Dr. med. Karl Mayer (Lehrbeauftragter für Allgemeinmedizin) Thema: Pharmakotherapie im Alter (c) Dr. med. Karl Mayer 1 Pharmakovigilanz Wichtigste Ursachen für arzneibezogene Probleme: • 50-60% Dosierungsfehler 60% davon wegen Niereninsuffizienz • 15-25% Kontraindikation missachtet • 15-20% Arzneimittelinteraktionen 70% davon dosisabhängige Interakt. • <10% Übersehen von bekannten Allergien Brüggmann Pharmakovigilanz UE/UAW / Statistik: • Krankenhausaufnahmen durch UE 88.000 / = 4,8% 10-15% • UE bei stationär behandelten Patienten = 5,7-6,5% • Krankenhauseinweisungen aufgrund von Arzneimittelinteraktionen = 1-3% • Tödliche UAW in Deutschland Schätzung = 12.000 ! davon 44 % vermeidbar für ältere Patienten J.U. Schnurrer; J.C. Frölich, der Internist 7, 2003 Grandt, Saarbrücken, 2005 Brüggmann (c) Dr. med. Karl Mayer 2 • • • • • • • • Arzneimittel mit renaler oder hepatischer Eliminierung Marcumar Antihypertensiva (z.B. Diuretika, …) Benzodiazepine Neuroleptika Antidepressiva (Trizyklika) Anticholinergika Antihistaminika Geriatrische I‘s Immobilität Inkontinenz Intelligenzminderung Isolation Insomnia Insuffizienz von Organen Insolvenz Impotenz (c) Dr. med. Karl Mayer 3 20 % vergessen die Medikamenteneinnahme 16 % haben Medikamente nicht griffbereit 14 % fühlen sich durch Beipackzettel abgeschreckt 10 % Skepsis gegenüber Medikamenten 6 % mangelnde Wirksamkeit 6 % Angst vor Nebenwirkungen (c) Dr. med. Karl Mayer 4 Klassifizierung der Häufigkeit unerwünschter Arzneimittelwirkungen sehr häufig > 10% häufig > 1% und < 10% gelegentlich > 0,1% und < 1% selten > 0,01% und < 0,1% sehr selten < 0,01% Inzidenz von ArzneimittelInteraktionen Anzahl der Arzneimittel Häufigkeit von UAW (%) 3 5 14 16 4-5 >10 ~20 30-60 Im Altersbereich 70 – 103 Jahre davon 56 % UAW 4,6 % - 22 % Interaktionen (c) Dr. med. Karl Mayer 5 Unerwünschte Arzneimittelwirkung Definition: Eine Reaktion auf ein Arzneimittel definiert, die schädlich und unbeabsichtigt ist und bei Dosierungen auftritt, wie sie normalerweise beim Menschen zur Prophylaxe, Diagnose oder Therapie eingesetzt werden. Arzneimittelwechselwirkungen Übersicht: Herstellung Freisetzung Resorption Verteilung Metabolisierung Wirkung Elimination Physikochemische (pharmazeutische) Interaktionen Pharmakokinetische Interaktionen Pharmakodynamische Interaktionen (c) Dr. med. Karl Mayer 6 Polymorphismen Genetisch variante Isoformen in der CYP450-Genfamilie CYP 3 A4 geringe erbliche Variationen (Umwelt, Ernährung) CYP 2D6 Ist die Person ein - langsamen - intermediärer - extensiver - ultraschneller Metabolisierer CYP 2C19 Prädiktive Diagnostik mit AmpliChip Roche verfügbar (c) Dr. med. Karl Mayer 7 Induktion von Cytochrom P-450 Pharmakon Metabolit Pharmakon aktiv inaktiv CYP Erniedrigter Plasmaspiegel Kritisch relevant gewordene Arzneimittelinteraktionen Mibefradil Astemizol Cisaprid Cerivastatin (Prosicor®) (Hismanal®) (Propulsin®) (Lipobay®) T-Kanalblocker H1-Antihistaminikum Prokinetikum CSE-Hemmer außer Handel außer Handel außer Handel außer Handel Toxische Konzentrationen durch W/W mit anderen AM, die als Enzyminhibitoren des Cytochrom P450-Systems wirken. (c) Dr. med. Karl Mayer 8 • • • • • • • • • • • • Behandlungsbedürftigkeit Nichtmedikamentöse therapeutische Alternativen Unverträglichkeiten Therapieversager Galenische Zubereitungsform Anwendungseinschränkungen Therapiekontrollen Interaktionsrisiken Mehrfachtherapie Compliance / Umfeld Selbstmedikation Absetzen 1. 2. 3. 4. Information und Beratung Nichtpharmakologische Behandlung Pharmakotherapie Überweisung → Spezialist Einweisung → Krankenhaus 5. Überprüfung der momentanen Arzneibehandlung (einschließlich rezeptfreier Behandlung) 6. Kombination der Punkte 1 - 5 (c) Dr. med. Karl Mayer 9 • • • • • Zwingend Dringlich Notwendig Wünschenswert Möglich Beispiele: Wiederherstellung des Ausgangsstatus wird vom Patienten erwartet – obwohl nur Linderung möglich ist. Akuter Harnwegsinfekt muss ausgeheilt werden. Patient will aber Rezidive verhindert wissen. (Fischer 1998) Pharmakokinetische WW 1 Terfenadin 60 mg Tbl. Klacid 250 mg Tbl. Antihistaminikum Antibiotikum • Terfenadin: Prodrug – die aktive Wirkform entsteht über Cytochrom P450-Isoenzym CYP3A4 • Clarithromycin: Makrolidantibiotikum – Inhibitor des CYP3A4 keine antihistamine Wirkung von Terfenadin! Fehler möglich: Eine höhere Terfenadin-Dosierung erzielt keine bessere antihistamine Wirkung. Cave Tachyarrhytmien! Empfehlung: Austausch von Terfenadin gegen Cetirizin (c) Dr. med. Karl Mayer 10 Beschwerden: einseitige schmerzhafte Gynäkomastie Bisherige Krankheiten: - Cor pulmonale - COLD - Absolute Arrhytmie - Vorhofflimmern - Z.n. Billroth II – OP - Z.n. Neurolyse linker Arm - Hypertonie Differentialdiagnosen ?? Medikamente: • Amiodaron 200 • Marcumar • Promethazin-HCl-Tropfen • ß-Acetyldigoxin 0,2 • Molsidomin® ret. • Verapamil 240 • Theophyllin • Aldactone® 50 • N-Acetylcystein 600 • Salbutamol® Spray • O2-Therapie 1-1-1 nach Plan 0 - 0 - 15 1-0-0 1-0-0 0-1-0 1-0-0 1-0-0 1-0-0 1Hub - 0 - 1 Hub (c) Dr. med. Karl Mayer 11 Häufigste Folgen einer inadäquaten Arzneitherapie bei älteren Patienten Sturz Exsiccose Delir ATIS bei Multimedikation A T I S rznei herapeutisches nformationsystem Fallbeispiel B.J. Nach einem Wechsel des betreuenden Personals in einem 60-Betten-Pflegeheim fallen bei der ersten Durchsicht der Patientenakten viele, durch Polymedikation verursachte Probleme auf. Einen typischen Fall stellt B.J., ein 80-jähriger Mann, der seit 10 Monaten in diesem Pflegeheim lebt. Eine Zusammenfassung von B.J.´s Krankenbericht beinhaltet Folgendes: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. Kardiomegalie (Herzvergrößerung) und seit langem bestehende Herzerkrankungen Hypertonie Depression Obstipation Rheumatoide Arthritis Hirnstammsyndrom, welches schon lange besteht, bisher nur mild ausgeprägt ist, jedoch an Stärke zunimmt, und Schwindel (c) Dr. med. Karl Mayer 12 Fallbeispiel B.J. Gewicht 70 kg, Blutdruck 105/60 mm HG, Pulz 80/ Minute, Allergien sind nicht bekannt Aktuelle Medikation: Digoxin Hydrochlorothiazid Acetylsalicylsäure Haloperidol Amitriptylin Magaldrat Ibuprofen Methyldopa Diclofenac Thioridazin Benzatropin Docusat-Natrium Flurazepam Natrium-reduzierte Diät Beschwerden: Verwirrtheit, Arthritis, Schwindel Fallbeispiel B.J. Neue Medikation: Hydrochlorothiazid Kaliumersatzpräparat Diclofenac Docusat-Natrium Temazepam 15 mg 3 mal täglich 2 mal täglich 50 mg 2 mal täglich 100 mg 2 mal täglich (bei Bedarf) (c) Dr. med. Karl Mayer 13 • Kombinationspräparate (Migräne: Paspertin + Analgetikum) • Retardpräparate • Medikamente mit Mehrfachwirkungen (ß-Blocker: Puls- und RR-Senkung) • Präparate mit Verzögerungsgalenik • Eigeninitiative fördern (HDL-Steigerung am besten durch Ausdauersport) • Ernährung (bewußte …) IDR Pharmakovigilanz 1. Risikomanagement 2. Vorbeugung von Therapiefehlern 3. Vermittlung von Arzneimittelinformationen 4. Förderung der rationalen Therapie mit Arzneimitteln (c) Dr. med. Karl Mayer 14 Kasuistiken Beispiel 1 Pharmakokinetische Interaktion Ein 64 j. Patient leidet an einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung und nimmt deshalb regelmäßig Theophyllin als Retardzubereitung sowie ein kurzwirksames ß2-Sympatomimetikum als Dosieraerosol ein. Aufgrund eines pulmonalen Infektes erhält er ein Antibiotikum und ein H1-Antihistaminikum. Pharmakokinetische WW 1 Terfenadin 60 mg Tbl. Klacid 250 mg Tbl. Pharmakokinetische WW 2 Berotec N 100yg DA Euphylong 375 mg Kps. Pharmakokinetische WW 2 Euphylong 375 mg Kps. Klacid 250 mg Tbl. Antiasthmatikum Antibiotikum • Theophyllin: Metabolisierung über das Cytochrom P450-Isoenzym CYP3A4 • Clarithromycin: Makrolidantibiotikum – Inhibitor von CYP3A4 Achtung: Aufgrund der Interaktion ist eine 20-30% verringerte Theophyllin-Clearance möglich und die Plasmahalbwertszeit kann bis um das 1,5fache verlängert sein Cave verstärkte Nebenwirkungen des Theophyllins können auftreten Gefahr von Tachyarrythmien (c) Dr. med. Karl Mayer 15 Pharmakodynamische WW Glibenclamid: • Senkung des Blutzuckerspiegels durch Stimulation der Insulinfreisetzung Prednisolon: • Synthesehemmung bzw. Freisetzung von Entzündungsmediatoren • Hemmung der T-Zellaktivierung, -proliferation • Stabilisierung Iysosomaler Membranen von Neutrophilen • Stimulation der Apoptose von Eosinophilen Nebenwirkung: Insulinempfindlichkeit, Stimulation der Glukoneogenese, peripheren Glukoseverwertung Verminderte blutzuckersenkende Wirkung von Glibenclamid möglich. Cave Hyperglykämie! Empfehlung: zu Beginn der Glukokortikoidtherapie bei Diabetikern engmaschige Blutzuckerkontrolle, bei Absetzen ist der Effekt meist schnell reversibel 1. Definieren Sie das Problem des Patienten 2. Definieren Sie das Behandlungsziel 3. Erstellen Sie ein Verzeichnis möglicher therapeutischer Optionen und Alternativen: - Information bzw. Beratung - Nichtpharmakologische Behandlung - Pharmakotherapie - Überweisung oder Einweisung - Überprüfung der momentanen Therapie 4. Prüfen Sie, ob Ihr Patient einer „Risikogruppe“ angehört (c) Dr. med. Karl Mayer 16 5. Prüfen Sie, ob die Patienten ein „Risikomedikament“ einnehmen 6. Wählen Sie eine (Arznei-)Therapie nach den Kriterien: - Wirksamkeit - Sicherheit - Eignung für den individuellen Patienten und - Wirtschaftlichkeit 7. Diskutieren Sie die ausgewählte Bahndlung mit dem Patienten 8. Schreiben Sie ein Rezept 9. Vereinbaren Sie mit dem Patienten einen neuen Termin 10. Überwachen (und beenden?) Sie die Therapie (c) Dr. med. Karl Mayer 17 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. Motivation durch Information Miteinbeziehen von Familienangehörigen Bestellsystem Erinnerung an Verabredungen Tablettenboxen Patienten als Partner sehen Wenig Medikamente Das funktionelle Alter beeinflussende Faktoren •Ernährungszustand •Rauchverhalten •Gesundheitszustand •Arzneimittelgebrauch •Lebensstil •Lebensbedingungen (z.B. Pflegeheim oder alleinlebend) (c) Dr. med. Karl Mayer 18 • • • • • • • • Arzneimittel mit renaler oder hepatischer Eliminierung Marcumar Antihypertensiva (z.B. Diuretika, …) Benzodiazepine Neuroleptika Antidepressiva (Trizyklika) Anticholinergika Antihistaminika Abnahme der Serumplasmaspiegel (%) unter Johanniskraut - 60 Ciclosporin Nevirapin - 80 Indinavir - 50 - 25 - 50 Simvastatin - 35 100 % Digoxin 50 % Fexofenadin Abnahme (c) Dr. med. Karl Mayer 19 Jede medikamentöse Therapie bei älteren Patienten ist ein individuelles Experiment. Haefeli (c) Dr. med. Karl Mayer 20