S C H W E R P U N K T | Soziokulturelle Animation Teilnahme ermöglichen, damit Teilhabe gelingt Soziokulturelle Animation – eine innovative Disziplin der Sozialen Arbeit Text: Marco Mettler Bilder: Luc-François Georgi Wo steht die Soziokulturelle Animation innerhalb der ­Sozialen Arbeit? Wie ist die relativ junge Disziplin entstanden, und welches ist ihr Bezug zur lateinischsprachigen Welt? Zwei Modelle veranschaulichen die Unterschiede zwischen der Animation, der Sozialarbeit und der Sozialpädagogik, zudem zeigen die theoretischen Bezüge der Soziokulturellen Animation auf, wie schwer fassbar dieser Beruf ist. In der Literatur sind unterschiedliche Ansichten darüber zu finden, ob Soziokulturelle Animation eine Disziplin der Sozialen Arbeit (vgl. dazu Hafen 2010, S. 158) oder eines ­i hrer Berufsfelder ist (vgl. dazu Keller/Schmocker 2015, Zu den Bildern Ufzgi & Tschutte Der Verein «Sportacademys – Förderverein Bildung und Sport Schweiz» bietet mit dem Projekt «Ufzgi & Tschutte» ein niederschwelliges Angebot für Kinder von der dritten bis zur sechsten Primarschulklasse an. Die Freizeitbeschäftigung ist kostenlos und kommt ohne Anmeldungspflicht aus. Als der aktuelle Geschäftsleiter Michele Salvatore selbst in diesem Alter war, vermisste er vergleichbare Angebote. Aus seiner persönlichen Erfahrung entwickelte er so gemeinsam mit einem Kollegen das Peer-to-Peer-Projekt, welches heute an diversen Standorten angeboten wird. Geleitet werden die örtlichen Projekte von mehreren Junior Coaches, die von SchülerInnen aus der Sekundarstufe gebildet werden. Diesen Peers stehen jeweils ein Standortleiter oder eine studierende Person mit einem pädagogischen, sportlichen oder sozialen Hintergrund unterstützend zur Seite. Die gemeinsame spielerische Bewegung – das Tschutte – wirkt dabei als Motivator für die anderen zwei Schwerpunkte Hausaufgaben und Leseförderung – die Ufzgi. Gleichzeitig wird der soziale Austausch unter den Kindern gefördert. www.sportacademys.ch / www.lucgeorgi.ch 10 SozialAktuell | Nr. 12_Dezember 2015 S. 365). Gemeinsam haben diese Überlegungen aber, dass der Begriff ­Soziokulturelle Animation in der Schweiz in Bezug auf die Soziale Arbeit gebräuchlich ist. Dies im Unterschied zu Deutschland, wo eine Zweiteilung der Sozialen Arbeit in Sozialarbeit und Sozialpädagogik benutzt wird. Die Soziokulturelle Animation ist aus unterschiedlichen Traditionen entstanden. Ihre Geschichte ist aber eng mit der gesamten Entwicklung der Sozialen Arbeit verknüpft (vgl. Wettstein 2010, S. 16). Bemerkenswert dabei ist, dass die Entstehung vor allem in den lateinischsprachigen Weltteilen vonstatten ging. Auch in der Schweiz hat die ­Soziokulturelle Animation ihre Wurzeln in der Romandie. Eine erste Ausbildung wurde bereits 1962 in Genf ins Le- Soziokulturelle Animation | S C H W E R P U N K T Zum Thema ben gerufen, ein Pendant in der Deutschschweiz folgte erst 13 Jahre später in Zürich. Heute sind die Grundsätze der Animation in beiden Landesteilen aber sehr ähnlich (vgl. Wandeler 2015, S. 380ff). Marco Mettler ist Soziokultureller Animator FH und Master of Arts in Sozialer Arbeit. Er leitet die Kinderund Jugendfachstelle Region Konolfingen und ist Lehrbeauftragter an der Berner Fachhochschule im Fachbereich Soziale ­A rbeit. Er ist Mitglied der Redaktionsgruppe SozialAktuell. Zur Unterscheidung der drei (Berufs-)Felder der Sozialen Arbeit Es gibt verschiedene Darstellungen, welche die Unterscheidung der drei (Berufs-)Felder der Sozialen Arbeit vereinfachen sollen. Wettstein (1999) hält diese in folgender Tabelle fest: Sozialarbeit Sozial­ pädagogik Soziokulturelle Animation Beziehungspunkt zum Zielpublikum Klient/in, ­K lientensystem Zu Erziehende/r Partner/in, Bürger/in Ausgangspunkt Soziale Probleme und sich daraus ergebende Defizite Sozialisations­ probleme und sich da­r aus ergebende Schwierigkeiten Sozialer Wandel und sich daraus ­e rgebende Bewältigungsaufgaben Hauptziel Defizitausgleich Lebensfähig ­m achen Partizipation, Selbst­o rganisation Liebe Leserinnen und Leser Ich freue mich, Ihnen wieder einmal ein Heft präsentieren zu können, das sich der Soziokulturellen Animation widmet. Wie sie anhand der Beiträge erkennen, ist es eine vielfältige Disziplin, die nur schwer fassbar ist. Besonders freut mich, dass einige Texte von Mitgliedern des Netzwerks Soziokultur in Bern geschrieben wurden. Es ist eine einzigartige (wenn auch nicht die einzige) Plattform für Fachpersonen. Die beteiligten Personen leben die Soziokulturelle Animation und arbeiten mit ihr in unterschiedlichsten Arbeitsgebieten. Somit wächst die Animation langsam, aber ­s icher aus dem Arbeitsgebiet der Jugendarbeit hinaus und setzt sich auch in anderen Feldern fest. Aus meiner Sicht kann dies der Sozialen Arbeit nur guttun, denn Partizipation von Zielgruppen und Einzelpersonen ist ein Grundwert unserer Arbeit, und die Soziokulturellen Animatorinnen und Animatoren haben diese Arbeitsweise im Blut. Dieses Heft gibt einen Einblick in die vielen Tätigkeitsfelder sowie Arbeitsformen – von der Alters- über die Netzwerkarbeit bis hin zu einem klassischen Betätigungsfeld der Animation: der offenen Jugendarbeit. Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre. Abbildung 1: Wettstein in: Moser, Müller, Wettstein und Willener, 1999, S. 38 An diese Darstellung knüpfen Voisard (2005) und Hafen (2010) an: Hafen verortet die drei Teildisziplinen der Sozialen Arbeit anhand des Paradigmas der Luhman’schen ­Systemtheorie. Soziokulturelle Animation wirkt in diesem Fall präventiv, indem sie soziale Probleme, hier vor allem Exklusionsprobleme, gar nicht entstehen lassen will. ­Sozialarbeit hingegen versucht die Inklusionsfähigkeit der Klientinnen und Klienten zu verbessern (vgl. Husi/Villiger 2012, S. 53). Vereinfacht lässt sich dies in der Darstellung von Voisard erkennen: Funktionssystem Soziale Arbeit Funktion Erhöhung der Inklusionschancen bzw. Beseitigung von Inklusionshemmnissen Operationsebene Beobachten der Klientel im Hinblick auf Limitierung der Inklusion Profession Soziokulturelle Animation Sozialpädagogik Sozialarbeit Teilfunktion Behandlung Prävention Tätigkeit idealtypisch Fördern Erziehen Beraten Handlungsfeld idealtypisch Freizeit-, Jugend-, Quartier-, Alterszentrum Heim, Wohn- und Therapiegemeinschaft Beratungsstelle, Institution, Firma Abbildung 2: Voisard 2005, S. 366 Theoretische Bezüge der Soziokulturellen Animation Der Beschreibungs- und Erklärungshintergrund der Soziokulturellen Animation basiert auf unterschiedlichen theoretischen Bezügen. Weiter beruft sich die Animation auch auf Theorien, die in verwandten Disziplinen der Sozialen Arbeit (z. B. Pädagogik) gebräuchlich sind. Diese Vielfalt macht es sowohl für Laien wie auch für Fachleute schwierig, verwandte Begriffe zu klären und die genutzten Theorien in einen Bezug zueinander zu stellen. Dies könnte nach Hafen (2010) ein Grund dafür sein, dass es für die ­Soziokulturelle Animation schwierig ist, ihr Tätigkeitsfeld klar zu definieren und sich von verwandten Disziplinen (u. a. Community Development, offene Jugendarbeit) abzugrenzen. Dies erschwert die Selbstdarstellung der ­Disziplin und ihrer Fachleute im erheblichen Mass (vgl. Hafen 2010, S. 158). Die Soziokulturelle Animation interveniert dort, wo Risse, Abspaltungen und/oder Ausgrenzung drohen. Sie spielt in diesen nicht immer klar definierbaren Zwischen­räumen eine unterstützende Rolle. Sie will Teilnahme an ­u nterschiedlichen Systemen ermöglichen, damit Teilhabe gelingen kann. Die Soziokulturelle Animation übernimmt aus meiner Sicht eine Grundfunktion der Sozialen Arbeit, wenn sie für den sozialen Zusammenhalt einsteht und die aktive Teilnahme am gesellschaftlichen Wandel fördert. Um dies zu tun, muss sie innovativ und mutig sein, ab und zu anecken, engagiert und teilweise parteiisch sein (vgl. Wandeler 2015, S. 380). Doch wo ist die Animation tätig? Die Animation bewegt sich in einem breiten Feld. Nach Spierts (1998) ist die Soziokulturelle Animation in vier Nr. 12_Dezember 2015 | SozialAktuell 11 S C H W E R P U N K T | Soziokulturelle Animation F­ okussierungsgebieten tätig: Erholung und Freizeit, Kunst und Kultur, Erziehung und Bildung sowie Gemeinwesenaufbau. Der aktuelle Kontext der gesellschaftlichen Wertschätzung legt fest, welches der vier Gebiete den Kern der Soziokulturellen Animation ausmacht. Dabei ist die politische, soziale und kulturelle Partizipation, welche auf breite Bevölkerungskreise ausgerichtet ist, immer Schwerpunkt der Tätigkeit (vgl. Spierts 1998: 75). Laut Moser, Müller, Wettstein und Willener (1999) erhält die Soziokulturelle Animation erst in Verbindung mit den von ihren Akteuren und Akteurinnen zu erfüllenden Aufgaben der Konzeption, Organisation und Mediation ihre Substanz. Zusammen mit der Animationsposition als Drehscheibenfunktion ergeben sich vier Interventions­ positionen, aus welchen die Handlungsrollen der Soziokulturellen Animation bestehen. Dabei stimmen Moser et al. mit Wandeler (siehe oben) überein, wenn sie mit dem Begriff Intervention ein kompetentes Dazwischentreten in einem soziokulturellen Geschehen meinen. Mit dem Intervenieren wird eine Veränderung in eine gewünschte Richtung angestrebt, wobei diese Veränderung unter Mitwirkung der Adressaten und Adressatinnen erfolgen soll. Die einzelnen Interventionspositionen sind auf die Gestaltung, die Aneignung und die Wiederaneignung des Alltagslebens ausgerichtet (vgl. Moser et al. 1999, S. 122ff). Wettstein (2010) beschreibt die Soziokulturelle Animation als einen schwer fassbaren Beruf, der kein klar definiertes Feld vorfindet. Das setzt starke Persönlichkeiten voraus, die ihre Linie auf nicht vorgezeichneten Wegen halten können. INSERAT 12 SozialAktuell | Nr. 12_Dezember 2015 Literatur Hafen, Martin (2010): Die Soziokulturelle Animation aus systemtheoretischer Sicht. In: Wandeler, Bernard (Hrsg.): Soziokulturelle Animation – Professionelles Handeln zur Förderung von Zivilgesellschaft, Partizipation und Kohäsion. Interact Verlag. Luzern. Husi, Gregor, und Villiger, Simone (2012): Sozialarbeit, Sozialpädagogik, Soziokulturelle Animation: Theoretische Reflexionen und Forschungsergebnisse zur Differenzierung ­S ozialer Arbeit. Interact Verlag. Luzern. Keller, Véréna, und Schmocker, Beat (2015): Zur Unterscheidung von Sozialarbeit, Sozial­ pädagogik und Soziokultureller Animation in der Schweiz. In: Riedi, Anna Maria; Meier Kressig, Marcel; Benz Bartoletta, Petra; Zwilling, Michael; Aebi Zindel, Doris (Hrsg.): Handbuch Sozialwesen Schweiz. Haupt Verlag. Bern. Moser, Heinz; Müller, Emanuel; Wettstein, Heinz; Willener, Alex (1999): Sozioku­lturelle Animation. Grundfragen, Grundlagen, Grundsätze. Verlag für Soziales und ­K ulturelles. ­L uzern. Spierts, Marcel (1998): Balancieren und Stimulieren. Methodisches Handeln in der Soziokulturellen Animation. Verlag für Soziales und Kulturelles. Luzern. Voisard, Michel (2005): Soziokulturelle Animation beobachtet. Ein systemischer Beitrag zur Freizeitpädagogik. Carl-Auer Verlag. Heidelberg. Wandeler, Bernard (2015): Der frankophone Bezug der soziokulturellen Animation. In: Riedi, Anna Maria; Meier Kressig, Marcel; Benz Bartoletta, Petra; Zwilling, Michael; Aebi Zindel, Doris (Hrsg.): Handbuch Sozialwesen Schweiz. Haupt Verlag. Bern. Wettstein, Heinz (2010): Hinweise zu Geschichte, Definitionen, Funktionen … In: Wandeler, Bernard (Hrsg.): Soziokulturelle Animation – Professionelles Handeln zur Förderung von Zivilgesellschaft, Partizipation und Kohäsion. Interact Verlag. Luzern.