Tausendgüldenkraut Centaurium minus (Centaurium erythraea) Einleitung Bereits die Ärzte der Antike wie beispielsweise Hippokrates kannten diese Heilpflanze. Ihre Wertschätzung kommt auch in ihrem deutschen Namen zum Ausdruck, der aus „tausend Gulden wert“ abgeleitet ist. Der 1498 geborene Botaniker, Arzt und Theologe Bock spricht in seinem Kräuterbuch von einer Pflanze, dass sie „ist köstlich im Leib und auch äußerlich gut brauchen“. Im deutschen Sprachbereich ist das Tausendgüldenkraut auch unter zahlreichen anderen Namen bekannt, die teilweise auf die vielseitige Anwendung in der Volksmedizin hinweisen: Magenkraut, Fieberkraut, Apothekerkraut, Bitterkraut, Piferkraut, Gottesgnadenkraut, Erdgallenkraut, Roter Aurin. Den lateinischen Namen Centaurium minus (Centaurium erythraea) hat das Tausendgüldenkraut nach dem römischen Gelehrten Plinius von dem Zentaur Chiron, einem Fabelwesen der griechischen Mythologie, erhalten. Chiron hatte mit dem Kraut die Wunde, die ein auf seinen Fuß getroffener Pfeil verursacht hatte, geheilt. Später wurde der Name vom Lateinischen „centum“ (hundert) und „aureus“ (golden) abgeleitet, sodass es im Mittelalter auch als Hundertguldenkraut bekannt war. Als Arzneidroge verwendet man die getrockneten, oberirdischen Teile der blühenden Pflanze (Centaurii herba, Herba centaurii). Botanische Merkmale Das Tausendgüldenkraut gehört zur Familie Gentianaceae (Enziangewächse) und ist eine zweijährige, 5-50 cm hohe Pflanze mit aufrechtem, vierkantigem Stängel. Die kleinen Blüten mit zartrosa bis kirschroten, selten weißen Kronblättern stehen dicht zusammengedrängt in Scheindolden. Das Kraut blüht von Juli bis September. Die Pflanze ist in Europa bis nach Skandinavien, in Westasien und Nordafrika heimisch. Das Tausendgüldenkraut wächst meist in größeren Mengen auf Wiesen, Waldlichtungen und trockenen Hängen bis in etwa 1400 m Höhe. Frühere Anwendung in der Volksmedizin Wie bereits eingangs erwähnt, kam das Tausendgüldenkraut bereits im Altertum zur Anwendung. Hippokrates benutzte es bei Augenleiden, zur Wundbehandlung und zur Förderung der Verdauung und Menstruation. Im Mittelalter wird die Verwendung bei Schlangenbissen, Vergiftungen, Fieber, Erkältungen, Leber- und Nierenleiden, zur Blutreinigung und bei Hautkrankheiten beschrieben. Insbesondere als „Magenmittel“ hat die Droge ihre Bedeutung nie verloren. Inhaltsstoffe Die pharmakologisch besonders wirksamen Bestandteile des Tausendgüldenkrautes sind ihre Bitterstoffe. Die Bitterstoffe des Tausendgüldenkrautes sind teils identisch mit denen des Enzians (Gentiopikrosid), teils ihnen sehr nahestehend (Swertiamarin, Swerosid, Centapikrin). Daneben enthält die Pflanze Flavonoide, Xanthone, Triterpene und Phenolkar-bonsäurederivate wie Protocatechu-, Syringa-, Kaffee- und Ferulasäure sowie etwas etherisches Öl. Diese Stoffe stellen teilweise Polyphenole dar, die antioxidativ bzw. entzündungshemmend wirken. Pharmakologische Wirkung pflanzlicher Bitterstoffe Bitterstoffe sind nicht nur im Tausendgüldenkraut enthalten, sondern auch in anderen Heilpflanzen wie z.B. Enzian und Benediktenkraut. Diese Bitterstoffe bzw. Bitterstoffdrogen (Amara) wirken appetitanregend, indem sie sowohl direkt als auch reflektorisch zur einer verstärkten Sekretion von Speichel und Verdauungssäften führen. Die Erregung geht von den Geschmacksknospen des Zungengrundes aus und reizt den Nervus vagus, wodurch die Drüsenzellen der Magenschleimhaut zur verstärkten Produktion von Salzsäure und Pepsinogen veranlasst werden. Das Proenzym Pepsinogen ist die (inaktive) Vorstufe des eiweißspaltenden Pepsins. Erreichen die Bitterstoffe den Magen, wird in einer zweiten Phase das Hormon Gastrin freigesetzt, das ebenfalls sekretionssteigernd wirkt und die Magenmotorik sowie die Produktion von Gallen- und Pankreassaft anregt. Gleichzeitig wird durch die vermehrte Bildung von Salzsäure ein Säuregrad erreicht, der ein Aktivitätsoptimum für die Verdauungsenzyme ist. Insgesamt wird somit durch die Bitterstoffe der Appetit angeregt, die Entleerung des Magens nach der Speiseaufnahme beschleunigt und die Resorption von Nahrungsstoffen gefördert. Da die Wirkung von den Geschmacksnerven ausgeht, sollen Bitterstoffdrogen als Tee oder Tinktur eingenommen werden; Arzneiformen wie Kapseln oder Dragees würden die Wahrnehmung des bitteren Geschmacks verhindern. Phytotherapeutische Wirkung des Tausendgüldenkrautes Auf Grund seines Bitterstoffgehaltes wird die Heilpflanze heute insbesondere als magenanregendes bzw. verdauungsförderndes Mittel angewandt. Daneben kommt das auch entzündungshemmend und antipyretisch wirkende Kraut in der Volksmedizin bei der Wundbehandlung und zur Fiebersenkung sowie bei Wurmbefall zum Einsatz. Die magenstärkende und verdauungsfördernde Wirkung des Tausendgüldenkrautes hat sich vor allem bei funktionellen Störungen im Magen-Darmbereich bewährt. Diese unspezifischen Verdauungsstörungen werden als „dyspeptischer Symptomenkomplex“ bezeichnet. Unter diesem Begriff werden anhaltende oder immer wiederkehrende, subjektiv empfundene Beschwerden des oberen Verdauungstraktes zusammengefasst, die nicht auf organische Ursachen zurückzuführen sind. Dazu zählen Verdauungsstörungen wie frühzeitige Sättigung, Völlegefühl, Blähungen, Übelkeit, Erbrechen und krampfartige Oberbauchschmerzen sowie gestörter Stuhlgang. Derartige funktionelle Störungen haben in den letzten Jahren an Häufigkeit zugenommen. Die Ursachen liegen in der heutigen stressreichen, bewegungsarmen und von schlechten Ernährungsgewohnheiten bestimmten Lebensweise. Diese Faktoren begünstigen gleichzeitig organische Erkrankungen im Verdauungstrakt. Gemäß der Standardzulassung (St. Zul. 1319.99.99) als pflanzliches Magen- und Darmmittel werden die Anwendungsgebiete Appetitlosigkeit, Verdauungsbeschwerden sowie funktionelle Störungen des ableitenden Gallensystems beansprucht. Gegenanzeigen, sowie Neben- und Wechselwirkungen sind nicht bekannt, allerdings sollten die Droge und Auszüge daraus bei bestehenden Magen-/Darmgeschwüren wegen der sekretionssteigernden Wirkung nicht angewendet werden. Literatur K.Hiller, F.Melzig: Lexikon der Arzneipflanzen und Drogen, Spektrum Akademischer Verlag, Berlin 2003 V.Schulz, R.Hänsel: Rationale Phytotherapie, Springer Verlag, 2003 M. Wenigmann: Phytotherapie, Urban & Fischer Verlag, 1999 Verfasser: Prof. Dr. Hans-Joachim Walther, Freital Mai 2004