Untervazer Burgenverein Untervaz Texte zur Dorfgeschichte von Untervaz 1799 Weltgeschichte im Hochgebirge Email: [email protected]. Weitere Texte zur Dorfgeschichte sind im Internet unter http://www.burgenverein-untervaz.ch/dorfgeschichte erhältlich. Beilagen der Jahresberichte „Anno Domini“ unter http://www.burgenverein-untervaz.ch/annodomini. -2- 1799 Weltgeschichte im Hochgebirge Diverse Autoren Auszüge aus: Jürg Stüssi-Lauterburg, Hans Luginbühl, Richard Munday, Ueli Stump, Georges Wüthrich, Peter Gerber, Alexander Nikolajewitsch Lukirskij, Madeleine Isabelle Lüthi: Weltgeschichte im Hochgebirge - Entscheidung an der Grimsel 14. August 1799. Vierte erweiterte Auflage 2011. -3- -4- Weltgeschichte im Hochgebirge S. 14: Zusammenfassung Preussen hatte genug vom Krieg gegen die eine und unteilbare Französische Republik. 1795 brach das vom Neffen des Grossen Friedrich, von Friedrich Wilhelm II., regierte Königreich aus der Ersten Koalition aus und schloss mit den vielleicht verhassten, aber sicher gefürchteten Revolutionären an der Seine den Frieden von Basel. Der Aufstieg Napoléons Das von seinem zweitstärksten kontinentalen Gegner entlastete Frankreich gewann zur gleichen Zeit einen der grossen Feldherren der Weltgeschichte für den Oberbefehl seiner «armée d'Italie››. Bonapartes Ernennung ging freilich mehr auf seine erprobte Gesinnungstüchtigkeit - er hatte den royalistischen Vendémiaire-Aufstand niedergeschlagen - und seine Bereitschaft zurück, die Freundin des an der Seine bestimmenden Paul Barras, Marie Josèphe Rose Tascher de La Pagerie, verwitwete de Beauharnais, zu heiraten, als auf eine volle Würdigung seiner militärischen Talente. Einmal an der Spitze einer Armee zeigte der Korse dann freilich, dass nicht jeder, der seine Stellung persönlichen Beziehungen verdankt, auch unfähig ist. In einem atemberaubenden Feldzug, unterbrochen durch die lange Belagerung von Mantua, führte er die Soldaten der Republik nach dem weniger als 150 Kilometer vom Stephansdom entfernten Leoben. Österreich verliert gegen Frankreich Kaiser Franz II. erschrak. Seinem Bruder, Erzherzog Carl, schrieb der Monarch, es gehe nun darum, Wien so lange zu decken, wie er könne. Preussens Ausscheiden aus der Ersten Koalition hatte Österreich innert zwei Jahren in eine Lage gebracht, in welcher nur ein Friede mit Frankreich um fast jeden Preis noch in Frage kommen konnte. Deshalb konzedierte die stolze Donaumonarchie im sogenannten Frieden von Campo Formio vom Oktober 1797 dem auch als Diplomaten auftretenden Bonaparte die Lombardei südlich und die Rheingrenze nördlich der Alpen. -5- Das Veltlin räumte der Kaiser - ohne dass er dies als Freiherr von Rhäzüns und damit als Glied des Grauen Bundes hätte tun dürfen - der von Bonaparte in Oberitalien eingerichteten «Cisalpinischen Republik» ein. Immerhin vermochte sich Franz II. den beherrschenden Einfluss in Graubünden selbst zu sichern, während er den Rest der Schweiz einschliesslich des bisher ihm gehörenden Fricktals den Franzosen als Helvetische Republik preisgeben musste. Die Schweizer wurden nicht nur nicht gefragt, sie wurden über den Geheimartikel 6 des Friedens von Campo Formio auch nicht einmal informiert. Als Frankreich die Alte Eidgenossenschaft mit einer Mischung von Subversion und Invasion in den Monaten Dezember 1797 bis April 1798 unterwarf und nach seinem Geschmack zur Helvetischen Republik umgestaltete, konnte die österreichische Diplomatie Entsetzen heucheln und den Versuch unternehmen, auch mit diesem Argument Russland als Ersatz für Preussen gegen Frankreich zu gewinnen. Napoléon überfällt Malta Im Sommer 1798 freilich herrschte in Kontinentaleuropa Friede, der Friede von Campo Formio. Der beste Degen Frankreichs S. 16: war an der Spitze der «armée de l'Egypte›› an Bord gegangen und hatte auf dem Weg ins Pharaonenland dem altehrwürdigen Johanniterstaat auf Malta ein Ende gesetzt. Dieser Griff nach Malta sollte sich als grober Fehler entpuppen: Kaiser Paul I., der romantische Sohn der grossen Katharina, sah sich als Retter des misshandelten Johanniterordens und war deshalb für die Zweite Koalition gegen Frankreich zu gewinnen. Österreich bereitete sich vor, die Schmach von Campo Formio durch einen neuen Krieg ohne Preussen zu tilgen und die Rivalin an der Spree so auch um die Beteiligung an der erwarteten Beute zu bringen. Beute, das heisst durch das Schwert erworbene und danach zu besitzende Länder, kann ohne weiteres als primäres Motiv Wiens gelten. Russland und Grossbritannien planen den Marsch auf Paris Russland und Grossbritannien, durch das Meer und durch die grossen Entfernungen gegen das Auftreten irgendeines Bonaparte in irgendeinem Leoben sichergestellt, konnten sich eine moderne Strategie leisten: -6- Sie wollten auf Paris marschieren, die republikanische Staatsordnung stürzen und den Frieden in ihrem Sinne durch einen Systemwechsel in Frankreich absichern. Auf dem Wege zu diesem Ziel galt es, möglichst viele Freunde zu gewinnen, das heisst allen Völkern und allen Dynastien alles wiederzugeben, was ihnen die Franzosen geraubt hatten und nichts selber zu behalten. Der Gegensatz zwischen dem temperamentsmässig gemütlichkräfteschonenden, strategisch an territorialer Expansion orientierten Österreich und seinen temperamentsmässig zugriffigen und grosszügigen, der Losung «Freiheit, Gleichheit» - Varianten des Mottos «Glaube, Souveränität» entgegenstellenden Bundesgenossen schien freilich zunächst auf der persönlichen Ebene überbrückbar. Der Russe Suworow wird zum österreichischen Oberbefehlshaber in Italien ernannt Suworow skizzierte im Dezember 1798 seine einfache und zielgerichtete Strategie: Volle Gewalt dem Obergeneral, um bald nach Paris zu gelangen. Kaiser Franz II. ernannte diesen Mann, der ihm im Auftrage Kaiser Pauls I. ein Hilfskorps von zunächst 18'000 Mann zuführte, zum Oberbefehlshaber seiner Armee in Italien und machte ihn zum österreichischen Feldmarschall. Dieses grosszügige Arrangement des Souveräns sollte freilich später durch direkte Einflussnahme Wiens auf die Operationsführung untergraben werden. Zunächst gestattete die Austrisierung Suworows der austrorussischen Italienarmee einen Feldzug, dessen Glanz selbst jenen Bonapartes von 1796 und 1797 in den Schatten stellte: Was der Korse nicht gewagt hatte, am festen Mantua vorbei vorzustossen, wagte der Russe ohne zu zögern. Bonaparte hatte sich 1796 und 1797 im Bannkreis von Mantua gehalten und die Entsatzheere geschlagen. Suworow zog kühn ins Weite, warf im Juni 1799 auf Hannibals altem Schlachtfeld, an der Trebbia, Macdonald, bei Novi am 15. August dann auch Moreau zurück. Der umfassende Erfolg - auch Mantua hatte kapituliert - bestätigte Suworows Konzept, dem Gegner auf den Leib zu rücken und alles an alles zu setzen. -7- S. 17: S. 18: Unerklärliche Weisungen an Suworow Auf welchem Wege - über Savoyen oder über Nizza - sollte das sieggewohnte, rund 100'000 Mann zählende österreichisch-russische Heer in Frankreich einfallen? Dies schien die Frage zu sein. Dass es statt zu einem Triumphzug der Alliierten nach Frankreich zu einer jeder rationalen Strategie Hohn sprechenden Entfernung Suworows aus Italien in die Schweiz kam, ist nur durch die idiosynkratischen Verfügungen des österreichischen Ministers Thugut erklärbar. -8- Mit der Entfernung der in Italien dienenden Russen zog ein Viertel des Heeres ab und mit ihm einer der ganz grossen Feldherren der Weltgeschichte. Wohl erzielten die verbleibenden Österreicher unter Melas Führung 1800 noch kleinere und mittlere erste Erfolge, die Eroberung Genuas gehört dazu. Dass aber mit den Russen das Heer um die Differenz zwischen Sieg und Niederlage geschwächt worden war, sollte der Erste Konsul Napoléon Bonaparte an der Spitze der «armée de reserve» auf dem Schlachtfeld von Marengo am 14. Juni 1800 der Welt zeigen. Somit erreichte Thugut mit seinen Dispositionen des Sommers 1799 ungewollt strategisch das, was die Franzosen von Ende 1798 an immer gewollt hatten: Die Österreicher mussten ohne die Russen antreten. Frankreichs Krieg Genau mit diesem Ziel vor Augen hatte sich das französische Direktorium und der darin bestimmende Paul Barras entschlossen, den Krieg von 1799 selbst und früh zu eröffnen, um die Österreicher vor dem Eintreffen der Russen zu schlagen. Nach einem dreiwöchigen Siegeszug hatten die Franzosen Graubünden unterworfen und als Kanton Rätien der Helvetischen Republik einverleibt. Masséna war zwar bei Feldkirch von Hotzes Österreichern gestoppt worden, Lecourbe und Dessolle aber hatten am 25. März Nauders und Glurns erreicht, so dass von der Reschen-Scheideck bis zum Colle di Tenda, ja bis zum Meere, alle Alpenübergänge in französischer Hand waren. Diese neue Herrlichkeit währte freilich nicht lange. Das grossspurig «armée du Danube» genannte Heer Jourdans wurde im März 1799 von Carl bei Stockach in die Knie gezwungen. Im April war Carl in der Schweiz, allerdings im rechts des Rheins gelegenen Schaffhausen, wo die Grubenmannsche Brücke von den Franzosen verbrannt worden war. Wenig später schlug Suworow die Franzosen bei Cassano, überquerte die Adda und zog in Mailand ein. Suworows Kampfführung Suworow führte nicht aufgrund vorgefasster Meinungen Krieg. Der Feldmarschall passte seine Operationen den Umständen an und zeichnete sich durch das Setzen von Prioritäten aus. -9- Das konnte freilich konkret auch eine rasche Folge von Befehlen und Gegenbefehlen zur Folge haben. Wer für die entscheidenden Schlachten alles von überallher zusammenraffen will, weil man am entscheidenden Ort eben gar nie und unter keinen Umständen zu stark sein kann, braucht flexible Untergebene. Klare Vorstellungen bezüglich der Schweiz In bezug auf die Schweiz entwickelten Suworow und sein damaliger Stabschef S. 19: Chasteler bereits im Mai klare Vorstellungen: Dieser Schlüssel Italiens, Deutschlands und Frankreichs sollte befreit werden, ein Stoss über den Grossen Sankt Bernhard und weiter nach Bern wurde ins Auge gefasst. Friktionen zwischen Suworow und dem Wiener Hofkriegsrat Vier Hindernisse stellten sich der Schweizer Operation von Süden her damals im Mai und in den folgenden Monaten in veränderter Form immer wieder in den Weg: Zum einen entstanden Friktionen zwischen Wien und Suworow, die auf den Gegensatz der zwei Strategien zurückgingen. Österreich wollte erobern und danach darüber verfügen, Suworow wollte befreien, die legitimen Regierungen (konkret insbesondere die sardinischpiemontesische Regierung in Turin, aber auch die Alte Eidgenossenschaft in ungeschmälertem Umfang) einsetzen und mit ihrer Hilfe gegen Frankreich weiterziehen. Die Spannungen zehrten an Suworows Kräften. Ja, es lässt sich sagen, dass Suworow dem Erfolg seiner Armee alles aufopferte, am Ende sogar sein seelisches Gleichgewicht und seine geistige Gesundheit. Von der blossen Bizarrerie brachte es der Feldzug eines Sommers und eines Herbstes bis zum 3. Januar 1800 dazu, dass Lord Minto, der verständige und nüchterne nachmalige Vizekönig von Indien, in Prag aus unmittelbarer Anschauung über den Eroberer Italiens und Bezwinger des Gotthard schreiben musste: «Er ist der vollkommenste Bedlamite (Insasse des grössten Irrenhauses von London), den man je hat frei herumlaufen lassen. Ich habe noch nie etwas derart Verrücktes gesehen und etwas, wie es mir scheinen will, so in jeder Hinsicht Verächtliches.» - 10 - Das Ergebnis zeigt, wie sehr Suworow im Sommer 1799 an den ständigen grossen und kleinen Nadelstichen aus Wien litt. Der Wiener Hofkriegsrat ängstigte sich um Mantua bis zur Kapitulation der Stadt. Bonaparte hatte nicht gewagt, an dieser Festung vorbeizuziehen, und nun ging Suworow an dieses gewagte Unterfangen! Wien bremst Suworow Er musste gebremst werden, und er wurde mit allerhand Verboten und direkten und indirekten Massnahmen sehr zu seiner zusätzlichen Irritation auch tatsächlich gebremst. Zudem wirkte die natürliche Rivalität zweier grosser Heerführer und die daraus resultierende ausweichende Rücksicht gegen ein Engagement in den Alpen, denn dort war die Naht der beiden Armeen: an der Grimsel und an der Massa-Brücke von Naters sowie am Simplon hatte Suworows Armee ihren äussersten rechten Flügel, im Kanton Uri stand der äusserste linke Flügel Carls. Dieser hatte sein Hauptquartier im Sommer in Kloten, Suworow in Turin, Alessandria, Asti. Keiner von beiden blickte mit besonderer Priorität auf das Gebirge, denn dort hielt jeder primär den anderen für zuständig. Schliesslich sah sich Suworow noch der Aufgabe gegenüber, die nicht endgültig geschlagenen französischen Armeen zu beobachten und ihnen bei einem Versuch, in die Ebene auszubrechen, entgegenzuziehen und sie zu schlagen. Die Augen des Feldmarschalls waren daher die meiste Zeit nach Süden und nicht nach Norden gerichtet. S. 20: Austrorussische stossen französische Truppen zurück Frankreich fand sich am Abgrund. Von Glurns und Nauders an waren seine Soldaten nur noch zurückgegangen. Im Mai hatten die Austrorussen die Heere der Republik nördlich und südlich der Alpen in der Schweiz zurückgestossen. Wenn auch die örtlichen Aufstände gegen die Franzosen überall zu früh ausgebrochen waren und deshalb von diesen noch vor dem Auftauchen der Alliierten niedergeschlagen werden konnten, so erschienen doch vielerorts unmittelbar danach die Austrorussen, nahmen insbesondere vom Gotthardstock, von der Grimsel und vom Simplon Besitz und erreichten Aosta. - 11 - Nach seinem Sieg an der Trebbia und nach der Kapitulation der Zitadelle von Turin griff Suworow das Wallis-Projekt erneut auf, nur um Anfang Juli ein Rücktrittsschreiben aufzusetzen und sich vom Wallis wieder abzukehren. Chaotische Lage der Helvetischen Republik 1799 Beim Gegner regnet's auch. Dass die Helvetische Republik bei der Aushebung auf Widerstand stiess und diesen mit zum Teil brutaler Repression unterdrückte, dass die Behörden im Mai den Regierungssitz aus der Gefahrenzone wegverlegten und von Luzern nach Bern übersiedelten, dass sie im gleichen Monat ihren Oberbefehlshaber absetzten, einen Nachfolger bestimmten, als dieser aber gefallen war, gleich die Oberbefehlshaberstelle abschafften, dass ein Direktor, La Harpe, einen anderen, Ochs, als Verräter brandmarkte und stürzte, dass La Harpe in der Folge - freilich umsonst versuchte, die Franzosen zum Verzicht auf die geschlossene Offensiv- und Defensivallianz und zur erneuten Anerkennung der schweizerischen Neutralität zu bewegen, kennzeichnet die Lage des Satellitenstaates weit realistischer als die ebenfalls zutreffende Feststellung, dass 1799 in zukunftweisender Klarsicht der Schweizer Franken zu 100 Rappen eingeführt wurde. Nur floss er nicht gerade reichlich im ersten Jahr seiner Existenz. Doch das Helvetische hat nur aus patriotischen Gründen sein Recht auf Erwähnung. Krise in Frankreich Das Jahr wurde geprägt durch die Ereignisse in Frankreich. Das französische System befand sich seit den Niederlagen des Aprils in einer Krise, die erst und auch dann nicht wirklich auf Dauer - überwunden wurde, als der, knapp, die verfassungsmässigen Formen respektierende Prairial-Umsturz ein auf Barras und den kurz zuvor regulär zugewählten Sieyès eingeschworenes Direktorium an die Macht brachte. Neu ernannter Kriegsminister Das wichtigste Ministerium war nun selbstverständlich das von einer ehrlicheren Zeit auch so genannte Kriegsministerium, an dessen Spitze Bernadotte Zeugnis für seine beachtlichen Talente ablegte. - 12 - Mit einem Schwergewicht von vielleicht 90'000 Mann in der Schweiz die Nahtstelle der Armeen Suworows und Carls angreifen und diesen das Rochieren im Idealfall wieder bis zur Reschen-Scheideck und jedenfalls so weit östlich wie denkbar verunmöglichen, mit einer Phantomarmee um Mannheim und Philippsburg herum Lärm schlagen und soviele Kräfte des S. 21: Erzherzogs wie irgend möglich nach Norden ziehen, in den Niederlanden der erwarteten britisch-russischen Landung entgegentreten und in Italien Suworow wenigstens festhalten. Suworows Sieg bei Novi vereitelte die italienische Komponente dieser grossen Konzeption, das Herzstück, der Angriff in den Alpen, wurde freilich am 14. und 15. August 1799 Wirklichkeit und veränderte die Weltgeschichte. - 13 - S. 22: Scheinangriff auf das österreichisch besetzte Zürich Der gleichzeitige französische Diversionsangriff auf das österreichisch besetzte Zürich hatte direkt und indirekt erhebliche Folgen. Die wichtigste davon war der Verlust an Glaubwürdigkeit des Erzherzogs bei der britischen Diplomatie in der Schweiz und insbesondere bei deren Spitzenmann William Wickham. Dieser hatte in Erfahrung gebracht, dass Carl entgegen seinen früheren Behauptungen selbst nicht über weniger, sondern über mehr Truppen verfügte als Masséna. Dessen Pessimismus, welcher ihn noch am 24. Juli beherrschte, war verflogen, und als Ende Monat dann der Erfolg von Bauen eintrat, wo der österreichische Brigadekommandant im Kanton Uri, Bey, gefangen wurde, ging er mit Zuversicht an die Umsetzung von Bernadottes Konzeption: Es handelte sich darum, die Kommunikation der Alliierten über die Zentralalpen durch eine Eroberung des Gotthards und einen Stoss nach Graubünden zu unterbrechen. Kämpfe im Wallis Um dies möglich zu machen, griff im Wallis die französische Division Turreau am 13. August bei Rosswald an und trennte die am Simplon stehende Brigade Rohan von der im Goms stehenden Brigade Strauch. Strauch setzte seine Reserven daraufhin um so mehr im Binntal ein, als er, vielleicht aufgrund falsch interpretierter eigener Gebirgskampferfahrung, glaubte, die Grimselstellung sei uneinnehmbar. Am 14. August hielt Turreaus Angriff mit 6'000 Mann rhoneaufwärts Strauch in der Front fest, während Gudin mit 3'800 Mann die Grimsel eroberte, zum Stoss über die Furka ansetzte und binnen zweier Tage von Andermatt kommend die Schöllenen erreichen und damit den Gotthard den Franzosen zurückgeben sollte. Eines von Gudins vier Bataillonen rückte am 13. August nach Guttannen vor, zwei nach Boden und eines blieb in Meiringen. Bei diesem handelte es sich um Lémaner, also Waadtländer, in Guttannen stand ein Bataillon der 25. Leichten Halbbrigade, die beiden Bataillone in Boden gehörten zur 67. Halbbrigade. Heinrich Zschokke, der Gudins Kollegen Loison Richtung Gadmen und Susten begleitete, sah Gudin und seine Leute am 13. August. - 14 - «Jenseits des Kirchet-Hügels, am Dörflein Im- Grund, schied von uns der General Güdin, ein sanfter gefälliger Mann. Seine Brigaden» - Zschokke braucht fälschlich die Mehrzahl - «zogen die Berg-Strasse an der Grimsel, auf deren unwirthbaren Höhen, hinter Wällen von Fels Trümmern, der Feind ihn erwartete. Man muss mit eigenen Augen jenes grausenvolle Chaos von steilen schlüpfrigen Klippen gesehn haben, und die Ermattung kennen, welche das Besteigen der Gebirge in heissen Tagen giebt, wo der Genuss bittern SchneeWassers den Durst mehr reizt, denn stillt, man muss den Kranz von schroffen Felsen kennen, welchen droben die Kaiserlichen überall vorteilhaft besetzt hielten, um das Ungeheure des Wagstüks würdigen zu können, welches hier fränkische Truppen bestanden. Sie siegten, und fegten im Sturm-Marsch das Gebirg, am folgenden Tage.» Unterstützung aus Guttannen Noch am 13. August 1799, 23.00 Uhr, brachen vier Kompanien von Guttannen auf. Der 63 Jahre alte Niklaus Fahner, der im «Bären» erklärt hatte, er könne den Franzosen den Weg schon zeigen, auf dem S. 23: - 15 - S. 24: sie in den Rücken der Österreicher kämen und ihnen den Rücken brechen könnten, führte sie «vom obern Bögli über die Felsen, Schneefelder und Gletscher der Gerstenhörner und des Nägelisgrätli in den Rücken der an u. auf der Grimsel stehenden Oestreicher unter beständigen Todesandrohungen», wie das Guttanner Burgerregister zu berichten weiss. Zwischen Mitternacht und dem 14. August 1799, 01.00 Uhr, setzte sich der Rest von Gudins Truppen aareaufwärts in Bewegung. Eine halbe Marschstunde unterhalb des Hospiz erwarteten die Österreicher Gudin. Der Brigadegeneral entschloss sich, auf einer Schneebrücke über die Aare zu setzen. Die Kompanie Hardy der 25. Leichten Halbbrigade setzte als erste über und begann, sich von Felsen zu Felsen vorzuarbeiten. Dies erleichterte den frontalen Angriff auf die Brücke. Gudin ging sogleich zum Angriff auf die Grimsel über, wobei er den Rest des Bataillons der 25. Leichten in Angriffsrichtung rechts und beide Bataillone der 67. Halbbrigade in der Front einsetzte. Gudins Schilderung des Kampfes vom 14. August 1799 Gudins Schilderung, am Kampftage selbst redigiert, ist eindrücklich: «Zwei Kompanien der 25. sind über die Felsen zur Rechten nahe der Aarequelle geklettert, während der Rest des Bataillons in Tirailleurformation sich auf die Rechte und auf das Zentrum geworfen hat. Die Grenadiere der 67. sind gefolgt, danach die Bataillone 1 und 2. Erst nach unglaublichen Schwierigkeiten und einem während sechs Stunden andauernden lebhaften Schusswechsel ist es uns gelungen, diese erste Grimselsstellung zu gewinnen. Die vier Kompanien der 25. trafen im selben Augenblick auf dem Plateau ein, wo sie 96 Gefangene machten, wir haben dort noch weitere 150 Mann gefangen. Von dieser ersten Grimselstellung hatte sich der Feind hinter einen sehr vorteilhaften Vorhang zurückgezogen, von welchem aus er ein schreckliches Feuer auf uns unterhielt, um seinen Rückzug leichter zu bewerkstelligen. Unsere Truppen waren erschöpft und konnten kaum mehr gehen, allein, ein Augenblick der Erholung hat ihnen ihre ganze Kraft zurückgegeben und schon wirft ein Bajonettangriff des chefs de brigade Chossat den Feind über den Haufen. - 16 - Er hat sich in sein Lager von Geschinen gerettet, dessen wir uns ebenfalls bemächtigt haben. Der Feind hat sich auf die Griesschlucht und ins Wallis zurückgezogen. Er hält noch einen Teil der Rhoneschlucht dort, wo der Meienwang mündet. Ich habe ihn dort heute Abend aufscheuchen lassen, aber die Schwierigkeit des Geländes hat einen kräftigen Angriff verunmöglicht, umso mehr als der Grimselangriff meine Truppen in eine derartige Konfusion gebracht hatte, dass ich Mühe haben werde, sie morgen früh zu sammeln. Morgen greife ich die Furka an.» Zerstörte Teufelsbrücke Gudins Erfolg an der Grimsel hatte mittlerweile Lecourbes Hauptproblem, die Inbesitznahme der Teufelsbrücke, gelöst. Wohl war der rührige Divisionskommandant in Flüelen angelandet, wohl konnte der Freigrafschäftler beim Stoss durchs Reusstal hinauf die Kolonnen an sich ziehen, die unter grossem Aufwand über Surenen und Susten und nicht ohne harte Kämpfe an der Meienschanze ob Wassen in den Urner Talgrund gelangt S. 25: waren, letztlich aber war und blieb die Schöllenen in der Front, und im Unterschied zu den Urner und Leventiner und Walliser Föderalisten vom Frühjahr, die aus Rücksicht auf die Ursner die Brücke stehengelassen hatten, zerstörte sie jetzt der Österreicher Simbschen, Nachfolger des gefangenen Bey. Lecourbes Leute, auf die etwas vom Elan ihres Chefs übergegangen war, setzten in Richtung Urner Loch an und fanden sich vor einer 30 Fuss messenden Unterbrechung der Teufelsbrücke. Lecourbe stand buchstäblich am Rande des Abgrunds. Die Rettung nahte allerdings von Westen. Einige Leute Strauchs - wir haben dafür Gudin zum Zeugen - zogen sich, auf der Grimsel geschlagen, am 14. August über Meienwang Richtung Furka zurück. Von diesen wenigen Versprengten wusste Strauch aber selbst am 15. August in Airolo noch gar nichts. Er gehörte zur Armee Suworows und dachte nach seinen Rückschlägen im Wallis primär noch daran, sich - ohne abgeschnitten zu werden nach Süden zurückzuziehen. Da er befürchtete, er könnte durch das Blenio umgangen werden, hielt Strauch am 16. August nicht einmal in Biasca an, sondern zog sich nach Bellinzona zurück. Der Nachbarbrigadier Simbschen in Ursern hing damit etwas in der Luft. - 17 - Simbschens Rückzug Es sollte noch schlimmer kommen: Simbschen, der am 15. August immerhin die Teufelsbrücke demoliert und Lecourbe gestoppt hatte, wurde nun seinerseits durch das Auftauchen Gudins auf seinem mageren Rösslein, wie sich die Wirtin der «Drei Könige» in Andermatt später erinnerte, überrumpelt. Dem Erzherzog Carl, seinem Armeekommandanten, schrieb Simbschen am 15. August «dass der Feind das vom Obristen Strauch besetzt gewesene Grimselthal forciert habe, wodurch er, Simbschen, genötigt worden sei, um nicht durch das Splügerthal von Chur abgeschnitten zu werden, seinen Rückzug nach Dawos zu nehmen.» Gotthard in französischer Hand Lecourbe stellte deshalb am 16. August um 07.00 Uhr an der Teufelsbrücke befriedigt fest, dass rechts der Reuss, von Andermatt her kommend, Gudins Leute auftauchten. Die Schöllenen, der Gotthard waren in französischer Hand, der Feind stand einerseits hinter der Moesa und stellte sich andererseits hinter der Landquart auf. Von nun an konnte er wohl noch massiv von Süden her auftauchen, aber nicht mehr überraschend im Zugerland erscheinen, sondern nur noch in der Leventina. Die dadurch gewonnene zusätzliche operative Tiefe sollte dann Masséna Ende September das waghalsige Übersetzen über die Limmat von Dietikon gestatten, ohne einen Zusammenschluss der Russen Suworows, der Österreicher Hotzes und der Russen Rimski-Korsakows im Raume Menzingen-Langnau am Albis befürchten zu müssen. Scheinangriff auf Zürich wird erkannt Vorderhand war freilich noch Erzherzog Carl im Lande. Als er den Täuschungsangriff auf Zürich am 14. August als solchen erkannte und für den im Kanton Schwyz heftigen Angriffen ausgesetzten Jellachich in Sorge geriet, versuchte der Erzherzog unter Zusammenraffung seiner Reserven am 17. August bei Döttingen S. 26/27: den Übergang über die Aare. Der felsige Grund, die Verzögerung und das dadurch bewirkte Anwachsen der französischen Truppenstärke bei Kleindöttingen links der Aare, das mörderische Feuer der Franzosen sowie - 18 - einiger in ihren Reihen dienender Helvetier, schliesslich aber die besorgniserregenden Nachrichten aus den Zentralalpen bewegten Carl, den Versuch aufzugeben und die frei werdenden Kräfte Hotze zur Verstärkung des linken Flügels und zum Schutze von Vorarlberg und Graubünden zukommen zu lassen. Einmarsch der Russen - Rimski-Korsakows in der Schweiz Der Gotthard, Uri und Schwyz waren seit Mitte August 1799 in französischer Hand, Glarus folgte wenig später. Kurz darauf erschienen die Russen RimskiKorsakows in der Schweiz, so dass Carl nun definitiv stark genug gewesen wäre, Masséna zu schlagen. Thugut verbot dies, weil er seine Armee nicht in einem mühsamen schweizerischen Feldzug abzunützen, sondern in Deutschland zur Überwachung der Preussen und der in den Niederlanden landenden Anglorussen einzusetzen gedachte. Das Mass des französischen Triumphes an Grimsel und Gotthard offenbart das brennende Grengiols - anders als durch Anzünden eines Dorfes glaubten die Österreicher sich dort nicht von ihrem Gegner lösen zu können - am 14. August, sowie Simbschens rascher Rückzug nach Chur und Strauchs Rückzug nach Bellinzona in den Tagen danach. Französischer Rückschlag in Italien In Italien erlitten die Franzosen am 15. August einen ganz erheblichen Rückschlag: Suworows Sieg bei Novi öffnete den Austrorussen den Weg an die Riviera und nach Nizza. Die strategischen Verhältnisse hatten sich beidseits der Alpen je mit umgekehrten Vorzeichen grundlegend verändert. In der Schweiz nördlich des Gotthards konnte Masséna jetzt an der Limmat einen Angriff wagen, ohne ein überraschendes Auftauchen von Gegner im Zugerland befürchten zu müssen. Dieser konnte vielmehr von nun an bereits in Airolo und nicht erst in Menzingen erkannt werden, so dass Unternehmungen gewagt werden konnten wie am 29. August der Versuch eines Limmatübergangs bei Vogelsang. Masséna wollte den Österreichern Carls zu Leibe rücken, ehe sich die Russen Rimski-Korsakows mit ihnen vereinigt hatten und sie unüberwindlich geworden waren. - 19 - Allein, Masséna scheiterte an ähnlichen Hindernissen wie Carl zuvor bei Döttingen, zu seinem Glück, ist man versucht zu sagen, denn auf der Gegenseite wurde just in jenen Tagen die Aufgabe der Franzosen auf wunderbare Weise erleichtert. - 20 - Österreichs Truppen sollen aus der Schweiz abgezogen werden Am 7. August war als Emissär des mächtigen Wiener Ministers Thugut Graf Dietrichstein bei Erzherzog Carl in Kloten erschienen und mit dem Grafen der Befehl, nach dem Eintreffen der Russen Rimski-Korsakows die österreichischen Truppen aus der Schweiz in Richtung Mannheim und Philippsburg zu führen, um Preussen und die bevorstehende anglorussische Landung in den Niederlanden zu beobachten sowie den am Mittelrhein stehenden Franzosen, einer dank geschickter Täuschung gross scheinenden Armee, zu begegnen. S. 28: Carl, der lieber zusammen mit den Russen über die Franzosen hergefallen und sich via Hüningen und Belfort einen Weg ins Innere Frankreichs gebahnt hätte, wurde mit dem Hinweis des Kaisers abgefertigt, politische Rücksichten auf das Beste der Monarchie erforderten zwingend den Marsch nach Norden. Der Abmarsch Carls, der am 31. August mit dem Gros seiner Truppen in Donaueschingen stand, erzeugte in der durch den weniger als halb so starken Rimski-Korsakow besetzten Ostschweiz einen strategischen Sog, der einerseits Thuguts weiteren Plan, Suworow aus Italien zu entfernen, förderte, andererseits Massénas Angriff am 25. und 26. September ermöglichte und damit den französischen Gesamtsieg im Schweizer Feldzug von 1799. Es hätte sich trotz Thuguts wahrhaft unübertrefflicher Unbeholfenheit dieses Ergebnis nicht einstellen müssen, wenn Suworows für die Franzosen überraschender Heranmarsch nicht in der Leventina, sondern im Zugerland festgestellt worden wäre. Allein, dies ist Geschichte im Konjunktiv. Im Indikativ hatte Gudin an der Grimsel dafür gesorgt, dass es dazu nicht mehr kommen konnte. Gute Stimmung im antifranzösischen Lager Die Stimmung im antifranzösischen Lager war auch nach Mitte August noch gut, wenigstens in den nicht so genau informierten, aber einflussreichen Kreisen. Lavater predigte im Zürcher Sankt Peter am 18. August noch voller Zuversicht, ja selbst der an der Spitze seines kleinen Heeres herankommende Rimski-Korsakow erhielt von Carl Vorschläge für einen gemeinsamen - 21 - Angriff. Allerdings wurde nicht nur nichts daraus, Rimski-Korsakow wurde auch geschickt an den Obersee dirigiert, damit Carls Österreicher für einen fluchtartigen Rückzug aus der Schweiz das Feld frei hatten. Dass durch diese Bewegungen das Vertrauen der britischen Diplomaten und der russischen Generäle in die österreichische Politik zerstört wurde, war der Preis, den Thugut für seine Eifersucht gegenüber Preussen bezahlen musste. Am letzten Augusttag stand Carl in Donaueschingen, während in Wien der gemessene Befehl für Hotze ausgefertigt wurde, nur wenige Bataillone in der Schweiz zurückzulassen, sich von allen Offensivoperationen in Helvetien fernzuhalten und die Substanz seiner Kräfte dem Erzherzog in Deutschland zuzuführen. Rimski-Korsakow sollte die Last der erwarteten schwierigen Operationen mit seinen Russen und allfälligen Schweizer Hilfskräften allein tragen. Nur die Apparencen waren zu wahren. Die Schuld sollte nicht auf die Österreicher fallen, teilte Carl Hotze am 2. September mit. Suworow bereitet den Angriff auf den Gotthardpass vor Mittlerweile hatte sich Suworow in Bewegung gesetzt, um mit allen in Italien stehenden russischen Truppen den Gotthard zu überschreiten. Am 5. September in Asti sah der Feldmarschall den Angriff auf den Pass auf den 19. September vor. Die Operationsidee redigierte Strauch am 8. September 1799 in Bellinzona. Er ging bestandesmässig von 22'500 Mann Infanterie und 6'070 Mann Kavallerie aus. Von diesen austrorussischen Kräften sollten 8'000 Mann über den Lukmanier nach Disentis und, dort durch Verstärkungen aus dem Korps Hotzes gekräftigt, über den S. 29: Oberalp nach Andermatt gelangen, um den Pass von hinten zu öffnen. Gleichzeitig war der Sankt Gotthard frontal anzugreifen. Hotze seinerseits unterbreitete Suworow den Antrag, einen Stoss von Disentis über den Chrüzlipass nach Amsteg zu veranlassen, also weiter nördlich die Front mit der nämlichen Methode zu entlasten, die Strauch dem Angriff auf den Gotthard zugrunde gelegt hatte. Suworows neuer Stabschef Weyrother bewegte seinen Feldmarschall schliesslich dazu, von Ursern aus durch die Schöllenen in Richtung Altdorf und Schwyz weiterzustossen und nicht nach Graubünden abzudrehen und so die Vereinigung mit Hotze zu suchen. - 22 - Gleichzeitig behinderte Thuguts strenges Verbot, österreichische Truppen links des Vierwaldstättersees gegen Luzern vorgehen zu lassen, die Operationsführung auf unterer Stufe zusätzlich. Bei alledem war Hotze am 22. September in Kaltbrunn, war trotz der Verzögerung infolge des langwierigen Angriffs auf den Pass Suworow am 24. September in Hospental optimistisch. Gravierende Fehler Hotzes Angriffskonzeption rief nach Truppen, so dass aus dem Lager von Rimski-Korsakows Reserve in Zürich-Seebach am 24. September sechs Bataillone, etwa sechs Siebtelseiner frei verfügbaren Truppen, in Richtung Rapperswil abmarschierten und am 25. September in der ersten Phase von Massénas Flussübergang bei Dietikon nicht zur Verfügung standen. So entgingen die Franzosen, wohl insgesamt, jedoch in der verwundbaren Phase nicht diesseits der Limmat zahlenmässig überlegen, einem Desaster und erstritten ihrerseits einen Triumph, den Sieg in der Zweiten Schlacht bei Zürich. Mit dazu bei trug Rimski-Korsakows starrsinniges Festhalten am eigenen Stoss Richtung Albis, sein verheerender Mangel an Neugier und das Fehlen jener überlegenen Gelassenheit, die ein Feldherr an der Spitze eines Heeres seinen Soldaten schuldet. Dass er überhaupt nach Eglisau entkam, verdankte er nicht seiner Tüchtigkeit, sondern der Tapferkeit seiner Soldaten. Die operative Konsequenz von Rimski-Korsakows Niederlage, des gleichzeitigen Todes Hotzes und seines Stabschefs Plunkett in Schänis war Suworows Ostschwenker über den Pragel und schliesslich sein knappes Entkommen über den Panixer nach Graubünden. Diese umwälzenden Vorgänge auf dem schweizerischen Kriegsschauplatz führten den sensiblen Kaiser Paul I. dazu, Franz Il. in aller Form zu schreiben, er gebe seine Interessen auf und kümmere sich hinfort nur noch um die eigenen. Napoleons zweite Karriere Keine zwei Wochen vor diesem Scheidebrief eines Kaisers an einen Kaiser fasste der aus Ägypten zurückgekehrte General Napoléon Bonaparte wieder Fuss auf dem europäischen Kontinent. - 23 - Seine zweite Karriere begann, die ganz grosse, jene, die ihn via die Würde des ersten Konsuls 1799 und den Marsch über den Grossen Sankt Bernhard und die Schlacht von Marengo 1800 letztlich 1804 zur Kaiserwürde führen sollte. Politisch war die Folge von Bonapartes Triumph von Marengo für die Schweiz, einen Klientelstaat Frankreichs und damit auch Nutzniesser von Frankreichs Siegen, dass die unnatürliche Trennung von Graubünden ihr Ende fand und dass die österreichische Strategie sich S. 30: nur im Veltlin und nicht in den von Wien ebenfalls gewünschten Territorien Graubünden, Tessin und Wallis längerfristig durchsetzte, und das auch nur, weil das Veltlin zunächst wieder in den Einflussbereich Bonapartes fiel. Langfristige Wirkung Es ist keine Übertreibung, zu sagen, dass die heutige Schweizer Ost- und Südgrenze ohne Bonapartes Erfolg in Marengo wohl ungünstiger verlaufen würde, wenn es die Schweiz überhaupt noch gäbe. Auf der anderen Seite war der militärisch demonstrierte, durch die Persönlichkeit Schultheiss Steigers glaubwürdig verkörperte Selbstbehauptungswille des Landes für die mehrheitlich helvetophilen Briten ein Grund, dem Land mit jenem Wohlwollen zu begegnen, welches 1815 nicht nur zur Rückkehr Neuenburgs, des durch Bonaparte abgetrennten Wallis und Genfs zur Schweiz, sondern auch zur Integration des gesamten Bistums Basel und zur Anerkennung der Neutralität durch die Mächte in der Pariser Erklärung beitrug. Es konnte nicht schaden, dass der Sohn Pauls I. in der Schweiz andere Freunde hatte als sein Vater, dass Alexanders I. Freund La Harpe hiess und nicht Lavater, dass aber der neue Monarch dem Land selber gegenüber ebenso günstig gesinnt war wie der alte. So wurde auch unter russischem Einfluss die von Bonaparte 1803 klug und weise diktierte territoriale Ordnung 1815 beibehalten und hat nun schon fast zwei Jahrhunderte ihre Tauglichkeit bewiesen. Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt! Napoléon dachte noch auf Sankt Helena mit grossmütiger Anerkennung an den Widerstandswillen der Schweizerinnen und der Schweizer zurück. - 24 - Er erklärte zudem autoritativ, wenn es anders gehe, solle man Gebirgsoperationen vermeiden und durch schöne Ebenen auf die Hauptstädte des Gegners zumarschieren. Der Zauber der Persönlichkeit Napoleons verlieh solchen Äusserungen Kraft. Dadurch und durch den relativen Frieden des kriegsmüden Europa der dreissig Jahre nach 1815 gelangte die Schweiz etwas in den strategischen Windschatten. Als sie 1882 durch die Eröffnung der Bahn durch den Gotthard erneut zur Zielscheibe der Aufmerksamkeit der Generalstäbe wurde, erinnerte sie sich des Leids von 1799 und 1800, baute dort, wo Suworow und Bonaparte durchgezogen waren, die Gotthardfestung und jene von Saint-Maurice und verlieh ihrer Neutralität jene Glaubwürdigkeit, die sie danach durch zwei Weltkriege und einen Kalten Krieg behaupten konnte. Dass wir heute, durch eine Freundschaft in der Freiheit mit allen Parteien der Kriege von 1799 und 1800 verbunden, dankbar auf jene harten Jahre zurückblicken können, ist ein grosses Glück, das uns allen für alle Zukunft Vermächtnis ist und zugleich Auftrag. S. 31: Ansprüche Decke Wien so lang Du kannst! schrieb Kaiser Franz am 6. April 1797 seinem Bruder ins Feld? Erzherzog Carl war Österreichs bester Feldherr. Nicht einmal er schien den Siegeslauf General Napoléon Bonapartes aufhalten zu können. Preussen hatte bereits 1795 in Basel mit der Französischen Republik Frieden geschlossen, Spanien war gefolgt, ja hatte sich 1796 sogar im Vertrag von San Ildefonso mit den gefürchteten Revolutionären an der Seine gegen Grossbritannien verbündet. Grossbritannien behauptete sich auf den Weltmeeren, wo ihm Richard Howe, Earl Howes Sieg in der Seeschlacht des «Glorious First of June» 1794 die im Zeitalter der Amerikanischen Revolution in Frage gestellte moralische Überlegenheit zurückgab. Von allen kontinentalen Mächten, auf die es ankommen konnte, stand einzig Österreich noch im Felde. Nun aber liess sich Kaiser Franz II. gezwungenermassen zu einem harten Frieden herbei. - 25 - Der Friede von Campo Formio Der kluge Bonaparte versüsste die Pille, indem er die gar nicht am Krieg beteiligte neutrale Republik Venedig in der Substanz Österreich einräumte. Die Alpentransversalen und die Staatsschätze veranlassten den Korsen zugleich, den beherrschenden Einfluss in der Helvetischen Republik für Frankreich zu beanspruchen und, denn für weiteren Widerstand war Österreich zu sehr geschwächt, auch zu erhalten. Zwar wusste noch kein Bewohner der neutralen Schweiz, dass sein Land jemals «République helvétique» heissen würde, aber Bonaparte und der österreichische Unterhändler Ludwig Graf Cobenzl hatten es nun einmal beschlossen, und diese willkürliche Verfügung wurde mit dem Frieden von Campo Formio am 17. Oktober 1797 unterschrieben und danach in Wien und in Paris auch ratifiziert. Macht gibt Recht So haben Grossmächte zu allen Zeiten über Kleinstaaten verfügt, so tun sie es im 20. Jahrhundert - Namen wie Tuwa, wie Tibet, wie Timor klingen in den Ohren der Zeugen unseres blutigen Saeculums nach - so werden Mächte immer handeln, wenn sie glauben, sie könnten unangefochten zugreifen. Kleinstaaten überleben aus eigener Kraft, wenn sie sich nach finnischem oder afghanischem oder israelischem Muster durch nachhaltige Gegenwehr zu einem strategischen Faktor machen. So gilt's im 20. Jahrhundert, so galt's im 18. Die älteste Republik der Welt, Venedig, ging infolge des Friedens von Campo Formio würdelos unter. Der letzte Doge, Lodovico Manin, hatte bereits am 30. April 1797 in der Ratsversammlung der sogenannten «Consulta Nera» erklärt, diese Nacht werde niemand mehr ruhig schlafen, nicht einmal in seinem eigenen Bett. Wer so aufgibt, hat keine politische Zukunft mehr. Die Republik Bern dagegen bewahrte wenigstens ihr Saatkorn. Das Saatkorn eines politischen Systems ist die Selbstachtung der Menschen, welche es bewahren, und die Achtung der Weltöffentlichkeit. Beides überlebte die Katastrophe des 5. März 1798 dank den Gefechten von Fraubrunnen, im Grauholz und bei Neuenegg. Peter Wyss von Isenfluh gehörte zu den Siegern von Neuenegg: «Ich kam unversehrt wieder heim, aber immerhin ganz traurig und misstimmt, dass es trotz eines so schönen Sieges so schlecht noch ergehn - 26 - S. 32: musste. Von Neuhaus hatte ich noch den Weg durch das Bödeli und Lütschenthal zu machen. Es war Abend, als ich auf dem steilen Fusspfad hinauf in meinem hohen Isenfluh und meiner Heimath wieder anlangte. Da liess ich es mir wieder wohl sein und hatte den Meinen nun viel zu erzählen. Der Anblick der majestätisch schönen Jungfrau uns gegenüber und ihrer Nachbarn, links des Eigers und Mönchs und rechts der Eisgebirge bis in die Wetterlücke im Schmadribach freute mich wieder, und wenn auch Bern übergegangen, so vertraute ich, dass so lange diese Berge hoch und fest dastehn und in unser Schweizerland wie seine Hüter herein gucken, so auch der liebe Gott dasselbe immer beschirmen und behüten werde, und wenn auch die Franzosen im Land und jetzt Meister waren in ihm, es nicht von langer Dauer sein, des Landes Freiheit nicht untergehn, sondern vielleicht um so schöner erblühn werde.» So empfand ein tapferer Mann in Isenfluh. Trotz Niederlage geachtete Schweiz Niklaus Friedrich von Steiger hatte die Hoffnung nach Augsburg ins Exil getragen. Die Reaktion des Auslandes war klar. Die «Times» des 29. März 1798 berichtete über Aussenminister William Wyndham Grenville, Baron Grenvilles Rede im House of Lords vom Vortag: «Es sei sicher, dass die Sache der Schweizer die Sache jedes Engländers sei, dem die Menschheit ein echtes Anliegen sei und der die politische Wohlfahrt der Welt fördern wolle. Sie hätten eine Festigkeit und einen Mut gezeigt, die in der Tat Applaus verdienten, ...›› Die Haltung der Schweizer fand Anerkennung, ihre militärische Reputation überlebte weitgehend den Zusammenbruch. So konnte Gilbert Elliot-Murray Kynynmound Baron Minto am 2. Dezember 1798 in einem Privatbrief einen besonders militärischen Obersten ohne Umschweife als «Swiss grenadier» bezeichnen. Selbst in den USA, wo nicht allzulange vor dieser Zeit Elemente des schweizerischen Staatsaufbaus als vorbildlich bei der Ausarbeitung der Verfassung zu Rate gezogen worden waren, erzeugte der schweizerische Widerstandswille ein erhebliches Echo. Revolutionäre Glaubwürdigkeit Frankreichs leidet Der revolutionären Glaubwürdigkeit Frankreichs versetzte die durch nichts zu rechtfertigende Eroberung der Schweiz einen empfindlichen Schlag. - 27 - Der erste Mann Frankreichs jener Tage, Paul Barras, erkannte dies im Rückblick selbst: «Die Revolution in Helvetien hat vielleicht die Zahl unserer Feinde vergrössert, sowohl wegen der Ressentiments infolge der angewandten militärischen Härte als auch aufgrund der Unterschlagungen der in jenes Land geschickten zivilen Agenten. Die Schweizer waren im Grunde nie unsere Freunde. Indem wir uns ihrer Neutralität, des Besten, was sie uns geben konnten, beraubten, haben wir die zu bewachenden Grenzen verlängert.» Auch Napoléon erkannte dies im Rückblick, nur dass er die Verantwortung von sich auf das Direktorium und insbesondere ein ihm verhasst gewordenes Mitglied dieser Behörde abwälzte: «Reubell, von den Schweizer Demagogen mitgerissen, liess ein anderes System einrichten. Ohne Rücksicht auf die Sitten, auf die Religion, auf die jeweiligen örtlichen Gegebenheiten in den Kantonen beschloss das Direktorium die Schweiz einer einheitlichen, an jener Frankreichs orientierten Verfassung zu S. 33: unterwerfen. Die Schweiz erhob sich gegen eine Umwälzung, die quer zu allen Interessen erfolgte und alle Leidenschaften entzündete. Es war nötig, französische Truppen einschreiten zu lassen und zu erobern: Blut floss, Europa horchte auf.» Österreichische Krokodilstränen Mit Krokodilstränen, denn wer hatte die Schweiz im Frieden von Campo Formio Frankreich preisgegeben, führte Wien beim Versuch, andere Mächte für eine neue Koalition zu gewinnen, die Schweiz als Grund dafür mit an, dass man Frankreich nicht vertrauen dürfe. Der österreichische Hauptunterhändler in Passariano und damit Hauptverantwortliche für die Einzelheiten des Friedens von Campo Formio, Ludwig Graf von Cobenzl, liess am 27. April 1798 den russischen Minister, Alexander Fürst Besborodko, wissen: «Alles ist verloren und ganz Europa wird das Schicksal Italiens und der Schweiz erleiden, wenn sich die beiden Kaiserhöfe nicht durch die bestabgestimmten Massnahmen beeilen, diese Irren im Innern ihrer Höhle festzuhalten.» Frankreich strebt die Weltmacht an Mittlerweile griffen die Französische Republik und ihr erfolgreichster General nach der Weltmacht. Thomas Jefferson, damals Vizepräsident und nachmals - 28 - dritter Präsident der USA, lebte am 7. Juni 1798 in der Naherwartung einer französischen Landung in Grossbritannien. Jefferson erhoffte sich davon nichts weniger als die Rettung seiner, der republikanischen, Partei gegen die damals in den USA dominierenden Föderalisten, ja rundweg das Überleben der USA: «Seit seiner Revolution war für dieses Land noch kein Ereignis so wichtig wie die Invasion Englands. Wir werden damit stehen oder fallen.» Juni 1798 - Frankreich erobert Malta Im selben Juni 1798 eroberte Bonaparte tatsächlich nicht Grossbritannien sondern Malta und irritierte dadurch den johanniterbegeisterten russischen Kaiser Paul so sehr, dass Russland und die Türkei gemeinsam eine Expedition ausrüsteten, Frankreich die ehemals venetianischen Ionischen Inseln abnahmen und dort den ersten nationalgriechischen Staat seit dem Altertum gründeten. In der Levante gelang es dem Korsen zwar, das marode Mamlukenregime militärisch zu besiegen, welches im alten Pharaonenreich nominell die Gewalt des Kalifen und Sultans in Konstantinopel verkörperte. Nelsons Sieg am 1. August 1798 verschloss danach allerdings der französischen Armee den Rückweg über das Mittelmeer, da nur wenige französische Schiffe, darunter pikanterweise die «Guillaume Tell», den Brand ihrer Flotte in der Bucht von Abukir überlebten. Beim anschliessenden Stoss Bonapartes nach Norden mit dem Fernziel Konstantinopel versetzten Briten und Türken vor der vergeblich belagerten Stadt Akko den Franzosen einen herben Dämpfer. Frankreichs schwierige Lage im Sommer 1799 Frankreich und Bonaparte befanden sich damit seit dem Mai 1799 in einer ausserordentlich schwierigen Lage: das Mutterland war für die Ägyptenarmee weder auf dem Land- noch auf dem Seeweg mehr zu erreichen und der beste General stand dem Direktorium an der Seine nicht zur S. 34: unmittelbaren Verfügung. Wenn es je eine Gelegenheit gab, die vorwitzige junge Republik in die Schranken zu weisen, so war dies der Sommer 1799. Die Schweiz hatte mittlerweile eine ausgiebige Probe davon erhalten, was Fremdherrschaft für ein Land bedeutet. - 29 - Zwei der Männer, welche sich aus Idealismus und aus politischer und persönlicher Ambition zu Werkzeugen der Franzosen gemacht hatten, Peter Ochs und Frédéric César de La Harpe, regierten (seit dem 29. Juni 1798) mit ihren drei Kollegen im Direktorium zusammen dem Namen nach das Land aufgrund einer Verfassung, auf die zu schwören zur Pflicht erklärt wurde, obwohl sie jeder Legitimität entbehrte. Frankreich diktiert die helvetische Verfassung Die helvetische Verfassung war ja weder, more antiquo, von den zuständigen Regierungen der Orte und Zugewandten, noch more novo, vom Volke beschlossen, sondern vielmehr von Ochs für Frankreich diktiert worden. Gestützt auf die französischen Bajonette befahlen am 28. und 29. März 1798 der französische Regierungskommissär François Philibert Lecarlier und General Balthasar von Schauenburg sowohl ihre genaue Form als auch ihre Inkraftsetzung. Sie enthielt wertvolle Grundsätze, hinter denen jedoch der Pferdefuss des Polizeistaates und die Geringschätzung der religiösen Gefühle des Volkes deutlich sichtbar wurden. So steht in Artikel 6: «Alle Gottesdienste sind erlaubt, insofern sie die öffentliche Ruhe nicht stören und sich keine herrschende Gewalt oder Vorzüge anmassen. Die Polizei hat die Aufsicht darüber und das Recht, sich nach den Grundsätzen und Pflichten zu erkundigen, die darin gelehrt werden. Die Verhältnisse einer Secte mit einer fremden Obrigkeit sollen weder auf die Staatssachen noch auf den Wohlstand und die Aufklärung des Volkes einigen Einfluss haben.» Spezialfall Graubünden Der entschieden französische Einfluss wird in dieser von Lecarlier und Schauenburg diktierten Verfassung der am 12. April 1798 in Aarau ausgerufenen Helvetischen Republik deutlich sichtbar. Es mutet höchst seltsam an, dass Graubünden, seit dem Mittelalter ein Zugewandter Ort der Eidgenossenschaft, eine Spezialbehandlung erfährt. Dies versteht leichter, wer weiss, dass der Freistaat der Drei Bünde von Frankreich und Österreich insgeheim beim Friedensschluss von Campo Formio in die österreichische Interessenssphäre verwiesen worden war. Der helvetische Verfassungsartikel 18, der Kantonseinteilung gewidmet, beginnt mit auffälligen Worten: «Die Graubündner sind eingeladen, ein - 30 - Bestandtheil der Schweiz zu werden, und wenn sie dieser Einladung entsprechen, so sollen der Cantone einstweilen zweiundzwanzig sein, nämlich: …. » Dem entspricht, dass Frankreich der Helvetischen Republik im diktierten Offensiv- und Defensivbündnis vom 19. August 1798 in Aussicht stellt, dazu beizutragen, dass das helvetische Gebiet abgerundet werde durch «la réunion des Ligues Grises et par la possession du Vorarlberg.» Französische Länderschieberei Vorarlberg zu Helvetien, nicht auf der Grundlage des Selbstbestimmungsrechts sondern als «possession»! Das waren genau S. 35: jene Gebietserwerbungsphantasien, von denen sich die Schweiz im Zeichen der Neutralität während Jahrhunderten glücklich ferngehalten hatte. Nun fanden sich freilich im von den Franzosen besetzten Lande Wilhelm Tells durchaus Anhänger solch abhängigen und imitativen Expansionismus. Johann Heinrich Pestalozzi verkündete am 24. August 1798 das quasi amtliche Gebot der Stunde: «Juble, Vaterland! Die Wolken des Irrtums sind zerstreut, deine Kraft ist erneuert, Frankreich nimmt dich mit schwesterlichem Gleichheitsgefühl in seinen Arm. … Schwöre heute, Frankreichs Freund sei dein Freund, und Frankreichs Feind sei dein Feind …. Europa höre deinen Schwur, mit Frankreich zu stehen und mit Frankreich zu fallen.» Mit diktierter Verfassung und laufend hinzugefügten weiteren Diktaten wie dem vom 4. Mai 1798 befohlenen Zusammenschluss der Kantone Uri, Schwyz, Unterwalden und Zug zum Kanton Waldstätten und der gleichzeitig befohlenen Neugründung der Kantone Linth und Säntis fanden sich nun aber weder die Emigranten noch alle im Lande wohnenden Schweizer stillschweigend ab. Johann Caspar Lavaters Mut Johann Caspar Lavater war ein berühmter Gelehrter. Es brauchte für den Pfarrer am Zürcher Sankt Peter trotzdem Mut, am 10. Mai 1798 an Jean François Reubell - jenen Reubell, über welchen wir bereits Napoléons Zeugnis kennen -, einen der fünf französischen Direktoren, zu schreiben: - 31 - «Macht giebt kein Recht. Hunderttausend Bewaffnete, sind nicht Ein Grund für die Vernunft, dass etwas Ungerechtes gerecht sey. Frankreich hat kein Recht, als das Tyrannenrecht des Stärkern, in Helvetien einzudringen, um, wie es sagte, die Aristokratie zu stürzen. Dass die Aristokratie gestürzt ist, kann ein grosses Glück, kann die Erfüllung des Wunsches Vieler gewesen seyn, aber wenn ein Strassenräuber einen Menschen umbringt, der uns drükt, ist deswegen der Strassenräuber weniger Strassenräuber?» «Oben an jedem Dekrete - Freyheit - auf demselben Blatte: der Obergeneral befiehlt, was folgt ...» Französischer Terror Wer sich widersetzte, wurde brutal unterdrückt wie die Nidwaldner am 9. September 1798 oder durch solchen strategischen Terror eingeschüchtert. Dadurch wurde freilich für Menschen, die nicht durch Interessen ihr Schicksal mit jenem Frankreichs unlösbar verbunden hatten, die revolutionäre Prinzipientreue der Republik vollends zur Phrase gemacht. Nicht umsonst erhielt im Repräsentantenhaus in Philadelphia ein Bericht vom 21. Februar 1799 Zustimmung, in dem die Verstärkung der US-Flotte unter anderem mit den Erfahrungen der Schweiz begründet wurde: «Würde freilich versichert, dass das System Frankreichs nur despotischen oder monarchischen Regierungen gegenüber feindselig ist, und dass unsere Sicherheit auf die Art unserer Verfassung Zurückgeht, so sei die Schweiz, zuerst durch perfide Verführungen in Zwietracht gestürzt und entwaffnet, nun durch unablässige Gewaltanwendung gefoltert, der Beleg für die Folgen vergleichbarer Leichtgläubigkeit.» Geachteter helvetischer Widerstand Der Widerstand, welcher in unserem Lande geleistet wurde, gewann der S. 36/37: Schweiz die Achtung nicht nur von Frankreichs Gegnern, sondern auch der Franzosen selbst. Auf Sankt Helena fand Napoléon zu den Worten: «Das Volk war, wie es in vaterländischen Kriegen immer geschieht, mehr wert als seine Vorgesetzten. Sein Selbsterhaltungsinstinkt täuschte es nicht. Es war gross und unglücklich.» - 32 - Schweizer Widerstand ermutigt Frankreichs Gegner Der Schweizer Widerstand ermutigte 1798 und 1799 die sich bildende Koalition von Österreich, Grossbritannien, Russland und der Türkei, sich auf Operationen in der Schweiz einzulassen. Denn nicht nur wurden damit die schweizerischen Alpentransversalen für sie nutzbar gemacht und die als strategisch bedeutsam eingestuften Zentralalpen in den eigenen Herrschaftsbereich gebracht, es konnten auch schweizerische Truppen rekrutiert werden. - 33 - Die moderne britisch-russische Strategie zielte überhaupt darauf ab, die Völker für den gemeinsamen Kampf gegen Frankreich zu gewinnen, während das eher dem Kabinettsdenken des 18. Jahrhunderts verpflichtete Österreich Gebiete und damit Untertanen für sich selbst dazuerwerben wollte. Temperamentsunterschiede verschärfen Konflikte Temperamentsunterschiede verschärften die strategischen Konflikte. Österreichs Bedächtigkeit strebte nach sicherem Erwerb, um anlässlich der Friedensverhandlungen darüber zu verfügen, Russlands und Grossbritanniens Idee vom Frieden war die zügige Zerstörung der Französischen Republik. So diktierte Graf Alexander Wassiljewitsch Suworow-Rymnikski am 17. September 1798 seine Vorstellungen von der kommenden Kriegführung. Drei der wichtigsten Ideen dabei waren: «Volle Gewalt dem Ober-General! Den Feind im Felde aufsuchen und schlagen. Wenn man versucht vorzudringen, muss man nicht Halt machen, sondern gerade auf Paris, als dem HauptPunkte, losgehen, …» Die Konflikte zwischen den Strategien und den operativen Konzepten der Alliierten gehörten zu den wichtigsten Gründen für das Scheitern der Zweiten Koalition, jener von 1799. Vorderhand schien es freilich, die Gegensätze seien überbrückbar. Winter 1798/1799 - Frankreich demütigt König Karl Emanuel von Sardinien Schweizer Soldaten wollte - das war ja einer der Gründe für das Bündnis vom 19. August 1798 gewesen - auch Frankreich. Der französische Versuch, sich den Dienst der Schweizer des seit Bonapartes Triumph mit Frankreichs Verbündeten, aber von seinen ungleichen Partnern zunächst misstrauisch beobachteten und danach seiner festländischen Besitzungen beraubten Königs von Sardinien zu verschaffen, ist eines der Themen des Winters 1798/1799. Nach der Vertreibung des Monarchen aus seiner Hauptstadt Turin traten seine Schweizer Regimenter unter den Befehl der «armée d'Italie» Barthélemy Catherine Jouberts. In der dem Monarchen abgezwungenen Proklamation vom 9. Dezember 1798 befahl König Karl Emanuel: «Seine Majestät befiehlt der piemontesischen Armee sich als - 34 - S. 38: integrierenden Bestandteil der französischen Armee in Italien zu betrachten und deren Obergeneral ebenso zu gehorchen wie ihr (d. h. der Majestät) selber.» Joubert, Nachfolger des den Schweizern vom Februar und März 1798 her bekannten Guillaume Marie Anne Brune, hatte vom Direktorium in Paris den gegen den eigenen Verbündeten gerichteten Befehl erhalten «de s'emparer du Piémont». Um keine Zweifel offenzulassen, schreibt Paul Barras in seinen Erinnerungen weiter: «Mein Sekretär Botot wird mit Weisungen für den Obergeneral nach Mailand geschickt.» So kämpften und litten aus sardinischen Diensten übernommene Schweizer Soldaten im italienischen Krieg von 1799 mit ihren französischen Waffenbrüdern. Wie wichtig die Sache für Barras war, zeigt seine Notiz über den entsprechenden Beschluss des französischen Direktoriums: «Es wird beschlossen, dass sieben Halbbrigaden und 3'000 Pferde nach Italien zu schicken sind, dass in Rom eine Armee aufgestellt wird mit dem Befehl, nach Neapel zu marschieren. Das helvetische Direktorium wird die 4'000 Schweizer zurückziehen, die in piemontesischen Diensten stehen und die unserer Italienarmee nützlich sein könnten.» Diese Schweizer waren Suworow besonders unwillkommen. Jedenfalls drohte er, gemäss «The Times» vom 30. August 1799, für den Fall französischer Misshandlung gefangener antirepublikanischer französischer Emigranten Repressalien gegenüber den in den Heeren der Republik dienenden Schweizern an: «Charles de Lameth und der Herzog von Aiguillon sind von den Franzosen gefangengenommen, danach aber zu den österreichischen Vorposten geführt worden. In den Räten hat dies manche Klage ausgelöst, was die Weisheit der Ankündigung Marschall Suworows zeigt, an Italienern, Schweizern und Polen in republikanischen Diensten Vergeltung dafür zu üben, was den Emigranten in den kaiserlichen Armeen etwa zugefügt werde.» Die Konvention vom 30. November 1798 Eine militärische Einzelheiten des Bündnisses regelnde Konvention vom 30. November 1798 zwischen Helvetien und Frankreich gab diesem das Recht, in der Schweiz sechs Halbbrigaden zu je 3000 Mann auszuheben. - 35 - Die Aushebung dafür und für die helvetischen Truppen im geplanten Bestand von 20'000 Mann stiess auf Widerstand und löste zusammen mit der Sehnsucht nach der verlorenen Unabhängigkeit, nach der Neutralität und nach dem Frieden den Plan einer eigentlichen Bartholomäusnacht im Lande aus. Die Geschichte jenes Planes und seiner teilweisen Umsetzung in den Aufständen des Frühjahres 1799 ist bis heute nicht abschliessend geschrieben worden. Dies ist auch hier nicht möglich. Verhasste französische Besatzungsmacht Einige Hinweise sollen jedoch einerseits zeigen, wie tief verhasst die französische Besatzungsmacht und das mit ihr identifizierte helvetische Regime für eine Mehrheit des Landes waren, andererseits aber auch, wie sehr es den konservativen Aufständen an einer einheitlichen Strategie und, vor allem, an der Fähigkeit mangelte, den richtigen Zeitpunkt abzuwarten. Alle Aufstände brachen zu früh aus und wurden deshalb niedergeschlagen. Dies S. 39: liess sich schlecht vermeiden, denn der Ausgangspunkt aller Erhebungen war die Forderung der Franzosen nach helvetischen Truppen und der Widerwille des Landes oder doch seines grösseren Teils, dem Bedränger das verlangte Kanonenfutter zuzuführen. Sigriswil verlangte am 28. März, dass entweder alle zusammen oder niemand ausziehe. Dies war die organisatorische Forderung, die materielle Forderung der Konservativen wird in Michel Bühlers Depesche vom 8. April aus Zweisimmen sichtbar: «Ferners verlangt das Volk dass ihnen bekannt gemacht werde, was (für) eine fremde Macht das Vaterland zum Kampf auffordere, und was sie praetendire, sonst kann man nicht wissen, ob es dem Vaterland zum Dienst oder zum Schaden zudiene.» Bei den Vertretern des Widerstandes gegen die Helvetik handelte es sich durchaus um in der Gewohnheit der Revolutionszeit, Begriffe nach Lust und Laune für eigene Zwecke umzugestalten, geschulte Leute. Der helvetisch gesinnte Maler Franz Niklaus König jedenfalls schrieb am 12. April aus Interlaken über die Leute von Wilderswil und Matten: «Ihre Begriffe von Gleichheit sind die: Entweder sollen alle marschiren oder keine, die der Freiheit: sie können marschiren oder nicht, das stehe ihnen frei, laut den Grundsätzen der Freiheit.» - 36 - Von solchen oder ähnlichen Vorstellungen, auf jeden Fall aber von einem tiefen Widerwillen, der Besatzungsmacht als Hilfssoldaten zu dienen, gingen die Regungen des Widerstands aus, die in Freiburg und in Basel, im Aargau und in Luzern, im Toggenburg und auf der Zürcher Landschaft, vor allem aber in der Wiege der Freiheit, den Alpen, im März und April sichtbar machten, dass die Helvetische Republik ganz und gar auf französischen Bajonetten stand. Und auf dem Terror, den das Regime nun unverholen gegenüber seinen eigenen sogenannten Bürgern und tatsächlichen Untertanen, ausübte. Beispiellose Repression des helvetischen Direktoriums Die Repression des helvetischen Direktoriums im Frühling 1799 steht ohne Beispiel da, aber nicht ohne Vorgeschichte. Von einem der bestimmenden Köpfe, Peter Ochs, haben sich aus den Jahren 1798 und 1799 Briefe erhalten, die eine eigenwillige Auffassung von Demokratie an den Tag legen: «Man muss dem Volke ohne Unterlass die Souveränität geben, ihm aber jedes Mal ihre Ausübung vorenthalten.» «Hier sind unsere ersten zu bekämpfenden Feinde: 1. Die nicht-repräsentative Demokratie und die üblen Köpfe. 2. Die föderalistischen Vorurteile. 3. Der Fanatismus.» «Mein erstes Ziel wird, wie seit jeher, sein, dass es in der Schweiz nur eine Partei gibt, die französische Partei. Die antifranzösischen Patrioten finde ich ebenso gefährlich wie die Aristokraten.» An ein Mitglied des französischen Direktoriums gewandt: «Es ist wichtig, dass man die schwierigen Fragen angeht, während Eure Truppen in der Schweiz stehen.» «Die vertrottelten Anhänger der direkten Demokratie.» Wieder an ein Mitglied des französischen Direktoriums: «Meine Kollegen gelangen immer mehr zur Überzeugung dessen, was ich mehr als hundertmal gesagt habe, dass unser Volk beschränkt und leichtgläubig ist und nur marschiert, wenn es Angst hat. » Und an einen französischen Minister: «Eine Eurer Kolonnen soll die Revolution in der Schweiz durchführen. Laharpe und ich haben unsere Partei gewählt. » S. 40: Vor einem solchen Hintergrund oder vielmehr in einem von solchen Menschen regierten Lande erstaunt es nicht, Verfügungen zu lesen wie jene des Direktoriums vom 7. November 1798: «Die Zeitungen, öffentlichen Blätter aller Art und die Drucksachen in der ganzen Republik stehen unter unmittelbarer Polizeiaufsicht.» - 37 - Amtlich befohlene Denunziation Andersdenkender Im Oberaargau wurde amtlich die Denunziation Andersdenkender befohlen. Regierungskommissär Stuber wies am 26. Dezember 1798 die Einwohner der unruhigen, aber eingeschüchterten Distrikte Langenthal und Wangen an der Aare an: «Die öffentlichen Beamten und Vorgesetzten, und jeder gute Bürger in eurer Mitte, sollen sich beeifern, nicht nur mit ihrem Beispiel voranzugehen, sondern ein wachsames Auge auf alle die zu haben, die hinfort durch aufrührerische Reden, Handlungen, oder verdächtige Verbindungen, die Ruhe stören, und die Ordnung untergraben wollten. Allfällige Entdeckungen von der Art, sollen sie bey ihrer Bürger- und Vaterlands-Pflicht alsogleich den höhern Behörden anzeigen, und ihre diesortige Unterlassung würde sie selbst verantwortlich machen. Die Platzgeber zu aufrührischen Reden und Zusammenkünften sind vorzüglich strafbar.» Drakonische Gesetzgebung Am 30. März 1799 verabschiedeten der helvetische Grosse Rat und der Senat in Luzern drei drakonische Gesetze, die für Dienstverweigerung und Aufruhr die Todesstrafe vorsahen. Originalton: «Jeder helvetische Bürger, oder jeder in Helvetien sich aufhaltende Fremde, der sich durch Worte oder Handlungen gegen die Maassregeln, welche die Regierung zur Vertheidigung des Vaterlandes beschliessen wird, auflehnen, oder andere von ihrem Gehorsam gegen die Gesetze, und ihre Pflicht der Vertheidigung des Vaterlandes abzuhalten trachten würde, oder welcher vorschlagen würde, sich einer fremden Macht Zu unterwerfen, soll mit dem Tode bestraft werden.» Der «Ober-General der französischen Armee in Helvetien und Bündten» Masséna und sein Generalstabschef Rheinwald erliessen am 3. April 1799 eine Proklamation, in welcher sich ein den helvetischen Verfügungen völlig entsprechender Satz findet: «Ich erkläre des weitern, dass die fränkischen Colonnen sich schleunigst in diejenigen Cantone begeben werden, in welchen aufrührische Bewegungen vorgehen sollten, um solche durch Feuer und Schwerdt zu verheeren.» Hier wird eine weitere französische Nutzanwendung des am 9. September 1798 gegen Nidwalden ausgeübten strategischen Terrors sichtbar, denn das traurige Schicksal jener kleinen Demokratie machte nun die Drohungen Massénas nur allzu glaubwürdig. - 38 - Die Sprache, welche die gesetzgebenden Räte der einen und unteilbaren Helvetischen Republik in ihrer Proklamation vom 7. April ihrem Volk gegenüber führten, zeigt einerseits, dass es ihnen ernst war, andererseits, dass offenbar die Franzosen nicht unter dem Begriff der fremden Macht zu Verstehen waren: «Dennoch hören wir, dass es so viel undankbare unter euch giebt, die das Gute nicht kennen wollen, was wir gethan haben, die das Unangenehme über alle Grenzen der Wahrheit hinaus übertreiben, und die guten, ehrlichen, fridfertigen Bürger zu einem sträflichen Ungehorsam gegen die Gesetze zu verleiten suchen. S. 41: Diese ausgearteten Kinder des Vaterlands, diese gottlosen Störer der Ruhe wird das Gesetz finden, und sie werden der gerechten Strafe nicht entgehen, welche dasselbe gegen solche Verräter des Vaterlandes, gegen solche Mörder seiner Ruhe ausgesprochen hat. Und sollten gar einige unter ihnen, was nur zu denken jede redliche Seele schaudern macht, sich solche abscheuliche Verbrechen erlauben, deren der fränkische General Massena in seiner Proklamation gedenkt, so mögen sie es sich selbst, ihrer schwarzen Seele zuschreíben, wenn der verdiente Lohn sie trifft, und es vor Gott und ihrem Gewissen verantworten. …. - 39 - Auf schliesset euch an die fränkischen Heere, eilet mit ihnen zum gewissen Sieg! jeder sehe im Franken einen Bruder, jeder umarme einen Freund in ihm, so bleibt euer der Sieg, der nie von der Freiheit, nie von der Tugend weicht, und indem ihr Lorbeern sammelt, erndet ihr hier den Segen aller redlichen Bürger des Vaterlands ein.» Amtlich befohlene Freundschaft Für den Fall, dass nicht alle Schweizer diese Art von Metaphysik verstehen sollten - die Unterwerfung unter eine fremde Macht wurde mit dem Tode bedroht, die bereits im Lande befindliche hingegen sollte umarmt werden -, sorgte das Direktorium vor. An Massena erging am 8. April die Aufforderung, 8000 bis 10'000 Franzosen im Landesinnern zu halten, eine Streitmacht «immer bereit, an den Ort des Aufruhrs zu fliegen um ihn zu überraschen, Zu S. 42: erschrecken und, wenn nötig, zu bezähmen und zu bestrafen.» Masséna bewilligte am 25. Germinal 1500 Mann Infanterie und 200 Kavalleristen unter General Nouvion und versicherte dem helvetischen Direktorium wunschgemäss, er werde nichts Versäumen, um die Rebellen zu unterwerfen. Dieses lud General Nouvion ein, sein Hauptquartier in Luzern aufzuschlagen, um «les ennemis de l'lntérieur» besser unterdrücken zu können. In Gesetzesform gekleidete terroristische Entschlüsse Zusätzliche Bestrafungen durch Absetzung der Pfarrer, Aushebung der besonders Unruhigen, Geldbussen, Abschneiden der Seile der Kirchenglocken und dergleichen sehen weitere Gesetze und Vorschriften des Monats April vor. Nicht etwa, dass die helvetischen Behörden gezögert hätten, ihre in gesetzliche Formen gekleideten terroristischen Entschlüsse in die Tat umzusetzen. Solothurn ist ein extremes Beispiel, aber es muss erwähnt werden, denn von solchen, analog dem strategischen Terror Schauenburgs in Nidwalden im September 1798, sollte ja auch 1799 die abschreckende Wirkung ausgehen. Der Oltner Unterstatthalter Disteli sah sich am 30. März 1799 beim Versuch, Truppen auszuheben, mit der Forderung konfrontiert, er solle «die Franzosen forthan dann wollen sie für das Vaterland streiten.» - 40 - Die Franzosen fortzutun versuchten einzelne Solothurner im Distrikt Olten damals gleich selbst: Zwei Gefallene und mehrere Verwundete sind die Bilanz dieses Tages. Die Reaktion des helvetischen Direktoriums war am 2. April, französische Truppen für den Einsatz in den Distrikten Olten, Biberist und Balsthal zu erbitten und den Repräsentanten Huber als Regierungskommissär in den Kanton Solothurn zu schicken. Huber verlangte Vollmacht, das aufzustellende Kriegsgericht auch aus den ebenfalls in den Kanton geschickten regierungstreuen helvetischen Truppen zu rekrutieren, weil sich unter den Solothurnern nicht «deux personnes suffisamment éclairées et assez patriotes» fänden. Bluturteile Dieses offenbar nun als aufgeklärt und patriotisch anzusehende Gericht fällte in der Folge drakonische, ja Bluturteile, für die es glücklicherweise wenige Parallelen in der Schweizer Geschichte gibt. Am 16. April verurteilte das Kriegsgericht einstimmig Georg Schwaller von Recherswil zum Tode, weil er «einer der Aufstifter, Urheber und Anführer des straflichen Aufruhrs in Kriegstetten und Recherswyl gewesen sey und laut dem Gesetz vom 31. März 1799, welches den 3. April ihm selbst, als Agent, ist überschickt worden, solle bestraft werden» Dieses Gesetz wird im Urteil wie folgt zitiert: «Die Urheber und Mitwirker gegenrevolutionärer Bewegungen, Auflehnungen und Empörungen sollen mit dem Tode bestraft werden.» In diesem Urteil wird klar der Einfluss Hubers sichtbar, der am 14. April nach Bern bestellt wurde, um von Schauenburg wichtige Mitteilungen zu empfangen. Schauenburg meldete am 18. April dem helvetischen Direktorium, Huber sei am 16. April erschienen und werde über die Besprechung Bericht erstatten. Das Direktorium bedankte sich am 19. April bei Schauenburg und teilte mit, dass es sich mit den Mitteln beschäftige, um gemäss den Vorschlägen des Generals Verfahren zu können. S. 43: Das Gespräch Schauenburgs mit Huber fand am 16. April statt, am Nachmittag des 17., 15.00 Uhr, wurde gemäss Hubers eigenem Bericht der zum Tode verurteilte Georg Schwaller «heureusement» füsiliert. Am 20. Mai floss das Blut von Friedrich Monney aus Villars-le-Grand, eines Soldaten des nach Solothurn geschickten 1. Freiburger Elitebataillons, weil er am 15. Mai im «Engel» zu Biberist erklärt habe: «Wenn ich ins Feuer gehe, - 41 - wird der erste Schuss, den ich abgebe, meinen Vorgesetzten gelten. » Ferner floss am 9. Mai das Blut Joseph Raubers von Neuendorf, am 31. Mai jenes des Urs Stampfli von Herbetswil, am 12. Juni wurde Joseph Rudolf Rohr von Egerkingen erschossen. Urs Bohner von Herbetswil wurde wegen Fällen eines Freiheitsbaumes zum Tode verurteilt, danach aber von den helvetischen Räten begnadigt. Es ist wahr, dass dieses Kriegsgericht in den helvetischen Räten auch sonst kritisiert wurde, es ist aber auch wahr, dass es bei seiner Auflösung am 22. Juli mit dem Dank und der Zufriedenheit des Direktoriums bedacht wurde. Gewaltbereitschaft auf beiden Seiten Es wäre freilich verkehrt, eine durchaus vor Blutvergiessen nicht zurückschreckende Energie einzig auf Seiten der Regierung S. 44: zu vermuten. Statthalter Joneli berichtete am 29. März aus Thun, wenn er keine Truppen erhalte, bestehe die Gefahr, dass der Hauptort, also Thun, abgebrannt würde. Ähnliche Drohungen wurden auch in der Urschweiz gegenüber verschiedenen Ortschaften laut, und es ist nicht vollständig auszuschliessen, dass der Brand von Altdorf vom 5. April 1799 auf die - 42 - Umsetzung solcher damals durchaus zu hörenden konservativen Drohungen zurückzuführen ist. Jedenfalls ist es für die Stimmung im Lande bezeichnend, dass eine derartige Vorstellung damals weitherum Glauben finden konnte. Uri, bis zu Massénas Überfall auf Graubünden am 6. März Grenzkanton der Helvetischen Republik, wurde erstmals unruhig, als die Bündner Oberländer Louis Henri Loison auf den Oberalp zurückwarfen. Sechs Tage nach dem ersten Versuch gelangte freilich Loison, dank dem rheinaufwärts stossenden Demont, am 12. März erfolgreich nach Disentis. Unruhen in Glarus brachte das helvetische Direktorium bis zum 3. April, im äusseren Oberland bis zum 25. April mehr oder weniger unter Kontrolle, wenngleich es unter der Oberfläche weitermottete und die zwangsweise ausgehobenen Soldaten nicht unbedingt als zuverlässige Stütze betrachtet werden konnten, wie ja das traurige Exempel Friedrich Monneys zeigt. In Uri trat am 26. April auf der Jagdmatt in Erstfeld eine Landsgemeinde zusammen, welche beschloss «weib und Kinder hab und Guth - Religion und Vatterland, vor dem zwang eines auf die ungerahtigsten weisse uns aufgedrungenen Religionsschänderischen Constitution zu retten» und dem «Oberheerführer des bewaffneten Ury», dem Historiker Franz Vinzenz Schmid, den Treueid leistete. April bis Mai 1799 Erfolglose Aufstände in der Innerschweiz und der Leventina Dem Urner Beispiel folgten am 28. April im sogenannten «Hirthemdlikrieg» die Schwyzer, welchen am 30. April 200 Urner unter Jost Heinrich Wolleb zuzogen. Fast gleichzeitig mit Schwyz waren die Schweizer südlich des Gotthard aufgestanden, am 1. Mai erhob sich die Leventina. Gian Antonio Camossi, der Präsident des Leventiner Kriegsrates, suchte den Kontakt zu Suworows Armee in der Lombardei. Die Schwyzer ergaben sich beim Heranrücken der französischen Truppen unter Soult am 2. Mai kampflos bis auf 200 Schwyzer und 70 Menzinger in ihrem Heer, die nach Uri gingen. Ein Versuch, den Urnern über den Chinzigpass auf den Pelz zu rücken, blieb im Schnee stecken, so dass es am 8. Mai zur Landung Soults mit rund 1200 Mann kam, denen sich die Urner, unter Einschluss der 200 Schwyzer, 100 herzugeeilten Nidwaldner und der 70 Zuger vielleicht doppelt so stark, entgegenstellten. - 43 - Schmid und Wolleb fielen früh, der Urner Widerstand brach nach Gefechten in Altdorf, bei Attinghausen und am Kirchhügel in Bürglen zusammen. Zu den 900 Mann, die bei Wassen im Felde ausharrten, stiessen am 9. Mai 200 Leventiner unter Giuseppe Antonio Camossi, 400 Walliser und einige Ursner, von denen nicht alle freiwillig mitgingen. Nach einem unglücklichen Gefecht bei Wassen zog sich das kleine Heer nach Göschenen zurück. Zur vorgesehenen Zerstörung der Teufelsbrücke kam es angesichts des Ursner Widerstandes nicht. Die Walliser marschierten über die Furka nach Hause und die verbleibenden S. 45: - 44 - S. 46: 400 bis 500 Urner und Leventiner hatten am 12. Mai ob Hospental keine Chance gegenüber den weit überlegenen Franzosen. Im Tessin hatte Lecourbe mittlerweile die örtlichen Aufstände niedergeworfen, so dass er Soult am 14. Mai die Hand reichen konnte. Sechsmalige Eroberung und Rückeroberung des Gotthardpasses im Jahre 1799 Den Franzosen beziehungsweise den für diese amtenden helvetischen Behörden durch aufständische Schweizer entwunden, war der Gotthard zum erstenmal im Jahr 1799 von den Franzosen wiedererobert worden. Sie sollten ihn bald an die austrorussische Armee Suworow erneut verlieren, gegen dieselbe Armee Suworows im August wiedererobern, im September an Suworow ein drittesmal verlieren und gleich danach ihrerseits erneut behändigen. Sechsmal wechselte der Schicksalspass im Verlaufe des Jahres 1799 die Hand. Als er am 12. Mai im Besitz der Franzosen war, waren diese und ihre helvetischen Helfer auch auf dem Weg zur Unterwerfung des noch widerborstigen Teils des Oberlandes gut vorangekommen: am 9. Mai hatten die drei Kompanien französische Infanterie und 45 Berittenen Interlaken, am 10. Mai Wilderswil und Matten zur Unterwerfung gezwungen und Truppen ausgehoben. Grindelwald war am 11. und 12. Mai an der Reihe, Meiringen am 13. Damit hatte die Regierung das Oberhasli unterworfen. Am 15. Mai war diese Landschaft mit Ausnahme der Gemeinden Guttannen und Gadmen entwaffnet, die Erhebung der in den Augen der Helvetik Schuldigen fiel jedoch angesichts des passiven Widerstandes der mehrheitlich föderalistisch gesinnten Oberhasler schwer. Das bezeichnenderweise von Schauenburg eingesetzte Kriegsgericht aus sieben Offizieren traf am 16. Mai in Thun ein. Das helvetische Direktorium legte, ein Aktenstück vom 21. Mai zeigt es deutlich, Wert auf die Kommunikation über Grimsel und Furka zwischen Hasli und Realp. Dies war jedoch unmöglich, für den 16. Mai ist eine Walliser Wache von 8 Mann im Spital auf der Grimsel verbürgt, am 25. Mai nahm man im helvetischen Thun zur Kenntnis, dass die Walliser ihre Truppenpräsenz auf Grimsel und Gemmi verstärkten. Regierungskommissär Müller verlangte Verhaltungsbefehle, habe er doch zwischen Guttannen und Kandersteg nur drei Kompanien. Die Nähe des Wallis, so liess sich Müller am 27. Mai - 45 - vernehmen, ermuntere den Pöbel immer zu einiger Widerspenstigkeit. Frutigen und Zweisimmen blieben zwei Brennpunkte des Widerstandes, der von Zeit zu Zeit und je nach den Umständen auch auf die Alpen auswich. Das Oberland blieb freilich generell föderalistisch. In Bönigen, das wie Brienz und Erlenbach eher zu den Ausnahmen von dieser Regel gehörte, wurde in der Nacht vom 11. auf den 12. Juni ein Flugblatt an den Freiheitsbaum geheftet, worin das dürre Revolutionssymbol mit dem wohlgenährten Berner Bär kontrastiert und die Naherwartung der Wende im föderalistischen Sinne ausgedrückt wurde: «Anstat dess Richen Und fettden Bärr Kam diser Lärre Bumm dahärr Ehr Soltte Bringen frücht der freiheit Brachte Nur Schaden und Härtzenleid Regänten Wolden sin Emporr Die Niemals solten kommen forr Dann Jeder Kühdräckschufler Wolt S. 47: Begabet Sin Mit Rodem Golt Drum Ist Der Bärr jetz auf der Bann Umm Wider an sinn Ordt zu stann.» Dass in der föderalistischen Agitation die Frauen noch aktiver seien als die Männer, wurde im helvetischen Thun mit offensichtlicher Missbilligung konstatiert. In der Volkserinnerung blieben die bewegten Tage des Frühjahrs 1799 lange haften. Der Hasler Johann von Weissenfluh schreibt: «Es solten nemlich auf die erste Nacht im Monat May alle Franken in ihren Quartíeren uberfallen und ermordet werden.» Widerstand im Oberwallis Die Oberwalliser wollten ihre jungen Männer genauso wenig mit den Franzosen zu Felde ziehen lassen wie viele andere Teile der Schweiz. Die Gommer versammelten sich am 13. April 1799 in Ernen und schworen, keinen Mann ziehen zu lassen. Peter Moriz Perrig leitete am 14. April eine Versammlung der Leute von Mörel und Brig vor der Kirche von Glis. - 46 - Als sie sich geeinigt hatten, schworen sie in der Kirche, keinen Soldaten aus dem Kanton ziehen zu lassen, nicht gegen den Kaiser zu kämpfen, einander nicht zu verlassen und die heilige Religion in ihrem ganzen Umfange aufrecht zu erhalten. Der vom helvetischen Direktorium zur Unterdrückung der Unruhen entsandte Regierungskommissär Buxtorf stand der Entwicklung machtlos gegenüber, drohte am 11. April und zog am 18. April mit 800 Unterwallisern gegen Sitten. Mittlerweile hatten die antihelvetischen Oberländer versucht, mit den Oberwallisern in Kontakt zu treten. Es blieb beim Versuch, denn David Schmid, Wirt von Schwarenbach, wurde vom Unterstatthalter von Leuk gefangengenommen, was Buxtorf am 15. April ans helvetische Direktorium meldete. Als Hinweis auf die notwendigerweise damals und auch danach noch lange Jahre geheimgehaltenen und nicht zuletzt deshalb wohl nie mehr vollumfänglich rekonstruierbaren Beziehungen - zwischen den verschiedenen föderalistischen und konservativen Volksbewegungen des Frühlings 1799 ist die Nachricht dennoch von Interesse. Der Landsturm erging in den fünf oberen Zenden in der Nacht vom 21. auf den 22. April, und am 25. stand das vielleicht rund 2500 Mann starke Oberwalliser Heer bei Leuk. Leopold de Sepibus aus Mörel präsidierte den Kriegsrat, Peter Moriz Perrig aus Brig kommandierte die Truppen. Ein Zweigkriegsrat in Brig unter Oberst Kaspar Eugen von Stockalper und einer in Münster unter Hyazint von Riedmatten sollten einerseits zum Simplon, andererseits zu den Pässen im Goms Sorge tragen. Am 2. Mai warfen die Oberwalliser ihren mittlerweile vielleicht auf 1500 Mann angewachsenen Gegner aus Siders, und am 3. zogen sie in Sitten ein. Perrig forderte nun seinerseits alle Wehrfähigen unter die Waffen und unterstrich dieses Aufgebot mit Drohungen, welche den entsprechenden helvetischen Gesetzen an Schärfe keineswegs nachstanden. Martigny fiel am 5. Mai nach einem Oberwalliser Sieg an der Brücke bei Riddes - dabei gingen 19 Scheunen in Flammen auf. Einer Flankenkolonne gelang es ausserdem, über den Col du Coeur ins Val de Bagnes zu gelangen, wo sie freundlich aufgenommen wurde. Das Entremont freilich widersetzte sich: in Sembrancher war die Brücke über die Drance abgebrochen und das S. 48: gegenüberliegende Ufer militärisch besetzt. Nach einem unentschiedenen Gefecht bei La Verrerie zwischen Martigny und Vernayaz entschlossen sich - 47 - die Oberwalliser am 6. Mai zum Rückzug vor dem heranrückenden französischen Bataillon der 110. Halbbrigade. Am 8. Mai standen vielleicht 3000 Oberwalliser im Pfynwald und in Varen, die Zenden Siders und Sitten waren grösstenteils vom Aufstand abgefallen. Mittlerweile hatte sich auf der Gegenseite die gesamte 110. Halbbrigade, die Unterwalliser Elite, einige französische Husaren sowie lémanische Verstärkung zusammengetan, so dass sich die zahlenmässige Überlegenheit erstmals klar auf die französisch-helvetische Seite neigte. Erste Angriffe der Franzosen wurden jedoch am 9. Mai sowohl im Pfynwald wie in Varen zurückgeschlagen. 2. Mai 1799: Der Walliser Schiner wird helvetischer Kriegsminister Nun war seit dem 2. Mai ein Walliser helvetischer Kriegsminister. Dieser Mann, Franz Joseph Ignaz Maximilian Schiner, erreichte in der Nacht vom 12. auf den 13. Mai Sierre und verlangte bei Masséna zusätzliche Truppen. Die Oberwalliser ihrerseits erhielten am 11. Mai Verstärkung durch 40 Austrorussen, die in Brig eintrafen und deren beide Generäle Graf Michael Andrejewitsch Miloradowitsch und Joseph Philipp Freiherr Vukassowitsch von dort aus in einer ebenso blutrünstigen wie wirkungslosen Proklamation die Unterwalliser zur Unterwerfung aufforderten. Worte nützten den Oberwallisern wenig, sie hätten lieber Truppen gehabt, baten auch verschiedene Kommandostellen von Suworows Armee darum, jedoch ohne rechtzeitigen Erfolg. Die Franzosen wurden am 15. Mai im Pfynwald aufgehalten, vermochten aber Varen einzunehmen und «oben bei den Leitern Kanonen aufzuführen.». Am 16. Mai versuchten die Franzosen, sich auch der Dalabrücke zu bemächtigen, wurden jedoch zurückgeschlagen. Die folgenden Tage waren vergleichsweise ruhig: Die Oberwalliser erwarteten austrorussische Verstärkung - rund hundert Mann tauchten in jenen Tagen tatsächlich auf, aber dies reichte begreiflicherweise keineswegs -, und die durch Krieg, Krankheit und Desertion geschwächten Frankohelvetier unter dem helvetischen Kriegsminister Schiner fürchteten, durch eine über den Grossen Sankt Bernhard einbrechende Kolonne der Armee Suworows im Rücken gefasst zu werden und hielten sich deshalb zurück. - 48 - Schiner holt den französischen General Xaintrailles Schiner holte für seine Seite aus Lausanne den französischen General Charles Antoine Dominique Xaintrailles, der an der Spitze von nach Italien detachierten Truppen aus Massénas Armee marschierte und damit über Truppen in Divisionsstärke verfügte. Zunächst erschien zusätzlich die 89. Halbbrigade. Zu einem letzten Erfolg der Oberwalliser kam es am frühen Morgen des 27. Mai, als 300 Mann unter Bartholomäus Walther im Koly oberhalb Inden «den Kamm der Dalaschlucht erklommen», die Posten bei den Leitern überrumpelten und Varen im ersten Ansturm nahmen. Auf der linken Talseite hatten die Oberwalliser gleichzeitig einen Ausfall aus ihren Schanzen bis Chippis gewagt. S. 49: Erbarmungslose Kämpfe erbarmungslose Sieger Am 28. Mai war es dann an Xaintrailles, anzugreifen. Die Franzosen drangen in die Schanzen von Pfyn ein, eroberten Varen, nahmen die Dalabrücke und standen bereits um 04.00 Uhr in Leuk. Fast überall sonst hausten die Sieger erbarmungslos. Varen, Agarn, Briannen, Unterems und Tschinjeren wurden ein Raub der Flammen. Aus einer Kapelle, in die sich Verwundete geflüchtet hatten, wurde einer nach dem anderen herausgeholt, erschossen und in die Rhone geworfen. Wer, wie viele, in die Wälder oder auf die Alpen geflohen war, hatte nicht unklug gehandelt. Die Oberwalliser versuchten die Linie der Vispe zu halten, wurden jedoch am 29. Mai auch hier geschlagen. Bartholomäus Walther, der Held von Varen, fiel in diesem Gefecht. Seine letzten Worte waren: «Es lebe die alte Freiheit!» Visp und Brig wurden zur Beute der Sieger. Von Brig ging ein Teil der Oberwalliser auf der Simplon-, ein anderer auf der Furkaachse zurück. Die Massabrücke sah am 1. Juni den Kampf des sehr zusammengeschmolzenen Haufens von einigen hundert Oberwallisern gegen die Franzosen, die in Schwung gekommen waren und sich auch hier durchsetzten. In Schwung gekommen war daneben auch Xaintrailles besondere Art der Kriegführung, die lebhaft an jene Schauenburgs in Nidwalden am 9. September 1798 erinnert. So wurde im Dorf Mörel der kranke Joh. Mart. Wellig durch Hinauswurf aus dem Fenster getötet, der 91 Jahre alte Alois Thenen erschossen, in den Halten zwangen die Sieger Anna Maria Imhof, das - 49 - Bett ihres kranken Mannes anzuzünden, worauf sie selbst und ihr Sohn umgebracht, ihre Tochter auf den Tod verwundet wurde. Terror schreckte die Walliser von 1799 nicht, wenigstens nicht alle. «So waren bei zwanzig junge, mutige Männer aus dem Dalathal, aus dem Leukerbad über das Gebirg in's Lötschenthal und von dort über den Lötschen- und grossen Aletschgletscher nach Fiesch geeilt und nahmen hier am Kampfe teil. So berichtete der nahe 90 Jahre alte Teilnehmer Joseph Lehner noch auf seinem Sterbebette.» Am 3. Juni erreichte Xaintrailles nach weiteren Gefechten auf dem Deischberg, am Laxgraben, im bereits genannten Fiesch und an der Giebelegge Münster. Da er nun eine zunehmende österreichische Präsenz in der Front feststellte und zudem in Gefahr stand, von den über den Simplon herannahenden Austrorussen abgeschnitten zu werden, ging er in den Raum Brig zurück. Die Kämpfe waren erbarmungslos gewesen: Drei gefangene lémanische Kirchenplünderer sollen in Varen von Oberwallisern durch Zertrümmerung ihrer Schädel mit Schmiedehämmern getötet worden sein, die Metzeleien und das Niederbrennen und die Plünderungen, die sich die Franzosen Xaintrailles erlaubten, erinnern nicht nur an Nidwalden sondern auch an die noch junge Drohung von Xaintrailles Chef Masséna. Am Simplon war Xaintrailles nicht erfolgreicher als im Goms. Im Gefecht von Tafernen verloren die über den Pass herangekommen Österreicher zwar 76 Mann, vermochten sich aber zu behaupten. Mittlerweile hatten, und darauf zählten jene Schweizer, die sich 1799 gegen Frankreich erhoben, nur zu sehr, die Operationen der Grossmächte begonnen. ------------------------Der Text des Buches geht weiter mit der Beschreibung der verschiedenen militärischen Operationen, welche bereits zur Genüge in dieser Sammlung enthalten sind. Dieser Auszug beschränkt sich hauptsächlich auf die politische Grosswetterlage. Für Anmerkungen und Fussnoten ist das Original beizuziehen. (Kantonsbibliothek Graubünden, Sign. 15.60.12 m) Internet-Bearbeitung: K. J. Version 02/2014 --------