VERHANDLUNGSTECHNIK & ALTERNATIVE STREITERLEDIGUNG FS 2010 „Miteinander reden“ Friedemann Schulz von Thun: Kommunikation; eine Einführung I. Das Kommunikationsquadrat Im Rahmen der zwischenmenschlichen Kommunikation sind ein Sender und ein Empfänger beteiligt. Jede Nachricht, die der Sender von sich gibt, enthält eine Vielzahl von Botschaften. Dies macht die zwischenmenschliche Kommunikation sehr kompliziert und störanfällig. Missverständnisse können entstehen, weil die verschiedenen Aspekte einer Nachricht nicht immer eindeutig und klar zu verstehen sind. Um die Vielfalt der Botschaften zu ordnen, werden vier bedeutsame Seiten unterschieden. „Der Sender sendet immer gleichzeitig auf allen vier Seiten“1, und zwar unabhängig davon, ob er will oder nicht, bewusst oder unbewusst. 1. Die Sachinformation (Worüber ich informiere) Jede Nachricht enthält eine Sachinformation. Der Sender informiert über Daten und Fakten. 2. Die Selbstoffenbarung (Was ich von mir selbst nach aussen kundgebe) Der zweite Aspekt einer Nachricht beinhaltet Informationen über den Sender selbst. Der Sender gibt mit jeder Nachricht (explizit oder implizit) auch Selbstoffenbarungsnachrichten von sich. „Dieser Umstand macht jede Nachricht zu einer kleinen Kostprobe der Persönlichkeit, was dem Sender einige Besorgnis verursachen kann.“2. Bei der Selbstoffenbarung handelt es sich um Ich-Botschaften. 3. Die Beziehungsseite (Was ich von dir halte und wie wir zueinander stehen) Dieser Teil der Nachricht enthält Informationen über die Beziehung zwischen dem Sender und dem Empfänger. Der Sender gibt dem Empfänger mit jeder Nachricht zu erkennen, wie er zu ihm steht und was er von ihm hält. „Oft zeigt sich dies in der gewählten Formulierung, im Tonfall und anderen nichtsprachlichen Begleitsignalen."3 Die Beziehungsseite enthält sowohl Du-Botschaften wie auch Wir-Botschaften. 4. Der Appell (Wozu ich dich veranlassen will) Meist will der Sender mit seiner Nachricht auch etwas bezwecken. Die Appellbotschaft soll also einen Einfluss auf den Empfänger nehmen und diesen dazu veranlassen, etwas Bestimmtes zu tun oder zu unterlassen. Im Übrigen kann der Appell offen oder verdeckt erfolgen; wobei es sich im letzteren Fall um Manipulation handelt. 1 2 3 SCHULZ VON TUHN, FRIEDMANN, Miteinander reden 1 – Störungen und Klärungen, Allgemeine Psychologie der Kommunikation, Reinbeck1989. S. 31. www.schulz-von-thun.de/mod-komquad.html (besucht 6.3.2010) SCHULZ VON TUHN, FRIEDMANN, Miteinander reden 1 – Störungen und Klärungen, Allgemeine Psychologie der Kommunikation, Reinbeck1989. S. 27. Beispiel Die Mutter sagt zur Tochter: „Räum mal wieder dein Zimmer auf!“ Sachinformation: Selbstoffenbarung: Beziehungsebene: Appell: „Dein Zimmer ist unordentlich.“ „Ich halte Ordnung für etwas Wichtiges.“ Die Mutter hält die Tochter nicht für genügend selbständig, selber Ordnung in ihrem Zimmer zu halten. Räum auf! Je nachdem welche Bedeutung nun die Tochter der Nachricht ihrer Mutter beimisst, können Probleme in der Kommunikation entstehen, denn „Realität ist nicht, was der Sender meint, Realität ist, was der Empfänger versteht.“4 Um Probleme möglichst auszuschalten, muss der Sender der Nachricht möglichst authentisch, klar und stringent kommunizieren. Silja Meyer II. Mit vier Ohren empfangen „Es hört doch jeder nur, was er versteht.“ Johann Wolfgang von Goethe „Dass ein Sender das, was er mitteilen möchte, als Nachricht richtig verschlüsselt und der Empfänger die Nachricht wiederum so entschlüsselt, wie der Sender sie gemeint hat, kurzum, dass er also „versteht“, scheint ein selbstverständlicher Vorgang zwischenmenschlicher Kommunikation zu sein. In Wirklichkeit ist es nahezu ein Glücksfall.“5 Bereits die Tatsache, dass eine Nachricht vier Botschaften enthält, sollte Zweifel daran aufkommen lassen, dass zwischenmenschliche Kommunikation reibungsfrei vonstattengehen kann. Das Miteinander-Reden und Sich-Verstehen ist ein sehr komplexer Vorgang. Die Komplexität zeigt sich darin, dass die richtige Entschlüsselung der Nachricht voraussetzt, dass der Empfänger für jede einzelne Botschaft einer Nachricht ein gesondertes Ohr besitzen muss. A. Der „vierohrige“ Empfänger Selbstoffenbahrungsohr Sachohr Was ist das für einer? Was ist mit ihm? Wie ist der Sachverhalt zu verstehen? Beziehungsohr Appellohr Wie redet der eigentlich mit mir? Wen glaubt er vor sich zu haben? Was soll ich tun, denken, fühlen auf Grund der Mitteilung? Das Vier-Ohren-Modell leitet dazu an, jede Botschaft unter wenigstens vier Gesichtspunkten zu interpretieren. 4 5 LAGE, HELMUTH, Fliegermagazin, Human Factors, „Verständigung als Eisberg“, 2003. S. 50. GEISLER, LINUS, Arzt und Patient – Begegnung im Gespräch: Wirklichkeit und Wege, Internet-Version der 3. Auflage, Frankfurt am Main, 1996. http://www.linus-geisler.de/index.html zuletzt besucht am 10.03.2010. 1. Sachohr (das wörtlich Gesagte) Das Sachohr prüft die Nachricht unter der Fragestellung, wie der Sachverhalt überhaupt zu verstehen ist. In jeder Nachricht steckt zunächst eine Sachinformation. Es werden Fakten, Sachverhalte, Informationen oder Vorgänge offen gelegt. Folgt man Schulz von Thun, so sind insbesondere Männer und Akademiker darauf programmiert, die Nachricht mit dem Sachohr wahrzunehmen und sich infolgedessen auf die Sachseite einer Nachricht zu beziehen. 2. Selbstoffenbarungsohr (die verborgene Selbstbeschreibung des Sprechenden) Das Selbstoffenbarungsohr hört aus der Nachricht heraus, was der Sender über sich selbst aussagt. Ein gut gewachsenes Selbstoffenbarungsohr bringt den Vorteil mit sich, dass der Empfänger nicht jede Botschaft auf sich selbst bezieht, sondern sich fragt, weshalb der Sender solch eine Nachricht gesandt hat. 3. Beziehungsohr (die Beschreibung der Beziehung zwischen dem Sprecher und dem Zuhörer) Mit dem – häufig sehr empfindlichen Beziehungsohr fragt sich der Empfänger, wie der Gesprächspartner zu ihm steht oder was er von ihm hält. Nimmt nun der Empfänger die Nachricht mit dem empfindlichen Beziehungsohr wahr, so interpretiert er das Gespräch hauptsächlich mit dem Gefühl. Insbesondere das nonverbale Verhalten wie Mimik und Gestik lassen darauf schliessen, wie der Sender zum Empfänger steht und was er von ihm hält. 4. Appellohr (der in der Botschaft verpackte Appell) Es liegt in der Natur vieler Menschen, es allen recht machen zu wollen. Viele Empfänger haben ein übergrosses Appellohr und möchten den unausgesprochenen Wünschen und Erwartungen des Senders gerecht werde. Der Empfänger einer Nachricht empfängt alle vier Botschaften einer Nachricht zeitgleich. Ein Grundproblem der Kommunikation liegt darin, dass der Empfänger selbst entscheidet, auf welche Botschaft der Nachricht er reagieren will. Schulz von Thun nennt die ankommende Nachricht zu Recht ein „Machwerk“ des Empfängers. Er muss die verschlüsselte Nachricht des Senders entschlüsseln und es ist unverkennbar, dass es dabei zu falschen Interpretationen der Nachricht kommen kann. B. Das Feedback Das Feedback ist die erkennbare Reaktion des Empfängers auf die Nachricht des Senders. Es liegt im Interesse eines jeden Senders zu erfahren, ob seine Nachricht so angekommen ist, wie er sei gemeint hat. Mit Hilfe des Feedbacks, meldet der Empfänger zurück, wie er die Nachricht verstanden und wahrgenommen hat. Die Reaktion des Empfängers baut sich aus drei Empfangsvorgängen auf: Wahrnehmung Interpretation Gefühl FEEDBACK (Rückmeldung) Das Feedback als ein Produkt der Verschmelzungen dreier Vorgänge. Das Gesagte und Verstandene ist vielfach nicht identisch. „Wir nennen das ein Missverständnis und sind geneigt, nach der Schuld statt der Ursache zu suchen, aber auch Missverstehen, liegt im Wesen jeder Kommunikation.“6 Ariane Nasrin III. Ausgewählte Probleme zwischenmenschlicher Kommunikation In der Zusammenführung der beiden Kommunikationsmodelle (Vier-Seiten einer Nachricht & Vier-Ohren) sieht Schulz von Thun das Rezept für eine gelungene Kommunikation. Idealerweise sendet der Sender eine Botschaft mit Appellcharakter und der Empfänger empfängt, diese auf dem Appellohr. Da bei der zwischenmenschlichen Kommunikation aber immer alle vier Seiten der Nachricht beteiligt sind, ist es für einen kommunikationsfähigen Sender unerlässlich alle vier Seiten zu beherrschen. „Einseitige Beherrschung stiftet Kommunikationsstörungen.“7 Probleme der Sachlichkeit & Verständlichkeit Probleme der Selbstoffenbarung: Imponier-/Fassadentechnik Nachricht Appell: Probleme der Beeinflussung, Manipulation, Ausdrücken von Wünschen Probleme der Beziehungsdefinition & Beziehungsgestaltung A. Probleme der Selbstoffenbarung „Sobald ich etwas von mir gebe, gebe ich etwas von mir.“8 Daher liegt der Schlüssel zu einer erfolgreichen Kommunikation in der Authentizität: Der Übereinstimmung von innerem Gefühl und äusserer Situation. Die Voraussetzung dafür ist, dass man sich selbst darüber im Klaren ist, wie einem innerlich zumute ist. Tatsächlich aber geht bei vielen die Selbstoffenbarungangst um. Schulz von Thun glaubt den Ursprung der Selbstoffenbarungangst im „Zusammenstosses von kindlichem Individuum und Gesellschaft“9 gefunden zu haben. Das Grunderlebnis des Kindes, dass seine Wünsche, Bedürfnisse und Eigenarten mit den gesellschaftlichen Normen teilweise unvereinbar sind führt dazu, dass diese unterdrückt werden. Vor dem Hintergrund dieser gesellschaftlichen und persönlich-biographischen Erfahrungen ist es zu verstehen, dass der Sender um seine Selbstoffenbarung immer ein wenig besorgt ist. In jeder zwischenmenschlichen Kommunikation wird daher einiges an Energie auf die Gestaltung der Selbstoffenbarungsseite aufgewendet. 6 GEISLER, LINUS, Arzt und Patient – Begegnung im Gespräch: Wirklichkeit und Wege, Internet-Version der 3. Auflage, Frankfurt am Main, 1996. http://www.linus-geisler.de/index.html zuletzt besucht am 10.03.2010. 7 SCHULZ VON TUHN, FRIEDMANN; Miteinander reden 1 – Störungen und Klärungen, 47. Auflage, Reinbek bei Hamburg, 2009, S. 44. SCHULZ VON TUHN, FRIEDMANN; Miteinander reden 1 – Störungen und Klärungen, 47. Auflagen, Reinbek bei Hamburg, 2009, S. 99. SCHULZ VON TUHN, FRIEDMANN; Miteinander reden 1 – Störungen und Klärungen, 47. Auflagen, Reinbek bei Hamburg, 2009, S. 101. 8 9 Techniken zur Selbstverbergung: • Imponiertechnik: Hervorheben der Schokoladenseite. Es geht darum die eigene Hochwertigkeit und Kompetenz zu unterstreichen. Was dazu führt, dass das Gespräch bevorzugter Weise auf Aspekte gelenkt wird, in denen man sich selbst gut auskennt und sich sicher fühlt. • Fassadentechniken: Ziel dabei ist es negativ empfundene Anteile der eigenen Person zu verbergen. Die effektivste Fassadentechnik ist somit das Schweigen. Wer nichts sagt gibt auch wenig von sich Preis (Nicht zu unterschätzen ist dabei die nonverbale Kommunikation). Beide Techniken führen im Ergebnis dazu, dass das innere Empfinden mit der Aussensituation nicht übereinstimmt und die Kommunikation somit erschwert wird. „Je kongruenter der Sender kommuniziert, desto klarer und eindeutiger ist die Nachricht für den Empfänger zu verstehen.“10 B. Probleme auf der Sachebene Unter Sachlichkeit ist der „auf ein Sachziel bezogene Austausch von Informationen und Argumenten“ 11 und zwar unter Ausschluss von menschlichen Gefühlen und Strebungen zu verstehen. Da es sich bei der zwischenmenschlichen Kommunikation aber definitionsgemäss um menschliche Kommunikation handelt ist es nicht möglich 100%-ige Sachlichkeit zu erreichen. Die Erfahrung zeigt, dass es nur den wenigsten gelingt eine Sachkontroverse ohne Feindseligkeiten und Herabsetzungen auf der Beziehungsseite zu führen. „Mir geht es um die Sache!“ Eine gesunde Kommunikation zeichnet sich nicht durch reine Sachlichkeit aus, sondern dadurch dass die Verständigung auf der Sachebene bestehen kann, ohne dass die Botschaften der drei anderen Seiten störend einwirken. Der Ausschluss der anderen Ebenen führt wie oben bereits erwähnt zu einem Ungleichgewicht in der Kommunikation und erschwert die Verständigung. Trotzdem ist es so, dass für viele Menschen ( „vor allem Männer und Akademiker“12) das Gebiet auf dem sie sich am sichersten fühlen auf der Sachebene zu finden ist. Die Sachlichkeit beheimatet das Gebiet auf dem wir uns auskennen, auf dem wir ausgebildet wurden, das wir mit unserer Sprachfähigkeit erfassen können und auf dem wir uns wohlfühlen. Im Gegensatz dazu plädiert Schulz von Thun für eine ausgewogene Sachlichkeit: Denn kreative Sachlichkeit wird von positiven mitmenschlichen Beziehungen gefördert. Verständlichkeit: Ein anderes Problem auf der Sachebene stellt die mangelnde Allgemeinverständlichkeit der Nachrichten dar. Dies ergibt sich nicht zuletzt auch aus dem Imponiergehabe von Fachleuten. Fachbegriffe und Formulierungen, die nur von einem fachkundigen Publikum verstanden werden können führen bei Unkundige zu einem Frustrationserlebnis. Für den Empfänger ist es nicht leicht die Ehrfurcht zu verweigern und auf verständliche Informationen zu bestehen. Es liegt auf der Hand, dass eine Kommunikation bei der das Kriterium der Verständlichkeit nicht gegeben ist, von Anfang an zum Scheitern verurteilt ist. Angela Schwob 10 SCHULZ VON TUHN, FRIEDMANN; Miteinander reden 1 – Störungen und Klärungen, 47. Auflage, Reinbek bei Hamburg, 2009, S. 117. SCHULZ VON TUHN, FRIEDMANN; Miteinander reden 1 – Störungen und Klärungen, 47. Auflagen, Reinbek bei Hamburg, 2009, S. 129. 12 SCHULZ VON TUHN, FRIEDMANN; Miteinander reden 1 – Störungen und Klärungen, 47. Auflagen, Reinbek bei Hamburg, 2009, S. 47. 11