Germanistik Juliana Hartwig Die "Leerstellentheorie" Zur Möglichkeit und Problematik ihrer didaktischen Implementierung Studienarbeit Fachbereich Germanistik AM 4: Sprachlich-literarische Sozialisation Seminar: „Literarische Sozialisation im Sekundarbereich. Schwerpunkt: Textverstehen“ SoSe2007 Die „Leerstellen-Theorie“ Zur Möglichkeit und Problematik ihrer Implementierung in die Literatur-Didaktik Juliana Hartwig Germanistik/Philosophie, 4. FS Gliederung Einleitung ................................................................................................................................... 3 1. Die Relevanz offener Stellen für die Intention literarischer Texte - am Beispiel der Kurzgeschichte „Nacht schlafen die Ratten doch“ von Wolfgang Borchert ..................... 3 1.1. Zum Inhalt .................................................................................................................. 3 1.2. Zur literarischen Gestaltung ...................................................................................... 4 1.3. 1.2.1. Der Aufbau................................................................................................... 4 1.2.2. Die Erzähltechnik......................................................................................... 4 1.2.3. Sprachliche Stilmittel ................................................................................... 4 Die Intention des Textes und ihre Abhängigkeit vom Ausfüllen offener Stellen ...... 5 2. Theoretische Grundlage: Die von Wolfgang Iser begründete „Leerstellen“ -Theorie......... 7 2.1. Die „Leerstelle“ auf syntagmatischer Ebene.............................................................. 7 2.2. Die „Leerstelle“ auf der paradigmatischen Ebene ..................................................... 9 2.3. Notwendige Ergänzungen für eine didaktische Anwendung der Theorie................ 10 3. Analyse der Leerstellen und Unbestimmtheiten in Borcherts „Nachts schlafen die Ratten doch“..................................................................................... 12 4. Schlussfolgerungen ............................................................................................................ 17 5. Zur Möglichkeit und Problematik einer didaktischen Implementierung am Beispiel einer Übung zur Kurzgeschichte „Nachts schlafen die Ratten doch“ für eine 7. und 8. Gymnasial- Klasse ................................................................................. 18 Zusammenfassung.................................................................................................................... 22 Literaturverzeichnis.................................................................................................................. 23 2 Einleitung Durch die rezeptionsästhetische Schule ist der Lesevorgang als bedeutungs-konstruierender Prozess in der didaktischen Literaturforschung allgemein anerkannt. Als ebenso selbstverständlich gilt es heutzutage, dass der Leser bei der Lektüre auf sein Vorwissen zurückgreift. Während die zentrale Aussage eines Sachtextes noch weitgehend durch die Dekodierung der einzelnen Bedeutungselemente und -ketten, also der Wörter und Sätze, verstanden werden kann, lässt sich die Intention eines literarischen Textes nur durch das Hinzuziehen von bestimmtem Weltwissen, literarischem Vorwissen und persönlichen Erfahrungen erfassen. Lesen ist somit ein aktiver Vorgang, bei dem der Leser Schlussfolgerungen ziehen, geschilderte Situationen miteinander in Bezug setzen und sie an sein Vorwissen anknüpfen muss. Wolfgang Iser bezeichnet diese offenen Bezüge in seinem Aufsatz „Die Appellstruktur von Texten“ von 1970 als „Leerstellen“1. In der vorliegenden Arbeit soll untersucht werden, wie weit der Begriff „Leerstelle“ bei Iser und in nachfolgenden Theorien gefasst ist – und inwiefern das Wissen um den Umgang des Lesers mit Leerstellen zur Förderung des Textverstehens im Unterricht beitragen kann. 1. Die Relevanz offener Stellen für die Intention literarischer Texte am Beispiel der Kurzgeschichte „Nacht schlafen die Ratten doch“ von Wolfgang Borchert Am Beispiel der Kurzgeschichte „Nachts schlafen die Ratten doch“ von Wolfgang Borchert aus dem Jahr 1947 soll die Relevanz offener Textstellen herausgestellt werden2. Zunächst wird jedoch der Inhalt vorgestellt und die Gestaltung erläutert. 1.1. Zum Inhalt „Nachts schlafen die Ratten doch“ spielt in der Trümmerlandschaft einer von Bomben zerstörten deutschen Stadt gegen Ende des Zweiten Weltkrieges. Ein neunjähriger Junge namens Jürgen sitzt seit mehreren Tagen und Nächten vor einer Ruine und bewacht seinen verschütteten toten jüngeren Bruder, damit die Ratten nicht an seiner Leiche nagen. Ein älterer Mann, der zufällig vorbeikommt, wird auf Jürgen aufmerksam und spricht ihn auf seine Situation an. Durch geschickte Fragen gelingt es dem Fremden, Jürgen in ein Gespräch zu verwickeln und dessen Misstrauen abzubauen. Um den übermüdeten Jungen von seiner 1 Iser, Wolfgang: Die Appellstruktur der Texte. In: Warning, Rainer (Hrsg.): Rezeptionsästhetik: Theorie und Praxis. 4. unveränderte Aufl. München: Fink 1994, S.235 2 Anmerkung: Inwieweit diese offenen Stellen mit Isers Begriff von „Leerstelle“ übereinstimmen, wird in Kapitel 2. und 3. dieser Arbeit erörtert. 3