Philosophieren mit Kindern

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Prof. Dr. Dr. Martin Bolz
10 Thesen zum Philosophieren mit Kindern in den 10er Jahren des 21. Jahrhunderts, das
ist im 3. Jahrtausend christlicher Zeitrechnung
1. Philosophieren mit Kindern (PmK) ist aus den Kinderschuhen herausgewachsen und hat
sich in den Schulen auch etabliert, in manchen Schulen mehr, in manchen weniger und in
vielen gar nicht. Es fehlen Studien oder Untersuchungen, um hier ein differenziertes
Urteil abgeben zu können.
2. Dennoch lässt sich manches beobachten. Die anfängliche Euphorie über die vielen
Möglichkeiten des PmK ist etwas leiser geworden und ein Blick in die Literatur ist dann
ernüchternd, wenn man zum Beispiel die Bücher von Jostein Gaader nimmt. Der Weg
von der Anwendung von philosophischen Fragestellungen hinein in die Esoterik ist von
Gaader beschritten worden. PmK hat jedoch weder etwas mit Esoterik noch mit einem
Methodenhandbuch zur Disziplinierung von Heranwachsenden zu tun.
3. Die Lehrbücher in manchen deutschen Bundesländern bewegen sich von der 1. Klasse an
alle in Rufweite der allgemein bekannten Philosophie des Aristoteles. Das ist ja ganz gut
so, aber der antike Aristoteles war ja in Wahrheit auch ein Geheimbündler, der einen Satz
gesagt, dafür aber zwei weitere in die Tasche gesteckt hat. So ganz genau wissen wir
außerdem immer noch nicht, was er im Einzelnen wirklich gelehrt hat – die Quellenlage
ist unbefriedigend. Dann kommt noch hinzu, dass man in deutschen Landen ein
bestimmtes ein ganz bestimmtes deutsches Bild des Aristoteles hat, noch viel mehr gilt
das für Sokrates, der mit seiner „Hebammenkunst“ erst im 19. Jahrhundert im deutschen
Bildungsbürgertum Beachtung gefunden hat.
4. Sodann gibt es ein weiteres schulisches, wenn man nicht sagen will: schulpolitisches,
Spezifikum. Das PmK ist in Konkurrenzen geraten. Angefangen hat es wohl mit der
Frage, wer dieses neue „Fach“ unterrichten darf: Sind es die Philosophie- oder gar die
Religionslehrer? Oder sollten es da, wo es das Fach „Ethik“ gibt, die Ethiklehrer machen
(die ja auch wiederum oft entweder Philosophie oder Religion unterrichten)? Kann man
das, was mit dem PmK gewollt wird, eigentlich genauso unterrichten wie jedes andere
Fach auch oder müsste das nicht eher so etwas wie ein Unterrichtsprinzip sein, das in
allen Fächern vorkommen müsste. Und wenn man das letztere will, wer koordiniert dann
die Themen, die den „alten“ Fächern wie zum Beispiel Biologie oder Deutsch oder
Religion oder Ethik zugeteilt werden? Lauter Fragezeichen im bunten Flickenteppich der
Schulpolitik.
5. Das PmK steht also unter inmitten von einem ständigen Rechtfertigungsdruck auf der
einen Seite und den fast schon gläubig zu nennenden Praktikern auf der anderen Seite,
die ihrerseits schwer bis gar nicht verstehen können, warum man dauernd verteidigen
muss, was sowieso allen klar sein müsste.
6. Und so ziehen die Jahre ins Land und das PmK kommt in die Jahre. Das macht aber
nichts, denn man kann es drehen und wenden, wie man will: Kinder können
philosophieren! Nicht nur Karl Jaspers wusste das, Eltern wissen das genauso, manchmal
zu ihrem eigenen Leidwesen, weil ihnen die Antworten ausgehen.
7. Wir wissen im Übrigen überhaupt nicht, ob oder wie die kleinen Aristotelesse oder Platos
oder Heideggers oder Poppers und wie sie alle sonst noch heißen mögen, die vielen
zeitgenössischen Philosophievermittler mit eingeschlossen, als Kinder philosophiert
haben. Wir haben immer nur die Endprodukte möglicher Weise langer Lebensarbeit vor
uns liegen und meinen, dorthin müssten möglichst alle kommen. Ein Irrglaube!
Philosophie bietet nämlich unzählig viele Philosophien an, ebenso wie Religion
Religionen – und das bedeutet Auseinandersetzung und nicht gläubiges Proselytentum.
8. Weil wir das alles und noch viel mehr nicht wissen und weil weiters weder Philosophie
noch Ethik und schon gar nicht Religion für einen wie auch immer gearteten
Erziehungsprozess instrumentalisiert werden dürfen, deswegen ist PmK unverzichtbar.
Möglicher Weise ist es nämlich der letzte Freiraum für Kinder im alltäglichen Strudel
von geforderter Anpassung und Höchstleistung, wobei die einen Erzieher für das Kindsein der Kinder kämpfen und die anderen ängstlich auf Anforderungen schielen, die auf
Kinder noch zukommen und denen sie nicht gewachsen sein könnten, wenn man sie nicht
möglichst frühzeitig auf alles vorbereitet – Schulen als schnelle Brüter wäre hier das
Stichwort.
9. Das Gerede von der Hebammenkunst, vermeintlich im Sinne des Sokrates, mag ich nicht
mehr hören, unterstellt es doch ein biologistisches Modell vom geschützten Wachsen des
Denkens (entsprechend dem Begriff „Hebamme“ müsste das wohl im Uterus geschehen),
das dann nur noch zur Welt gebracht werden müsste und dann könnte es als reif oder
nicht reif oder gar behindert qualifiziert werden. So weit zu dem Begriff
„Hebammenkunst.“
10. Das PmK ist unverzichtbar, unterstellt es doch, dass Lehrende wie Lernende gleicher
Maßen ihre kindlichen Anteile an Welterkenntis und –erklärung nicht nur zulassen,
sondern sie auch ernst nehmen. PmK ist also in erster Linie eine Lern - Aufgabe für
Lehrende, die Kinder könne das nämlich schon.
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