140610 Ödipus Stadt - S Geiger

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Bannendes Schauspiel im Nuancenbereich
Für ‘Ödipus Stadt’ hat der Dramaturg und Autor John von Düffel vier griechische Tragödien um den
Mythos des König Ödipus und seiner Familie nach Sophokles, Euripides und Aischylos zusammengesetzt. Nachdem die Theben-Trilogie 2012 seine Uraufführung im Berliner Ensemble erlebte, ist sie in
der aktuellen Inszenierung am Theater St.Gallen nun erstmals in der Schweiz zu sehen.
Spannung und In
In ten
tensi tät
Eine Familie, die über Generationen hinweg vergeblich
versucht,
ihren
Schicksalsprophezeiungen
zu entfliehen und sich gerade dadurch selbst in
grösseres Unglück stürzt –
’Ödipus Stadt’ ist ein durch
und
durch
tragisches
Stück. Die St. Galler Inszenierung von Katja Langenbach kostet die Tiefe der
schweren Momente vollumfänglich aus und bringt
gleichzeitig sehr viel Spannung und Tempo mit hin- Oliver Losehand (Ödipus) beim oft thematisierten ’Reinwaschen’ | Bild: Tine Edel
ein. Nichts desto trotz
wird dem Humor ein Plätzchen eingeräumt, zum Beispiel in Form diverser Boten und Soldaten, deren
Kurzauftritte durchaus unterhaltsame Momente hineinbringen. Auch der blinde Seher Teiresias
(Christian Hettkamp) ist ein auflockernder Charakter. Christian Hettkamp schafft es, die Ernsthaftigkeit und Dringlichkeit seiner Botschaften zu überbringen, gleichzeitig seine Rolle im richtigen
Moment aber auch so zu spielen, dass mal befreit gelacht werden kann. Es sind die kleinen Momente in diesem schweren, mitreissenden Stück, die das Publikum aufatmen lassen, so auch wenn Iokaste (Silvia Rhode) beim Streitschlichten jedem Sohn eine Tetrapackung in die Hand drückt, oder
wenn sich Kreons Sohn Menoikeus (Luzian Hirzel) in jugendlichem Lebensmut am ganzen Körper
goldig angemalt seiner Tante in die Arme wirft. Die Inszenierung spielt mit dem Nuancenbereich,
jedes Gefühl scheint ein klein wenig anders auf der Farbpalette angemischt und zieht das Publikum
mit auf eine Reise voller Intensität.
Abwechslungsreiche Bilder
Hella Prokophs Bühne besteht aus einem komplexen Metallgerüst, welches das Spielen auf unterschiedlichen Ebenen ermöglicht. Elemente wie minime Bühnenumstellungen, Nebel, dem Einbeziehen des Orchestergrabens, Weihrauch oder einer reichlichen Geräuschkulisse sorgen für Abwechslung und Stimmungsverstärkung. Unterstützend ist auch das auf die Feinheiten der Gefühle eingehende, sehr sorgfältig abgestimmte Licht (Andreas Enzler), das den Kreislauf des Zusammenspiels
vollendet.
Beeindrucke Leistung
Keinesfalls zu verachten ist die exakte Souveränität Marcus Schäfers in der Rolle des Kreons, erst
weiser Vertrauter des Königs, später in seiner Machtstellung der Blindheit verfallen, wie jeder andere
vor ihm. Oliver Losehand als Ödipus brilliert besonders in der Szene, wenn er sich aus Kummer über
seine Blindheit selbst das Augenlicht nimmt. Silvia Rhode als Iokaste scheint für einen Moment verloren, wenn sie alleine auf der Bühne steht, glänzt ansonsten aber durchgehend mit Überzeugung
und Dringlichkeit, Spielfreude aber auch Verzweiflung der trauernden Mutter. Ein besonders starker
Augenblick ist, wenn sie sich in ihrer Mutlosigkeit immerfort den Kopf gegen die Wand schlägt und
das Echo durchs ganze Theater dröhnt. Sven Gey und Julian Sigl als die Söhne des Ödipus’ könnten
in ihrer Gegensätzlichkeit und Rivalität besser nicht aufeinander eingehen und harmonieren. Danielle Greens Antigone ist ein teilweise zitternder Charakter in unruhigem Körper – der gemeinsame
Selbstmord mit ihrer Liebe Haimon (Luzian Hirzel) gehört aber zu den schönsten Momenten des Stückes. Luzian Hirzel in den Rollen der beiden Söhne Kreons wirkt anfangs ein bisschen verschupft,
blüht anschliessend jedoch komplett auf. Mit Ismene spielt Wendy Michelle Güntensperger eine eher
unauffällige Figur, zeigt mit ihrer Präsenz während den Auftritten jedoch, wie wichtig gerade auch
diese Figuren sind.
Individuelles Gesamtbild
Die Kostüme von Petra Winterer unterstützen die Schauspieler bestens und gehen individuell mit der
Entwicklung der Figuren, überzeugen aber auch als Gesamtbild. So vermittelt Ödipus mit weisser
Anzugsjacke und legerer Stoffhose ein Stück griechische Mythologie, wirkt aber eher ungezwungen.
Kreon erscheint in königsblauem Anzug ein Stück stattlicher, setzt er doch später den alten Herrscher ab. Von Beginn weg trägt er das Königsblau spazieren – ein Vorzeichen seines späteren Platzes auf dem Thron? Die Söhne Ödipus’ sind einmal souverän nach Kreons Beispiel gekleidet, in Form
des zum Feind übergelaufenen Polyneikes als jugendlicher Rocker. Die Töchter Antigone und Ismene sind anfangs klassisch griechisch in unschuldsweissen Togen gehüllt, beim späteren Aufbegehren gegen den König übernimmt Antigone das Rockeroutfit ihres verstorbenen Bruders. Raffiniert ist
auch ein goldener Halsschmuck, der durchgehend vom aktuellen König getragen wird. Ebenso das
muntere Variieren der Schuhbekleidung: anfangs Sandalen, später geschlossenes Schuhwerk, bei
Kriegsbeginn feste Stiefel.
Stärke des Geschehens
Die Darsteller überzeugen mit einem sehr authentischen Spiel, womit der Bann der Bühne während
knappen drei Stunden für keinen Moment abbricht. Auch mit der Stimme wird viel gearbeitet und
anhand zahlreicher Mikrophone werden unterschiedliche Klangfarben erzeugt. Zusätzlich lässt die
Inszenierung Platz für moderne Elemente, wie der aktiven Einbindung von elektrischer Gitarre, Bass
und Schlagzeug, sowie teils eingespielter Sounddesign-Stücke (Musik: Roderik Vanderstraeten). So
entstehen eindringliche Momente, wie wenn sich das Schlagzeug zum Machtinstrument erhebt und
dem Zuschauer in einer bereits schmerzenden Lautstärke seine Gefühle regelrecht aufdrängt. ’Ödipus Stadt’ am Theater St.Gallen erscheint als kurzatmiges, abwechslungsreiches Stück, das Platz
für Spass lässt, aber auch in seiner Schwere einfach nur zu geniessen ist und die alten griechischen
Klassiker in bestmöglicher Weise hervorbringt.
02. Juni 2014 - Sonja Geiger, ehemals Kanti Romanshorn
Weitere Vorstellungen: www.theatersg.ch
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