Eine kleine Fabel

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Formen des Erzählens: Anwendungsübung
19.09.2007
Eine kleine Fabel
Es gelang ihm nicht lange sich nach seiner Rückkehr aus London vor seiner Vergangenheit zu
verstecken. Kurze Zeit nach seiner Ankunft durchbrach er die Mauer der Einsamkeit.
Mittlerweile ist es 25 Jahre her, als er - enttäuscht vom Leben – von Wien nach London zog. Damals
hatte er Angst in einen Strudel zugeraten, aus dem er irgendwann nicht mehr herauskommen würde
und aus dem er damals versuchte auszubrechen, um etwas anderes zu machen. Was genau wusste er
damals auch nicht, aber er wollte es nicht so machen wie sie, seine alten Freunde, die damals alle nach
Wien kamen, in der Hoffnung die künstlerische Gesellschaft hätte nur auf sie gewartet.
Anfangs wehrte er sich gegen die Gefühle und Erinnerungen. Versuchte zu verdrängen und vergessen.
Versuchte das Erlebte von damals hinter sich zu lassen, so wie es ihm beinahe während der Zeit in
London gelungen ist. Doch er wusste die schlaflosen, gedankensprengenden Nächte richtig zu deuten andere würden es „Midlife-crises“ nennen - und so kam es, dass er nun täglich auf dem Graben und
durch die Kärtnerstraße schlenderte. Erstaunlich dabei war seine stetig wechselnde Wahrnehmung und
Aufmerksamkeit gegenüber seiner Umwelt und so kam es durchaus häufig vor, dass er sich völlig auf
die frische Luft und die Natur einlassen konnte, jeden Vogel, jeden Hund wahrnahm, jede Wolke am
Himmel nachzeichnen konnte und im nächsten Moment absolut gedankenverloren in sich gekehrt war,
sodass er womöglich nicht einmal seinen eigenen Tod mitbekommen würde.
Als er am nächsten Tag die Zeitung durcharbeitete, trug eine Nachricht sicherlich nicht dazu bei, dass
sich dieser Zustand in nächster Zeit bessern würde. Ganz im Gegenteil wühlte diese überraschende
Nachricht ihn nur noch mehr auf. Seine beste Freundin aus der damaligen Wiener Zeit, Joana, fiel vom
Stuhl - andere würden es als Selbstmord bezeichnen - als sie gerade dabei war einen Strick
aufzuhängen. Auch wenn er seit nunmehr zehn Jahren keinen Kontakt mehr zu Joana hatte, war die
Nachricht für ihn wie ein Schlag in den Nacken.
Elfriede, wie sie eigentlich hieß, versuchte mit dem Namen Joana vergebens ihr künstlerisches
Potenzial aufzuwerten. Sie war hin und hergerissen zwischen einer Karriere als Schauspielerin oder
einer Ballerina. Schließlich landete sie weder auf einer Bühne, noch im Fernsehen oder sonst etwas,
sondern verdiente ihr Brot als bezahlte Marionette bzw. Choreographin . Später heiratete sie Fritz, der
sich ebenfalls als Künstler bezeichnete und versuchte groß rauszukommen, indem er verschiedene
weiche Bodenbeläge zusammenschmiss und es als Kunst darstellte. Wie es das Schicksal so wollte,
war es Joana, die Fritz bei einem erneuten hausfräulichen Missgeschick dieVorlage für seine
berühmteste Kreation lieferte. Nachdem Fritz für seine Schöpfung unersättlich viel Lob und
Anerkennung erntete und ganz oben im Kunsthimmel angekommen war, verließ er Joana nach zehn
Jahren Ehe, um mit Joanas bester Freundin und seiner langjährigen geliebten nach Mexiko zu gehen,
da Mexiko - laut Fritz – der Absatzmarkt von Morgen in Sachen Kunst sein sollte. Danach lebte Joana
noch mit einem gescheiterten Kunsthändler namens Friedrich zusammen. Joana nannte Friedrich anlehnend an den bekannten Whiskey Johnnie Walker - allerdings nur zärtlich John. Beide teilten die
Leidenschaft des Trinkens. Friedrich wurde später in einen schweren Verkehrunfall verwickelt und
verlor sein komplettes Gedächtnis, woraufhin er in eine Nervenheilanstalt eingeliefert wurde.
Am Abend nach der Beerdigung Joanas fand in der „Wildente“ ein „künstlerisches Abendessen“ zu
Ehren eines bekannten Burgschauspielers statt. Der Rückkehrer folgte hierbei einer Einladung seiner
ehemals besten Freunde, dem Ehepaar Auersberger. Frau Auersberger machte sich kurzzeitig als
Sängerin einen Namen, während Herr Auersberger als Komponist auch etwas zur Haushaltskasse
beisteuert. Er stellte sich bereits vor dem Fest, die schlimmsten Schreckensszenarien vor. Er ahnte
dass sich all die gescheiterten „Wanna-be’s“ gegenseitig feierten und am Rande des totalen
Realitätsverlustes prunkvoll und glamorös der Wirklichkeit zu entfliehen versuchten. Er hatte dabei
gut lachen, denn er arbeitete in London bei einem Kunstsatire-Magazin. Dadurch machte er sich zwar
keinen Namen, wie auch, wenn er unter einem Pseudonym schrieb, jedoch reichte sein Gehalt, um als
Alleinstehender bis zum Lebensende ein gesichertes Vermögen zu besitzen.
Und so bemerkte er schnell, dass ihm dieser Totenball der Kunst keine Freude bereiten wird und setzte
sich in einen Ohrensessel, um die „Künstler“ zu beobachten, wie sie ihn beobachten. Er setzte dabei
stets eine trauernde Miene auf und tat so, als ob ihm der Tod von Joana sehr mitnimmt. Als er sich
kurz vor Ende dieser Feier von allen Künstlern verabschiedet, badet er regelrecht in
Beileidsbekundungen. Dabei lachte er sich still und heimlich ins Fäustchen und versprach sich noch
länger hier zu bleiben, denn hier gefiel es ihm mittlerweile am besten. Wien ist ein wahres Paradies für
ihn als Satiriker.
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