Jahrbuch 2011/2012 | Schulz-Vogt, Heide N. | Riesenbakterien im Meer Riesenbakterien im Meer Giant bacteria in the ocean Schulz-Vogt, Heide N. Max-Planck-Institut für marine Mikrobiologie, Bremen Korrespondierender Autor E-Mail: [email protected] Zusammenfassung Das größte Bakterium der Welt, Thiomargarita namibiensis, w urde vor 14 Jahren vor der Küste Namibias entdeckt. Heute w issen w ir, dass die „namibische Schw efelperle“ nicht nur viele nahe Verw andte in anderen Meeresgebieten hat, sondern auch eine w ichtige Rolle für die Ökologie spielt: Diese Bakterien können die Bildung von Gesteinen mit einem hohen Phosphorgehalt auslösen. Dadurch verringert sich die Menge an Phosphat im Meerw asser, sodass es anderen Lebew esen nicht mehr als Nährstoff zur Verfügung steht. Die Bildung dieser Gesteine w irkt somit einer Überdüngung der Meere mit Phosphat entgegen. Summary Fourteen years ago, the w orld’s largest bacterium, Thiomargarita namibiensis, w as discovered off the coast of Namibia. Since then w e learned that the “Namibian sulfur pearl” has many close relatives in other parts of the sea and that it also plays an important ecological role: These bacteria can induce the formation of phosphorusrich rocks. This process decreases the total amount of phosphate in seaw ater w ith the result that this nutrient becomes unavailable for other organisms. Thereby, the formation of these rocks counteracts the eutrophication of the ocean w ith respect to phosphate. Was sind Riesenbakterien? © 2012 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 1/6 Jahrbuch 2011/2012 | Schulz-Vogt, Heide N. | Riesenbakterien im Meer A bb. 1: Fünf he ll le uchte nde Thiomargarita Zellen ne be n e ine m m e nschliche n Ha a r. Da s Ha a r ha t e ine n Durchm e sse r von 0,1 mm. © Ma x -P la nck -Institut für m a rine Mik robiologie /Schulz-Vogt Die meisten Bakterien sind in der Regel sehr klein und nur mit dem Mikroskop zu erkennen. Aber in einigen w enigen Bakteriengruppen haben sich Riesenformen herausgebildet. Sie sind mehr als hundertmal größer als normale Bakterien und leicht mit bloßem Auge zu erkennen (Abb. 1). Die größten bekannten Bakterien gehören zur Gruppe der Schw efelbakterien. Diese Bakterien erkennt man an den leuchtend w eißen Schw efeleinschlüssen, die dadurch zustande kommen, dass die Schw efelbakterien zur Energiegew innung Sulfid zu Schw efel und w eiter zu Sulfat oxidieren. Dazu verw enden sie entw eder Sauerstoff oder Nitrat. Die Atmung mit Nitrat ist auch der Grund für die ungew öhnliche Größe. Anders als Sauerstoff, der als Gas frei in Zellen hinein und hinaus diffundieren kann, w ird Nitrat als geladenes Ion über die Zellmembran aktiv aufgenommen und kann in der Zelle festgehalten w erden. Die Zellen der Riesenbakterien bestehen hauptsächlich aus großen, von Membranen umschlossenen Vakuolen, in denen sie Nitrat hochkonzentriert speichern können [1]. Durch die Speicherung von Nitrat zur Atmung und Schw efel als Energiequelle sind die Riesenbakterien in der Lage, lange Zeit unter ungünstigen äußeren Bedingungen zu überleben. Thiom argarita nam ibiensis - die Schwefelperle Namibias © 2012 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 2/6 Jahrbuch 2011/2012 | Schulz-Vogt, Heide N. | Riesenbakterien im Meer A bb. 2: Eine na m ibische Brie fm a rk e a us de m Ja hr 2000 m it e ine r Gra fik , die Thiomargarita namibiensis ze igt. © Q ue lle : Gove rnm e nt of Na m ibia In Afrika leben nicht nur die größten Landtiere der Welt, sondern auch die größten Bakterien. 1997 w urden sie im Meeresboden vor der Küste Namibias zum ersten Mal entdeckt [2]. Vor Namibia enthält der Meeresboden sehr viel mehr Sulfid als in anderen Küstenregionen, w as offenbar gerade diesen Riesen mit ihrem entsprechend großen Nitratspeicher zugutekommt. Außerdem w ird der besonders w eiche namibische Meeresboden regelmäßig durch großflächige Methanausbrüche aufgew irbelt [3]. So kommt Thiomargarita namibiensis, die namibische Schw efelperle, w ieder in Kontakt mit Nitrat und Sauerstoff aus dem Meerw asser und kann ihren Nitratspeicher füllen. Seit ihrer Entdeckung vor 14 Jahren haben es diese Bakterien zu einiger Berühmtheit gebracht und w urden sow ohl in das Guinness Buch der Rekorde aufgenommen als auch auf einer © 2012 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 3/6 Jahrbuch 2011/2012 | Schulz-Vogt, Heide N. | Riesenbakterien im Meer namibischen Briefmarke abgebildet (Abb. 2). Natürlich begann nach der Entdeckung in Namibia die Suche nach Thiomargarita in anderen sulfidreichen Meeresgebieten, und tatsächlich konnten sehr ähnliche Bakterien auch an anderen Standorten gefunden w erden, aber nirgends in solcher Menge und mit so vielen verschiedenen Formen w ie vor der Küste Namibias (Abb. 3). Erst vor kurzem ist es gelungen, diese Vielfalt an Erscheinungsformen auch genetisch zu untersuchen [4]. Dabei stellte sich heraus, dass es außer Thiomargarita namibiensis noch zw ei w eitere Thiomargarita-Arten gibt, die nach zw ei bekannten Mikrobiologen Thiomargarita joergensenii und Thiomargarita nelsonii benannt w urden. Außerdem w urden noch zw ei w eitere, bisher unbekannte Gattungen gefunden, die j e t z t Thiopilula (Schw efelbällchen) und Thiophysa (Schw efelblase) heißen. Die zuerst beschriebene Art Thiomargarita namibiensis bleibt jedoch ihrem Namen treu. Obw ohl sie auch am Meeresboden vor den Küsten von Chile und Costa Rica gefunden w urde, kommt sie dort nur als Einzelzelle vor und bildet nicht die typischen Perlenketten, denen Thiomargarita ihren Namen verdankt. A bb. 3: Ve rschie de ne Form e n von Thiomargarita ä hnliche n Ba k te rie n a us e ine r e inzige n Se dim e ntprobe vom na m ibische n Me e re sbode n. O be n link s sind zwe i P a k e te a us je vie r Ze lle n zu se he n. R e chts da ne be n ist e ine e inze lne R ie se nze lle m it e ine m Durchm e sse r von e twa 0,5 m m . Da runte r sie ht m a n e ine n große n Ha ufe n m it vie le n se hr k le ine n Ze lle n sowie dre i Ke tte n von Thiom a rga rita Ze lle n m it se hr unte rschie dliche n Lä nge n und Ze lldurchm e sse rn. © Ma x -P la nck -Institut für m a rine Mik robiologie /Sa lm a n Schwefelbakterien und der Phosphorkreislauf In den riesigen Zellen der Schw efelbakterien ist viel Platz, um Stoffe zu speichern. Nicht nur Schw efel zur Energieversorgung und Nitrat als Oxidationsmittel, sondern auch Phosphat kann die Zelle als eine Art Energiespeicher in Form von Polyphosphat in großen Mengen anhäufen. In den Küstengebieten, in denen besonders viele Schw efelbakterien leben, entstehen auch Gesteine mit hohem Phosphorgehalt, sogenannte Phosphorite. In alten Gesteinen, die von marinen, küstennahen Gebieten stammen, findet man oft Fossilien, deren Form an Schw efelbakterien erinnert. Alles zusammen legt die Vermutung nahe, dass schon seit langer © 2012 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 4/6 Jahrbuch 2011/2012 | Schulz-Vogt, Heide N. | Riesenbakterien im Meer Zeit die großen Schw efelbakterien eine direkte Rolle im Phosphorkreislauf des Meeres gespielt haben könnten, indem sie die Entstehung von Phosphoriten begünstigen. Daher stellt sich jetzt die Frage, unter w elchen Bedingungen sich Phosphorite bilden, denn dieser Prozess verringert die Menge an gelöstem Phosphat, die im Meerw asser als Nährstoff für alle Lebew esen zur Verfügung steht. Eine stärkere Phosphoritbildung bedeutet daher auf lange Sicht w eniger Wachstum für alle Organismen. Tatsächlich scheint es einen direkten Zusammenhang zw ischen Phosphoritbildung und großen Schw efelbakterien zu geben. Unter bestimmten Bedingungen geben Thiomargarita-Zellen Phosphat aus ihrem Speicher in das umgebende Meerw asser ab und erzeugen dadurch eine sehr konzentrierte Phosphatlösung in ihrer direkten Umgebung. Als Folge davon bildet sich das phosphorreiche Mineral Apatit, und der erste Schritt zur Entstehung von Phosphoriten ist getan (Abb. 4) [5]. A bb. 4: P hosphorite ntste hung durch Schwe fe lba k te rie n: In Ge ge nwa rt von Sa ue rstoff wird P hospha t a ufge nom m e n und ge spe iche rt. W e nn de r Sa ue rstoff a ufge bra ucht ist und die Sulfidk onze ntra tion ste igt, sche ide n die Ba k te rie n große Me nge n P hospha t a us und da s phosphorre iche Mine ra l Apa tit e ntste ht. © Ma x -P la nck -Institut für m a rine Mik robiologie /Schulz-Vogt Der Meeresboden vor der namibischen Küste ist so reich an Phosphoriten, dass sie jetzt sogar als Rohstoff für die Düngemittelindustrie lohnensw ert erscheinen. Um zu verstehen, unter w elchen Bedingungen diese Phosphorite entstanden sind, müssen w ir w issen, w as der Auslöser für die Phosphatabgabe bei Thiomargarita ist. Diese Fragestellung ließ sich jedoch erst an dem etw as kleineren verw andten Schw efelbakterium namens Beggiatoa untersuchen, denn im Gegensatz zu Thiomargarita lässt sich Beggiatoa gut im Labor unter genau definierten Bedingungen heranziehen. Es stellte sich heraus, dass bei Beggiatoa eine hohe Sulfidkonzentration in Abw esenheit von Sauerstoff der entscheidende Auslöser für die Phosphatabgabe ist [6]. W ir vermuten, dass ähnliche Mechanismen auch für Thiomargarita gelten (Abb. 4). Bis jetzt ist noch nicht bekannt, w arum Sulfid die Phosphatabgabe auslöst. Tatsächlich kann man jedoch beobachten, dass sow ohl heutzutage als auch in der Erdgeschichte Phosphorite in stark sulfidischen Meeresböden entstanden sind. W ir vermuten daher, dass diese und ähnliche Bakterien eine w ichtige Rolle für den Phosphorkreislauf des Meeres spielen und w ahrscheinlich auch schon in der geologischen Vergangenheit zur Phosphoritbildung beigetragen haben. [1] Fossing, H.; Gallardo, V. A.; Jørgensen, B. B.; Hüttel, M.; Nielsen, L. P.; Schulz, H.; Canfield, D. E.; Forster, S.; Glud, R. N.; Gundersen, J. K.; Küver, J.; Ramsing, N. B.; Teske, A.; Thamdrup, B.; Ulloa, O. Concentration and transport of nitrate by the mat-forming sulphur bacterium Thioploca Nature 374, 713-715 (1995) [2] Schulz, H. N.; Brinkhoff, T.; Ferdelman, T. G.; Hernández Mariné, M.; Teske, A.; Jørgensen, B. B. Dense Population of a Giant Sulfur Bacterium in Namibian Shelf Sediments Science 284, 389-544 (1999) © 2012 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 5/6 Jahrbuch 2011/2012 | Schulz-Vogt, Heide N. | Riesenbakterien im Meer [3] Weeks, S. J.; Currie, B.; Bakun, A.; Peard, K. R. Hydrogen sulphide eruptions in the Atlantic Ocean off southern Africa: implications of a new view based on SeaWiFS satellite imagery Deep-Sea Research I 51, 153-172 (2004) [4] Salman, V.; Amann, R.; Girnth, A.-C.; Polerecky, L.; Bailey, J. V.; Høgslund, S.; Jessen, G.; Pantoja, S.; Schulz-Vogt, H. N. A single-cell approach to the classification of large, vacuolated sulfur bacteria Systematic and Applied Microbiology 34, 243-259 (2011) [5] Schulz, H. N.; Schulz, H. D. Large Sulfur Bacteria and the Formation of Phosphorite Science 307, 416-418 (2005) [6] Brock, J.; Schulz-Vogt, H. N. Sulfide induces phosphate release from polyphosphate in cultures of a marine Beggiatoa strain The ISME Journal 5, 497-506 (2011) © 2012 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 6/6