Schulfunk Bayern2Radio 21./23.2.2000 Manuskript Woran Weimar scheiterte 3. Demokratie ohne Demokraten Autor: Fritz Dumanski Redaktion: Renate v. Walter Redner: Heute, da wir in feierlicher Stunde der Gefallenen gedenken, gilt es, ihr heiliges Vermächtnis im Herzen zu bewahren. Sprecher: Heldengedenktag, irgendwo in Deutschland, irgendwann in der Zeit der Weimarer Republik. Redner: Deutschland, so Großes du gewirkt hast in der Vergangenheit, so heroisch dein Kampf war im Krieg, so sehr hat das Schicksal dich auserkoren, die Zukunft zu gestalten im Geiste deiner gefallenen Heldensöhne. Sie rufen dir zu: Geliebtes Vaterland, erwache, schüttle die Ketten ab, ergreife das Schwert und führe die Völker. DICK UND ERGRIFFEN: Amen. Sprecher: Heldengedenktage, Fahnenweihen, Frontsoldatentage, Kaisergeburtstage, Reichsgründungstage - immer wieder schaffen sich konservative und nationalistische Kreise Gelegenheiten, mit großem Pathos nationale Größe zu beschwören, den Glanz des Kaiserreiches, den Ruhm des angeblich “im Felde unbesiegten” Heeres. Vor allem aber wird die Erinnerung an die so genannte Frontgemeinschaft verklärt. Der “Stahlhelm”, der Bund deutscher Frontsoldaten, hat etwa eine Million Mitglieder und ist von vorneherein gegen Revolution und Republik eingestellt. Seine Losung: Zitator: Wir hassen mit ganzer Seele den gegenwärtigen Staatsaufbau. Sprecher: Lieber eine Monarchie oder eine Diktatur nach dem Vorbild Mussolinis in Italien - das ist die politische Einstellung der Stahlhelmer. Ehrenmitglied des Stahlhelm ist der Mann, der die Dolchstoßlegende verbreitet hat: Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg. 1931 wird der Stahlhelm zusammen mit anderen rechtskonservativen Kreisen Hitler den Weg an die Macht bahnen. Sprecher: Auf der anderen Seite des politischen Spektrums gibt es eine nicht weniger grundsätzliche Ablehnung der Weimarer Republik: Redner: Genossinnen und Genossen! Am letzten Sonntag hat der Klassenkampf eine neue Qualität erreicht Sprecher: Bei den Kommunisten ist der Blick nicht zurück in eine idealisierte Vergangenheit gerichtet, sondern vorwärts in eine Zukunft der klassenlosen Gesellschaft. Redner: Es gilt, den Sozialfaschisten von der SPD mehr denn je die Maske vom Gesicht zu reißen, Genossinnen und Genossen. Und: Es kommt darauf an, die Massen zu mobilisieren. Sprecher: In zwei wesentlichen Punkten sind sich Kommunisten, Nationalisten und Monarchisten einig: Sie verachten die Weimarer Republik und sehen sie von vorneherein nur als einen kurzfristigen Übergang. Und: als das Ziel der Geschichte erhoffen sie eine umfassende Gemeinschaft. Rechts: Redner: Was wir kennen, Volksgenossen, ist das kameradschaftliche Zusammenstehen an der Front; wofür wir heute kämpfen, ist eine wahre volkhafte Gemeinschaft, eine Gemeinschaft des Bluts und der Rasse. ZURUFE: Bravo, sehr richtig, BEIFALL Sprecher: Links: Redner: In der kommunistischen Gesellschaft, Genossinnen und Genossen, gibt es keine Klassen mehr; Besitz und Macht haben ihren bösen Zauber verloren, und alles, was Menschen gegeneinander aufbringt, ist verflogen wie Nebeldunst am Morgen. BEIFÄLLIGES KLOPFEN Sprecher: Solchen Wunschträumen von einer allumfassenden Gemeinschaft widerspricht freilich radikal, was in einer Demokratie das tägliche Geschäft der Politiker ist: Parteien zu bilden, zu streiten, zu verhandeln. Und das tun die Politiker der Weimarer Republik unter dem Druck der Verhältnisse erbitterter, als gut ist. Ein kurzer Blick auf die Liste der Regierungen: Zitator: Regierung Scheidemann: rund vier Monate im Amt Regierung Bauer: acht Monate im Amt Regierung Müller: zweieinhalb Monate im Amt Regierung Fehrenbach: gut zehn Monate im Amt. Sprecher: 20 Regierungen hat die Weimarer Republik in den 14 Jahren ihres Bestehens verschlissen. Mit immer neuen Parteikoalitionen versucht man, die erdrückenden Probleme in den Griff zu bekommen; besonders erschwerend dabei: auch kleinsten Parteien haben die Möglichkeit, in den Reichstag gewählt zu werden. Heute, in der Bundesrepublik, benötigt eine Partei mindestens 5 Prozent der Stimmen, um im Bundestag überhaupt vertreten zu sein. In der Weimarer Republik gibt es eine solche Hürde nicht; jede Splitterpartei kann den republiktreuen Parteien der Mitte Stimmen und Abgeordnetenplätze wegnehmen. Das macht weitgespannte Koalitionen notwendig. Vor den Regierungswagen sind, bildlich gesprochen, jeweils drei, vier oder mehr Pferde gespannt - Pferde, die alle in verschiedene Richtungen streben. Kein Wunder, dass ständig Gespann und Kutscher gewechselt werden; und verständlich auch, dass Wähler und Bürger bald all der ständigen Wechsel überdrüssig sind. Gewinner dieser Entwicklung sind die extremen Parteien links und rechts; sie sprechen vom Parlament nur als von einer Schwatzbude, von einem Saustall. Und auch jenseits der politischen Arena zeigt man seine antidemokratischen Reflexe: Vorsitzender:: Wir kommen - ich muss die Damen und Herren im Gerichtssaal bitten, Ruhe zu bewahren - Wir kommen zur Urteilsverkündung. Ich bitte, sich zu erheben. Sprecher: Besonders die Justiz macht kein Geheimnis aus ihrer politischen Einstellung. Vorsitzender:: Das Gericht ist zu der Überzeugung gelangt, dass die Angeklagten bei ihrem Tun von rein vaterländischem Geiste und dem edelsten selbstlosen Willen geleitet waren. STÜRMISCHER BEIFALL IM PUBLIKUM Sprecher: Mit diesen Worten wird ein Mann charakterisiert, dessen Putschversuch in München 20 Menschen das Leben gekostet hat: Adolf Hitler. Lächerlich gering ist in solchen Fällen das Strafmaß. Ganz anders urteilen Weimarer Gerichte, wenn es “gegen links” geht. Der Statistikprofessor Emil Julius Gumbel fasst schon zu Zeiten der Weimarer Republik zusammen: Zitator:: Summe der von rechts Stehenden Ermordeten: 354. (Ungesühnt: 326.) Dauer der Einsperrung je Mord: 4 Monate. Summe der von links Stehenden Ermordeten: 22. (Ungesühnt: 4.) Dauer der Einsperrung je Mord: 15 Jahre. Sprecher: Die Einseitigkeit ist für die Zeit typisch. Große Teile der so genannten gebildeten Schichten würden ähnlich urteilen. Die Gefahr des Bolschewismus lässt den Bürgern die Gefahr von rechts als gering erscheinen. Und überhaupt kultiviert man der neuen Staatsform gegenüber vor allem eins: Verachtung. Assistent: Der Herr Professor! Professor: Ich bitte sich zu setzen. GERÄUSCH Unser Thema, meine Herren, ist die Staatsform des klassischen Athen, die wir Demokratie nennen, Volksherrschaft auf Deutsch. Plato wird hier deutlicher. Er spricht von Ochlokratie, Pöbelherrschaft, und das, meine Herren, ist treffender, damals wie heute. BRAVO, KLOPFEN DES PUBLIKUMS Sprecher: Tatsächlich jedoch sitzt der Pöbel in den Hörsälen - nicht nur, aber immer tonangebender. In nationalistischen Studentenzirkeln und konservativen Burschenschaften singt man schon 1922 über den Reichskanzler Wirth und den Außenminister Rathenau: Viele: Haut immer feste auf den Wirth Haut seinen Schädel, dass es klirrt! Knallt ab den Walther Rathenau, Die gottverfluchte Judensau! Juchhu!/Prost!/ Zum Wohl!/ Ex! Sprecher: Wenig später ist Walther Rathenau tot - erschossen von nationalistischen Fanatikern. Entscheidend bei dieser nationalen Stimmungslage ist die Frage: Wo steht die Reichswehr? Und auch das hat sich - man möchte fast sagen: erwartungsgemäß - früh geklärt: Sprecher: Geht es gegen links, schlägt man zu. Aufstände in Thüringen, Sachsen, Bayern, Hamburg werden mit Hilfe der Reichswehr und freikorpsähnlichen Verbänden niedergekämpft. Soll es gegen rechts gehen, gegen einen Putschversuch von Freikorpstruppen in Berlin zum Beispiel, heißt es entschieden: Seeckt: Truppe schießt nicht auf Truppe, Herr Reichskanzler. Sprecher: Wo also steht die Truppe, Herr General von Seeckt? Seeckt: Die Truppe steht hinter mir. Sprecher: Mit anderen Worten - das Militär hält Distanz zur Republik. Seine Hoffnung gilt dem, was aus Deutschland würde, wenn man nur gehörig aufrüstete. Sprecher: Das tut man denn auch, insgeheim und entgegen den Bestimmungen des Versailler Vertrags. Vielleicht kommt ja einmal ein Mann, der der Reichswehr eine Aufgabe geben kann? Die Pläne dazu, Europa in den nächsten Krieg zu stürzen, liegen jedenfalls schon in der Schublade. © Bayerischer Rundfunk, 2000