Universität Wien Fakultät für Human- und Sozialwissenschaften Institut für Politikwissenschaft PS: Islam und Politik in Zentralasien Lektor: Mag. Dr. Paul Georg Geiß WS 2006/2007 ESSAY zum Thema: Gibt es das Phänomen des „islamischen Fundamentalismus“? Amra Abdulahagic Wien, 30.11.2006 1 Im Zeitalter der Globalisierung muss sich die Welt auch den „Schattenseiten“ dieses Fortschritts stellen, welche in Form von zunehmenden Fragmentierungen zu Tage treten. Die ganze Aufmerksamkeit wird dabei – vor allem nach dem 11.09.2001 – dem Phänomen des „islamischen Fundamentalismus“ gewidmet. Von grundlegender Bedeutung sind in diesem Zusammenhang die Gründe für die Entstehung solcher extremen Fundamentalismen, ins besondere des „Islamismus“ bzw. des politischen Islams. Schließlich sollen die Einstellungen zur Gewaltanwendung, die die verschiedenen Ausprägungen dieser Phänomene vertreten, untersucht werden. Primär ist es jedoch unumgänglich die tragenden Begrifflichkeiten entsprechend zu definieren um die Entstehungsursachen und letztlich die Neigungen zur Gewaltanwendung diskutieren zu können. Im Kontext der Herausbildung religiöser Fundamentalismen werden diese irrtümlich als bloße Gegenbewegungen der Moderne identifiziert. „ Fundamentalismus ist keineswegs antimodernistisch oder schlicht traditionalistisch. Vielmehr repräsentiert Fundamentalismus einen Prozess der bewussten Erneuerung von Tradition, der aus dem Spannungsverhältnis zwischen Tradition und Moderne erwächst, und Aspekte beider inkorporiert.“1Fundamentalistische Strömungen sind allen Religionen zuzuschreiben. Wesentlich ist jedoch ihre Manifestationsarten zu unterscheiden. „Fundamentalismus kann sich in einer Vielfalt von Formen organisieren: als Kommune, als Subkultur, als religiöse Bewegung, als soziale Protestbewegung, als Geheimgesellschaft oder als politische Partei.“2 Auf Grund des Ursprungs des Fundamentalismusbegriffs im US-amerikanischen Protestantismus lehnen die meisten Islamwissenschaftler die Projizierung dieses auf den islamischen Raum und greifen zum adäquateren Begriff des „Islamismus“. Dieser ist politisch belegt und wird dementsprechend auch als „politischer Islam“ gedeutet. Die fundamentalistische Ausrichtung des Glaubenskonstrukts, welche diesen Bewegungen zu Grunde liegt, ermöglicht die religiöse Rechtfertigung des politischen Machtanspruchs.3 Martin Riesbrodt: Was ist „religiöser Fundamentalismus“? In: Clemens Six / Martin Riesbrodt / Siegfried Haas [Hg.] : Religiöser Fundamentalismus. Vom Kolonialismus zur Globalisierung. Innsbruck. Wien. München. Bozen. 2004. S. 19 2 Martin Riesbrodt: Was ist „religiöser Fundamentalismus“? In: Clemens Six / Martin Riesbrodt / Siegfried Haas [Hg.] : Religiöser Fundamentalismus. Vom Kolonialismus zur Globalisierung. Innsbruck. Wien. München. Bozen. 2004. S. 26/27 3 Vgl. Siegrid Faath: Islamismus in den Maghrebstaaten. In: Clemens Six / Martin Riesbrodt / Siegfried Haas [Hg.] : Religiöser Fundamentalismus. Vom Kolonialismus zur Globalisierung. Innsbruck. Wien. München. Bozen. 2004. S. 167 1 2 Für eine Politisierung der Religion ist der Islam besonders anfällig, da er den Anspruch stellt, alle Lebensbereiche des Menschen zu regeln, somit auch den politischen Aspekt. Einige Experten stellen den westlichen – v. a. den US-amerikanischen – Einfluss auf innere Strukturen in islamisch geprägten Regionen als Ursache für den Prozess der Politisierung der Religion in den Vordergrund. Der Versuch westliche Normen in einer völlig unterschiedlichen kulturellen Umgebung zu etablieren hat genau das Gegenteil vom erwarteten Ergebnis produziert. Um die Entwicklungen in eigenem Interesse zu lenken hat der Westen den großen, auch finanziellen Aufwand nicht gescheut. Gerade die islamistischen Bewegungen werden heute bekämpft, welche die USA während des Kalten Krieges als antikommunistische Absicherung mit Freude unterstützt haben.4 Es scheint, der Islamismus sei die einzig vorhandene Waffe gegen die skrupellosen, politisch-strategischen Interessen des Westens. Nach den Worten des Islamisten Fahmi Huwaidi: „Jedes Regime produziert die Opposition, die es verdient.“5 sind die islamisch-fundamentalistischen Bewegungen Kinder, die die USA mit ihren Aktivitäten im Osten groß gezogen haben. Ein solcher Zugang bekräftigt Huntingtons These des „Clash of Civilisations“. Die Unvereinbarkeit des Okzident und Orient liegt gegebenenfalls an den westlichen Interessen und dessen Dominanzwunsch im Osten und nicht umgekehrt. Anknüpfend darauf wird das Argument der Such nach kollektiver Identität im Islam relevant. Denn an Stelle des kommunistischen Dachs ist der Islam als das, die zentralasiatischen Völker vereinendes Element, getreten. Der radikalistische Ausbruch wäre als Kompensation für die Unterdrückung des Religiösen im Sowjetregime zu erklären.6 Die sozioökonomischen Erklärungsversuche wurzeln ebenfalls im Kommunismus. Die zentrale These geht davon aus, dass Armut, Arbeitslosigkeit und wirtschaftliche Unterentwicklung, welche fortdauernd als kommunistisches Erbe präsent sind, zur Entstehung extremistischer Bewegungen geführt haben. Die Tatsache, dass auch in entwickelten Systemen, islamistische Strömungen zum Alltag gehören, aber auch, dass deren Anwesenheit nicht allen unentwickelten Staaten zugeschrieben werden kann, lässt allerdings am Gewicht der wirtschaftlichen Begründung des Islamismus zweifeln. 4 Vgl. Albrecht Metzger: Die vielen Gesichter des Islamismus. In: Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament. 18.01.2002. B 3-4 / 2002. S. 7-15 5 Zitiert nach: Albrecht Metzger: Die vielen Gesichter des Islamismus. In: Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament. 18.01.2002.B 3-4 / 2002. S.11 6 Vgl.Vitaly V. Naumkin. Radical Islam in Central Asia. Between Pen and Rifle. Lanham: Rowman & Littlefield. 2005 3 Es ist offensichtlich, dass die Rückbesinnung auf die Religion und die Entstehung islamistischer Bewegungen mit den nationalen Krisen verbunden ist. In diesem Sinn sind weniger die wirtschaftlich-politischen als die kulturellen Tiefpunkte gemeint. „Die Angst vor einem Sinnverlust ruft schließlich nicht selten Gefühle extremer Feindschaft hervor“7. Die „Abtrünnigkeit“ und der „Sittenverfall“ der westlichen Gesellschaften aus der islamischen Sicht, führen dazu den Westen als kulturelle Bedrohung zu deklarieren. Das Symbol der vom Westen ausgehenden Bedrohung stellt in erster Linie die gegenwärtige Außenpolitik der USA dar. Automatisch steigen die Attraktivität einer islamistischen Interpretation der Weltpolitik und die Bereitschaft zur Verteidigung der eigenen religiös-kulturellen aber auch politischen Identität. Es ist allerdings nicht vorprogrammiert, dass diese Verteidigungsversuche im Ausmaß des 11. Septembers enden. Die Mehrheit der Muslime und sogar der Vertreter des politischen Islams verurteilen diesen Akt von Gewalt, besonders weil solche Handlungen nach dem Qur’an verboten sind. Den Prozess der „Entwestlichung“ versuchen islamistische Bewegungen auf unterschiedliche Weise zu vollziehen. Die friedliche und introvertierte Art wird von der militanten Minderheit in den Schatten gedrängt. Islamismus ist eine Bewegung mit vielen Facetten und dementsprechend unzähligen Einstellungen zur Gewaltanwendung. Alle diese Gruppierungen identifizieren sich selbst als die Vertreter des „wahren Islams“. Jedoch betonen Islamwissenschftler und –Gelehrte die Fehlinterpretation des Islams mancher dieser Bewegungen, primär im Bezug auf Gewalttaten. „Besonders müsse man unterscheiden zwischen aggressiven Islamisten“ wie z. B. der alQaida „und denjenigen, die Gewalt nur als Verteidigung beim Angriff von Feinden befürworten.“8 Der inzwischen in aller Welt aktuelle Begriff des „Jihadismus“ wird den als aggressiv oder gar terroristisch geltenden Islamisten zugeschrieben, oft auch als Selbstbezeichnung genutzt. Dieser Begriff wird als Rechtfertigung missbraucht, da dies die einzige Form, des im Islam erlaubten Kampfes ist. „Jihad“ kann als Kampf gegen Ungerechtigkeit und Unterdrückung, als Kampf um Verteidigung des Islams, oder als Kampf zur Errichtung einer gerechten Gesellschaft durch Predigt oder Waffengewalt gedeutet werden. 7 Dawud Gholamasad: Einige Thesen zum Islamismus als globaler Herausforderung. In: Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament. 18.01.2002.B 3-4 / 2002. S. 18 8 Albrecht Metzger: Die vielen Gesichter des Islamismus. In: Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament. 18.01.2002.B 3-4 / 2002. S. 8 4 „Islamisten deuten die Verbreitung westlicher Einflüsse als moderne Form des Kreuzzugs und erklären ihr den Jihad, um die Welt des Islam zu entwestlichen.“9 Was die radikalen Bewegungen außer Acht lassen sind die im Qur’an festgelegten Regeln zur Führung eines solchen, Gewalt einschließenden Kampfes. Daher gelten diese in der islamischen Welt im Allgemeinen als „verblendet“ und alles andere als vorbildlich. Denn „ […] it is true that there is nothing in Islam that justifies suicide attacks in the name of God.”10 Die Religion müsse ein integraler Bestandteil von Staat und Gesellschaft sein, damit ein islamisches Ordnungssystem funktioniert. Die wesentliche Frage ist doch warum der Westen (durch die USA repräsentiert) davon ausgeht, dass eine nichtsäkulare Gesellschaft nicht funktionieren kann und warum in diesem Zusammenhang das Aufzwingen westlicher, kultureller Normen gerechtfertigt sei, jedoch nicht umgekehrt?! Schon der Kolonialismus wurde als Versuch, die Säkularisierung den Muslimen aufzuzwingen, gedeutet. Die Säkularisierung bedeutet automatisch eine Schwächung der islamischen Gemeinschaft und das Recht auf Verteidigung. Es ist logischerweise zu erwarten, dass man gegen den Druck von Außen auch zu Gewalt greift um für die Freiheit der eigenen Kultur und Tradition zu kämpfen, zumal kein politisches Ziel oder Ordnung ohne jegliche Gewaltanwendung erreicht wurde. Die Errichtung eines islamischen Staates, nach iranischem Vorbild, stellt für den Westen ein größeres Problem dar, als die Vertreter dieser Ideologie als Terroristen zu beurteilen und zu bekämpfen. Al-Qaida ist aber nicht der „Prototyp“ einer islamisch-fundamentalistischen Bewegung, vielmehr stellt diese, eine Devianz zum „wahren Islam“ dar. Terroristische Akte werden in jüngster Zeit als schlicht islamisch maßgeschneidert. Die weltweiten Vorurteile gegenüber Muslimen und deren Gleichsetzung mit al-Qaida vergrößert die Kluft zwischen den Kulturen und nährt geradezu den Boden der fundamentalistischen Gruppierungen. Eminente Gemeinsamkeiten werden dabei eher unter den Teppich gekehrt, obwohl „ The Quran can `explain` Usama bin Ladin no more than the Bible can `explain` the IRA.“11 9 Bassam Tibi: Kreuzzug und Djihad : der Islam und die christliche Welt. München. 1999. S. 154 Vitaly V. Naumkin. Radical Islam in Central Asia. Between Pen and Rifle. Lanham: Rowman & Littlefield. 2005. S. 24 11 Zitiert nach: Vitaly V. Naumkin. Radical Islam in Central Asia. Between Pen and Rifle. Lanham: Rowman & Littlefield. 2005. S. 23 10 5 Gliederung → Einleitung : • Aktualität des Themas • Fragestellung → Definitorisches : • Fundamentalismus • Islamismus → Entstehungsgründe: • Rolle des Westens • Suche nach kollektiver Identität • sozioökonomische Erklärungsversuche • nationale Krisen → Einstellungen zur Gewaltanwendung → „Jihadismus“ → Schlussbemerkungen 6