ROBERT SCHUMANN Liederkreis nach Joseph Freiherrn von Eichendorff für eine Singstimme und Klavier op. 39 Nr. 1 »Der frohe Wandersmann« (1. Fassung, 1842); »In der Fremde« (2. Fassung, 1850), Nr. 2 »Intermezzo«, Nr. 3 »Waldesgespräch«, Nr. 4 »Die Stille«, Nr. 5 »Mondnacht«, Nr. 6 »Schöne Fremde«, Nr. 7 »Auf einer Burg«, Nr. 8 »In der Fremde«, Nr. 9 »Wehmuth«, Nr. 10 »Zwielicht«, Nr. 11 »Im Walde«, Nr. 12 »Frühlingsnacht«. 1. bis 20. Mai und 22. Juni 1840; revidiert 1849. einige Lieder aus dem Zyklus: am 30. November 1843 im Saal des Hôtel de Pologne in Dresden durch Joseph Tichatschek und Clara Schumann. Skizzen: Nr. 3: Besitzer nicht bekannt. Arbeitsmanuskript: Liederbuch I, S. 110–118, 127f., Liederbuch II; S. 8f., 12–29. Stichvorlage: 1. Fassung: nicht vorhanden; Nr.1 (2. Fassung): D-Mbs, Mus. ms.1589; Nr. 2–12 (2. Fassung): US-R, M 1521.4/ S392/ Op.39/ 1842; Nr. 12 (Einzelausgabe): US-R. Erstdruck: 1. Fassung: Wien (T. Haslinger), August 1842; Leipzig, 2. Fassung: Leipzig (Fr. Whistling), wahrscheinlich April 1850. Gesamtausgabe: AGA XIII,9 (127); RSA VI/2. Entstehungszeit: Erstaufführung: 2 Schumann: Eichendorff-Lieder Für Schumann war Eichendorff ein wichtiger Dichter, bei dem er sein eigenes romantisches Lebensgefühl wiederfand. Unter den fünfzehn Eichendorff-Texten der Gedichtabschriften finden sich neben den Texten zu den Liedern des op. 39 noch zwei weitere Gedichte: Nr. 24 »Der traurige Jäger« (op. 75 Nr. 3) und als Nr. 18 der unvertont gebliebene Text »Liedesmuth« (»Was Lorbeerkranz und Lobesstand«). Insgesamt hat Schumann sechzehn Klavierlieder und sechs Chöre auf Eichendorff-Texte komponiert. Die Lieder entstanden 1840 (op. 39 Nr. 1 der 1. Fassung [später op. 77 Nr. 1], Nr. 1–12 der 2. Fassung; op. 45 Nr. 1–2) und 1850 (op. 83 Nr. 3), die Chöre 1847 (op. 62 Nr. 1), 1849 (op. 69 Nr. 1–2, 5; op. 75 Nr. 2–3). Die Vertonungen konzentrieren sich mithin auf das Jahrzehnt zwischen 1840 und 1850. Dabei sind die Klavierlieder mit einer Ausnahme im Jahr 1840, in Schumanns auffallendem Liederjahr entstanden, in dem er sich verstärkt der Sprachkomposition zuwandte. In Schumanns Mottosammlung finden sich im Heft VIII weitere dreizehn Exzerpte aus Dichtun1 gen Eichendorffs. Zum direkten Umfeld des Liederkreises op. 39 gehört das zweite Stück der Romanzen und Balladen II op.75 für gemischten Chor, in dem der Text von »Im Walde« op. 39 Nr. 11 neu vertont ist. Dem Klavierstück »Vogel als Prophet« (op. 82 Nr. 7) aus den Waldszenen sollte ursprünglich der Schluß des »Zwielichts« op. 2 39 Nr. 10 als Motto voranstehen: »Hüte dich! Sei wach und munter!« Mit den Namen Schumann und Eichendorff ist insbesondere der Liederkreis op. 39 verbunden, ein in breite Hörerkreise wirkendes Beispiel für die hohe Liedkunst der deutschen Romantik, ein Werk, das sich bis heute einer ungebrochenen Verbreitung erfreut. Der Kompositionsprozeß belegt, daß die ursprüngliche Konzeption der Liedfolge 3 eine andere war als im heutigen op. 39. Herwig Knaus sieht sie in der 4 Datierungsfolge in den Liederbüchern gegeben, Hans Joachim Köhler in der Eintragungsfolge der Liedmanuskripte. Beide Ergebnisse unterscheiden sich voneinander nur graduell. Einige der Datierungen, die jeweils am Beginn der Arbeitsmanuskripte in den Liederbüchern stehen, scheinen sich nämlich auf Skizzen oder erste Versionen zu beziehen, die nicht erhalten sind. So fällt bei den Eichendorff-Liedern 3 die frühe Datierung der Nr. 57 in Liederbuch II auffallend aus dem ansonsten weitgehend stringenten zeitlichen Ablauf der Entstehung heraus. Liederbuch I E-Dur Nr. 43. »Waldesgespräch« fis-Moll Nr. 44. »In der Fremde« E-Dur Nr. 45. »Mondnacht« (Nr. 46. »Nußbaum« von Mosen (Nr. 47. »Widmung« von Rückert A-Dur Nr. 48. »Intermezzo« (Nr. 49. »Räthsel« von Byron (Nr. 50. »Die Kartenlegerin« von Chamisso) Liederbuch II (Nr. 51. »Die Grenadiere« von Heine H-Dur Nr. 52. »Schöne Fremde« (Nr. 53. »Rothes Röslein« (Burns) a-Moll Nr. 54. »In der Fremde« E-Dur Nr. 55. »Wehmut« Fis-Dur Nr. 56. »Frühlingsnacht« G-Dur Nr. 57. »Die Stille« e-Moll Nr. 58. »Zwielicht« A-Dur Nr. 59. »Im Walde« e-Moll Nr. 60. »Auf einer Burg« D-Dur Nr. 61. »Der frohe Wandersmann« später op. 77 Nr. 1 op. 39 Nr. 3 op. 39 Nr. 1 (2. Fassung) op. 39 Nr. 5 op. 25 Nr. 3) op. 25 Nr. 1) op. 39 Nr. 2 op. 25 Nr. 16) 1. Mai 1840 4. Mai 1840 Mai 1840 Mai 1840 op. 31 Nr. 2) op. 49/1) op. 39 Nr. 6 16/17. Mai 1840 op. 27 Nr. 2) op. 39 Nr. 8 18. Mai 1840 op. 39 Nr. 9 17/18. Mai 1840 op. 39 Nr. 12 18. Mai 1840 op. 39 Nr. 4 4. Mai 1840 op. 39 Nr. 10 19. Mai 1840 op. 39 Nr. 11 20. Mai 1840 op. 39 Nr. 7 ohne Datum op. 39 Nr. 1 (1. Fassung) 22. Juni 1840 Zeitlich deutlich abgesetzt ist »Der frohe Wandersmann«, der von Schumann in 2. Fassung (1850) aus dem Zyklus eliminiert und durch »In der Fremde« (Nr. 44 in Liederbuch I) ersetzt worden ist. Gemeinsamkeit ist in diesen beiden Liedern dadurch gegeben, daß sie in ihren Texten jeweils Sage und Rhein miteinander verbinden. [...] [Für den vollen Inhalt benötigen Sie das Download.] 4 Schumann: Eichendorff-Lieder Der regelmäßige schlichte Dreierrhythmus der Singstimme nimmt das jambische Versmaß auf. Der Vortrag ist syllabisch. Er wird dort abgewandelt und bereichert, wo es zur besonderen Textausdeutung erforderlich ist. In T. 8, zu den Worten »als hätt’ der Himmel«, führt die Bewegung gleichsam himmelaufwärts zum höchsten Ton der Singstimme in diesem Lied. Der schwebende Klang, der für einen Augenblick dadurch entsteht, daß sich die Töne e1 (der Grundton) und eis2 (ein tonartfremder Ton) auf der gleichen Zählzeit begegnen und klanglich aneinander reiben, räumlich aber über zwei Oktaven hinweg getrennt sind, ereignet sich zum sprachlichen Konjunktiv. Dies mag musikalisch feinsinnig darauf verweisen, daß die intime Verbindung zwischen Himmel und Erde sich nicht in der Realität, sondern im Bild vollzieht. In T. 12 sind die Worte »still geküßt« besonders gestaltet: durch eine Bebung in der Singstimme und durch die Dynamik, die in T. 11 vorsichtig anhebt und zum Wort »still« wieder zurückgenommen wird. Es zeugt von Eichendorffs planvoller poetischer Konzeption, daß diese besonderen kompositorischen Ausdeutungen auch bei der Wiederkehr der Musik für die beiden nächsten Verse ihren Sinn behalten. Die musikalische Struktur zum Konjunktiv in T. 8 paßt auch auf das Bild des »Blütenschimmers« in T. 16, und die Wendung zu »still geküßt« verbindet sich gleichwohl mit »von ihm träumen müßt« in T. 20f. Hier ist ein langes Dahinträumen durch die auffallende Längung des Schlußtones komponiert. Neben diesen geradezu tonmalerischen Ausdeutungen, die auf Textdetails ganz im Eichendorffschen Sinn eingehen, führt Schumann an manchen Stellen dem Text eine eigene und persönliche Bedeutung zu. Durch das lange Hinauszögern wird auf das erste Erscheinen des Grunddreiklanges in T. 10ff. eine besondere Aufmerksamkeit gelenkt. Schumann hat dies als Klangereignis komponiert: die Tonika bleibt drei Takte lang unangetastet und die großen Intervalle im Baß sind von der zuvor in kleinen Schritten geführten Unterstimme deutlich unterschieden. So kommt ihre Tonfolge sehr klar heraus: E–H–E. Diese Ton-Buchstaben-Metapher, die hier auch an anderen Stellen erklingt, kommt auch im zehnten Stück des Liederkreises, dem »Zwielicht« vor 5 11 (Baß T. 16ff.). Sie bringt die biographische Situation Schumanns zur Zeit der Entstehung in die Komposition ein, die Bemühungen, gegen den Willen von Claras Vater eine Eheschließung durchzusetzen. »Ehe« sei ein »sehr musikalisches Wort«, äußerte sich Robert Schumann in 12 einem Brief an Clara vom 15. April 1838. Und wie sich die Baßlinie im zweiten Durchgang wieder zum Eis wendet (T. 14) und die Musik in die zart-heimliche Sphäre des Anfangs taucht, auch darin mag eine private Bedeutung mitschwingen. Aus dem Wissen dieser Konzeption erhält der Brautkuß zwischen Himmel und Erde und auch der Schluß des Liedes zusätzlich einen persönlichen Sinn. Der Wunsch, nach Hause zu gelangen, besitzt hier nicht mehr allein die religiöse Bedeutung, die ihm Eichendorff zugedacht hat. [Für den vollen Inhalt benötigen Sie das Download.] COPYRIGHT © LAABER-VERLAG Alle Rechte vorbehalten. Ohne schriftliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, diesen urheberrechtlich geschützten Text oder Teile daraus zu vervielfältigen und zu verbreiten. Zuwiderhandlungen werden strafrechtlich verfolgt. Die vorliegende elektronische Ausgabe des Aufsatzes wurde über die Website www.musikwissen.de erworben. Die Originalausgabe in Printform ist unter www.laaber-verlag.de erhältlich: Robert Schumann. Interpretationen seiner Werke, hrsg. von Helmut Loos, ISBN 978–3–89007–447–4, Band 1, S. 205–213. Diese Informationen zu Herkunft und Copyright dürfen nicht aus der Datei entfernt werden.