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“Typisch Frau – Typisch Mann”, Teil 29:
Geschlechtshormone und Altern
Hormonersatzbehandlung bei Frauen und Männern – Jungbrunnen oder tödliches Risiko?
Seit Jahren lindern Ärzte Wechseljahresbeschwerden bei Frauen mit künstlichen
Hormongaben. Auch Männer unterziehen sich häufiger einer solchen Behandlung. Eine große
amerikanische Studie sollte Nutzen und Risiken an den Tag bringen. Die Ergebnisse waren
alarmierend.
In den Wechseljahren stellt der weibliche Körper die Produktion von Geschlechtshormonen
(Östrogen, Progesteron) weitgehend ein. Es erlischt nicht nur die Fruchtbarkeit, sondern
vielfach treten weitere Beschwerden auf: plötzliche Hitzegefühle mit Schweißausbrüchen und
roten Flecken auf der Haut. Nach der Hitzewallung friert man. Angstgefühle, Herzjagen,
Anschwellen der Gelenke, Schlaflosigkeit, starke Stimmungseinbrüche, Kopfschmerzen,
erhöhte Stressanfälligkeit.
Sind die Beschwerden stark und findet der Arzt einen starken Rückgang der Hormone im Blut,
verordnete er bisher meist ein Kombinationspräparat aus Östrogenen und Gestagenen, um den
Hormonmangel auszugleichen. Allerdings war diese Hormongabe schon immer umstritten.
Denn theoretisch könnte man mit starken Hormongaben das Klimakterium aufhalten, also die
fruchtbaren Jahre verlängern. Bekannt wurde der Fall einer Italienerin, die noch mit sechzig ein
Kind auf die Welt brachte, dank künstlicher Hormone. Kurz nach der Entbindung starb sie an
Krebs.
Zufall oder direkte Folge der verlängerten Jugend? Was sind die langfristigen
Nebenwirkungen? Darüber sollte eine große amerikanische Studie Aufschluß bringen. Die
“Women’s Health Initiative” organisierte eine Forschungsserie, an der 16 000 Frauen
teilnahmen, die an 40 Orten Kombinationspräparate aus Östrogen und Progestin einnahmen.
Sie sollte bis 2005 dauern. Jetzt wurde der Versuch abgebrochen, weil bereits die
Zwischenresultate schwere Gesundheitsrisiken für die Teilnehmerinnen enthüllten.
Dabei klang der Grundgedanke vernünftig. Bis etwa fünfzig erleben Frauen weitaus weniger
Herzinfarkte und Hirnschläge als Männer, weil das weibliche Geschlechtshormon sie schützt.
Würde man es über das fünfzigste Lebensjahr hinaus verabreichen, müßte das Risiko für
tödliche Kreislauferkrankungen weiterhin niedrig bleiben. Nun zeigte sich: genau das
Gegenteil ist der Fall. Das Risiko stieg um ein Drittel. Auch die Brustkrebsrate lag bei den
behandelten Frauen um ein gutes Viertel höher. Gesunken war lediglich die Zahl der
Knochenbrüche und die Rate an Dickdarmkrebs. Um die beteiligten Frauen nicht weiter zu
gefährden, beendeten die Forscher ihren Großversuch.
In den letzten Jahren haben sich Hormongaben zu einer Standardmethode der Medizin
entwickelt. Auch für Männer. Etwa jeder zehnte Mann leidet an einem starken Rückgang an
Testosteron, dem männlichen Geschlechtshormon. Das äußert sich ebenfalls in
Hitzewallungen, Motivationsverlust, Schwäche und anderen, bei Frauen längst bekannten
Wechseljahresbeschwerden. Schon lange befürchten Kritiker, die Gabe von Testosteron könne
nicht nur die Beschwerden lindern, sondern auch die Rate an Prostatakrebs erhöhen. Bisher gibt
es dazu keine eindeutigen Ergebnisse, da es bei Männern bisher aussagefähige Studien fehlt.
Das Problem: Insgeheim betrachten viele Hormongaben als Waffe gegen das Altern. Als ein
Mittel, die Jugend zu bewahren. Denn Testosteron schützt nicht nur vor Hitzewallungen und
Schlafstörungen – es macht vitaler, senkt das Körperfett, fördert den Muskelaufbau, strafft die
Haut. Daher kommt es als Jungbrunnen in der Anti-Aging-Medizin zum Einsatz. Ebenso
bewahren Östrogen und Gestagene bis zu einem gewissen Grade weibliche Jugendmerkmale.
Mit dem Rückgang der Hormone altern nicht nur beide Geschlechter. Sie werden einander auch
immer ähnlicher. Ob Stimmlage, Körperbehaarung oder Alterskrankheiten – das typisch
Männliche und Weibliche verschwindet nach und nach.
In unserer Zeit ausgeprägten Jugendkults erscheint Altern nicht mehr als natürlicher Ablauf,
sondern als eine Krankheit, der mit Schönheitsoperationen, Hormonen, Meditation und allerlei
Wundermittel zu Leibe gerückt werden muß. Jugendlichkeit um jeden Preis! Aber unsere
Zellen altern mit jeder Zellteilung. Hormone, die sie in jungen Jahren stimulieren,
beeinträchtigen später ihren empfindlichen Stoffwechsel. Deshalb ist der Rückgang der
Hormonproduktion ein weiser Selbstschutz des Körpers. Er produziert soviel, wie die Zellen
verkraften können. Ein Zuviel bringt das System aus dem Gleichgewicht. Krebs und andere
Alterskrankheiten nehmen nicht ab, sondern zu.
Aus diesem Grund stellen die Ergebnisse der US-Forscher nicht nur die Hormonersatztherapie
im Klimakterium in Frage. Es ist ratsam, alle künstlichen Mittel, mit denen die Jugend
verlängert werden soll, zu überprüfen. Es geht nicht nur um weitere Anti-Aging-Hormone wie
DHEA oder Wachstumshormon, sondern auch um so simple Dinge wie Vitaminpillen. Ein
Studie aus Oxford wies kürzlich nach, daß sie vollkommen nutzlos sind. Vitamine wirken nur
in Naturform, als Bestandteil von Obst, Gemüse und anderer Nahrung. In der Studie wurde 40
000 Personen teils Vitaminpräparate, teils Placebos ohne jeden Wirkstoff gegeben. Das
Resultat: Die Risiken für Infarkte, Krebs, Alterssenilität, Asthma und Knochenbrüche blieben
für beide Gruppen völlig gleich. “Vitaminpillen sind reine Geldverschwendung”, resümierte
der Leiter der Studie, Professor Roy Collins.
Die einzigen wirksamen Mittel für den Erhalt jugendlicher Spannkraft bleiben bis auf weiteres
die natürlichen Vitalitätsförderer: Bewegung, geistige Regsamkeit, pflanzenreiche Kost, ein
stressarmer Lebensstil.
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