Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) Büro Brüssel Rue Joseph II, 166 ? B – 1000 Brüssel [email protected] Stellungnahme zum Grünbuch der Europäischen Kommission „Der Europäische Forschungsraum: Neue Perspektiven Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) begrüßt grundsätzlich den Ansatz der Europäischen Kommission, einen Europäischen Forschungsraum i.S. eines europäischen Binnenmarktes für Forschung zu schaffen als Voraussetzung für die Verwirklichung der wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und umweltpolitischen Ziele der EU. Dabei sollte jedoch die Vielfalt und Vielgestaltigkeit der europäischen Forschungslandschaft ausreichend Anerkennung und Berücksichtigung finden und nicht auf Kosten von Wettbewerbsfähigkeit und Konkurrenzfähigkeit lediglich die Verwertbarkeit von Wissen maßgebend sein. Die EKD unterstützt auch die Zielvorgabe, dass innerhalb eines Rahmens „gemeinsamer ethischer Grundprinzipien“ die Öffentlichkeit in die Konzeption, Umsetzung und Bewertung von Forschungsplänen eingebunden werden soll, damit verantwortlicher wissenschaftlicher und technologischer Fortschritt gefördert werden kann. Als gesellschaftliche Kraft sieht sie sich in einer Mitverantwortung für einen offenen, fairen und transparenten Dialog zwischen Forschung, Wissenschaft und Zivilgesellschaft. Dieser ist unabdingbar, um wissenschaftliche Themen in der Gesellschaft zu verankern und Vertrauen in die Forschung zu stärken. Deshalb fördert die EKD den sachlich-konstruktiven Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft über die ethischen Aspekte neuer Wissenschaften und Technologien auf vielfältige Weise und sieht sich als Kirche u.a. in der Rolle des Moderators, dem in der gesellschaftspolitischen Debatte daran gelegen ist, soweit wie möglich einen „schonenden Ausgleich“ unterschiedlicher Standpunkte herbeizuführen. In den Gliedkirchen und evangelischen Akademien finden regelmäßig Symposien, Konferenzen und Informationsveranstaltungen zu aktuellen forschungspolitischen Themen statt, die neben der Kommunikation von Forschungsinhalten auch der Meinungsbildung und dem Austausch untereinander dienen. Mit ihren Äußerungen und Stellungnahmen will die EKD zudem einen Beitrag zur ethischen Urteilsfindung und Konsensbildung leisten. In den Fällen, in denen die derzeit absehbaren negativen Folgen neuer Technologien und Forschungsfelder überwiegen, fordert sie Korrekturen und ggf. ethische Grenzziehungen ein. Grundsätzlich will die evangelische Kirche dazu beitragen, durch ihre kritische Begleitung des wissenschaftlichen Fortschritts die Würde der einzelnen Menschen, gerade auch der Schwachen, und derer, die sich selbst nicht äußern können, zu sichern. Ihre Basis dabei ist das christliche Menschenbild. Die Teilhabe der breiteren Öffentlichkeit an der Konzeption, Umsetzung und Bewertung von Forschungsplänen hat den Vorteil, dass der Raum der Wissenschaft und Forschung nicht als ein „aliud“, sondern Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens erkannt wird, der – verantwortungsvoll und nachhaltig – eingesetzt zum Wohl aller beitragen kann. In diesem Zusammenhang ist auch die in dem Grünbuch vorgestellte Idee , Organisationen der Zivilgesellschaft in ein System der Forschungsfinanzierung einzubeziehen, zu begrüßen. Insbesondere im Hinblick auf die Förderung einer nachhaltigen Entwicklung kann dieses Vorgehen sinnvoll sein. Wie das Beispiel der genetisch veränderten Organismen im übrigen anschaulich belegt, fördert eine intransparente Förder- und Vermarktungspolitik lediglich Misstrauen und Skepsis, während eine sachliche Information und eine unvoreingenommene Debatte der Wissenschaft mit der Öffentlichkeit Ängste abbauen hilft und dazu beiträgt, dass sich der Bürger ein eigenes Urteil bilden kann. Dabei ist es jedoch äußerst wichtig, das „Wie“ des Dialogs zu klären und entsprechende Strukturen zur Verfügung zu stellen, die eine Bevormundung durch Wissenschaft und Politik ausschließen. Darüber hinaus kann insbesondere eine frühzeitige Debatte etwa über neue Forschungsfelder auch der Forschung und Industrie zu Gute kommen, indem an Hand der vorgebrachten Fragen und Bedenken, Entwicklungen antizipiert und Erkenntnisse über Prozesse bei der Entstehung eines neuen Technologiefeldes gewonnen werden können. Da es sich um öffentliche Gelder handelt, die im Wege der Forschungsförderung eingesetzt werden, entspricht es darüber hinaus demokratischen Grundsätzen, wenn die Öffentlichkeit nicht nur informiert wird, sondern auch selber mitentscheiden kann, in welche Projekte die Mittel fließen sollten. Da nicht zu erwarten ist, dass der Markt ethische Ansprüche erfüllt und dass wirtschaftliches und Gemeinwohl-Interesse notwendigerweise übereinstimmen, ist die Beteiligung der Öffentlichkeit sowohl bei der Konzeption von Forschungsplänen als auch bei der Bestimmung von Prioritäten für die Forschungsförderung ein Garant für eine demokratische Kontrolle der Forschungspolitik. So begrüßenswert die Bestrebungen nach einer stärkeren Einbeziehung der Öffentlichkeit auf der Grundlage “gemeinsamer ethischer Grundprinzipien” ist, so wichtig ist es aber auch, die Vielfalt und Komplexität ethischer Debatten in den Mitgliedstaaten der EU zu respektieren und sich zu vergegenwärtigen, dass es „die“ europäische Öffentlichkeit nicht gibt. Demzufolge muss man sich bei diesem im Grünbuch vorgeschlagenen Politikansatz darüber im Klaren sein, dass es nicht darum gehen darf, Unterschiede zu nivellieren und lediglich Akzeptanz für Forschung zu erhöhen, sondern unterschiedliche ethische Traditionen zu respektieren und sich viel grundlegender auf eine wirkliche Debatte einzulassen, die durchaus auch kontrovers und kritisch geführt werden darf. Darüber hinaus muss auch eindeutig definiert werden, worin diese „gemeinsamen ethischen Grundlagen“ bestehen sollten. Es kann nicht darum gehen, sich lediglich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zu einigen. Die Europäische Kommission muss akzeptieren, dass es ethische Divergenzen gibt, die die EU aufgrund fehlender Kompetenz nicht harmonisieren kann (Embryonale Stammzellforschung, reproduktives und therapeutisches Klonen von Menschen, etc. ). Es ist ein Wesensmerkmal der Ethik, dass man sie nicht von der Mehrheitsentscheidung abhängig machen kann. Ethische Bedenken sollten deshalb in der politischen Auseinandersetzung ernstgenommen und nicht als forschungsfeindlich abqualifiziert werden. Der Vorschlag, gemeinsame Zukunftsforschung und Technologiebewertung zu betreiben und gemeinsam mit Industrie, Wissenschaftsgemeinschaft und Gesellschaft künftige Forschungsschwerpunkte zu ermitteln, ist zu begrüßen. Auch in diesem Zusammenhang gilt, dass durch eine Partizipation der Öffentlichkeit eine Demokratisierung der Forschungs- und Förderpolitik erreicht wird. Daneben bietet dieser Ansatz die Chance, aus eingefahrenen Denkmuster- und Aktionsprozessen auszubrechen und Innovationen zu begünstigen. Im Hinblick auf die Optimierung von Forschungsprogrammen und –prioritäten erscheint es zunächst sinnvoll, sowohl auf nationaler als auch auf regionaler Ebene vergleichbare Grundsätze bei Anträgen auf Forschungsmittel einzuführen und ein einfaches, transparentes und kohärentes System der Forschungsfinanzierung zu etablieren. Aber auch hier gilt es, den Subsidiaritätsgrundsatz nicht aus den Augen zu verlieren. Gemeinsame Programme, Antragsformulare und Förderrichtlinien dürfen das Kompetenzgefüge zwischen EU und Mitgliedstaaten nicht aus den Angeln heben. Gemeinschaftsaktionen sollten nationale Politiken ergänzen. Ethische Fragen liegen in der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten und dürfen nicht durch Optimierungsbestrebungen unterlaufen werden. Die unterschiedlichen ethischen Auffassungen und Normen müssen auch in einem Europäischen Forschungsraum respektiert werden. Gemeinsame Forschungsschwerpunkte und -finanzierung sollte sich dementsprechend auf die Forschungsbereiche beschränken, die sich als ethisch unproblematisch darstellen. Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) ist die Gemeinschaft von 23 lutherischen, reformierten und unierten Landeskirchen und repräsentiert rund 26 Millionen Christinnen und Christen. Im Rahmen ihres Öffentlichkeitsauftrages nimmt die EKD Stellung zu ethischen, kirchenspezifischen, weltanschaulichen und gesamtgesellschaftlichen Fragen, insbesondere wenn Gesichtspunkte wie Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung berührt sind. Motivation und Leitlinie ihres Handelns ist der christliche Glaube als Basis von sozialer Gerechtigkeit, persönlicher Verantwortung und Nächstenliebe. Brüssel, den 30. August 2007 Sabine von Zanthier -Leiterin des Büros-