P R E M IU M L I N SEN Additive Intraokularlinsen EIN ÜBERBLICK Von Dr. Günal Kahraman und Dr. Franz Prager Die Implantation einer zusätzlichen Intraokularlinse stellt eine reversible Methode zur Korrektur ­postoperativer Refraktionsfehler bei Pseudophakie dar. A dditive Intraokularlinsen wurden erstmals zur Korrektur höherer Hyperopien und Myopien verwendet. Ursprünglich wurden beide IOLs in den Kapselsack implantiert, um die gewünchte IOL-Stärke zu erreichen. Im postoperativen Verlauf kam es sehr häufig zu einer therapierefraktären „interlentikulären Opazifizierung“. Grund dafür war eine zentripedale Epithelzellmigration aus dem Kapselsack (Abb. 1). Diese Komplikation kann vermieden werden, indem die erste IOL in den Kapselsack und die zweite IOL in den Sulkus ciliaris gesetzt wird. Eine weitere Komplikation, welche durch diese Implantationstechnik nicht vermieden werden kann, ist die Entstehung zweier Brennpunkte, bedingt durch eine Abflachung der Linsenoberflächen im Bereich des Kontaktes beider bikonvexer Linsen. Dadurch kommt es zur Abnahme der Gesamtbrechkraft im Bereich der Kontaktzone der beiden konkaven Linsen. Ein noch schwerwiegenderes Problem stellen durch die IOL induzierte Pigmentdispersionsglaukome dar. Durch die Positionierung der IOL im Sulcus ciliaris findet bei Standardintraokularlinsen eine Berührung mit dem Irisendothel statt. Sind Optikkante, Haptikkanten und IOL-Materi- Abb. 1: Epithelzellenmigration im Bereich des Linseninterfaces. Gayton JL. J Cataract Refract Surg. 2000 Mar; 26(3): 330-36 al nicht entsprechend optimiert, kommt es zum Pigmentabrieb. Diese Ergebnisse führten zur Entwicklung spezieller Linsendesings. Ein konvex-konkaves Optikdesign verhindert eine Berührung mit der kapselsackgestützten Linse, eine große Linsenoptik umgeht ein „iris capture“ der Optik, abgerundete Haptik- und Optikkanten sowie eine Angulation der Haptik vermeiden ein Reiben am Irispigmentepithel und somit eine Pigmentdispersion. Derzeit sind drei unterschiedliche pseudophake additive Intraokularlinsen von Rayner (Sulcoflex), Human Optics (Add-on) und 1stQ (Additive IOL) erhältlich. Alle Hersteller bieten sowohl sphärische als auch torische und multifokale Linsen an. 1stQ Add-on OA Dr. Günal Kahraman, FA Dr. Franz Prager Akademisches Lehrkrankenhaus der Barmherzigen Brüder Wien, Augenabteilung Johannes von Gott Platz 1, 1020 Wien 116 MEDICAL NETWORK 2014 Die 1stQ A4W-Add-on hat eine 6-mm-Optik und einen Gesamtdurchmesser von 13,5 mm. Sie besitzt vier weiche Haptikflügel. Die Linse besteht aus hydrophilem Acryl (Abb. 2). Die Implantation wird über einen 2,2 mm Clear-Cornea-Schnitt mittels Injektor durchgeführt. HERBST SPECIAL p www.medical-network.at Abb. 2: 1stQ Add-on Linse, mit vier Haptiken Human Optics Add-on Die dreiteilige Human Optics Add-On-Linse besteht aus einer Silikonoptik mit einer PMMA-Haptik. Die Add-on-Linse hat einen 14-mm-Gesamtdurchmesser mit einer konkaven Linsenhinterfläche (Abb. 3). Die Add-onLinse kann mittels einer Implantationspinzet­te in den Sulcus eingesetzt werden. Bei niedrigen Dioptrienwerten ( 6 Dpt.) kann die Linse auch mittels Injektor implantiert werden. Rayner Sulcoflex Die single-piece Sulcoflex IOL-Linse besteht aus hydrophilem Akrylat mit einem Gesamtdurchmesser von 14 mm. Die Linsenhaptiken sind unduliert und 10 Grad vorne anguliert. Die Linsenoptik hat eine konkave Linsenhinterfläche und einen Durchmesser von 6,5 mm (Abb 4, 5). Die Sulcoflex kann durch eine korneale 2,75-mm-Inzision mittels Injektor implantiert werden. Da die Linse keinen Nachstar zu verhindern braucht, ist die Optikkante rund, um Dysphotopsien zu vermeiden. Implantation Die Implantation einer additiven Intraokularlinse erfolgt in topischer Anästhesie nach PREMIUM LI NS E N medikamentöser Mydriasis. Nach entsprechender Clear-Cornea-Inzisions-Größe wird der Sulcus ciliaris mit Viscoelasticum gestellt und anschließend die additive Intraokularlinse mittels Injektor oder mit Pinzette in den Sulcus ciliaris implantiert und positioniert. Zur Endophthalmitisprophylaxe wird am Ende der Operation ein intrakamerales Antibiotikum appliziert. Prinzipiell können additive Linsen primär, im Rahmen der Kataraktoperation unmittelbar nach Implantation der ersten Linse (Duett-Implantation, v. a. bei multifokaler Addi- Abb. 3: Human Optics Add-on Torica Abb. 4: Rayner Sulcoflex Aspheric (653L) tivlinse) oder sekundär bei bereits bestehender Pseudophakie implantiert werden. Indikationen Als eine wichtige Indikation für diese Linsen ist wohl die sekundäre Implantation nach einer „biometrischen Überraschung“ zu nennen. Vor allem bei refraktiver Linsenchirurgie sind die postoperativen Erwartungen enorm hoch und man sollte zumindest durch einen Zweiteingriff die post­ operativ gewünschte Refraktion garantieren können. Neben dem Ausgleich postoperativen Ametropien, als primäre Indikation, ergaben sich in den letzten Jahren durch die Einführung von torischen, sowie multifokalen Optiken weitere Indikationen für pseudophake additive IOLs. Aber auch die primäre Implantation, gemeinsam mit der ersten Linse, stellt bei extremen Intraokularlinsenwerten (z. B. über 35 Dpt.) eine potenzielle Indikation dar. So kann der Patient sofort operiert werden und wir können Bestellung und Wartezeit teurer Linsensondermodelle vermeiden. Refraktive hornhautchirurgische Maßnahmen wie PRK oder Lasik (Laser-Enhancement) sind irreversible Verfahren. Ein IOL- Austausch nach länger zurückliegender Implantation oder bei Kapseldefekten (Kapselruptur oder nach Nd:YAG-Kapsulotomie) ist traumatisierender und birgt ein höheres Risiko für Glaskörperverlust und konsekutive Netzhautkomplikationen. Im Gegensatz dazu ist die Implantation einer zweiten IOL mit Sicherheit weniger traumatisch als ein Linsentausch und kann einen refraktiven Hornhauteingriff ersparen. kulaödem entwickeln. Auch aus diesem Grund stellt die Implantation einer zusätzlichen multifokalen Linse in Rahmen der Kataraktchirurgie eine gute Alternative dar. Sollte nämlich ein Patient aufgrund einer später auftretenden Augenerkrankung optimales Kontrastsehen brauchen, so kann auch nach vielen Jahren die sulcusgestützte multifokale IOL atraumatisch entfernt werden. Torische Additivlinsen ermöglichen heutzutage die Korrektur von postoperativen Astig- Ein weiteres Einsatzgebiet von additiven IOLs sind Fälle von dynamischen Refrakti- Abb. 6: Pentacam-Aufnahme, kein Kontakt der beiden Optiken Abb. 5: Sulcoflex Toric, vier Jahre nach der Implantation matismen, insbesondere bei pseudophaken Patienten nach perforierender Keratoplastik. Großer Vorteil im Vergleich zu einem refraktiven Lasereingriff ist vor allem die Reversibilität dieses Verfahrens (Abb. 6). onsänderungen, wie zum Beispiel bei kindlichen Katarakten oder bei Patienten nach Pars-plana-Vitrektomie mit Silikon­ ölfüllung und daraus resultierender Hyper­ opisierung. Multifokale Intraokularlinsen bieten Patienten, die eine postoperative Brillenunabhängigkeit wünschen, eine Alternative zu monofokalen IOLs. Dieser Vorteil der Brillenunabhängigkeit muss jedoch mit den bekannten potentiellen Nachteilen multifokaler IOLs, wie reduzierter Kontrastempfindlichkeit und ­Dysphotopsien (Halos, Lichtkränze) abgewogen werden. Trotz genauer Indikationsstellung und Patientenselektion kann es daher zu subjektiven Beschwerden kommen, die eine Explantation der IOL erforderlich machen. Die Implantation einer additiven IOL mit multifokaler Optik ermöglicht daher eine reversible Option zur Presbyopiekorrektur und kann im Fall einer Unverträglichkeit jederzeit relativ einfach ohne „Kapselchirugie“ wieder entfernt werden. Ein Problem bei kindlicher Katarakt ist die durch das weiterhin bestehende Augen­ wachstum sich ändernde postoperative Refraktion, die zu einer Myopisierung des Auges führt. Aus diesem Grund wird das Auge meist altersabhängig hyperopisiert. Dies ist kein idealer Zustand für die postoperative Entwicklung des Auges, sollte doch Emmetropie oder sogar eine leichte Myopie postoperativ angestrebt werden. Unter Anwendung einer additiven Sulkuslinse kann nunmehr versucht werden, während der gesamten Augenentwicklung eine möglichst optimale Refraktion zu erhalten. So kann die Sulkuslinse primär mit einer Kapselsacklinse implantiert werden (Duett-Implantation) oder sekundär im Fall einer zu korrigierenden Refraktionsänderung zu einem späteren Zeitpunkt. Da es sich bei dieser Technik um einen reversib­ len Eingriff handelt, kann die Sulkuslinse entsprechend den Refraktionserfordernissen jederzeit entfernt oder ausgetauscht werden.w Selbst bei gesunden Augen kann man nie sagen, ob diese Augen in einem späteren Lebensabschnitt pathologische Änderungen, wie z. B. AMD oder ein diabetisches Ma- p www.medical-network.at MEDICAL NETWORK 2014 HERBST SPECIAL 117