Auswirkungen des "Anschlusses" auf die österreichische

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Ilsemarie Walter
Auswirkungen des “Anschlusses” auf die österreichische Krankenpflege
1. Einführung
Historische Pflegeforschung hat in Österreich noch keine lange Tradition. So ist über die spezifische Entwicklung, die der Krankenpflegeberuf unter den Bedingungen der
Österreichisch-Ungarischen Monarchie, der Ersten Republik und des Austrofaschismus
genommen hat, noch verhältnismäßig wenig bekannt. Um so mehr gilt dies für die Zeit des
Nationalsozialismus, die oft mit der Feststellung, man habe 1945 dort fortgesetzt, wo man
1938 aufgehört habe, ausgeblendet wird. In Deutschland hingegen wurde bereits zu Beginn
der 80er Jahre, vor allem durch die Initiative von Hilde Steppe, mit der Aufarbeitung dieses
Stücks Pflegegeschichte begonnen.
Für ein einzelnes österreichisches Krankenhaus, das Rudolfinerhaus in Wien, hat Elisabeth
Seidl eine Darstellung der Situation der Pflege in den Jahren 1938 bis 1945 veröffentlicht.1 In
verschiedenen anderen Arbeiten, die sich mit diesem Zeitraum beschäftigen, sich jedoch nicht
primär auf die Krankenpflege beziehen, sind Bruchstücke über die Geschichte der österreichischen Pflege zu finden; eine zusammenfassende Darstellung existiert jedoch bis jetzt nicht.
Die diffizile Quellenlage - ein beträchtlicher Teil des Materials dürfte gezielt vernichtet
worden sein oder ist durch die Kriegsereignisse verlorengegangen - wird noch dadurch
erschwert, daß manche Organisationen zentral verwaltet wurden und ihre Akten über deutsche
Archive zerstreut sind. Viele Institutionen, auch Krankenhäuser oder Krankenpflegeschulen,
hatten ihre Bezeichnung gewechselt. Eine Kenntnis der damaligen Strukturen der Pflege ist
jedoch Voraussetzung dafür, daß auf lokaler Ebene weitergeforscht werden kann.
Es versteht sich von selbst, daß die Geschichte zur Zeit des Nationalsozialismus ein besonders
heikles Thema für die Pflege darstellt. Die Frage nach einer Beteiligung der Pflege an Euthanasie, aber auch an Zwangssterilisationen und -abtreibungen kann nicht umgangen werden.
Ebenso muß gefragt werden, wieweit Pflegende durch ihre Tätigkeit zur Aufrechterhaltung
des Systems beigetragen oder wieweit sie Widerstand geleistet haben.
Es kann nicht Ziel dieses Beitrags sein, diese Fragen zu beantworten. Es wird keine abgeschlossene Arbeit präsentiert, sondern es handelt sich um Teilergebnisse eines langfristigen
Projekts, das an der Abteilung Pflegeforschung des Instituts für Pflege- und Gesundheitssystemforschung der Universität Linz durchgeführt wird und die Geschichte der österreichischen
Krankenpflege im 19. und 20. Jahrhundert zum Thema hat. Der Schwerpunkt liegt dabei auf
dem Gebiet Wien, auf der Pflege im Krankenhaus und auf der Allgemeinen Krankenpflege
(im Unterschied zu Psychiatrischer Pflege oder Kinderkrankenpflege), wobei letztere
notwendigerweise auch die Konzentration auf Pflegepersonen weiblichen Geschlechts
beinhaltet. Trotz dieser Beschränkungen wird die Aufarbeitung des Materials noch lange Zeit
in Anspruch nehmen. Die Zielsetzung dieses Beitrags ist darauf ausgerichtet, Strukturen und
Abkürzungen: ÖstA/AdR-Österreichisches Staatsarchiv, Abt. Archiv der Republik, BmfsV-Bundesministerium für soziale Verwaltung,
DÖW-Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands.
1 Elisabeth SEIDL, “DRK-Billrothschwesternschaft” im Nationalsozialismus. Das Rudolfinerhaus in Wien aus zeitgeschichtlicher
Perspektive. In: Elisabeth SEIDL und Ilsemarie WALTER (Hrsg.), Rückblick für die Zukunft. Beiträge zur historischen Pflegeforschung
(Wien 1998) 143-168.
1
Rahmenbedingungen aufzuzeigen, die nach dem “Anschluß” Österreichs im März 1938 für
die österreichische Pflege geschaffen wurden und innerhalb derer in den darauffolgenden
Jahren Pflegende tätig waren. Damit soll eine - wenn auch noch lückenhafte - Grundlage für
weitere Arbeiten zu diesem Thema geschaffen werden.
Als Quellen für diesen Beitrag dienten Akten aus dem Österreichischen Staatsarchiv, amtliche
Veröffentlichungen aus der Zeit zwischen 1938 und 1945 und Sekundärliteratur.
2. Die Ausbildung zur Krankenpflege
Seit 1936 war in Deutschland die Erhöhung der Zahl der Krankenschwestern Bestandteil eines
auf die Kriegsvorbereitung ausgerichteten Vierjahresplanes. Die geforderten Zahlen konnten
jedoch bei weitem nicht erreicht werden. Eine Ursache lag in der Tatsache, daß die Gründung
neuer Krankenpflegeschulen und die Ausweitung der bestehenden aus verschiedenen Gründen
bei den Krankenhausträgern auf Widerstand stieß.2 Außerdem war die Verweildauer im Beruf
sehr niedrig und der durch den Ersten Weltkrieg bedingte Geburtenrückgang wirkte sich aus.
Von daher ist zu verstehen, daß nach dem März 1938 den Nationalsozialisten die Gründung
solcher Schulen in Österreich ein Anliegen war. So begründet auch der Leiter des Hauptamts
für Volkswohlfahrt in einem Schreiben vom 30. 6. 1938 an den Leiter des Wiener
Gesundheitsamtes die Notwendigkeit der Errichtung solcher Schulen in Österreich mit einem
geschätzten Mangel an über 70.000 Krankenschwestern.3 Ein von der “Dienststelle Ostmark”
der NSDAP in der Art eines Memorandums erstelltes Papier vom 22. Oktober 1938, das die
Gründe für eine sofortige Ausdehnung des im Deutschen Reich am 28. September des
gleichen Jahres erlassenen Gesetzes zur Ordnung der Krankenpflege auf “die Ostmark
(Österreich)” in zwölf Punkten darlegt, enthält ebenfalls den Punkt “dringend notwendige
Erhöhung des Schwesternbestandes durch Ausbau und Errichtung von Krankenpflegeschulen
an allen dazu geeigneten Anstalten”4.
Als Voraussetzungen zur Realisierung dieses Plans werden in dem oben genannten Schreiben
neben finanziellen Mitteln die Eingliederung der weltlichen Schwestern in die drei in
Deutschland bestehenden Schwesternorganisationen und die Besetzung der wichtigsten
Krankenanstalten mit diesen Schwesternschaften genannt. In Deutschland waren die
weiblichen Krankenpflegekräfte ab 1933 in Form der “Reichsfachschaft Deutscher
Schwestern und Pflegerinnen” organisiert, die 1936 vom “Fachausschuß für Schwesternwesen
in der Arbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege” abgelöst wurde. Zur Zeit des
Anschlusses Österreichs an Deutschland waren in diesem Ausschuß fünf große Gruppen von
Schwesternverbänden vertreten. Auf die drei weltlichen Organisationen, nämlich die
NS-Schwesternschaft (die sogenannten “Braunen Schwestern”), den Reichsbund freier
Schwestern und Pflegerinnen (auch “Blaue Schwestern” genannt) und die Schwesternschaft
des Deutschen Roten Kreuzes bezieht sich die oben erwähnte Eingliederung. Darüber hinaus
waren im Ausschuß noch zwei geistliche Verbände vertreten, und zwar die
Diakoniegemeinschaft für evangelische und der Caritasverband für katholische Schwestern.
Im April 1942 wurden NS-Schwesternschaft und Reichsbund freier Schwestern und
Pflegerinnen zum NS-Reichsbund Deutscher Schwestern zusammengefaßt, so daß es keine
2
3
4
Susanne HAHN, Zur Entwicklung der Krankenpflege in der Zeit der faschistischen Diktatur - Ausrichtung humanitären Engagements auf
den Kriegseinsatz. In: Sabine FAHRENBACH/Achim THOM (Hrsg.), Der Arzt als “Gesundheitsführer”. Ärztliches Wirken zwischen
Ressourcenerschließung und humanitärer Hilfe im Zweiten Weltkrieg (Frankfurt am Main 1991) 40-43.
ÖStA/AdR, BMfsV/Volksgesundheit, Krankenpflegewesen, 52.451/1938.
A.a.O., Gesetze, 60.093/1938.
2
Unterscheidung mehr zwischen “Blauen” und “Braunen” Schwestern gab, was für viele
“Blaue Schwestern” nach Kriegsende zu Problemen führte5.
Im Unterschied zu Deutschland gab es in Österreich vor 1938 keine
Rotkreuzschwesternschaften. Die Generaloberin des Deutschen Roten Kreuzes, Luise von
Oertzen, hielt sich im Mai 1938 ca. drei Wochen in Österreich auf, um hier den “Aufbau der
Schwesternschaft des DRK” voranzutreiben. 6 Auch die Leitung der NS-Schwesternschaft
hatte an einem Ausbau in Österreich Interesse, denn es war ihr nicht gelungen, ihre
Organisation in Deutschland zur zahlenmäßig stärksten Gruppe in der Schwesternschaft zu
machen.7 Für bestehende und neu zu gründende Krankenpflegeschulen wurde in Inseraten u.
ähnl. geworben. Dies war attraktiv für viele junge Mädchen, die vorher kaum Chancen
gesehen hatten, sich einen solchen Berufswunsch zu erfüllen, als infolge von Wirtschaftskrise
und Arbeitslosigkeit die Zahl der Bewerberinnen für die Krankenpflegeschulen die Zahl der
Ausbildungsplätze um ein Vielfaches überstieg. An Bewerberinnen scheint es nicht gefehlt zu
haben. Bis zum 30. Juni 1938 sollen sich allein aus Wien und Umgebung bereits über 5.000
Mädchen um einen Platz in einer Krankenpflegeschule beworben haben8.
Was den Reichsbund der freien Schwestern und Pflegerinnen betrifft, so müßte man der Frage
nachgehen, ob auch dieser in Österreich aktiv tätig wurde oder ob er mehr oder weniger als
“Restkategorie” zu betrachten ist, in die alle weltlichen Schwestern fielen, die keinem der
beiden anderen Verbände angehörten.
Gesetzlich wurde in Deutschland die Krankenpflege reichseinheitlich erstmals am 28.
September 1938 durch ein “Gesetz zur Ordnung der Krankenpflege” und drei ergänzende
Verordnungen geregelt. Im Jahr 1933 hatte der nationalsozialistische Staat zunächst die
preußische Ausbildungsordnung für die Krankenpflege von 1921 übernommen, die eine
zweijährige Ausbildungszeit vorsah, und diese Regelung dann durch verschiedene
Bestimmungen, z. B. besondere Zulassungsanforderungen für NS-Schulen, ergänzt. Die
Berufstätigkeit von Juden war durch das Reichsbürgergesetz von 1935 beschränkt worden.
Damit war schon die Richtung vorgegeben, die das Gesetz vom September 1938 dann
widerspiegelte. Obwohl Österreich zu diesem Zeitpunkt bereits dem Deutschen Reich
eingegliedert war, galt das Gesetz hier erst ab 2. Dezember 1938, da die Inkraftsetzung für das
Land Österreich laut § 5 zunächst noch vorbehalten geblieben war9.
Unter den Bestimmungen, die die Ausbildung regelten, waren die wichtigsten10:
 Die Ausbildung zur berufsmäßigen Ausübung der Krankenpflege erfolgte an staatlich
anerkannten Krankenpflegeschulen (die Anerkennung geschah durch den Reichsminister
des Innern widerruflich) (§ 4).
 Die Träger öffentlicher Krankenanstalten mußten Krankenpflegeschulen einrichten
(Ausnah-men waren möglich) (§ 6).
 Die Ausbildungsdauer wurde mit 1 ½ Jahren bestimmt (§ 8), unbeschränkte
Berufserlaubnis bestand jedoch erst nach weiterer einjähriger Tätigkeit im Krankenhaus
(§1).
5
Hilde STEPPE, Krankenpflege ab 1933. In: Hilde STEPPE (Hrsg.), Krankenpflege im Nationalsozialismus (Frankfurt am Main 81996)
63-66.
6 SEIDL, Billrothschwesternschaft (wie Anm. 1) 146.
7 STEPPE, Krankenpflege ab 1933 (wie Anm. 5) 65.
8 ÖStA/AdR, BMfsV/Volksgesundheit, Krankenpflegewesen, 52.451/1938; vgl. auch a.a.O., Gesetze, 60.093/1938.
9 Reichsgesetzblatt Nr. 154, Berlin, 30. Sept. 1938.
10 Wenn nichts anderes angegeben ist, beziehen sich die Paragraphen auf die 1. Verordnung
3
 Die Ausbildung war vorwiegend praktisch ausgerichtet. Für den theoretischen Unterricht
waren mindestens 200 Stunden vorgesehen (2. Verordnung, zu § 8). In der 2. Verordnung
wurden auch die Lehrfächer vorgeschrieben.
 Der Leiter der Schule mußte Arzt und “politisch” und “sittlich” zuverlässig sein. Er durfte
nicht “wegen seiner oder seines Ehegatten Abstammung” vom Beamtentum
ausgeschlossen sein (§ 4 und 5).
 Die Bewerberinnen mußten “deutschen oder artverwandten Blutes” und “politisch
zuverlässig” sein (§ 7).
 Die Ausbildung jüdischer Krankenschwestern und -pfleger durfte nur an jüdischen
Krankenpflegeschulen erfolgen (§ 20).
Einige dieser Regelungen wurden bald wieder geändert. So wurde die Vorschrift über die
einjährige Tätigkeit im Krankenhaus als Voraussetzung für die Berufszulassung am 15.
September 1939 (nach dem Angriff auf Polen) auf unbestimmte Zeit ausgesetzt. Am 8.
Dezember 1942 wurde die Ausbildung auf zwei Jahre ausgedehnt, das “berufspraktische Jahr”
fiel damit endgültig weg.
In der Folge wurden tatsächlich auf ehemals österreichischem Gebiet viele
Krankenpflegeschulen errichtet. So entstanden etwa in Kärnten, das sich in der
Zwischenkriegszeit vergeblich um eine solche Einrichtung bemüht hatte, Schulen in
Wolfsberg (NS-Schwestern), Klagenfurt (Reichsbund) und Villach. Von den
Landeshauptmannschaften wurden Aufstellungen der öffentlichen Krankenanstalten verlangt
mit Angaben, ob eine Schule bereits errichtet sei und wenn nein, warum nicht; ein häufig
angegebener Grund war Raummangel11.
Staatlich anerkannte Allgemeine Krankenpflegeschulen im Reichsgau Wien
(Stichtage: 2.1.1940, 31.1.1941, 1.1.1942)
Standort
Berufsverband
Wiener Allgemeines Krankenhaus
Reichsbund der freien Schwestern und Pflegerinnen
NS-Schwesternschaft
Wiener städtisches Krankenhaus Lainz
Wilhelminenspital (Bezeichnung 1942: Wie
ner städtisches Krankenhaus Ottakring)
DRK-Billrothkrankenhaus (vor 1938 und
nach 1945 Rudolfinerhaus)
Polizeikrankenhaus Wien (Sophienspital)
(erst ab 1942)
NS-Schwesternschaft
DRK-Billrothschwesternschaft
DRK-Schwesternschaft Ostmark
Quelle: Kundmachung des Reichskommissars für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich
vom 16. Februar 1940
Kundmachungen des Reichsstatthalters in Wien vom 28. April 1941 und vom 28. Februar 1942
(in: Verordnungs- und Amtsblatt für den Reichsgau Wien 1941, 1942)
Tabelle 1
11
ÖStA/AdR, BMfsV/Volksgesundheit, Krankenpflegewesen, 260.390 /1939 und miterledigte Akten.
4
Für die Säuglings- und Kinderkrankenpflege werden (in verschiedenen Jahren) die Schulen an
der Universitäts-Kinderklinik, dem Emil-v.Behring-Kinderkrankenhaus der Stadt Wien
(Karolinen-Kinderspital), dem DRK-Kinderspital (St. Anna-Kinderspital), der Städtischen
Kinderklinik Glanzing und dem Kinderkrankenhaus Favoriten (Gottfried v. Preyer’sches
Kinderspital) genannt.12
Die Zahl der Krankenpflegeschulen für das gesamte österreichische Gebiet liegt aus dem Jahr
1944 vor, und zwar waren insgesamt 26 Allgemeine Krankenpflegeschulen (inkl. je einer
Schule in Znaim und Krummau) und 9 Säuglings- und Kinderpflegeschulen in Betrieb. Eine
detaillierte Aufstellung findet sich in Anhang 113.
Noch nicht vollständig geklärt ist, welche Ausbildungsmöglichkeiten es für geistliche
Schwestern und Brüder gab. Diese durften die sogenannten “Nachschulungskurse” besuchen,
doch konnte bisher kein Beleg für eine reguläre (eineinhalb bzw. zwei Jahre dauernde)
Ausbildung für geistliche Pflegende gefunden werden14. Krankenanstalten, die von geistlichen
Orden geführt wurden, konnten verpflichtet werden, staatlich anzuerkennende Schulen
einzurichten, die dann von einer der drei weltlichen Schwesternschaften übernommen wurden.
In der in Tabelle 1 erwähnten Kundmachung der staatlichen Krankenpflegeschulen mit Stand
vom 2. Jänner 1940 ist noch eine Krankenpflegeschule der Barmherzigen Brüder mit 20
Ausbildungsplätzen für Ordensangehörige angeführt mit der Bemerkung, daß zurzeit kein
Lehrgang geführt wird. 1941 wird eine solche Schule nicht mehr erwähnt.
Wie aus Tabelle 1 ersichtlich ist, wurden in der Stadt Wien kaum neue Schulen für
Allgemeine Krankenpflege gegründet. Dies ist damit zu erklären, daß in Wien vor 1938 die
Zahl solcher Schulen im Verhältnis zu den übrigen Bundesländern ohnehin höher war. So
befanden sich im Jahr 1925 von den bestehenden sieben regulären Krankenpflegeschulen fünf
in Wien; auch eine der beiden weiteren Schulen, die nur Ergänzungskurse für bereits länger
im Beruf tätige Pflegerinnen anboten, war hier angesiedelt15.
Verglichen mit der Situation bis 1938, ergaben sich also insgesamt folgende wesentliche
Veränderungen in der Pflegeausbildung, die man in zwei Gruppen einteilen kann:
Maßnahmen der ersten Art dienten der ideologischen Lenkung. Die Krankenpflegeschulen
erhielten eine größere Selbstständigkeit von den Krankenhäusern, was (auch im sogenannten
“Altreich”) darauf abzielte, den Schwesternschaften, insbesondere den nationalsozialistisch
orientierten, mehr Einfluß auf die Ausbildung zu geben und dadurch auch stärker ideologisch
wirken zu können 16. Jüdische Bewerberinnen wurden von der Ausbildung ausgeschlossen.
Was den Nachweis der politischen Zuverlässigkeit betrifft, so hatte diesbezüglich nur die
Partei gewechselt: auch das austrofaschistische Regime hatte die Aufnahme in die
Krankenpflegeschule von der Mitgliedschaft in der Vaterländischen Front abhängig gemacht
“Schwester im NS-Reichsbund...” (nicht vor April 1942), Kundmachung des Reichsstatthalters in Wien vom 28. Februar 1942.
Handbuch des Schulwesens für Wien, Niederösterreich, Oberdonau, Steiermark, Kärnten, Salzburg, Tirol, Vorarlberg, nach dem Stand
vom September 1944 (Wien 1944) 173-182.
14 Ein Ansuchen der Schwestern vom heiligsten Herzen Jesu in Wien, eine Krankenpflegeschule führen zu dürfen, führte Mitte 1939 zu
einem prinzipiellen Meinungsaustausch der zuständigen Stellen in dieser Angelegenheit. Mindestens bis zu diesem Zeitpunkt gab es in
der “Ostmark” keine eindeutige Regelung für die Ausbildung geistlicher Pflegepersonen - ÖStA/ AdR, BMfsV/Volksgesundheit,
Krankenpflegewesen, 259.214/1939; vgl. auch a.a.O., Gesetze, 61.708/1938.
15 Dominika PIETZCKER, Pflegerinnenschulen und deren Organisation in Österreich. In: Liga der Rotkreuzgesellschaften (Hrsg.),
Kommission für Pflegewesen. Zweite Konferenz der Rotkreuzgesellschaften von Mittel- und Osteuropa, Wien 11. - 15. Mai 1925 (Paris
1925) 55.
16 Herbert WEISBROD-FREY, Krankenpflegeausbildung im Dritten Reich. In: Hilde Steppe (Hrsg.), Krankenpflege im Nationalsozialismus
(Frankfurt am Main 81996) 91.
12
13
5
und Gutachten dieser Organisation verlangt17. Eine weitere Beeinflussung erfolgte durch den
Lehrplan: Weltanschau-liche Schulung, Erb- und Rassenkunde, Erb- und Rassenpflege und
Bevölkerungspolitik waren vorgeschrieben. Dem theoretischen Unterricht mußte das amtliche
Krankenpflegelehrbuch zugrunde gelegt werden, womit weitere ideologische Inhalte
transportiert wurden.
Die zweite Art von Maßnahmen sollte dazu dienen, möglichst rasch eine große Anzahl von
Krankenschwestern heranzubilden. Die Festsetzung der Ausbildungszeit mit 1 ½ Jahren
wurde in Österreich allgemein als Rückschritt empfunden. In der Zwischenkriegszeit hatte die
Ausbildung in Wien drei Jahre, in den übrigen Bundesländern zwei Jahre gedauert. Man
erlaubte zwar, daß die bereits vor 1938 begonnen Lehrgänge “nach den bisherigen
Vorschriften” geführt wurden, das Innenministerium fügte jedoch der Erlaubnis den Satz
hinzu: “Der Herr Reichsminister würde es jedoch begrüßen, wenn die Ausbildungszeit auf
anderthalb Jahre verkürzt werden könnte, damit die frei werdenden Lernplätze möglichst bald
wieder besetzt werden können.”18 Auch die Mindestanzahl der theoretischen Stunden war mit
200 sehr niedrig angesetzt. Die österreichische Verordnung von 1914, nach der die
Krankenpflegeausbildung in der Zwischenkriegszeit erfolgte, schrieb keine bestimmte
Stundenanzahl vor, doch betrug z. B. an der Krankenpflegeschule am Rudolfinerhaus nach
Angaben aus dem Jahr 1932 die Anzahl der theoretischen Unterrichtsstunden 47219. Auch der
Zwang zur Errichtung von Krankenpflegeschulen ist zu dieser Art von Maßnahmen zu
rechnen. Karitative Anstalten konnten ebenfalls zur Ausbildung in der Krankenpflege
herangezogen werden, um den Bedarf zu decken.
3. Berufsausübung und Organisation des Pflegeberufs
Die wichtigste Bestimmung des “Gesetzes zur Ordnung der Krankenpflege” vom September
1938, die sich mit der Berufsausübung befaßte, lautete: “Wer berufsmäßig die Krankenpflege
ausüben will, bedarf dazu der Erlaubnis ... Die Erlaubnis setzt voraus: 1. den Nachweis, daß
der Antragsteller deutschen oder artverwandten Blutes ist, 2. politische Zuverlässigkeit, 3.
guten Leumund, 4. Ablegung der staatlichen Krankenpflegeprüfung.” (1. Verordnung, § 1-2).
Die Bindung der Erlaubnis zur Berufsausübung an eine Ausbildung sollte erst am 1. Oktober
1939 in Kraft treten, wurde jedoch nach Kriegsbeginn auf unbestimmte Zeit verschoben20.
Außerdem enthielt die Kundmachung des Gesetzes für Österreich den Passus (§ 4), daß die
Landeshauptleute bzw. der Bürgermeister von Wien mit drei Jahren befristete
Ausnahmegenehmigungen an Pflegepersonen erteilen konnten, die zwei Jahre ohne
Unterbrechung die Krankenpflege ausgeübt hatten. Diese Genehmigungen sollten nur für das
Land Österreich gelten21. Dies bedeutete in der Praxis, daß auch unausgebildetes oder wenig
ausgebildetes Personal in der Pflege arbeiten konnte. Anders wäre dies auch gar nicht möglich
gewesen. In Österreich besaß auch vor 1938 nur ein Teil der Pflegepersonen das
Krankenpflegediplom; die Berufsausübung war gesetzlich nicht geregelt. Genaue Zahlen über
den damaligen Prozentsatz an diplomiertem Pflegepersonal sind schwer zu bestimmen, da die
Situation regional sehr unterschiedlich war22.
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18
19
20
21
22
Vgl. z. B. ÖStA/AdR, BMfsV/Volksgesundheit, Krankenpflegewesen, 26.920/1937.
A.a.O., Gesetze, 251.998/1939.
Ilsemarie WALTER, Die Krankenpflegeschule am Rudolfinerhaus. In: Rudolfinerhaus 1882 - 1982 (Wien 1982) 35.
Christine KLICH, Hilde STEPPE, Zeittafel Krankenpflege 1933 - 1945. In: Hilde STEPPE (Hrsg.), Krankenpflege im
Nationalsozialismus (Frankfurt am Main 21996) 23.
Zur Vorgeschichte dieser Bestimmung vgl. ÖStA/AdR, BMfsV/Volksgesundheit, Gesetze, 60.093/1938, 61.149/1938, 61.708/1938,
62.644/1938.
Ilsemarie WALTER, Pflegende in Österreich zwischen 1914 und 1938. Differenzierung durch Ausbildung oder Verwischung der
Unterschiede? In: Elisabeth SEIDL/Ilsemarie WALTER (Hrsg.), Rückblick für die Zukunft. Beiträge zur historischen Pflegeforschung
(Wien 1998) 61-63. In einem Antrag des Ministeriums für innere und kulturelle Angelegenheiten auf Einführung des Gesetzes zur
6
In der ersten Verordnung vom September 1938 waren folgende Übergangsbestimmungen
erlassen worden: Staatliche Anerkennungen als Krankenpfleger oder Krankenpflegerin, die
vor Inkrafttreten der Regelung nach landesgesetzlichen Vorschriften erteilt worden waren,
wurden als Erlaubnis gewertet. Wer mindestens acht Jahre im Krankenpflegeberuf war,
konnte bis zum 1. Oktober 1940 die Erlaubnis ohne Ausbildung und Prüfung erhalten. Bei
mindestens fünf Jahren Tätigkeit konnte bis zum gleichen Datum die Prüfung ohne Besuch
einer Krankenpflegeschule abgelegt werden. Diese Übergangsbestimmungen galten nicht für
jüdische Krankenpflegepersonen. (1. Verordnung, § 13 und 15).
Für Österreich war diese “Erlaubnis” etwas Ungewohntes und bot daher Anlaß zu
Mißverständnissen, wenn sie mit dem Krankenpflegediplom verwechselt wurde. So brachte
die Geschäftsstelle Wien des Reichsbunds der freien Schwestern und Pflegerinnen in einem
Brief an das Ministerium für innere und kulturelle Angelegenheiten die Meinung zum
Ausdruck, die “ungeheure Anzahl Pflegerinnen, die jahrelange erfolgreiche Praxis hinter sich
haben”, könnte nun ohne Ausbildung oder Prüfung das Diplom anfordern 23 . Als nach
Kriegsende in Österreich wieder auf das alte System umgestellt wurde, gab es erneut
Verwirrung, da der Besitz einer “Erlaubnis zur Berufsausübung”, des sogenannten
“Berechtigungsscheins”, an sich nichts über die Ausbildung aussagte.
Im Sinne der oben angeführten Bestimmungen erhielten im Beruf tätige Pflegepersonen in
sogenannten “Nachschulungskursen”, die neben den regulären Lehrgängen gehalten wurden,
einen Unterricht, dessen Ausmaß je nach der Länge der Tätigkeit gestaffelt war. An der
Krankenpflegeschule des Allgemeinen Krankenhauses in Wien wurden zwischen 1938 und
1944 ca. zehn solcher Kurse abgehalten; die Zahl der Absolventinnen dürfte 500 bis 600
betragen haben, davon die Hälfte bis zwei Drittel geistliche Schwestern. Die Nachschulung
mußte für weltliche und geistliche Schwestern getrennt abgehalten werden; an den Kursen für
geistliche Schwestern nahmen auch einige Barmherzige Brüder teil24.
Selbstverständlich stellte die Regelung, daß jede Pflegeperson eine staatliche Erlaubnis
benötigte, ein Kontrollinstrument und ein Mittel zur Ausschaltung nicht genehmer Personen
dar: “Durch Anwendung dieser Bestimmung auch in der Ostmark werden die Kräfte durch
Verweigerung der Erlaubniserteilung aus der Krankenpflege ausgeschieden, die fachlich,
sittlich und politisch dafür ungeeignet sind. Bei dieser Gelegenheit wird bekanntgegeben, dass
unter den weltlichen Schwestern eine Anzahl kommunistischer, jüdischer oder jüdisch
versippter Elemente sich befindet. Verbleiben dieser Volksgenossinnen im Schwesternberuf
ist besonders deshalb gefährlich, weil erkrankte Menschen leichter fremden Einflüssen
unterliegen. Das gilt auch sinngemäss für die Beurteilung der Tätigkeit der barmherzigen
Schwestern”, heißt es im “Me-morandum” der NSDAP vom 22. 10. 193825.
Die im vorigen Kapitel genannte Aufteilung auf die verschiedenen Schwesternorganisationen
betraf die im Beruf stehenden Schwestern ebenso wie die in Ausbildung befindlichen. Die in
Österreich bestehenden Berufsorganisationen - der Verband der diplomierten
Krankenpflegerinnen Österreichs und die Katholische Schwesternschaft Österreichs - wurden
23
24
25
Ordnung der Krankenpflege im Lande Österreich vom 14. November 1938 wird von einem “geringen Teil” der Krankenpflegepersonen
gesprochen, die in Österreich das Diplom besitzen - ÖStA/AdR, BMfsV/Volgskgesundheit, Gesetze, 61.149/1938.
ÖStA/AdR, BMfsV/Volksgesundheit, Krankenpflegewesen, 251.543/1939.
Archiv der Krankenpflegeschule des Allgemeinen Krankenhauses, Mappe 8, Dokumente und Aufstellungen vom 13. 5. 1941, 16. 1. 1946
und 14. 10. 1952; Mappe 11, Bericht über den Nachschulungskurs vom 3.6. - 15. 10. 1941.
ÖStA/AdR, BMfsV/Volksgesundheit, Gesetze, 60.093/1938, S. 2.
7
aufgelöst (die Gewerkschaft war schon 1934 ausgeschaltet worden)26. Die Tabelle 2 gibt eine
Zusammenfassung des Erlasses des Ministeriums für innere und kulturelle Angelegenheiten
vom 4. 8. 1938 wieder, mit dem die öffentlichen Krankenanstalten Österreichs den einzelnen
Schwesternschaften zugeteilt wurden. Der Erlaß selbst findet sich im Anhang (2).
Besetzung der Krankenanstalten mit den einzelnen Schwesternorganisationen
laut Runderlaß des Ministeriums für innere und kulturelle Angelegenheiten,
Abteilung II, Gruppe 8, Zl. 54.598, vom 4.8.1938
(Zusammenfassung)
NS-Schwesternschaft:
Gau Wien:
3 Krankenhäuser
Andere Gaue: 12 Krankenhäuser
insges. 8447 Betten
Reichsbund der freien Schwestern:
Gau Wien:
7 Krankenhäuser
Andere Gaue: 17 Krankenhäuser
insges. 8772 Betten
Deutsches Rotes Kreuz:
Gau Wien :
3 Krankenhäuser
Andere Gaue: 6 Krankenhäuser
insges. 3734 Betten
Tabelle 2
Die Vorschriften für die Ausbildung und Berufsausübung von Kinderkrankenschwestern
ähnelten jenen der Allgemeinen Krankenpflege. Männliche Pfleger hatten eine eigene
Organisation; für Heil- und Pflegeanstalten galten generell andere Bedingungen.
Die Vorgangsweise der Eingliederung der einzelnen Schwestern in eine Organisation wurde
von den Behörden so dargestellt, als könne jede Pflegeperson frei wählen, welcher der drei
Berufsorganisationen sie angehören wolle. Bis zu einem gewissen Grad scheint dies auch
zugetroffen zu haben. Alle Schwestern mußten sich in eine “Zentralkartei des deutschen
Schwesterndienstes für Österreich” eintragen lassen 27 . Aus verschiedenen Unterlagen geht
jedoch hervor, daß der Wunsch, einer bestimmten Organisation anzugehören, mit der
Notwendigkeit eines Arbeitsplatzwechsels verbunden sein konnte. Jedes Krankenhaus sollte
möglichst nur von einer Schwesternschaft betreut und zu diesem Zweck das Pflegepersonal
26
27
Zur Auflösung der Katholischen Schwesternschaft Österreichs am 20. 4. 1938 siehe ÖStA/AdR, BMfsV/ Volksgesundheit,
Krankenpflegewesen, 44.684/1938.
ÖStA/AdR, BMfsV/Volksgesundheit, Krankenpflegewesen, 46.082/1938. Diese im Mai 1938 errichtete Zentralstelle wurde im Dezember
des gleichen Jahres wieder aufgelassen, da die Dienststellen der einzelnen Schwesternschaften aufgebaut waren und sich (Kompetenz-?)
Schwierigkeiten ergeben hatten - ÖStA/AdR, BMfsV/Volksgesundheit, Krankenpflegewesen, 61.918/1938.
8
bis zu seiner homogenen Zusammensetzung ausgetauscht werden. In der Praxis gelang diese
Trennung jedoch nur sehr unvollständig. So arbeiteten z. B. im Jahr 1942 im Wiener
Städtischen Krankenhaus Lainz neben NS-Schwestern auch Reichsbundschwestern, am
“Polizeikrankenhaus Wien” (Sophien-spital) arbeiteten sogar Schwestern aller drei Gruppen
nebeneinander 28 ; auch weltliche und geistliche Schwestern waren manchmal im gleichen
Krankenhaus tätig, obwohl dies als unerwünscht angesehen wurde und durch Austausch
beseitigt werden sollte29.
Ende 1938 hatte die NS-Schwesternschaft in Österreich erst wenige Mitglieder. Eine Statistik
der Gauleitung Wien der NSDAP gibt ihre Zahl für Wien zu diesem Zeitpunkt mit 77 an,
wovon 70 Personen “Lernschwestern” (Schülerinnen) waren30. Die Schwesternschaften des
Deutschen Roten Kreuzes hatten durch die Übernahme der Schwesternschaft der
Rudolfinerinnen einen Stützpunkt gewonnen31. Beide Organisationen - wie auch die dritte, der
“Reichsbund freier Schwestern und Pflegerinnen” - sandten Schwestern aus dem “Altreich”
nach Österreich, wo sie teilweise in leitenden Stellen tätig waren, was von den
österreichischen Schwestern jedoch oft nicht gerne gesehen und als Kontrolle betrachtet
wurde32.
Ebenso wie die Maßnahmen zur Krankenpflegeausbildung hatten auch jene, die die
Berufsausübung betrafen, zwei Zielrichtungen: Ideologischer Einfluß sollte vor allem durch
die Schwesternschaften ausgeübt werden; die Erteilung oder Nichterteilung der
Berufserlaubnis war hingegen ein alle Pflegepersonen umfassendes Kontrollinstrument von
Partei und Behörden. Andererseits brauchte man eine große Anzahl von Schwestern und
durfte daher die Anforderungen nicht zu hoch stecken, um so mehr, als sich der in den
Monaten nach dem Anschluß allgemein zu verzeichnende “Heiratsboom” 33 auch in der
Krankenpflege bemerkbar machte34: Auch auf die geistlichen Krankenschwestern konnte man
vorläufig nicht verzichten, obwohl man hoffte, daß ihre Zahl durch Ausbleiben des
Nachwuchses bereits in den nächsten Jahren um ca. 2000 sinken würde.35 Allerdings nahm
die Zahl der Krankenschwestern aus katholischen Orden auf andere Weise wieder zu: die
durch die Schließung von Ordensschulen, -kindergärten, -erziehungsanstalten u. ähnl. um ihr
Tätigkeitsfeld gebrachten Ordensfrauen wurden nun häufig in Krankenhäusern und Lazaretten
eingesetzt.
4. Zur Frage der Beteiligung von Krankenschwestern und -pflegern an Verbrechen
gegen die Menschlichkeit
Zweifellos haben im “Dritten Reich” auch Krankenschwestern und -pfleger an
nationalsozialistischen Verbrechen (Euthanasie, Zwangssterilisation, Zwangsabtreibung)
mitgewirkt. Für Deutschland hat dies besonders Hilde Steppe in “Krankenpflege im
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Kundmachung des Reichsstatthalters in Wien vom 28. Februar 1942.
ÖStA/AdR, BMfsV/Volksgesundheit, Krankenpflegewesen, 52.451/1938; vgl. auch a.a.O., Fonds-Kranken-anstalten, Personal,
60.082/1938.
NSDAP-Gauleitung, Wien, Amt für Volkswohlfahrt, Statistik der NSV. und WHW (o.J.) 20. Ob die im “Altreich” ab 1. 10. 1938
geltende Regel, daß der Eintritt in die NS-Schwesternschaft nur mehr Schülerinnen der NS-Schulen , aber nicht mehr “Vollschwestern”
offen stand - s. KLICH/STEPPE, Zeittafel (wie Anm. 20) 23 - , auch für die “Ostmark” Geltung hatte, ist nicht bekannt.
SEIDL, Billrothschwesternschaft (wie Anm. 1) 147-151.
Zum Verhältnis Reichsdeutsche - Österreicher zwischen 1938 und 1945 in anderen Bereichen vergleiche Gerhard JAGSCHITZ, Von der
“Bewegung” zum Apparat. Zur Phänomenologie der NSDAP 1938 bis 1945. In: Emmerich TALOS, Ernst HANISCH und Wolfgang
NEUGEBAUER (Hrsg.), NS-Herrschaft in Österreich 1938 – 1945 (Wien 1988) 498, oder Maren SELIGER, NS-Herrschaft in Wien
und Niederösterreich. In: Emmerich TÁLOS, Ernst HANISCH, Wolfgang NEUGEBAUER (Hrsg.), NS-Herrschaft in Österreich 1938 1945 (Wien 1988) 408.
Hermann HAGSPIEL, Die Ostmark. Österreich im Großdeutschen Reich 1938 – 1945 (Wien 1995) 57-58.
ÖStA/AdR, BMfsV/Volksgesundheit, Gesetze, 60.093/1938, S. 4-5.
A.a.O., S.6-7.
9
Nationalsozialismus”36 aufgezeigt. In Österreich fehlt noch eine entsprechende Aufarbeitung.
Wie sehr bei dieser erschütternden Tatsache gerade im Falle der weiblichen Pflegepersonen
eine in Jahrzehnten anerzogene und verinnerlichte Gehorsamshaltung und eine blinde
Autoritätsgläubigkeit eine Rolle gespielt haben, ist bei Steppe nachzulesen und muß Anlaß
zur Reflexion sein.
In den österreichischen Euthanasieprozessen nach 1945 waren auch Pflegepersonen angeklagt,
einige wurden zu Haftstrafen verurteilt. Andere Pflegepersonen haben versucht, Widerstand
zu leisten. Sehr viel blieb jedoch im Dunkeln. Es wäre nötig, Situationen, Handlungsweisen
und Handlungsalternativen aufzuzeigen und die Hintergründe und die Folgen für die
österreichische Pflege herauszuarbeiten. Dies kann nicht Aufgabe dieses Referats sein; was
hier aufgezeigt werden soll, sind die Rahmenbedingungen für das, was geschah. Grundlegend
dabei ist die offizielle Verteilung der Aufgaben auf einzelne Gruppen von Pflegepersonen, die
allerdings in der Praxis nicht immer streng durchgehalten wurde.
In der Krankenhauspflege waren Angehörige aller Verbände tätig, wie bereits in Tabelle 2
gezeigt wurde. Hier kann sich die Frage der Teilnahme an Zwangssterilisationen und
-abtreibun-gen stellen. Das Gesetz über die “Verhütung erbkranken Nachwuchses”, das diese
Maßnahmen legalisierte, wurde am 14. 11. 1939 mit Gültigkeit ab 1. 1. 1940 eingeführt37. Der
Frage, ob in Österreich auch schon vorher Zwangssterilisationen vorgenommen wurden,
müßte nachgegangen werden. Offiziell waren nur einzelne Krankenhäuser bzw. Ärzte zur
Vornahme solcher Eingriffe autorisiert. In Wien waren dies im August 1940 folgende
Anstalten: I. Universitäts-Frauenklinik, I. Chirurgische Universitätsklinik, Krankenhaus der
Stadt Wien (Lainz), Krankenanstalt “Rudolf-Stiftung”, Heil- und Pflegeanstalt “Am
Steinhof”38. Es müßte wohl noch hinterfragt werden, ob nicht auch an anderen Stellen solche
Eingriffe erfolgten.
Über die konkrete Durchführung von Zwangssterilisationen und -abtreibungen ist allgemein
wenig bekannt, das Schwergewicht der Forschung lag bisher auf dem ideologischen
Hintergrund und der Erfassung der Betroffenen. Daher kann auch kaum etwas über die
Haltung von Krankenschwestern zur Teilnahme an der Durchführung dieser Eingriffe im
Krankenhaus gesagt werden. Dokumentiert ist der Widerstand der Oberin der
Vinzentinerinnen, Anna Bertha Königsegg, die nicht nur gegen die Euthanasie protestierte,
sondern auch ihren Schwestern im Landeskrankenhaus Salzburg verbot, bei Sterilisationen zu
assistieren 39 . Auch in Vorarlberg kam es zu Verweigerungen der Mithilfe bei
Zwangssterilisationen oder -abtreibungen von seiten geistlicher Schwestern 40 . Weltliche
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40
Die achte Auflage dieses Buches erschien 1996, die erste 1984 unter dem Titel “Geschichte der Krankenpflege - Versuch einer
kritischen Aufarbeitung”, herausgegeben vom Gesundheitsladen in Berlin.
Trotz Bedenken, daß dieses Gesetz - wie auch das Ehegesundheitsgesetz - der “zu 96 % katholischen Bevölkerung durchaus fremdartig
und keineswegs von vornherein volkstümlich” (ÖStA/AdR, BMfsV/Volks-gesundheit, Gesetze, 54.710/ 1938) und seine Durchführung
möglicherweise psychologisch nicht angezeigt sei, war die Einführung ursprünglich schon mit 1. 1. 1939 geplant. Sie wurde jedoch
wegen zu erwartender Änderungen verschoben (a.a.O., Rassenpflege, 260.326/1939; s. a. Gesetze, 60.808/1938). Im “Altreich” wurden
diese Veränderungen in der “Vierten Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses und des
Ehegesundheitsgesetzes” vom 31. 8. 1939 niedergelegt; gemeinsam mit dem Grundgesetz traten sie dann auch in Österreich in Kraft. U.
a. wurde darin bestimmt, daß Anträge auf Unfruchtbarmachung nur zu stellen sind, wenn die Sterilisation “wegen besonders großer
Fortpflanzungsgefahr” nicht aufgeschoben werden kann. Margit WINKLER, “Unwertes Leben”. Euthanasie in der “Ostmark” bzw. in
den “Alpen- und Donaugauen” und der Diskurs über Rassenhygiene und Sterilisation (phil. Diplomarbeit, Wien 1993) 48 weist darauf
hin, daß diese Regelung nicht - wie oft kommentiert - einen Sterilisationsstopp darstellen kann, da sonst die darauffolgende Einführung
des Gesetzes in der “Ostmark” unsinnig gewesen wäre.
Horst SEIDLER, Andreas RETT, Rassenhygiene. Ein Weg in den Nationalsozialismus (Wien-München 1988) 148-149. Die
Krankenanstalt Rudolf-Stiftung war, wie aus dem dort abgedruckten Originaldokument hervorgeht, 1940 Wehrmachtslazarett und es
wurden zu dieser Zeit keine solchen Eingriffe durchgeführt.
Christine GRÜNZWEIL, Anna Bertha Königsegg. Die Visitatorin der Barmherzigen Schwestern in Salzburg im Widerstand gegen das
nationalsozialistische Unrechtsregime (jur. Diss., Salzburg 1993) 132-134.
ENDBERICHT des Projekts 20.370/4-22/88 des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung (1990): Valduna. Geschichte einer
Ausgrenzung (Ausarbeitung: Gernot Egger) 296-297.
10
Krankenschwestern hatten keine Organisation hinter sich, die sie in dieser Angelegenheit
unterstützt hätte. Falls es hier zu Verweigerungen kam, könnten sie nur auf Einzelinitiativen
beruhen.
Die Zahl der österreichischen Anstalten, von denen inzwischen bekannt ist, daß an ihnen aktiv
Euthanasie betrieben wurde, ist erschreckend groß, doch ist zu fürchten, daß es noch mehr
waren. Aus vielen anderen Institutionen wurden Insassen in die genannten Anstalten verlegt.
Dabei handelte es sich um Heil- und Pflegeanstalten oder ähnliche Einrichtungen, an denen
das Pflegepersonal meist - wenn überhaupt - nur in hausinternen Kursen ausgebildet war. Das
“Gesetz zur Ordnung der Krankenpflege” galt für solche Anstalten nicht. Leitende Stellen
dürften jedoch manchmal mit diplomierten Pflegepersonen besetzt gewesen sein.
Den Rotkreuzschwestern fiel als primäre Aufgabe die Pflege der Soldaten in den Lazaretten
der Front oder des Hinterlandes zu, doch war der Bedarf an Kriegskrankenpflege so groß, daß
hier bereits bei Kriegsbeginn Angehörige aller Schwesternorganisationen eingesetzt wurden
(auch Ordensschwestern). Hier wäre der Vorwurf, daß die Schwestern durch die Pflege von
Verwundeten, die dann wieder in den Kampf geschickt wurden, zur Aufrechterhaltung des
Systems beitrugen, zu diskutieren41.
Ein Spezialgebiet für Pflegepersonen, das unter dem Nationalsozialismus auch in Österreich
ausgebaut wurde, war die “Volksgesundheitspflege”, d. h. die Gemeindepflege. In dieser
Tätigkeit sollten nach Möglichkeit nur NS-Schwestern (“Braune Schwestern”) eingesetzt
werden, da sie nicht nur gesundheitspolitische Aufgaben, sondern auch eine starke
Komponente ideologischer Beeinflussung beinhalten sollte. Vor allem von dieser
Aufgabenerweiterung her ist auch die ideologische Aufwertung des Schwesternberufs zu
verstehen, dem eine wichtige Rolle bei der Gesunderhaltung des deutschen Volkes
zugeschrieben wurde 42 . In allen fachlichen Belangen blieb die Pflege jedoch strikt der
Medizin untergeordnet 43 . In der Tatsache, daß die Krankenpflege, die in Österreich - mit
Ausnahme der Ordenspflege - traditionsgemäß eine äußerst niedrige Position hatte, gerade
durch das menschenverachtende System des Nationalsozialismus eine Aufwertung erfuhr,
liegt eine Ironie, die von den Betroffenen nicht wahrgenommen wurde. Teilweise handelten
sie vermutlich aus Überzeugung, denn in den NS-Schwesternschulen wurde bereits als
Zugangsvorausetzung das uneingeschränkte Bekenntnis zum Nationalsozialismus verlangt.44
Daß auch jene, die glaubten oder sich einredeten, ihre Tätigkeit sei als humanitärer Einsatz
unpolitisch, im Dienste des Systems arbeiteten, ist eine Erscheinung, die auch auf anderen
Gebieten ihre Entsprechung findet45.
Nach nationalsozialistischer Vorstellung sollten in der “Volksgesundheitspflege” tätige
Schwe-stern auch “Unterlagen für die Vervollständigung der Erbbestandsaufnahme” liefern
41
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45
Vgl. Daniela DUESTERBERG, Pflege im 2. Weltkrieg. In: Hilde STEPPE (Hrsg.), Krankenpflege im Nationalsozialismus (Frankfurt am
Main 81996) 119-134; SEIDL, Billrothschwesternschaft (wie Anm. 1); Susanne HAHN, Zur Entwicklung der Krankenpflege in der Zeit
der faschistischen Diktatur - Ausrichtung humanitären Engagements auf den Kriegseinsatz. In: Sabine FAHRENBACH/Achim THOM
(Hrsg.), Der Arzt als “Gesundheitsführer”; Ärztliches Wirken zwischen Ressourcenerschließung und humanitärer Hilfe im Zweiten
Weltkrieg (Frankfurt am Main 1991) 39-49; Horst SEITHE, Frauke HAGEMANN, Das Deutsche Rote Kreuz im Dritten Reich (1933 1939) (Frankfurt am Main 1993).
Die ebenfalls erfolgte “Aufwertung” der Rotkreuzschwestern ist eher im Zusammenhang mit dem Krieg zu sehen und weist Parallelen zur
Situation im Ersten Weltkrieg auf. Die Problematik ist jedoch die gleiche.
STEPPE, Krankenpflege ab 1933 (wie Anm. 5) 83.
Herbert WEISBROD-FREY, Krankenpflegeausbildung im Dritten Reich. In: Hilde Steppe (Hrsg.), Krankenpflege im Nationalsozialismus
(Frankfurt am Main 81996) 104.
Für die Wissenschaft vgl. z. B. Christoph MEINEL, Peter VOSWINCKEL, Medizin, Naturwissenschaft, Technik und
Nationalsozialismus; Kontinuitäten und Diskontinuitäten (Stuttgart 1994).
11
und dadurch an der “Aufartung unseres Volkes” mitwirken46. Im Kommentar zum “Gesetz zur
Verhütung erbkranken Nachwuchses” werden unter den Personen, die zur Anzeige von an
einer Erbkrankheit oder an schwerem Alkoholismus leidenden Personen verpflichtet sind,
Gemeindeschwestern und selbständig tätige Schwestern genannt47. Wieweit diese tatsächlich
solche Anzeigen erstattet haben, kann derzeit nicht festgestellt werden; über die Ausübung der
Gemeindekrankenpflege im Nationalsozialismus ist kaum etwas bekannt.
Ebenfalls den NS-Schwestern anvertraut war die krankenpflegerische Versorgung des
Parteiapparates. Sie pflegten u. a. in den Lazaretten der Waffen-SS und in Lebensbornheimen,
in Konzentrations- und Arbeitslagern 48 . In den eroberten Gebieten Osteuropas wurden
hingegen Schwestern aus verschiedenen Verbänden eingesetzt.
Mit dem Fortschreiten des Krieges wurde es immer schwieriger, vom Beruf freizukommen.
So wurde am 6. 2. 1942 jeder Berufswechsel von Schwestern verboten, und auch die
Eheschließung berechtigte nicht mehr zur Aufgabe der Tätigkeit49.
Mit diesem Überblick wollte ich zeigen, wo und wie in verschiedenen Arbeitsgebieten der
Pflege die Gefahr bestand, in Verbrechen gegen die Menschlichkeit hineingezogen zu werden.
Es ist tief zu bedauern, daß Pflegepersonen sich aktiv an Verbrechen der NS-Zeit beteiligt
haben.
5. Das Schicksal jüdischer Pflegepersonen
Das “Gesetz zur Ordnung der Krankenpflege”, das in Österreich im Dezember 1938 in Kraft
trat, bestimmte, daß jüdische Pflegepersonen nur jüdische Patienten pflegen bzw. an jüdischen
Krankenanstalten tätig sein durften. Tatsächlich begann man jedoch an den Wiener
Krankenhäusern bereits sofort nach dem “Anschluß”, alle jüdischen Angestellten - nicht nur
die Pflegepersonen - außer Dienst zu stellen.
Die Unterlagen über das Vorgehen gegen jüdische Pflegepersonen sind sehr lückenhaft.
Einiges Material ist in bezug auf die sogenannten Wiener Fonds-Krankenanstalten erhalten,
das sind insgesamt acht Wiener Krankenhäuser, die vom Bund verwaltet worden waren und
erst im März 1939 in das Eigentum der Gemeinde Wien übergingen 50 . Bisher haben wir
namentliche Angaben über 45 jüdische oder mit Juden verheiratete Pflegepersonen gefunden,
die hier aus “rassischen” Gründen ihren Arbeitsplatz verloren.
Am besten zu verfolgen ist der Verlauf dieser Aktionen bei den definitiv angestellten
Pflegerinnen und Pflegern51. Diese wurden zu den Beamten gezählt und fielen damit unter die
“Verord-nung zur Neuordnung des österreichischen Berufsbeamtentums”, die am 31. Mai
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Krankenpflegelehrbuch, neu bearbeitet und herausgegeben im Auftrag des Reichsministeriums des Innern vom Reichsausschuß für
Volksgesundheitsdienst Berlin (Leipzig 141942) 30.
Arthur GÜTT/Ernst RÜDIN/Falk RUTTKE, Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933 nebst
Ausführungsverordnungen (München 21936) 204 und 211. Ähnlich war die Situation für Hebammen, die aber darüber hinaus noch in die
Meldepflicht bei “angeborenen Mißbildungen und geistiger Unterentwicklung” einbezogen wurden - vgl. a.a.O., S. 212, und
MEINEL/VONSWINCKEL, Medizin (wie Anm. 45) 124-126.
STEPPE, Krankenpflege ab 1933 (wie Anm. 5) 76. Aus diesem Tätigkeitsbereich ist ein Fall bekannt, in dem eine österreichische
Krankenschwester, Maria Stromberger, in Auschwitz aktiv im Widerstand mitarbeitete - Horst-Peter WOLFF, Biographisches Lexikon
zur Pflegegeschichte “Who was who in nursing history” (Berlin-Wiesbaden 1997) 202.
DUESTERBERG, Pflege (wie Anm. 41) 127.
Es handelte sich um das Allgemeine Krankenhaus, das Wilhelminenspital, die Rudolf-Stiftung, das Kaiser-Franz-Josef-Spital, das
Kaiserin-Elisabethspital, das Krankenhaus Wieden, das Sophienspital und das Rochuspital
Diesen Status hatten ungefähr 25 der angeführten 45 Personen; das analoge Aktenbündel für die nicht definitiv angestellten
Pflegepersonen ist im Österreichischen Staatsarchiv nicht mehr aufzufinden, im Register jedoch vermerkt.
12
1938 in Ana-logie zum deutschen “Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums”
vom 7. 4. 1933 erlassen wurde. Nach dieser Verordnung (§ 3) waren jüdische Beamte in den
Ruhestand zu versetzen. Die betreffenden Pflegepersonen wurden vom Dienst beurlaubt,
eventuell fällige Gehaltsvorrückungen wurden gesperrt und die Pflegenden gegen Jahresende
1938 mit reduzierten Bezügen zwangspensioniert52.
Pflegepersonen jüdischer Abstammung, die als Vertragsbedienstete in den
Fonds-Krankenan-stalten arbeiteten, dürften sofort - spätestens im April 1938 - entlassen
worden sein 53. Wer Jude war, wurde den Behörden schon dadurch bekannt, daß es Juden
verboten war, den Eid auf Hitler abzulegen, der in Wien am 17. 3. 1938 von den öffentlichen
Bediensteten verlangt wurde 54 . Die Krankenhäuser mußten die unterschriebenen
Eidesformulare sowie Listen der nichtvereidigten Personen mit Angabe von Gründen an das
zuständige Ministerium schicken. Bei Erkrankung mußte der Eid von den dazu “befähigten”
Personen nachgeholt werden, weitere ergänzende Listen wurden verlangt und auch geliefert55.
Im Juni 1938 wurde zusätzlich eine Fragebogenaktion gestartet, die sich auf die “Verordnung
zur Neuordnung des österreichischen Berufsbeamtentums” berief, aber nicht nur definitiv
angestellte Personen bzw. “Beamte” betraf, sondern im Falle der Fonds-Krankenanstalten alle
dort beschäftigten Personen erfaßte, vom Direktor bis zum letzten Arbeiter. Der Bogen
enthielt auch eine Frage nach der arischen Abstammung 56 . In der ersten Julihälfte 1938
wurden Listen aller Beschäftigten verlangt, die ganz oder teilweise jüdischer Abstammung
waren, sowie auch solcher Personen, die mit Juden verheiratet waren. Auf diesen Listen
befinden sich zahlreiche Krankenpflegepersonen. Die meisten von ihnen waren zum Zeitpunkt
der Abfassung der Listen bereits entlassen oder beurlaubt57. Weitere wurden im Frühjahr 1939
gekündigt58.
Vorsichtige Schätzungen, wie hoch der Prozentsatz der in den Wiener
Fonds-Krankenanstal-ten definitiv angestellten jüdischen Pflegepersonen war, die
zwangspensioniert wurden, ergeben ca. vier Prozent. Bei den nicht definitiv angestellten ist
das Material noch zu dürftig, um eine Schätzung zu erlauben. Das weitere Schicksal dieser
Pflegepersonen kann nur mehr einzeln verfolgt werden. Von einigen ist bekannt, daß sie
emigriert sind59.
Über entlassene jüdische Krankenpflegeschülerinnen sind die Angaben noch spärlicher, es
kann aber kein Zweifel darüber bestehen, daß auch sie die Schule verlassen mußten. Aus
einem Schreiben an die Direktion des Wilhelminenspitals, dessen Absender nicht ersichtlich
ist, geht hervor, daß “an der h. o. Krankenpflegeschule” 60 am 9. August 1938 bereits
sämtliche jüdische Schülerinnen “aus der Anstalt entfernt” worden waren. Das
Wilhelminenspital sei aufgefordert worden, das gleiche zu tun, und es sei “raschest zu
handeln” 61 . Wieviele Schülerinnen betroffen waren, konnte nicht eruiert werden; bisher
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61
ÖStA/AdR, BMfsV/Volksgesundheit, Fonds-Krankenanstalten, Personal, 36.471/1938, 52.280/1938, 64.109/1938.
A.a.O., 52.639/1938.
Im übrigen Österreich schon am 15. 3. - Gerald STOURZH, Brigitta ZAAR (Hrsg.), Österreich, Deutschland und die Mächte.
Internationale und österreichische Aspekte des “Anschlusses” vom März 1938 (Wien 1990) 373.
ÖStA/AdR, BMfsV/Volksgesundheit, Fonds-Krankenanstalten, Personal, 27.263/1938, 29.989/1938, 31.374/1938, 31.677/1938,
34.123/1938, 38.767/1938, 42.920/1938, 43.395/1938.
A.a.O., 51.968/1938.
A.a.O., 52.639/1938, 53.130/1938, 53.689/1938, 54.993/1938, 56.299/1938.
A.a.O., 257.123/1939.
Aus der Emigration in England zurückgekehrt ist 1939 Hanna Katz, die frühere Schuloberin des Wilhelminenspitals – WOLFF, Lexikon
(wie Anm. 48) 98.
Dem Zusammenhang nach mit großer Wahrscheinlichkeit die Schule des Allgemeinen Krankenhauses.
ÖStA/AdR, BMfsV/Volksgesundheit, Krankenpflegewesen, 54.375/1938.
13
wurden die Namen von zwei Schülerinnen gefunden, die offensichtlich Opfer dieser
Maßnahmen wurden62.
Dem Wortlaut des Gesetzes nach waren zur Ausbildung jüdischer Pflegepersonen “jüdische
Krankenpflegeschulen” vorgesehen, Wir haben bisher kein Material darüber gefunden, daß es
solche “Schulen” tatsächlich gab. Es scheint sich eher um Kurse gehandelt zu haben. Im
Wiener Rothschildspital fand 1938 ein 3-4 monatiger Kurs für Operationsschwestern statt;
weiters ist von einem theoretischen Kurs für Lernschwestern die Rede63. Außerdem dürften
die Schwestern junge Mädchen praktisch angelernt haben 64 . Ein Teil des im Wiener
Rothschildspitals beschäftigten jüdischen Pflegepersonals überlebte den Krieg, ein anderer
Teil wurde Opfer der nationalsozialistischen Vernichtung65.
6. Wiener Krankenpflegeschulen und Krankenhäuser: weitgehende Diskontinuität in
der Leitung
Bei Durchsicht der Namen jener Personen, die in den Wiener Fonds-Krankenanstalten vom
Dienst enthoben bzw. zwangspensioniert wurden, fällt auf, daß häufig Personen an leitenden
Stellen betroffen waren, die für die Pflege Bedeutung hatten: Krankenhaus- und
Schuloberinnen, Oberschwestern, ärztliche Direktoren der Krankenanstalten, die zugleich
Leiter der Krankenpflegeschulen waren. Außer der jüdischen Abstammung führten auch
politische Gründe zu Beurlaubung und Amtsenthebung 66 . Insbesondere die Wiener
Krankenpflegeschulen verzeichneten praktisch ausnahmslos “über Nacht” einen Wechsel ihrer
Leitung: Im Allgemeinen Krankenhaus wurden die Oberin der Schule und des Krankenhauses,
Maria Karwinsky (eine Schwester des früheren Staatssekretärs Karl Karwinsky), und der
ärztliche Direktor Dr. Otto Glaser bereits am 14. 3. 1938 ihrer Stelle enthoben. Im
Wilhelminenspital mußte die Schuloberin Hanna Katz als Jüdin ihre Stelle verlassen, die
Oberin der weltlichen Krankenschwestern Friederike Zehetner und der ärztliche Direktor und
Leiter der Schule Dr. Karl Schmidt wurden auf Antrag des SS-Oberkommandos beurlaubt,
alle drei ebenfalls am 14. März 67 . An der Krankenpflegeschule Lainz verlor der ärztliche
Direktor Dr. Arnold Baumgarten als Jude die Stelle. Schuloberin war hier eine Ordensfrau
(Maria Immakulata Messmer); die Schule wurde den “Braunen Schwestern” übergeben. Die
Schule des Rudolfinerhauses war seit 1918 von Alice Pietzcker, einer aus der Schweiz
stammenden Krankenschwester, geleitet worden. Sie kehrte im März 1938, um ihrer
Verfolgung zu entgehen, über Ungarn und Italien in ihre Heimat zurück, nachdem sie eine
Vertretung besorgt hatte68. Der ärztliche Leiter des Rudolfinerhauses, Dr. Otto Frisch, war ab
März 1938 nicht mehr Direktor, sondern nur Chefarzt; als 1942 bekannt wurde, daß eine
seiner Großmütter Jüdin war, mußte er auch diesen Posten verlassen 69 . Im Wiener
Krankenhaus “Rudolf-Stiftung” wurde die Oberin der weltlichen Krankenpflegerinnen, Anna
Nyerges, am 14. März über Antrag des Leiters der Betriebszelle vom Dienst entlassen70.
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Archiv der Krankenpflegeschule des Allgemeinen Krankenhauses, Mappe 9; eine der Schülerinnen hatte 1936 mit der Ausbildung
begonnen, die zweite 1937.
Herbert ROSENKRANZ, Verfolgung und Selbstbehauptung; Die Juden in Österreich 1938 – 1945 (Wien-München 1978) 173 und 236.
OHNE Autor (1952), Das neue Spital der israelitischen Kultusgemeinde in der Seegasse. In: Soziale Berufe 5/1952 70-71.
DÖW 17.142.
Formell legitimiert durch § 4 der “Verordnung zur Neuordnung des österreichischen Berufsbeamtentums”, durchgeführt meist schon viel
früher - vgl. ÖStA/BMfsV/Volksgesundheit, Fonds-Krankenastalten, Personal, 29.985/1938.
In einem Ersuchen um Nachlaß des restlichen Schulgeldes berichteten Schülerinnen der Krankenpflegeschule des Wilhelminenspitals,
von Mitte März bis zur Staatsprüfung Mitte Juni 1938 hätten sie keinerlei Anleitung theoretischer oder praktischer Art erhalten ÖStA/AdR, BMfsV/Volksgesundheit, Fonds-Krankenanstalten, Personal, 53.604/1938.
SEIDL, Billrothschwesternschaft (wie Anm. 1) 150.
A.a.O., S.158.
Bei diesem Krankenhaus ist nicht geklärt, ob es Anfang 1938 eine Krankenpflegeschule besessen hat. Im “Krakauer Schreib-Kalender”
von 1938 (vor dem März 1938 zusammengestellt) ist jedenfalls die Adresse der Rudolf-Stiftung unter “Krankenpflegeschulen des Wiener
Krankenanstaltenfonds” angegeben, doch ist sonst darüber nichts bekannt.
14
Die vorstehende Schilderung gibt nur die Situation in Wien wieder; es ist zu vermuten, daß
die Vorgänge in den übrigen Bundesländern infolge der anders gelagerten Besetzung der
leitenden Posten in der Pflege etwas anders abliefen. Es zeigt sich jedoch, daß zumindest in
der Hauptstadt Wien die Pflegenden praktisch aller führenden Kräfte beraubt wurden, was es
sicherlich leichter machte, die in der praktischen Arbeit stehenden Berufsangehörigen, die
ohnehin ans Gehorchen gewöhnt waren, und die neu auszubildenden Schülerinnen als
Werkzeuge der nationalsozialistischen Politik zu benützen. In dieser Hinsicht unterscheidet
sich die Wiener Situation von 1938 von jener in Deutschland, wo im Jahre 1933 große
Pflegeverbände Loyalitätserklärungen für Hitler abgaben71.
Mit dem Verlust leitender Persönlichkeiten, sowohl jüdischer als auch politisch nicht
genehmer, wurden zugleich auch die von ihnen gepflegten internationalen Kontakte
zerschlagen. Dies und die generell durch Nationalsozialismus und Krieg bewirkte Isolation
kann als einer der Gründe für den Rückstand in der professionellen Weiterentwicklung
angesehen werden, den die österreichische Pflege erst jetzt langsam aufholen kann.
7. Zusammenfassung
In diesem Beitrag wurde versucht, die Rahmenbedingungen aufzuzeigen, unter denen sich
Pflege in Österreich zur Zeit des Nationalsozialismus ereignete. Auch hier sind noch Lücken
aufzufüllen; für diesbezügliche Hinweise wären wir dankbar72.
Gleichzeitig sollte auch die Komplexität der Frage nach der Geschichte der österreichischen
Pflege in dieser Zeit deutlich werden. Ihre Aufarbeitung, die noch bevorsteht, muß
grundsätzliche Fragen nach dem Berufsverständnis und der beruflichen Verantwortung
enthalten. Sicher ist eines: daß diese Geschichte nicht als apolitische Pflichterfüllung
dargestellt werden darf. Gemeinsam mit der deutschen Krankenpflege demonstriert auch die
österreichische den “end-gültigen Verlust der Unschuld eines humanitären Berufs unter den
Bedingungen einer Diktatur”73.
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KLICH/STEPPE, Zeittafel (wie Anm. 20) 15; SEITHE/HAGEMANN, Rote Kreuz (wie Anm. 41) 181.
Hinweise bitte an die Autorin, Adresse: Abteilung Pflegeforschung des Instituts für Pflege- und Gesundheitssystemforschung der
Universität Linz, 1190 Wien, Billrothstraße 78.
Hilde STEPPE, Krankenpflege im Nationalsozialismus (Frankfurt am Main 81996) 9.
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