einführung in die rhetorik

Werbung
Otto-Friedrich-Universität Bamberg
Einführung in die Neuere deutsche Literaturwissenschaft I
Sommersemester 2009
_______________________________________________________________________________________________________________________________________________________
EINFÜHRUNG IN DIE RHETORIK
_______________________________________________________________________________________________________________________________________________________
1. RHETORIK
Die Rhetorik bezeichnet die in der Antike entwickelte und seither tradierte Kunst (im Sinne
von Technik und Kunstfertigkeit) der Rede und des Redevortrags. Die Rhetorik war ursprünglich ein Ausbildungsprogramm für den öffentlichen Redner. Die Systematik der Rhetorik umfasst die Klassifikation der Redegattungen, die Methode der Abfassung einer Rede und das
Übungsprogramm zum Halten einer Rede.
Die literaturwissenschaftliche Bedeutung der Rhetorik ergibt sich daraus, dass ein Text als
Rede begriffen und auf dieser Grundlage mit dem Instrumentarium der Rhetorik auch interpretiert werden kann. Darüber hinaus wurden bestimmte Texte zu bestimmten Zeiten auch
explizit nach rhetorischem Muster verfasst, so dass hier, z.B. bei Barockgedichten, die Rhetorik auch einen Einblick in die Gemachtheit des Textes liefern kann.
2. REDEGATTUNGEN
Die antike Rhetorik unterscheidet folgende Redegattungen:
• die judiziale Gattung (Gerichtsrede),
• die deliberative Gattung (Rede mit reflektorischem Charakter),
• die epideiktische Gattung (Lob- oder Trauerrede, auch zur Tadelung).
3. DIE REDEWIRKUNGEN
Das Effektziel der Rhetorik ist das persuadere, das Überzeugen bzw. Überreden, womit ein
intellektuelles ebenso wie ein emotionales Ziel angesprochen ist. Dementsprechend unterscheidet man intellektuelle (docere, probare, monere – das informative, argumentative und
ethische Ziel) von affektbesetzten Zielen.
4. RHETORISCHE SYSTEMATIK
Die antike Rhetorik gliedert den Prozess der Konzeption, Entstehung, Umsetzung und Realisation einer Rede in fünf Schritte:
Inventio ist die Kunst, den richtigen Stoff bzw. das richtige Sujet für die Rede zu finden.
Maßgeblich dafür sind bestimmte Suchformeln bzw. Orte (Topoi), an denen Themen gefunden werden können: Personen, Sachen, Orte, Mittel, Ursache, Art und Weise, Zeit.
Dispositio ist der Schritt der Gliederung der Rede. Die antike Rhetorik geht von einer natürlichen Ordnung der Redegegenstände aus, die sich in der Struktur der Rede widerspiegelt:
• Exordium: Einleitung
• Narratio: Erzählung, Information über den Sachverhalt
• Argumentatio: Beweisführung, ggf. auch Refutatio: Widerlegung von Gegenargumenten
• Peroratio, Conclusio: Schluss, Beweisziel und daraus resultierender Appell
Von dieser als natürlich angesehenen und für die Gerichtsrede typischen Ordnung der Redegegenstände kann in der Dispositio abgewichen werden. In anderen Textgattungen, z.B. im
Brief oder in der Predigt, erfährt diese Struktur kleinere, spezifische Abweichungen.
1
Otto-Friedrich-Universität Bamberg
Einführung in die Neuere deutsche Literaturwissenschaft I
Sommersemester 2009
_______________________________________________________________________________________________________________________________________________________
Elocutio ist die Kunst, den gefundenen und geordneten Stoff sprachlich angemessen auszudrücken. Hierbei gelten fünf Prinzipien:
• das aptum (Angemessenheit von Stil, Autor, Rezipient, Textsituation und Stoff in Relation zueinander); hierbei unterscheidet man drei verschiedene Stilarten (genera elocutionis):
- genus humile: niedere Stilebene, Alltagssprache,
- genus mediocre: mittlere Stilebene, Konversationsstil,
- genus grande/genus sublime: hoher, schwerer, pathetischer Stil;
• die puritas (Richtigkeit);
• die perspicuitas (Klarheit);
• der ornatus (die sprachliche Ausschmückung); hierzu gehören die sog. rhetorischen
Figuren; man unterscheidet:
- Figuren (Wortfiguren und Sinn- bzw. Gedankenfiguren oder überhaupt Figuren der Position, der Wiederholung, der Quantität und des Appells),
- Tropen und
- Topoi (feste Gedankenbilder);
• die evidentia (Evidenz und Anschaulichkeit).
Memoria ist die Kunst, den sprachlichen Ausdruck der Rede einzustudieren und im Vortrag
wiedergeben zu können.
Actio et pronuntiatio ist die Kunst des Vortrags selbst, die Vollendung der Rede im Vortrag.
5. RHETORIK UND POETIK
Rhetorik und Poetik sind sehr eng miteinander verwandt. So wie die Rhetorik ein umfassendes System zur Abfassung und zur Kritik der Rede zur Verfügung stellt, so soll die Poetik
gleichermaßen Anleitung und Kritik für literarische Texte sein. Wie die Rhetorik, nur bezogen auf die Literatur, formuliert die Poetik normative Vorgaben für die Konstitution des literarischen Textes ebenso wie bestimmte Wirkabsichten.
Poetik bedeutet demnach Theorie, Praxis und Kritik der Dichtung. Als Regelpoetik erhob sie
vor allem im 17. Jahrhundert und bis ins 18. Jahrhundert hinein den Anspruch, aus literarischen Texten Prinzipien für das Abfassen neuer literarischer Texte abzuleiten. Maßgeblich
waren die beiden von Horaz formulierten Wirkabsichten prodesse et delectare (nützen und
erfreuen).
Heutzutage wird der Begriff „Poetik“eher für die literarische Selbstreflexion verwendet.
6. RHETORISCHE FIGUREN
6.1 Stilfiguren, Satzfiguren, Klangfiguren
Alliteration: Gleichklang am Anfang betonter Silben.
bei Wind und Wetter; mit Mann und Maus
Anakoluth (Fügungsbruch): Syntaktischer Bruch; grammatisch konstruktionswidrige Fortführung des Satzes.
Was bedeutet denn … –ach, ist ja nicht so wichtig.
2
Otto-Friedrich-Universität Bamberg
Einführung in die Neuere deutsche Literaturwissenschaft I
Sommersemester 2009
_______________________________________________________________________________________________________________________________________________________
Anapher: Wortwiederholung am Anfang mehrerer, aufeinander folgender, parallel gebauter
Satzglieder, Sätze, Verse etc.
Endlich blüht die Aloe, endlich trägt der Palmbaum Früchte (Günther)
O Mutter! Was ist Seligkeit? O Mutter! Was ist Hölle? (Bürger)
Antithese: Zusammenstellung entgegengesetzter Begriffe.
Jenseits von Gut und Böse; Heute rot, morgen tot.
Asyndeton (Unverbundenheit): Verbindung von Wörtern, Wortgruppen, Einzelsätzen ohne
verknüpfende Bindungswörter (Konjunktionen).
Ich kam, ich sah, ich siegte.
Chiasmus: Syntaktische oder semantische Überkreuzstellung sich entsprechender Satzteile.
Der Einsatz war groß, klein war der Gewinn.
Ellipse (Auslassung von Unwichtigem): vom Rezipienten leicht ergänzbare Wörter werden
ausgelassen; Mittel der Raffung.
(Ich wünsche Ihnen eine gesegnete) Mahlzeit!
Epanalepse: Wiederholung eines Wortes oder einer Wortgruppe innerhalb eines Verses oder
Satzes (entweder unmittelbar aufeinander folgend oder mit Zwischenschaltung eines Wortes).
Bei ihm, bei ihm ist Seligkeit (Bürger);
Die Musik, ach, die Musik ist wundervoll!
Epipher: Wortwiederholung am Ende mehrerer aufeinander folgender, parallel gebauter
Satzglieder, Sätze, Verse etc.
Ich mag nicht mehr. Ich kann nicht mehr. Ich will nicht mehr.
Figura etymologica: Verbindung zweier stammverwandter Wörter.
Gar schöne Spiele spiel’ich mit dir (Goethe);
der schrecklichste der Schrecken; seinen Gang gehen
Inversion (Umstellung): Umstellung der syntaktisch üblichen Wortfolge bzw. Satzgliedfolge
zum Zwecke der Hervorhebung.
Geglückt war die Mission.
Onomatopoesie (Lautmalerei): Schallnachahmende Wortbildung nach dem Naturklang oder
Klang einer Sache.
Und außen, horch! ging’s trap trap trap. (Bürger)
Oxymoron: Verbindung widersprüchlicher Sinnkomplexe; ein logischer Widerspruch wird
als Ausdrucksmittel benutzt.
Schwarze Milch (Celan);
traurigfroh; beredtes Schweigen
Paradoxon: Scheinbarer Widerspruch.
Das Leben ist der Tod, der Tod ist das Leben.
Parallelismus (Gleichlauf): gleichmäßige Wiederkehr zweier oder mehrerer aufeinander folgender syntaktischer Einheiten.
Denn was er sinnt, ist Schrecken, und was er blickt, ist Wut, / Und was er spricht, ist
Geißel, und was er schreibt, ist Blut. (Uhland)
Paraphrase (Hinzufügung zu einer Rede): verdeutlichende, weiter ausführende Umschreibung.
3
Otto-Friedrich-Universität Bamberg
Einführung in die Neuere deutsche Literaturwissenschaft I
Sommersemester 2009
_______________________________________________________________________________________________________________________________________________________
Parenthese: Einschub eines selbständigen Gedankens in einen Satz.
Verteidigung zwecklos, / sie sind längst im Blockhaus, / um – von wegen lautlos! – /
mit Geheul deinen Schlaf zu skalpieren. (Gernhardt)
Polysyndeton (Vielverbundenheit): Verbindung von Wörtern und Wortgruppen durch gleiche
Konjunktion.
Und es wallet und siedet und brauset und zischt (Schiller)
Rhetorische Frage: eine in Frageform formulierte nachdrückliche Aussage oder Aufforderung.
Frommts, den Schleier aufzuheben, wo das nahe Schrecknis droht? (Schiller)
Worthäufung:
• Akkumulation: Aneinanderreihung mehrerer Unterbegriffe anstelle des zusammenfassenden Oberbegriffs.
Von Theseus’Stadt, von Aulis Strand, / Von Phokis, vom Spartanerland, / Von Asiens
entlegner Küste, / Von allen Inseln kamen sie [...] (Schiller)
• Gradation (Stufenfolge): Abstufung der Wortfolge
- Klimax: Steigerung
Ich komme, ich eile, ich fliege zu Dir.
- Antiklimax: umgekehrte Steigerung; Reihung, bei der die Bedeutung oder Intensität der aufeinander folgenden Ausdrücke abnimmt
Doktoren, Magister, Schreiber und Pfaffen (Goethe)
Zeugma (Zusammengefügtes): Satzkonstruktion, bei der sich ein Satzteil auf mehrere andere
bezieht, die semantisch nichts miteinander zu tun haben.
Er schlug die Scheibe und den Weg zum Bahnhof ein.
6.2 Tropen (Formen uneigentlichen Sprechens)/Bilder
Allegorie: Darstellung eines abstrakten Begriffs durch ein Bild.
z.B. Justitia mit der Waage und mit verbundenen Augen als Bild der Gerechtigkeit
Antonomasie (Umnennung): Umschreibung eines Eigennamens mit Hilfe von besonders
kennzeichnenden Eigenschaften.
Dichterfürst (für Homer); The King (für Elvis Presley)
Euphemismus: verhüllende oder beschönigende Umschreibung für etwas Negatives (Hässliches, Abschreckendes, Verbotenes, etc.), um es angenehmer erscheinen zu lassen.
Kap der guten Hoffnung; entschlafen, verscheiden (für sterben);
[...] daß die Männer altern und die Frauen sich verändern (Goethe)
Hyperbel (Übertreibung): Steigerung des Ausdrucks sowohl durch Vergrößerung als auch
durch Verkleinerung; die Übertreibung kann bildhaft oder auch rein quantitativ erfolgen.
Steine hätten Tränen vergossen (Schiller);
Das hab ich doch schon tausendmal gesagt.
Ironie: Gegenteil des eigentlich Gemeinten wird ausgesprochen.
Katachrese (Bildsprung): Stilblüte; Verwendung mehrerer, nicht zusammenpassender bildlicher Ausdrücke (Wenn alle Stricke reißen, hänge ich mich auf.); überladen-schwülstige Metaphorik oder falscher Ausdruck oder Ausdruck, der etwas anders nicht zu Bezeichnendes be-
4
Otto-Friedrich-Universität Bamberg
Einführung in die Neuere deutsche Literaturwissenschaft I
Sommersemester 2009
_______________________________________________________________________________________________________________________________________________________
zeichnet (Schlüsselbart) oder Vermengung weit auseinander liegender Sachbereiche (welke
Sonne; strammer Sommer).
Litotes (Untertreibung): Unterstreichung des Gemeinten durch Verneinung des Gegenteils
(oft ironisch eingesetzt).
Er war nicht gerade ein Held; nicht gerade einer der Tapfersten; nicht ohne Fleiß.
Metapher: Übertragung eines Begriffs in einen anderen Sachbereich.
Ein feste burg ist unser Gott (Luther);
Licht der Wahrheit; Redefluss; Wüstenschiff (für Kamel); Straßenkreuzer (für Auto)
Metonymie (Umbenennung): ursprünglich für Formulierungen, in denen die Ursache für die
Wirkung steht, der Erzeuger für das Erzeugnis usf. bzw. jeweils umgekehrt;
heutiger Gebrauch: Verwendung eines inhaltlich verwandten oder mit dem Gemeinten in realer Beziehung stehenden Begriffs; Nähe zur Synekdoche.
Goethe lesen (für ein Buch von Goethe lesen); Kopf (für Verstand); Stahl (für Dolch);
Lorbeer (für Ruhm)
Periphrase (Umschreibung): umfangreicher als Antonomasie; erweiternde Umschreibung des
Gemeinten durch die Nennung von Merkmalen oder Eigenschaften des Bezeichneten, um die
Nennung von Wörtern und Namen, die man als abgegriffen/platt/obszön etc. empfindet, zu
vermeiden.
jenes höhere Wesen, das wir verehren (für Gott; Böll);
Arm des Gesetzes (für Polizei)
Personifikation: etwas Abstraktes wird wie eine Person behandelt; Belebung eines Dings
oder Abstraktums.
Kunst und Wissenschaft gehen Hand in Hand; das Glück, ein heiterer Geselle
Symbol: Gegenstand, der über sich hinausweist und im Einzelnen etwas Allgemeines sichtbar
werden lässt.
Rose (als Symbol der Liebe); Taube (als Symbol des Friedens)
Synästhesie: Verbindung von Wörtern aus unterschiedlichen Sinnesbereichen.
Golden wehn die Töne nieder (Brentano)
Synekdoche: Gebrauch des engeren Begriffs für den umfassenderen oder umgekehrt; Teil
steht für das Ganze (pars pro toto) oder umgekehrt (totum pro parte), quantitative Verschiebung.
Mensch (für Menschheit); ein guter Tropfen (für einen Wein o.ä.); der Schotte (für alle
Schotten); Ich esse kein Schwein (also kein Schweinefleisch); sich in Seide kleiden (also in seidene Kleider)
Vergleich: So-wie-Struktur
Sorgen, die wie ein Gewitter drücken
_______________________________________________________________________________________________________________________________________________________
Literaturhinweise
Göttert, Karl-Heinz: Einführung in die Rhetorik. Grundbegriffe – Geschichte – Rezeption. 3. Aufl.
München: Fink 1998 (= UTB 1599).
Ottmers, Clemens: Rhetorik. 2., aktualis. u. erw. Aufl. Stuttgart/Weimar: Metzler 2007 (= sm 283).
Ueding, Gert u. Bernd Steinbrink: Grundriß der Rhetorik. Geschichte, Technik, Methode. 4., aktualis.
Aufl. Stuttgart/Weimar: Metzler 2005.
5
Herunterladen