Fehlalarm des Immunsystems oder alarmierende Augenkrankheit? Wenn das Auge entzündlich reagiert, ist nicht unbedingt eine Allergie im Spiel Allergische Reaktionen am Auge kommen sehr häufig vor. Allerdings verbirgt sich oftmals auch eine ganz andere Ursache hinter Augensymptomen, die doch für Allergien so typisch sind - z.B. für den weitverbreiteten Heuschnupfen. Die Gefahr, sich von solchen scheinbar eindeutigen Beweisen wie Jucken, Brennen, Tränenfluß, rote und geschwollene Augen auf die falsche Spur locken zu lassen, ist für die betroffenen Patienten ziemlich groß. In vielen Fällen steht ihnen ein beschwerlicher, langwieriger und zuweilen auch sehr teurer Irrweg bevor, etwa wenn sie “alternative Behandlungsmethoden” ausprobieren, statt sich mit ihren Augensymptomen gleich an ihren Augenarzt zu wenden. Ähnliche Veränderungen am Auge wie die durch Allergien hervorgerufenen entstehen nicht selten durch unkorrigierte oder unzureichend korrigierte Brechungsfehler, latentes Schielen, Benetzungsstörungen. Weit verhängnisvoller noch ist die Fehlinterpretation eines Hilferufs des Auges bei Krankheiten, die Sehnerv und Netzhaut bedrohen. Allein die eingehende augenärztliche Untersuchung kann solche Krankheiten mit Sicherheit ausschließen. Sie ist deshalb grundsätzlich erforderlich - auch wenn alle Anzeichen darauf hinweisen, daß es sich “nur” um eine Allergie handelt. Allergische Reaktionen am Auge Wenn unser Immunsystem in seinem Bemühen, den Körper vor Krankheitskeimen zu schützen, harmlose Stoffe für gefährlich hält, wird ein Fehlalarm ausgelöst, der Abwehrzellen aktiviert. Solche harmlosen Substanzen, die zu Allergenen werden können, liegen in der Luft und können sehr leicht mit dem Auge in Berührung kommen. Das sind z.B. Pollen, Milben, Haare und Hautschuppen unserer Haustiere. Ebenso können Industriestäube Allergien begünstigen, aber auch Substanzen einer Hautcreme, die ins Auge geraten, oder Kosmetika. Manche Kontaktlinsenträger provozieren Unverträglichkeit, indem sie Kontaktlinsenpflegemittel miteinander kombinieren, die nicht kompatibel sind. Konservierungsstoffe, die in einigen Linsenpflegesystemen enthalten sind und auch in Augentropfen, können allergische Reaktionen auslösen. Selbst Augenmedikamente kommen als Ursache in Frage, aber auch so “harmlose Hausmittel” wie das Kamillesäckchen, das zur Beruhigung der irritierten Lider aufs Auge gelegt wird. -2Allergie - 2 - In der Allergologie unterscheidet man vier verschiedene Typen von Überempfindlichkeitsreaktionen. Augen und Augenlider sind vor allem betroffen von Typ 1: Das Antigen (Allergen) reagiert mit spezifischen IgE Antikörpern (Frühtyp). Das klassische Krankheitsbild ist der Heuschnupfen (Quincke-Ödem der Lider, allergische Konjunktivitis). Typ 4: Die zelluläre Immunreaktion vom verzögerten Typ (Spättyp). Krankheitsbilder sind Kontaktallergien der Lider, Konkunktivitis, Blepharitis (Auslöser oftmals Nickel, Chrom) Die Einteilung der allergischen Reaktionen nach Ihrer Immunpathogenese ist nicht nur für die Diagnose und Differentialdiagnose äußerst wichtig, sondern auch für die bestmögliche Therapie. So werden die allergischen Reaktionen vom Typ 1 - wie z.B. Heuschnupfen - erfolgreich mit vasokonstriktorischen Mitteln, Cromoglycinsäure, lokal behandelt und systemisch mit Antihistaminika. Zur Behandlung der Reaktionen von Typ 4 (z.B. Kontaktekzeme) haben sich dagegen Kortikosteriode bewährt. Allergologie in der Augenheilkunde Im Berufsverband der Augenärzte hat sich bereits vor Jahren eine spezielle Arbeitsgruppe gebildet. Hier werden Forschungsergebnisse und Erfahrungen aus der Praxis gesammelt, es werden Provokationstests entwickelt und auf ihre Zuverlässigkeit hin überprüft. Augenärzten stehen engmaschige Untersuchungsmethoden zur Differantialdiagnose bei Allergieverdacht zur Verfügung und ebenso wirksame Therapien - den Allergie-Auslösern entsprechend. Da Allergien auch von seelischen Faktoren beeinflußt werden können, bezieht der Augenarzt im diagnostischen und therapeutischen Gespräch mit seinen Allergie-Patienten deren psychische Situation mit ein. -3Allergie - 3 - Allergie - die Krankheit unserer Zeit? Aus einer Umfrage des BKK Bundesverbandes bei Kinderärzten geht hervor, daß bereits jedes 5. Kind wegen einer Allergie behandelt wird. Zwar fehlen Vergleichszahlen aus früheren Generationen, aber auch ohne statistische Absicherung ist anzunehmen, daß Allergien heute weit häufiger vorkommen als etwa Anfang dieses Jahrhunderts. Neu ist diese Krankheit allerdings nicht. Schon vor etwa 2.500 Jahren hat der griechische Arzt Hippokrates Allergien beschrieben. Daß Rosen allergische Reaktionen am Auge auslösen können, wurde 1683 entdeckt, und die erste Beschreibung des Heuschnupfens stammt aus dem Jahr 1819. Die Forschung beschäftigt sich heute sehr intensiv mit der Frage, ob sich die Krankheiten des allergischen Formenkreises in jüngster Zeit vermehrt haben und ob Umweltbelastungen dazu beitragen. Erstaunlicherweise zeigen epidemiologische Daten zur Allergie, die 1990 in den neuen Bundesländern gesammelt wurden, daß in damals extrem belasteten Regionen (Bitterfeld) die Allergiehäufigkeit signifikant geringer war als in den alten Bundesländern. Bei der Suche nach einer Erklärung diskutiert man u.a. darüber, ob Autoabgase möglicherweise eher Allergien fördern als Luftverschmutzung durch Feuerungsanlagen. Es könnte auch sein, daß die Kinderkrippen der damaligen DDR für die Entwicklung des Immunsystems “gesünder” waren als die übertriebene Hygiene westlicher Kindergärten. Weniger Allergien sollen zudem bei Kindern vorkommen, die gegen Tuberkulose geimpft wurden. Und das geschah in den neuen Bundesländern sehr viel konsequenter als in den alten. Heute weiß man, daß unter einer Antigenstimulation durch den Tuberkulose-Impfstoff BCG antiallergische Immunfunktionen im frühen Kindesalter gestärkt werden. -4-4- Die Frage, ob die Veränderungen unserer Umwelt allein dafür verantwortlich sind, daß immer mehr Menschen unter Allergien leiden, läßt sich offensichtlich nicht eindeutig beantworten. Es sei denn, man wertet als Beweis eine Entwicklung, die im Hochland von Papua, Neuguinea, beobachtet wurde: Bis in die 70er Jahre unseres Jahrhunderts war Asthma dort unbekannt. Seither aber mehren sich die Atemwegsallergien drastisch - und zwar von dem Zeitpunkt an, als die bis dahin als Schlafstätten üblichen Hängematten gegen Betten am Boden ausgetauscht wurden, wodurch sich die Lebensbedingungen für Hausstaubmilben ganz wesentlich verbesserten. Prof. Dr. med. Uwe Gronemeyer Universitäts-Augenklinik In der Schornau 23-25 44892 Bochum Tel 0234/299-3101 Fax 0234/299-3109 Dr. med. Karl Alpers Blumenstraße 15 79183 Waldkirch Tel. 07681/7575 Fax 07681/8009