Publikation: Frankfurter Allgemeine Zeitung Ausgabe: 02.03.2016, Nr. 52, S. 16 Autor: Dr. Frederik Leenen Wenn das Handy mehr sieht als das Auge In der "Augmented Reality" ist nicht alles erlaubt, was technisch möglich ist BERLIN, 1. März. Die Technik der computergestützten Erkennung von Objekten aller Art macht möglich, was lange undenkbar war. So kann über Kamera, Mikrofon oder andere Sensoren des Smartphones beinahe alles in Echtzeit identifiziert werden. Jeder Song im Radio oder Café lässt sich in Sekunden identifizieren. Wird ein Gegenstand nicht nur erkannt, sondern werden zusätzliche Informationen angezeigt, spricht man von "Augmented Reality" - angereicherter Wirklichkeit. Fast jeder kennt dieses Prinzip aus dem Fernsehen von der künstlich gezogenen Abseitslinie beim Fußball. Inzwischen findet sich die Technik auch in vielen Handy-Apps und in speziellen Brillen wie Google Glass. So lässt sich ein Sofa virtuell in ein Zimmer plazieren, bevor es gekauft wird. Fremdsprachige Schilder können mit der deutschen Übersetzung überdeckt werden. Und in Spielen sind Mitspieler, Aufgaben und Ziele nur zu sehen, wenn man selbst mitmacht. Doch der virtuelle Raum ist kein rechtsfreier Raum. Bisher sind die juristischen Grenzen der Technik aber kaum geklärt worden. Die Rechteinhaber wissen oft gar nicht, dass sie oder ihr Eigentum an einer virtuellen Welt teilnehmen. Auch die Anbieter der Apps investieren oft große Summen, ohne sich vorher abzusichern. Die Besonderheit der Technik liegt darin, dass in Echtzeit Erkanntes nach Belieben des Anbieters mit weiteren Informationen in Verbindung gebracht werden kann. Die genaue Rechtslage hängt sehr vom Einzelfall und der konkreten App ab. Eine pauschale Einordnung der Technik ist daher nicht möglich. Ein grober Eindruck von der Bewertung lässt sich aber durch Beispiele vermitteln. So dürfen unbeteiligte Personen aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht durch die Technik erkannt werden, denn dies beinhaltet notwendigerweise die Speicherung von Erkennungsmustern. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt jedoch das Recht auf Anonymität. Werden Personen hingegen nur als Körper im Raum erkannt, bestehen weniger Bedenken. Ein Beispiel wäre eine App, die eine Person virtuell ankleidet, ohne diese zu identifizieren oder die Daten dauerhaft zu speichern. Den Eigentümer von Immobilien oder beweglichen Sachen schützt das deutsche Recht vor Eingriffen in den Zuweisungsgehalt seines Eigentums. Wird etwa eine fremde Hauswand virtuell mit Werbung plakatiert, kann der Eigentümer dies unter Umständen untersagen oder Werbegewinne abschöpfen. Ein weiteres Beispiel ist nicht ganz so naheliegend. Musik und Videos, Gebäude, Poster und Texte sind oft urheberrechtlich geschützt. Die bloße Identifikation von Werken oder deren Urhebern ist noch unbedenklich, solange der Urheber nicht bewusst unerkannt bleiben wollte. Das Urheberrecht schützt den Urheber aber unter anderem vor einer Entstellung seines Werkes sowie vor einem besonders unliebsamen räumlichen Bezug. In die virtuelle Welt übertragen, kann dies bedeuten, dass Werke nicht einfach durch Augmented Reality entstellt, überdeckt oder merklich verändert dargestellt werden dürfen. Auch dürfen sie nicht ohne weiteres in einen völlig anderen virtuellen Sachzusammenhang gebracht werden. Nach einem neueren Urteil des Europäischen Gerichtshofs dürfte die Zustimmung des Rechteinhabers erforderlich sein, wenn durch die Technik konkrete Erwerbsmöglichkeiten für die erkannten Werke angeboten oder vermittelt werden (Az.: C-516/13 - "Fall Knoll"). Vertragliche Regelungen über die Nutzung können viele der potentiellen Probleme schon im Vorfeld lösen und für Klarheit sorgen. Herrscht erst einmal Einigkeit über die Art und das Ausmaß der Nutzung, sind begleitende Zahlungen meist überschaubar. Denn die Teilhabe an einer virtuellen Welt hat auch für den Berechtigten oft einen gewissen Wert. FREDERIK LEENEN Der Autor ist Rechtsanwalt bei CMS Hasche Sigle. Alle Rechte vorbehalten: (c) F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main