Prospektive Kohortenstudien zeigen: Milch ist kein Risiko für Herz und Kreislauf Alexandra Schmid, Forschungsanstalt Agroscope Liebefeld-Posieux ALP, Bern Vollfette Milchprodukte enthalten gesättigte Fettsäuren, welche ein negatives Image bezüglich Herz-Kreislauf-Krankheiten haben. Milchprodukte deshalb zu meiden scheint nicht notwendig zu sein, denn eine Zusammenstellung der Resultate von prospektiven Kohortenstudien zum Thema Milchkonsum und koronaren Herzkrankheiten konnte ein erhöhtes Risiko nicht beweisen. Gesättigte Fettsäuren erhöhen das Gesamtcholesterin im Blut, was wiederum mit einem erhöhten Risiko für koronare Herzkrankheiten (KHK) assoziiert wird. Milchprodukte enthalten grössere Mengen an gesättigten Fettsäuren - für viele Ernährungsexperten ist das Grund genug, vollfette Milchprodukte nicht als Teil einer gesunden Ernährung zu sehen. Neue Review Gibson R.A., Makrides M., Smithers L.G., Voevodin M., Sinclair A.J. The effect of dairy foods on CHD: a systematic review of prospective cohort studies. British Journal of Nutrition 102, 1267-1275, 2009 Eine im November 2009 im British Journal of Nutrition publizierte Arbeit fasst die vorhandenen Kohortenstudien zum Thema Konsum von Milchprodukten und koronare Herzkrankheiten zusammen. Sie sei hier vorgestellt: Positive Eigenschaften Unberücksichtigt bleiben dabei die anderen Inhaltsstoffe von Milchprodukten, zum Beispiel die einfach ungesättigten Fettsäuren, die CLA oder das Kalzium, denen eine positive Wirkung nachgesagt wird. Gerne vergessen wird auch die Tatsache, dass die gesättigten Fettsäuren in den Milchprodukten ganz unterschiedliche Kettenlängen aufweisen und sich die negativen Effekte auf den Blutcholesterinspiegel auf ganz wenige beschränken. Leider sind keine kontrollierten klinischen Studien zum tatsächlichen Langzeiteffekt eines hohen Milchproduktekonsums auf das KHK-Risiko vorhanden, weshalb man sich zur Einschätzung der Folgen auf grosse, prospektive Kohortenstudien abstützen muss. Methoden und identifizierte Studien Die Autoren suchten in verschiedenen wissenschaftlichen Literaturdatenbanken (Medline, Embase, Web of Science etc.) nach prospektiven Kohortenstudien, die das Thema Konsum von Milchprodukte in Verbindung mit dem Risiko für koronare Herzkrankheiten, ischämische Herzkrankheiten oder Herzinfarkt behandelten. Die Studien wurden nach verschiedenen Kriterien qualitativ bewertet und die wichtigsten Punkte (Studiendesign, Methoden, Probandenzahl und –charakteristika, Resultate, statistische Analysen) zusammengestellt Propandenzahl und Zeitperioden Fünfzehn Publikationen über 12 unterschiedliche Kohortenstudien, die allen vorgegebenen Kriterien entsprachen, wurden identifiziert. Die Studien umfassten zwischen 2’400 und >80'000 Probanden, insgesamt wurden 280'000 Personen untersucht. Das Alter der Probanden lag beim Start der jeweiligen Studie zwischen 40 und 60 Jahren. Fünf Studien schlossen nur Männer ein, zwei nur Frauen. Bei sechs der Studien kann man davon ausgehen, dass die Studienpopulation für die Bevölkerung repräsentativ ist, andere untersuchten z.B. nur Vegetarier, religiöse Gruppen oder Krankenschwestern. Die Studien umfassen Zeitperioden zwischen 8 Jahren und mehr als 20 Jahren. Ernährungserhebungen Die Erhebung der Ernährung wurde mit unterschiedlichen Methoden durchgeführt (am häufigsten [bei 7 Studien] mit einem validierten Fragebogen zur Verzehrshäufigkeit [FFQ]). In drei der Studien wurde die Methode nicht ausreichend beschrieben. Zwei Studien beziehen sich auf den Konsum von Milchprodukten als Ganzes, zwei nur auf den Milchkonsum, drei auf die Kalziumaufnahme und die übrigen sechs Studien auf verschiedene Kombinationen von Milchprodukten. Nur drei der Studien geben Informationen zum Fettgehalt der untersuchten Milchprodukte. Alle Studien identifizierten die koronaren Herzkrankheiten mit Hilfe des ICD-Indexes (ICD = international classification of disease) oder der diagnostischen Kriterien der WHO. Die Studien berücksichtigen verschiedene Störfaktoren, diese unterscheiden sich jedoch in Art und Menge zwischen den Studien. Die meisten bezogen Alter, Rauchen, soziale Klasse und Geschlecht mit ein. Nur die Hälfte der Studien adjustierte für die konsumierte Gesamtenergiemenge; vier Studien zogen gar keine Ernährungsfaktoren als Störgrössen mit ein. Resultate • Vier der zwölf einbezogenen Studien fanden keinen Zusammenhang zwischen der Aufnahme von Milchprodukten und dem Risiko für KHK. Sie umfassen insgesamt 50'000 Personen ähnlichen Alters v. a. männlichen Geschlechts. Drei dieser Kohortenstudien repräsentieren gut die Gesamtbevölkerung, zwei hatten jedoch eine relative kleine Anzahl Probanden (n ≤ 2'600). • Die anderen Studien fanden einen Zusammenhang zwischen Milchprodukten und KHK: - drei einen negativen (Senkung des Risikos), vier einen positiven (Erhöhung des Risikos) und eine sowohl als auch (abhängig von den konsumierten Milchprodukten und der ethnischen Zugehörigkeit der Probanden). Die drei Studien mit einem negativen Zusammenhang umfassten 80'000 Männer und Frauen vergleichbaren Alters und gingen über Zeitperioden zwischen neun und fünfundzwanzig Jahren. Die vier Studien mit einem positiven Zusammenhang umfassten 138'000 Probanden, hauptsächlich Frauen und Untersuchungsdauern von acht bis sechzehn Jahren (ein kleiner Anteil Männer wurde über fünfundzwanzig Jahre hinweg verfolgt). Schlussbemerkungen Die Zusammenstellung dieser Studien zeigt, dass es keine konsistenten Ergebnisse gibt in Hinsicht auf einen direkten Zusammenhang zwischen dem Konsum von Milchprodukten und KHK. Die Mehrheit der Studien ergab keine bzw. eine negative Assoziation. Ein Nachteil der einbezogenen Studien ist, dass die meisten nicht zwischen vollfetten und fettreduzierten Milchprodukten unterscheiden. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass sich die früheren Studien (sieben der zwölf Studien) auf vollfette Milchprodukte beziehen, da fettreduzierte Produkte erst nach dem Beginn dieser Studien auf den Markt kamen. Häufig wurden nur am Anfang der jeweiligen Studien die Ernährungsgewohnheiten erfasst, womit die Veränderungen im Laufe der Zeit unberücksichtigt blieben. Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass andere Lebensstil- und Ernährungsfaktoren in den verschiedenen Studien sehr unterschiedlich und teilweise unzureichend berücksichtigt wurden. Trotz ihres Gehalts an gesättigten Fettsäuren ist es nicht belegt, dass vollfette Milchprodukte das Risiko für koronare Herzkrankheiten erhöhen. Einige Resultate weisen sogar in die andere Richtung. Auch die postulierten negativen Effekte gesättigter Fettsäuren in Bezug auf KHK werden unterdessen von verschiedenen Seiten angezweifelt. Es wird auf jeden Fall weitere Studien brauchen, um hier zu klaren Aussagen zu kommen. Literatur: Gibson R.A., Makrides M., Smithers L.G., Voevodin M., Sinclair A.J. The effect of dairy foods on CHD: a systematic review of prospective cohort studies. British Journal of Nutrition 102, 1267-1275, 2009 Maillaiter Februar 2010