141015 Ödipus Stadt - S Geiger

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Bannendes Schauspiel im Nuancenbereich
Für ‘Ödipus Stadt’ hat der Dramaturg und Autor John von Düffel vier griechische Tragödien um den
Mythos des König Ödipus und seiner Familie nach Sophokles, Euripides und Aischylos zusammengesetzt. Nachdem die Theben-Trilogie 2012 seine Uraufführung im Berliner Ensemble erlebte, ist sie in
der aktuellen Inszenierung am Theater St.Gallen nun erstmals in der Schweiz zu sehen.
Spannung und Intensität
Eine Familie, die über Generationen hinweg vergeblich versucht, ihren Schicksalsprophezeiungen zu
entfliehen und sich gerade dadurch selbst in grösseres Unglück stürzt – ’Ödipus Stadt’ ist ein durch
und durch tragisches Stück. Die St. Galler Inszenierung von Katja Langenbach kostet die Tiefe der
schweren Momente vollumfänglich aus und bringt gleichzeitig sehr viel Spannung und Tempo mit
hinein. Nichts desto trotz wird dem Humor ein Plätzchen eingeräumt, zum Beispiel in Form diverser
Boten und Soldaten, deren Kurzauftritte durchaus unterhaltsame Momente hineinbringen. Auch der
blinde Seher Teiresias (Christian Hettkamp) ist ein auflockernder Charakter. Christian Hettkamp
schafft es, die Ernsthaftigkeit und Dringlichkeit seiner Botschaften zu überbringen, gleichzeitig seine Rolle im richtigen Moment aber auch so zu spielen, dass mal befreit gelacht werden kann. Es
sind die kleinen Momente in diesem schweren, mitreissenden Stück, die das Publikum aufatmen
lassen, so auch wenn Iokaste (Silvia Rhode) beim Streitschlichten jedem Sohn eine Tetrapackung in
die Hand drückt, oder wenn sich Kreons Sohn Menoikeus (Luzian Hirzel) in jugendlichem Lebensmut
am ganzen Körper goldig angemalt seiner Tante in die Arme wirft. Die Inszenierung spielt mit dem
Nuancenbereich, jedes Gefühl scheint ein klein wenig anders auf der Farbpalette angemischt und
zieht das Publikum mit auf eine Reise voller Intensität.
Abwechslungsreiche
Bilder
Hella Prokophs Bühne
besteht aus einem
komplexen Metallgerüst, welches das Spielen auf unterschiedlichen Ebenen ermöglicht. Elemente wie
minime Bühnenumstellungen, Nebel, dem
Einbeziehen des Orchestergrabens, Weihrauch oder einer reichlichen Geräuschkulisse
sorgen für Abwechslung und StimmungsOliver Losehand (Ödipus) beim oft thematisierten ’Reinwaschen’ | Bild: Tine Edel
verstärkung. Unterstützend ist auch das
auf die Feinheiten der Gefühle eingehende, sehr sorgfältig abgestimmte Licht (Andreas Enzler), welches den Kreislauf des Zusammenspiels vollendet.
Beeindrucke Leistung
Keinesfalls zu verachten ist die exakte Souveränität Marcus Schäfers in der Rolle des Kreons, erst
weiser Vertrauter des Königs, später in seiner Machtstellung der Blindheit verfallen, wie schon jeder
andere vor ihm. Oliver Losehand als Ödipus brilliert besonders in der Szene, wenn er sich aus Kummer über seine Blindheit selbst das Augenlicht nimmt. Silvia Rhode als Iokaste scheint für einen
kurzen Moment verloren, wenn sie alleine auf der Bühne steht, glänzt ansonsten aber durchgehend
mit einer Überzeugung und Dringlichkeit, Spielfreude aber auch Verzweiflung der trauernden Mutter.
Ein besonders starker Augenblick ist, wenn sie sich in ihrer Mutlosigkeit immerfort den Kopf gegen
die Wand schlägt und das Echo durchs ganze Theater dröhnt. Sven Gey und Julian Sigl als die Söhne
des Ödipus’ könnten in ihrer Gegensätzlichkeit und Rivalität besser nicht aufeinander eingehen und
harmonieren. Danielle Greens Antigone ist ein teilweise zitternder Charakter in unruhigem Körper –
der gemeinsame Selbstmord mit ihrer Liebe Haimon (Luzian Hirzel) gehört aber zu den schönsten
Momenten des Stückes. Luzian Hirzel in den Rollen der beiden Söhne Kreons wirkt anfangs ein bisschen verschupft, blüht anschliessend jedoch komplett auf. Mit Ismene spielt Wendy Michelle Güntensperger eine eher unauffällige Figur, zeigt mit ihrer Präsenz während den Auftritten jedoch, wie
wichtig gerade auch diese Figuren sind.
Individuelles Gesamtbild
Die Kostüme von Petra Winterer unterstützen die Schauspieler bestens und gehen individuell mit der
Entwicklung der Figuren, überzeugen aber auch als Gesamtbild. So vermittelt Ödipus mit weisser
Anzugsjacke und legerer Stoffhose ein Stück griechische Mythologie, wirkt dabei aber eher ungezwungen. Kreon erscheint in königsblauem Anzug ein Stück stattlicher, setzt er doch später den
alten Herrscher ab. Von Beginn weg trägt er das Königsblau spazieren – ein Vorzeichen seines späteren Platzes auf dem Thron? Die Söhne Ödipus’ sind einmal souverän nach Kreons Beispiel gekleidet, in Form des zum Feind übergelaufenen Polyneikes als jugendlicher Rocker. Die Töchter Antigone und Ismene schliesslich sind anfangs klassisch griechisch in unschuldsweissen Togen gehüllt,
beim späteren Aufbegehren gegen den König übernimmt Antigone das Rockeroutfit ihres verstorbenen Bruders. Raffiniert ist auch ein goldener Halsschmuck, der durchgehend vom aktuellen König
getragen wird. Und zu guter Letzt variiert man munter mit der Schuhbekleidung: anfangs Sandalen,
später geschlossenes Schuhwerk, bei Kriegsbeginn feste Stiefel.
Bann des Geschehens
Die Darsteller überzeugen mit einem sehr authentischen Spiel, womit der Bann des Geschehens auf
der Bühne während knappen drei Stunden für keinen Moment abbricht. Auch mit der Stimme wird
viel gearbeitet und anhand zahlreicher Mikrophone werden unterschiedliche Klangfarben erzeugt.
Zusätzlich lässt die Inszenierung Platz für moderne Elemente, wie der aktiven Einbindung von
elektrischer Gitarre, Bass und Schlagzeug, sowie teils eingespielter Sounddesign-Stücke (Musik:
Roderik Vanderstraeten). So entstehen eindringliche Momente, wie wenn sich das Schlagzeug zum
Machtinstrument erhebt und dem Zuschauer in einer bereits schmerzenden Lautstärke seine Gefühle regelrecht aufdrängt. ’Ödipus Stadt’ am Theater St.Gallen erscheint als kurzatmiges, abwechslungsreiches Stück, das Platz für Spass lässt, aber auch in seiner Schwere einfach nur zu geniessen
ist und die alten griechischen Klassiker in bestmöglicher Weise hervorbringt.
2. Juni 2014 - Sonja Geiger, ehemals Kanti Romanshorn
Weitere Vorstellungen: 20. & 22.10. | 27.11. | 17.12. | 15. & 22.2. www.theatersg.ch
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