III. Schwingungen und Wellen III.1 Schwingungen Physik für Mediziner 1 Schwingungen • Eine Schwingung ist ein zeitlich periodischer Vorgang • Schwingungen finden im allgemeinen um eine stabile Gleichgewichtslage statt, d.h. bei kleinen Auslenkungen x (Winkel ϕ) aus der Gleichgewichtslage gibt es eine rücktreibende Kraft F (Drehmoment M bei Drehbewegungen), die das Gleichgewicht wieder herstellen will. F ∼ − x; Pendel M∼ −ϕ schwingende Flüssigkeitssäule Federpendel Drehschwingung Längs- und Drehschwingungen Systeme, die zu Schwingungen angeregt werden können, heißen Oszillatoren Physik für Mediziner 2 Federschwingung Die rücktreibende Kraft F=-D·x beschleunigt die Masse m; Rückholung ist mit Trägheit verbunden Anwendung des II. Newtonschen Axioms F = m ⋅ Schwingungsgleichung 2 d x( t ) D + ⋅ x( t ) = 0 2 m dt Lösung: x( t) = x 0 ⋅ sin (ω0 ⋅ t + ϕ0 ) mit ω 0= Amplitude Physik für Mediziner Anfangsphase d2x dt 2 2π D = T m = −D ⋅ x Überprüfung durch Einsetzen Federschwingung: T ∼ √m 3 Analogie: Schwingung ⇔ Kreisbewegung x = sin (ω ⋅ t) y = cos (ω ⋅ t ) Phase ϕ = ω·t Kreisfrequenz ω = 2⋅π T Schwingungsdauer T Physik für Mediziner 4 Einheit der Frequenz • Frequenz: f = 1 T Einheit [f] = 1 Hz = 1/s benannt nach Heinrich Hertz, dem Entdecker der elektromagnetischen Wellen → Grundlage für Radio, Fernsehen, moderne Telekommunikation etc. Heinrich Hertz 1857 - 1894 Beispielrechnung zum Federpendel: ein Körper mit einer Masse von 0,8 kg schwingt an einer Feder mit der Federkonstanten D = 720 N/m. Welche Schwingungsdauer und Schwingungsfrequenz ergeben sich ? D ω0 = = m T= 720 N ⋅ m−1 720 kg ⋅ m ⋅ s − 2 ⋅ m−1 = = 0,8 kg 0,8 kg 900 s − 2 = 30 / s 2π 6,28 1 1 = = 0,209 s; ⇒ f = = = 4,79 Hz − 1 ω0 30 s T 0,209 s Physik für Mediziner 5 Energieerhaltung bei Schwingungen Auslenkung: x = x 0 ⋅ cos (ω ⋅ t ) potenzielle Energie: Wpot = Wpot = 0 bei Nulldurchgang 1 ⋅ D ⋅ x2 2 1 ⋅ m ⋅ v2 2 maximal bei Nulldurchgang kinetische Energie: Wkin = Wkin Summe aus kinetischer und potenzieller Energie ist konstant 1 1 ⋅ D ⋅ x 2 + ⋅ m ⋅ v 2 = const 2 2 Physik für Mediziner fortlaufende Umwandlung Wpot ⇔ Wkin 6 Fadenpendel Drehmoment: M = − L ⋅ G ⋅ sin ϕ II. Newtonsches Axiom: M = J ⋅ 2 Trägheitsmoment: J = m ⋅ L d2ϕ dt rücktreibendes Drehmoment durch Schwerkraft 2 2 ϕ d m ⋅ L2 ⋅ = − L ⋅ m ⋅ g ⋅ sin ϕ 2 dt rücktreibendes Drehmoment Näherung für kleine Winkel ϕ: sin ϕ ≈ϕ d2ϕ g Schwingungsgleichung: + ⋅ϕ = 0 2 L dt Lösung: ϕ( t ) = ϕ0 ⋅ sin (ω0 ⋅ t ) mit ω0 = 2π g = T L analog zu Lösung bei Federpendel: 2 d x( t ) D Schwingungsgleichung + ⋅ x( t ) = 0 2 m dt 2π D Lösung: x(t) = x0 ⋅ sin(ω0 ⋅ t) mit ω 0= = T m Physik für Mediziner ⇒ T ∼ √L; unabhängig von m !! Fadenpendel: T ∼ √L 7 Gedämpfte Schwingungen • In der Realität nimmt die Amplitude einer mechanischen Schwingung aufgrund von Reibung mit der Zeit ab ⇒ gedämpfte Schwingung Reibungskraft ∼ Geschwindigkeit Schwingungsgleichung: d2x dx m⋅ = −D ⋅ x −k ⋅ dt dt 2 Reibungsterm Lösung: x( t) = x 0 ⋅ e − γ⋅t ⋅ cos (ω ⋅ t ) abklingende Amplitude gedämpfte Schwingung Physik für Mediziner mit γ = k und 2⋅m ω = ω02 − γ 2 ⇒ exponentielle Dämpfung der Amplitude um so schneller je größer Reibung ⇒ Kreisfrequenz ω kleiner D als Eigenkreisfrequenz ω 0= m (ohne Reibung) 8 Erzwungene Schwingungen • durch Reibung nimmt die Amplitude einer Schwingung mit der Zeit ab; dem System wird laufend mechanische Energie entzogen und in Wärme umgewandelt • diese Verluste können kompensiert werden durch periodische Energiezufuhr von außen ⇒ erzwungene Schwingungen • das System wird jetzt beschrieben durch 1. die Parameter des freien harmonischen Oszillators: k D Eigenfrequenz ω 0= ; Dämpfung γ = m 2⋅m 2. die Parameter des Erregers: Frequenz ω; Amplitude F0 Schwingungsgleichung: m ⋅ d2x dt 2 = −D ⋅ x −k ⋅ Rückstellkraft Physik für Mediziner dx + F0 ⋅ sin (ω ⋅ t ) dt Reibungskraft Erreger 9 Erzwungene Schwingungen • nach eine Einschwingzeit schwingt der Oszillator mit der Erregerkreisfrequenz ω • die Amplitude der Schwingung hängt empfindlich von der externen Kreisfrequenz ω ab: ist die Frequenz der externen Kraft gleich der Eigenfrequenz des freien, ungedämpften Oszillators, so führt das System Schwingungen aus, deren Amplituden größer werden als die der externen Kraft ⇒ Resonanz Amplitude ω = ω0 Erreger Oszillator Physik für Mediziner Die Amplitudenüberhöhung ist um so stärker je kleiner die Dämpfung 10 Erzwungene Schwingungen: Pohlsches Rad erzwungene Schwingung Physik für Mediziner 11 Resonanzkatastrophe Tacoma Narrows Bridge (eingeweiht Juni/July 1940) Physik für Mediziner 12 Resonanzkatastrophe Sturm im November 1940 Physik für Mediziner durch geringe Energiezufuhr mit der richtigen Frequenz können große Schäden angerichtet werden 13 Überlagerung von Schwingungen • in einem schwingungsfähigen System können auch mehrere Schwingungen gleichzeitig angeregt sein: Überlagerung nach dem Superpositionsprinzip x1(t) = A1 ⋅ sin (ω1 ⋅ t ); x 2 ( t) = A 2 ⋅ sin (ω2 ⋅ t + ϕ) ⇒ x ges ( t) = x1( t) + x 2 ( t) • harmonische Schwingungen gleicher Frequenz, verschiedener Amplitude und Phase: ⇒ harmonische Gesamtschwingung • gleiche Frequenz, Amplitude und Phase: ⇒ konstruktive Interferenz • gleiche Frequenz und Amplitude, aber gegenphasig (ϕ = π) ⇒ destruktive Interferenz Physik für Mediziner 14 Schwebungen • die Überlagerung von zwei Schwingungen fast gleicher Frequenz und Amplitude führt zu Schwebungen • die Frequenz der Schwebung ist gleich der Differenz der beiden Einzelfrequenzen: fs= f1-f2 Schwebung: 1. Doppelpendel 2. akustisch Auslöschung Auslöschung Verstärkung Physik für Mediziner Verstärkung 15 nicht-harmonische Schwingungen • Überlagerung harmonischer Schwingungen unterschiedlicher Frequenz, Amplitude und Phase ergibt nicht-harmonische Gesamtschwingungen Umkehrung: Jede nicht-harmonische Schwingung ist als Überlagerung von harmonischer Schwingungen darstellbar Fourierzerlegung: x( t) = A0 + Physik für Mediziner ∞ ∑ An ⋅ cos (n ⋅ 2π ⋅ f1 ⋅ t + ϕn ) n=1 16 Fourierzerlegung • Fourierzerlegung einer Dreieckschwingung: Darstellung durch Überlagerung der Grundwelle mit harmonischer Oberwellen Fourierzerlegung + + + + ... Physik für Mediziner An = Amplituden der Oberwellen nehmen ab mit wachsender Frequenz 17 Stimmenerkennung • Fourierzerlegung der Schallwellen • menschliche Stimmen haben ihr charakteristisches Obertonspektrum, welches durch die individuelle Beschaffenheit des Klangkörpers Mensch bestimmt wird. So erkennt man Menschen an ihrer Stimme genau wie wir verschiedene Instrumente an ihrem spezifischen Klang erkennen Physik für Mediziner 18 Beispiele für anharmonische Schwingungen Anharmonische Schwingungsformen: Kippschwingung Physik für Mediziner 19 Zusammenfassung • Schwingungen sind periodische Zustandsänderungen in der Zeit. Schwingungsfähige Systeme heißen Oszillatoren • Eigenschwíngungen von Systemen sind harmonische Schwingungen, mathematisch beschreibbar durch Sinus- und Kosinusfunktionen charakterisiert durch Kreisfrequenz, Amplitude und Phase • aufgrund von Reibungseffekten sind alle Schwingungen gedämpft: die Schwingungsamplitude nimmt mit der Zeit exponentiell ab • Oszillatoren können durch externe periodische Anregung auch bei anderen Frequenzen als ihrer Eigenfrequenz ω0 schwingen: Erzwungene Schwingungen: für ω ≈ ω0 Resonanz, Resonanzkatastrophe • harmonische Schwingungen überlagern sich nach dem Superpositionsprinzip. Die Überlagerung von Schwingungen mit fast gleicher Frequenz führt zu Schwebungen • durch Fourierentwicklung lassen sich nicht-harmonische Schwingungen als Überlagerung harmonischer Schwingungen darstellen. Physik für Mediziner 20