Werbefotografie ist (k)eine Kunst

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Werbefotografie ist (k)eine Kunst
Rechtlich betrachtet sind die Werbefotografen merkwürdige Zwitterwesen. Während sie im Bereich der Künstlersozialversicherung generell als Künstler eingestuft werden, vertreten viele Finanzämter die Auffassung, dass es sich bei den
Werbefotografen keinesfalls um Künstler, sondern um Gewerbetreibende handelt. Was dem juristischen Laien kaum zu vermitteln ist, ist aus fiskalischer Sicht
durchaus folgerichtig. Denn eine Finanzbehörde, die einem Werbefotografen den
Künstlerstatus verweigert, kann ihn zur Gewerbesteuer heranziehen und dem
Staat damit zusätzliche Einnahmen verschaffen. Umgekehrt kann die Künstlersozialkasse dadurch, dass sie die Werbefotografie zur Kunst erklärt, die an Werbefotografen geleisteten Zahlungen der Künstlersozialabgabe unterwerfen und damit die Rentenkasse auffüllen. In beiden Fällen ist also die öffentliche Hand der
Gewinner. Was spielt es da schon eine Rolle, dass die unterschiedliche Einstufung vollkommen widersprüchlich ist.
Die Finanzämter berufen sich bei der steuerlichen Einstufung der Werbefotografen gerne auf eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 19. Februar 1998
(Az. IV R 50/96). In dieser Entscheidung heißt es, dass ein Fotograf eine gewerbliche Tätigkeit ausübt, wenn seine Aufnahmen zu Werbezwecken verwendet
werden. Diese unglückliche Formulierung, mit der den Werbefotografen eigentlich nur die Einstufung als freiberufliche Bildberichterstatter verwehrt werden
sollte, hat bei den Finanzbehörden zu dem Missverständnis geführt, dass damit
auch eine Anerkennung der Werbefotografen als Künstler grundsätzlich auszuschließen ist.
Mit dem gleichen Eifer, mit dem die Steuerbehörden den Werbefotografen die
künstlerische Anerkennung verweigern, stufen die für die Künstlersozialversicherung zuständigen Behörden alle Fotografen, die im Bereich der Werbung arbeiten, generell als Künstler ein. Dadurch mutieren selbst gestandene Handwerksfotografen, die ohne jeden künstlerischen Anspruch von morgens bis abends
Legeware für Versandhauskataloge nach genauen Vorgaben der Kunden abfotografieren, plötzlich zu Künstlern und simple Freistelleraufnahmen werden zu
künstlerischen Leistungen veredelt. Diese Verfahrensweise muss vor allem deshalb verwundern, weil bei anderen Berufen, die ähnlich wie der Beruf des Fotografen im Grenzbereich zwischen Kunst und Handwerk ausgeübt werden, regelmäßig eine sorgfältige Abgrenzung zwischen der künstlerischen und der handwerklichen Form der Berufsausübung erfolgt. So werden beispielsweise Glas-,
Holz- und Metallgestalter, Keramiker, Graveure und Musikinstrumentenbauer von
der Künstlersozialkasse normalerweise als Handwerker eingestuft und nur dann
als Künstler anerkannt, wenn sie in einem künstlerischen Umfeld arbeiten und in
einschlägigen Fachkreisen trotz der handwerklichen Ausrichtung ihrer Tätigkeit
als bildende Künstler Anerkennung finden.
Auch im Bereich der Fotografie gibt es diesen Dualismus von Handwerk und
Kunst, was nicht zuletzt an den unterschiedlichen Ausbildungswegen abzulesen
ist. Dennoch meint das Bundessozialgericht (BSG), dass die Werbefotografen
auch dann, wenn es sich um gestandene Handwerker ohne jede künstlerische
Ambition handelt, generell als Künstler einzustufen sind. So wurde beispielsweise
die Anfertigung von Fotografien, die ein in die Handwerksrolle eingetragener Fotografenmeister für Unterwäscheverpackungen aufgenommen hatte, in einer
BSG-Entscheidung vom 25.11.2010 (Az. B 3 KS 1/10 R) zur künstlerischen Leistung erklärt und das an den Handwerker gezahlte Entgelt der Künstlersozialabgabe unterworfen. Zur Begründung heißt es, dass das Künstlersozialversicherungsgesetz (KSVG) ausdrücklich die „Werbung“ bzw. „Eigenwerbung“ betrei-
benden Unternehmen als typische Kunstverwerter erfasse und Werbung somit
Kunst sein müsse. Wenn aber die Werbung in ihrer gesamten Bandbreite als
Kunst einzustufen sei, müssten auch die Werbefotografen ebenso wie die Werbefilmregisseure, Werbetexter und Werbegrafiker unabhängig davon, ob sie im Einzelfall schöpferische Leistungen erbringen oder nach genauen Vorgaben ihrer
Kunden arbeiten, allein wegen des werblichen Verwendungszwecks ihrer Arbeiten als Künstler gelten. Für eine solche Einordnung spricht nach Auffassung des
BSG auch die Tatsache, dass der Künstlerbegriff des KSVG nach dem erklärten
Willen des Gesetzgebers alle Berufsgruppen erfasst, die in einem Künstlerbericht
der Bundesregierung aus dem Jahre 1975 aufgeführt sind. In dem Bericht würden die Werbefotografen neben den künstlerischen Fotografen als eigenständige
Berufsgruppe erwähnt. Damit hätten die Verfasser des Künstlerberichts zu erkennen gegeben, dass sie die gesamte Werbefotografie in den Kunstbegriff einbeziehen und nicht zwischen künstlerisch und handwerklich tätigen Fotografen
unterscheiden wollten.
In dem Fall mit den Unterwäschefotos hatte das Sozialgericht Reutlingen in der
ersten Instanz noch anders entschieden und einer pauschalen Einstufung der
Werbefotografen als Künstler eine Absage erteilt (dazu PROFIFOTO Heft 9/2009).
Das BSG ließ dieses Urteil aber nicht gelten und bekräftigte in der Revisionsinstanz den Standpunkt, dass die Werbefotografie eine eigene Berufsgattung ist,
die unabhängig von der Gestaltungshöhe der Fotos und ohne Rücksicht auf die
Selbsteinschätzung, die Ausbildung oder das künstlerische Leistungsvermögen
des Fotografen stets der bildenden Kunst zuzuordnen ist. Nach diesem Verständnis ist jeder Werbefotograf ein Künstler, auch wenn es sich um einen ausgewiesenen Handwerker handelt, der lediglich einfache Packshots aufzunehmen hat.
Damit kann die Beauftragung eines Werbefotografen für die Auftraggeber doppelt teuer werden, denn sie müssen nicht nur zusätzlich zu dem Aufnahmehonorar auch noch die Künstlersozialabgabe zahlen, sondern außerdem damit rechnen, dass dem beauftragten Fotografen die steuerliche Anerkennung als Künstler
unter Hinweis auf die Verwendung seiner Aufnahmen für die Werbung versagt
bleibt, er also Gewerbesteuer zu zahlen hat und diese höhere Steuerlast über
den Preis auf seinen Kunden abwälzt.
Man mag das alles ungerecht finden und ungläubig den Kopf darüber schütteln,
dass ein und derselbe Sachverhalt im Steuerrecht und im Künstlersozialversicherungsrecht vollkommen unterschiedlich bewertet wird. Die Finanzämter und Sozialversicherungsträger haben damit allerdings kein Problem. Sie verweisen
schlicht und einfach darauf, dass für die Besteuerung andere Bewertungskriterien maßgebend sind als für die Erhebung der Künstlersozialabgabe. Die zahlungspflichtigen Unternehmen und die Fotografen, auf deren Rücken dieser
merkwürdige Kampf um die Sicherung der Staatsfinanzen ausgetragen wird,
werden mit diesem Widerspruch leben müssen. Nach der Entscheidung des BSG
ist auf längere Zeit wohl kaum mit einer Änderung der Situation zu rechnen.
BSG, Urteil vom 25.11.2010, Az. B 3 KS 1/10 R - Werbefotografen
Erschienen in PROFIFOTO Heft 6/2011
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