01.10.24 - IDF Heidelberg

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Institut für Deutsch als Fremdsprache der Universität Heidelberg
Dozent: Dr. F. Heuer
Protokollantin: Carlota Soto de la Cruz
Grundkurs Einführung in die Literaturwissenschaft im Wintersemester 2001/02
Sitzungsprotokoll vom 24.10.2001
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Ansagen und Hinweise
Vereinbarung des Termins für die Tutoren
Vorschläge für mehr Werbung für die Filmabende
Einführung in die Beschreibung der Versmaße
1. Der Seminarleiter erklärte noch einmal, wie man ein Protokoll anfertigt. Die Protokollanten sollen
sich Notizen machen, worüber gerade in der Sitzung gesprochen wird, nämlich Stichwörter, Thesen,
Argumente und alle Informationen festhalten, die wichtig für den kurzen, informativ zusammenfassenden
Text.
2.
Allen Studenten des IDF stehen drei Bibliotheken zur Verfügung, nämlich die zentrale
Universitätsbibliothek (UB), die IDF-Bibliothek, die gemeinsam mit der vom Institut für Übersetzen und
Dolmetschen benutzt wird, und schließlich die Bibliothek des Germanistischen Seminars, bei der am
19.10.2001 eine Einführung in die Fachbibliothek für das wissenschaftliche Arbeiten im Bereich der
deutschen Sprache und Literatur stattfand.
3. Die nächste Bibliotheksführung findet am 26.10.01 statt, diesmal in der eigenen Bibliothek
des IDF (verbunden mit der des Instituts für Übersetzen und Dolmetschen, Treffpunkt um
16. Uhr im IDF- Kaffeeraum.
4. Die Termine für die beiden Tutorien von Margarita Boiadjiewa und Corinna Fonyódi wurden zeitlich
voneinander getrennt, neben Freitag von 16 – 18 Uhr wird Dienstag von 9 bis 11 Uhr festgelegt. Die
Teilnehmer werden um eine gleichmäßige Verteilung auf die beiden Termine gebeten.
5. Die von Herrn Gallo regelmäßig dienstags, ab 18.45 Uhr, IDF SR 010, angebotenen
Vorführungen auf Video gespeicherter Theaterinszenierungen ("Antigone" von Sophokles am
Dienstag, dem 23.10.01) werden zu wenig genutzt. Aus diesem Grund schlug der Kursleiter
vor, mehr Werbung zu machen oder den Beginn um eine halbe Stunde zu verschieben oder,
wenn es gewünscht wird, auch auf das Wochenende zu gehen. Um Meinungsbildung und Vorschläge
wird gebeten.
6. Der Seminarleiter macht auf die Phänomene, die die "Verslehre" beschreibt, anhand eines
Experiments aufmerksam. Er liest ein Gedicht von Clemens Brentano vor:
Hör, es klagt die Flöte wieder,
Und die kühlen Brunnen rauschen.
Golden wehn die Töne nieder,
Stille,stille, laß uns lauschen!
Holdes Bitten, mild Verlangen,
Wie es süß zum Herzen spricht!
Durch die Nacht, die mich umfangen,
Blickt zu mir der Töne Licht.
Diese acht Verszeilen aus dem IV. Auftritt des Singspiels „Die Lustigen Musikanten“, das
E.T.A. Hoffmann komponiert und 1805 in Warschau uraufgeführt hat, im Wechselgesang der
Musikantin Fabiola (Zeile 1-2, 5-6) und ihres blinden greisen Vaters (3-4, 7-8) vorgetragen,
werden von dem ersten Herausgeber Christian Brentano in zwei Strophen unterteilt und in dieser
Form durch eine Gedichtanthologie (Echtermeyer/von Wiese) verbreitet und als ein
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bewundernswürdiges Beispiel für Brentanos Lyrik bekannt. So bleibt der Eindruck lebendig.
Niemand schaut zur Tür oder zum Fenster, wenn er die erste Zeile hört. Und „golden wehn die
Töne nieder“ ebenso wie „blickt zu mir der Töne Licht“ verstehen wir aus dem Raum, den die
Stimme der Dichtung eröffnet, auch ohne das Bild jener Szene. Von Vers zu Vers hört man die
verschieden zusammenklingenden Töne, den sich wiederholenden besonderen Klang und die
harmonische Melodie, die das Gedicht zusammenhält. Die intensive Stimmung, der sich der
Lyriker überlässt, fasst er in Worte. Was ihm zufließt, ist die Lautgestalt: Rhythmus, Klang, eine
"Musik der Worte". Die Wirkung eines
Gedichts kann man zerstören, wenn man Wörter
auswechselt oder die Wortfolge ändert.
Wie sind die Menschen zu dieser allen gemeinsam gebliebenen Sensibilität für die regelmäßig
eingeprägten Verbindungen von Körperbewegung (Tanz), Lautung und Ton mit Worten,
Wortsinn und Bildern gekommen? Wir müssen uns im Versuch erinnernd in jenen Ursprung
zurückversetzen, in dem Menschen zu kultischer Feier versammelt, in zusammenstimmender
Bewegung der Glieder, der Stimmorgane, der Ausbildung und Koordination der Sinne den Tanz,
den versammelnden Tanzplatz entdecken, wie sie die Harmonie der Töne, in der Oktave den
reinen Zusammenklang der Stimme von Mann, Frau und Kindern anfänglich erfahren, wie sie
der Verbindung des gesprochenen Wortes mit dem gesungenen Ton und der bindenden Folge der
Wortsilben, Worte und Wortfolgen durch Zeitmaß und Nachdruck der im Tanz schwingenden
Körperbewegung inne werden. Wir sprechen von einem reinen Ton gegenüber dem Geräusch,
von reinen Intervallen. Jene ursprüngliche und anfängliche Bildung gemeinsamer, einigender und
zusammenstimmender Bewegung ist in der Einbildung des Gemeinsamen ein Werden
menschlicher Kultur als reinigende Bildung der Menschheit des Menschen, der Empfänglichkeit
des Menschen für sein Menschsein wie für eine Welt, als menschlicher Leib wie als menschliches
Vernehmen und Verstehen. Hier gründet die Aufmerksamkeit auf das, was die Griechen
Kátharsis nennen, eine ursprünglich kultische Reinigung, erst später als Läuterung der Seele
erfahren. Von hier aus werden wir herausgefordert, genauer zu fragen, was Mimesis: griech.
mímesis als bildende Bewegung empfänglich werdenden Erkennens bedeuten könnte. Was uns im
unmittelbaren Erkennen des Tons der Dichtung verbindet, ist solche Empfänglichkeit. So
verstehen wir auch immer noch unmittelbar und fraglos, was wir als Synästhesie (griech.
synaisthesis, Verschmelzung der Wahrnehmung verschiedener Sinnesorgane) golden wehn die
Töne oder der Töne Licht beschreiben,.
Wann werden Menschen aber darauf aufmerksam, in der verbindlichen Zusammensetzung
einzelner Bestandteile diese als solche und die hier eingeprägten Gesetze ihrer menschlichen
Kultur zu erkennen? Ein entscheidender Schritt ist die Erfindung der Schrift; in Japan, China,
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Ägypten ursprünglich Bilderschriften, Hieroglyphen = heilige, in Ton oder in Erz eingegrabene
Zeichen (graphein und glyphein sind mit graben etymologisch identisch, der Grammatiker ist der
dieser Zeichen kundige Gelehrte); bei den Griechen löst eine Lautschrift die mündliche
Überlieferung ab. Erfindungen der Menschen, die Geschichte machen und hinter die wir nicht
mehr zurückgehen können, bedingen, wie Jean-Jacques Rousseau uns belehrt hat, nie allein
Perfektion, sie bedingen ebenso eine Geschichte des Verlustes und der détérioration, der
Verschlimmerung des Menschen. Die Schrift entlastet das Gedächtnis, aber sie bildet es auch
zurück. Grammatiker müssen ihre Schüler das Lesen lehren, weil diese den Rhythmus, das
Metrum, die Musik, die die Texte zuvor zusätzlich zur Sinnfügung gesichert hatten, nicht mehr
im Gefühl und im Ohr haben. Jetzt werden die Menschen darauf aufmerksam, daß die metrischen
und lautlichen Regeln einer bindenden und verbindlichen Abfolge des Sprechens in ihren
Bestandteilen und Zusammenfügungen bezeichnet werden können. Mit diesen Bestandteilen und
deren Symbolen hat es die Verslehre zu tun. Die Symbole bezeichnen regelmäßige Zuordnungen
zeitlicher, lautlicher und gewichtend akzentuierender Elemente. Sie bieten Prothesen, zum
angemessenen Lesen von Texten in gebundener Sprache zurückzufinden.
Durch viele Jahrtausende wurden Texte durch Einbindung in Rhythmus und Klangkombinationen
festgehalten und weitergegeben. Ein Beispiel gibt auch das folgende uralte Rätsel von der Sonne
und der Schneeflocke:
Flog Vogel federlos
Flog auf Baum blattlos
Kam Frau (Mann) mundlos
Fraß Vogel federlos
Regel ist hier, dass von den vier gewichteten Teilen einer Verszeile mindestens einer in jeder
Halbzeile im Anlaut gleich ist. Der Stabreim nutzt die Alliteration. Dann hat die zur
Verständlichkeit des Rätsels, so wie sie lautet, aber einen Fehler. Setzen wir statt Frau aber
Mann, dann ist die Regel eingehalten. Das Rätsel, so schließen wir, muss also entstanden sein in
einer Zeit, als die Sonne noch wie bei allen mediterranen Völkern als Mann, Helios, Sol, auftrat.
Später, im kalten Norden, wäre sie zur freundlich mit Wärme umfangenden Frau geworden.
Mit einem anderen Experiment machten wir uns die Schwierigkeit deutlich, die das Lesen einer
Lautschrift mit sich bringt, wenn der einzelne Buchstabe, der neben den anderen gesetzt wird,
noch alle Aufmerksamkeit für sich beansprucht:
DASRECHTETUNDASLINKELASSENI
STOPPORTUNUNDLEICHTZUFASSEN
Wer hier die Reime heraushört, wird dann anders schreiben lernen, in Verszeilen gliedernd und
zuletzt die einzelnen Wörter abgrenzend:
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DASRECHTETUN
DASLINKELASSEN
ISTOPPORTUN
UNDLEICHTZUFASSEN
DAS RECHTE TUN
DAS LINKE LASSEN
IST OPPORTUN
UND LEICHT ZU FASSEN
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