1.1. Vorspiel bei den alten Griechen Die Mathematiker der griechischen Antike waren ihrer Zeit und auch ihren Epigonen im "finsteren Mittelalter" um Etliches voraus. Einige ihrer Entdeckungen werden wir im Laufe dieser Vorlesung kennen lernen. Zu den großen mathematischen Denkern des Abendlandes gehören PYTHAGORAS, EUKLID und der vielleicht genialste Ingenieur aller Zeiten, ARCHIMEDES. Geometrie und Ingenieurpraxis waren für ihn untrennbar verbunden - und sollten es auch für den modernen Ingenieur sein! Kreise und Dreiecke Wir beginnen mit ein paar (hoffentlich) wohlbekannten Fakten aus der elementaren Geometrie: Gleichung des Einheitskreises in kartesischen Koordinaten: x +y =1 2 in Parameterdarstellung: x = cos( t ) , y = sin( t ) 2 Allgemeine Kreisgleichung für Mittelpunkt m = ( m1, m2 ) und Radius r : 2 2 ( x − m1 ) + ( y − m2 ) = r2 x = m1 + r cos( t ) , y = m2 + r sin( t ) Beispiel 1. Pythagoras auf dem Broadway Nach einer Odyssee über den Atlantik gerät Pythagoras in das Großstadtgewimmel von New York. Der Stadtteil Manhattan wird durch seine Straßen in Quadrate aufgeteilt - nur der Broadway verläuft schräg durch das entstehende Gittermuster. Wie lange ist der Broadway, wenn die Länge jedes Quadrates eine Meile beträgt? Die Antwort gibt der berühmte Satz des Pythagoras: Ein Dreieck ist genau dann rechtwinklig, wenn die Fläche des Hypotenusenquadrats gleich der Summe der Flächen der Kathetenquadrate ist: a2 + b2 = c2 Im Falle des Broadways als Hypotenuse erhalten wir für die Kathetenlängen a = 3 und b = 4 : c= 32 + 42 = 25 = 5. Geometrischer Beweis: Landvermessung (schon im alten Ägypten, 2000 v. Chr.) Ein geschlossenes Seil wird durch Knoten in 12 gleich lange Strecken aufgeteilt. Wählt man drei Knoten im Abstand 3:4:5, so entsteht nach Spannen des Seils ein rechtwinkliges Dreieck. Damit kann man rechteckige Felder abstecken. 32 + 42 = 52 Pythagoräische Tripel a = x2 − y2 , b = 2 x y , c = x2 + y2 => a2 + b2 = c2 Jedes solche Pythagoräische Tripel liefert ein rechtwinkliges Dreieck mit ganzzahligen Seitenlängen! Beispiel 2: Euklid im Amphitheater Zur Uraufführung des Dramas "Ingenius und Elektra" drängen sich die Zuschauer auf den Stufen des Amphitheaters, um den besten Blickwinkel auf die Bühne zu ergattern. Euklid bleibt gelassen: weiß er doch, daß man innerhalb einer kreisförmigen Reihe die Bühne stets unter dem gleichen Winkel sieht, völlig unabhängig vom gewählten Platz. Der geometrische Hintergrund für diese Tatsache ist der Umkreiswinkelsatz des Euklid: Eine Sehne eines Kreises wird von allen Punkten des Kreisrandes, die auf der gleichen Seite liegen, unter dem selben Winkel gesehen. Beweis: Die Winkelsumme in einem Dreieck beträgt stets π = 1800 . Speziell ist in dem nachfolgenden Bild 2 α + 2 β + 2 γ = π und δ+2γ=π, also α + β = δ 2 konstant! Ein Sonderfall des Umfangwinkelsatzes ist der Satz des Thales: Von jedem Punkt eines Kreisrandes aus sieht man den Durchmesser unter einem rechten Winkel. Eine Ergänzung zum Umfangswinkelsatz müssen wir jetzt noch nachtragen: Die Zuschauer, die nur auf der Rückseite der Bühne (im Bild unten) einen Platz gefunden haben, sehen diese (außer im Falle des Thaleskreises) unter einem anderen Winkel als die auf der Vorderseite (im Bild oben); und zwar ergänzen sich die beiden Blickwinkel gerade zu π = 1800. Das folgt aus dem Satz von Thales und der Tatsache daß die Winkelsumme in jedem Viereck 2 π = 3600 beträgt. Allgemein ist die Winkelsumme in einem beliebigen n-Eck (n − 2) π . Der Satz von Pythagoras folgt aus dem ebenfalls von Euklid stammenden Kathetensatz: Für rechtwinklige Dreiecke ist die Fläche eines Kathetenquadrats gleich der Fläche des Recktecks, das von dem zugehörigen Hypotenusenabschnitt und einer weiteren Seite des Hypotenusenquadrats aufgespannt wird. Beweis: Aus der Ähnlichkeit der rechtwinkligen Dreiecke ergibt sich a c = , also a2 = p c. p a Ein "mechanischer" Beweis des Kathetensatzes: Und von Euklid stammt auch der Höhensatz: Für rechtwinklige Dreiecke ist das Höhenquadrat gleich dem Produkt der Hypotenusenabschnitte. Der Beweis ergibt sich wieder ganz leicht durch Betrachtung ähnlicher Dreiecke. Der Beweis ergibt sich wieder ganz leicht durch Betrachtung ähnlicher Dreiecke. h p = q h => h2 = p q