Gradientenfelder und Energieerhaltung . . . . . . 4.1.1 Der schräge Wurf . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2 Das Federpendel . . . . . . . . . . . . . . 4.1.3 Das mathematische Pendel . . . . . . . . . 4.1.4 Bewegungsgleichung in Polarkoordinaten . 4.2 Impulssatz und Drehimpulssatz . . . . . . . . . . 4.3 Das Zweiteilchensystem . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Zentralkraftfelder und Drehimpulserhaltung . . . 5 aus der Newtonschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 50 50 50 51 51 51 51 51 Matrizen und Tensoren 5.1 Rechenregeln für Matrizen . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Quadratische Matrizen und Determinanten . . . . . . . . 5.2.1 Taylor-Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.2 Eigenwerte und Eigenvektoren . . . . . . . . . . . 5.2.3 Der Trägheitstensor . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Anwendung von Matrizen: Drehungen, Spiegelungen, etc. 5.3.1 Transformation von Vektoren . . . . . . . . . . . 5.3.2 Transformation von Matrizen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 55 57 63 64 67 68 74 76 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ————————————————————————————————————— ———————————————————————————————————– 3 6 Gewöhnliche Differentialgleichungen 78 6.1 Die lineare Differentialgleichung zweiter Ordnung . . . . . . . . . . . . . . 87 6.2 Systeme linearer Differentialgleichungen 1. Ordnung . . . . . . . . . . . . . 97 7 Lineare Schwingungen 98 7.1 Der harmonische Oszillator . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 7.1.1 Freie Schwingung: f (t) = 0 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 7.1.2 Erzwungene Schwingungen: f (t) 6= 0 . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 ————————————————————————————————————— 4 ———————————————————————————————————– 0 Motivation (a) Warum “Mathematische Methoden der Physik”? Traditionelles Problem: (Theoretische) Physik benötigt “noch nicht gelernte” Mathematik Diese “Lücke” soll durch die Vorlesung geschlossen werden. Bemerkung: (Theoretische) Physik versucht “Grundgleichungen” aufzustellen und zu lösen. Zur Lösung gibt es drei prinzipielle Alternativen: • exakte Lösung möglich −→ Analytik • exakte Lösung möglich, aber zu aufwändig −→ Computeralgebra oder Numerik • exakte Lösung nicht möglich −→ Numerik Diese Vorlesung: Analytische Methoden. −→ Für Computeralgebra siehe Physik auf dem Computer. −→ Für Numerik siehe Computational Physics. ————————————————————————————————————— ———————————————————————————————————– 5 (b) Ein kurzer Überblick über den Vorlesungsinhalt Der Vorlesungsinhalt betrifft die nachfolgenden Punkte (i) und (ii) der Einteilung: (i) Was Sie bereits wissen sollten. (ii) Was Sie schon wissen könnten, aber (noch) nicht wissen müssen. (iii) Was Sie (wahrscheinlich) noch nicht wissen, aber in der Veranstaltung lernen können. Für Formelbeispiele siehe das Quiz zum Selbsttest auf der Webseite, hier sind nachfolgend lediglich die Themen genannt: (i) Was Sie bereits wissen sollten (1) (2) (3) (4) Reelle Zahlen Einfache (z.B. quadratische) Gleichungen, Trigonometrie Differentialrechnung Integralrechnung (ii) Was Sie schon wissen könnten, aber (noch) nicht wissen müssen (5) (6) (7) Komplexe Zahlen Vektoren Matrizen (iii) Was Sie (wahrscheinlich) noch nicht wissen, aber in der Veranstaltung lernen können (8) Partielle Ableitungen, totales Differential (9) (Gewöhnliche) Differentialgleichungen (10) Vektoranalysis ————————————————————————————————————— 6 ———————————————————————————————————– – Ein Quiz zu Beginn – Mit diesem Quiz wollen wir Ihnen zu Beginn der Veranstaltung die Möglichkeit geben, eine ‘Bestandsaufnahme’ zu machen, d.h. heraus zu finden, was Sie bereits wissen und was Sie noch nicht wissen. Gleichzeitig werden Sie erkennen, (A) was wir an Kenntnis voraussetzen, Sie also aus der Schule oder dem Vorkurs schon wissen sollten (Aufgabenblock A), (B) was Sie vielleicht schon wissen, wir allerdings auch behandeln werden (Aufgabenblock B) und (C) was Sie (wahrscheinlich) noch nicht wissen und im Verlaufe der Vorlesung und Übungen lernen können (Aufgabenblock C). Seien Sie beim Bearbeiten des Quiz unbesorgt: es ist kein Test und keine Klausur und dient nur Ihnen selbst – wir verfolgen nur die oben genannten Absichten. Falls Sie Fragen haben, wenden Sie sich ruhig an Ihre Lerngruppenleitung. PS: Sie können zwar einen Taschenrechner verwenden – sollten den aber eigentlich nicht benötigen ,. (A) Was Sie bereits wissen sollten: Aufgabe 1: Zahlen Ja Nein 1.1 Ist 3/4 eine rationale Zahl? 1.2 Ist 2.2 eine rationale Zahl? √ 1.3 Ist 2 eine irrationale Zahl? √ 1.4 Ist 2.56 eine irrationale Zahl? 1.5 Was ergibt 3 5 · 5 4 1.6 Was ergibt 3 5 · 0.6 dezimal ? ? ————————————————————————————————————— ———————————————————————————————————– 7 Aufgabe 2: Gleichungen, Trigonometrie Ja Nein Ja Nein 2.1 Was sind die Lösungen von x2 = 16 ? 2.2 Was sind die Lösungen von x2 + 6x = 16 ? 1 2.3 Was ist die Lösung von =2? 1−x 2.4 Was sind die Lösungen von sin x = 1 ? 2.5 Ist sin2 x + cos2 x = 1 für alle x erfüllt ? π 2.6 Ist tan = 1 richtig ? 4 Aufgabe 3: Differentialrechnung 3.1 Wie lautet die 1. Ableitung von f (x) = 2x2 ? 2 3.2 Wie lautet die 1. Ableitung von f (x) = 2 ? x 1 3.3 Wie lautet die 1. Ableitung von f (x) = √ ? 1 + x2 3.4 Welche Funktion erfüllt f 0 (x) = f (x) ? 3.5 Wie lautet die Ableitung von f (x) = cos(x) ? 3.6 Wie lautet die Ableitung von f (x) = ln(x) ? Aufgabe 4: Integralrechnung Z2 4.1 Was ist die Lösung von x2 dx ? 1 Z1 4.4 Was ist die Lösung von x2/3 dx ? 0 Z exp(x) dx ? 4.3 Was ist die Lösung des Integrals Z 4.4 Was ist die Lösung des Integrals cos(x) dx ? Z 4.5 Ist tan(x) dx = − ln(cos(x)) richtig ? Z2π sin(x) dx = π/2 richtig ? 4.6 Ist die Aussage 0 ————————————————————————————————————— 8 ———————————————————————————————————– (B) Was Sie schon wissen könnten, aber (noch) nicht müssen (,): Aufgabe 5: Komplexe Zahlen √ 5.1 Ist i = −1 ? Ja Nein 5.2 Welchen Betrag hat die komplexe Zahl a = 2 + 3i ? 5.3 Ist 1/a ebenfalls eine komplexe Zahl? 5.4 Es sei b = 2 − 3i. Wie lautet die konjugiert komplexe Zahl b̄ ? 5.5 Was ist das Ergebnis von a · b ? 5.6 Ist das Ergebnis von exp(2πi) eine komplexe Zahl? Aufgabe 6: Vektoren 6.1 Was ist das Ergebnis von (1, −2, 3) + (2, −4, 0) ? 6.2 Welchen Betrag hat der Vektor ~v = (−2, 2) ? 6.6 Was ist das Ergebnis von 3~v ? 6.4 Was ergibt sich für das Skalarprodukt (1, 2, 3) · (−1, 0, 4) ? 6.5 Was ergibt sich für das Vektorprodukt (1, 2, 3) × (−1, 0, 4) ? 6.6 Was bedeutet es, wenn ~a · ~b = 0 ? Aufgabe 7: Matrizen Gegeben seien drei Matrizen A, B, C und ein Vektor ~x 1 3 3−2 4 3 −4 ; B= A= 2 0 ; C = 2 1−5 0 1 0−1 und 1 ~x = 2 1 7.1 Was ergibt sich für das Produkt AB ? 7.2 Was ergibt sich für das Produkt BA ? 7.3 Was ergibt sich für das Produkt A~x ? 7.4 Was ergibt sich für die Determinante von C ? ————————————————————————————————————— ———————————————————————————————————– 9 (C) Was Sie (wahrscheinlich) noch nicht wissen, aber in der Veranstaltung lernen können (,,): Aufgabe 8: Partielle Ableitung Gegeben seien die beiden Funktionen f (x, y) = x2 + 2y 3 und g(x1 (t), x2 (t)) = 2x1 (t) − p x2 (t) ∂f ? ∂x ∂f 8.2 Wie lautet hingegen die partielle Ableitung ? ∂y dg 8.3 Wie lautet die Ableitung ? dt 8.1 Wie lautet die partielle Ableitung Aufgabe 9: Gewöhnliche Differentialgleichungen Ja 9.1 Handelt es sich bei x2 f 0 (x) + f (x) = 0 um eine Differentialgleichung 2. Ord- nung? Nein 9.2 Wie lautet die allgemeine Lösung x(t) der Differentialgleichung ẍ + kx = 0 mit k = const. ? 1 9.3 Wie lautet die Lösung y(x) der Differentialgleichung y 0 = y mit y(4) = 8 ? x Aufgabe 10: Vektoranalysis Gegeben seien die Funktion f (x, y) = x2 + 2y 3 und das dreidimensionale Vek~ y, z) = (x, 2y, 3z). torfeld A(x, 10.1 Wie lautet der Gradient ∇f in kartesischen Koordinaten? ~ in kartesischen Koordinaten ? 10.2 Wie lautet die Rotation ∇ × A I Z ~ · dO ~ V = div A ~ dV ? 10.3 Was ergibt A OV V ————————————————————————————————————— 10 ———————————————————————————————————– Die meisten von Ihnen werden die Aufgaben in (C) noch nicht beantworten können – das ist keine Überraschung! Dieser Aufgabenblock dient nicht dazu, Ihr Wissen zu ergründen, sondern vielmehr dazu, Ihnen zu zeigen, womit wir uns in der Vorlesung und den Übungen zu beschäftigen haben werden. Alles, was Sie in diesem Quiz finden, sollten Sie im Laufe der Zeit beherrschen, denn es wird ausnahmslos für ein erfolgreiches Physikstudium notwendig sein, und zwar spätestens ab dem 2. bzw. 3. Fachsemester. D. h. – auch wenn Sie es jetzt noch nicht richtig glauben sollten (,) – die mathematischen Methoden sind für ein erfolgreiches Studium unverzichtbar. Daher schon ein früher Appell: Bemühen Sie sich, sich die mathematischen Methoden frühzeitig anzueignen – Sie werden sich dafür später dankbar sein! ————————————————————————————————————— ———————————————————————————————————– 11 1 Vektoren 1.1 Motivation von Vektoren Verschiedene physikalische Gegebenheiten erfordern Größen, die nicht allein duch die Angabe eines Wertes bestimmt sind, sondern zusätzlich eine Richtungsangabe erforden. Beispiele1 : • Geschwindigkeit ~v • Kraft F~ ~ • Drehimpuls L ~ • Magnetische Flussdichte B ~ • Runge-Lenz-Vektor A • Isospin I~ D.h. es existiert die sinnvolle Unterscheidung: Skalare2 = ˆ Größen, die duch die Angabe eines einzigen Wertes gekennzeichnet sind. (z.B. Masse, Temperatur, Ladung) Vektoren = ˆ Größen, die durch die Angabe mehrerer Werte gekennzeichnet sind (oft: Betrag und Richtung). (z.B. Geschwindigkeit, Kraft, elektrischer Feldvektor) :::::::: ::::::::: Bemerkung: Wortursprünge: • scalae = ˆ lat.: “Leiter, Stiege, Treppe” • vector = ˆ lat.: “Träger” (vehere = ˆ tragen) Bemerkung: Eine wesentliche Eigenschaft von Skalaren und Vektoren ist ihre Invarianz gegenüber Koordinatentransformationen (s.u.). Die allgemeinere Frage nach Größen, die das leisten, führt auf das Konzept von Tensoren: Skalare sind Tensoren 0. Stufe und Vektoren sind Tensoren 1. Stufe. Die mathematische Beschreibung eines Vektors erfolgt oft durch seine Komponenten (aus denen ggf. Betrag und Richtung berechnet werden können). Diese Komponenten beziehen sich auf ein Koordinatensystem (s.u.). 1 Einige der genannten Vektoren sind genauer als Pseudovektoren zu bezeichnen, zu denen wir später kommen 2 Diese müssen von sogenannten Pseudoskalaren unterschieden werden ————————————————————————————————————— 12 ———————————————————————————————————– Beispiele: :::::::::: (i) ::::::::: Vektoren:::: im ::: R2 : In einem kartesischen Koordinatensystem im R2 werden Vektoren als Zahlenpaare dargestellt. (ii) Vektoren im R2 : :::::::::::::::: In einem kartesischen Koordinatensystem im R3 werden Vektoren als Zahlentripel dargestellt. Bemerkung: Die in den Beispielen verwendete Schreibweise ~r = (a, b) bzw. ~s = (a, b, c) motiviert den Begriff Zeilenvektoren. Oft werden Vektoren auch als Spaltenvektoren geschrieben, d.h.: a a ~r = ; ~s = b b c Diese Beispiele motivieren die Definition von: ————————————————————————————————————— ———————————————————————————————————– 13 Vektoren im Rn 1.2 Der Rn ist die Menge aller (geordneten) n-Tupel (x1 , x2 , ..., xn ) mit xi ∈ R, i = 1, 2, ..., n, also: Definition: Rn = {(x1 , . . . , xn )|x1 , . . . , xn ∈ R} mit n ∈ N Ein n-Tupel (x1 , ..., xn ) im Rn heißt Vektor, im Falle von n = 1 spricht man von Skalaren. Die Komponenten eines solchen Vektors sind also Skalare. 1.2.1 Rechnen mit Vektoren Addition: ~v + w ~ = (v1 , ..., vn ) + (w1 , ..., wn ) = (v1 + w1 , ..., vn + wn ) :::::::::: Multiplikation mit Skalar λ: λ ~v = λ (v1 , ..., vn ) = (λv1 , ..., λvn ) :::::::::::::: ::::::::::::::: 1.2.2 Abstraktion auf “Vektorraum” −→ siehe Mathematikvorlesung. —————————————————————————————– Es ist zweckmäßig verschiedene Vektorprodukte zu definieren. Obwohl die entsprechenden Definitionen weitreichender sind, hilft die Anschauung zum direkten Verständnis. 1.2.3 Das Skalarprodukt (= ˆ inneres Produkt) von Vektoren Physikalische Motivation: :::::::::::::::::::::::::: Arbeit W Es greife die Kraft F~ an einem nur in x1 -Richtung beweglichen Körper an und bewege denselben um die Strecke |~s|: Es soll gelten: (i) W = Skalar (ii) W = 0, wenn F~ ⊥ ~s (iii) W = max., wenn F~ k~s Damit ist motiviert: W = F~ · ~s = |F~ | |~s| cos α ————————————————————————————————————— 14 ———————————————————————————————————– Allgemein definiert man: Definition: Das Skalarprodukt (innere Produkt) zweier Vektoren ~v und w ~ ist die Zahl ~v · w ~ = |~v | |w| ~ cos α , wobei α = ^ (~v , w) ~ den von ~v und w ~ eingeschlossenen Winkel bezeichnet. Folgerung: Die Länge bzw. der Betrag eines Vektors ~v ist gegeben durch √ |~v | = ~v · ~v , denn ~v · ~v = |~v ||~v | cos 0o = |~v |2 . Folgerung: Zwei Vektoren ~v und w ~ stehen senkrecht (man sagt auch orthogonal) zueinander, wenn ~v · w ~ = 0 , denn ~v ⊥ w ~ Folgerung: ⇒ α = 90◦ ⇒ cos α = 0. Der Winkel zwischen zwei Vektoren ~v und w ~ kann aus cos ^(~v , w) ~ = cos α = ~v · w ~ |~v ||w| ~ berechnet werden. Folgerung: Eigenschaften des Skalarproduktes: kommutativ: ~v · w ~ =w ~ · ~v distributiv: ~u · (~v + w) ~ = ~u · ~v + ~u · w ~ homogen: λ(~v · w) ~ = (λ~v ) · w ~ = ~v · (λw) ~ Z Bemerkung: Für die Arbeit gilt allgemeiner der Ausdruck W = F~ · d~s. Auf die Auswertung eines solchen Linienintegrals wird später eingegangen. ————————————————————————————————————— ———————————————————————————————————– 15 1.2.4 Das Vektorprodukt (= ˆ äußere Produkt) von Vektoren Physikalische Motivation: :::::::::::::::::::::::::: ~ Drehmoment M Es greife die Kraft F~ im Punkt P eines Körpers an, der um einen Punkt O drehbar gelagert ist: Es soll gelten: ~ = Vektor (i) M ~ | = 0, wenn F~ k~rP (ii) |M ~ | = max., wenn F~ ⊥ ~rP (iii) |M ~ | = |~rP × F~ | = |~rP | |F~ | sin α |M Damit ist motiviert: Allgemein definiert man: Definition: Das Vektorprodukt (äußere Produkt) zweier Vektoren ~v und w ~ des R3 ist ein zu ~v und w ~ orthogonaler Vektor mit dem Betrag |~v × w| ~ = |~v | |w| ~ sin α , wobei α = ^ (~v , w) ~ den von ~v und w ~ eingeschlossenen Winkel bezeichnet. 1.2.6 Spatprodukt Man kann drei Vektoren ~u,~v ,w ~ aus R3 das folgende Mischprodukt zuordnen: ~u · (~v × w) ~ = ~v · (w ~ × ~u) = w ~ · (~u × ~v ) Das Resultat ist ein (Pseudo-)Skalar, welcher dem Volumen V des von den drei Vektoren aufgespannten Parallelepipeds oder Spats (= ’schiefer Quader’) entspricht: ————————————————————————————————————— 16 ———————————————————————————————————– 1.2.5 Komponentendarstellung Es ist nützlich und oft bequem Vektoren der Länge “1” einzuführen, d.h. so genannte Einheitsvektoren: Es gilt: ~v = v1~e1 + v2~e2 , denn ~v = v1 (1, 0) + v2 (0, 1) = (v1 , 0) + (0, v2 ) = (v1 , v2 ) √ Allgemein gilt (wegen |~e| = ~e · ~e = 1) für paarweise senkrechte Einheitsvektoren in einem kartesischen Koordinatensystem: 1; i = j ~ei · ~ej = =: δij 0, i 6= j ( 1, i = j δij heißt Kronecker-Symbol und ist definiert durch: δij = 0, i 6= j Weiterhin gilt im R3 : ~ek i 6= j 6= k zyklische Vertauschung von 1,2,3 X −~ek i = 6 j 6= k nicht zykl. Vertauschung von 1,2,3 ~ei × ~ej = =: εijk · ~ek k 0 i = j oder j = k oder k = i εijk heißt Levi-Civita-Symbol und ist definiert durch: i 6= j 6= k zyklische Vertauschung von 1,2,3 1, εijk = −1, i 6= j 6= k nicht zykl. Vertauschung von 1,2,3 0 i = j oder j = k oder k = i Bemerkung: Es gilt: εijk = ~ei · (~ej × ~ek ) (Spatprodukt!) Diese Einheitsvektoren helfen bei der Formulierung der: ————————————————————————————————————— ———————————————————————————————————– 17 Komponentendarstellung von Skalar- und Vektorprodukt Seien ~e1 ,~e2 ,~e3 Einheitsvektoren eines kartesischen Koordinatensystems im R3 : ~v = (v1 , v2 , v3 ) = v1~e1 + v2~e2 + v3~e3 w ~ = (w1 , w2 , w3 ) = w1~e1 + w2~e2 + w3~e3 Dann folgt (mit ~ei · ~ej = δij ) : ~v · w ~ = = + + = (v1~e1 + v2~e2 + v3~e3 ) · (w1~e1 + w2~e2 + w3~e3 ) v1 w1 (~e1 · ~e1 ) + v1 w2 (~e1 · ~e2 ) + v1 w3 (~e1 · ~e3 ) v2 w1 (~e2 · ~e1 ) + v2 w2 (~e2 · ~e2 ) + v2 w3 (~e2 · ~e3 ) v3 w1 (~e3 · ~e1 ) + v3 w2 (~e3 · ~e2 ) + v3 w3 (~e3 · ~e3 ) v1 w1 + v2 w2 + v3 w3 Das motiviert allgemein die Definition: Für das Skalarprodukt von Vektoren im Rn gilt: ~v · w ~ = v1 w1 + . . . + vn wn = n X vi w i = n X n X i=1 δij vi wj i=1 j=1 Dementsprechend folgt nun für das Vektorprodukt im R3 ~v × w ~ = = + + = (v1~e1 + v2~e2 + v3~e3 ) × (w1~e1 + w2~e2 + w3~e3 ) v1 w1 (~e1 × ~e1 ) + v1 w2 (~e1 × ~e2 ) + v1 w3 (~e1 × ~e3 ) v2 w1 (~e2 × ~e1 ) + v2 w2 (~e2 × ~e2 ) + v2 w3 (~e2 × ~e3 ) v3 w1 (~e3 × ~e1 ) + v3 w2 (~e3 × ~e2 ) + v3 w3 (~e3 × ~e3 ) (v2 w3 − v3 w2 )~e1 + (v3 w1 − v1 w3 )~e2 + (v1 w2 − v2 w1 )~e3 Also: Definition: Für das Vektorprodukt von Vektoren im R3 gilt: ~v × w ~ = (v2 w3 − v3 w2 , v3 w1 − v1 w3 , v1 w2 − v2 w1 ) XXX X = ijk vi wj ~ek = ijk vi wj ~ek i j k i,j,k Bemerkung: |~v × w| ~ entspricht dem Flächeninhalt des von ~v und w ~ aufgespannten Parallelogramms. ————————————————————————————————————— 18 ———————————————————————————————————– 1.3 Differentiation und Integration von Vektoren und Vektorfunktionen Vorbemerkung bzw. Erinnerung (?!): :::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Idee: ::::: Ableitung einer Funktion Berechnung der Steigung einer Funktion an der Stelle x0 als Grenzwert (∆x → 0) von Sekantensteigungen. Formal gilt: x = x0 +∆x df ∆f f (x0 + ∆x) − f (x0 ) f (x) − f (x0 ) 0 f (x) := = lim = lim = lim x→x0 dx x0 ∆x→0 ∆x ∆x→0 ∆x x − x0 Bemerkung: Gelegentlich wird auch die Notation f (x + h) − f (x) h→0 h f 0 (x) = lim verwendet, wobei h eine Nullfolge ist. Bemerkung: Wenn ∆x hinreichend klein ist, gilt: f 0 (x0 ) ≈ f (x0 + ∆x) − f (x0 ) ∆x in der Nähe von x0 . Also ist die Gerade g(x) = f (x0 ) + f 0 (x0 )(x − x0 ) durch den Punkt (x0 , f (x0 )) in diesem Bereich eine gute Näherung. ————————————————————————————————————— ———————————————————————————————————– 19 1.3.1 Differentiation von Vektorfunktionen Sei ~r = ~r(t) = (x1 (t), x2 (t), x3 (t)) z.B. die Bahnkurve eines Körpers: Dann gilt für die Geschwindigkeit zum Zeitpunkt t am Ort (x1 (t), x2 (t), x3 (t)): d~r ∆~r(t) ~r(t + ∆t) − ~r(t) ~v (t) = ~r˙ (t) = = lim = lim ∆t→0 dt ∆t→0 ∆t ∆t 1 = lim [x1 (t + ∆t) − x1 (t), x2 (t + ∆t) − x2 (t), x3 (t + ∆t) − x3 (t)] ∆t→0 ∆t dx1 dx2 dx3 = , , = (v1 (t), v2 (t), v3 (t)) dt dt dt Entsprechend gilt für die Beschleunigung: 2 2 2 2 d d x d~ r d x d x d ~ r 1 2 3 ~a(t) = ~v˙ (t) = ~r¨(t) = , , = 2 = = (a1 (t), a2 (t), a3 (t)) dt dt dt dt2 dt2 dt2 Beispiel: ::::::::: Kreisbewegung mit konstanter Winkelgeschwindigkeit ω ~r(t) = R cos(ωt) ~e1 + R sin(ωt) ~e2 = R (cos(ωt), sin(ωt)) ; R, ω = const. Dann gilt: (a) ~v = ~r˙ = Rω (− sin(ωt), cos(ωt)) ⇒ |~v | = Rω = const. (X) (b) ~a = ~v˙ = ~r¨ = −Rω 2 (cos(ωt), sin(ωt)) ⇒ |~a| = Rω 2 = const. Also: Die Beschleunigung ist nicht Null, obwohl der Geschwindigkeitsbetrag konstant ist. ::::: ————————————————————————————————————— 20 ———————————————————————————————————– Die Ableitung von Vektoren und Vektorfunktionen erfolgt also komponentenweise. Es gelten einige Rechenregeln, wie z.B.: d d~v dw ~ (~v + w) ~ = + dt dt dt d d~v dw ~ (~v · w) ~ = ·w ~ + ~v · dt dt dt d~v dw ~ d (~v × w) ~ = ×w ~ + ~v × dt dt dt (Beweis z.B. durch Rechnung in Komponenten.) —————————————————————————————– Selbstverständlich erfolgt auch die Integration von Vektorfunktionen komponentenweise: Z Z Z Z ~r˙ (t) = ~v (t) ⇒ ~r(t) = ~v (t)dt = v1 (t)dt, v2 (t)dt, v3 (t)dt Beispiel: ::::::::: Kreisbewegung mit konstanter Winkelgeschwindigkeit ω (s.o.) ~v (t) = Rω (− sin(ωt), cos(ωt)) Z Z Z ⇒ ~r(t) = ~v (t)dt = Rω − sin(ωt)dt, cos(ωt)dt 1 1 = Rω cos(ωt), sin(ωt) = R (cos(ωt), sin(ωt)) ω ω (X) ————————————————————————————————————— ———————————————————————————————————– 21 Exkurs: Kurvenintegrale (= Linien- oder Wegintegrale, vgl. 9.1.1) Bei der Diskussion des Skalarproduktes (vgl. 1.2.3) haben wir bereits die allgemeine Formel für die Arbeit kennen gelernt: Z W = F~ · d~s Für einfache Fälle können wir diese “vektorielle” Integration über das Vektorfeld F~ nun bereits ausführen. Dafür gibt es grundsätzlich zwei Möglichkeiten (die wir für den Fall zweidimensionaler kartesischer Koordinaten diskutieren): (i) Einzelne Integrationen bzgl. der jeweiligen Koordinaten: Z F~ · d~s = Z Z (F1 , F2 ) · (dx1 , dx2 ) = Z F1 dx1 + F2 dx2 (ii) Eine Integration bzgl. eines Parameters, mit dem der Weg parametrisiert ist: ~s = ~s(t) Z Z Z d~ s ds ds 1 2 F~ (~s(t)) · F~ · d~s = dt = F1 + F2 dt dt dt dt Bemerkung: Die Verallgemeinerung auf drei kartesische Dimensionen ist in beiden Fällen offensichtlich. Die Verallgemeinerung auf krummlinige Koordinaten erfolgt später. Bemerkung: Die Alternative (i) kann auch kurz als Koordinatenmethode bezeichnet werden und (ii) als Methode des parametrisierten Pfades. ————————————————————————————————————— 22 ———————————————————————————————————– Die Berechnung eines Kurvenintegrals sei mit zwei Beispielen illustriert: Sei F~ Beispiel 1: ::::::::::: Es gilt: = = = (F1 , F2 ) = (2x1 , x22 ) F1~e1 + F2~e2 2x1~e1 + x22~e2 Integration entlang des Weges ~s1 und ~s2 1. Wegstück: (0, 0) −→ (a, 0) : ~s1 = (x1 , 0) ⇒ d~s1 = (dx1 , 0) 2. Wegstück: (a, 0) −→ (a, b) : ~s2 = (a, x2 ) ⇒ d~s2 = (0, dx2 ) Also: ::::: ZP F~ · d~s = 0 (a,0) Z (a,b) (a,0) (a,b) Z Z Z F~ · d~s1 + F~ · d~s2 = (2x1 , x22 ) · (dx1 , 0) + (2x1 , x22 ) · (0, dx2 ) (0,0) (a,0) Za = Zb 2x1 dx1 + 0 (0,0) x22 dx2 = a2 + (a,0) 1 3 b 3 0 Alternativ gilt mit Integration bzgl. eines Parameters t ∈ [0, 1]: d~s1 = (a, 0) dt d~s2 ~s2 = (0, bt) ⇒ = (0, b) dt ~s1 = (at, 0) ⇒ Damit folgt: ZP Z1 Z1 d~ s d~ s 1 2 F~ · d~s = F~ · dt + F~ · dt dt dt 0 0 Z1 = 0 (2x1 , x22 ) Z1 · (a, 0)dt + 0 0 Z1 = Z1 [(2at)a + 0]dt + 0 (2x1 , x22 ) · (0, b)dt 1 1 1 [0 + (bt)2 b]dt = a2 t2 0 + b3 t3 /3 0 = a2 + b3 3 0 ————————————————————————————————————— ———————————————————————————————————– 23 Integration entlang des Weges ~s3 Beispiel 2: ::::::::::: Hier gilt: (0, 0) −→ (a, b) : ~s3 = (x1 , x2 ) ⇒ d~s3 = (dx1 , dx2 ) Also: ::::: ZP (a,b) Z Za Zb 1 F~ · d~s = (2x1 , x22 ) · (dx1 , dx2 ) = 2x1 dx1 + x22 dx2 = a2 + b3 3 0 0 (0,0) 0 Alternativ: ~s(t) = ~s3 (t) = (|{z} at , |{z} bt ) ; t ∈ [0, 1] ⇒ x1 (t) x2 (t) d~s3 = (a, b) dt Demnach: ZP Z1 Z1 Z1 d~ s 1 3 F~ · d~s = F~ · dt = (2at, b2 t2 ) · (a, b)dt = (2a2 t + b3 t2 )dt = a2 + b3 dt 3 0 0 0 0 Welche Methode besser geeignet ist, hängt vom betrachteten Vektorfeld ab. Z.B. ist für das folgende Kraftfeld (bei gleichem Weg ~s3 wie oben) die Koordinatenmethode umständlicher: d~s3 = (dx1 , dx2 ) F~ = (x2 , x1 ) ; ~s3 = (x1 , x2 ) = (at, bt) ⇒ d~s3 | {z } = (a, b) dt (∗) Dann hat man: ZP Z1 Z1 Z1 d~ s 3 F~ · d~s = F~ · dt = (bt, at) · (a, b)dt = (abt + abt) dt = ab dt 0 0 0 0 Bei der Integration bzgl. der Koordinaten ergibt sich hingegen ein Problem: ZP (a,b) Z Za Zb ~ F · d~s = (x2 , x1 ) · (dx1 , dx2 ) = x2 dx1 + x1 dx2 0 0 (0,0) 0 Offensichtlich werden die Abhängigkeiten x2 (x1 ) und x1 (x2 ) entlang des Weges ~s3 benötigt. Man erhält sie aus (∗): b a x1 = at ; x2 = bt ⇒ x1 = x2 ; x2 = x1 b a Damt folgt schließlich: Za Zb x2 dx1 + 0 Za x1 dx2 = 0 0 b x1 dx1 + a Zb a ab ab x2 dx2 = + = ab b 2 2 0 ————————————————————————————————————— 24 ———————————————————————————————————– Bemerkung: Selbstverständlich sind z.B. das Kraftfeld und anders parametrisiert: ( (2at, 0) ~s(t) = (a, 2b[t − 1/2]) alternative Parametrisierungen möglich. Sei der Weg entlang ~s1 und ~s2 wie oben, aber ; t ∈ [0, 1/2] ; t ∈ [1/2, 1] ⇒ d~s = dt ( (2a, 0) ; t ∈ [0, 1/2] (0, 2b) ; t ∈ [1/2, 1] Damit findet man: ZP 0 Z1/2 Z1 Z1 d~ s d~s d~ s ~ ~ ~ ~ dt = dt + dt F · d~s = F· F· F· dt dt dt 0 0 1/2 Z1/2 Z1 = 2(2at)2a dt + 4b2 [t − 1/2]2 2b dt 0 = 8a2 1/2 1 2 t 2 1/2 0 " 3 #1 1 1 + 8b3 t− 3 2 1/2 1 = a2 + b 3 3 ————————————————————————————————————— ———————————————————————————————————– 25 1.3.2 Ziel: :::: Partielle und totale Ableitung Verallgemeinerung der Differential- und Integralrechnung auf mehrere Dimensionen Eine Verallgemeinerung von ‘einfachen’ (eindimensionalen, 1D) skalaren Funktion f (x) einer unabhängigen Veränderlichen x ist in zweifacher Weise möglich, nämlich hinsichtlich des Argumentes und des Funktionswertes: 1D-Funktionswert f ’gewöhnliche’ Fkt. f (x) 1D-Argument x (z.B. Wasserdruck als (“Funktionen”) Fkt. der Tiefe; Strom in Abh. von der Spannung) 2D/3DArgument ~x (“Felder”) skalare Felder f (~x) = f (x1 , x2 , x3 ) (z.B. Temperatur in jedem Punkt im Raum (3D); Höhenangaben auf der Landkarte (2D)) 3D-Funktionswert f~ = (f1 , f2 , f3 ) Vektorfkt. f~(x) = (f1 (x), f2 (x), f3 (x)) (Kurven im Raum, z.B. die Position eines geworfenen Steins zu jedem Zeitpunkt: ~r(t)) Vektorfelder ~ f (~x) = (f1 (x1 , x2 .x3 , ..., f3 (x1 , x2 , x3 )) (z.B. Kraft in jedem Punkt im Raum; Strömungsgeschwindigkeit im Ozean (3D); Windgeschwindigkeit auf Wetterkarte (2D)) Bemerkung: Obwohl eine allgemeinere Betrachtung höherdimenionaler (>3) Räume möglich und nötig ist (siehe Mathematikvorlesung), beschränken wir uns im Folgenden wieder auf den Fall des R3 , der in der physikalischen Praxis ja von herausragender Bedeutung ist. Bemerkung: Hier werden stets kartesische Koordinaten verwendet. Die Verallgemeinerung auf krummlinige Koordinaten erfolgt später. Bemerkung: Man kann selbstverständlich auch Tensoren höherer Stufe als Funktionswerte zulassen und spricht dann allgemeiner von Tensorfeldern. Wie bei gewöhnlichen Funktionen f (x) erfolgt die Untersuchung der Eigenschaften von Vektorfunktionen und Feldern mit Hilfe der Differentialrechnung. Somit stellt sich die Frage: Wie bildet man die Ableitung(en) im höherdimensionalen Fall? ————————————————————————————————————— 26 ———————————————————————————————————– Es erweist sich als sinnvoll, zwischen der Änderung einer Funktion in Richtung einer der (lokalen) Koordinatenachsen und der gesamten (lokalen) Änderung zu unterscheiden. Dazu definiert man die partiellen Ableitungen einer skalaren Funktion Φ(~r) = Φ(x1 , x2 , x3 ) als: ∂Φ = ∂x1 ∂Φ = ∂x2 ∂Φ = ∂x3 Φ(x1 + ∆x1 , x2 , x3 ) − Φ(x1 , x2 , x3 ) ∆x1 →0 ∆x1 Φ(x1 , x2 + ∆x2 , x3 ) − Φ(x1 , x2 , x3 ) lim ∆x2 →0 ∆x2 Φ(x1 , x2 , x3 + ∆x3 ) − Φ(x1 , x2 , x3 ) lim ∆x3 →0 ∆x3 lim Das heißt die partiellen Ableitungen werden gebildet in Analogie zum Fall einer Funktion von nur einer unabhängigen Variablen (1D-Fall). Beispiel: (a) f (x1 , x2 , x3 ) = x21 + x32 + x3 ⇒ ∂f = 2x1 ∂x1 ; ∂f = 3x22 ∂x2 ; ∂f =1 ∂x3 (b) g(x1 , x2 , x3 ) = x1 x22 x3 + 2x1 x2 − sin(x2 x3 ) ∂g = x22 x3 + 2x2 ; ∂x1 ∂g = 2x1 x2 x3 + 2x1 − x3 cos(x2 x3 ) ; ∂x2 ∂g = x1 x22 − x2 cos(x2 x3 ) ∂x3 p (c) Φ(x1 , x2 , x3 ) = x21 + x22 + x23 ⇒ ⇒ xi ∂Φ =p 2 ∂xi x1 + x22 + x23 Bemerkung: Die partielle Ableitung nach einer unabhängigen Variablen xi einer Funktion f (x1 , x2 , x3 ) erfolgt also wie gewohnt, wenn man die anderen unabhängigen Variablen xj , j 6= i als Konstanten behandelt. Bemerkung: Von den partiellen Ableitungen in Richtung der (lokalen) Koordinatenachsen ist die später zu definierende Richtungsableitung zu unterscheiden, die die Änderung in eine beliebig vorgegebene Richtung zu bestimmen erlaubt. ————————————————————————————————————— ———————————————————————————————————– 27 Im Unterschied zum bekannten 1D-Fall gibt es nun mehrere ”2. partielle Ableitungen”, ∂ ∂Φ ∂ ∂Φ ∂ ∂Φ oder oder bilden. denn man kann ja z. B. ∂x1 ∂x1 ∂x2 ∂x1 ∂x1 ∂x2 Beispiel: (a) f (x1 , x2 , x3 ) = x21 + x32 + x3 ⇒ ∂ ∂f ∂ 2f = =2 ∂x1 ∂x1 ∂x21 ∂ ∂f ∂ 2f ∂ 2f ∂ ∂f = =0= = ∂x2 ∂x1 ∂x2 ∂x1 ∂x1 ∂x2 ∂x1 ∂x2 (b) g(x1 , x2 , x3 ) = x1 x22 x3 + 2x1 x2 − sin(x2 x3 ) ∂ 2g = 2x1 x2 − cos(x2 x3 ) + x2 x3 sin(x2 x3 ) ∂x3 ∂x2 p (c) Φ(x1 , x2 , x3 ) = x21 + x22 + x23 P 2 xj ∂ 2Φ j6=i =p ⇒ 3 ∂x2i x21 + x22 + x23 ⇒ Bemerkung: Die Gleichheit der Ableitungen ∂ 2f ∂ 2f = ∂xi ∂xj ∂xj ∂xi ist garantiert, wenn die Funktion f stetige partielle Ableitungen bis zur zweiten Ordnung hat (Satz von Schwarz). Neben der partiellen Ableitung ist auch die totale Ableitung einer Funktion von Interesse. Um die totale Änderung dΦ/dt einer Funktion Φ(x1 , x2 , x3 ) in Abhängigkeit einer Variablen t zu bestimmen, benötigt man die Kettenregel, die analog zum 1D-Fall: f = f (x(t)) ⇒ df df dx = dt dx dt im 3D-Fall wie folgt ausgeführt wird: Φ = Φ(x1 (t), x2 (t), x3 (t)) ⇒ ∂Φ dx1 ∂Φ dx2 ∂Φ dx3 dΦ = + + dt ∂x1 dt ∂x2 dt ∂x3 dt ————————————————————————————————————— 28 ———————————————————————————————————– Das ergibt sich mit xi (t + ∆t) − xi (t) = ∆xi aus: dΦ = dt n Φ(x (t + ∆t), x (t + ∆t), x (t + ∆t)) − Φ(x (t), x (t), x (t)) o 1 2 3 1 2 3 ∆t→0 ∆t lim Addition einer ‘geschickten’ Null = = lim ∆t→0 1 n Φ(x1 + ∆x1 , x2 + ∆x2 , x3 + ∆x3 ) − Φ(x1 (t), x2 (t), x3 (t)) ∆t→0 ∆t −Φ(x1 , x2 + ∆x2 , x3 + ∆x3 ) + Φ(x1 , x2 + ∆x2 , x3 + ∆x3 ) o −Φ(x1 , x2 , x3 + ∆x3 ) + Φ(x1 , x2 , x3 + ∆x3 ) lim n Φ(x + ∆x , x + ∆x , x + ∆x ) − Φ(x , x + ∆x , x + ∆x ) ∆x 1 1 2 2 3 3 1 2 2 3 3 1 ∆x1 ∆t Φ(x1 , x2 + ∆x2 , x3 + ∆x3 ) − Φ(x1 , x2 , x3 + ∆x3 ) ∆x2 + ∆x2 ∆t o Φ(x1 , x2 , x3 + ∆x3 ) − Φ(x1 , x2 , x3 ) ∆x3 + ∆x3 ∆t 3 ∂Φ dx2 ∂Φ dx3 X ∂Φ dxi ∂Φ dx1 + + = = ∂x1 dt ∂x2 dt ∂x3 dt ∂xi dt i=1 Beispiel: Φ(x1 (t), x2 (t), x3 (t)) = p x21 + x22 + x23 mit x1 = t; x2 = sin(t); x3 = exp(t) ⇒ dΦ t = p 2 · 1 dt x1 + x22 + x23 |{z} | {z } dxdt1 ∂Φ ∂x1 sin(t) + p 2 cos(t) x1 + x22 + x23 | {z } | {z } dx2 ∂Φ ∂x2 dt exp(t) + p 2 · exp(t) x1 + x22 + x23 | {z } | {z } dx3 ∂Φ ∂x3 = dt t + sin(t) cos(t) + exp(2t) p t2 + sin2 (t) + exp(2t) ————————————————————————————————————— ———————————————————————————————————– 29 Das Ergebnis für die verallgemeinerte Kettenregel legt die Definition der totalen Ableitung einer Funktion an einem Ort ~r = (x1 , x2 , x3 ) nahe: dΦ = ∂Φ ∂Φ ∂Φ dx1 + dx2 + dx3 ∂x1 ∂x2 ∂x3 Die Größe dΦ heißt totales Differential der Funktion Φ am Ort ~r = (x1 , x2 , x3 ). Die totale Ableitung von Φ nach einer Variablen t lautet also: dΦ ∂Φ dx1 ∂Φ dx2 ∂Φ dx3 = + + dt ∂x1 dt ∂x2 dt ∂x3 dt Beispiel: Φ(~r) = Φ(x1 , x2 , x3 ) = ⇒ dΦ = 3 X i=1 q x21 + x22 + x23 = √ ~r · ~r 3 X xi p dx dxi i = |~ r | x21 + x22 + x23 i=1 xi Bemerkung: Zur sinnvollen Bildung der totalen Ableitung bzw. des totalen Differentials muss vorausgesetzt werden, dass die Funktion und ihre partiellen Ableitungen stetig sind. Die bisherigen Betrachtungen können direkt auf Vektorfelder übertragen werden, in dem man die partiellen Ableitungen komponentenweise bildet: ~ ~ 1 + ∆x1 , x2 , x3 ) − A(x ~ 1 , x2 , x3 ) ∂A1 ∂A2 ∂A3 ~ dA A(x ∂A = = lim = , , ∆x1 →0 ∂x1 dx1 ∆x1 ∂x1 ∂x1 ∂x1 x2 ,x3 =const. Die Ableitungen nach anderen Koordinaten erfolgen analog. Beispiel: ~ r) = B ~ × ~r ; B ~ = const. ; ~r = (x1 , x2 , x3 ) A(~ = (B2 x3 − B3 x2 , B3 x1 − B1 x3 , B1 x2 − B2 x1 ) ⇒ ~ ~ ~ ∂A ∂A ∂A = (0, B3 , −B2 ) ; = (−B3 , 0, B1 ) ; = (B2 , −B1 , 0) ∂x1 ∂x2 ∂x3 ⇒ ~ ∂ ∂A ∂ = (−B3 , 0, B1 ) = (0, 0, 0) ∂x1 ∂x2 ∂x1 ————————————————————————————————————— 30 ———————————————————————————————————– 1.4 Krummlinige Koordinaten I (A) Motivation zur Definition verschiedener Koordinatensysteme Oft ist es sinnvoll und zweckmäßig Koordinatensysteme zu verwenden, die sich an der Geometrie und/oder Symmetrie eines physikalischen Problems anpassen (z.B. Polarkoordinaten für die Kreisbewegung). Dadurch lassen sich oft die mathematischen Schwierigkeiten eines Problems reduzieren und physikalische Sachverhalte klarer erkennen. In der Praxis sind von besonderer Bedeutung orthogonale Koordinatensysteme, d.h. solche, bei denen die so genannten Basisvektoren (also die Koordinateneinheitsvektoren) paarweise senkrecht zueinander sind. Im Folgenden einige Beispiele. Bemerkung: Für die formale Definition von Koordinatensystemen im Zusammenhang mit linearen Abbildungen und dem Begriff des Vektorraums siehe die Mathematikvorlesung(en). Bemerkung: Wir behandeln zunächst 2D Koordinatensysteme. Die Verallgemeinerung auf 3D Koordinatensysteme ist problemlos, weil in völliger Analogie zum 2D-Fall. ————————————————————————————————————— ———————————————————————————————————– 31 1.4.1 2-dimensionale orthogonale Koordinatensysteme (a) Kartesische Koordinaten (x1 , x2 ): :::::::::::::::::::::::::::::::::: Es gilt: (1) ~r = x1~e1 + x2~e2 = (x1 , x2 ) (2) Die Koordinatenlinien sind orthogonale Geraden. (b) Ebene Polarkoordinaten (r, ϕ): :::::::::::::::::::::::::::::::: Es gilt: (1) ~r = |~r|~er = r~er (2) Die Koordinatenlinien sind konzentrische Kreise und radiale Geraden. Bemerkung: Zusammenhang der ebenen Polarkoordinaten mit den kartesischen Koordinaten: x1 = r cos ϕ x2 = r sin ϕ ⇒ ~r = r cos ϕ~e1 + r sin ϕ~e2 ! ⇒ ~er ⇒ ~eϕ = r(cos ϕ~e1 + sin ϕ~e2 ) = r~er = cos ϕ~e1 + sin ϕ~e2 = − sin ϕ~e1 + cos ϕ~e2 , , so dass ~er · ~eϕ = 0 ————————————————————————————————————— 32 ———————————————————————————————————– (B) Bewegungen in nicht-raumfesten Koordinatensystemen Im Unterschied zum kartesischen Koordinatensystem ist die Richtung der (Basis-)Einheitsvektoren krummliniger Koordinatensysteme im Allgemeinen ortsabhängig. Bei der Beschreibung von Bewegungen führt das dazu, dass nicht nur die Koordinaten eines Körpers, sondern auch die Einheitsvektoren von der Zeit abhängig sind. Beispiel: ::::::::: Kreisbewegung mit Periode T (⇒ ω = 2π/T ) – ~e1 , ~e2 sind raumfest und zeitunabhängig – ~er , ~eϕ sind nicht raumfest und zeitabhängig – x1 (t) und x2 (t) – ϕ(t) und r = R = const. (a) Im ::::::::::::: kartesischen :::::::::::::::::::: Koordinatensystem gilt: ~r(t) = x1 (t)~e1 + x2 (t)~e2 = R cos(ωt)~e1 + R sin(ωt)~e2 q d ˙ ~r(t) = ~r(t) = ẋ1 (t)~e1 + ẋ2 (t)~e2 ; |~v | = ẋ21 + ẋ22 = Rω ⇒ ~v (t) = dt ⇒ Es werden zwei zeitabhängige Funktionen x1 (t), x2 (t) benötigt. (b) Im ebenen Polarkoordinatensystem gilt: :::::::::::::::::::::::::::::::: R = const | ~r(t) = R~er = R~er (t) ~er = cos(ωt)~e1 + sin(ωt)~e2 1.4.1 | | ⇒ ~v (t) = ~r˙ (t) = R~e˙ r = Rω[− sin(ωt)~e1 + cos(ωt)~e2 = Rω~eϕ Man erkennt somit unmittelbar Betrag und Konstanz der Geschwindigkeit sowie ihre Richtung. ————————————————————————————————————— ———————————————————————————————————– 33 ˆ 1.4.4) (C) Berechnung der Basisvektoren eines Koordinatensystems (= Wie zuvor bemerkt (siehe 1.4.1), gelingt die Konstruktion der Basis(einheits)vektoren oft anschaulich, wie am Beispiel von ebenen Polarkoordinaten demonstriert sei: ~er := ~r 1 ~r = = (r cos ϕ ~e1 + r sin ϕ ~e2 ) = cos ϕ ~e1 + sin ϕ ~e2 |~r| r r ~er · ~eϕ = 0 ⇒ ~eϕ = − sin ϕ ~e1 + cos ϕ ~e2 (Vorzeichen wegen Orientierung) Diese Berechnung kann systematischer erfolgen: In kartesischen Koordinaten (im R3 ) gilt: :::::::::::::::::::::::::: totales Differential, siehe 1.3.2 ~u = 3 X ui~ei ⇒ i=1 Änderung in ~ei -Richtung 3 3 3 X ∂~u X ∂~u X d~u = dui = ~ei dui ∂ui ~ei dui = ∂u i i=1 i=1 | {z } i=1 =1 ⇒ ~ei = ∂~u in kartesischen Koordinaten. ∂ui Bemerkung: Wenn ~u = (u1 , u2 , u3 ) gilt, z.B. Andere Ableitungen analog. ∂~u = (1, 0, 0) = ~e1 . ∂u1 In krummlinigen Koordinaten gilt: :::::::::::::::::::::::::::: ~u = 3 X i=1 ui~eui ⇒ 3 3 X X ∂~u ∂~u d~u = dui = ∂ui ~ei dui ∂u i i=1 i=1 | {z } i.A.6=1 ⇒ ∂~u ∂ui ~ei = ∂~ u ∂ui Basiseinheitsvektoren eines Koordinatensystems Bemerkung: Zu bilden sind also die partiellen Ableitungen eines Vektors nach seinen Komponenten im gewünschten Koordinatensystem. ————————————————————————————————————— 34 ———————————————————————————————————– Nun können wir obige Formel am :::::::: Beispiel:::::::: ebener :::::::::::::::::: Polarkoordinaten illustrieren: ~r = x1~e1 + x2~e2 = r cos ϕ ~e1 + r sin ϕ ~e2 ∂~r = cos ϕ ~e1 + sin ϕ ~e2 ∂r ⇒ ∂~r = −r sin ϕ ~e1 + r cos ϕ ~e2 ∂ϕ ∂~r = 1 ∂r ∂~r ⇒ = r ∂ϕ ⇒ Die Basisvektoren ergeben sich dann als: ∂~r ~er = ~eϕ = ∂r ∂~r ∂r ∂~r ∂ϕ ∂~r ∂ϕ = cos ϕ ~e1 + sin ϕ ~e2 = − sin ϕ ~e1 + cos ϕ ~e2 Man erhält also systematisch die bereits oben angegebenen Ergebnisse. ————————————————————————————————————— ———————————————————————————————————– 35 (D) Geschwindigkeit und Beschleunigung in speziellen Koordinatensystemen Wichtige Anwendungen der Differentiation von Vektoren (insbesondere auch in krummlinigen Koordinatensystemen) sind die Berechnung von Geschwindigkeit ~v = ~r˙ und Beschleunigung ~a = ~v˙ = ~r¨ aus der Bahn ~r(t) eines Körpers. Das sei hier wieder am :::::::: Beispiel:::::::: ebener :::::::::::::::::: Polarkoordinaten illustriert: Basiseinheitsvektoren: ~er = cos ϕ ~e1 + sin ϕ ~e2 ~eϕ = − sin ϕ ~e1 + cos ϕ ~e2 Differenzieren liefert dann: ~e˙ r = ϕ̇(− sin ϕ ~e1 + cos ϕ ~e2 ) = ϕ̇ ~eϕ ~e˙ ϕ = ϕ̇(− cos ϕ ~e1 − sin ϕ ~e2 ) = −ϕ̇ ~er Damit folgt mit ~r = r~er für die Geschwindigkeit: :::::::::::::::: Basiseinheitsvektor zeitabhängig: Produktregel | ~v = ~r˙ = ṙ~er + r~e˙ r = ṙ~er + rϕ̇ ~eϕ und für die :::::::::::::::: Beschleunigung: Produktregel | ~a = ~v˙ = r̈~er + ṙ~e˙ r + ṙϕ̇~eϕ + rϕ̈~eϕ + rϕ̇~e˙ ϕ = r̈~er + ṙϕ̇~eϕ + ṙϕ̇~eϕ + rϕ̈~eϕ − rϕ̇2~er = (r̈ − rϕ̇2 ) ~er + (2ṙϕ̇ + rϕ̈)~eϕ ————————————————————————————————————— 36 ———————————————————————————————————– Völlig analog zum 2D-Fall definiert man 1.4.2 3-dimensionale orthogonale Koordinatensysteme 1.4.3 (a) Kartesische Koordinaten (x1 , x2 , x3 ): ::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Es gilt: (1) ~r = x1~e1 +x2~e2 +x3~e3 = (x1 , x2 , x3 ) (2) Die Koordinatenflächen sind orthogonale Ebenen. Bemerkung: Im Unterschied zu krummlinigen Koordinatensystemen sind hier alle drei Basisvektoren unabhängig vom Ort (wie im 2D-Fall), was die Verwendung 3D kartesischer Koordinaten besonders einfach macht. (b) Sphärische Polarkoordinaten = ˆ Kugelkoordinaten (r, ϑ, ϕ): :::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::: Es gilt: (1) ~r = r~er (2) Die Koordinatenflächen sind Ebenen und konzentrische Kugeloberflächen. Bemerkung: Zusammenhang mit kartesischen Koordinaten: x1 = r sin ϑ cos ϕ x2 = r sin ϑ sin ϕ x3 = r cos ϑ und ϑ = arccos (x3 /r) ϕ = arctan (x2 /x1 ) q r = x21 + x22 + x23 ————————————————————————————————————— ———————————————————————————————————– 37 (c) Zylinderkoordinaten (ρ, ϕ, z): :::::::::::::::::::::::::::::: Es gilt: (1) ~r = ρ~eρ + z~ez (2) Die Koordinatenflächen sind Ebenen und koachsiale Zylindermäntel. Bemerkung: Zusammenhang mit kartesischen Koordinaten: x1 = ρ cos ϕ x2 = ρ sin ϕ x3 = z q x21 + x22 ρ = und ϕ = arctan (x2 /x1 ) z = x3 ————————————————————————————————————— 38 ———————————————————————————————————– (E) Anwendungsbeispiel für krummlinige Koordinaten: Fadenpendel Für die Beschreibung des auch als mathematisches Pendel bezeichneten Fadenpendels sind ebene Polarkoordinaten sehr hilfreich: Es wirke auf die (Punkt-)Masse m an einem (masselosen) Faden der Länge l die Gravitationskraft F~G und die Fadenkraft F~F : F~G = FG,r~er + FG,ϕ~eϕ = mg cos ϕ ~er − mg sin ϕ ~eϕ F~F = −FF,r~er Mit der Newtonschen Bewegungsgleichung (Physik I !?) folgt: (D) ⇔ m~r¨ = F~gesamt = F~G + F~F m (r̈ − rϕ̇2 )~er + (2ṙϕ̇ + rϕ̈)~eϕ = mg cos ϕ ~er − mg sin ϕ ~eϕ − FF,r~er Da die Pendellänge r = l = const ⇒ ṙ = 0 und r̈ = 0: ⇒ ⇒ (I) ⇒ (II) ⇒ −mlϕ̇2~er + mlϕ̈~eϕ = mg cos ϕ ~er − mg sin ϕ ~eϕ − FF,r~er ( (I) (−mlϕ̇2 − mg cos ϕ + FF,r )~er = ~0; (II) (mlϕ̈ + mg sin ϕ)~eϕ = ~0; FF,r = mg cos ϕ + mlϕ̇2 mlϕ̈ + mg sin ϕ = 0 Radialkomp. der Grav.-Kraft + Zentrifugalkraft Differentialgleichung mit “schwieriger” Lösung (i.A. Elliptische Integrale) Aber: :::::: Bei kleinen Auslenkungen |ϕ| 1 ⇒ sin ϕ ≈ ϕ gilt: (II) ⇒ mlϕ̈ + mgϕ ≈ 0 g b Schwingungsgleichung ≈> ϕ̈ + ϕ = 0 = l Lösung: :::::::: r ϕ(t) = A sin(ωt) + B cos(ωt) ; ω = g ; A, B = const l wobei hier die Konstanten A und B durch die Anfangsbedingungen festzulegen sind (siehe unten). ————————————————————————————————————— ———————————————————————————————————– 39 2 Datenanalyse und Fehlerrechnung −→ siehe Grundpraktikum −→ siehe Physik I-Vorlesung −→ siehe Tutorium ————————————————————————————————————— 40 ———————————————————————————————————– 3 Vektoranalysis I Motivation: ::::::::::: Die Untersuchung von (skalaren und vektoriellen) Feldern (die wir in Kapitel 1 definiert haben) erfolgt hier zunächst in kartesischen Koordinaten. Die systematische “Erweiterung” auf allgemeinere krummlinige Koordinaten erfolgt in Kapitel 9. 3.1 Der Gradient eines skalaren Feldes (A) Die Richtungsableitung Um eine Funktion von mehreren unabhängigen Variablen sinnvoll untersuchen zu können, benötigen wir über die partielle(n) und totale Ableitungen hinaus noch die Änderung einer Funktion in eine beliebige Richtung, also eine so genannte Richtungsableitung: Sei eine Richtung mit einem Einheitsvektor ~n vorgegeben und eine Änderung ∆~r = |∆~r|~n (⇒ ni = ∆xi /|∆~r|) betrachtet. Dann gilt: lim |∆~ r|→0 ∆Φ |∆~r| = Φ(~r + ∆~r) − Φ(~r) lim |∆~r| n ∆Φ ∆x ∆Φ ∆x2 ∆Φ ∆x3 o 1 = lim + + |∆~ r|→0 ∆x1 |∆~ r| ∆x2 |∆~r| ∆x3 |∆~r| |∆~ r|→0 Skalarprodukt = 3 X i=1 ∂Φ ∂Φ ∂Φ ∂Φ ni = , , · ~n ∂xi ∂x1 ∂x2 ∂x3 Die Änderung der Funktion Φ(~r) in eine beliebige Richtung ~n ist also gleich dem Skalarprodukt des aus den partiellen Ableitungen gebildeten Vektors und dem Einheitsvektor in die betrachtete Richtung. Der Vektor ∂Φ ∂x1 , ∂Φ ∂Φ , ≡ grad Φ ∂x2 ∂x3 heißt Gradient des skalaren Feldes. Bemerkung: Der Vektor grad Φ(~r) gibt die Richtung der größten Änderung von Φ(~r) am Ort ~r = (x1 , x2 , x3 ) an. Der Betrag des Gradienten ist ein Maß für die Änderung. Bemerkung: Jedem Punkt ~r = (x1 , x2 , x3 ) wird ein Vektor grad Φ(~r) zugeordnet, das heißt die Menge aller dieser Vektoren bildet ein Vektorfeld, nämlich das so genannte Gradientenfeld. ————————————————————————————————————— ———————————————————————————————————– 41 (B) Der Nabla-Operator Zur Vereinfachung (auch wenn’s zunächst nicht so erscheinen mag!) der Notation wird der Nabla-Operator eingeführt: kart. Koord. ∂ ∂ ∂ ∂ ∂ ∂ ~ := ∇ , , = ~e1 + ~e2 + ~e3 ∂x1 ∂x2 ∂x3 ∂x1 ∂x2 ∂x3 Der Nabla-Operator ist ein vektorieller Differentialoperator, der eine kompakte und übersichtliche Schreibweise erlaubt. Für den Gradienten eines skalaren Feldes Φ gilt z.B.: ∂Φ ∂Φ ∂Φ ~ , , = ∇Φ grad Φ = ∂x1 ∂x2 ∂x3 Bemerkung: Die obige Darstellung des Nabla-Operators gilt nur in kartesischen Koordinaten. Mit Hilfe des Nabla-Operators lässt sich ein weiterer Differentialoperator definieren, nämlich der (skalare) Laplace-Operator: kart. Koord. 3 3 X X ∂ ∂2 ∂2 ∂2 ∂ ∂2 ~ ~ ∆ = ∇·∇= + + = · = ∂xi ∂xi ∂x21 ∂x22 ∂x23 ∂x2i i=1 i=1 Beispiel: 1 1 1 = =p 2 |~r| r x1 + x22 + x23 ~ r) = − ~r ∇Φ(~ |~r|3 3 X ∂ 2Φ 3|~r|2 − 3|~r|2 ~ ~ ∆Φ(~r) = ∇ · (∇Φ(~r)) = = =0 2 5 ∂x |~ r | i i=1 Φ(~r) = ⇒ ⇒ Bemerkung: Beide Differentialoperatoren sind z.B. für eine kompakte Formulierung der Elektrodynamik unverzichtbar. Bemerkung: Mit den Transformationsformeln zwischen kartesischen Koordinaten und z.B. sphärischen Polarkoordinaten aus Kapitel 1 ist es (nach länglicher Rechnung) möglich, die Form des Nabla-Operators in letzteren herzuleiten: ∂ 1 ∂ 1 ∂ ~ = ~er ∇ + ~eϑ + ~eϕ ∂r r ∂ϑ r sin ϑ ∂ϕ ————————————————————————————————————— 42 ———————————————————————————————————– 3.2 Quellenfelder, der Divergenz-Operator Wie oben bemerkt, werden Strömungen oft über ihre Geschwindigkeitsfelder beschrieben. Es ist mit vektoranalytischen Methoden leicht möglich, auch so genannte Quellen und Senken (= ˆ negative Quellen) zu beschreiben. Dazu folgende Überlegung: Betrachtet sei eine Materieströmung (Luft, Wasser) mit Teilchenzahldichte n(~r) und Strö~ r) = n(~r)~u(~r) die Flussmungsgeschwindigkeit ~u(~r) = (u1 (~r), u2 (~r), u3 (~r)). Dann ist A(~ bzw. Stromdichte. Für ein kleines Volumen ∆V gilt: Nehmen wir weiter für die x1 Richtung an: ∆N + Teilchen fließen pro ∆t in ∆V hinein. ∆N − Teilchen fließen pro ∆t aus ∆V heraus. Dann gilt: f (x) ≈ f (x0 ) + f 0 (x0 )(x − x0 ), siehe 1.3 ∆N + ∆N − n ∆x1 ∂A1 ∆x1 o = A1 x1 − ∆F ∆t ≈ A1 (x1 ) − ∆F ∆t 2 ∂x1 2 n ∆x1 ∂A1 ∆x1 o = A 1 x1 + ∆F ∆t ≈ A1 (x1 ) + ∆F ∆t 2 ∂x1 2 ∂A ∂A 1 1 ⇒ ∆N = ∆N − ∆N ≈ − ∆x1 ∆F ∆t = − ∆V ∆t ∂x1 ∂x1 (∆N /∆V ) ∂n ∂A1 =− ⇒ lim = ∆V →0,∆t→0 ∆t ∂t A1 ∂x1 − + Analog erhält man für die anderen zwei Dimensionen: ∂n ∂t =− A2 ∂A2 ∂x2 ; ∂n ∂t =− A3 ∂A3 ∂x3 ————————————————————————————————————— ———————————————————————————————————– 43 Insgesamt also: ∂n ∂t ~ A n ∂A ∂n ∂A2 ∂A3 o 1 ~ ·A ~ =: −div A ~ = =− + + = −∇ ∂t ∂x1 ∂x2 ∂x3 Die vektoranalytische Operation kart. Koord. ~ ·A ~ = div A ~ = ∂A1 + ∂A2 + ∂A3 ∇ ∂x1 ∂x2 ∂x3 ~ Falls div A(~ ~ r) = 0, sagt man, das Feld A(~ ~ r) ist in ~r heißt Divergenz des Vektorfeldes A. ~ quellenfrei. Bei div A(~r) > 0 (< 0) hat das Feld in ~r eine Quelle (Senke). Bemerkung: Die oben hergeleitete Gleichung ∂n ~=0 + div A ∂t ⇔ ∂n ~ ~ +∇·A=0 ∂t heißt Kontinuitätsgleichung und ist eine der Grundgleichungen der Hydrodynamik. Sie wird in analoger Form auch in der Elektrodynamik für die Ladungsdichte und in der Quantenmechanik für die Wahrscheinlichkeitsdichte verwendet. Beispiel: (a) (b) ~ r) = ~r = (x1 , x2 , x3 ) A(~ ~ · A(~ ~ r) = ∂A1 + ∂A2 + ∂A3 = 3 ⇒ ∇ ∂x1 ∂x2 ∂x3 ~ r) = ~ar = (a1 r, a2 r, a3 r) ; A(~ q r = x21 + x22 + x23 ~ · A(~ ~ r) = a1 x1 + a2 x2 + a3 x3 = ~a · ~r ⇒ ∇ r r r r Bemerkung: Die obige Darstellung des Divergenz-Operators gilt nur in kartesischen Koordinaten. Bemerkung: Im Unterschied zum Gradienten, der einem skalaren Feld ein Vektorfeld zuordnet, ordnet die Divergenz einem Vektorfeld ein skalares Feld zu. ————————————————————————————————————— 44 ———————————————————————————————————– 3.3 Wirbelfelder, der Rotations-Operator Nachdem wir gesehen haben, dass der Nabla-Operator in nützlicher Weise skalar auf ein Vektorfeld angewendet werden kann, liegt die Vermutung nahe, dass Ähnliches auch für ~ ×A ~ - und es zeigt seine “vektorielle Anwendung” gilt, d.h. also für das Vektorprodukt ∇ sich, dass dem auch so ist. Die vektoranalytische Operation kart. Koord. ~ ×A ~ = rot A ~ = ∂A3 − ∂A2 , ∂A1 − ∂A3 , ∂A2 − ∂A1 ∇ ∂x2 ∂x3 ∂x3 ∂x1 ∂x1 ∂x2 ~ heißt Rotation des Vektorfeldes A. ~ Offenbar erhält man auf diese Weise ein weiteres Vektorfeld, welches nachfolgend als B bezeichnet ist. Um die Bedeutung der Rotation zu veranschaulichen, betrachten wir die explizite Darstellung dieses Vektorfeldes in kartesischen Koordinaten und verwenden dazu die Notation mit dem Levi-Civita-Symbol (siehe 1.2.5): ~ ×A ~= Bi = ∇ 3 X ijk j,k=1 ∂Ak ∂xj Also explizit: B1 = ∂A3 ∂A2 − ∂x2 ∂x3 ; B2 = ∂A1 ∂A3 − ∂x3 ∂x1 ; B3 = ∂A2 ∂A1 − ∂x1 ∂x2 bzw.: ~ = B ∂A3 ∂A2 − ∂x2 ∂x3 ~e1 + ∂A1 ∂A3 − ∂x3 ∂x1 ~e2 + ∂A2 ∂A1 − ∂x1 ∂x2 ~e3 ~ berechnet: Die Nützlichkeit der Rotation wird deutlich, wenn man nun die Divergenz von B ~ ·B ~ = ∂B1 + ∂B2 + ∂B3 ∇ ∂x1 ∂x2 ∂x3 ∂ ∂A3 ∂A2 ∂ ∂A1 ∂A3 ∂ ∂A2 ∂A1 ~ = − + − + − =0 ∂x1 ∂x2 ∂x3 ∂x2 ∂x3 ∂x1 ∂x3 ∂x1 ∂x2 ~ ×A ~ quellenfrei. Ein solches Feld, dessen Offenkundig ist also jedes Vektorfeld der Form ∇ Divergenz für alle ~r verschwindet, heißt Wirbelfeld. ∂Φ ∂Φ ∂Φ , , sind Gradientenfelder stets ∂x1 ∂x2 ∂x3 ~ × ∇Φ ~ = ~0 (nachrechnen!). wirbelfrei, da ∇ ~ = Bemerkung: Wegen grad Φ = ∇Φ ————————————————————————————————————— ———————————————————————————————————– 45 Beispiel: (a) ~ r) = ~r = (x1 , x2 , x3 ) A(~ ~ × A(~ ~ r) = (0, 0, 0), da ∂xi = δij ⇒ ∇ ∂xj (b) ~ r) = ~ar = (a1 r, a2 r, a3 r) A(~ a x a2 x3 a1 x3 a3 x1 a2 x1 a1 x2 3 2 ~ ~ − , − , − ⇒ ∇ × A(~r) = r r r r r r ~r × ~a = r Bemerkung: Die obige Darstellung des Rotations-Operators gilt nur in kartesischen Koordinaten. Bemerkung: Die Rotation ordnet einem Vektorfeld ein Vektorfeld zu. Insgesamt gilt demnach für die eingeführten Differentialoperatoren schematisch: ————————————————————————————————————— 46 ———————————————————————————————————– Exkurs: Taylorentwicklung Es ist oft hilfreich ein Feld ”lokal zu nähern”, um dann mit vereinfachten Termen oder Ausdrücken arbeiten zu können. Für eine solche Näherung bietet sich eine Taylorentwicklung an. Wir motivieren zunächst noch einmal den “Normalfall” einer Funktion einer unabhängigen Veränderlichen (für eine exakte Herleitung siehe die Mathematik-Vorlesung): Aus der Definition der Ableitung (Differentialquotient) folgt: x = x0 + ∆x x ≈ x0 f (x) − f (x ) f (x + ∆x) − f (x ) f (x) − f (x0 ) df 0 0 0 ≈ lim ≈ f 0 (x0 ) = = lim x→x0 dx x0 ∆x→0 ∆x x − x0 x − x0 Es gilt also f (x) ≈ f (x0 ) + f 0 (x0 )(x − x0 ) Verbesserung der Näherung: 1 f (x) ≈ f (x0 ) + f 0 (x0 )(x − x0 ) + f 00 (x0 )(x − x0 )2 2 Allgemeiner gilt die Taylor-Entwicklung: f 0 (x0 ) f 00 (x0 ) f (x) = f (x0 ) + (x − x0 ) + (x − x0 )2 + ... 1! 2! ∞ m (n) X X f (n) (x0 ) f (x0 ) = (x − x0 )n = (x − x0 )n + Rm (x) n! n! n=0 n=0 wobei Rm (x) = f (m+1) (x0 + η(x − x0 )) (x − x0 )m+1 , 0 ≤ η ≤ 1 (m + 1)! und lim Rm (x) = 0 m→∞ Bemerkung: Eine unendlich oft stetig differenzierbare Funktion f (x) lässt sich also für alle x aus ihren Ableitungen an einer Stelle x0 berechnen. Bemerkung: Zumeist reicht für praktische Anwendungen eine Entwicklung bis zur ersten oder zweiten Ordnung (Ableitung) aus. ————————————————————————————————————— ———————————————————————————————————– 47 Beispiel: (a) f (x) = exp(x) ⇒ f (n) (x) = exp(x) ⇒ f (n) (x0 = 0) = 1 ∞ X xn ⇒ exp(x) = (“Entwicklung um x0 = 0”) n! n=0 (b) f (x) = √ 1 1 = (1 + x)−1/2 1 + x ⇒ f 0 (x) = √ 2 2 1+x 1 ⇒ f 00 (x) = − (1 + x)−3/2 4 x0 = 0 ⇒ √ 1 1 1 + x ≈ 1 + x − x2 2 8 (c) f (x) = x2 + 3x − 4 ⇒ f 0 (x) = 2x + 3 ⇒ f 00 (x) = 2 ⇒ f (n≥3) (x) = 0 Sei wieder x0 = 0: ⇒ f (0) = −4 ; f 0 (0) = 3 ; f 00 (0) = 2 2 ⇒ f (x) = −4 + 3x + x2 = x2 + 3x − 4 2! Also: Polynome werden vollständig reproduziert ::::: Um diese Taylor-Entwicklung auf den Fall von Feldern zu übertragen, bedient man sich eines ”Tricks”: Sei ~r = ~r0 + ∆~r und ein Koordinatensystem mit Einheitsvektoren (~e10 , ~e20 , ~e30 ) so gewählt, dass eine seiner Achsen in Richtung von ∆~r zeigt, also ∆~r = ∆x10 ~e10 gelte, dann gilt für ein skalares Feld Φ(~r): 1 dΦ 1 d2 Φ 0 Φ(~r) = Φ(~r0 ) + (∆x1 ) + (∆x10 )2 + ... 1! dx10 ~r0 2! dx102 ~r0 Überlegung: Transformation auf diejenigen Koordinaten, in denen das Feld Φ(x1 , x2 , x3 ) gegeben ist: xi0 = xi0 (x1 , x2 , x3 ) ⇒ xj = xj (x10 , x20 , x30 ) Damit gilt: 3 ∂Φ dx1 ∂Φ dx2 ∂Φ dx3 X ∂Φ dxj dΦ = + + = dx10 ∂x1 dx10 ∂x2 dx10 ∂x3 dx10 ∂xj dx10 j=1 Damit folgt: 3 1 X ∂Φ dxj Φ(~r) = Φ(~r0 ) + (∆x10 ) 1! j=1 ∂xj dx10 ~r0 | {z } ∆xj 3 X ∂ 2 Φ dx dx 1 k j + (∆x10 )2 +... 0 0 2! k,j=1 ∂xk ∂xj dx dx ~r0 | 1 1{z } ∆xk ∆xj ————————————————————————————————————— 48 ———————————————————————————————————– Da weiterhin gilt: ∆x20 = ∆x30 = 0 3 X ∂xj ∆xj = i=1 dx j 0 ∆x = (∆x10 ) i 0 ∂xi dx10 folgt: 3 1 X Φ(~r) = Φ(~r0 ) + 1! j=1 ∂Φ ∂xj 3 1 X ∂ 2 Φ ∆xj + ∆xk ∆xj + ... 2! k,j=1 ∂xk ∂xj ~r0 ~ r0 Damit ist die gesuchte Taylorentwicklung eines skalaren Feldes gefunden. Eine geschlossene Form, die eine sehr kompakte Darstellung ermöglicht, ergibt sich wie folgt. Obiges Ergebnis lässt sich zunächst schreiben als: ( "( 3 )2 ) # 3 X X 1 ∂ ∂ 1 Φ + ... Φ + ∆xj ∆xj Φ(~r) = Φ(~r0 ) + 1! ∂x 2! ∂x j j j=1 j=1 ~ r0 ~ r0 Unter Ausnutzung einer anderen Schreibweise mit exp{x} = ∞ X 1 n x ergibt sich: n! n=0 # 3 ∞ n o X X n ∂ 1 ∆xj Φ(~r) = Φ n! j=1 ∂xj n=0 ~ r0 "∞ # on X 1n ~ Φ = ∆~r · ∇ n! n=0 ~ r0 h n o i ~ Φ = exp ∆~r · ∇ " ~ r0 also eine sehr elegante und kurze Form der obigen Taylorentwicklung. ————————————————————————————————————— ———————————————————————————————————– 49 1 ; ~r0 = ~0 ⇒ ∆~r = ~r |~a − ~r| 1 1 ⇒ Φ(~0) = = |~a| a 3 −1/2 ∂Φ ∂ X aj − x j ⇒ = (ai − xi )2 =p 3 ∂xj ∂xj i=1 (~a − ~r)2 3 3 X X ∂Φ aj aj x j ~a · ~r ∂Φ ⇒ = 3 ~ = 3 ⇒ ~ ∆xj = 3 ∂xj 0 a ∂xj 0 a a j=1 j=1 Beispiel: Φ(~r) = 3 X ~r2 3(~a · ~r)2 ∂ 2 Φ ~ ∆xk ∆xj = − 3 + ∂xk ∂xj 0 a a5 k,j=1 analog: ⇒ Φ(~r) = o ~a · ~r 1 ~r2 3 (~a · ~r)2 1n 1+ 2 − + + ... a a 2 a2 2 a4 was dann für |~a| |~r| eine gute Näherung darstellt. Alternativ mit ”Nabla-Notation”: ~ (∆~r · ∇) n o 1 1 ~ = ∆~r · − ∇|~a − ~r| 2 ~0 |~a − ~r| |~a − ~r| n o 1 ~ √... = ∆~r · − ∇ 2 ~0 |~a − ~r| n 1 ~a − ~r o = ∆~r · − − ~ |~a − ~r|2 |~a − ~r| 0 ~a = ∆~r · 3 a ∆~r = ~r | = ~a · ~r a3 ————————————————————————————————————— 50 ———————————————————————————————————– 4 Grundprobleme der Mechanik: Anwendungen aus der Newtonschen Mechanik Die Newtonsche Mechanik beruht auf den so genannten Newton Axiomen (siehe z.B. Physik I-Vorlesung). Alle bisher vorgestellten mathematischen Methoden werden zu deren Formulierung und Anwendung benötigt. Im Folgenden sind einige Anwendungen aufgeführt und zwei davon vertieft. 4.1 Gradientenfelder und Energieerhaltung ~ (~r). Es sei ein Kraftfeld F~ (~r) als Gradient eines skalaren Feldes V (~r) gegeben: F~ (~r) = −∇V Die Funktion V (~r) heißt Potential und kann als potentielle Energie interpretiert werden. Betrachtet man die Summe aus letzterer und der kinetischen Energie mv 2 /2 = m~v 2 /2 = m~r˙ 2 /2, so findet man (für den Fall zeitunabhängiger Masse m): 1 E = Ekin + Epot = m~r˙ 2 + V (~r) 2 Kettenregel ~ ~ F = −∇V dV d~ r dE ˙ ¨ ˙ ¨ ~ = Ė = m~r · ~r + = m~r · ~r + ∇V (~r) · = m~r˙ · ~r¨ − F~ · ~r˙ ⇒ dt dt dt m = const. 2. Newton-Axiom: F~ = m~r¨ = (m~r¨ − F~ ) · ~r˙ = 0 Es folgt also, dass die Gesamtenergie (in Inertialsystemen) erhalten ist: 1 E = m~r˙ 2 + V (~r) = const. 2 Bemerkung: Mit Hilfe der Energierhaltung gelingt in einigen Fällen die Lösung mechanischer Problemstellungen, ohne dass eine Differentialgleichung (= ˆ Newtonsche Bewegungsgleichung) gelöst werden muss. 4.1.1 Der schräge Wurf −→ siehe Kapitel zu Differentialgleichungen 4.1.2 Das Federpendel −→ siehe Kapitel zu Differentialgleichungen ————————————————————————————————————— ———————————————————————————————————– 51 4.1.3 Das mathematische Pendel −→ siehe Abschnitt 1.4(E) = ˆ Fadenpendel Hier: ::::: 4.1.4 Neues Konzept: Phasenraum, siehe Kapitelende Bewegungsgleichung in Polarkoordinaten −→ siehe Abschnitt 1.4(E) 4.2 Impulssatz und Drehimpulssatz Beide kennen Sie wahrscheinlich bereits aus der Physik I-Vorlesung: m 6= m(t) Impulssatz : Drehimpulssatz : | F~ = m~r¨ = m~v˙ = p~˙ also: d~p = F~ dt ~ = ~r × p~ L | {z } Drehimpuls ⇒ ~˙ = L ~r˙ × p~ | {z } =0, da p ~=m~ r˙ ~ + ~r × p~˙ = ~|r × F~{z= M } Drehmoment also: ~ dL ~ =M dt Diese Thematik wird ebenso in den Vorlesungen zur Theoretischen Mechanik behandelt wie... 4.3 Das Zweiteilchensystem −→ siehe Mechanik-Vorlesungen 4.4 Zentralkraftfelder und Drehimpulserhaltung −→ siehe Mechanik-Vorlesungen ————————————————————————————————————— 52 ———————————————————————————————————– Exkurs: ::::::::: Der Phasenraum ... ist ein nützliches Konzept zur Beschreibung der dynamischen Möglichkeiten eines physikalischen Systems: Definition: Der von den (ggf. verallgemeinerten) Orts- und Geschwindigkeitsvektoren aufgespannte Raum heißt Phasenraum. Eine Kurve (~r(t), ~r˙ (t)) in diesem Raum heißt Phasenbahn. Beispiel: Das Fadenpendel :::::::::::::::::: Die Phasenbahnen ergeben sich aus der Betrachtung der Energieerhaltung: ~r = l~er ⇒ ~r˙ = l~e˙ r = lϕ̇~eϕ ⇒ ~r˙ 2 = l2 ϕ̇2 1 1 1 m~v 2 = m~r˙ 2 = ml2 ϕ̇2 ; l = const. Ekin = 2 2 2 Epot = mgh = mg(l − l cos ϕ) = mgl(1 − cos ϕ) 1 ⇒ E = Ekin + Epot = ml2 ϕ̇2 + mgl(1 − cos ϕ) = const. 2 r 2 [E − mgl(1 − cos ϕ)] ⇒ ϕ̇ = ± ml2 Also: ::::: (ϕ, ϕ̇) = (0, 0), (±2π, 0), ... = ˆ stabile Fixpunkte (Pendel hängt nach unten) (ϕ, ϕ̇) = (±π, 0), (±3π, 0), ... = ˆ instabile Fixpunkte (Pendel hängt nach oben) ————————————————————————————————————— ———————————————————————————————————– 53 5 Matrizen und Tensoren (A) Motivation zur Definition von Matrizen Es gibt vielerlei Anwendungen für Matrizen, z.B. (A1) Tabellenkalkulation z.B. Lagerhaltungsbuchführung, Sportergebnisse, Börsenkurse (A2) Lineare Gleichungssysteme (I) : (II) : −3x1 − 5x2 = −6 2x1 + 3x2 = 3 Lösung mit verschiedenen Möglichkeiten, z.B.: Alternative 1: Additionsverfahren 2(I) = (I 0 ) : −6x1 − 10x2 = −12 3(I) = (II 00 ) : 6x1 + 9x2 = 9 (I 0 ) + (II 00 ) 0x1 − 1x2 = −3 Daraus folgt sofort x2 = 3 und x1 = −3 . Alternative 2: Matrizen Man kann das Gleichungssystem formal wie folgt schreiben M atrix V ektor V ektor }| z }| { z }| { { −3 −5 x1 −6 = 2 3 x2 3 | {z } | {z } | {z } z A ~ x ! ⇔ −3x1 − 5x2 2x1 + 3x2 = −6 3 ~c Allgemein kann also geschrieben werden: A ~x = ~c Wenn eine Matrix A−1 existiert, so dass gilt A−1 A ~x = ~x = A−1 ~c wäre die Lösung des Gleichungssystems gefunden. Die Nutzbarkeit dieser zweiten Alternative erfordert nun die Beantwortung folgender drei Fragen: (1) Wie multipliziert man eine Matrix mit einem Vektor? (2) Wie multipliziert man Matrizen miteinander? (3) Wie findet man die Matrix A−1 zu der Matrix A? ————————————————————————————————————— 54 ———————————————————————————————————– (B) Definition von Matrizen Definition: Ein rechteckiges Schema der A11 A21 A = .. . Am1 Form A12 A22 .. . Am2 A13 . . . A1n . . . . . . A2n .. .. .. . . . . . . . . . Amn von m·n Zahlen Aij heißt Matrix oder auch (m×n) - Matrix. Der erste Index i = 1, . . . , m bezeichnet die Zeilen, der zweite Index j = 1, . . . , n die Spalten der Matrix (daher spricht man auch vom Zeilen- bzw. Spaltenindex). Die Zahlen Aij heißen Elemente (oder auch Komponenten) der Matrix A. Bemerkung: Die Elemente einer Matrix können (reelle oder komplexe) Zahlen sein, aber auch Funktionen. Im Folgenden werden die Matrixelemente in der Regel Zahlen sein. Definition: Sind alle Elemente Aij einer Matrix gleich Null, dann spricht man von einer (m × n) - Nullmatrix. Definition: Wenn die Zeilenzahl m und die Spaltenzahl n einer Matrix A gleich sind, so ist A eine quadratische Matrix. In diesem Fall heißen die Aij mit i = j Diagonalelemente. Sind nur die Diagonalelemente verschieden von Null und gleich Eins, spricht man von einer (m × n) Einheitsmatrix: 1 0 ... 0 0 1 ... 0 E = .. .. . . 0 0 ... 1 Definition: Die transponierte Matrix AT zu einer (m × n) - Matrix A ist gegeben durch A11 . . . Am1 .. .. AT = ... . . A1n . . . Amn und ist eine (n × m)- Matrix. Beispiel: 2 3 −1 3 1 4 T 2 3 = 3 1 −1 4 ————————————————————————————————————— ———————————————————————————————————– 55 5.1 Rechenregeln für Matrizen (A) Addition und Subtraktion von Matrizen Die Summe S und die Differenz D zweier (m × n) - Matrizen A und B sind durch Sij = (A + B)ij := Aij + Bij Dij = (A − B)ij := Aij − Bij definiert, sie werden also elementweise gebildet. Beispiel: 3 5 −1 −1 + 2 0 4 0 3 5 −1 −1 − 2 0 4 0 2 3 2 7 = 1 6 2 1 2 3 4 3 = 1 6 2 −1 2 10 −4 −2 Bemerkung: Die Addition und Subtraktion von Matrizen wird also auf die “normale” (und bekannte!) Addition und Subtraktion von reellen (oder komplexen) Zahlen zurückgeführt. Bemerkung: Falls A und B nicht die gleiche Zeilen- und Spaltenzahl besitzen, sind die Summe und die Differenz nicht definiert, also nicht bildbar. Folgerung: Aus der Definition der Matrixaddition folgt unmittelbar für die Multiplikation mit einer Zahl (einem Skalar) λA11 . . . λA1n .. .. ; λ ∈ R λA = ... . . λAm1 . . . λAmn (B) Multiplikation von Matrizen Sei A eine (m × n)-Matrix und B eine (l × m)-Matrix. Dann gilt für das Produkt BA: (BA)ij := m X Bik Akj k=1 welches eine (l × n)-Matrix ist. Im Spezialfall, dass Akj ein Spaltenvektor ist (also j = 1), kann man schreiben Ak1 = Ak ~ = (A1 , ..., Ak )T und es gilt: bzw. A ~ i= (BA) m X Bik Ak k=1 ————————————————————————————————————— 56 ———————————————————————————————————– Beispiel: (a) (b) (c) 0 2 1 −2 0 2 −4 −1 3 = 3 2 5 13 17 3 1 0 2 6 4 10 −1 3 1 −2 0 = 8 8 15 3 2 5 3 1 6 −4 5 0 2 2 −1 3 4 = −1 1 3 1 13 Bemerkung: Die Matrixmultiplikation erfordert nicht, dass die Matrizen vom selben Typ sind, sondern lediglich, dass die Spaltenzahl der ersten (’linken’) gleich der Zeilenzahl der zweiten (’rechten’) Matrix ist. ˆ verBemerkung: Das Beispiel zeigt, dass die Multiplikation nicht kommutativ (= tauschbar) ist. Bemerkung: Eine Division von Matrizen ist nicht definiert. ————————————————————————————————————— ———————————————————————————————————– 57 5.2 Quadratische Matrizen und Determinanten (A) Definition Es lässt sich jeder quadratischen (n × n)-Matrix A eine Determinante det(A) = |A| zuordnen: Definition: Die Determinante |A| einer quadratischen (n×n)-Matrix ist der durch A11 . . . A1n n X .. . . .. .. = |A| = . (−1)1+j A1j ∆1j An1 . . . Ann j=1 definierte Skalar. Man bezeichnet mit 4ij die ([n − 1] × [n − 1])Unterdeterminanten von A, die gegeben sind durch: A11 ... A1(j−1) A1(j+1) ... A1n .. .. .. .. .. .. . . . . . . A . . . A A . . . A (i−1)(j−1) (i−1)(j+1) (i−1)n 4ij = (i−1)1 A(i+1)1 . . . A(i+1)(j−1) A(i+1)(j+1) . . . A(i+1)n .. .. .. .. .. .. . . . . . . A ... A1(j−1) A1(j+1) . . . Ann n1 d.h. in A sind die i-te Zeile und die j-te Spalte gestrichen. Bemerkung: Die Schreibweise | . . . | hat nichts mit dem Absolutbetrag zu tun. Insbesondere können Determinanten auch negativ sein. ————————————————————————————————————— 58 ———————————————————————————————————– (B) Laplacescher Entwicklungssatz Die Berechnung einer Determinante kann durch Entwicklung nach einer beliebigen Zeile oder Spalte erfolgen: P |A| = (−1)i+j Aij 4ij (Summe über die Spalten j = ˆ Entwicklung nach der i-ten Zeile) |A| = P (−1)i+j Aij 4ij (Summe über die Zeilen = ˆ Entwicklung nach der j-ten Spalte) i Bemerkung: Der Faktor (−1)i+j ordnet den Elementen der Determinante ein Vorzeichen gemäß folgendem Schachbrettmuster zu: + − + ... − + − ... + − + ... ... ... ... ... Beispiel: Entwicklung nach der dritten Spalte 3 1 −2 4 2 3 1 4 2 0 = −2 −0 −1 −2 −1 −2 −1 −2 5 3 1 +5 4 2 = 12+10 = 22 Für n = 1, 2, 3 liegen Sonderfälle vor, für die die Determinante besonders einfach berechnet werden kann: (1) n = 1 : A = (A11 ) ⇒ det(A) = A11 (2) n = 2 : A= A11 A12 A21 A22 ⇒ det(A) = A11 A22 − A12 A21 (3) n = 3 : A11 A12 A13 A = A21 A22 A23 A31 A32 A33 ⇒ det(A) = A11 A22 A33 + A12 A23 A31 + A13 A21 A32 −A13 A22 A31 − A11 A23 A32 − A12 A21 A33 ————————————————————————————————————— ———————————————————————————————————– 59 Determinanten werden benötigt u.a. bei der Bestimmung von inversen Matrizen (s.u., (D)) oder auch zur Lösung von Gleichungssystemen. Wir hatten in (A2) z.B.: −3x1 − 5x2 = −6 2x1 + 3x2 = 3 was sich in Matrixform als −3 −5 x1 −6 = 2 3 x2 3 schreiben lässt. Aus den drei Determinanten: −3 −5 = −9 + 10 = 1 D = 2 3 −6 −5 = −18 + 15 = −3 Dx1 = 3 3 −3 −6 = −9 + 12 = +3 Dx2 = 2 3 Daraus folgt: x1 = −3 Dx1 = = −3 D 1 x2 = Dx2 +3 = = +3 D 1 Allgemein gilt die Cramersche Regel: A~x = ~c mit det(A) 6= 0 ⇒ xi = |Ai | |A| wobei die Matrix Ai gegeben ist durch A11 . . . c1 . . . A1n .. .. .. . . . An1 . . . cn . . . Ann d.h. die Elemente der i-te Spalte sind durch die des Vektors ~c ersetzt. ————————————————————————————————————— 60 ———————————————————————————————————– (C) Eigenschaften von Determinanten (1) Eine Determinante |A| ist homogen in Bezug auf die Elemente einer Zeile oder Spalte, d.h. multipliziert man eine Zeile oder Spalte mit einer Zahl λ, so gilt: A11 . . . A1n A11 . . . A1n . . .. .. .. .. . . . . . . . . λAi1 . . . λAin = λ Ai1 . . . Ain = λ |A| . . .. .. .. .. .. .. . . . . A A ... A ... A n1 nn n1 nn Insbesondere gilt: λA11 . . . λA1n . .. .. . . . . |λA| = λAi1 . . . λAin . .. .. .. . . λA n1 . . . λAnn A11 . . . A1n . .. .. . . . . n = λ Ai1 . . . Ain . .. .. .. . . A n1 . . . Ann = λn |A| (Beweis: Folgt aus der Definition in (A) bzw. (B)) (2) Eine Determinante A11 + B11 .. . An1 |A| ist additiv in Bezug auf die Elemente einer . . . A1n + B1n A11 . . . A1n B11 .. .. .. .. .. + .. = . . . . . . An1 . . . Ann An1 ... Ann Zeile oder Spalte . . . B1n .. .. . . . . . Ann (Beweis: Spezialfall von (1) mit B1i = A1i ; i = 1, . . . , n und λ = 2) (3) Eine Determinante |A| wechselt das Vorzeichen, wenn zwei benachbarte Zeilen (Spalten) vertauscht werden: A21 . . . A2n A11 . . . A1n A21 . . . A2n A11 . . . A1n .. .. .. = − .. .. .. . . . . . . An1 . . . Ann An1 . . . Ann (Beweis: Folgt aus der Definition in (A), siehe auch (B)) ————————————————————————————————————— ———————————————————————————————————– 61 (4) Sind die Elemente einer Zeile (Spalte) zu denen einer anderen Zeile (Spalte) proportional, so ist die Determinante gleich Null. (Beweis: Proportionalitätsfaktor nach (1) herausziehen, somit ergeben sich zwei gleiche Zeilen (Spalten). Man sieht, die Vertauschung ändert nichts, jedoch muss nach ! (3) ein Vorzeichenwechsel auftreten, woraus folgt det(A) = 0) (5) Eine Determinante |A| ändert sich nicht, wenn man zu einer Zeile (Spalte) ein Vielfaches einer anderen Zeile (Spalte) addiert: A11 . . . A1n A11 + λAi1 . . . A1n + λAin . .. .. .. .. .. . . . . . . . Ai1 ... Ain Ai1 . . . Ain = . . . . . . .. .. .. .. .. .. A ... A A ... A n1 nn n1 nn (Beweis: Nach (2) in zwei Determinanten aufspalten, woraus sich bei der zweiten Determinante zwei zueinander proportionale Zeilen ergeben, somit folgt diese nach (4) zu Null) (6) Die Determinante der transponierten Matrix |AT | stimmt mit der Determinante |A| der ursprünglichen Matrix A überein, also |AT | = |A|, d.h. eine Determinante verändert ihren Wert nicht, wenn man ihre Zeilen und Spalten vertauscht. (Beweis: Siehe (B).) Bemerkung: Eigenschaft (5) ist besonders wichtig, da sie die Berechnung von Determinanten wesentlich vereinfacht. ————————————————————————————————————— 62 ———————————————————————————————————– (D) Die Inverse einer Matrix Mit Hilfe des bisher Besprochenen lässt sich nun die in (A, Alternative 2) gesuchte Matrix A−1 bestimmen. Es gilt: Definition: Die inverse Matrix A−1 zu einer quadratischen Matrix A erfüllt A−1 A = E und A A−1 = E und ihre Elemente sind gegeben durch (A−1 )ij = 1 (−1)i+j 4ji = |A| 1 (−1)i+j 4Tij |A| wobei 4ij die Unterdeterminanten (s.o.) der Matrix A sind. Beispiel: Wir hatten in Alternative A2 das lineare Gleichungssystem geschrieben als A~x = ~c mit −3 −5 −6 A= und ~c = 2 3 3 Mit obiger Definition und det A = 1 findet man: (A−1 )11 (A−1 )12 (A−1 )21 (A−1 )22 = = = = (−1)1+1 411 (−1)1+2 421 (−1)2+1 412 (−1)2+2 422 = (−1)2 · 3 = 3 = (−1)3 · (−5) = 5 = (−1)3 · 2 = −2 = (−1)4 · (−3) = −3 Damit lässt sich das Gleichungssystem 3 5 −3 −5 x1 −2 −3 2 3 x2 1 0 x1 ⇒ 0 1 x2 x1 ⇒ x2 ⇒ A −1 = 3 5 −2 −3 wie folgt lösen: 3 5 −6 = −2 −3 3 −3 = 3 −3 = 3 Also: x1 = −3 und x2 = 3 X ————————————————————————————————————— ———————————————————————————————————– 63 5.2.1 Taylor-Entwicklung Wir hatten gesehen, dass wir ein skalares Feld Φ(~r) Taylor-entwickeln können: 3 1 X Φ(~r) = Φ(~r0 ) + 1! j=1 ∂Φ ∂xj 3 1 X ∂ 2 Φ ∆x + ∆xk ∆xj + ... j 2! k,j=1 ∂xk ∂xj ~r0 ~ r0 Das lässt sich mit Hilfe von Vektor- und Matrixnotation kompakter schreiben: 1 Φ(~r) = Φ(~r0 ) + d~ · (~r − ~r0 ) + (~r − ~r0 )T Q(~r − ~r0 ) 2 wobei definiert wurde: ~ ~ d = (∇Φ) ~ r0 x1 − x01 (~r − ~r0 ) = x2 − x02 x3 − x03 (~r − ~r0 )T = (x1 − x01 , x2 − x02 , x3 − x03 ) (Q)jk = ∂ 2Φ ∂xk ∂xj Die (neuen) Größen d~ und Q sind nicht nur hilfreiche Abkürzungen, sondern erhalten im Rahmen einer so genannten Multipolentwicklung von Feldern eine anschauliche - und damit physikalische - Bedeutung (Dipol- und Quadrupolmoment). ————————————————————————————————————— 64 ———————————————————————————————————– 5.2.2 Eigenwerte und Eigenvektoren Einer Matrix A können besondere Skalare und Vektoren zugeordnet werden, nämlich so genannte Eigenwerte und Eigenvektoren. Sie sind definiert durch: A~x = λ~x ; ~x 6= ~0 Ist diese Gleichung erfüllt, ist λ ein Eigenwert von A und ~x ein Eigenvektor von A. Folgerung: Wenn ~x ein Eigenvektor von A ist, dann ist auch α~x, α 6= 0, ein Eigenvektor von A. Wie kann man alle Eigenwerte und Eigenvektoren zu einer Matrix A finden? Dazu betrachte: Einheitsmatrix: ~x = E~x | A~x = λ~x = λE~x ⇒ (A − λE)~x = ~0 Daraus ergeben sich zwei Möglichkeiten: (a) (b) |A − λE| = 6 0 ⇒ eindeutige Lösung: ~x = ~0 |A − λE| = 0 A11 . . . A1n .. .. − λ ⇔ ... . . An1 . . . Ann ⇒ ~x kein Eigenvektor (s.o.) A11 − λ A . . . A 12 1n 1 0 . . . 0 .. .. 0 1 . A − λ . 22 .. = . . . . . . . · . . . A 0 1 ... Ann − λ n1 | {z } Polynom n-ten Grades in λ ⇔ (−1)n λn + ... + a2 λ2 + a1 λ + a0 = 0 Mit den n (i.A. komplexen) Nullstellen λ1 , ..., λn ∈ C gilt schließlich: (λ1 − λ)(λ2 − λ)...(λn − λ) = 0 Zu jedem gefundenen λ1 , ..., λn lassen sich nun die Eigenvektoren berechnen. ————————————————————————————————————— ———————————————————————————————————– 65 Beispiel: A= 1 4 4 1 ⇒ 1 − λ 4 = (1 − λ)2 − 16 =! 0 |A − λE| = 4 1 − λ ⇒ 1 − λ = ±4 ⇒ λ1 = −3 ; λ2 = 5 = ˆ Eigenwerte Die Eigenvektoren folgen aus: 1 − λ1 4 x1 0 4x1 + 4x2 0 (i) λ1 = −3 : = ⇔ = 4 1 − λ1 x2 0 4x1 + 4x2 0 (ii) λ1 = 5 : ⇒ x2 = −x1 ; Wähle x2 = 1 ⇒ x1 = −1 1 −1 ⇒ Normierter Eigenvektor: √ 2 1 0 0 −4x1 + 4x2 1 − λ2 4 x1 = = ⇔ 4x1 − 4x2 0 x2 0 4 1 − λ2 ⇒ x2 = x1 ; Wähle x2 = 1 ⇒ x1 = 1 1 1 ⇒ Normierter Eigenvektor: √ 2 1 Man kann allgemein zeigen (siehe Korsch): (1) Die Eigenwerte einer reellen, symmetrischen Matrix sind reell. Bsp.: ::::: X (2) Die Eigenvektoren einer reellen, symmetrischen Matrix zu verschiedenen Eigenwerten sind orthogonal. 1 1 1 1 −1 √ ·√ = (−1 + 1) = 0 X Bsp.: ::::: 2 2 1 2 1 (3) k Eigenvektoren einer Matrix A, deren zugehörige Eigenwerte sämtlich verschieden sind, sind linear unabhängig. Bsp.: ::::: X (Beweis: Vollständige Induktion) ————————————————————————————————————— 66 ———————————————————————————————————– (4) Eine (n × n) Matrix A, deren Eigenwerte sämtlich verschieden sind, läßt sich durch eine Matrix Q−1 mit Q−1 AQ auf Diagonalform transformieren. Die Matrix Q ist gebildet aus den Eigenvektoren von A (als Spaltenvektoren von Q). 1 4 −1 1 Bsp.: A= ; ~x1 = ; ~x2 = ::::: 4 1 1 1 1 −1 1 1 −1 −1 ⇒ Q= ⇒ Q =− 1 1 2 −1 −1 3 5 1 4 −1 1 −1 −1 −1 =Q ⇒ Q AQ = Q −3 5 4 1 1 1 1 6 0 1 1 −1 3 5 =− =− −3 5 2 −1 −1 2 0 −10 −3 0 λ1 0 = = =: Adiag 0 5 0 λ2 Dieses Ergebnis gilt allgemein: (5) Mit den Bezeichnungen aus (4) gilt: Q−1 AQ = Adiag = δjk λk Oder: A = QAdiag Q−1 Bemerkung: Es können auch so genannte singuläre Matrizen (d.h. solche mit Determinante Null) diagonalisiert werden. Bemerkung: Es können nicht alle Matrizen diagonalisiert werden (Beispiele siehe Korsch). ————————————————————————————————————— ———————————————————————————————————– 67 5.2.3 Der Trägheitstensor Motivation: :::::::::::: − Lineare Bewegung: p~ = m~v ; − Rotationsbewegung: ~ = I~ω ; L m= ˆ Skalar I= ˆ Matrix Der so genannte Trägheitstensor I beschreibt den (nicht trivialen!) Zusammenhang zwischen Drehimpuls und Winkelgeschwindigkeit ω ~ und ist definiert als (r2 = x21 + x22 + x23 ): dm dV ρ= Z Iij = Z [δij r − xi xj ]dm = [δij r2 − xi xj ] ρ dV 2 Offenbar ist wegen Iji = Iij der Trägheitstensor symmetrisch, hat daher reelle Eigenwerte I1 , I2 , I3 (= ˆ Hauptträgheitsmomente) und zugehörige orthogonale Eigenvektoren (= ˆ Hauptträgheitsachsen). Letztere bilden ein ausgezeichnetes Bezugssystem (= ˆ Hauptachsensystem). Diese Thematik wird in der Physik I-Vorlesung angesprochen und in den Veranstaltungen zur Theoretischen Mechanik (B.Sc.) und zu den Grundlagen der Mechanik und Elektrodynamik (B.A.) vertieft. ————————————————————————————————————— 68 ———————————————————————————————————– 5.3 Anwendung von Matrizen: Drehungen, Spiegelungen, etc. Es lassen sich zunächst zwei Fälle unterscheiden, nämlich die Drehung eines Vektors in einem Koordinatensystem und die Drehung eines Koordinatensystems. (A) Drehung eines Vektors in einem Koordinatensystem v = |~v | = |~v 0 | ; α = α1 + α2 ; v1 v2 v10 v20 = v sin α1 = v cos α1 = −v sin α2 = v cos α2 Mit den Additionstheoremen für sin und cos (vgl. Anhang, Abschnitt (f)): sin(α ± β) = sin α cos β ± sin β cos α cos(α ± β) = cos α cos β ∓ sin α sin β gilt hier mit α = α1 sowie β = α2 : v v 0 v v 0 2 1 2 1 − v v v v v v 0 v v 0 2 1 2 1 cos α = cos(α1 + α2 ) = cos α1 cos α2 − sin α1 sin α2 = + v v v v Also: sin α = sin(α1 + α2 ) = sin α1 cos α2 + cos α1 sin α2 = v1 v20 = v 2 sin α + v2 v10 v 2 cos α = v2 v20 + v1 v10 | · v1 (I) (II) Durch Einsetzen von (I) in (II) ergibt sich somit: ⇒ v10 = v1 cos α − v2 sin α v1 v20 = v 2 sin α + v2 v1 cos α − v22 sin α v1 v20 = v12 sin α + v2 v1 cos α ⇒ v20 = v1 sin α + v2 cos α v1 v 2 cos α = v2 v 2 sin α + v22 v10 + v12 v10 | {z } v 2 v10 Setzt man nun v10 in (I) ein: ⇔ Folglich: v10 v20 | {z } gedrehter Vektor = cos α − sin α sin α cos α | {z } Drehmatrix zur Drehung eines Vektors v1 v2 | {z } ursprünglicherVektor ————————————————————————————————————— ———————————————————————————————————– 69 (B) Drehung des Koordinatensystems ~v = v1 v2 = K v10 v20 ; v = |~v | K0 Hier gilt: v1 = v cos β v2 = v sin β ⇒ ; ; v10 = v cos(β − α) = v cos β cos α + v sin β sin α v20 = v sin(β − α) = v sin β cos α − v cos β sin α v10 = v1 cos α + v2 sin α v20 = −v1 sin α + v2 cos α Folglich: cos α sin α v1 v10 = − sin α cos α v2 v20 K 0 {z } | {z K} | | {z } Vektor ~v in K’ Drehmatrix zur Dre- Vektor ~v in K hung eines Koord.-Syst. Bemerkung: Im Unterschied zu (A) bleibt der Vektor ~v derselbe, nur seine Darstellung in Bezug auf das neue Koordinatensystem ändert sich. Bemerkung: Die beiden Drehmatrizen aus (A) und (B) lassen sich durch Übergang von α zu −α ineinander überführen (anschaulich klar!). ————————————————————————————————————— 70 ———————————————————————————————————– Die Drehmatrix zur Drehung eines Koordinatensystems kann auch mit Hilfe der Einheitsvektoren bestimmt werden: ~v = v10 ~e1 0 + v20 ~e2 0 = v1~e1 + v2~e2 | · ~e01 = v10 ~e1 0 · ~e1 0 +v20 ~e2 0 · ~e1 0 = v1 ~e1 · ~e1 0 +v2 | {z } | {z } | {z } 1 0 cos α Analog ~e2 · ~e1 0 | {z } ⇒ v10 = v1 cos α + v2 sin α cos(90o − α) = sin α ~v = v10 ~e1 0 + v20 ~e2 0 = v1~e1 + v2~e2 | · ~e02 = v10 ~e1 0 · ~e2 0 +v20 ~e2 0 · ~e2 0 = v1 | {z } | {z } 0 1 Also erneut v10 v20 cos(90o + α) = − sin α = K0 ~e1 · ~e2 0 | {z } +v2 ~e2 · ~e2 0 | {z } ⇒ v20 = −v1 sin α + v2 cos α cos α cos α sin α − sin α cos α v1 v2 K Verallgemeinert man auf den R3 , so gilt für eine Drehung um den Winkel α um die x1 − Achse: D x1 1 0 0 = 0 cos α sin α 0 − sin α cos α 0 ~e20 = cos α sin α 0 ~e30 = − sin α cos α x2 − Achse: D x2 cos α 0 − sin α 1 0 = 0 sin α 0 cos α cos α ~e10 = 0 − sin α sin α ~e30 = 0 cos α x3 − Achse: Folgerung: D x3 cos α sin α 0 = − sin α cos α 0 0 0 1 cos α ~e10 = sin α 0 − sin α 0 ~e2 = cos α 0 Die Einheitsvektoren des gedrehten Koordinatensystems K’ sind gleich den Zeilen der Drehmatrix, die K in K’ überführt. ————————————————————————————————————— ———————————————————————————————————– 71 Wie lautet nun die Drehmatrix, die K’ in K überführt? Das ist natürlich die ’Rückdrehung’, also die inverse Matrix. Beispiel: Für die Matrix D einer Drehung um den Winkel α um die Achse x3 gilt: cos α sin α 0 D(α) = − sin α cos α 0 0 0 1 Die Inverse berechnet sich aus (siehe 5.2(D)) (D−1 )ij = (−1)i+j ∆ji |D| Es gilt: |D| = cos2 α + sin2 α = 1 ∆11 = cos α ∆21 = sin α ∆31 = 0 ⇒ D−1 (α) ; ; ; = ∆12 = − sin α ; ∆13 = 0 ∆22 = cos α ; ∆23 = 0 ∆32 = 0 ; ∆33 = 1 cos α − sin α 0 sin α cos α 0 = D(−α) 0 0 1 Offenbar gilt also: D−1 = DT Solche Matrizen heißen orthogonale Matrizen, die entsprechenden Transformationen heißen orthogonale Transformationen. ————————————————————————————————————— 72 ———————————————————————————————————– Aus dem Beispiel lässt sich ablesen (und auch beweisen, siehe Mathematikvorlesung): Folgerung: Drehmatrizen haben die Determinante 1. Folgerung: Drehmatrizen sind orthogonale Matrizen, das heißt D−1 = DT . Folgerung: Die Einheitsvektoren des Koordinatensystems K’ sind die Zeilen der Drehmatrix D, die K in K’ überführt. Folgerung: Die Einheitsvektoren des Koordinatensystems K sind die Spalten der Drehmatrix D, die K in K’ überführt, (= ˆ die Zeilen der Drehmatrix D−1 , die K’ in K überführt). Es gilt allgemein für eine Drehung D von K nach K’: 0 ~e1 · ~e1 ~e1 0 · ~e2 ~e1 0 · ~e3 ~e2 0 · ~e2 ~e2 0 · ~e3 D = ~e2 0 · ~e1 mit ~ei 0 · ~ej = Dij = cos ^(~ei 0 , ~ej ) ~e3 0 · ~e1 ~e3 0 · ~e2 ~e3 0 · ~e3 Insbesondere gilt dann: 3 P • ~ei 0 , ~ei sind Einheitsvektoren ⇒ 2 Dki =1 (3 Bedingungen: i = 1, 2, 3) k=1 • ~ei 0 bzw. ~ej 0 orthogonal ⇒ 3 P Dki Dkj = 0 (3 Bedingungen: (i, j) = (1, 2), (1, 3), (2, 3)) k=1 Kompakt lassen sich diese sechs Bedingungen schreiben als: 3 X k=1 Dki Dkj = δij bzw. 3 X Dik Djk = δij k=1 Wegen dieser Bedingungen sind nur drei Elemente Dij einer beliebigen Drehmatrix im R3 unabhängig (frei wählbar). Diese entsprechen anschaulich den Drehwinkeln. ————————————————————————————————————— ———————————————————————————————————– 73 (C) Spiegelung, Inversion, Drehspiegelung Diese Transformationen werden ebenfalls durch orthogonale Matrizen (s.o.) beschrieben, allerdings durch solche mit Determinante -1. Beispiel: 1 0 0 (a) Spiegelung an der x1 , x3 -Ebene: S = 0 −1 0 0 0 1 S −→ −1 0 0 (b) Inversion (= ˆ Punktspiegelung): I = 0 −1 0 0 0 −1 I −→ (c) Drehspiegelung: Drehung um x3 -Achse und Spiegelung von x2 : 1 0 0 cos α sin α 0 cos α sin α 0 DS = 0 −1 0 − sin α cos α 0 = sin α − cos α 0 0 0 1 0 0 1 0 0 1 | {z }| {z } S D Bemerkung: Motivation zur Definition solcher Symmetrieoperatoren ist z.B. die Untersuchung von Molekülstrukturen bzw. deren physikalischen Eigenschaften. ————————————————————————————————————— 74 ———————————————————————————————————– 5.3.1 Transformation von Vektoren Was bisher über orthogonale Transformationen gesagt wurde, lässt sich verallgemeinern: Sei ~u ein Vektor in einem 3-dim. Vektorraum V mit der ’Basis’ B = {~v1 , ~v2 , ~v3 }, dann gilt: X ~u = u1~v1 + u2~v2 + u3~v3 = uj ~vj = (u1 , u2 , u3 )B j Bezüglich einer anderen Basis B0 = {~v1 0 , ~v2 0 , ~v3 0 } gilt die Darstellung: X ~u = u01~v1 0 + u02~v2 0 + u03~v3 0 = u0i~vi 0 = (u01 , u02 , u03 )B0 i Besteht nun zwischen den neuen und alten Basisvektoren der Zusammenhang (mit Dij = Dij = ˆ orthogonale Transformation): X ~vi 0 = Dij ~vj j so findet man: ~u = X u0i~vi 0 = i X u0i X i XX Dij u0i ~vj Dij ~vj = j j | {z ~vi 0 i | } {z ! } =uj Also: uj = X Dij u0i ⇒ u0i = i Die letzte Folgerung ergibt sich aus X Dij uj Transformation eines Vektors Dkj uj = XX j X j i Dkj Dij u0i = u0k , dann ‘umindizie- j | {z δki } ren’ k → i. ————————————————————————————————————— ———————————————————————————————————– 75 Beispiel: 1 0 0 0 , 1 , 0 Sei B = {~e1 , ~e2 , ~e3 } = 0 0 1 0 0 1 0 , √1 1 , √1 −1 und B0 = {~v1 0 , ~v2 0 , ~v3 0 } = 2 2 1 1 0 1 0√ 0√ D = 0 1/ √2 1/√2 0 −1/ 2 1/ 2 ⇒ ⇒ 0 ~e1 ~v1 ~e1 ~v2 0 = D ~e2 = √12 ~e2 + √12 ~e3 − √12 ~e2 + √12 ~e3 ~v3 0 ~e3 0 u1 u1 u1 u2 0 = D u2 = √12 u2 + √12 u3 − √12 u2 + √12 u3 u3 0 u3 2 Sei ~u = 2~e1 − 1~e2 + 3~e3 = −1 . 3 B Dann folgt: 2 1 2 0 0 √ √ √ 1 1 1 + 2 2√ −1 = −1 = 2 0 + 2√ ~u = √2 2 2 0 3 1 1 2 2 B0 X Die Transformationsformel kann zur Definition eines Vektors verwendet werden, das heißt ein Objekt ist genau dann ein Vektor, wenn seine Komponenten sich gemäß der Transformationsformel transformieren. ————————————————————————————————————— 76 ———————————————————————————————————– Bemerkung: Es gibt ‘Vektoren’, die der obigen Formel nicht für alle orthogonalen Transformationen genügen, siehe die Inversion I (s.o.): −1 0 0 u1 −u1 I ~u = 0 −1 0 u2 = −u2 = −~u ’polare Vektoren’ 0 0 −1 u3 −u3 Und es gilt: (I ~u) × (I ~v ) = (−~u) × (−~v ) = ~u × ~v ’achsiale Vektoren’ das heißt, dass ein über das Vektorprodukt definierter ’Vektor’ seine Richtung bei Inversion (Punktspiegelung) nicht ändert. Beispiel: Physikalische Beispiele sind: ~ mit M ~ = ~r × F~ • Drehmoment M ~ mit L ~ = ~r × p~ • Drehimpuls L • Winkelgeschwindigkeit ω ~ mit ~v = ω ~ × ~r Dies sind achsiale Vektoren, die einen Drehsinn definieren. Der Drehsinn bleibt bei einer Inversion erhalten. Man spricht auch von Pseudovektoren. Bemerkung: Analog kann man zwei verschiedene ’Typen’ von Skalaren unterscheiden, nämlich solche, die bei einer Inversion unverändert bleiben (echte Skalare) bzw. ihr Vorzeichen ändern (Pseudoskalare). Ein Beispiel zu letzteren ist das Spatprodukt (s.o.). 5.3.2 Transformation von Matrizen Analog zur Vektortransformation in ein neues Koordinatensystem ist die Transformation von Matrizen definiert: PP (A)0il = Djk Dlk (A)jk Transformation einer Matrix j k d.h. die Matrixelemente (A)jk transformieren sich bzgl. beider Indizes wie ein Vektor. Bemerkung: Die oben angegebene Transformation entspricht A0 = DADT . ————————————————————————————————————— ———————————————————————————————————– 77 Die in 5.3.1 und 5.3.2 angegebenen Transformationen lassen sich auf Größen mit n Indizes verallgemeinern. Damit können dann allgemein Tensoren n-ter Stufe definiert werden (Bsp.: Levi-Civita-Symbol, s.o.). Beispiel: Für die Rotationsenergie eines starren Körpers in einem Koordinatensystem K gilt: Erot 3 3 1 XX = Imn ωm ωn 2 m=1 n=1 In einem relativ zu K gedrehten Koordinatensystem K0 gilt: 3 0 Erot 3 1 XX 0 0 0 ! I ω ω = Erot = 2 k=1 l=1 kl m n weil die Rotationsenergie in beiden Koordinatensystemen gleich sein muss. Unter Verwendung der Transformationsformeln aus 5.3.1 und 5.3.2 gilt hier: ωk0 = 3 X Dki ωi ; i=1 ωl0 = 3 X Dlj ωj ; 0 Ikl = 3 X 3 X Dkm Dln Imn m=1 n=1 j=1 Damit hat man: 0 Erot 3 3 3 3 1 XX 0 0 0 I ω ω = 2 k=1 l=1 kl m n 1 XX = 2 k=1 l=1 3 X 3 X ! Dkm Dln Imn m=1 n=1 3 X ! Dki ωi i=1 3 X ! Dlj ωj j=1 Beachtet man die Eigenschaften der Drehung: 3 X k=1 Dkm Dki = δmi und 3 X Dln Dlj = δnj l=1 so folgt: 0 Erot 3 3 3 3 1 XX XX Imn ωi ωj δmi δnj = 2 m=1 n=1 i=1 j=1 ! 3 3 1 XX = Imn ωm ωn = Erot 2 m=1 n=1 und damit die geforderte Gleichheit der Rotationsenergie in beiden Koordinatensystemen. ————————————————————————————————————— 78 ———————————————————————————————————– 6 Gewöhnliche Differentialgleichungen (A) Motivation Eine Gleichung für eine zu bestimmende Funktion und mindesten eine ihrer Ableitungen heißt Differentialgleichung (Dgl). Differentialgleichungen (Dgln) sind fundamental zur Beschreibung von natürlichen, künstlichen oder auch gesellschaftlichen Vorgängen (man denke zum Beispiel an die Newtonsche Bewegungsgleichung, technische Vorrichtungen, Lernprozesse, etc.). Betrachten wir zunächst einige Beispiele: (A1) Populationswachstum Eine Population (z.B. Tiere, Menschen, Pflanzen, Bakterien) habe zum Zeitpunkt t die Größe P (t). Annahme: Sei ∆P ∼ P (t)∆t, dann gilt: ::::::::::: ∆P = P (t + ∆t) − P (t) = γP (t)∆t , γ = const. Im Grenzfall ∆t → 0 gilt: dP ∆P = = Ṗ = γP , γ = const. (Dgl I) ∆t→0 ∆t dt lim Das Wachstum Ṗ einer Population ist in dieser Beschreibung also zum Zeitpunkt t proportional zur Population P (t). Man sieht sofort, dass P (t) = C exp(γt) ; C, γ = const. die allgemeine Lösung der Dgl. ist. Dieses exponentielle Wachstum kann nur für einen endlichen Zeitraum vorliegen, danach werden beschränkte Resourcen das Wachstum negativ beeinflussen. Aus diesem Grund macht man die weitere :::::::::: Annahme: Es gibt eine Maximalpopulation Pmax , so dass dP = γP dt P 1− = γP − τ P 2 mit τ = γ/Pmax ; γ, τ = const. Pmax (Dgl II) Dies ist die sogenannte logistische Differentialgleichung. Zusätzliche :::::::::: Annahme: γ, τ können explizit zeitabhängig sein, und es existiert eine externe Populationszu- oder -abnahme s(t). Damit gilt dann: dP = γ(t)P − τ (t)P 2 + s(t) dt (Dgl III) Bei den bisherigen Beispielen handelt es sich um lineare (Dgl I) bzw. nichtlineare (Dgl II,III) Differentialgleichungen, mit konstanten (Dgl I,II) und nicht-konstanten Koeffizienten (Dgl III). Man unterscheidet auch homogene (Dgl I,II) und inhomogene (Dgl III) Differentialgleichungen. Alle drei Gleichungen sind von 1. Ordnung. ————————————————————————————————————— ———————————————————————————————————– 79 (A2) Die Newtonsche Bewegungsgleichung ... ist eine Dgl zweiter Ordnung: m d2~r(t) = m~r¨ = F~ dt2 Bezogen auf die Vektorkomponenten handelt es sich um ein System von drei (i.a. gekoppelten) Dgln. Siehe auch Kapitel 4. (A3) Zerfallsgesetze Annahme: Die Zerfallsrate einer Substanz n sei proportional zur vorhandenen Menge: :::::::::: dn = −λn , 0 < λ = const. = ˆ dt “inverses Wachstum” (vgl. mit Dgl I) (Beispiele: Radioaktiver Zerfall, Wäschetrocknung,...) (B) Terminologie Definition: Eine Dgl für eine Funktion einer einzelnen unabhängigen Veränderlichen heißt gewöhnliche Differentialgleichung. Man spricht von einer partiellen Differentialgleichung, wenn die gesuchte Funktion von mehreren Variablen abhängt und partielle Ableitungen auftreten. Die höchste auftretende Ableitung bestimmt die Ordnung der Differentialgleichung. Eine gewöhnliche Dgl n-ter Ordnung hat die allgemeine implizite Form: dn y dy d2 y F x, y, , 2 , ..., n = 0 ⇔ F (x, y, y 0 , y 00 , ..., y (n) ) = 0 dx dx dx mit einer Funktion F von (n + 2) unabhängigen Veränderlichen. Ist es möglich, diese implizite Form auf y (n) = f (x, y, y 0 , y 00 , ..., y (n−1) ) zu bringen, d.h. ein geeignetes f (= b Funktion von (n + 1) unabhängigen Veränderlichen) zu finden, dann liegt eine explizite Differentialgleichung vor. ————————————————————————————————————— 80 ———————————————————————————————————– (C) Lineare Differentialgleichung erster Ordnung Eine solche hat die allgemeine Form: y0 = dy = γ(x)y + s(x) dx mit y = y(x). Ist die so genannte Störfunktion s(x) = 0, liegt eine homogene Dgl erster Ordnung vor, sonst eine inhomogene Dgl. (C1) Allgemeine Lösung der homogenen Dgl Es gilt: dy 1 dy dy = γ(x)y ⇔ dx = = γ(x)dx dx y dx y Zy Zx dy 0 ⇒ = γ(x0 )dx0 y0 y(x0 ) (“Separation der Variablen”) x0 Zx y = γ(x0 )dx0 ln(y) − ln(y(x0 )) = ln y(x0 ) x0 x Z y(x) = y(x0 ) exp γ(x0 )dx0 ⇒ ⇒ x0 Der gegebene Wert y(x0 ) heißt Anfangswert und das mit y 0 = γ(x)y und y(x0 ) = y0 definierte Problem wird als Anfangswertproblem bezeichnet. Ohne speziellen Anfangswert spricht man von der allgemeinen Lösung und schreibt: Z y(x) = C exp 0 γ(x )dx 0 ; C = const. Bemerkung: Mit γ(x0 ) = const. ergibt sich das exponentielle Wachstum einer beliebig gewählten Population (siehe oben). ————————————————————————————————————— ———————————————————————————————————– 81 Beispiel: Verkaufsrückgang bei steigenden Preisen: Sei v(p) der (z.B. wöchentliche) Verkauf eines Produktes zum Stückpreis von p Euro. Annahme: Die Verkaufsänderungsrate sei gegeben durch: ::::::::::: λ dv 1 =− ; λ = const. > 0 dp v p Mit den Zuordnungen p ↔ x, v(p) ↔ y(x) und − λ ↔ γ(x) p ist diese Dgl als lineare, homogene Differentialgleichung erster Ordnung klassifiziert. Folglich ist die Lösung: p Z λ 0 − 0 dp v(p) = v(p0 ) exp p p0 λ p p0 = v(p0 ) exp −λ ln = v(p0 ) p0 p Zwar nimmt offenkundig v(p) mit steigendem/fallendem p ab/zu, aber es gilt auch: lim v(p) = ∞ p→0 Dies ist natürlich sehr schön für den Verkäufer, jedoch unrealistisch. Daher kann der folgende verbesserte Ansatz gemacht werden: ::::::::::::::::::: v dv = −λ ; λ, µ = const. > 0 dp µ+p mit der Lösung: v(p) = v(p0 ) µ + p0 µ+p und damit lim v(p) = v(p0 ) p→0 µ + p0 µ λ λ <∞ womit der Verkauf endlich bleibt. ————————————————————————————————————— 82 ———————————————————————————————————– (C2) Allgemeine Lösung der inhomogenen Dgl Sei yp (x) eine so genannte partikuläre Lösung, das heißt irgendeine (irgendwie bestimmte, s.u.) Lösung der inhomogenen Dgl und y(x) eine beliebige andere. Dann gilt: z 0 (x) := = = = [y(x) − yp (x)]0 = y 0 (x) − yp0 (x) [γ(x)y(x) + s(x)] − [γ(x)yp (x) + s(x)] γ(x)[y(x) − yp (x)] γ(x)z(x) Offenbar ist z(x) := y(x) − yp (x) Lösung der homogenen Differentialgleichung. Folglich: Z 0 0 z(x) = C exp γ(x )dx = y(x) − yp (x) Z ⇒ y(x) = yp (x) + C exp 0 γ(x )dx 0 ; C = const. ähnlich wie oben lässt sich mit einem Anfangswert y(x0 ) die Konstante C bestimmen: C = y(x0 ) − yp (x0 ) Also: Die allgemeine Lösung einer inhomogenen linearen Dgl erster Ordnung ergibt sich ::::: aus der Summe einer speziellen (partikulären) Lösung der inhomogenen Dgl und der allgemeinen Lösung der zugehörigen homogenen Dgl. ————————————————————————————————————— ———————————————————————————————————– 83 Beispiel: Lernprozess: Sei L(t) die Menge eines Lernstoffes, der bis zum Zeitpunkt t von einer Person aufgenommen wurde. Mit L(0) = 0 und den Erfahrungen • Lernprozess anfangs rasch, dann langsamer • Annäherung an Maximalwert Lmax gilt der ::::::: Ansatz: dL = k(Lmax − L) ; dt k = const > 0 Eine partikuläre (spezielle) Lösung der inhomogenen Dgl lautet (hier geraten, systematischer siehe unten): Lp (t) = Lmax Die allgemeine Lösung der homogenen Dgl durch (siehe C1): LH (t) = C exp {−kt} dL = −kL ist gegeben dt ; C = const. Also gilt für die allgemeine Lösung der inhomogenen Dgl: L(t) = Lp (t) + LH (t) = Lmax + C exp {−kt} Mit dem Anfangswert L(0) = 0 findet man weiter: L(0) = 0 = Lmax + C ⇒ C = −Lmax ⇒ L(t) = Lmax − Lmax exp {−kt} ⇒ L(t) = Lmax (1 − exp {−kt}) , t ≥ 0 Skizze: ::::::: ————————————————————————————————————— 84 ———————————————————————————————————– Bemerkung: Die Darstellung der allgemeinen Lösung ist nicht eindeutig. Für das angegebene Beispiel gilt nämlich alternativ: Lp2 (t) = Lmax + exp{−kt} ⇒ L(t) = Lp2 (t) + LH (t) = Lmax + (C + 1) exp{−kt} Da die Konstante C beliebig ist, ist diese Lösung gleichwertig zu der aus obigem Beispiel. Erst durch Vorgabe eines Anfangswertes wird die Lösung eindeutig: L(0) = 0 ⇒ Lmax + C + 1 = 0 ⇒ C = −Lmax − 1 Damit findet man: L(t) = Lmax + (−Lmax − 1 + 1) exp{−kt} = Lmax (1 − exp{−kt}) also die selbe Lösung wie im Beispiel. Exkurs: ::::::::: Wie findet man eine partikuläre Lösung? (a) Eine solche partikuläre Lösung ist oft der Störfunktion ähnlich, so dass ein entsprechender Ansatz gemacht werden kann. Beispiel: y 0 = 3y + exp(2x) ::::::::: ⇒ s(x) = exp(2x) Ansatz: y = A exp(2x) , A = const. :::::::: p Einsetzen in Dgl: ⇒ yp0 = 2A exp(2x) 2A exp(2x) = 3A exp(2x) + exp(2x) ⇔0=A+1 ⇒ A = −1 ⇒ yp = − exp(2x) (b) Systematischer gelingt die Bestimmung einer speziellen Lösung mit der so genannten Variation der Konstanten. Dazu bestimmt man zunächst die allgemeine Lösung der homogenen Dgl und variiert anschließend in ihr die Konstante C. Beispiel: y 0 = 3y + exp(2x) ::::::::: ⇒ homogene Dgl: y 0 = 3y ⇒ yH = C exp(3x) Nun Variation der Konstanten, d.h. C = C(x): Ansatz: :::::::: yp = C(x) exp(3x) ⇒ yp0 = C 0 (x) exp(3x) + 3C(x) exp(3x) C 0 (x) exp(3x) + 3C(x) exp(3x) = 3C(x) exp(3x) + exp(2x) R ⇒ C 0 (x) = exp(−x) ⇒ C(x) = exp(−x)dx = − exp(−x) Einsetzen in Dgl: ⇒ yp = C(x) exp(3x) = − exp(−x) exp(3x) = − exp(2x) Bemerkung: Beide Alternativen können verallgemeinert werden (siehe unten). ————————————————————————————————————— ———————————————————————————————————– 85 (D) Nichtlineare Dgl erster Ordnung Es gibt unendlich viele verschiedene Dgln diesen Typs. Sie lassen sich weiter klassifizieren; es sei hier aber lediglich auf ein Lösungsverfahren sowie die allgemeine Bedingung für Existenz und Eindeutigkeit der Lösung eingegangen. Das Lösungsverfahren ist bekannt als: Separation der Variablen dy Falls die Dgl auf die Form, = f (x)g(y) gebracht werden kann, dann lässt sie sich durch dx Separation der Variablen lösen: 1 dy = f (x) g(y) dx Z ⇒ dy = g(y) Z f (x)dx + C Dies ist die allgemeine (implizite) Lösung einer Dgl erster Ordnung mit getrennten Veränderlichen. Bemerkung: Die explizite Lösung erhält man natürlich nur, wenn diese Gleichung entweder nach y oder nach x aufgelöst werden kann. Diese Methode wurde bereits oben in (C1) angewendet. Beispiel: Dosis-Wirkungsfunktion eines Medikaments Sei W (x) die Wirkung, die x Einheiten eines bestimmten Medikaments ausüben und S die Sättigung. :::::::::::: Annahmen (aus Beobachtung): W 2 dW =k ; k = const. ; lim W (x) = S = const. ; 0 < S < ∞ x→∞ dx x Separation der Variablen liefert: Z Z dx 1 k dW =k ⇒ − =− +c 2 2 W x W x ⇒ W (x) = −x cx − k ⇒ W (x) = Sx x + Sk Wegen: lim W (x) = S = − x→∞ 1 c ⇒ c=− 1 S Skizze: ::::::: ————————————————————————————————————— 86 ———————————————————————————————————– (E) Der Existenz- und Eindeutigkeitssatz von Picard-Lindelöf Für einen Beweis siehe zum Beispiel das Buch ‘Gewöhnliche Differentialgleichungen’ von H. Heuser, bzw. entsprechende Mathematikvorlesungen. Satz: Das Anfangswertproblem dy = f (x, y) ; y(xo ) = yo ; x, y ∈ R dx besitzt auf dem Intervall [xo − α, xo + α] mit α = min(a, b/M ) und M = max|f (x, y)| genau eine Lösung, wenn f (x, y) stetig ist auf dem Rechteck R = {(x, y)||x − xo | ≤ a, |y − yo | ≤ b}; a, b > 0 und es eine positive (Lipschitz-) Konstante L gibt mit: |f (x, y) − f (x, yb)| ≤ L|y − yb| f ür alle (x, y), (x, yb) ∈ R Man sagt, f (x, y) genügt einer Lipschitz-Bedingung oder f (x, y) ist Lipschitz-stetig auf R. Bemerkung: Der Satz garantiert nicht nur die Existenz und Eindeutigkeit der Lösung, sondern auch ihre Konstruierbarkeit durch Iteration (= ˆ numerische Lösung). ————————————————————————————————————— ———————————————————————————————————– 87 6.1 Die lineare Differentialgleichung zweiter Ordnung Diese Form der Dgl ist besonders interessant, da viele Dgln der Physik als solche klassifiziert werden können. Die allgemeine Form: y 00 (x) + a(x)y 0 (x) + b(x)y(x) = s(x) Wie üblich spricht man im Falle von s(x) = 0 von einer homogenen, andernfalls von einer inhomogenen Differentialgleichung. (A) Die lineare Dgl zweiter Ordnung mit variablen Koeffizienten Die allgemeine Lösung der homogenen Dgl (auf einem Intervall [a, b]) für stetige Koeffizientenfunktionen a(x), b(x)) lautet (‘Superpositionsprinzip’): y(x) = c1 y1 (x) + c2 y2 (x) wobei y1 (x) und y2 (x) zwei linear unabhängige Lösungen der Differentialgleichung bezeichnen, d.h. die so genannte ’Wronski-Determinante’ ist ungleich Null: y1 (x) y2 (x) 0 y1 (x) y20 (x) 6= 0 in [a, b] Die beiden linear unabhängigen Lösungen bilden ein Fundamentalsystem (auch Hauptsystem oder Integralbasis genannt) der homogenen linearen Dgl zweiter Ordnung. Die allgemeine Lösung der inhomogenen Dgl ergibt sich (auch hier) als Summe einer partikulären Lösung der inhomogenen Dgl und der allgemeinen Lösung der homogenen Dgl (vgl. 6 (C2) oben). Die Lösung eines Anfangswertproblems erfordert bei einer Dgl zweiter Ordnung zwei Anfangswerte, üblicherweise y(x0 ) = y0 und y 0 (x0 ) = y00 . Bemerkung: Diese Betrachtungen können auf den Fall einer linearen Dgl n-ter Ordnung entsprechend übertragen werden. Während viele physikalische Anwendungen auf die allgemeine Form führen, wollen wir uns im folgenden auf den Fall mit konstanten Koeffizienten beschränken. (B) Die homogene lineare Dgl zweiter Ordnung mit konstanten Koeffizienten Im Unterschied zum Fall variabler Koeffizienten gibt es hier Standardverfahren zur Bestimmung von linear unabhängigen Lösungen, also eines Fundamentalsystems. Man betrachte die Differentialgleichung: y 00 (x) + ay 0 (x) + by(x) = 0 ; a, b = const. ∈ R und mache den Eulerschen Ansatz: y(x) = C exp{λx} ; C, λ = const. ————————————————————————————————————— 88 ———————————————————————————————————– der sich motiviert aus der Tatsache, dass exp0 (x) = exp(x) gilt. Es folgt: y 0 (x) = Cλ exp{λx} ; y 00 (x) = Cλ2 exp{λx} und Einsetzen in die obige Dgl liefert: λ2 + aλ + b = 0 Je nach der Natur der Lösungen λ1 , λ2 dieser charakteristischen Gleichung gilt für die allgemeine Lösung (mit den Konstanten ∆ = a2 − 4b , C1 , C2 = const. ∈ R) √ 1 C1 exp{λ1 x} + C2 exp{λ2 x} ; λ1,2 = (−a ± ∆) ; ∆ > 0 2 a x} ; ∆ = 0 [C + C x] exp{− 1 2 y(x) = 2 √ a [C1 cos(βx) + C2 sin(βx)] exp{αx} ; α = − ; β = −∆ ; ∆ < 0 2 2 Die Konstanten C1 , C2 ergeben sich aus den Anfangswerten y(x0 ) = x0 und y 0 (x0 ) = y00 . Beispiel: Freie gedämpfte Schwingung Newtonsche Bewegungsgleichung: mẍ = −µẋ |{z} Reibung −kx |{z} ; µ, k = const. Rückstellkraf t 2 k µ k 2 ẋ + x = 0 ⇒ ∆ = a − 4b = m − 4m ⇒ ẍ + m m | {z } |{z} µ a b 2 µ Der Spezialfall ∆ = 0 führt auf k = 4m und somit auf die allgemeine Lösung: n µ o x(t) = [C1 + C2 t] exp − t 2m µ Wegen x(0) = C1 und ẋ(0) = C2 − 2m C1 gilt: C1 = x(0) und C2 = ẋ(0) + µ x(0) 2m und damit: n µ µ o x(t) = [x(0) + ẋ(0) + x(0) t] exp − t 2m 2m Dies ist die Lösung für den aperiodischen Grenzfall, die man z.B. als Anwendung in Schwingtüren oder Messinstrumenten findet. ————————————————————————————————————— ———————————————————————————————————– 89 (C) Die inhomogene lineare Dgl zweiter Ordnung mit konstanten Koeffizienten Diese lautet allgemein: y 00 (x) + ay 0 (x) + by(x) = s(x) a, b = const. Auch hier gilt: die allgemeine Lösung der inhomogenen Dgl ist gleich der Summe einer partikulären Lösung der inhomogenen Dgl und der allgemeinen Lösung der homogenen Dgl (siehe oben). Daher stellt sich (wie üblich) das ::::::::: Problem: Wie findet man die benötigte partikuläre Lösung der inhomogenen Dgl? Ein Weg zur Berechnung einer solchen Lösung führt über folgende Formeln (siehe Heuser: Gewöhnliche Differentialgleichungen): Zx Zx i 1 h 0 0 0 0 0 0 exp{λ x} exp{−λ x }s(x )dx − exp{λ x} exp{−λ x }s(x )dx 1 1 2 2 λ1 − λ2 x0 x0 yp (x) = ; λ1 6= λ2 x x Z Z h i 0 0 0 0 0 0 0 exp{λx} x exp{−λx }s(x )dx − x exp{−λx }s(x )dx ; λ1 = λ2 = λ x0 x0 wobei x0 beliebig ist. In der Praxis oft schneller zum Ziel führen allerdings einige andere Alternativen: • ’Geschicktes Raten’ = ˆ geeigneter Ansatz • Methode der Variation der Konstanten • Methode der Laplace-Transformation (für Anfangswertprobleme) (C1) ’Geschicktes Raten’ = ˆ geeigneter Ansatz Man macht sich oft die spezifische Form der Störfunktion s(x) zu Nutze. Sei letztere gegeben durch: cos(βx) 2 m s(x) = k0 + k1 x + k2 x + ... + km x exp{αx} sin(βx) Dann führt der Ansatz (mit p(λ) = 0 = ˆ charakteristische Gleichung. siehe oben) [(A0 + A1 x + ... + Am xm ) cos(βx)+ +(B0 + B1 x + ... + Bm xm ) sin(βx)] exp{αx} ; p(α + iβ) 6= 0 ν m yp (x) = x [(A0 + A1 x + ... + Am x ) cos(βx)+ +(B0 + B1 x + ... + Bm xm ) sin(βx)] exp{αx} ; (α + iβ) ν-fache Nullstelle von p(λ) stets zu einer partikulären Lösung. ————————————————————————————————————— 90 ———————————————————————————————————– Beispiel: Gesucht ist die allgemeine Lösung von: ÿ + 4ẏ = cos(2t) Homogene Dgl: ÿ + 4ẏ = 0 ; Ansatz : yH (t) = C exp{λt} ::::::: 2 ⇒ λ + 4λ = 0 ⇒ p(λ) = λ2 + 4λ Vergleich der Störfunktion s(t) = cos(2t) mit der obigen allgemeinen Form liefert: k0 = 1 ; k1 = ... = km = 0 ; α = 0 ; β = 2 und motiviert wegen p(0 + 2i) = −4 + 8i 6= 0 den Ansatz: ::::::: yp (t) = A0 cos(2t) + B0 sin(2t) ⇒ ẏp (t) = −2A0 sin(2t) + 2B0 cos(2t) ⇒ ÿp (t) = −4A0 cos(2t) − 4B0 sin(2t) Einsetzen in die Dgl. liefert: ! −4A0 cos(2t) − 4B0 sin(2t) − 8A0 sin(2t) + 8B0 cos(2t) = cos(2t) ⇒ (−4B0 − 8A0 ) sin(2t) + (−4A0 + 8B0 ) cos(2t) = cos(2t) | | {z } {z } ! =0 8A0 + 4B0 = 0 ⇒ −4A0 + 8B0 = 1 ! =1 1 ⇒ B0 = 10 B = −2A0 ⇒ 0 ⇒ −4A0 − 16A0 = 1 ⇒ A0 = − 1 20 Also ist die gesuchte partikuläre Lösung: yp (t) = 1 1 sin(2t) − cos(2t) 10 20 Und die allgemeine Lösung: y(t) = C1 + C2 exp(−4t) + 1 1 sin(2t) − cos(2t) 10 20 Bemerkung: Die obige allgemeine Form der Störfunktion umfasst viele in der Praxis häufig auftretende Spezialfälle. ————————————————————————————————————— ———————————————————————————————————– 91 (C2) Variation der Konstanten Die Grundidee ist (siehe oben), sich von der allgemeinen Lösung der homogenen Differentialgleichung yH (x) = C1 y1 (x) + C2 y2 (x) leiten zu lassen: Ansatz: Betrachte die ”Konstanten” C1 , C2 als Funktionen von x: ::::::: yp (x) = C1 (x)y1 (x) + C2 (x)y2 (x) ⇒ yp0 (x) = C1 (x)y10 (x) + C2 (x)y20 (x) + C10 (x)y1 (x) + C20 (x)y2 (x) Da keine bestimmte, sondern eine beliebige partikuläre Lösung gesucht ist, versucht man eine möglichst einfache zu finden. Daher macht man eine 1. Forderung: ::::::::::::: C10 (x)y1 (x) + C20 (x)y2 (x) = 0 ⇒ yP00 (x) = C1 (x)y100 (x) + C2 (x)y200 (x) + C10 (x)y10 (x) + C20 (x)y20 (x) die vermeidet, dass zweite Ableitungen der Funktionen C1 (x), C2 (x) auftreten. Die 2. Forderung: ::::::::::::: C10 (x)y10 (x) + C20 (x)y20 (x) = s(x) ergibt sich nach dem Einsetzen in die inhomogene Dgl: C1 (x)y100 (x) + C2 (x)y200 (x) + C10 (x)y10 (x) + C20 (x)y20 (x) | {z } =s(x) +a{C1 (x)y10 (x) + C2 (x)y20 (x)} + b{C1 (x)y1 (x) + C2 (x)y2 (x)} = s(x) ⇒ C1 (x)[y100 (x) + ay10 (x) + by1 (x)] + C2 (x)[y200 (x) + ay20 (x) + by2 (x)] = 0 {z } {z } | | =0 =0 Die obigen eckigen Klammern sind Null, da y1 , y2 Lösungen der homogenen Dgl sind. Also ist das so konstruierte yp (x) eine partikuläre Lösung der inhomogenen Dgl. Die Funktionen C1 (x) und C2 (x) können aus C10 (x)y1 (x) + C20 (x)y2 (x) = 0 C10 (x)y10 (x) + C20 (x)y20 (x) = s(x) berechnet werden, nämlich durch Lösung des linearen Gleichungssystems für C10 (x), C20 (x) und anschließende Integration. ————————————————————————————————————— 92 ———————————————————————————————————– Beispiel: Gesucht sei wieder die allgemeine Lösung von: ÿ + 4ẏ = cos(2t) Lösung der homogenen Dgl ÿ + 4ẏ = 0 mit yH (t) = C exp{λt} ⇒ λ2 + 4λ = 0 ⇒ λ1 = 0; λ2 = −4 , also allgemeine Lösung: yH (t) = C1 + C2 exp{−4t} ; C1 , C2 = const. Daruas ergibtsich der Ansatz für eine partikuläre Lösung der inhomo::::::: genen Dgl (Variation der Konstanten!): yp (t) = C1 (t) + C2 (t) exp{−4t} Mit C10 (t) + C20 (t) exp{−4t} = 0 −4C20 (t) exp{−4t} = cos(2t) folgt 1 C20 (t) = − exp{−4t} cos(2t) 4 1 0 ⇒ C1 (t) = cos(2t) 4 Integration (siehe z.B. Bronstein’s Taschenbuch der Mathematik) führt auf: Z 1 1 C1 (t) = cos(2t)dt = sin(2t) 4 8 Z 1 1 1 [4 cos(2t) + 2 sin(2t)] exp{4t} C2 (t) = − exp{+4t} cos(2t)dt = − 4 4 20 Damit also: yp (t) = 1 1 1 1 1 sin(2t) − cos(2t) − sin(2t) = sin(2t) − cos(2t) 8 20 40 10 20 Die allgemeine Lösung lautet also: y(t) = C1 + C2 exp(−4t) + 1 1 sin(2t) − cos(2t) 10 20 und ist damit die selbe wie zuvor. ————————————————————————————————————— ———————————————————————————————————– 93 Bemerkung: Die Methode der Variation der Konstanten ist auch im Falle von Differentialgleichungen n-ter Ordnung anwendbar. Man fordert dann: C10 y1 + ... + Cn0 yn C10 y10 + ... + Cn0 yn0 C10 y100 + ... + Cn0 yn00 .. . 0 (n−2) 0 (n−2) C1 y 1 + ... + Cn yn (n−1) C10 y1 = 0 = 0 = 0 = 0 + ... + Cn0 yn(n−1) = s(x) Das ist ein lineares Gleichungssystem bestehend aus n Gleichungen für die n Unbekannten C10 , ... , Cn0 . Bemerkung: Im Falle n = 1 vereinfacht sich die Methode auf das Einsetzen des Ansatzes yp (x) = C1 (x)y1 (x) in die Differentialgleichung (siehe Exkurs in 6(C2)). Vor der Besprechung der dritten Methode sei die ::::::: Lösung:::::: eines::::::::::::::::::::::: Anfangswertproblems an folgendem :::::::: Beispiel illustriert: ÿ + 4ẏ = cos(2t) ; y(0) = 0 ; ẏ(0) = 1 Es gilt nun: (1) Allgemeine Lösung der homogenen Dgl.: yH (t) = C1 + C2 exp{−4t} (2) Partikuläre Lösung der inhomogenen Dgl.: yp (t) = 1 1 sin(2t) − cos(2t) 10 20 (3) Allgemeine Lösung der inhomogenen Dgl.: y(t) = yh (t) + yp (t) = C1 + C2 exp{−4t} + 1 1 sin(2t) − cos(2t) 10 20 (4) Anfangswerte: y(0) = 0 ⇒ C1 + C2 − ẏ(0) = 1 ⇒ −4C2 + 1 =0 20 1 =1 5 ⇒ ⇒ 1 4 1 + = 20 20 4 1 C2 = − 5 C1 = Also lautet die Lösung des Anfangswertproblems: y(t) = 1 1 1 1 − exp{−4t} + sin(2t) − cos(2t) 4 5 10 20 ————————————————————————————————————— 94 ———————————————————————————————————– Für die Lösung solcher Anfangswertprobleme kann alternativ verwendet werden: (C3) Die Methode der Laplace-Transformation Idee: Transformation von (linearen) Dgln (mit konstanten Koeffizienten) in algebraische Gleichungen. Die Laplace-Transformierte einer Funktion f (t), die für t ≥ 0 definiert sei, ist gegeben durch: ::::: Z∞ exp{−st}f (t)dt ≡ L[f ] F (s) = 0 Bevor die Methode selbst angewendet wird zunächst zwei Beispielrechnungen: Beispiel: Z∞ (a) f (t) = 1 ⇒ F (s) = ZT exp{−st}dt = lim exp{−st}dt T →∞ 0 0 1 exp{−st} T →∞ s 0 h 1 1i 1 = lim − exp{−sT } + = = L(1) T →∞ s s s = lim h iT − Es muss s > 0 sein, da das Integral sonst divergiert. Z∞ (b) f (t) = exp{at} ⇒ F (s) = exp{−st} exp{at}dt 0 ZT = exp{(a − s)t}dt lim T →∞ 0 h 1 iT = lim exp{(a − s)t} T →∞ a − s 0 s>a | = 1 = L(exp{at}) s−a ————————————————————————————————————— ———————————————————————————————————– 95 Wesentlich für die Nützlichkeit der Laplace-Transformation ist der folgende: Differentiationssatz: :::::::::::::::::::: Die Laplace-Transformation der k-ten Ableitung einer Funktion f (t) ist durch h i h i (k) k L f (t) = s L f (t) − sk−1 f (0) − sk−2 f˙(0) − ... − sf (k−2) (0) − f (k−1) (0) gegeben. Also gilt insbesondere: h i h i L f˙(t) = sL f (t) − f (0) h i h i L f¨(t) = s2 L f (t) − sf (0) − f˙(0) Damit ist die Bedeutung der Laplace-Transformation für die Lösung von Anfangswertproblemen klar: Die Dgl wird in eine algebraische Gleichung für die Laplace-Transformierte transformiert. Eine solche Gleichung ist oft einfacher lösbar und erfodert “nur” noch eine Rücktransformation. Zur Veranschaulichung ein Beispiel: Betrachte noch einmal obiges Anfangswertproblem: ÿ + 4ẏ = cos(2t) ; y(0) = 0 ; ẏ(0) = 1 Laplace-Transformation der einzelnen Terme ergibt: ⇒ L[ÿ] = s2 L[y] − sy(0) − ẏ(0) = s2 L[y] − 1 L[ẏ] = s2 L[y] − y(0) = s2 L[y] Z∞ L[cos(2t)] = exp{−st} cos(2t)dt 0 = lim h exp{−st} s2 + 4 s = 2 ; s>0 s +4 T →∞ iT {−s cos(2t) + 2 sin(2t)} 0 Folglich: L[...] s ⇒ s2 L[y] − 1 + 4sL[y] = 2 s +4 s s2 + s + 4 ⇒ {s2 + 4s}L[y] = 1 + 2 = s +4 s2 + 4 s2 + s + 4 ⇒ L[y] = 2 (s + 4)(s2 + 4s) ÿ + 4ẏ = cos(2t) | ————————————————————————————————————— 96 ———————————————————————————————————– Das Problem ist gelöst, wenn man von der Laplace-Transformierten L[y] auf die ursprüngliche Funktion y(t) schließen kann. Das kann - in Analogie zu Integralen - durch “Nachschauen” in entsprechenden Zusammenstellungen geschehen. Im obigen Fall gilt nach einer Partialbruchzerlegung: L[y] = 1 1 1 s 1 1 1 s2 + s + 4 = − + 2 + 2 2 2 (s + 4)(s + 4s) 20 s + 4 20 s + 4 5 s + 4 s(s + 4) In Nachschlagewerken findet man: 1 s+4 s L[cos(2t)] = 2 s +4 h1 i 1 L sin(2t) = 2 2 s +4 h1 i 1 L (1 − exp{−4t}) = 4 s(s + 4) L[exp{−4t}] = Demnach: 1 1 1 1 exp{−4t} − cos(2t) + sin(2t) + (1 − exp{−4t}) 20 20 10 4 1 1 1 1 = − exp{−4t} + sin(2t) − cos(2t) 4 5 10 20 y(t) = wie bereits oben gefunden. Die Vorgehensweise ist also sehr einfach, lediglich müssen die für die Laplace-Transformierten und die Rücktransformation auftretenden Integrationen ausführbar sein. Diese Rücktransformation ist die inverse Laplace-Transformation: 1 f (t) = L [F (s)] = 2πi −1 γ+i∞ Z exp{st}F (s) ds ; f (t) = 0 für t < 0 γ−i∞ In der obigen Formel ist γ > s0 , wobei s0 der Realteil derjenigen Polstelle mit dem größtem Realteil ist. Weitergehende Informationen zur Methode der Laplace-Transformation findet man z.B. im Buch von Heuser. Bemerkung: Auch dieses Verfahren ist nützlich bei Dgln höherer Ordnung. ————————————————————————————————————— ———————————————————————————————————– 97 6.2 Systeme linearer Differentialgleichungen 1. Ordnung Allgemein gilt, dass aus y 00 + a(x)y 0 + b(x)y = s(x) ; y = y(x) mit y 0 = z folgt y0 = z z 0 = s(x) − a(x)z − b(x)y also ein System zweier Dgln erster Ordnung. Beispiel: Eine eindimensionale Bewegung sei beschrieben durch (Newtonsche Bewegungsgleichung): ẍ + aẋ + bx = f (t) ⇒ ẋ = v v̇ = f (t) − av − bx was als lineare Bewegung im Phasenraum (x, v) aufgefasst werden kann, vgl. den Exkurs in Kapitel 4. Hier bietet sich eine Matrixschreibweise an: d x 0 1 x 0 = + −b −a v f (t) dt v Für die Lösung des so formulierten Problems im homogenen Fall (f (t) = 0) siehe das Buch von Korsch. ————————————————————————————————————— 98 ———————————————————————————————————– 7 Lineare Schwingungen Obwohl i.A. nichtlineare Dgln vorliegen führt eine Linearisierung oft auf hinreichend gute Näherungslösungen. Von grundlegender Bedeutung ist... 7.1 Der harmonische Oszillator ... der im allgemeinsten Fall (= ˆ angetriebener und gedämpfter harmonischer Oszillator) folgender (Bewegungs-) Gleichung genügt: ẍ + 2γ ẋ + ω02 x = f (t) ; γ, ω0 = const In dieser Dgl beschreibt der erste Term die Trägheit, der zweite die Reibung, der dritte die Rückstellkraft und die rechte Seite eine äußere Kraft. Man unterscheidet: Freie Schwingung: f (t) = 0 7.1.1 Hier gilt: ẍ + 2γ ẋ + ω02 x = 0 und man macht folgende weitere Unterscheidung: (i) Ungedämpfter harmonischer Oszillator (γ = 0): ẍ + ω02 x = 0 ; ⇒ x1 = exp{iω0 t} ; x2 = exp{−iω0 t} Allgemeine Lösung: :::::::::::::::::::: C1 , C2 ∈ C a, b ∈ R | | x(t) = C1 x1 + C2 x2 = a cos(ω0 t) + b sin(ω0 t) (ii) Gedämpfter harmonischer Oszillator (γ 6= 0): ẍ + 2γ ẋ + ω02 x = 0 ; ⇒ x1,2 = exp{λ1,2 t} ; λ1,2 q = −γ ± γ 2 − ω02 (a) Schwingfall: ω0 > γ ⇒ λ1,2 komplex (b) Kriechfall: ω0 < γ ⇒ λ1,2 reell (c) Aperiodischer Grenzfall: ω0 = γ ⇒ λ1,2 = λ reell (vgl. 6.1(B)) ————————————————————————————————————— ———————————————————————————————————– 99 Bemerkung: Der Begriff des harmonischen Oszillators ist so wichtig, da viele Schwingungsvorgänge näherungsweise als harmonische Oszillatoren beschrieben werden konnen. Das ist begründet in der oft gemachten Näherung, dass die potentielle Energie V eines physikalischen Systems um eine Gleichgewichtslage ((dV /dx)x0 = 0) in eine Taylorreihe entwickelt werden kann: dV 1 d2 V x2 + ... V (x) = V (0) + x+ 2 dx 2 dx x=0 x=0 | {z } | {z } =0 =const. und man annimmt, dass höhere als quadratische Glieder vernachläs d2 V dV sigbar sind. Wegen F (x) = − ≈− x = −kx, k = const ist dx dx2 die Rückstellkraft dann proportional zur Auslenkung x (Hookesches Gesetz), was dem harmonischen Oszillator entspricht. Diese hier im 1D-Fall gemachte Überlegung kann analog auf den 3DFall übertragen werden. 7.1.2 Erzwungene Schwingungen: f (t) 6= 0 Der oft vorliegende Fall eines harmonischen Antriebs (also einer äußeren Kraft) der Form f (t) = f0 cos(Ωt) , f0 = const führt auf ẍ + 2γ ẋ + ω02 x = f0 cos(Ωt) was in komplexer Schreibweise lautet z̈ + 2γ ż + ω02 z = f0 exp{iΩt} ; z ∈ C Der Ansatz z(t) = A exp{iΩt} führt auf f0 x(t) = |A| cos(Ωt + ϕ) ; |A| = p 2 2 (ω0 − Ω )2 + (2γΩ)2 also eine gegenüber der erzwingenden Kraft phasenverschobene Schwingung mit gleicher Frequenz Ω und einer Amplitude |A|, die von letzterer, der Eigenfrequenz ω0 und der Dämpfung γ abhängt: Ω = ω0 ⇒ |A| = ∞ “Resonanzkatastrophe” q 2 2 (ii) 2γ ≤ ω0 : Ω = ω02 − 2γ 2 = ˆ |A|max (i) γ=0: (iii) 2γ 2 > ω02 : kein |A|max mehr, keine Resonanz Weiteres zu Schwingungen werden Sie in den Mechanik-Vorlesungen kennen lernen. ————————————————————————————————————— 100 ———————————————————————————————————– Anhang (a) Motivation zur Definition komplexer Zahlen “Neue” Zahlen wurden stets dann definiert, wenn die Anwendung von Rechenoperationen auf “bekannte” Zahlen innerhalb der Menge letzterer keine Lösung hat. Erinnerung (?!): Symbol Addition Multiplikation Subtraktion Division Menge Natürliche Zahlen Ganze Zahlen Rationale Zahlen Reelle Zahlen Komplexe Zahlen N Z Q R C X X X X X X X X X X X X X X X X X √ pos. Zahl X X √ neg. Zahl X Bemerkung: Es gilt N ⊂ Z ⊂ Q ⊂ R ⊂ C, d.h. die jeweils “bekannten” Zahlen sind in den “neuen” eingebettet. In C liefern alle Rechenoperationen Ergebnisse in C. Bemerkung: Die Division durch Null ist nicht definiert, und eine Untersuchung solcher Fälle benötigt Grenzwertprozesse. Erstmals stieß Girolamo Cardano (1501–1576) auf die mögliche Nützlichkeit von (Quadrat-) Wurzeln aus negativen Zahlen, da er die Gleichung x2 − 10x + 40 = 0 lösen wollte und als Lösungen fand: √ √ x1,2 = 5 ± 25 − 40 = 5 ± −15 Demnach gilt: 0 = (x − x1 )(x − x2 ) = = = = √ √ (x − 5 − −15)(x − 5 + −15) √ √ x2 − 10x + 25 − −15 −15 x2 − 10x + 25 + 15 x2 − 10x + 40 (X) √ Bemerkung: Die heutige Schreibweise mit i = −1 wurde von Leonard Euler (1707–1783) Notation √ √ lauten obige Lösungen: √ eingeführt.√In dieser x1,2 = 5 ± −15 = 5 ± −1 15 = 5 ± i 15. ————————————————————————————————————— ———————————————————————————————————– 101 (b) Addition und Multiplikation komplexer Zahlen Alternativ (und allgemeiner) gilt: (x − x1 )(x − x2 ) = x2 − (x1 + x2 )x + x1 x2 =⇒ Frage: :::::: Antwort: ::::::::: Wie werden komplexe Zahlen addiert und multipliziert? x1 + x2 = (a + ib) + (c + id) = (a + c) + i(b + d) i2 = −1 | x1 · x2 = (a + ib) · (c + id) = (ac − bd) + i(bc + ad) (c) Geometrische Interpretation komplexer Zahlen Formal kann man die Ergebnisse aus (b) auch wie folgt als Zahlenpaare schreiben: a + ib → (a, b) ⇒ (a, b) + (c, d) = (a + c, b + d) ⇒ (a, b) · (c, d) = (ac − bd, bc + ad) Insbesondere gilt: 1 = 1 + i · 0 → (1, 0) i = 0 + i · 1 → (0, 1) Letzteres legt folgende geometrische Interpretation (nach Carl Friedrich Gauß (1777– 1855)) nahe: Es gilt natürlich: √ |a + ib| = a2 + b2 ∈ R Also: ::::: Komplexe Zahlen können als Punkte in der Gaußschen Zahlenebene aufgefasst werden. ————————————————————————————————————— 102 ———————————————————————————————————– (d) Formale Definition komplexer Zahlen Definition: (1) Zu R2 = R × R werden eine Addition und eine Multiplikation eingeführt durch: (a, b) + (c, d) = (a + c, b + d) (a, b) · (c, d) = (ac − bd, bc + ad) Dadurch wird R2 zu einem Körper (siehe Mathematik-Vorlesung!), der mit C bezeichnet wird. Die Elemente von C heißen komplexe Zahlen. (2) Ist z = x + iy ∈ C mit x, y ∈ R, so heißt Re(z) := x der Realteil und Im(z) := y der Imaginärteil von z. z ist rein imaginär, wenn Re(z) = 0 und Im(z) 6= 0. (3) Ist z = x + iy, dann ist z = x − iy die zu z konjugiert komplexe Zahl. Folgerung: Seien z = x + iy, w ∈ C, dann gilt: 1 1 (F1) z · w = z · w, insbesondere = z z (F2) z + w = z + w (F3) z · z = |z|2 ∈ R (F4) |z · w| = |z||w| w w·z (F5) z 6= (0, 0) ⇒ = , z |z|2 1 z x y insbesondere = 2 = 2 −i 2 2 z |z| x +y x + y2 (F6) z = w ⇒ Re(z) = Re(w) und Im(z) = Im(w) ————————————————————————————————————— ———————————————————————————————————– 103 (e) Die Eulersche Formel Die weitreichende (und tiefgehende) Bedeutung der komplexen Zahlen wird erst richtig deutlich, wenn man sie als Argumente bekannter Funktionen zulässt. Das bekannteste und vielleicht wichtigste Beispiel ergibt sich aus der Frage nach der Bedeutung von exp(z): formal | exp(z) = exp(x + iy) = exp(x) exp(iy) Wie aber ist exp(iy) zu interpretieren? Die Antwort ergibt sich in drei Schritten: (1) Das Ergebnis soll eine komplexe Zahl sein: y= 6 0 ⇒ exp(iy) = f (y) + ig(y) mit reellwertigen Funktionen f (y) und g(y) y = 0 ⇒ exp(i0) = exp(0) = 1 ⇒ f (0) = 1 und g(y) = 0 (2) Es gilt (i = const): exp(iy) 0 = d dg(y) ! df (y) exp(iy) = i exp(iy) = if (y) − g(y) = +i =: f 0 + ig 0 dy dy dy (3) Es folgt: f 0 = −g ⇒ f 00 = −g 0 = −f mit f (0) = 1 ⇒ f (y) = cos(y) g 0 = f ⇒ g 00 = f 0 = −g mit g(0) = 0 ⇒ g(y) = sin(y) Damit folgt insgesamt: exp(iy) = cos(y) + i sin(y) “Eulersche Formel” Bemerkung: Also z.B. exp(2πi) = cos(2π) + i sin(2π) = 1 + i · 0 = 1 (X) Bemerkung: Neben diesem faszinierenden (?) Zusammenhang zwischen sin-, cos-, und exp-Funktion gelten viele andere Beziehungen, wie z.B. (x ∈ R): 1 [exp(ix) + exp(−ix)] 2 1 cosh(x) = [exp(x) + exp(−x)] = cos(ix) 2 cos(x) = ————————————————————————————————————— 104 ———————————————————————————————————– (f) Die Polardarstellung komplexer Zahlen Mit Hilfe der geometrischen Darstellung folgt: x = |z| cos(φ) y = |z| sin(φ) y x y =: arg(z) ⇒ φ = arctan x ⇒ tan(φ) = Bemerkung: Die angegebene Formel für φ gilt im 1. Quadranten der komplexen Ebene: Beachten Sie, dass bei der Berechnung von φ i.a. eine quadrantenabhängige Fallunterscheidung erforderlich ist. Damit folgt insgesamt: z = x + iy = |z|(cos(φ) + i sin(φ)) = |z| exp(iφ) “Polardarstellung” Bemerkung: Die Polardarstellung kann genutzt werden, um mühelos die bekannten (?!) Additionstheoreme der Trigonometrie herzuleiten: (1) z1 · z2 = |z1 ||z2 | [cos(φ1 ) cos(φ2 ) − sin(φ1 ) sin(φ2 ) + i(sin(φ1 ) cos(φ2 ) + cos(φ1 ) sin(φ2 )] (2) z1 · z2 = |z1 | exp(iφ1 ) |z2 | exp(iφ2 ) = |z1 ||z2 | exp{i(φ1 + φ2 )} = |z1 ||z2 | [cos(φ1 + φ2 ) + i sin(φ1 + φ2 )] Ein Koeffizientenvergleich ergibt: cos(φ1 + φ2 ) = cos(φ1 ) cos(φ2 ) − sin(φ1 ) sin(φ2 ) sin(φ1 + φ2 ) = sin(φ1 ) cos(φ2 ) + cos(φ1 ) sin(φ2 ) —————————————————————————————————————