Bioethik - im Streit der Kulturen? (erschienen in Rheinpfalz, 13.7.04, unter dem Titel "Bioethik geht alle Völker an") Die Entwicklung der humanmedizinischen Biotechnologie hat den Menschen direkter als alle bisherige Naturwissenschaft und Technologie mit der Frage konfrontiert ist, wie er mit sich selbst umzugehen bereit ist. Es ist die Grundsätzlichkeit dieser Frage, die zu einer heftigen Debatte geführt hat, wo den mit den neuen Technologien gegebenen manipulativen Möglichkeiten eine Grenze zu setzen ist. Da die Chancen, die sie versprechen, nicht nur mit Risiken verbunden sind, sondern möglicherweise auf Kosten Dritter gehen, nämlich "vernutzter" Embryonen, ist ein dringender Bedarf an moralischer Beurteilung und rechtlicher Regelung entstanden. Ob und wie ein solches Urteil und eine solche Regelung angesichts des modernen Meinungspluralismus aber überhaupt möglich sind, ist höchst umstritten. Franz Josef Wetz hat in dieser Serie für die Weltanschauungsfreiheit" plädiert, die von einem liberalen Staat mit offener Gesellschaft zu garantieren ist. Die Lösung bioethisch strittiger Fragen wäre dann demokratisch auszuhandeln, nicht anders als andere Konflikte zwischen persönlichen Präferenzen, mit dem pragmatischen Ziel, sich "irgendwie zu arrangieren". Ernst Benda wiederum hat an den Schutz der Menschenwürde als das "oberste und unabänderliche Prinzip unserer Verfassungsordnung" erinnert, zugleich aber mit Hubert Markl von der "Deutungshoheit des kulturabhängigen Gesetzgebers" gesprochen. In beiden Fällen wäre die Bioethik einem mehr oder weniger starken Relativismus überantwortet, einmal auf der Ebene der individuellen Wertvorstellungen , einmal zumindest auf der Ebene der Verfassungskulturen. Nun haben allerdings die vor kurzem spektakulär in Szene gesetzten koreanischen Klonierungs-Experimente mit allem Nachdruck deutlich gemacht, daß wir nicht vor einem Problem einzelner Gesellschaften und schon gar nicht vor einem internen Problem Deutschlands stehen. Die Biotechnologie ist vielmehr längst zu einem globalen wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Faktor geworden. Insbesondere in den asiatischen Anrainerstaaten des pazifischen und des indischen Ozeans sind beträchtliche biotechnologische Kapazitäten entstanden, darunter modernste Forschungszentren, die mit finanziellen Anreizen und liberalen Rahmenbedingungen in aller Welt um Partner werben. Westliche pharmakologische global players und Universitäten sind über joint ventures, Handelsbeziehungen und Forschungskooperationen zunehmend mit asiatischen Institutionen und Firmen verbändelt. Ein Gefälle an öffentlicher Sensibilität und gesetzlicher Regulierung begünstigt diesen Trend. Die Zusammenarbeit betrifft z. B. auch Medikamententests an Patienten, die in den Heimatländern der betreffenden Konzerne nur schwer möglich wären. Wessen "Werte" gelten in dieser Konstellation? Kann man sich damit zufriedengeben, die Subjektivität der Wertvorstellungen und die Kulturabhängigkeit der Verfassungen zu konstatieren? Zumindest muß man sich darüber im klaren sein, daß es dann keine Grenze gibt, die dem medizinisch-technologischen Fortschritt noch gezogen werden könnte. Insbesondere der internationale Raum, in dem sich dieser Fortschritt vollzieht, bliebe über "Arrangements" hinaus ethisch und rechtlich dem Zufall überantwortet. Denn es wäre dann beispielsweise legitim - wie es tatsächlich geschieht -, sich für die Eugenik, die verschiedenen Formen des Klonens oder die Herstellung von Mensch-Tier-Hybriden ungeprüft auf kulturelle Besonderheiten zu berufen. Da die Bioethik aber nicht nur der Internationalisierung des technisch-wissenschaftlichen Komplexes Rechnung zu tragen hat, sondern auch an Fragen rührt, die die Zukunft der Menschheit als solcher betreffen, würde ein solcher Relativismus auf ihre Abdankung hinauslaufen. Soll aber der Globalisierung der Biotechnologie eine Globalisierung der Ethik nachwachsen, so muß der Kreis westlicher Wertvorstellungen überschritten werden. Fraglos kompliziert dieser Schritt die Aufgaben der Bioethik; es gibt aber zu ihm keine Alternative, und er muß keineswegs ein zusätzlicher Schritt ins Bodenlose sein. Denn nicht nur die abendländischen Traditionen verfügen über die Substanz, eine Ethik zu entwickeln, die den heutigen Aufgaben standhält, und nicht nur die "fremden" lassen sich für Rechtfertigungszwecke funktionalisieren. Wohin der globale Diskurs führt, hängt entscheidend davon ab, was man in ihn investiert, angefangen bei fundierten kulturwissenschaftlichen Kenntnissen bis hin zu einer philosophischen Ethik, die die Idee universaler Normen nicht preisgibt. Die eigentliche Herausforderung für die Bioethik geht von der Verselbständigung des sich überall ausbreitenden technisch-instrumentellen Machbarkeitsdenkens aus, nicht von der Vielzahl der Stimmen derer, die sich mit ihm auseinandersetzen. Heiner Roetz Ruhr-Universität Bochum Sprecher der DFG-Forschergruppe "Kulturübergreifende Bioethik"