Nur Text - Ruhr-Universität Bochum

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International Graduate School for Neuroscience (IGSN)
Mit Prinzip über den eigenen Tellerrand schauen
Ercan Altinsoy hat in Istanbul Maschinenbau studiert, Britta Jost in Freiburg Biologie
und Anna Abraham Psychologie in Indien und England, danach haben sie alle den
Weg nach Bochum gefunden, um an der International Graduate School for
Neuroscience (IGSN, Sprecher: Prof. Dr. Klaus-Peter Hoffmann) ihren Doktortitel
PhD in Neuroscience zu erwerben. Ihre Forschungsgebiete sind vielfältig – von der
gegenseitigen Beeinflussung auditiver und taktiler Reize über den Sitz des kreativen
Potenzials bis hin zu den Strukturen einzelner Rezeptoren in den Nervenzellen des
Gehirns: Die IGSN umfasst die Neurowissenschaften vom Molekül bis zur Kognition.
Insgesamt 29 Hochschullehrer aus den Fakultäten für Medizin, Chemie, Biologie,
Elektrotechnik und Psychologie sowie dem Institut für Neuroinformatik der RUB
arbeiten interdisziplinär zusammen und etablieren die Neurowissenschaften als
eigenes Fachgebiet. Dieser Ansatz hat an der Ruhr-Universität bereits Tradition: Zur
Vorgeschichte der 2001 gegründeten IGSN gehören eine interdisziplinäre
neurowissenschaftliche DFG-Forschergruppe (1990-1996), das kognitions- und
gehirnwissen schaftliche Graduiertenkolleg der DFG KOGNET (1991-2000), der seit
1996 bestehende neurowissenschaftliche Sonderforschungsbereich 509
NEUROVISION und das Institut für Neuroinformatik. Mit der Anerkennung der
Neurowissenschaften an der Ruhr-Universität als internationalem Center of
Excellence ist die IGSN Anziehungspunkt hoch begabter Bewerber aus dem In- und
Ausland. Damit will die IGSN die internationale Konkurrenzfähigkeit des Standorts
Bochum erhöhen und die Qualität des wissenschaftlichen Nachwuchses langfristig
sichern.
Zehn Stipendien werden jährlich an herausragende Absolventen medizinischer,
natur- und einiger ingenieurwissenschaftlicher Fächer vergeben, wenigstens ein
Drittel der Teilnehmer sollen aus dem Ausland stammen. Sie erforschen Fragen der
Genetik und Strukturanalyse einzelner Membranproteine bis hin zur Entwicklung und
funktionellen Charakterisierung des Neokortex, sie widmen sich der Modellbildung
und der technischen Umsetzung in der Neuroinformatik. Auf dem Programm steht
außerdem die Verknüpfung zwischen der neurowissenschaftlichen
Grundlagenforschung und relevanten klinischen Krankheitsbildern. Diese Breite
wissen die PhD-Studierenden zu schätzen: „Interdisziplinarität ist für die
Neurowissenschaft wichtig, Denkstrukturen müssen erweitert werden”, so die
Biologin Britta Jost. „Und es ist gut, in der IGSN Leuten zu begegnen, die auf
derselben Ebene arbeiten.“ Jeder ist Experte seines eigenen Fachgebiets, muss sich
jedoch in andere Bereiche erst einarbeiten; „dumme“ Fragen gibt es nicht. Tobias
Niemann
Weitere Informationen zur IGSN im Internet: http://www.rub.de/igsn
Sinneswahrnehmungen beeinflussen sich
Die Hände hören mit
Wenn wir mit geschlossenen Augen mit dem Finger über zwei unterschiedliche
Sandpapierstücke streichen, können wir sofort sagen, welches rauer ist. Wir haben
es mit der Fingerspitze ertastet – aber nicht nur: Wir haben auch das
unterschiedliche Geräusch wahrgenommen, das der Finger auf dem Papier
hervorgerufen hat. Nebensache? Informationen, die über verschiedene
Wahrnehmungskanäle kommen, zu integrieren, ist eine grundlegende Funktion
unseres Gehirns. „Wie genau das passiert und wie sich die Sinneswahrnehmungen
gegenseitig beeinflussen, ist nicht hinreichend erforscht. Das liegt u.a. daran, dass es
im Experiment bislang schwierig war, den einzelnen Sinnen voneinander
unabhängige Reize zu präsentieren“, erklärt Ercan Altinsoy, der am Institut für
Kommunikationsakustik die Interaktion von auditiver und taktiler Wahrnehmung
erforscht. Er bedient sich für seine psychophysischen Studien virtueller
Umgebungen. Dort entspringen die Reize nicht der physikalischen Realität, sondern
können künstlich generiert und unabhängig voneinander verändert werden.
Altinsoy nutzt ein Simulationssystem, mit dem man in physikalisch nicht existierende
Umgebungen hineinhören kann. Er hat es um eine taktile Komponente erweitert, die
Oberflächeninformationen, Ganzkörperschwingungen und das sog. force-feedback,
das wir z. B. beim Klopfen oder Schlagen empfinden, simulieren kann. Durch Tests
an Versuchspersonen hat er bereits herausgefunden, dass, auch wenn das System
immer dasselbe force-feedback gibt, der Nutzer den Eindruck hat, kräftiger
geschlagen zu haben, wenn er ein lauteres Geräusch dabei gehört hat. In anderen
Experimenten hat Altinsoy die Verzögerungstoleranz zwischen einzelnen Reizen
ermittelt: Wie lange dürfen Tastinformation und Geräusch auseinander liegen, damit
das Gehirn sie als zusammengehörig interpretiert? Empfängt die Hand die
Tastinformation nach dem Geräusch, dürfen nicht mehr als 26 Millisekunden
dazwischen vergehen, kommt hingegen das Geräusch verzögert, toleriert das Gehirn
bis zu 49 Millisekunden. Andere Schwellenwerte ergaben Experimente mit
Geräuschen und Ganzkörperschwingungen: Kommt das Geräusch zuerst, dürfen bis
zur Schwingung höchstens 35 Millisekunden vergehen, kommt die Schwingung
zuerst, darf das Geräusch nicht mehr als 39 Millisekunden später erklingen. Weitere
Tests sollen zeigen, welchen Einfluss die taktile Wahrnehmung auf die Lokalisation
von Schallquellen hat.
Die Experimente sollen helfen, ein besseres Verständnis der Integration von
akustischer und taktiler Information zu gewinnen und virtuelle Umgebungen
möglichst realistisch erfahrbar zu machen. md
Trigeminus-Nerv aktiv:
Life übertragen aus der Nervenbahn
Chemische Sinne spielen eine entscheidende Rolle im täglichen Leben der
Säugetiere und des Menschen. Dazu gehört neben Geruchs- und Geschmackssinn
auch der „trigeminale Sinn“. Diese Sinnessysteme vermitteln z.B. woraus sich die
Nahrung zusammen setzt. Schon vor der Aufnahme der Nahrung informieren vor
allem der Geruchs- und der trigeminale Sinn über ihre Genießbarkeit. Zudem ist der
Geruchssinn von besonderer Bedeutung bei der sozialen Kommunikation.
Säugetiere erkennen potenzielle Geschlechtspartner oder Feinde an ihrem
Körpergeruch. Der trigeminale Sinn schützt den Organismus vor schädlichen
Substanzen, indem er Sinneseindrücke wie juckend, stechend, brennend oder
beißend vermittelt. Dabei werden die chemischen Reize von freien
Nervenendigungen des 5. Hirnnervs (Nervus trigeminus) in den Schleimhäuten von
Mund und Nase und in den Geweben des Auges aufgenommen und in elektrische
Signale umgewandelt. Diese werden dann entlang der Nervenfasern über das
Ganglion trigeminale (Gasseri) in definierte Bereiche des Hirnstamms geleitet. Dort
bestehen Verbindungen zu weiteren Nervenzellen, die für die Datenverarbeitung
notwendig sind. Verschaltungen zwischen Nervenzellen im gesamten Nervensystem
bilden die Basis dafür, dass Informationen aus der Umwelt geordnet weitergeleitet
und verrechnet werden und schließlich zur bewussten Wahrnehmung führen können.
Erst die Kenntnis der funktionalen Verbindungen der Nervenzellen untereinander
lässt uns die Funktion einzelner Nervenzellen sowie die Arbeitsweise und
Informationsverarbeitung komplexer Strukturen des Gehirns verstehen. Moderne
Techniken ermöglichen es heute, die Aktivität von Nervenzellen unter natürlichen
Bedingungen zu beobachten, z.B. den Zusammenhang von Umweltreizen und
neuronalen Aktivitätsmustern einzelner Zellen und funktionaler Netzwerke.
Nils Damann untersucht in seiner Doktorarbeit am Lehrstuhl für Zellphysiologie die
Aktivität trigeminaler Nervenzellen und das funktionale Zusammenspiel von
Nervenzellgruppen im Ganglion trigeminale von Mäusen. Indem er über genetisch
veränderte Viren einen Calcium-empfindlichen Fluoreszenzfarbstoff in die
Nervenzellen einschleust, macht er die neuronale Aktivität dieser Zellen sichtbar. Mit
optischen (bildgebenden) Verfahren blickt er „life“ und in Echtzeit in den intakten
Gewebeverband.
Da sich das ausgewählte Virus innerhalb des Nervensystems spezifisch über
aktivitätsgekoppelte Nervenzellen ausbreitet (Neurotropie), vermittelt sein
Verbreitungsmuster im Gehirn die exakte Funktionskarte der an der
Informationsverarbeitung beteiligten Strukturen (s. Abb). Mit immunhistochemischen
und aktivitätsabbildenden Verfahren (Ca-Imaging) können die trigeminalen
Sinnesreize erstmals auf ihrem Erregungs- und Verarbeitungspfad durch das
Mäusegehirn verfolgt werden.
Bausteine elektrischer Synapsen suchen:
Methode im Griff
Erst in den letzten Jahren machen sie von sich reden, die elektrischen Synapsen
(Abb.1, A), auch Gap Junctions genannt: Es sind kleine Kanäle, die benachbarte
Zellen miteinander verbinden und sich aus speziellen Proteinen (Connexinen)
zusammensetzen. Elektrische Synapsen leiten Signale ohne Hilfe von Botenstoffen
(wie die chemischen Synapsen) und damit extrem schnell von Nervenzelle zu
Nervenzelle weiter. Sie verbinden Neurone untereinander zu ganzen Netzwerken.
Wenn es um komplizierte Wahrnehmungen geht, die unser Gehirn aus vielen
Detailinformationen aufbaut, scheinen sie eine wichtige Rolle zu spielen. Vermutlich
sind elektrische Synapsen mitverantwortlich für schnelle rhythmische Entladungen,
sog. Oszillationen, in der Hirnrinde und deren Weiterleitung über größere Distanzen
hinweg zu übergeordneten Neuronen.
Oszillationen kommen in unterschiedlichen Hirngebieten vor und werden mit höheren
Hirnfunktionen wie Gedächtnisbildung und Wahrnehmung in Verbindung gebracht.
Eine dieser Hirnregionen ist der Hippocampus, der an der Bildung des
Langzeitgedächtnisses beteiligt ist.
Svenja Weickert (Neuroanatomie und Molekulare Hirnforschung) ist den elektrischen
Synapsen im Hippocampus auf der Spur, indem sie nach ihren Bausteinen, den
Connexinen, sucht und diese analysiert. Bisher weiß man wenig über die Funktion,
molekulare Vielfalt und Konzentration dieser Proteine in den verschiedenen
Hirnarealen. Deshalb möchte die PhD-Studentin mit modernen
molekularbiologischen Methoden auf RNA-Ebene klären, welche Proteine dieser
Connexinfamilie an der elektrischen Kopplung im Hippocampus beteiligt sind und
welcher Zusammenhang zwischen der Häufigkeit ihres Auftretens und ihrer Funktion
besteht.
Da bisherige Techniken, mit denen Connexine in spezifischen Zellgruppen
untersucht wurden, zu widersprüchlichen Ergebnissen führten, setzt Svenja Weickert
in ihrer Arbeitsgruppe als eine der ersten in Deutschland die Lasermikrodissektion
(Laser Microbeam Microdissection, LMM) ein: Sie bringt dünne Gewebeschnitte auf
folienbeschichtete Objektträger auf und färbt sie zur besseren Orientierung an. Mit
einem Laser schneidet sie dann unter dem Mikroskop definierte Zellgruppen aus dem
Gewebe aus. Da das Gewebe auf der Folie und nicht direkt am Objektträger haftet
(s. Abb.1, B-E), können einzelne Schnitte gesammelt werden. Aus diesen Proben
wird die RNA isoliert und dann mit speziellen Techniken (reverser Transkription, RT,
und Polymerase Chain Reaction, PCR) in DNA umgesetzt und sehr spezifisch
untersucht. So lässt die Real Time RT-PCR-Technik Aussagen zur Konzentration
einer RNA in der Probe zu: ein Fluorenszenzfarbstoff macht den Reaktionsverlauf bei
dieser äußerst empfindlichen quantitativen Analyse messbar – die RNA-Menge kann
unmittelbar abgelesen werden.
Svenja Weikert hat mit der LMM-Methode inzwischen viel Erfahrung sammeln
können und bereits einige Vertreter der Connexinfamilie im Hippocampus
nachgewiesen. Sie wird diese Ergebnisse nun mit anderen elektrisch gekoppelten
Hirnregionen vergleichen. Schließlich will sie den Hippocampus zum Oszillieren
bringen, um anhand der Konzentrationsveränderungen der Connexine ihrer Funktion
auf die Spur zu kommen – die optimale Methode dafür hat sie schon im Griff!
Plastizität des erwachsenen und alternden Gehirns:
Zirkelspitzenpaare tasten
„Was Hänschen nicht lernt Hans (n)immer mehr“ – nicht zum ersten Mal scheint hier
wissenschaftliche Erkenntnis den Volksmund zu widerlegen: Wie aktuelle Ergebnisse
zeigen, sind Leistungssteigerung und Plastizität des Gehirns bis ins hohe Alter
möglich. Den Zusammenhang zwischen Verhaltensänderungen und deren
Auswirkungen auf dafür zuständige Hirnbereiche untersucht Patrick Ragert (Institut
für Neuroinformatik) in seiner Doktorarbeit an der IGSN. Indem er beobachtet, wie
sich bei veränderter Tastwahrnehmung (Perzeption) zugleich Bereiche des Gehirns
umstrukturieren, erfährt er mehr über die physiologischen Mechanismen des
„perzeptuellen Lernens“.
Seine Arbeiten konzentrieren sich auf zwei Bereiche. Im Mittelpunkt stehen die
Auswirkungen eines passiven künstlichen Trainings auf kortikaler und
Verhaltensebene. Dies erfolgt mithilfe simultaner Reizmuster unter genau definierten
Bedingungen und in drei Trainingsschritten: Zunächst lernen Testpersonen
vorgegebene Tastreize zu unterscheiden, indem sie mit dem Finger acht
Zirkelspitzenpaare auf einer sich drehenden Scheibe ertasten müssen („aktives
Lernen“). Daran schließt sich das „künstliche Training“ an, bei dem die rezeptiven
Felder für das Tasten der Zirkelspitzenpaare an den Fingerspitzen der Testpersonen
mit genau definierten Reizen stimuliert werden. Im dritten Schritt wird das „aktive
Lernen“ wiederholt. Dabei zeigte sich, dass der Tastsinn durch „künstliches Training“
verbessert werden kann - die Testpersonen ertasten wesentlich mehr
Zirkelspitzenpaare als beim ersten „aktiven Lernen“. Patrick Ragert stellte außerdem
einen linearen Zusammenhang zwischen verbessertem Tastsinn und
Umstrukturierungen der dafür zuständigen Hirnareale fest (s. Abb., SI und SII).
Neben den peripheren Reizen an den Fingerspitzen stimuliert er auch direkt die
Hirnregionen, in denen die Reize der Fingerspitze verarbeitet werden. Er nutzt dafür
die repetitive transcranielle Magnetstimulation (rTMS), bei der sich mithilfe eines
Magnetfeldes die Aktivität in bestimmten Hirnregionen kurzzeitig verändern lässt. Die
funktionellen Änderungen im Gehirn erfasst er kernspintomografisch und mit einer
speziellen Hirnstrommessung (SEP-mapping).
Im zweiten Teil seiner Arbeiten erforscht Ragert, wie sich aktives Training im
Vergleich zu fehlendem Training auf das Alltagsleben und die Reorganisation des
Gehirns auswirken. Für diese Untersuchungen wählt er drei repräsentative
Personengruppen aus: Menschen mit künstlerischen Fähigkeiten (z.B. professionelle
Musiker), Patienten mit pathologischen Symptomen (z.B. Schmerz) sowie ältere
Menschen. Bei Musikern lässt sich aufgrund ihres enormen Trainings spezifischer
musikalischer Fähigkeiten die kortikale Plastizität besonders gut studieren. Patienten
mit pathologischen Symptomen wie etwa Schmerzen zeigen infolge fehlenden
Trainings durch Nichtgebrauch der betroffenen Extremität häufig erhebliche
Reorganisationen im Gehirn.
Mithilfe bildgebender Verfahren wie der Kernspintomografie weist er nach, dass
Alterungsprozesse deutliche funktionelle Veränderungen im menschlichen Gehirn
verursachen. Er will nun herausfinden, ob diese Prozesse in einem Zusammenhang
mit eingeschränkten motorischen, sensorischen sowie kognitiven Fähigkeiten stehen.
Wo die Geistesblitze herkommen
Maler, Werber, Musiker, Schriftsteller – sie alle leben von ihren guten Ideen: Ihr
Kapital ist ihre Kreativität. Der präfrontale Kortex im vordersten Bereich des Gehirns
hinter der Stirn ist wahrscheinlich Hauptsitz dieser schöpferischen Kraft. Welche
kognitiven Vorgänge jedoch genau an den komplexen kreativen Prozessen beteiligt
sind und wie sie in dieser Hirnregion auf unterschiedliche Art und Weise verarbeitet
werden, ist bisher nicht bekannt. Um diese Fragen zu ergründen, vergleicht Anna
Abraham (Biopsychologie) kreative Leistungen von gesunden Probanden mit denen
von Patienten mit krankhaften Veränderungen des präfrontalen Kortex, wie sie etwa
bei Schizophrenie auftreten. Durch Unterschiede zwischen diesen beiden Gruppen
hofft sie, auf Funktionen dieser Hirnregion rückschließen zu können. Ihre Hypothese:
Die Patienten werden die Kontrollgruppe in einigen kreativen Denkprozessen
übertreffen.
Denn manche gesunden Abläufe in unserem Denken können bei kreativen Aufgaben
eher hinderlich sein. So beziehen wir in die Verarbeitung neuer Informationen immer
unsere Erfahrungen und Erwartungen mit ein (top-down processing). Bei
schizophrenen Patienten deutet hingegen einiges darauf hin, dass diese
Einbeziehung von Vorwissen in kognitive Prozesse bei ihnen vermindert ist –
Aufgaben, bei denen es von Vorteil ist, frei von Erfahrungen und Erwartungen zu
sein, müssten sie also besser lösen können als gesunde Testpersonen. Diesen
Effekt soll ein Experiment belegen: Beide Gruppen sollen ein Tier zeichnen, das auf
einem fernen Planeten vorkommen könnte, der vollkommen anders ist als die Erde –
eine schwierige Aufgabe, wenn das irdische Vorwissen dabei im Weg steht. Eine
solche Begriffserweiterung ist jedoch immer dann notwendig, wenn wir neue Ideen
entwickeln. Vorangehende Untersuchungen an gesunden Probanden haben bereits
gezeigt, dass Menschen mit stärkeren psychotischen Zügen besser in der Lage sind,
ihre Begriffskonzepte zu erweitern (s. auch Bild links im Vergleich zu Bild, rechts
oben) als Menschen mit schwächer ausgeprägten psychotischen Merkmalen. Md
Vorkommen und Funktion klären:
Rezeptor der „Extraklasse“
Einem noch wenig erforschten Rezeptor des zentralen Nervensystems ist Britta Jost
(Entwicklungsneurobiologie) auf der Spur: Der sog. GABAC-Rezeptor ist einer von
dreien, die für g-Aminobuttersäure (GABA) empfänglich sind. GABA ist der wichtigste
hemmende Botenstoff im Nervensystem von Wirbeltieren. Durch das Zusammenspiel
zwischen hemmenden und erregenden Botenstoffen wie z. B. Glutamat wird die
Nervenzellaktivität im Gehirn reguliert: Trifft GABA auf einen für diesen Botenstoff
empfänglichen Rezeptor, so öffnen sich Kanäle, die bestimmte Ionen in die Zelle
hineinlassen und so das elektrische Potenzial im Zellinneren herabsetzen. Von
diesem Potenzial hängt die Aktivität der Zelle und die Weiterleitung der neuronalen
Signalen ab.
Während die beiden Rezeptortypen GABAA und GABAB schon seit längerem
bekannt sind, entdeckten Wissenschaftler GABAC erst vor einigen Jahren. Dieser
Rezeptor unterscheidet sich in der Zusammensetzung seiner Untereinheiten und der
daraus resultierenden Empfänglichkeit für verschiedene Botenstoffe so sehr von den
anderen beiden GABA-Rezeptoren, dass die Forscher ihm eine eigene
Rezeptorklasse zuwiesen. Wo GABAC genau vorkommt, in welchem
Entwicklungsstadium eines Organismus er vorhanden (exprimiert) ist und welche
Aufgaben er hat, untersucht Britta Jost in ihrer Dissertation.
GABAC kommt gehäuft in der Netzhaut und in visuellen Arealen des Gehirns vor, z.
B. im Colliculus superior, einer Hirnregion, die an den Koordinationsbewegungen der
Augen beteiligt ist. Auch in der Sehrinde lässt sich der Rezeptor nachweisen. Man
nimmt daher an, dass GABAC eine Rolle beim Sehprozess spielen könnte. Um
herauszufinden, ob der Rezeptor von Geburt an im Gehirn vorhanden ist oder sich
erst später etabliert, ob seine Entstehung womöglich durch das Sehen selbst
beeinflusst wird, untersucht Britta Jost diverse Gewebeproben aus visuellen
Hirnarealen. Mittels molekularbiologischer Techniken kann sie darin enthaltene
Rezeptor-DNA für GABAC nachweisen, deren Gehalt in den einzelnen Proben
ermitteln und so ein Entwicklungsprofil erstellen.
Um zu testen, welche äußeren Faktoren die Entwicklung dieses Rezeptors
beeinflussen, legt sie organotypische Zellkulturen von entsprechenden Hirnarealen
an und fügt der Nährlösung, die sie versorgt, bestimmte Faktoren zu, die als
potenziell einflussreiche Kandidaten infrage kommen. Dieses Kultursystem birgt den
Vorteil, dass Neurone nicht einzeln, sondern in ihrem ursprünglichen Verband
wachsen können, was eher dem natürlichen Zustand entspricht.
Ob eine Zelle den GABAC-Rezeptor enthält, kann sie anhand elektrophysiologischer
Messungen nachweisen: Sie stimuliert einzelne Neurone einer organotypischen
Zellkultur mit GABA und leitet über eine sog. patch-clamp-Messung den Strom aus
dem Zellinneren ab. Dieser durch GABA induzierte Strom setzt sich aus mehreren
Komponenten zusammen. Er kann von GABAA-, GABAB- und GABAC-Rezeptoren
vermittelt werden. Um zu untersuchen ob GABAC-Rezeptoren beteiligt sind, werden
spezifische Stoffe, welche die GABAA- und GABAB-Rezeptoren blockieren,
verabreicht. Bleibt ein Reststrom, so handelt es sich um den GABAC-vermittelten
Anteil, der durch Gabe eines GABAC-Antagonisten eliminiert werden kann.
Außerdem versucht Britta Jost mit morphologischen Untersuchungen
herauszufinden, wo genau sich die GABAC-Rezeptoren befinden. Die Forscher
vermuten, dass sie auf sog. Interneuronen sitzen, d. h. Nervenzellen, die andere
Nervenzellen miteinander verbinden. Mithilfe ihrer Daten soll eine Übersicht über das
Vorkommen von GABAC entstehen. Außerdem versprechen ihre Ergebnisse
genauere Einblicke in die Funktion dieser Rezeptoren im neuralen Netzwerk des
Colliculus superior. md
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